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Im Reiche des silbernen Löwen II

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Außerordentlich groß war der Eindruck, den die Nachricht von dem Tode des Säfir auf meinen Bimbaschi machte. Er sah sich aller seiner Angst und Sorge enthoben und sprang vor Freude wie ein junger Mensch im Zimmer umher. Auch Kepek machte seiner Wonne durch verschiedene Gutturaltöne Luft, versäumte aber nicht, dabei auch die Frage an Halef zu richten, ob das Essen wirklich schon in der Küche stehe. Das ließ den Hausherrn an seine Pflicht als Gastgeber denken; er bat den Hadschi, das Essen zu bringen und lud Amuhd Mahuli ein, nicht nur jetzt mit uns zu speisen, sondern überhaupt während seines Bagdader Aufenthaltes der Gast dieses Hauses zu sein; Platz sei genug für uns alle da! Der frühere »Kol Agasi und jetzige Bimbaschi« nahm diese Einladung mit Vergnügen an; er hatte sie wahrscheinlich schon im stillen gewünscht, um länger mit mir beisammen sein und noch so einen »Bibelabend«, wie der in Hilleh gewesen war, mit mir verleben zu können.

Das einfache, kalte Mahl wurde mit einer Heiterkeit eingenommen, wie diese Räume sie wohl noch selten gehört und gesehen hatten. Halef war bei vortrefflicher Stimmung, da wir seine feurigen Interjektionen über unsere unvergleichlichen Heldenthaten still über uns ergehen ließen, und der dicke Kepek bildete einen zwar ganz still nur mit den Zähnen arbeitenden, aber trotzdem nicht weniger unterhaltenden Gegenstand unserer Aufmerksamkeit.

Nach dem Essen beschäftigten wir uns mit unsern Pferden, denen auch ein »Fest- und Siegesmahl« vorgesetzt wurde, wie Halef sich auszudrücken beliebte, und als es dunkel geworden war, stiegen wir, wie am letzten Abend vor unserm Ritte nach den Ruinen, auf das platte Dach hinauf, um bei den dampfenden Tschibuks uns wieder und immer wieder zu sagen, was für ein großer Unterschied doch zwischen jenem und dem heutigen Abend sei.

Ich lenkte darauf ein, daß wir diese glücklichen Erfolge nicht uns selbst, sondern der Fügung und dem Beistande Gottes zu verdanken hätten, und so kam das Gespräch auf den Gegenstand, der nicht bloß mir und Halef, sondern für heut auch den beiden Offizieren der liebste und willkommenste war. Wir saßen und sprachen beim Flüstern der Palmwedel bis tief in die Nacht hinein, und als wir endlich aufstanden und uns in gehobenster Stimmung die Hände reichten, hielt der Pole die meinige fest und sagte:

»Effendi, ich gewinne dich mit jedem Augenblicke lieber und gestehe aufrichtig, daß das, was du heut abend wieder gesprochen hast, mir höher steht als alle Worte und Visionen Muhammeds. Schon hast du mich gefangen; ich bin dein Eigentum und das Eigentum dessen, der dich so sprechen läßt; aber zeige mir eine Spur, nur eine einzige Spur meiner lieben, die ich verloren habe, so werde ich euer Eigentum nicht nur sein, sondern werde es auch bleiben!«

»Stellst du nicht schon wieder Bedingungen?« antwortete ich. »Gott läßt sich weder gebieten noch mit sich handeln und schachern. Bete zu ihm; bitte ihn, denn, wie ich dir schon gesagt habe, das Gebet ist die Himmelsleiter, auf welcher das Vertrauen der Menschen aufwärts und die erhörende Liebe des Allmächtigen herniedersteigt!«

»Wohl, ich werde beten! Gute Nacht, Effendi!«

»Gute Nacht!«

Die Einladung zum Pascha bezog sich nicht bloß auf mich, sondern auch auf Halef; auch Amuhd Mahuli hatte zu erscheinen. Als wir ankamen, sahen wir, daß es sich um einen Istikbal, eine feierlichen Empfang handelte, bei dem die hohen Militär- und Ziviloffizianten des Pascha anwesend waren. Es ging während der ersten Viertelstunde sehr feierlich her; als dann aber die Tschibuks in ihre Rechte kamen, wurde es gemütlicher. Bei Tafel, welchen Ausdruck man freilich nicht wörtlich nehmen darf, forderte der Pascha mich auf, einiges von meinen und Halefs Erlebnissen zu erzählen, worauf ich mir die Bemerkung gestattete, daß Halef ein viel besserer Erzähler sei als ich. Der Kleine war darüber ganz entzückt und entledigte sich der ihm noch nie gewordenen Aufgabe, einen Pascha von mehreren Roßschweifen zu unterhalten, in so vortrefflicher Weise, daß der Gebieter am Schlusse lächelnd gestand, er sei noch nie einer Erzählung wegen so spät schlafen gegangen, wie heute.

Er verabschiedete jeden von uns einzeln. Als er unserm Polen, der in seiner alten Uniform mit dem Bimbaschiabzeichen erschienen war, die Hand gab, sagte er:

»Ich habe dir mitzuteilen, daß der Padischah, Allah segne und schütze ihn, dir infolge deiner Verdienste den Rang eines Mir Alai verliehen hat; die schriftliche Zufertigung wirst du in den nächsten Tagen erhalten. Bedanke dich nicht bei mir, sondern bei deinem Freunde Kara Ben Nemsi Effendi, dem, wie es scheint, selbst der Beherrscher der Gläubigen alle Wünsche zu erfüllen hat!«

Bei diesen Worten schüttelte er mit heiterem lachen auch mir die Hand, und wir durften uns entfernen, wobei wir durch ein Spalier sich tief verbeugender Beamten schritten, um dann auf weißen Eseln heimzureiten.

Eine ungeahnte Folge des Avancements des Polen war, daß Halef jetzt nicht nur von einem »früheren Kol Agasi und jetzigen Bimbaschi«, sondern nun auch von einem »früheren Bimbaschi und jetzigen Mir Alai« sprach, und daß Kepek sich noch viel dicker gab, als er eigentlich war; der Diener und Vertraute eines Mir Alai zu sein, das machte ihn ungeheuer stolz.

Amuhd Mahuli blieb noch zwei Tage in Bagdad; als er dann nach Hilleh zurückkehrte, hatte ich die feste Überzeugung, daß Muhammed und der Kuran bei ihm nichts mehr galten. Ich schenkte ihm ein neues Testament in arabischer Sprache, und er versprach mir, es des Abends, wenn er keinen Dienst habe, sehr fleißig durch- und auch den Seinen vorzulesen.

Sechstes Kapitel: Ein Rätsel

Wenn schon bei mündlichen Erzählungen Wiederholungen dehnend oder gar störend wirken, so muß man von dem Verfasser einer schriftlichen Erzählung erst recht verlangen, daß er das, was er schon einmal ausgesprochen hat, nicht wieder sage. Wenn aber ein Autor Zwecke verfolgt, wie die meinigen sind, Zwecke, welche sich auf den Glauben an Gott, auf den Sinn für alles Gute, Schöne und Edle beziehen, so giebt es für ihn Gedanken und Betrachtungen, die er – es sei mir ein landläufiger Ausdruck erlaubt – nicht oft genug wiederholen kann. Eine dieser meiner zuweilen wiederkehrenden Betrachtungen ist die, daß die Ereignisse nicht nur des Völkerlebens, sondern auch im Leben des Einzelmenschen unter einander in einem Zusammenhange stehen, welcher sich dem ungeübten Auge zwar oft entzieht, aber trotzdem vorhanden ist und grad dann, wenn man es am wenigsten erwartet hat, zur Offenbarung kommt. Wie die nach irdischen Begriffen fast endlos weit von einander entfernten Sterne des Firmamentes durch ewige Gesetze zusammengehalten werden, so sind auch die Handlungen des Menschen und die Ereignisse seines Lebens, mögen sie noch so entfernten Zeitpunkten angehören, doch so eng mit einander verbunden, daß nicht gar selten in einem Vorgange des Greisenalters die Folge einer That der doch schon längst vergangenen Jugendzeit zu erkennen ist. Es giebt im innern und äußern Leben des Menschen nichts, was man als vollständig und für immer abgeschlossen bezeichnen darf, vielmehr ist alles, was geschieht, die Frucht eines vergangenen Tages, welche den Kern zur Weiterentwicklung ihrer Art in sich trägt. Ihrer Art! Ich sage das mit Vorbedacht, denn eine gute That kann nur Gutes und eine böse nur Böses gebären. Das ist ein ewiges und unerschütterliches Gesetz, an dem man zwar deuteln mag, ohne es aber ändern zu können. Wie häufig kommt es vor, daß ein ganz guter, herzensbraver Mensch ganz plötzlich die Konsequenzen einer That über sich hereinbrechen sieht, die, damals bereut und seitdem längst vergessen, Jahrzehnte weit hinter ihm zu liegen schien, ihn aber doch bis heut begleitete! Und ebenso ist es zu erleben, daß die Ausführung einer freundlichen Eingebung, an die kein Mensch mehr zu denken schien, völlig unerwartet nach langen Jahren Lohn und Segen bringt!

Ich, der ich diese Erfahrung so häufig nicht nur an mir selbst, sondern auch an andern gemacht habe, bin der festen Überzeugung, daß die Jahrtausende alte Sage von dem Engel, welcher jeden Gedanken, jedes Wort und jede That des Menschen in das »Buch des Lebens« einträgt, eine ebenso schöne wie treffliche Versinnbildlichung des göttlichen Ratschlusses ist, daß jeder Mensch die Folgen seiner seelischen und körperlichen Handlungen zu tragen habe, und zwar nicht ausschließlich hier, sondern mehr noch in jenem Leben, wo nichts mehr verheimlicht werden kann, sondern alles bekannt und offenbar wird. Es ist das für den einen ein fürchterlicher und für den andern ein tröstlicher Gedanke, der jenen zur Ein- und Umkehr mahnt, diesem aber Mut, Geduld und Zuversicht verleiht.

Man hört so häufig sagen, daß das Schicksal den Gerechten leiden, den Ungerechten aber fröhlich leben lasse. Könnten die, welche dies behaupten, doch diesen Ungerechten sehen, wenn er sich unbeobachtet glaubt! Und könnten sie sich an der stillen, frohen Hoffnung dieses Gerechten erbauen! Das Schicksal?! Wie ungern höre, spreche und schreibe ich dieses Wort! Wenn wir unter dem Schicksale das Ergebnis von Ursachen verstehen, die nicht von der Macht des Menschen abhängen, so besitzt er doch so viel geistige Freiheit und Selbstbestimmung, daß er gar wohl befähigt ist, in dieses ihm von der Natur und den Verhältnissen vorgeschriebene Schicksal umgestaltend und bessernd einzugreifen und sich also als Herr desselben zu zeigen. Und wenn dazu die Überzeugung kommt, daß das irdische Leben nur die Vorstufe eines höhern Daseins ist, für welches diese Ursachen und ihre Wirkungen zu überwinden, zu besiegen sind, so ist es nicht eine Last, sondern eine Freude, den Kampf mit ihnen aufzunehmen, und mit unfehlbarer Sicherheit stellt sich die Erkenntnis ein, daß wir nicht Sklaven, sondern Meister des sogenannten Schicksals sind. Nur dürfen wir uns nicht von ihm wie auf einem ruder- und steuerlosen Floße treiben lassen, sondern müssen die Augen offen halten, um unsere Thaten in uns entstehen zu sehen und ihnen nach außen hin Kraft, Gestalt und Richtung geben zu können. Dann werden wir die Genugthuung haben, nicht nur den äußern Verlauf unsers Lebens in der Hand zu halten, sondern auch die enge Beziehung seiner Einzelheiten untereinander zu erkennen und sogar bestimmend in das Dasein anderer, willensschwächerer Menschen einzugreifen. Sein Schicksal selbst zu lenken und mit demselben auf dasjenige anderer einzuwirken, ist so schwer, wenn man den Blick dabei nicht nach dem jenseits richtet, und doch so leicht, wenn man sich nur nach dem einen, einzigen Gesetze richtet, welches die Welt, die Erde, den Menschen und das für uns unsichtbare Stäubchen regiert – die Liebe!

 

Warum ich in dieser Weise philosophiere, moralisiere und spintisiere, anstatt einfach weiter zu erzählen? Gut, ich erzähle!

Ich hatte unsere Reise nach Schiras gleich oder doch nur kurze Zeit nach unserer Rückkehr vom Birs Nimrud fortsetzen wollen, da aber trafen wir in Bagdad einen Händler, welcher eine in der Dschesireh außerordentlich berühmte Schönheitssalbe verkaufte, deren Verfertigerin oben in der Gegend von Kirmanschah zu suchen war. Es war in einem Kaffeehause, wo der Mann sein Mittel ausrief und es auch uns anbot. Ich glaubte, daß Halef ihn einfach fortweisen werde; er ließ sich aber in ein Gespräch mit ihm ein, indem er ihn fragte:

»Darf ich dich vielleicht bitten, mir zu sagen, von wem du dieses Wundermittel der Schönheit beziehst?«

»Ich kenne keinen Grund, es dir zu verschweigen,« antwortete der Tutschar[201], »denn ich bin stolz darauf, der einzige zu sein, dem die Verfertigerin den Verkauf für diese Gegend gestattet hat. Ich habe von ihr die Erlaubnis, sie jährlich zweimal zu besuchen, um mir die Marham ed Dschamahl[202] von ihr zu holen. Da warten schon alle Harimat[203] auf mich, um in den Besitz der Wundersalbe zu kommen.«

»Bewirkt sie wirklich die Wunder, von denen man überall erzählt?«

»Oh, mehr, viel mehr, als man erzählen kann! Sobald man mit ihr das Gesicht nur berührt, verschwinden alle Runzeln, Falten und sonstigen Übel, welche den Glanz der Wangen zu entstellen vermögen.«

»Du übertreibst!«

»Nein, bei Allah, nein! Könntest du den Stamm besuchen, dem die Verfertigerin der Salbe angehört, so würdest du nur Frauen und Mädchen finden, deren Angesichter wie das Weiß des Schnees und wie der holde Glanz des Morgenrotes leuchten.«

»Weißt du, woraus das Mittel bereitet wird?«

»Nein. Wie kannst du denken, daß sie so unvorsichtig sein könne, mir dies mitzuteilen! Sie hat das köstliche Geheimnis durch ihre Urgroßmutter von deren Ur-Urgroßmutter geerbt; diese hatte wieder eine Urahne, deren Ur-Urahne, die eine außerordentlich fromme Frau war, es als Belohnung für ihre große Tugenden vom Erzengel Dschebräïl[204] bekam, der es aus dem höchsten Himmel des Paradieses brachte, wo es zur ewigen Jugend der dort wohnenden Seligen bereitet wird.«

»Wie heißt diese Frau?«

»Ihren eigentlichen Namen kenne ich nicht, da sie von jedermann nur Umm ed Dschamahl[205] genannt wird.«

»Wo wohnt sie?«

»Nirgends, denn ihr Stamm ist nicht seßhaft, sondern zieht bald hierhin und bald weiter. Es ist die Unterabteilung Idiz des Bachtijarenvolkes und meist jenseits Kirmanschah zu suchen.«

»Aber wenn du die Salbe brauchst, mußt du doch wissen, wo die Frau zu finden ist!«

»Das erfahre ich stets beim Attar[206] von Kirmanschah, welcher das Mittel auch verkauft und von ihrem Aufenthalte stets unterrichtet ist. Dann suche ich sie auf und laß mir von ihr geben, was ich brauche. Ich sage dir, sie ist eine alte Frau, aber es ist noch nicht das kleinste Fältchen in ihrem Angesicht zu sehen. Wieviel Büchsen willst du von mir kaufen?«

»Wieviel kostet eine?«

»Einen Rijal medschidi[207]

»So kaufe ich keine.«

»Warum?«

»Weil das mir zu teuer ist.«

»Zu teuer! Du scheinst entweder von Sinnen oder ein großer Geizhals zu sein. Wem für die Schönheit seines Harems eine so geringe Summe zu viel ist, dem muß ich meine Achtung entziehen. Erst legst du mir eine ganze Menge von Fragen vor, und nachdem ich sie dir alle mit der bereitwilligsten Höflichkeit beantwortet habe, bist du so undankbar, mir die Größe meiner Teurung an den Kopf zu werfen, so daß mir die Röte der Scham auf das Angesicht treten würde, wenn diese Teurung wirklich teuer wäre! Allah verderbe dich!«

Nach diesen Worten entfernte sich der Handelsmann. Zu meinem Erstaunen nahm der sonst so schnellhitzige Hadschi das Kraftwort ruhig hin. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte zu mir:

»Ich würde diese Marham ed Dschamahl nicht gekauft haben, selbst wenn sie nur einen Para gekostet hätte, denn Hanneh, die unvergleichlichste unter allen Lieblichkeiten der Erde, würde nicht damit einverstanden sein.«

»Warum?« fragte ich.

»Weil – — – hm!«

Er hielt verlegen inne und fuhr erst nach einer Pause fort, indem er mich fragte:

»Wenn ich es dir aufrichtig sage, wirst du dann falsch von Hanneh denken, welche die unvergleichlichste Person unter allen persönlichen Unvergleichlichkeiten ist?«

»Nein, gewiß nicht!«

»So bitte ich dich, mir die Wahrheit einzugestehen: Hat Dschanneh, die niemals verschwindende Abendröte deines Harems, Runzeln im Gesicht?«

»Nein.«

»Oder wenigstens Falten?«

»Nein.«

»Kein einziges? Kein einziges ganz, ganz kleines Fältchen, so daß man es kaum sieht?«

»Nein.«

»Besinne dich, Sihdi! Ich bin überzeugt, wenn du genau nachdenkst, wird dir gewiß eine Falte einfallen, wenn auch nur diese eine, diese allereinzige.«

Ich wußte, was ihn zu dieser Dringlichkeit bewegte. Die orientalischen Frauen altern schnell, und Hanneh war eine Orientalin; sie hatte Falten. Das that seiner Liebe freilich nicht den geringsten Eintrag; sie war für ihn heut noch ganz so wie vor Jahren die schönste aller Schönen. Darum antwortete ich jetzt in schonender Weise:

»Meine Dschanneh hat wirklich keine Falten. Aber bedenke die Reihe der Jahre, in denen deine Hanneh in treuer Liebe für dich, für Kara Ben Halef und für den ganzen Stamm der Haddedihn zu sorgen hatte! Sorgen aber bringen Falten. Ehre sie!«

Da fiel er schnell und in zufriedenem Tone ein:

»Effendi, du bist ein guter Mensch, ein ganz genau so guter Mensch wie ich! Es läßt sich nicht verheimlichen, und da du so gute Augen hast, wirst du bemerkt haben, daß, obgleich meine Hanneh die schönste unter allen Frauen des Erdreiches ist, ihre Wangen doch angefangen haben, sich allmählich zu zerknittern. Seitdem liebe ich sie aber grad mit doppelter Stärke! Sie hat alles, alles gethan, dieser Zerknitterung Einhalt zu thun, doch vergeblich. Glaube mir, die Runzeln sind das Ungeziefer der Schönheit: Hat sich erst einmal eine eingestellt, so vermehrt sie sich ins Ungeheure. Es ist wie bei den Näml[208]: Erst sieht man eine, dann zwei, dann drei, hierauf fünfzig, achtzig, hundert, und schließlich wibbeln und kribbeln sie zu Tausenden durcheinander. So auch die Furchen und Rinnen im Gesicht; es werden ihrer so viele, daß man sich bei der Betrachtung beinahe verirrt und fast nicht wieder zurecht finden kann. Es sollte jede Frau so klug sein, die erste Falte gar nicht aufkommen zu lassen; aber, wie du weißt, besitzen die Weiber nicht diejenige Vorsichtigkeit, welche nur eine hervorragende Eigenschaft von uns Männern ist; Allah bewahre uns diese Vorzüglichkeit! Da deine Dschanneh, die holde Spenderin deiner Glückseligkeit, noch keine Runzel besitzt, so hast du gar keine Ahnung, wie tief die Falten des Gesichtes in das Herz und in die Seele des Weibes schneiden, zumal wenn keine Salbe Änderung und kein Pflaster Hilfe bringt! Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Rosenarten des Morgen- und des Abendlandes, teilte mir nach langen, vergeblichen Bemühungen mit, daß sie nur von der Salbe der berühmten Umm ed Dschamahl die beseligende Wiedergeburt ihres Wangenglanzes erhoffen könne. Diese Bachtijarenfrau ist nämlich wirklich und außerordentlich berühmt infolge ihres Wundermittels, vor welchem die Runzeln davonlaufen wie die Ameisen, wenn man Tabakwasser in ihre Nester gießt. Aber es ist so sehr weit von uns aus bis hinauf zur Gegend, wo man sie zu suchen hat. Darum war die unvergleichliche Gefährtin meines Erdenlebens ganz entzückt, als sie vernahm, daß du wünschtest, ich solle mit dir nach Persien reiten. Sie erteilte mir die Erlaubnis, dich zu begleiten, sehr gern, stellte mir aber die Bedingung, ihr von der echten Marham ed Dschamahl soviel mitzubringen, wie nötig ist, die unheilvolle Zerknitterung ihres Angesichtes wieder auszuglätten.

»Mir hat sie leider nichts von dieser ihrer Absicht gesagt!«

»Dir? O, Effendi, wie bist du in der Beurteilung eines Harems doch so jung und unerfahren! Wenn Hanneh, die einzige Sonne am Himmel meines Frauenzeltes, wüßte, daß du auch nur eine einzige ihrer Falten gesehen hättest, sie legte sich sofort hin, um vor Scham und Gram zu sterben. Und da meinst du, daß sie mit dir davon hätte reden sollen! Ich will mich dein erbarmen und dir ein Geheimnis, ein sehr großes Haremsgeheimnis mitteilen. Merke dir folgendes genau: je mehr Runzeln eine Frau im Gesichte hat, desto glatter will sie dir erscheinen. Du mußt also, wenn du glücklich bleiben willst, jede Falte, welche deine Dschanneh einst besitzen wird, vor ihr so geheim wie möglich halten. Du darfst sie nicht sehen; du darfst sie nicht einmal ahnen, wenn du verhüten willst, daß die Ruhe und Behaglichkeit deines Zeltes und deines Lebens auch runzelig und zerknittert wird. Ich kenne das, Sihdi; nimm also gute Lehre von mir an! Auch ich will keine Falte mehr sehen; die Salbe soll mir dazu verhelfen; ich kaufe sie für Hanneh und für mich.«

»Auch für dich?«

»Ja. Schau mich doch an. Du wirst sehen, daß sich auf meiner Stirn auch schon einige kleine Rillen eingenistet haben, die ich gern verjagen möchte. Es freut mich darum sehr, vorhin von dem Händler erfahren zu haben, wo man sich nach der Umm ed Dschamahl erkundigen kann. Wir werden schleunigst hinauf nach Kirmanschah reiten.«

»Wir? Wer ist da gemeint?«

»Du und ich natürlich. Ich denke doch nicht, daß du mich allein fortlassen willst, um hier zu warten, bis ich wiederkomme!«

»Das fällt mir gar nicht ein! Unser Weg geht nach Schiras, nicht aber nach Kirmanschah, wohin du gar nicht zu reiten brauchst, weil du die Salbe so leicht hier bekommen kannst. Warum hast du vorhin keine gekauft?«

 

»Warum? O, Sihdi, wie ist die Länge deines Verstandes doch so wenig auf Wunder- und Runzelsalben eingerichtet! Hier kaufen? Das ist es ja eben, was Hanneh, der weibliche Inbegriff meiner männlichen Glückseligkeit, mir auf das strengste verboten hat! Glaube mir, Effendi, es wäre mir kein Preis zu hoch gewesen, wenn ich von der Echtheit der Marham ed Dschamahl hätte überzeugt sein können; aber die Händler vermehren die Einreibung, indem sie sie verfälschen. Sie machen, um recht viel Geld zu verdienen, aus einer Büchse hundert; sie rühren Dinge hinein, welche nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich sind, und dann kann es einer Frau, die sich damit bestreicht, sehr leicht geschehen, daß aus sieben Falten, die sie hat, schnell siebenundsiebzig werden. O Allah, Wallah, Tallah! Soll ich etwa denken, daß du meiner Hanneh so eine elffache Vermehrung ihres sorgenvollen Angesichtes gönnst? Nein! Sie will die Salbe echt haben, und sie soll sie echt und unverfälscht bekommen, direkt aus der Hand der Umm ed Dschamahl selbst, und darum müssen wir sofort hinauf nach Kirmanschah!«

Der liebe, kleine Kerl sagte das in einem so bestimmten und energischen Tone, als ob es sich um Leben und Tod handle und alle meine etwaigen Einwände unbedingt erfolglos sein würden. Ich begann einzusehen, daß ich ihm wahrscheinlich ein Opfer bringen müsse, versuchte aber natürlich doch, ihn umzustimmen:

»Halef, fast habe ich Lust, deine Worte für Scherz zu halten; aber ich höre, daß du im Ernste sprichst. Weißt du, wie weit es von hier aus bis hinauf nach Kirmanschah ist? Es wird gewiß eine Woche vergehen, ehe wir wieder nach Bagdad kommen. Sollen wir diese lange Zeit wegen einer Salbe opfern, die, wie ich vollständig überzeugt bin, keine Wirkung hat?«

»Sihdi, es handelt sich nicht um die Salbe, sondern um die Verjüngung, Verschönerung und Entrunzelung eines Angesichtes, welches mir das liebste auf der ganzen Erde ist. Und keine Wirkung? 0 Effendi, ihr Franken seid stets bereit, alle Klugheit und Wissenschaft nur für euch in Anspruch zu nehmen; aber Allah hat uns in seiner Güte hier Gaben verliehen, die euch trotz aller eurer Gelehrsamkeit versagt worden sind. Du hast ja gehört, daß der Erzengel Dschebräïl diese Salbe aus dem höchsten, also aus dem siebenten Himmel geholt hat, und da ihr keinen siebenten Himmel habt, so könnt ihr diese Marham ed Dschamahl nicht besitzen; das ist doch klar! Und daß sie wirklich hilft, daß sie von außerordentlich großer und ganz erstaunlicher Wirkung ist, das kannst du an Hunderttausenden und an Millionen von Runzeln sehen, die alle durch sie verschwunden sind. Du weißt, welchen Glauben ich dir schenke und welches Vertrauen ich in jedes deiner Worte setze, aber in dieser Salbe darfst du mir nicht herumrühren, die darfst du mir nicht zu Wasser machen, die kenne und verstehe ich besser als du. Oder bist du etwa bei der Ur-Urahne jener Ur-Urgroßmutter gewesen, von welcher der Händler vorhin sprach?«

»Nein,« antwortete ich ganz der Wahrheit gemäß.

»Hast du sie probiert und versucht? Hast du ein Harem damit bestrichen, ohne daß die Runzeln desselben verschwunden sind?«

»Nein.«

»Also! Ich bitte dich, erkundige dich in den Harimat der Dschesireh und bei allen Frauen und Töchtern des Grenzgebietes; frag auch in Teheran, in Ispahan, in Kerind und Hamadan, so wirst du erfahren, daß vor der Salbe der Umm ed Dschamahl jede Verunzierung des Gesichtes verschwindet. jedermann weiß das; ich selbst habe es mehr als hundertmal gehört, und ich bitte dich, mich nicht zu erzürnen!«

Er war außerordentlich in Eifer geraten. Ich sah ein, daß jede Belehrung vergeblich sein werde, und versuchte, ihn auf andere Weise von seinem Vorhaben abzubringen, indem ich sagte:

»Unsere Reise führt uns wahrscheinlich von Schiras nach Ispahan und Teheran; da kommen wir über Kirmanschah zurück. Ich denke, daß es dann auch noch Zeit ist, uns nach der Verfertigerin der Salbe zu erkundigen.«

»Weißt du wirklich gewiß, daß wir diese Tour machen werden?«

»Ich denke es.«

»Denken! Wenn du es bloß denkst, so steht mir meine Salbe höher als deine Gedanken. Oder kannst du vielleicht mit diesen deinen Gedanken Runzeln vertreiben?«

»Da muß ich eingestehen, daß ich das noch nicht versucht habe.«

»Ein solcher Versuch würde auch nichts nützen, weil zwar die Salben, aber nicht die Gedanken aus Fett bereitet werden. Und selbst wenn es sicher wäre, daß wir nach Kirmanschah kämen, welche Zeit würde bis dahin von heute an vergehen?«

»Einige Monate allerdings.«

»Einige Monate! Allah Kerihm! Was kann während dieser langen Zeit aus dem geliebten Angesichte meiner Hanneh geworden sein! Du hast ja gehört, daß die Falten das Ungeziefer der Schönheit sind. Willst du diesem Ungeziefer Zeit lassen, sich so auszubreiten, daß wir später zehnmal soviel Salbe brauchen, als jetzt nötig ist? Und wenn ich meiner Hanneh die Salbe mitbringe, muß ich warten, bis die Wirkung sich nach und nach entwickelt; ich will aber die Wonne meiner Augen gleich bei meiner Heimkehr unzerknittert sehen; darum muß ich ihr schon vorher die Salbe senden; darum reite ich schon jetzt nach Kirmanschah, und darum suche ich schon jetzt die berühmte Bachtijarenfrau, um mir die süße Wonne des Angesichts meiner Hanneh von ihr geben zu lassen. Ich mache diese Reise gleich jetzt und unbedingt. Wenn du mich nicht begleiten willst, so muß ich allein reiten; aber es würde meiner Seele bitter wehe thun, die Erfahrung machen zu müssen, daß dir ein solcher Herzenswunsch deines Halef, der allezeit für dich in den Tod gehen würde, gleichgültig ist!«

Hierauf wendete er sich von mir ab und schwieg.

Dieser unglückselige Salbenhändler! Warum mußte er grad während unserer Anwesenheit in dieses Kaffeehaus kommen und meinen Hadschi an die »Zerknitterung« seines Harems erinnern! Es war wirklich ein Unsinn, eines kosmetischen Mittels wegen einen so weiten, zeitraubenden und nicht ganz ungefährlichen Ritt zu unternehmen! Aber der Orientale hat keinen Sinn für die Kostbarkeit der Zeit, und so besaß Halef auch kein rechtes Verständnis für die Versäumnis, welche er von mir verlangte. Freilich konnte auch ich von einer Versäumnis im strengen Sinne eigentlich nicht sprechen. Ich hatte diesen Ritt unternommen, um Eindrücke und Erfahrungen als Stoff für reiseschriftstellerische Werke zu sammeln, und da konnte ein Abstecher von einigen Tagen recht wohl unternommen werden, ohne daß meine Absichten darunter zu leiden brauchten; ja, es war gar nicht unmöglich für uns, auf diesem Seitenpfade Interessanteres zu finden als auf dem Hauptwege. Und wenn ich diese Route eine nicht ganz ungefährliche nannte, so konnte ich nicht gegenteilig behaupten, daß der Weg den Tigris hinab und über den Golf nach Schiras hinüber nicht gefährlich sei. Sodann hatte ich mit den Eigenschaften meines Halef zu rechnen. Er liebte seine Hanneh über alles und ließ ganz gewiß keine Gelegenheit, ihr einen Wunsch zu erfüllen, unbenutzt vorübergehen; hier handelte es sich aber nicht um einen gewöhnlichen, sondern um einen sehr großen Wunsch von ihr. Wieviel kosmetische Mittel sind wohl auf dem Toilettentisch einer abendländischen Dame zu finden! Und eine Morgenländerin hat in dieser Beziehung einen noch ganz andern, größeren Bedarf! Der unvertilgbare und keineswegs unberechtigte Trieb des weiblichen Wesens, in Beziehung auf die äußere Erscheinung möglichst eindrucksfähig zu sein, ist im Oriente viel, viel stärker als im Abendlande. Wie konnte ich es der guten Hanneh verdenken, daß sie den Wunsch hatte, ihrem Halef möglichst schön zu erscheinen! Und hier handelte es sich um ein Hauptschönheitsmittel. Mochte ich von demselben denken, was und wie ich wollte; mochte ich immer annehmen, daß die Wirkungen der Salbe gleich Null seien, ich hatte doch kein Recht, ihn zu hindern, zu thun, was ihr und also auch ihm Freude machte. Er hatte für mich so oft sein Leben gewagt und meinetwegen jetzt wieder Weib und Kind und seinen Stamm verlassen; er war zu jedem Freundesopfer für mich bereit; konnte ich ihm da nicht einige Tage schenken? Daß der Grund ein für mich sonderbarer war, für den ich unkosmetischer Westmann kein so rechtes Verständnis hatte, durfte doch nicht maßgebend sein. Zudem fiel mir ein, daß mehrere Unterabteilungen der Bachtijaren Ali-Ilahis sind und also zu einer Sekte gehören, von welcher ich zwar gehört und gelesen, aber keine Angehörigen persönlich kennen gelernt hatte. Vielleicht bot sich mir da oben in der Gegend von Kirmanschah die Gelegenheit, diese Lücke auszufüllen. Das waren wohl genug Gründe, auf den Wunsch Halefs einzugehen, zumal es mir höchst gespaßig vorkam, einen wochenlangen und anstrengenden Ritt vorzunehmen, um von einer alten, persischen Medikasterin eine »Einreibung« zu holen, doch machte ich noch einen Versuch, den Hadschi von seinem Vorhaben abzubringen.

»Kennst du die Unterabteilung der Bachtijaren, zu welcher die Umm ed Dschamahl gehört, lieber Halef?« fragte ich ihn.

»Nein,« antwortete er kurz.

»Sie scheint nicht aus Leuten zu bestehen, denen man viel Vertrauen schenken darf.«

»Wieso?«

»Du hast vorhin von dem Händler den Namen gehört, welcher Idiz lautet. Weißt du vielleicht, welche Bedeutung dieses Wort besitzt?«

»Auch nicht.«

»Idiz ist ein kurdisches Wort und heißt Spitzbube. Du willst also Spitzbuben aufsuchen!«

»Warum das nicht? Grad weil sie Spitzbuben sind oder heißen, will ich nun erst recht zu ihnen! Vielleicht erleben wir etwas bei ihnen; dazu machen wir ja unsere Reise. Nun freue ich mich doppelt auf den Ritt hinauf zu ihnen. Du würdest es später ganz gewiß sehr bedauern, ihn nicht mitgemacht zu haben! Sag doch nur, mein lieber Effendi, kannst du es denn gar nicht begreifen, daß Hanneh, die Morgen-, Mittags- und Abendwonne meines Lebenstages, gern so schön wie möglich sein will, wenn ich sie erblicke?«

»Oh, das, das ist mir sehr verständlich; aber Fett auf die Wangen streichen, das will mir nicht in den Kopf.«

201Händler.
202Salbe der Schönheit.
203Plural von Harem.
204Gabriel.
205Mutter der Schönheit.
206Apotheker.
207Gegen 4 Mark.
208Ameisen.