Das Dorf Band 16: Tief gesunken

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Das Dorf Band 16: Tief gesunken
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Karl Olsberg

Das Dorf

Band 16:

Tief gesunken

Copyright 2018 Karl Olsberg

Published by Karl Olsberg

c/o Briends GmbH, 22041 Hamburg

www.karlolsberg.de

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In gleicher Weise wurde auch

die Insel Atlantis

durch Versinken in das Meer

den Augen entzogen.

Platon, „Timaios“, ca. 360 v. Chr.


1. Verständigungsprobleme

„Was meinst du, Schatz?“, fragt Golina. „Soll ich morgen zur Kirche lieber dieses Kleid anziehen oder das hier?“

Unsicher blickt Primo zwischen den beiden braunen Kleidern hin und her, die Golina ihm hinhält. Sie sehen für ihn beide absolut identisch aus.

„Ich weiß nicht“, sagt er vorsichtig.

„Vielleicht nehme ich das hier“, meint Golina. „Ich glaube, das steht mir besser.“

„Gut“, stimmt Primo zu.

„Andererseits, bei diesem hier wird meine Figur nicht so betont.“

„Dann nimm halt das andere.“

„Du findest also auch, ich bin zu dick?“, fragt Golina mit einem beleidigten Unterton.

„Was?“, erwidert Primo verwirrt.

„Du hast gesagt, ich soll das hier anziehen, weil es meine Figur nicht so betont!“

„Hab ich gar nicht! Außerdem bist du nicht zu dick! Du hast eine perfekte Kastenform!“

„Das sagst du bloß, um mich zu beruhigen! In Wirklichkeit findest du mich dick. Gib es ruhig zu!“

„Das ist Unsinn!“

„Aber Margi ist schlanker als ich, oder?“

„Kann sein.“

„Da siehst du es! Ich bin doch zu dick!“

„Bist du überhaupt nicht! Und selbst, wenn du dick wärst, würde ich dich trotzdem genauso lieben!“

„Trotzdem?“

„Ja, trotzdem!“

„Du findest mich also hässlich, aber du liebst mich trotzdem?“

Primo starrt Golina entgeistert an. Er findet sie wunderbar und kein bisschen zu dick. Aber irgendwie hat er das Gefühl, dass sie alles, was er sagt, falsch versteht.

„Ich finde dich überhaupt nicht hässlich!“, sagt er vorsichtig.

„Aber du findest mich zu dick, oder?“

„Nein, bei Notch! Ich finde dich nicht dick, und mir ist es völlig egal, welches Kleid zu anziehst, zum Nether!“

Golina bricht in Tränen aus. „Du findest mich nur deshalb nicht zu dick, weil es dich gar nicht interessiert, wie ich aussehe!“, schluchzt sie. „Ich bin dir völlig egal! Buhuhuu!“

Primo wirft die Hände in die Luft. Er hat keine Ahnung, was er noch sagen soll. Vielleicht ist es am besten, wenn er das Haus verlässt.

„Ich mache lieber mal einen Rundgang durchs Dorf“, sagt er. „Seit Artrax wieder aufgetaucht ist, kann man nicht vorsichtig genug sein.“

Draußen trifft er den Golem. Die Katze Mina sitzt wie immer auf seinem Kopf.

„Hallo, Asimov. Sag mal, kannst du mir erklären, warum Frauen so seltsam sind?“

„Ja“, antwortet der Metallkoloss.

„Echt jetzt? Warum denn?“

„Ist doch logisch: Weil sie Knollnasen sind, genau wie du. Ihr seid alle seltsam. Aber ich gewöhne mich langsam daran. Jedenfalls rede ich mir das ein. Anderseits schafft ihr es immer wieder, mich mit eurer Idiotie zu verblüffen.“

In diesem Moment kommt Olum, der Fischer, um eine Häuserecke. Er bleibt stehen und sieht nach links und rechts, bevor er die Dorfstraße betritt, so als hätte er vor etwas Angst.

„Oh, hallo Primo“, sagt er. „Notch sei Dank, dass du da bist.“

„Was ist denn los?“, fragt Primo.

„Was los ist? Die Hühner sind los!“

„Die Hühner?“ fragt Primo verwirrt.

„Erst gestern habe ich ein Huhn über diese Dorfstraße laufen sehen!“, erklärt Olum. „Und auf der Wiese neben der Schlucht war vorhin auch eins! Man ist seines Lebens nicht mehr sicher! Ich weiß wirklich nicht, wozu wir einen Dorfbeschützer und einen Golem haben, wenn ihr angesichts der Gefahr bloß untätig herumstolziert.“

„Was hast du denn auf einmal gegen Hühner?“, will Primo wissen.

„Was ich gegen Hühner habe? Frag lieber, was die Hühner gegen mich haben!“

„Aber die tun dir doch nichts!“

„Das sagst du so! Aber Birta ist von einem Huhn in die Schlucht geschubst worden, oder etwa nicht? Wer weiß, was diese Monster mit ihren gefährlichen Schnäbeln noch alles anstellen können. Da gehe ich lieber auf Nummer sicher!“

Primo seufzt. Olum hat recht: Der böse Enderman Artrax wurde in ein Huhn verwandelt und hat in dieser Gestalt versucht, im Dorf Zwietracht zu säen. Fast wäre es ihm gelungen, einen Krieg mit dem Wüstendorf anzuzetteln. Doch mit Hilfe des Detektivs Schörlock wurde er entlarvt und aus dem Dorf vertrieben. Seitdem ist nichts Schlimmes mehr passiert. Doch die Dorfbewohner sind offensichtlich immer noch nervös.

„Sag mal, Olum, hast du auch manchmal Schwierigkeiten, die Frauen zu verstehen?“, fragt Primo.

„Die Frauen? Nein. Aber ich habe Probleme, die Fische zu verstehen.“

„Die Fische?“

„Ja. Du weißt schon, diese Art, wie sie dich manchmal ansehen, ohne etwas zu sagen. Irgendwie vorwurfsvoll und mitleidig zugleich.“

Primo nickt. Genauso guckt Golina manchmal.

In diesem Moment erklingt lautes Gackern und wütendes Gebell. Paul, der Wolf, jagt ein Huhn die Dorfstraße entlang. Als Olum das Tier erblickt, schreit er vor Schreck auf und springt an Asimov hoch, um sich in Sicherheit zu bringen. Dabei schubst er Mina, die Katze, vom Kopf des Golems, so dass sie fauchend auf Primo landet.

Paul lässt von dem Huhn ab, das gackernd davonläuft, und springt stattdessen an Primo hoch. Mina, die Katze, sitzt auf seinem Kopf und faucht den Wolf an, während Olum auf Asimovs Schultern hockt.

In diesem Moment kommen Primos Sohn Nano und Kolles Tochter Maffi die Dorfstraße entlang. Offenbar ist der Unterricht bei Birta gerade zu Ende.

„Typisch Erwachsene!“, stellt Nano fest. „Dauernd sagen sie dir: tu dies nicht, lass das sein, und wenn man gerade mal nicht guckt, dann machen sie selber Quatsch.“

„Dürfen wir mitspielen?“, fragt Maffi.

„Paul, aus!“, brüllt Primo, doch der Wolf hört nicht auf ihn.

„Ich sag’s ja“, meint Asimov. „Ihr verblüfft mich immer wieder.“

Nachdem die Hühnergefahr überstanden ist, klettert Olum von Asimov herunter, so dass Mina wieder auf seinen Kopf springen kann. Nano spielt mit Paul Stöckchenwerfen und Primo kann endlich wieder seiner Aufgabe als Dorfbeschützer nachkommen.

Mit festen Schritten schreitet er die Dorfstraße entlang und hält nach verdächtigen Hühnern und anderen Gefahren Ausschau, doch alles scheint ruhig zu sein.

Als er die Wiese neben der Schlucht erreicht, sieht er zwei vertraute Gestalten den Fluss durchqueren. Erfreut läuft ihnen entgegen.

„Willert! Ruuna! Schön, euch zu sehen!“

„Halt den Schnabel, du hässliches Vieh, oder ich koche Suppe aus dir!“, krächzt Robinson, der Papagei, der hinter der Hexe her flattert. „Kabumm! Oh, das war wohl die falsche Zutat!“

„Hallo, Primo“, sagt Willert. „Wie geht es dir?“

„Ganz gut eigentlich.“

„Ganz gut, eigentlich?“, fragt Ruuna nach. „Das ist nicht gut genug! Es sollte dir prächtig gehen! Grandios! Fantastisch! Phänomenal! So wie mir, außer wenn gerade mein Labor explodiert ist.“

„Ist denn dein Labor schon wieder explodiert?“

„Nein, wieso?“

„Kabumm!“, krächzt Robinson. „Oh nein, nicht schon wieder!“

„Bedrückt dich denn irgendetwas?“, fragt Willert. „Oder machst du dir irgendwelche Sorgen? Wegen Artrax vielleicht?“

„Nein“, erwidert Primo. „Der traut sich nicht mehr in die Nähe des Dorfs, seit er ein Huhn ist und Paul auf ihn Jagd macht. Jedenfalls habe ich ihn schon länger nicht mehr gesehen. Jetzt, wo wir wissen, dass er wie ein Huhn mit violett leuchtenden Augen aussieht, kann man ihn ziemlich leicht erkennen.“

„Was ist es dann?“

Primo zuckt mit den Schultern. „Ach, eigentlich nichts.“

„Aber uneigentlich ist da schon etwas?“, fragt Ruuna.

„Na ja, es ist wegen Golina. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie und ich zwei verschiedene Sprachen sprechen.“

Willert nickt. „Das kenne ich.“

„Pah, das ist doch gar kein Problem!“, behauptet Ruuna. „Dagegen hilft mein Allesverstehertrank.“

„Dein was?“

„Mein Allesverstehertrank. Man trinkt ihn, und schon versteht man alle Sprachen. Ich habe ihn gerade erst erfunden. Hier, willst du mal probieren?“

Ruuna holt eine Glasflasche mit einer violett schimmernden Flüssigkeit aus ihrer Robe und hält sie Primo hin. Willert rollt mit den Augen.

„Ich, äh, weiß nicht so genau ...“

„Ach was, was soll da schon schiefgehen?“, krächzt Robinson. „Hui, das war knapp! Kabumm!“

„Hör nicht auf den dummen Vogel!“, meint Ruuna.

Primo betrachtet misstrauisch die Glasflasche. Ruunas Tränke haben oft seltsame Nebenwirkungen, wenn sie nicht gerade explodieren. Andererseits hat die Hexe mit ihrer Zauberkraft schon viel Gutes bewirkt, und er würde wirklich einiges darum geben, wenn er sich besser mit Golina verständigen könnte. Vielleicht ist es das Risiko wert.

Er nimmt den Glaskolben in die Hand und schnuppert daran. Die Flüssigkeit riecht nach nichts. Vorsichtig probiert er einen kleinen Schluck. Ein Brennen erfüllt seinen Mund und seine Kehle, er spürt ein taubes

 

Gefühl auf der Zunge und Wärme breitet sich in ihm aus. Ein leichtes Schwindelgefühl überkommt ihn, vergeht jedoch rasch wieder.

„Schmeckt gar nicht mal so schlecht“, stellt er fest.

„What did you say?“, fragt Ruuna.

„Was?“

„What?“

„Primo?“, schaltet sich Willert ein. „Are you alright?“

Primo blickt verwirrt zwischen ihnen hin und her.

„Wieso redet ihr beide auf einmal so seltsam?“

„Ruuna, what the heck did you do?“, ruft Willert. „I can’t understand a word he’s saying! Didn’t you try this potion out before giving it to Primo?“

„No, why?“, erwidert Ruuna.

Willert rollt mit den Augen. Er streitet offenbar mit Ruuna, aber Primo versteht kein Wort von dem, was die beiden sagen. Offenbar bewirkt der Allesverstehertrank genau das Gegenteil dessen, was Ruuna behauptet hat: Statt alles zu verstehen, versteht man gar nichts mehr.

Eine fremde, tiefe Stimme erklingt hinter Primo: „Hallo Herrchen! Hallo Knollnase, die immer so seltsam riecht! Hallo netter Typ, der mir manchmal Knochen gibt! Habt ihr mir was zu Fressen mitgebracht?“

Verblüfft dreht sich Primo um. Doch da ist kein Dorfbewohner, sondern nur Paul, der mit wedelndem Schwanz auf Ruuna und Willert zuläuft.

„Habt ihr mir was mitgebracht? Habt ihr mir was mitgebracht? Los, her damit!“, erklingt die Stimme, während der Wolf an Willert und Ruuna hochspringt.

„Alright, good boy!“, sagt Willert und tätschelt dem Wolf den Kopf.

„Paul?“, fragt Primo verblüfft.

Der Wolf dreht sich um und blickt ihn mit wedelndem Schwanz an. „Wie jetzt?“, kläfft er. „Kannst du auf einmal bellen?“

Primo starrt die Flasche an, die er immer noch in der Hand hält. Statt Dorfbewohner zu verstehen, spricht er nun auf einmal die Wolfssprache! Er kann nur hoffen, dass die Wirkung des Tranks nicht allzu lange anhält.

2. Die Sprache der Tiere

„Wann gibt es Fressen?“, fragt Paul, als sie zur Schmiede zurückkehren.

„Hör auf, mich dauernd danach zu fragen“, erwidert Primo genervt.

„Aber ich hab Hunger!“, nölt der Wolf. Dann stößt er ein grollendes Knurren aus. „Da ist ja schon wieder dieses blöde Biest! Na warte, diesmal krieg‘ ich dich!“

Er stürzt sich auf ein Huhn, das auf einem Grasblock in der Nähe herumpickt.

„Hilfe!“, kreischt das Huhn mit einer hohen, heiseren Stimme. „Ein Wolf! Ein Wolf will mich fressen! Wieso tut denn keiner was? Hilfe!“

„Bleib stehen!“, brüllt der Wolf, als er hinter dem fliehenden Huhn her hetzt. „Bleib endlich stehen! Ich will doch bloß spielen!“

Den Rest bekommt Primo nicht mehr mit, weil die beiden außer Hörweite verschwinden.

„Hallo, Golina“, sagt er, als er wieder zuhause ist. „Hallo, Nano. Äh, versteht ihr mich?“

„Primo!“, ruft Golina erschrocken aus. „What’s wrong with you? Why are you barking like a wolf? Is this supposed to be funny?“

„Cool!“, sagt Nano. „You’re sounding exactly like Paul, Dad!“

Primo schüttelt nur den Kopf.

Golina kommt zu ihm und fragt etwas in der seltsamen Sprache, die er noch vor gar nicht so langer Zeit verstanden hat, die ihm nun jedoch genauso unverständlich vorkommt wie das Gestammel der Fremden.

Da Primo nicht weiß, was Golina ihn gefragt hat, zuckt er nur mit den Schultern. Das scheint ihr nicht zu gefallen. Ihre Miene verfinstert sich. Sie sagt noch einmal etwas, laut und energisch. Primo sieht sie nur traurig an. Wie soll er ihr klarmachen, dass er nicht mehr versteht, was sie sagt?

Golina stemmt die Hände in die Hüften und sagt etwas.

„Es ... es tut mir leid, ich ... ich verstehe dich nicht“, stammelt Primo.

Das hat zur Folge, dass Nano einen Lachkrampf bekommt, während Golina wütend ins Schlafzimmer stapft und die Tür hinter sich zuknallt.

Na großartig! Die blöde Ruuna und ihre dämlichen Zaubertränke! Warum war er nur so dumm, schon wieder einen davon auszuprobieren?

Mit gesenktem Kopf verlässt Primo das Haus. Es ist wohl besser, er tritt Golina nicht mehr unter die Augen, bis sich die Wirkung des Tranks gelegt hat und er ihr alles erklären kann. Er beschließt, ein wenig spazieren zu gehen, überquert die Brücke über den Fluss und betritt die Ebene östlich des Dorfs. Dort trifft er auf Jarga, die ihre kleine Schafherde hütet.

„I hope you don’t have your stupid wolf with you“, ruft Jarga. „It always scares my sheep!“

„Ich verstehe leider nicht, was du sagst“, antwortet Primo.

Jarga runzelt die Stirn, während ihre Schafe aufgeregt durcheinanderblöken.

„Hilfe, ein Wolf!“

„Quatsch! Seit wann gehen denn Wölfe auf den Hinterbeinen? Das ist eine Knollnase, genau wie die Schafmutter!“

„Aber der Typ klingt eindeutig wie ein Wolf!“

„Vielleicht ist es ein Wolf im Schafspelz?“

„Blödsinn! Wenn überhaupt, dann ein Wolf im Knollnasenhemd!“

„Hilfe! Rette sich, wer kann!“

Die Schafe rennen in alle Richtungen davon.

„See what you did, you fool?“, schimpft Jarga. „You scared my sheep away with your stupid barking!“

„Ihr müsst keine Angst vor mir haben“, ruft Primo. „Kommt wieder zurück!“

„Der Wolf spricht Schafisch!“, ruft eines der Schafe.

„Umso schlimmer!“, ruft ein anderes.

„Ich bin kein Wolf“, erklärt Primo. „Ich habe nur einen Zaubertrank getrunken, der bewirkt, dass ich die Sprache der Tiere verstehe. Dafür aber nicht mehr die der Knollna... ich meine, der Dorfbewohner.“

„Ich wusste gar nicht, dass Knollnasen überhaupt eine Sprache haben“, sagt eines der Schafe, als es sich Primo misstrauisch nähert.

Auch die anderen fassen allmählich Mut und kommen näher.

„Wenn ... wenn du mich auffrisst, dann sage ich es der Schafmutter!“, droht ein Schaf, das jünger zu sein scheint als die anderen. „Dann kannst du aber was erleben!“

„Keine Angst, ich tue euch nichts“, sagt Primo.

Als sie sieht, dass die Schafe ganz zutraulich auf Primo zukommen, zieht Jarga eine Augenbraue hoch.

„Strange“, sagt sie. „They seem to be trusting you, although they hardly even know you. It’s almost as if you suddenly speak their language ...“

„Ich muss jetzt weiter“, sagt Primo zu den Schafen. „Es war nett, euch kennenzulernen.“

„Tschüss, Knollnase!“, rufen die Schafe und grasen wieder friedlich.

Er läuft ein Stück weiter, bis er eine Herde Kühe erreicht, die ihn misstrauisch ansehen.

„Vorsicht, eine Knollnase im Anmarsch!“, ruft eine von ihnen.

„Wenn der mir an den Euter fasst, nehme ich ihn auf die Hörner!“, meint eine andere.

„Nein, nein“, erwidert die erste Kuh. „Den hier hab ich schon mal gesehen. Ich glaube, der ist harmlos.“

„Aber er hat ein langes Messer, siehst du nicht? Bestimmt will er uns töten und Steaks aus uns machen!“

„Fängst du schon wieder mit diesem Unsinn an, Klara? Die Knollnasen trinken bloß unsere Milch. Sie würden uns niemals essen. Das sind bloß böse Gerüchte.“

„Aber du weißt doch, was mit Mathilde passiert ist“, widerspricht die Kuh namens Klara. „Erst war sie noch auf der Weide, dann war sie plötzlich weg, und hinterher hat es aus dem Dorf so komisch nach verbranntem Fleisch gerochen ...“

„Das bildest du dir bloß ein! Glaub mir, die Knollnasen sind alle Vegetarier, genau wie wir. Die essen nur Gemüse.“

„Hallo!“, sagt Primo.

Die Kühe glotzen ihn an.

„Du ... kannst ja muhen!“, stellt eine von ihnen fest.

„Ja“, bestätigt Primo. „Ich habe einen Zaubertrank getrunken, der es mir ermöglicht, mit Tieren zu sprechen, aber leider nicht mehr mit Dorfbewohnern.“

„Dann kannst du ja unseren Streit schlichten“, sagt die Kuh namens Klara. „Esst ihr Knollnasen Kuhfleisch oder nicht?“

Primo weicht dem Blick ihrer großen Augen aus. „Äh, also, na ja, ich ... ich muss jetzt leider weiter. Auf Wiedersehen!“

„Ich hab’s ja gewusst!“, ruft Klara.

„Gar nichts weißt du“, widerspricht die andere Kuh. „Er hat nicht ‚ja‘ gesagt.“

„Aber er hat auch nicht ‚nein‘ gesagt! Und hast du gesehen, wie der geguckt hat? Ein richtig schlechtes Gewissen hatte er!“

„Unsinn! Du sollst nicht immer so viel denken. Das steht uns Kühen nicht zu!“

„Du kannst ja das denken bleiben lassen. Aber ich lasse es mir jedenfalls nicht verbieten.“

Primo lässt die Kühe allein und erreicht bald eine kleine Gruppe von Schweinen. In der Nähe weiden die beiden Pferde, die Golina und Margi manchmal reiten.

„Hallo“, ruft Primo.

Die Schweine blicken ihn verdutzt an.

„Na sowas, ein Zweibein, das grunzen kann!“, sagt eines von ihnen.

„Ach du liebe Zeit!“, ruft ein anderes. „Meinst du, er hat was gehört?“

„Was soll er denn gehört haben?“

„Na, das, worüber wir uns gerade unterhalten haben, mit der Revolution und so ...“

„Pssst!“, grunzt ein drittes Schwein. „Benutz nicht dieses Wort, sonst schöpft das Zweibein noch Verdacht!“

Das zweite Schwein wendet sich an Primo. „Du, ähm, hast uns doch nicht belauscht? Hast du etwa gehört, wie wir über die Revolution geredet haben und darüber, dass wir euch Zweibeiner aus eurem Dorf ...“

„Sei doch still, du Dummkopf!“, grunzt das dritte Schwein. „Du verplapperst dich noch!“

„Was denn für eine Revolution?“, fragt Primo.

„Da hast du’s!“, sagt das dritte Schwein.

„Revolution?“, fragt das zweite scheinheilig. „Du musst dich verhört haben. Wir haben nicht über eine Revolution gesprochen und schon gar nicht darüber, dass wir euch Zweibeiner mit Hilfe der Kühe und Pferde aus eurem Dorf vertreiben wollen. Wir haben uns bloß darüber unterhalten, dass alle Tiere gleich sind.“

„Aber sagtest du nicht vorhin, einige Tiere wären gleicher als andere, Schorsch?“, wendet das erste Schwein ein.

„Natürlich sind sie das, Orwell“, erwidert Schorsch. „Oder denkst du etwa, wir Schweine stünden mit primitiven Kühen und Pferden auf einer Stufe?“

„Also, ich dachte immer, das mit der Revolution machen wir deshalb, weil die Zweibeiner sich für was Besseres halten und uns Tiere ausbeuten und deshalb ...“

„Wirst du wohl aufhören, dauernd von Revolution zu reden, du Pferdekopf!“, ruft das dritte Schwein. „Da kannst du unsere geheimen Pläne ebenso gut gleich diesem Zweibein ausplaudern ...“

Den Rest des Streits hört Primo nicht mehr, denn auf einmal erklingt aus einer Höhle im Boden nicht weit von ihm ein langgezogenes, dumpfes Stöhnen.

„Unnngh! Miiiir issst ssssooo laaaangweilllig!“

Verblüfft geht Primo näher heran. Anscheinend versteht er jetzt sogar die Nachtwandlersprache.

„Hallo?“, ruft er in die Dunkelheit.

„Unngh! Kommmm heeerrrr!“, erklingt es von unten. „Dannnn kannn ichhhh mmittt diiiir spiiielllen!“

Besonders freundlich klingt die Stimme nicht gerade. Primo entscheidet spontan, dass er keine Lust auf Nachtwandlerspiele hat.

Genau in diesem Moment hört er hinter sich eine zischende Stimme: „Zehn ... neun ... acht ...“

Er dreht sich erschrocken um und blickt in das grimmige Gesicht eines Knallschleichers, der sich von hinten angeschlichen hat.

„Nicht!“, ruft er. „Ich tue dir nichts!“

„Wie? Was?“, zischt der Knallschleicher. „Mist, jetzt hast du mich durcheinandergebracht! Wo war ich noch gleich?“

„Du musst doch nicht gleich in die Luft gehen“, erklärt Primo. „Lass uns in Ruhe über alles reden!“

„Ich glaube, ich war bei fünf“, antwortet der Knallschleicher. „Vier ... drei ... zwei ...“

„Nein!“, ruft Primo.

„Nein? Wo war ich denn dann?“

„Bei ... äh ... zweitausenddreihundertfünfzehn“, sagt Primo schnell.

„Echt jetzt? Bei zweitausenddreihundertfünfzehn? Bist du sicher?“

„Ja, ganz bestimmt.“

„Na gut. Zweitausenddreihundertfünfzehn ... zweitausenddreihundertvierzehn ... zweitausenddreihundertdreizehn ...“

In aller Seelenruhe dreht sich Primo um und spaziert zurück in Richtung des Dorfs, während der Knallschleicher weiterzählt.

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