Johann Wolfgang von Goethe - Faust I + II

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Johann Wolfgang von Goethe - Faust I + II
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Johann Wolfgang von Goethe (hg. von Redaktion Müller)

Johann Wolfgang von Goethe - Faust I + II

Literaturklassiker Band 4

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Originalausgabe

Editorial

Vorwort

Zueignung.

Vorspiel auf dem Theater.

Prolog im Himmel.

Der Tragödie Erster Theil.

Nacht.

Vor dem Thor.

Studirzimmer.

Auerbachs Keller in Leipzig.

Hexenküche.

Straße.

Abend.

Spazirgang.

Der Nachbarinn Haus.

Straße.

Garten.

Ein Gartenhäuschen.

Wald und Höhle.

Gretchens Stube.

Marthens Garten.

Am Brunnen.

Zwinger.

Nacht.

Dom.

Walpurgisnacht.

Walpurgisnachtstraum

Trüber Tag.

Nacht, offen Feld.

Kerker.

Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten.

Erster Act.

Plutus steigt vom Wagen.

Zweyter Act.

Erdbeben.

Dritter Act.

Trompeten in der Ferne, der Chor fährt zusammen.

Vierter Act.

(Ab in’s Zelt mit dem Obergeneral).

Fünfter Act.

Mitternacht.

Weitere Werke J. W. v. Goethes

Weiterführende Literatur

Literaturwissenschaftliche Bücher von Manfred Müller

Literaturklassiker

Faust. Eine Tragödie.

Impressum neobooks

Originalausgabe

Originalausgabe: J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Tübingen, 1808 (Faust I)

J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Tübingen, Stuttgart, 1832 (Faust II)

Autor: Johann Wolfgang von Goethe

Überarbeitung und Layout: Redaktion Müller, www.redaktion-mueller.de, 2014

Vorwort: Manfred Müller, M.A.

Editorial


Warum gibt es jetzt noch eine weitere Publikations-Reihe mit Literaturklassikern? Es gibt doch schon so viele!

Die Redaktion Müller hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand einer rein subjektiven Bewertung und Klassifizierung Klassiker der deutschsprachigen Literatur in loser Reihenfolge zu veröffentlichen. Der Grund dafür ist relativ schnell geschildert:

Neuauflagen stehen immer mehr im Fokus und rücken damit stärker in die Beachtung des Lesemarktes als bereits bestehende Ausgaben. Das führt dazu, dass die Texte präsent bleiben und einer immer größeren Leserschaft zugänglich gemacht und näher gebracht werden. Die Redaktion Müller hat sich auf Werke konzentriert, die ihres Erachtens in den Literaturkanon eines jeden Bücherfreundes und jeder Bücherfreundin gehören.

Die Texte werden im Layout bearbeitet, und es werden zusätzliche Literaturhinweise gegeben. So erhält man weitergehende Informationen über den Primärtext zum Beispiel hinsichtlich Interpretationshilfen oder hinsichtlich der Einordnung des Ur-Textes in einen größeren Zusammenhang. Die in der Reihe Literaturklassiker herausgegebenen Werke erscheinen in einem modernen Gewand und nutzen alle Möglichkeiten des elektronischen Publizierens, z.B. von Verlinkung weiterer Quellen und ergänzender Texte.

Allen Einzelbänden der Literaturklassiker steht ein Vorwort von Manfred Müller voran, das das Werk sowohl in seiner Gesamtheit als auch im Kontext präsentiert. Manfred Müller ist Germanist und hat seine Abschlussarbeit über die Gewaltdarstellung und deren epistemologischen Dimensionen in Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ geschrieben – von daher ist es naheliegend, dass genau dieser Roman als Band 1 der Literaturklassiker gewählt wurde! In der aktuellen Konzeption ist zunächst die Veröffentlichung von 10 Bänden geplant, die ab Dezember 2013 sukzessive herausgegeben werden.

Viel Spaß beim Kennenlernen und Wiederentdecken der Literaturklassiker und beim Erschließen der zusätzlichen Materialien!

Der vorliegende Text wurde in weiten Teilen in der Rechtschreibung der Originalausgaben belassen, um der Authentizität des Werks den entsprechenden Raum und Wirkungsgrad einzuräumen. Die Versnummerierung ist fortlaufend und behandelt die beiden Faustteile als Einheit, was aber unseres Erachtens selbstverständlich ist und nicht anders gesehen werden kann.







Vorwort



Es gibt wohl kaum ein bekannteres Werk in der deutschsprachigen Literatur als Goethes Faust. Wobei in diesem Zusammenhang fast immer von Faust I die Rede ist. Wenn man einmal die etwas mehr als 4.600 Verse quer liest, so entdeckt man unwillkürlich eine schier endlose Anzahl an Sprichworten und Redewendungen, die Eingang in die deutsche Alltagssprache gefunden haben und die bereits dadurch zeigen, welche Publikumswirkung der Faust erzielte:

„Name ist Schall und Rauch“ (V3457)

„Des Pudels Kern“ (V1323)

„Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ (V765)

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ (V940)

… um nur einige wenige zu nennen.


Um aber den gesamten Stoff, der Goethe sechzig Jahre lang beschäftigte, zu erfassen, ist es notwendig, auch den Faust II zu betrachten. Aus diesem Grund ist der hier vorliegende Band der Literaturklassiker eine der wenigen Ausgaben, die Faust I und Faust II gemeinsam präsentieren.

Denn erst durch den zweiten Teil wird die Faust- oder auch Gretchentragödie des ersten Teils zu einem allgemein adaptierbaren Lehrstück, das den Menschen in seiner Gefangenheit und Hin-und-Hergerissenheit zwischen Versuchung und Hingabe, zwischen Schuldigwerden und Vergebung, zwischen Verfehlung und Rechtfertigung zeigt.

 

„Verweile doch, du bist so schön“ wird damit zur Erfüllung und zum Niedergang zugleich.

Manfred Müller, März 2014














Zueignung.

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?

Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

5 Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

10 Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,

Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

15 Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang,

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

20 Verklungen ach! der erste Wiederklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

25 Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,

Mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich,

Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,

30 Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,

Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater.

Director, Theaterdichter, lustige Person.

Director.

Ihr beyden die ihr mir so oft,

In Noth und Trübsal, beygestanden,

35 Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,

Von unsrer Unternehmung hofft?

Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben läßt.

Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,

40 Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen;

45 Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sey.

Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,

50 Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,

Und mit gewaltig wiederholten Wehen,

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;

Bey hellem Tage, schon vor Vieren,

Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

55 Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,

Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.

Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute.

Dichter.

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

60 Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht.

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;

65 Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

70 Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen

Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt ist für den Augenblick geboren,

Das Aechte bleibt der Nachwelt unverloren.

Lustige Person.

75 Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.

Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

Den will sie doch und soll ihn haben.

Die Gegenwart von einem braven Knaben

80 Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

85 Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,

Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,

Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

Director.

Besonders aber laßt genug geschehn!

90 Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

So daß die Menge staunend gaffen kann,

Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.

95 Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

100 Solch ein Ragout es muß euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,

Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.

Dichter.

Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!

105 Wie wenig das den ächten Künstler zieme!

Der saubern Herren Pfuscherey

Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.

Director.

Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

110 Muß auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin für wen ihr schreibt!

Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

115 Und, was das allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten

120 Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?

Was macht ein volles Haus euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

125 Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

Was plagt ihr armen Thoren viel,

Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,

130 So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen ist schwer – –

Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?

Dichter.

Geh hin und such dir einen andern Knecht!

135 Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

140 Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.

Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

145 Verdrießlich durch einander klingt;

Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe

Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?

Wo es in herrlichen Accorden schlägt,

150 Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?

Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

155 Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?

Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.

Lustige Person.

So braucht sie denn die schönen Kräfte

Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,

160 Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

165 Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.

Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

170 In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

175 Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe

Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;

Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,

Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.

180 Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,

Ein Werdender wird immer dankbar seyn.

Dichter.

So gieb mir auch die Zeiten wieder,

185 Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

190 Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Thäler reichlich füllten.

Ich hatte nichts und doch genug,

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Gieb ungebändigt jene Triebe,

195 Das tiefe schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gieb meine Jugend mir zurück!

Lustige Person.

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

200 Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz

205 Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Muth und Anmuth einzugreifen,

Nach einem selbgesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen,

210 Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

Director.

Der Worte sind genug gewechselt,

215 Laßt mich auch endlich Thaten sehn;

Indeß ihr Complimente drechselt,

Kann etwas nützliches geschehn.

Was hilft es viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

 

220 Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandirt die Poesie.

Euch ist bekannt was wir bedürfen,

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

225 Was heute nicht geschieht, ist Morgen nicht gethan,

Und keinen Tag soll man verpassen,

Das Mögliche soll der Entschluß

Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,

Er will es dann nicht fahren lassen,

230 Und wirket weiter, weil er muß.

Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen

Probirt ein jeder was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospecte nicht und nicht Maschinen.

235 Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Thier und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Breterhaus

240 Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,

Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,

Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.

Prolog im Himmel.

Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles.

Die drey Erzengel treten vor.

Raphael.

Die Sonne tönt, nach alter Weise,

In Brudersphären Wettgesang,

245 Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag.

Die unbegreiflich hohen Werke

250 Sind herrlich wie am ersten Tag.

Gabriel.

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieses-Helle

Mit tiefer schauervoller Nacht;

255 Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

Michael.

Und Stürme brausen um die Wette

260 Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,

Und bilden wüthend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags.

265 Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

Zu Drey.

Der Anblick giebt den Engeln Stärke

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

270 Sind herrlich wie am ersten Tag.

Mephistopheles.

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst wie alles sich bey uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

275 Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiß zum lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

280 Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd’ er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

285 Er nennts Vernunft und braucht’s allein

Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.

Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Cicaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

290 Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

Der Herr.

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

295 Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

Mephistopheles.

Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,

Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.

Der Herr.

Kennst du den Faust?

Mephistopheles.

Den Doctor?

Der Herr.

Meinen Knecht!

Mephistopheles.

300 Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.

Ihn treibt die Gährung in die Ferne,

Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,

305 Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh’ und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

Der Herr.

Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;

So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.

310 Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

Mephistopheles.

Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!

Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt

Ihn meine Straße sacht zu führen.

Der Herr.

315 So lang’ er auf der Erde lebt,

So lange sey dir’s nicht verboten.

Es irrt der Mensch so lang er strebt.

Mephistopheles.

Da dank’ ich euch; denn mit den Todten

Hab’ ich mich niemals gern befangen.

320 Am meisten lieb’ ich mir die vollen frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

Der Herr.

Nun gut, es sey dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

325 Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:

Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,

Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

Mephistopheles.

330 Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

335 Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Der Herr.

Du darfst auch da nur frey erscheinen;

Ich habe deines gleichen nie gehaßt.

Von allen Geistern die verneinen

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

340 Des Menschen Thätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.

Doch ihr, die ächten Göttersöhne,

345 Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich.

Mephistopheles allein.

350 Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,

Und hüte mich mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.