Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt

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Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt
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Jürgen Ruszkowski (Hrsg.)

Logbuch – Teil 2 – Anthologie – Hochseefischerei – Küsten- und Hochseeschifffahrt

Seefahrerportraits und Erlebnisse von See – Band 29 in der maritimen gelben Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“ bei Jürgen Ruszkowski

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Hans Herz: Meeresrauschen– Erlebniserinnerungen aus den Seefahrtsjahren 1958 – 1964

Hans Herz: Hochseefischerei um 1958

Hans Herz: Auf großer Fahrt mit MS „SCHWARZENBEK“

Erlebnisse eines Schiffsjungen 1956

Georg Pflaumbaum: Die Brüderschaft zur See

Werner Schulz: Meine Seefahrtszeit

Günter Braun: Fast abgesoffen – an der Pier

Günter Braun: Elf große Negerlein

Peter Jensen: Meine Reisen bei Poseidon 1966 – 1968

Hardy Riedel: „Telegramm 99 – Letzter Gruß von See“ – oder – Äquatortaufe an Bord der „JOHN BRINKMAN“

Hardy Riedel: Für immer abgemustert

Schiffstagebuch-Beispiele aus den Jahren um 1913 – Aus dem Nachlass von Johs. Richters

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke

Weitere Informationen

Die maritime gelbe Buchreihe

Impressum

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.


Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch.

Diese Rezensionen erfreuten mich besonders: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke, Herr Ruszkowski.

“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

In diesem 2. Teil des Bandes 29 können Sie wieder einige Lebensläufe, Erlebnisberichte, Erinnerungen und Reflexionen ehemaliger Seeleute sowie einen historischen Text als Anthologie kennen lernen.

Herrn Egbert Kaschner (†) sei für die Korrekturhilfe herzlich gedankt.

Das zeitgeschichtlich interessante „Logbuch“ des Paul Hundt, das Egbert Kaschner (†) bei ebay ersteigert hatte, ist in der Printausgabe enthalten, als ebook jedoch als Teil 1 des Bandes 29 getrennt herausgegeben.

Hamburg, im August 2006 / 2014 Jürgen Ruszkowski


Hans Herz: Meeresrauschen– Erlebniserinnerungen aus den Seefahrtsjahren 1958 – 1964

Geboren im September des Kriegsjahres 1941 und aufgewachsen in den Nachkriegsjahren bis 1950 in Leeuwarden (Westfriesland – Niederlande) und danach an der holländischen Grenze in Niedersachsen. Zeiten der Vorurteile, der Mangelwirtschaft und Perspektivlosigkeit. Das Wort „Auswandern“ hatte damals eine eigene Faszination und Dynamik. Man schielte nach so genannten reichen Ländern. Besonders lukrativ schienen Ziele wie USA, Kanada oder Australien.

„Fernweh!“ war nicht nur ein Schlagwort. Schlagersänger wie Freddy Quinn, Lolita und andere, die mit ihren Liedern Sehnsüchte und Wunschträume wie die „große weite Welt erleben!“ erweckten, ließen manches Herz höher schlagen. Meines war auch dabei!

Ich wollte in die Welt hinaus, und nichts und niemand sollte mich davon abhalten! Nachdem ich meine Eltern von der Sinnlosigkeit ihres Widerstands überzeugt hatte, (z. B. durch scheinbaren Hungerstreik und ähnliche Aktionen) durfte ich den Beruf des Seemanns erlernen.

So nahmen meine Eltern zusätzliche Kosten für die Vorausausbildung (wie Fahrt, Kleidung etc.) auf sich, obgleich sie selbst kaum genug zum Leben hatten. Schließlich gab es noch meine beiden jüngeren Brüder zu versorgen. Kurz, die Dinge nahmen ihren Lauf. 15jährig bestieg ich im Frühjahr 1958 den Zug nach Hamburg und meldete mich in der Schiffsjungenschule Hamburg-Finkenwerder.

Dort galt es erst einmal, eine besondere praktische Aufnahmeprüfung zu bestehen. Grundvoraussetzung für den künftigen Fahrensmann war die Feststellung völliger Schwindelfreiheit. Die war bewiesen, wenn der Schiffsmast, der vor der Seemannschule aufgebaut war, problemlos erklommen wurde und auch der Abstieg ohne Schwierigkeiten vonstatten ging. Letzteres wurde zur Nagelprobe. Wie beim Bergsteigen ist stets der Abstieg am schwersten. Es kam hinzu, dass man sein mitgebrachtes Gepäck mit hoch und wieder hinunter bringen musste. Wohl dem, der nicht viel hatte. Mein Hab und Gut passte in den mitgebrachten Rucksack, den mein Vater aus dem Krieg mit heimgebracht hatte. Andere hatten da mehr zu bieten. Von den 12 Aspiranten fielen vier durch diese Prüfung. Die anderen wurden eingekleidet, d. h. uniformiert: Bluse, Latzhose, Troyer und Pudelmütze gehörten dazu.


Die praktische Ausbildung stand stets im Vordergrund. So z. B. Knoten und Spleißen üben, pullen (das Rudern mit einem Rettungskutter auf der Elbe – einschließlich Manöver „Mann über Bord“) und sonstige so genannte „Praktische Seemannschaft“. Allerdings wurde auch großer Wert auf das Erlernen und Erkennen von Seeschifffahrtzeichen und -regeln sowie Schiffsaufbau u. ä. gelegt. Unsere Ausbilder nannten sich, wie auf Seeschiffen üblich, auch Kapitän (Schulleiter Herr Mund), Schiffsoffiziere (Lehrer in Theorie) sowie Bootsmann (Unterweiser in Seemannschaft). Wie in den fünfziger Jahren üblich, kamen unsere Ausbilder sämtlich aus der Reichskriegsmarine. Zimperlich gingen die mit uns nicht gerade um. Aber das war zu dieser Zeit auch auf den Seeschiffen nicht anders. Wir sollten also auf das Leben auf See vorbereitet werden. Doch das Bordleben ist vielfältig und unterschiedlich. Es kommt eben darauf an, auf welcher Art Seeschiff man sich befindet, etwa Küstenmotorschiff, Dickschiff, Fischereifahrzeug, Fahrgastschiff oder Kombi (Passagier und Frachtschiff). Die Aufzählung ist unvollständig!


Zunächst kam ich auf ein so genanntes Kümo (Küstenmotorschiff), wir nannten das „Kleine Fahrt“. Kurz vor Abschluss der Schiffsjungen-Schulausbildung wurde uns „hoher Besuch“ gemeldet. Dieser Besuch bestand zumeist aus Schiffsführern, die gleichzeitig Schiffseigner waren - und zwar von zumeist nicht sonderlich lukrativen Kümos.

 


Mich hat ein Kapitän namens Klünder geworben. Sein Schiff war winzig und ein zum Motorfrachtschiff umgebauter Fischlogger mit Hilfssegel. Es führte den Namen der Ehefrau, also MS „ELFRIEDE KLÜNDER". Besatzungsstärke mit mir drei Mann. Der „Alte“ war wirklich ein Alter, weil damals schon 72 Jahre. Der Deck- und Maschinenmann war älter als 50 Jahre. Er hatte den Titel „Bestmann“, den er wohl aus der Fischerei mitgebracht hatte. Nun kam ich als Moses dazu.

Leider bin ich nicht mehr im Besitz eines Fotos der ELFRIEDE KLÜNDER - bei dem obigen Lichtbild handelt es sich um ein Küstenmotorschiff, auf dem ich nur kurze Zeit fuhr.

Noch einige Anmerkungen zur ELFRIEDE KLÜNDER – erstes Schiff – erste Eindrücke: Bettzeug musste man damals mitbringen, meine Eltern hatten daran wohl nicht gedacht - und ich schon gar nicht! Ich schlief vorn im so genannten Kabelgatt. Dreiteilige Matratzen dienten in der Koje als Unterlage - eine ganzteilige Matratze war als Zudecke gedacht. Da eine Matratze naturgemäß absteht, deckte ich meine linke und rechte Seite mit Kleidung zu. Eine Wandverkleidung in der Koje gab es nicht. Metall der Kojenseite war Innenteil der Schiffsaußenhaut. Wasser holte ich im Eimer von achtern nach vorn. Das Ruderhaus wurde mittels Koksofen geheizt. Der Koks musste in regelmäßigen Abständen im Eimer aus dem vorderen Schiffsteil geholt werden, natürlich auch auf See. Einige Male hat mich der Bestmann aus der vollgelaufenen Gangbord gefischt, nachdem mir die übergekommene See die Füße weggerissen hatte. Der Eimer war dann allerdings immer leer. In England holten wir Gießerkoks – in Schweden bekamen wir Schnittholz. Gern fuhr der Alte durch die Inselgruppen (Schären) Schwedens, weil er da abends den Anker fallen lassen konnte, den der Bestmann und ich mühevoll von Hand mittels Pumpenschwengel wieder einholen mussten. Das dauerte je nach Kettenlänge schon einige Zeit (Frühsportersatz).

Weihnachten des Jahres 1958 verbrachten wir in Leer / Ostfriesland. Der Alte legte unseren „Schlickrutscher“ an die Pier und verabschiedete sich mit seinem Bestmann nach Hause. Ich blieb an Bord, weil ich mit meinen Eltern zu der Zeit Probleme hatte. Strom und Heizung gab es an Bord während der Liegezeit nicht. Licht war durch eine Petroleumlampe in meinem Kabuff gesichert. Nachdem ich den Heiligabend ziellos durch die leeren Straßen Leers gestromert war, traf ich rein zufällig ein nettes Mädchen, das ebenso ziellos herumlief, weil sie, wie sie erklärte, ihrem Elternhaus (Bauernhof) entlaufen war. Gemeinsam waren wir nicht mehr einsam. Wir machten es uns an Bord der ELFRIEDE KLÜNDER bei einer Flasche Rotwein gemütlich. Auch uns läuteten so „die Glocken der Liebe zur Weihnachtszeit“ ;-). Nach Neujahr habe ich dann gekündigt. Auf diesem Schiff fuhr ich insgesamt neun Monate. Gelernt habe ich hier vor allem spleißen, knoten, ordentlich Berichtsheft zu führen und nicht zuletzt Graupensuppe zu kochen ;-). Mein monatlicher Verdienst belief sich als Schiffsjunge auf 60 DM Brutto plus Überstunden. Der Käptn war stets bestrebt, durch großzügige Lohnvorauszahlungen ein „Soll“ zu halten, um eine Abmusterung zu erschweren.

1959 musterte ich im Januar auf dem nächsten Kümo an, wieder ein so genannter Partikulier – also Kapitän gleich Eigentümer. Auch hier hatte die Ehefrau bei der Namensgebung des Schiffes Pate gestanden. Es war das MS „ELKE FRESE“.

Noch lag es auf der Werft, weil es eigentlich verschrottet werden sollte. Kaptain Frese hatte aber gute Beziehungen durch Verwandtschaft bei der Seeberufsgenossenschaft und bei einer Bank, wie er anmerkte. So wurde das Schiff eben wieder fahrtüchtig gemacht - auch mit Zementbestreichung an undichten Stellen. Die Besatzung bestand neben dem Alten noch aus dem Steuermann (Patentinhaber A 2) meiner Wenigkeit (befördert zum Jungmann) und drei 16- und 17-jährigen Jugendlichen aus einem Erziehungsheim, für die der Käptn gebürgt hatte (sehr billige Arbeitskräfte). Unsere erste Arbeit bestand aus dem Filzen der zur Abwrackung aufgelegten Schiffe – im Klartext: mitnehmen („zapzarap“), was brauchbar war, vom Fender bis zum Ofenrohr.

Die erste Fahrt ging nach Hull in England. Dort wurde Koks für Antwerpen geladen. Es folgten mehrere Fahrten in der Nord- und Ostsee. Nennenswerte Ereignisse gab es nicht zu berichten, wenn man davon absieht, dass das Schiff ständig kleine Wassereinbrüche im Kabelgatt hatte, weil der Zement nicht dauerhaft abdichtete. Während einer Kanaldurchfahrt (Nord-Ostsee-Kanal) war das Schiff nur schwer auf Kurs zu halten, weil das so genannte Kettenruder sehr ungenau reagierte, ein Graus für jeden Rudergänger und Lotsen. Ich war zum so genannten Gefechtsrudergänger gekürt – die Gefechte fanden überwiegend mit den Lotsen statt. Einer – etwas klein geraten – ging entnervt in Rendsburg vorzeitig von Bord. Sein Nachfolger, ein sehr großer Mann, kommentierte die Nervosität seines Vorgängers mir gegenüber so: „Aal de Lüt, wo de Kopp so dicht bien Mors sitt, de bent aal een beetje krabbelig.“ (All die Leute, bei denen der Kopf so dicht beim Hintern sitzt, sind etwas kribbelig) Dieser Spruch hat mich bis zum heutigen Tag begleitet.

Da in Rendsburg regelmäßig Proviant genommen und gebunkert wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr, um in den Sack zu hauen, also abzumustern. Das Mittagessen vor meinem Abgang wurde mir vom Kaptain mit einer Handbewegung von der Back gefegt. Sein Kommentar: „Wer geht, hat hier auch nicht mehr zu fressen!“ Der Abschied fiel mir nach fünf Monaten so besonders leicht. Die Jungs aus dem Erziehungsheim hatten dagegen keine Wahl. Sie erhielten übrigens 50 DM Monatslohn. Für mich rauchten danach noch viele andere Schiffsschornsteine.


Hans Herz: Hochseefischerei um 1958

So kam ich auf Anraten eines Seemannes auf die Idee, es einmal mit einem Fischdampfer zu versuchen. Es war im Sommer des Jahres 1958. Damals traf ich im Seemannsheim Hamburg-Altona einen älteren Fahrensmann, der beim Bier von echten Seeleuten der heutigen Zeit schwärmte. Damit waren Fahrensleute auf Fischdampfern gemeint. Dort könne ich mit dem Status Jungmann (2. Lehrjahr) bereits als Leichtmatrose einsteigen, was allerdings nur bei der Fischerei gelte. Das verhieß höhere Heuer. Zudem gäbe es auch Fangprämien-Prozente. Neugierig geworden, begab ich mich zum Heuerstall für Fischereifahrzeuge am Fischmarkt in Hamburg-Altona. Mir wurde ein neuer Fischdampfer mit Fahrtgebiet Nordatlantik zugewiesen. Es war der FD „HANS PICKENPACK“ der Hamburger Reederei Fock & Pickenpack, vom Stapel gelaufen bei der Norderwerft im Jahre 1957 – also damals brandneu. Besatzung: 26 Mann. – Siehe Bild! –

Länge: 66,70 m, Breite: 9,63 m, BRT 751, NRT 325, Korb: 5700, PS: 1560, 13,6 kn, 26 Mann Besatzung.


FD „HANS PICKENPACK“– Dank für Bildrecht: World Ship Society – Sammlung Biedekarken

Das Fahrt- und Fanggebiet sollte Island / Grönland sein. Ich sagte zu und wurde als letztes Besatzungsmitglied für die anstehende Seereise amtlich gemustert. An Bord wurden schon die notwendigen Reisevorbereitungen getroffen. Wir schleppten und verstauten Proviant und andere wichtige Dinge für die geplante etwa sechswöchige Seereise. Danach wurde Brennstoff gebunkert. Man sprach von einer Seereise von mehreren tausend Seemeilen.

Die Fahrten auf diesem Schiff sind mir in besonderer Erinnerung geblieben. Sie sind mit dem Bordleben auf Frachtschiffen nicht zu vergleichen. Hier bestimmt der gefundene Fischgrund, d. h. die Verdiensterwartung die Stimmung an Bord. Guter Fang: alles gut. Schlechter Fang: „Polen offen“! Reibereien gehörten einfach dazu. Gängiger Spruch war: „Een vort Mul - oder wat?“ So eine Sechswochenreise kann sich hinziehen. Ein Entrinnen gibt es nicht. Man lernt schnell zu überleben. Nach der Proviantübernahme nahm meine erste Reise ihren Anfang.

Nach dem Auslaufen folgten Erklärungen des zweiten Steuermanns zum Schiff und den einzelnen Aufgabenbereichen im schnellen Durchlauf. Es wurde dargestellt, dass das Bordleben auf einem Fischdampfer mit dem eines Frachtschiffes nicht zu vergleichen sei. Frachtschiffe beförderten eben Ladung vom Hafen A zum Hafen B, während Fischdampfer Fanggründe suchten. Die Schiffsführung eines Fischdampfers habe daher eine Doppelaufgabe. Der Kapitän sei Nautiker und Fischer in einer Person. Ein lohnender Fang garantiere entsprechende Fangprozente. Am Fangergebnis werde ein Fischdampfer-Kapitän gemessen.

Schnell hatte ich begriffen, dass ein Leichtmatrose auf einem Fischdampfer gleich Kochsmaat war, also an Deck und in der Kombüse beschäftigt wurde. Hinzu kamen Aufgaben wie „aufbacken“ - also Teller auf den Tisch bringen und abzuräumen (Backschafter). Ich war wieder mit einem Schiffsjungen auf einem Kümo vergleichbar (Lappendudel). Aber auch an Deck gab es allerlei zu tun. In dieser rauen Männerwelt galt es, sich zu arrangieren. Davon später.


Die Seereise führte uns zunächst an den oberhalb Schottlands gelegenen Shetlands vorbei zu den dänischen Färöer Inseln im Atlantik. Dort warteten noch etwa 12 Fischarbeiter, um bei uns einzusteigen. Sie waren für das filetieren bzw. die Weiterverarbeitung des zu erwartenden Fangs unter Vertrag genommen und hatten den Fisch am Fließband zu Filetstücken zu verarbeiten, bevor der in Kartons verpackt und tiefgefroren wurde.

Nachdem die Männer von den Färöers an Bord waren, nahmen wir Kurs auf Island – Grönland. Die große Suche nach Fischgründen begann. Nun kam es auf den Kapitän an, dem man große Erfahrung im Fischfang nachsagte. Zwar gab es schon damals technische Hilfsmittel, z. B. Fischortungsgeräte, (Fischlupen), Echolot, Radar und anderes, doch der Joker war stets der Alte. Der besaß die notwendigen Kenntnisse von Meeresströmungen, der Beschaffenheit des Meeresgrundes und verfügte im Idealfall über ein besonderes Gespür für Fischgründe. Alles hängt von seinen Fähigkeiten ab. Die Stimmung an Bord wird maßgeblich von ihm bestimmt.

Schweres Wetter im Nord-Atlantik war immer wieder ein Erlebnis der besonderen Art. Fischdampfer suchen keinen Schutzhafen, sondern reiten den Sturm mit dem Kopf gegen die See ab. Das hatte ich so noch nicht erlebt. Da wird noch echte Seefahrt gelebt. Mich ergriff ein Gefühl von Faszination und Angst, wenn unser Schiff in gewaltige Wellenberge eintauchte, um sich dann wieder aufzubäumen wie ein Wildpferd. Von der Kommandobrücke war dies sehr gut zu beobachten. - Fischdampfer sind sehr seetüchtig und stabil gebaut. Außerdem haben sie eine sehr leistungsfähige Maschine, die schließlich auch das Schleppen von Netzen über dem Meeresgrund schaffen muss.

Im Übrigen waren nicht alle unsere Fischarbeiter seefest. Die kotzten sich im Waschraum die Seele aus dem Leib und lagen dabei übereinander. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte mich zu ihnen gesellt. Dabei glaubte ich bis dahin, meine Seekrankheit bereits überwunden zu haben. Die älteren Fahrensmänner zeigten sich bei schwerem Seegang durchweg unbeeindruckt. Beklemmungen wurde von allen bei Nebel und Schneetreiben empfunden. Der Alte blieb dann Tag und Nacht auf der Brücke. Die erfahrenen Seeleute hatten vor einer Grundberührung mit treibendem Eis allerdings große Sorge. Von solchen Erlebnissen sollte auch ich nicht verschont bleiben.

Unter Grönland ging der Koch, der sich bei so einem schweren Wetter leichtsinnig auf das Bootsdeck gewagt hatte, um an seine Kartoffelkiste zu gelangen, über Bord. Danach kochte ein Alt-Matrose.

Um die Mannschaft nicht mit Fisch zu beköstigen, den sie nicht mehr sehen konnte - zumal wir alle lang anhaltend danach rochen, fuhr ein Schwein im Hock mit, das mit Fischabfällen gefüttert wurde. Anschließend wurde Schlachtfest gefeiert.

War ein Fischschwarm aufgebracht, wurde es an Deck lebendig. Regelmäßig waren dann auch andere Fischereifahrzeuge verschiedener Nationalitäten in Sichtweite. Man beobachtete sich offensichtlich gegenseitig.

Außerdem war unser schwimmendes Hospital „MS MEERKATZE“ in der Nähe. Es handelte sich um einen zum Schutzboot umgebauten Fischdampfer. Bei Unfällen oder ernsthaften Krankheiten wurden die Betroffenen von der Besatzung bei jedem Wetter in Sicherheit gebracht. War der Einsatz eines Schlauchbootes wegen zu hohen Wellengangs und Kentergefahr nicht möglich, wurde der Mann mittels Hosenboje auf das Schutzfahrzeug geholt. Einen solchen Einsatz habe ich persönlich miterlebt. Unser zweiter Steuermann erlitt einen Magendurchbruch und bedurfte dringend der entsprechenden Behandlung. Von dieser Rettungsaktion bin ich noch heute beeindruckt.

 

Das Fischen begann, nachdem die Maschine gestoppt und das Schiff langsam beigedreht hatte, um die Steuerbordseite nach Luv (der Wind zugewandten Seite) zu halten. Von dort wurde das Schleppnetz zu Wasser gebracht. Es bestand aus den zentnerschweren Bomberkugeln, die das Netz über dem Meeresboden halten und den Leichtmetallkugeln, die den Auftrieb gaben. Um das Schleppnetz seitlich zu öffnen, war es mit zwei Scherbrettern ausgestattet. Die notwendige Leinenlänge wurde von der Winsch abgetrommelt. Erst wenn die Leine (Kurrleine) singend straff stand, nahm das Schiff langsam seine Schleppfahrt auf. Das Kurren hatte begonnen. Nach einer vom Kapitän bestimmten Schleppzeit wurde das Netz langsam eingeholt und danach das Schiff erneut gestoppt und wieder beigedreht. Alle Männer standen nun an der Verschanzung (Reling), um das volle Netz an die Bordwand zu ziehen. Erst dann konnte die Winde das Netz in dem bogenförmigen Galgen an Bord hieven. Der zweite Steuermann öffnete mit einem schnellen Ruck den am unteren Teil des Netzes befindlichen Spezialknoten (Steert) und sprang blitzschnell aus der Gefahrenzone. Aus dem so geöffneten Netz prasselte machtvoll der Fang an Deck. Die Fische wurden sogleich in die einzelnen Abgrenzungen geschaufelt, die an Deck durch Planken in Metallschienen vorbereitet waren. Es wurde Kabeljau, Rotbarsch, Seelachs, Katzenfische und sonstiges Meeresgetier aus dem Meer geholt. Fische sortieren war mit anderen auch meine Arbeit. Das geschah mit Mistforken und Schaufeln. Zeitgleich flickten und reparierten einige Matrosen das Netz, um es danach schnellstens wieder außenbords zu bringen. War es am Meeresgrund, nahm unser Schiff langsam die Schleppfahrt wieder auf. Nun galt es, den Fisch schnellstens von Deck auf das Förderband und damit zur weiteren Verarbeitung zu bringen.

An Backbordseite standen die Fischarbeiter am Fließband und filetierten Rotbarsch und Kabeljau. Unterhalb dieses Laufbands waren Trichter angeordnet. Der geköpfte und filetierte Fisch wurde durch diese Öffnungen der Fischmehlanlage zugeführt. Im Maschinenraum war das gesamte Maschinenpersonal mit dem Binden und Schleppen von Fischmehlsäcken beschäftigt. Die Fischleber lieferte schließlich Lebertran. Die einzelnen Arbeitsgänge dazu sind mir nicht mehr genau in Erinnerung geblieben. (Tranofen im Dom – Raum an Steuerbordseite im Decksaufbau?) Die Filetstücke wurden in flachen Kartons tief gefroren. Im letzten Arbeitsgang kamen die Platten in größere Kartons, die dann in einem Tiefkühlraum gestapelt lagerten.

Noch heute ist mir das Schuften über viele Stunden mit kurzen Unterbrechungen unter Bedingungen, die von überkommenden Seen, Kälte und rutschigem Deck durch Fischkot bestimmt war, gegenwärtig. Das Arbeiten an Deck war eine einzige Schinderei. Solange Fisch gefangen wurde, gab es kaum Schlaf. Schwerstarbeit im Rhythmus von 18 bis 20 Stunden und mehr. Das konnte auch bis zu 30 Stunden durchgehen. Um das alles irgendwie erträglich zu machen, kam mittels Tonband über Decklautsprecher Musik. Der damals gängige Schlager „Eine Reise ins Glück“ ist mir heute noch im Ohr. Dazu gab es hervorragende Verpflegung und unbegrenzt rabenschwarzen Kaffee. Ein gehöriger Schuss „Hochprozentiges“ war selbstverständlich. Es half uns über einiges hinweg.

Unter Deck war gelegentlich auch einiges los. Auf Fischdampfern gibt es eben, wie überall in der Seefahrt, biedere, fleißige und friedfertige Fahrensleute. Ein paar besonders streitbare Gestalten gab es auch anderswo. Während meiner Fahrzeit auf diesem Schiff eben aber auch hier. War bei einigen Typen der notwendige Alkoholpegel erreicht, traten sie in Aktion. Auslöser der Randale war oft ein von ihnen geglaubtes schlechtes Fangergebnis. Das musste nicht wirklich zutreffen. Schon die Vermutung wurde zur Begründung der Rauflust. Gewissen Kameraden ging man dann besser aus dem Weg.

An Bord gab es drei so genannte Führerfiguren, gegen die sich selbst die Schiffsführung kaum durchsetzen konnte. Es waren drei ungleiche Typen. Karl Meyer, genannt Kuddel, war ein mächtiges Schwergewicht, stark wie ein Bär, aber ausgesprochen gutmütig. „Kuddel“ stammte aus Hamburg-Finkenwerder, war etwa 1,75 m groß und mit seinen etwa 130 kg ein echtes Schwergewicht. Mühelos hob er die Vierzentnerkugeln (Bomber), die das Schleppnetz auf dem Meeresgrund halten, über ein Hindernis. Allerdings war er auch einfältig. Wurde er jedoch mal richtig wütend, was selten geschah, ließ er unter lautem Geheul seine Riesenfäuste auf die Back (Tisch) niedersausen und greinte laut. Wo er hinlangte, wuchs kein Seegras mehr. - Mit ihm habe ich mich angefreundet. ;-) Aufgrund meines freundschaftlichen Verhältnisses zu Kuddel, dem ich eingeredet hatte, dass ich seinen Kopf und er den Rest stelle, war ich auf der sicheren Seite des Lebens. Kuddel passte auf mich auf, wie auf seinen Augapfel. Kuddel hielt seine schützende Hand über mich. Er erklärte jedem Streithammel an Bord, dass man mich in Ruhe zu lassen hätte. Sein Spruch: „Den Jungen fasst mir keiner an!“, wurde ernst genommen. Hatte ich mal einen Kinnhaken erwischt, so zahlte Kuddel mit ganzem Einsatz zurück. Das war für die übrigen Matrosen stets eine willkommene Abwechslung. Doch alles hat seinen Preis im Leben. ;-) K. war der dritte Mann eines Trios an Bord, mit dem sich nicht einmal die Schiffsführung anlegte. Der „lange Fred“, nach eigenen Erzählungen ehemaliger Jurastudent und Strafgefangener und im Knast weitergebildet, galt als brutaler, intelligenter und gefährlicher Schläger. Der dritte Mann, Hasso, war ein im Gesicht völlig vernarbter Flaschenhals-Fighter und Hobby-Zuhälter. Letzterer war ein übler, stets schlecht gelaunter und streitsüchtiger Typ. Gern prahlte er mit Erlebnissen aus seiner Zuhälterzeit. Kämpfe mit Messern und abgebrochenen Bierflaschen hatten sein Gesicht gezeichnet. Auch die Maschinisten machten gelegentlich gern Randale. Gegen dieses so genannte Trio wagte keiner aufzumucken, und niemand legte sich mit dem Trio an.

Nach erneuter Suche ging es weiter mit Kurs auf Neu-Fundland. Auch hier war uns das Fischerglück hold. Nach erneutem Fang war die Plackerei dann endgültig beendet. Alles war unter Dach und Fach und das Deck gereinigt. Nun steuerten wir die Bunkerstation an der Südküste Grönlands, nahe Kap Farvel an. Nach Treibstoffübernahme fuhren wir die Färöer an, um unsere Gastarbeiter nach Hause zu bringen. Alsdann ging es auf Heimreise mit Kurs auf Hamburg. Der letzte Seetörn verlief von einigen Sturmtiefs abgesehen ohne besondere Vorkommnisse. Immerhin hatten wir einen guten Fang gemacht, und die Stimmung an Bord war gelöst. Nach gut einer Woche liefen wir in den Fischereihafen Hamburg-Altona ein. Die Fangreise hatte insgesamt sechs Wochen gedauert.


Ein guter Brauch nach gutem Fang war es, die Besatzung daran teilhaben zu lassen. Als besondere Anerkennung wurden Platten von tief gefrorenem Fisch an jeden einzelnen verteilt. Diese durften dann (nicht ganz legal) auch den privaten Aufkäufern, die sich regelmäßig bei einlaufenden Fischdampfern einfanden, angeboten werden.

Der erste Landgang war damit gesichert und wurde ausgiebig wahrgenommen. Der Kapitän fuhr nach Hause, der Rest der Mannschaft aber suchte umgehend die erste Kneipe am Fischmarkt auf. Dann folgte der Gang zum Zahlbüro. Andere gastfreundliche Häuser wurden spätere Ziele.

Nachdem das Schiff entladen und gereinigt war, blieb es stets insgesamt fünf Tage im Hafen. Danach fing alles wieder von vorn an.

Landgänge nach einer sechswöchigen Fangreise waren also fünf Tage am Stück möglich, weil während der Zeit des Löschens kein Schiffsbetrieb stattfand. Selbst der Strom an Bord war während dieser Zeit ausgeschaltet. Also zog man, von der Schiffsführung abgesehen, fünf Tage und Nächte von Kneipe zu Kneipe durch St. Pauli und über den Fischmarkt. Geschlafen wurde, wie es kam - meist nur stundenweise.

Kuddel, Hasso und Fred nahmen mich in ihre Mitte, weil sie mit mir, wie sie sagten, etwas Besonderes vorhatten. Wir marschierten schnurstracks zum bekannten Lokal „Silbersack“ in St. Pauli, um dort „Klarschiff“ zu machen. Hier hingen einige ehemalige Matrosen (inzwischen Schauerleute) herum, mit denen noch eine Rechnung offen wäre. Meine Aufgabe bestand nun darin, in das Lokal zu marschieren und mit einem dieser mir genau beschriebenen Männer Ärger anzufangen. Nach Androhung von Prügel sollte ich dann das Weite suchen - also durch die Schwingtür nach draußen flitzen. Das Trio würde dann meinen Verfolger abfangen, um mir zu helfen. Anschließend wollten sie das Lokal aufklaren. Ich hätte mich in der Kneipe „Schmales Handtuch“ auf der Reeperbahn bis zum Eintreffen meiner Retter niederzulassen. Falls ich mich jedoch weigern würde, hätte ich eine besonders unangenehme Seereise zu erwarten. Sie hatten mich überzeugt. Also sauste ich in die Pinte und erklärte dem mir beschriebenen Seemann, dass er seinen Hocker zu räumen habe, weil das der mir angestammte Platz sei. Dieser lachte nur und fragte, ob da jemand etwas gesagt habe. Daraufhin zählte ich laut bis zehn und riss ihm dann blitzschnell den Hocker unter dem Hintern weg, um sogleich wie ein geölter Blitz in Richtung Schwingtür zu sausen. Der Mann setzte sofort nach und lief in die Faust des hereinkommenden Kuddel. Wie es weiter ging, habe ich nicht mehr erlebt. Mein Weg führte mich schnurstracks zum „Schmalen Handtuch“. Ich wurde von den Dreien nach Ankunft hoch gelobt und den ganzen Abend freigehalten. Ich hatte nun meinen Stellenwert und war damit auf der sicheren Seite des Lebens.

Monate später hatten wir im Nordatlantik nicht nur mit Sturm zu kämpfen. Hinzu kam kam eine Grundberührung mit einem unter der Wasseroberfläche schwimmenden Eisberg. Zum ersten Mal sah ich gestandene Fahrensleute kalkweiß und angstvoll. Mich beschlich dabei eine nicht näher beschreibbare Furcht, zumal wir an Deck und an den Aufbauten einen dicken Eispanzer hatten. Die Gefahr des Kenterns wurde ernsthaft diskutiert. Zwar kamen wir glimpflich davon, mussten aber nach Einlaufen Hamburg nach Löschung der Ladung umgehend in die Werft, um den Schaden nach Grundberührung begutachten zu lassen. Das sollte einige Wochen dauern. Ich musterte ab und kehrte der Fischerei für immer den Rücken, bevor ich begann, mich daran zu gewöhnen. Fortan fuhr ich nur noch auf Frachtschiffen.