Ich liebe die Frau, die ich bin

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Ich liebe die Frau, die ich bin
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Linda Jarosch

Ich liebe die Frau, die ich bin


Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.




Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0321-2

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0343-4

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Covermotiv: edwinsmom / photocase.de

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt

Einführung

Was uns geprägt hat

Die Prägung Maria Magdalenas – ihre Wirkung auf uns heute

Das Unfreie in uns

Die Gekränkte

Die Minderwertige

Die Schuldbeladene

Die Neidvolle

Die Perfekte

Die Unzufriedene

Die Sich-nichts-Gönnende

Ein erster Schritt zur Befreiung: dem Dämon einen Namen geben

Wie sieht Befreiung aus?

Die heilende Begegnung Maria Magdalenas

Was heilt uns?

Zuwendung

Angenommensein

Mitfühlen

Befreiung aus Komplexen

Befreitsein in Beziehungen

Befreitsein mit anderen Frauen

Befreiung aus der Strenge

Die inneren Gebote

»Ich muss!«

»Ich darf nicht!«

»Ich kann nicht!«

Zurückfallen in alte Muster

Umwenden als neuer Weg Umwenden aus der Opferhaltung

Wie kommen wir auf diesen Weg?

Selbsterkenntnis hilft uns weiter

Loslassen als Aufbruch

Über uns hinauswachsen

Keine Opferhaltung mehr bedienen

Verantwortung statt Opferhaltung

Das Umwenden Maria Magdalenas

Umwenden und Erkennen

Verwandlung zulassen

Sich auf den eigenen Weg machen

Die Botschaft für mein Leben erkennen

Die Botschaft in unseren Beziehungen

Meine Weiblichkeit – meine Botschaft

Ausblick

Nachwort

Literatur zum Nach- und Weiterlesen

Einführung

»Die Veränderung der Welt wird von den Frauen ausgehen« – diesen bemerkenswerten Satz sagte mir vor vielen Jahren ein weiser Mann. Er wusste um die Kraft und das Wissen der Frauen. Er glaubte an ihren Mut und ihre Herzenswärme. Aber glauben wir selbst auch daran?

Obwohl wir so viele Freiheiten für uns erreicht haben, sind wir im Umgang mit uns selbst weniger frei. Wir gehen oft zu streng mit uns um. Wir neigen dazu, uns für Verhaltensweisen und Geschehnisse zu verurteilen, die unsere Güte bräuchten. Wie oft tragen wir Schuldgefühle in uns, die gar nichts mit wirklicher Schuld zu tun haben? Und wie leicht beneiden oder bewundern wir die Talente anderer, anstatt unsere eigenen mit großer Freude zu sehen? Selbst sympathische Schwächen lehnen wir an uns ab und sind dabei wenig freundlich. Wir empfinden uns damit als nicht liebenswert. Die selbstkritische Frau in uns ist meist stärker als die warmherzige. Uns fehlt die Leichtigkeit und die Milde. Das können wir ändern.

Um weibliche Größe und Herzenswärme bewusster zu leben, brauchen wir Bilder von erfahrenen Frauen, Vorbilder, die uns einen Weg weisen. Früher wurden weibliche Gottheiten verehrt, die für Frauen die Vielfalt ihrer Lebenskräfte darstellten. Diese Göttinnen wurden nicht vom Schicksal verschont, aber sie haben gerade dadurch zu ihren höchsten Kräften gefunden. Das hat sie in einen göttlichen Bereich erhoben.

Die Achtung vor diesen Göttinnen ist lange aus unserem Alltag verschwunden. Aber die Bedeutung von wissenden, gereiften Frauen als Orientierung für uns ist geblieben. Schon immer haben wir nach Wegweiserinnen gesucht, die uns vorausgegangen sind und uns auch heute eine Ahnung davon vermitteln, wie unser eigener Weg zu mehr Liebe und Stärke gelingen kann.

Eine dieser Frauen ist Maria Magdalena, in der Bibel die Symbolfigur für eine große Liebesfähigkeit. Man muss keine religiöse Gesinnung haben, um sich von ihrer Kraft berühren zu lassen. Sie verkörpert die uralten Erfahrungen und Weisheiten von Frauen, die aus ihren leidvollen Erfahrungen zu einer inneren Freiheit und Liebe gefunden haben, nach der wir uns auch sehnen.

Bilder von Frauen aus der Bibel oder aus einem Märchen sind stets zeitlos. In ihnen zeigt sich immer der gleiche Weg: Am Anfang der Geschichte steht der Konflikt, in dem sich diese Frauen befinden. Es ist ein Konflikt, den wir kennen, denn er wiederholt sich in allen Zeiten: ein Beziehungskonflikt mit uns selbst und mit anderen. Dann wird der Reifungsweg aufgezeigt, den wir gehen sollten, und am Ende steht die Lösung. Diese Lösung bedeutet immer ein Erkennen, eine Einsicht, wie wir unseren Weg freier und liebender weitergehen können.

Die Entfaltung Maria Magdalenas zur großen Liebenden vollzog sich in einer Zeit extremer patriarchalischer Gesellschaftsformen. Die herrschenden Machtstrukturen hatten ihr Umfeld, die Familien mit ihrem gesellschaftlichen Frauenbild geprägt. Die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen, war darin nicht vorgesehen. Weiblicher Lebensausdruck wurde eingegrenzt und geringgeschätzt. Gerade diese Geringschätzung ihres Frauseins hat Maria Magdalena herausgefordert. Sie hat sich nicht ergeben, sondern erhoben. Sie hat ihr innerstes Gespür nicht aufgegeben, dass Frausein für sie bedeutet, in Würde und Selbstbestimmung zu leben. Daran hat sie festgehalten, auch wenn sie Unverständnis und Entwertung erfahren hat.

Das ist das Faszinierende an dieser Frau, dass sie uns auch nach 2000 Jahren noch etwas zu vermitteln hat, wonach wir im Innersten suchen. In ihr zeigt sich das Urbild weiblicher Liebesfähigkeit.

Frauen erleben heute vielfach eine größere Weite als damals – und doch kennt fast jede die Erfahrung von nicht gelebten Möglichkeiten, von ungenutzten Freiheiten, von wenig Liebe. Sie halten es oft aus, weil sie an ihrem eigenen Wert zweifeln. Wir Frauen kennen den Wunsch sehr gut, von anderen gemocht zu werden und dafür etwas in Kauf zu nehmen, was uns nicht wirklich entspricht. Wir sind hier nicht anders, als es Maria Magdalena damals erlebt haben muss. Doch sie war fähig, über all das hinauszuwachsen. Diese Fähigkeit haben auch wir. Deshalb brauchen wir ihre Erfahrung. Ihr Weg kann uns Inspiration und Ermutigung sein, mehr aus einer liebevollen Herzlichkeit zu leben, die für uns und für andere erwärmend ist.

 

Unser Blick auf sie heute entspricht nicht mehr dem Blick der damaligen patriarchalischen Zeit. Er entspricht auch nicht den Entwertungen, denen sie sehr lange durch den männlichen Blick ausgesetzt war. Wir spüren eher eine weibliche Verbundenheit, ein Mitgefühl für ihre Erfahrungen, eine Achtung vor ihrem Mut, dem vorgegebenen Frauenbild nicht einfach zu entsprechen. Wir wollen wie sie der Sehnsucht folgen, dass in uns noch mehr Liebe und Freiheit liegen, als wir ausdrücken. Es beginnt in uns selbst.

Deshalb habe ich den Titel gewählt: »Ich liebe die Frau, die ich bin«. Wir haben die Sehnsucht, ein unbedingtes Ja zu uns zu sagen. Ein Ja aus Selbstachtung für unser Frausein, auch mitten in unseren Unzulänglichkeiten und schwierigen Phasen. Wir brauchen dazu kein selbstverliebtes Kreisen um uns, sondern mehr Annahme und Warmherzigkeit.

Manchmal wagen wir es jedoch nicht, unserer Sehnsucht zu trauen. Gerade wenn wir prägende Erfahrungen gemacht haben, durch die wir glauben, der Liebe nicht wert zu sein. Oder wir haben Angst vor der eigenen Kraft und geben uns lieber mit der Situation zufrieden. Dann ist der Satz: »Ich liebe die Frau, die ich bin« eine große Herausforderung. Denn er fordert uns zu mehr Mut und

Herzenswärme uns selbst gegenüber heraus, was wir uns so direkt kaum zugestehen. Das spüren Frauen, wenn sie mir erwidern: »Ich traue mich diesen Satz gar nicht auszusprechen. Das ist von meiner Erziehung her wie ein Verbot. Er würde mir so ausgelegt, als sei ich egoistisch.«

Dabei wirkt das Bild weiblicher Selbstlosigkeit nach, das vielen Frauen so intensiv vermittelt wurde. Der Blick sollte dabei nur auf andere gerichtet sein und kaum auf sich selbst. Aus dieser Haltung heraus ist inzwischen eine gegensätzliche Entwicklung erwachsen, in der Frauen eher fragen: »Und ich, wann komme ich?!«

Selbstliebe ist gerade in aller Munde, und es verwundert nicht. Aus der überzogenen Selbstlosigkeit vieler Frauen entwickelt sich naturgemäß jetzt die andere Seite. Dabei kann es ins andere Extrem kippen: Ein Kreisen um sich selbst ist die Folge, bis es zu einer Ausgewogenheit kommt. Denn in seiner reifen Form zeugt Selbstlosigkeit nicht von Mangel, sondern von Liebe. Wir sind dann fähig, das eigene Selbst für andere zurückzustecken, uns dabei aber auch selbst zu achten. Dann kennen wir unsere Bedürfnisse und wissen, wo unsere Grenzen liegen, und danach handeln wir. Diese Ehrlichkeit macht uns warmherzig, weil wir innerlich mit unserem Herzen verbunden sind. Dann ist der Satz: »Ich liebe die Frau, die ich bin« ganz natürlich und selbstbewusst.

Aus dem Herzen kommt stets das Gute, für uns und für andere. Doch wir haben oft das Gefühl dafür verloren, was dieses Gute für uns als Frau ist. Dadurch verlieren wir an Stärke, weil uns dieser Verlust verunsichert. Und je verunsicherter wir sind, desto mehr hören wir auf äußere Stimmen, die uns einreden, wie wir als Frau zu leben haben. Wenn wir diesen Stimmen folgen, dann erhoffen wir uns insgeheim auch etwas davon. Wir hoffen darauf, dass wir dadurch mehr Zugehörigkeit, mehr Anerkennung und Liebe erfahren. Erkennen wir jedoch klar, was in einer bestimmten Situation das Gute für uns ist, entsprechen wir oft nicht den Bildern und Erwartungen anderer. Sie reagieren darauf häufig mit negativen Bewertungen oder Distanz. Eigenständigkeit kann ihren Preis haben – zu viel Anpassung aber auch.

All diese Erfahrungen hat eine Frau wie Maria Magdalena in ihrer Zeit einschneidend erlebt. Die Anpassung, die von ihr verlangt wurde, machte sie krank. Doch sie hielt beharrlich durch, ihrer Sehnsucht nach Freiheit zu trauen, die aus der Liebe zum Leben kam. Das ließ sie nicht ruhen, bis sie beides gefunden hatte – in sich. In einer liebenden Begegnung fand sie ihre eigenen heilenden Kräfte wieder. Sie erkannte, dass alle Liebe in ihr liegt. Und sie liegt in uns.

An ihrem Beispiel können wir Frauen heute noch wachsen. Sie vermittelt uns, sich auch in schmerzhaften Erfahrungen nicht mit dem Leid zufriedenzugeben, sondern nie aufzuhören, nach mehr Liebe für uns zu suchen. Egal, welche Eingrenzung und Lieblosigkeit sie selbst erlebte, sie ließ sich von niemandem davon abhalten, mit größerer Liebe darauf zu antworten. Sie zeigt uns Frauen, dass wir diese Macht und auch diese Leidenschaft in uns haben, eine stärkere Liebe auszudrücken, als wir sie bisher gezeigt haben. Es geht hier nicht um einen moralischen Anspruch, sondern um die höchste menschliche Qualität, die jede von uns in sich hat und verwirklichen kann oder auch nicht. Wir zeigen diese Qualität schon, indem wir uns selbst freundlicher und wertschätzender behandeln. Dann strahlt von uns mehr Wärme aus. Sie strahlt dann ganz natürlich auch zu anderen hin. Dadurch bewegen wir etwas, nicht nur in uns und in anderen, wir bewegen zugleich etwas in der Welt. Sie wird warmherziger durch uns.

Was uns geprägt hat

Jede Generation trägt das Erbe der vorhergehenden in sich. Aus vielen Stärken dieser Generation können wir gut leben, andere »Erbstücke« haben sich für ein gutes Leben nicht ausreichend entwickelt. Sie bleiben uns als Aufgabe, sie selbst zu entfalten. Diese Entfaltung gelingt der neuen Generation manchmal in spärlichen und manchmal in gewaltigen Schritten.

Wir Frauen tragen bis heute das Erbe von Jahrtausenden in uns, dass weibliche Lebenskräfte den männlichen untergeordnet wurden. Aus diesem Erbe herauszuwachsen, braucht Generationen. Besonders in den letzten Jahrzehnten wurden kraftvolle Schritte unternommen, dieses Unrecht gegenüber Frauen immer mehr auszugleichen. Aber wir haben noch viel zu tun.

Und es beginnt in uns! Das Bewusstwerden, in welchen Bereichen wir noch in patriarchalischen Denkweisen verhaftet sind, ist eine wesentliche Aufgabe. Denn die lang andauernde Prägung dieser Gesellschaftsform haben wir so verinnerlicht, dass wir es oft gar nicht merken, wenn wir ihr immer noch folgen.

Wir können uns beobachten und uns fragen: »Handle ich hier, weil ich es als Frau für mich stimmig empfinde, oder handle ich, weil jemand das von mir erwartet? Erfülle ich die Erwartung, weil ich es aus freien Stücken will oder weil ich dafür vom anderen auch etwas bekommen möchte?«

Oft ist das bedürftige Kind in uns noch so stark, dass wir dringend nach Anerkennung und Gemochtwerden streben. Wir meinen, dies unbedingt von anderen zu brauchen, weil wir es in uns noch nicht finden. Diese Hoffnung, dass andere uns sehen und wertschätzen, bringt uns leicht dazu, Dinge zu tun, die wir als innerlich freie Frau nie tun würden.

Welche Frau würde sich etwa freiwillig in Schuhe mit hohen Absätzen zwängen, wenn nicht der heimliche Wunsch damit verbunden wäre, dadurch im Blick des Mannes als erotisch anziehende Frau zu gelten? Natürlich kann jede Frau das aus reiner Freude an sich selbst tun, dann kann sie bereit sein, Einengungen in Kauf zu nehmen. Es geht darum zu erkennen, dass wir Frauen bis heute vor allem im modischen Bereich dazu neigen, uns manche Freude vorzugaukeln. In Generationen vor uns wurde den Frauen beispielsweise die Freude an einer Wespentaille vermittelt, die mit der Qual verbunden war, sich in ein enges Korsett zu zwängen. Chinesischen Frauen wurde die Freude an kleinen, verstümmelten Füßen als Schönheitsideal der Männer angepriesen. In der Zeit der bauchfreien Mode sagte mir ein junges Mädchen, dass sie sich damit nicht wirklich gut fühlen würde, aber ohne ihre Anpassung würde sie in der Klasse gehänselt. Es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen Frauen sich dem jeweils geltenden Bild für Schönheit und Weiblichkeit angepasst haben, ohne dabei auf ihr eigenes Wohlgefühl zu achten. Wir schauen sehr oft mit dem Blick der Männer auf uns und richten uns danach, wenn der Blick auf uns selbst nicht liebevoll genug ist.

In den vorhergehenden Generationen haben viele Frauen und Mütter an den entwertenden Haltungen gegenüber weiblichen Lebenskräften zutiefst gelitten. Sie konnten in solch diskriminierenden Verhältnissen oft nur überleben, indem sie sich untergeordnet haben. Viele Frauen hatten keine Möglichkeit aufzubegehren, weil die Konsequenzen zu schwer zu ertragen waren. Die Folge war, dass sie entweder ihre Töchter ermutigt haben, nicht in gleicher Weise zu leiden, oder ihr Leid in vielfacher Weise an sie weitergegeben haben. Dabei wussten sie oft nicht, dass sie sich dadurch mit dem entwertenden System verbunden haben. Die Töchter wurden dann beispielsweise nicht vor dem Missbrauch in der Familie geschützt und nicht gehört. Mütter haben zugelassen, dass die zerstörerischen Kräfte in einem patriarchalischen System ihre Töchter beschädigt haben. Das geschieht auch noch heute. Es beginnt bereits dann, wenn Väter ihre Töchter in ihrer Weiblichkeit durch Worte herabsetzen und die Mütter ihnen nichts entgegensetzen. Viele Frauen lassen die angeblich starken Männer so sein, weil sie wenig Zugang zu ihrer eigenen Stärke haben. Aus diesem System sind viele Mütter bis heute nicht ausgestiegen. Sie können es nicht erkennen oder es fehlen ihnen noch die Kraft und der Mut, sich daraus zu befreien.

Zahlreiche Frauen stehen auch heute in ihren Lebenswünschen immer wieder hinter dem Mann, den Eltern oder den Kindern zurück. Sie trauen sich nicht, sich ihnen als eigener Mensch mit eigenen Bedürfnissen zu zeigen. Meist befürchten sie Bewertungen oder Ablehnung, wenn sie einem bestimmten Frauenbild nicht entsprechen. Sie fügen sich dann in dieses Bild, sind innerlich aber traurig oder im Groll oder werden krank.

In den letzten Jahren haben Frauen auch häufig auf die Defizite weiblicher Sprache hingewiesen. Wir sind so mit der männlich geprägten Sprache verwachsen, dass wir das Fehlen weiblicher Ausdrücke kaum noch spüren. Manche Frauen empfinden diese Achtsamkeit als übertrieben, andere erkennen darin die Notwendigkeit, uns einer weiblich geprägten Sprache bewusster zu werden. Einer in diesem Sinn aufmerksamen Frau fiel in ihrer kirchlichen Gemeinde zunehmend auf, wie stark sich der männliche Einfluss in den Gebeten widerspiegelt. Ihr fehlten die Worte, die auch ein weibliches Bild von Gott zeichneten. Sie meinte, wenn einmal ausschließlich weiblich geprägte Ausdrücke in einem Gottesdienst zur Sprache kämen, würde den Männern die Einseitigkeit bewusster werden. Das mag für viele Frauen nicht wichtig sein, aber das Hinterfragen bestehender Verhältnisse ist immer wichtig, wenn es uns zu mehr Bewusstsein darüber führt, ob sie für uns Frauen noch stimmig sind.

Die Auswirkungen einer patriarchalischen Gesellschaft sind noch in vielen Bereichen zu spüren. Das kann im Miteinander weder die Frau noch den Mann zufriedenstellen, denn beide begegnen sich dabei nicht auf gleicher Ebene. Wenn einer sich überlegen fühlt und der andere unterlegen, kann keine wirkliche Nähe entstehen. Die Frau versucht diese häufig auf der emotionalen Ebene zu finden, kann den Mann dabei aber oft nicht erreichen. Der Mann erhofft sie vielfach auf der körperlichen Ebene zu erfahren und ist enttäuscht, wenn er damit bei seiner Frau nicht ankommt.

Es gibt aber genügend Frauen, die bewusst nach einem überlegenen Mann suchen, weil sie die unterlegene Rolle einnehmen wollen, auch in der Sexualität. Wenn die Dominanz eines anderen und ihre weibliche Unterwerfung zu ihrem Glück führt, dann ist es ihre Freiheit, sich dafür zu entscheiden. Begegnung auf Augenhöhe ist dann nicht ihr Ziel. Die Überlegenheit des Mannes, die sie sucht, kann auch ihre Unsicherheit als Frau überdecken oder ihre eigene Stärke unterdrücken. Prägungen, die unbewusst in uns liegen, bringen uns oft dazu, dass wir die Muster wiederholen, die uns aus unserer Geschichte vertraut sind, bis wir sie erkennen.

Die Prägung Maria Magdalenas – ihre Wirkung auf uns heute

Maria Magdalena ist eine Frauengestalt, die in den Texten der Bibel herausragt. Sie wird darin 14 Mal genannt und keine andere Frau, außer der Mutter Jesu, hat diese Aufmerksamkeit erfahren. Sie muss also eine besondere Persönlichkeit gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen Frauen wird sie nicht in Beziehung zu jemandem erwähnt, also nicht als »die Frau von« oder »die Schwester von« oder »die Tochter von«. Sie scheint eine eigenständige Frau gewesen zu sein. Ihrem Beinamen nach stammt sie aus Magdala, einem Ort am See Genezaret. Ganz eindeutig ist von ihr in den Texten belegt, dass sie von sieben Dämonen besetzt war und durch Jesus davon geheilt wurde, dass sie nach ihrer Heilung eine Jüngerin Jesu wurde, dass sie Zeugin der Auferstehung war und von Jesus den Auftrag erhielt, seine Botschaft zu verkünden und der Welt weiterzugeben.

 

Um sie ranken sich jedoch auch unterschiedliche weitere Geschichten, und heute weiß man, dass ihr Bild lange Zeit mit anderen Frauengestalten der Bibel vermischt worden ist. Mit Maria Magdalena wurde beispielweise das Bild der Sünderin verknüpft, der namenlosen Frau, die Jesus die Füße gewaschen und mit ihrem Haar getrocknet hat. An einer anderen Stelle wird diese Frau als Maria von Bethanien bezeichnet. Vermutlich hat die Namensgleichheit dazu geführt, dass sie mit Maria Magdalena in Verbindung gebracht wurde. Auch das Bild der reuigen Sünderin, einer Frau, die viele Männer gehabt haben soll, wurde Maria Magdalena zugeordnet. Das ist in der Bibel jedoch mit keinem Hinweis belegt. Diese Verknüpfung wurde inzwischen sogar als falsch erklärt.

Die verschiedenen Deutungen und die Legenden, die daraus entstanden sind, haben das Bild Maria Magdalenas mitgeprägt. Zu einem erniedrigenden Frauenbild hat ein Papst im Jahr 591 beigetragen, der sie öffentlich als Prostituierte bezeichnete. Aus diesem Missverständnis heraus wurde Maria Magdalena in der kirchlichen Tradition immer wieder als solche betrachtet. An diesem

diskriminierenden Bild hielt man lange fest, und es hat sich bis heute nicht ganz aufgelöst.

Dieses Bild kann dadurch entstanden sein, dass Frauen in der damaligen Gesellschaft schon als Sünderin bezeichnet wurden, wenn sie sich den starren Regeln dieser Gesellschaft widersetzten. Väter, Ehemänner oder Brüder bestimmten darüber, wie eine Frau zu leben hat. Es war schon eine Sünde, wenn eine Frau sich Wissen aneignen wollte. Übertrat eine Frau diese strengen Regeln, hing man ihr auch leicht die Nachrede sexueller Freizügigkeit an. Eine Gesellschaft, besonders auch eine Religion, die sehr leibfeindlich ausgerichtet ist, kommt immer in Gefahr, das Nichtzugelassene auf andere Menschen zu projizieren. Die Verurteilung der Sinnlichkeit wird dann leicht auf die Frau übertragen, hier auf Maria Magdalena. Sie wurde nicht als ihr Ausdruck weiblicher Stärke gesehen, sondern ihr als Verfehlung ausgelegt.

Prostitution kann allerdings auch anders verstanden werden: Wir prostituieren uns, wenn wir unsere eigenen Gefühle verraten und uns vor anderen erniedrigen, wenn wir unsere Würde aufs Spiel setzen, nur um von anderen Menschen gemocht und anerkannt zu werden.

Das, was Maria Magdalena in ihrer Zeit erfahren hat, hat auch mit unseren Erfahrungen zu tun. Wie sie in einer stark männlich geprägten Welt als Frau gesehen und behandelt wurde, hat sich in das Frauenbild der nachfolgenden Generationen tief eingeprägt. Ihre weiblichen Eigenschaften, mit denen sie ihr Frausein ausdrückte, wurden entwertet und nicht verstanden. Daraus haben sich Missdeutungen ergeben, die über sie verbreitet wurden. Sie wurde benutzt, um ein frauenfeindliches Bild zu bestätigen. Viele christlich geprägte Frauen haben diesen sogenannten Autoritäten geglaubt und dieses abwertende Bild von weiblicher Sündhaftigkeit verinnerlicht. Es ist bis heute nicht in jedem Bereich ausgeräumt.

Was man Maria Magdalena und vielen anderen Frauen durch die Entwertung des Weiblichen angetan hat, hat sich als erfahrenes Unrecht in sie eingeprägt. Aber es hat sich auch die Sehnsucht Maria Magdalenas eingeprägt, auf dieses Unrecht anders zu antworten als nur durch Kränkung. Aus dieser Sehnsucht heraus haben schon viele Frauen eine besondere Stärke entwickelt. Sie haben gerade aus der Erfahrung von Unrecht etwas Entscheidendes für sich und für die Gesellschaft vorangebracht.

Das können wir heute auch, denn je wertschätzender und freundlicher wir auf uns schauen, desto unabhängiger werden wir von äußeren Einflüssen und Autoritäten, desto gereifter sind wir in der Fähigkeit, herzlich und liebevoll mit uns umzugehen und das nach außen weiterzugeben. Zugleich bleibt es auch das Erbe und die Aufgabe der heutigen Männer, aus ihrer Prägung überhöhter Männlichkeit herauszuwachsen und im Miteinander etwas Gleichwertiges zu formen, was auch immer häufiger geschieht.