Eine Nacht im Februar

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Eine Nacht im Februar
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Eine Nacht im Februar

1  Das Buch

2  Impressum

3  Kapitel 1

4  Kapitel 2

5  Kapitel 3

6  Kapitel 4

7  Kapitel 5

8  Kapitel 6

9  Kapitel 7

10  Kapitel 8

11  Kapitel 9

12  Kapitel 10

13  Kapitel 11

14  Kapitel 12

15  Kapitel 13

16  Kapitel 14

17  Kapitel 15

18  Kapitel 16

19  Kapitel 17

20  Kapitel 18

21  Kapitel 19

22  Kapitel 20

23  Kapitel 21

24  Kapitel 22

Das Buch

Nick Hutton hat ein Leben, wie es viele träumen: erfolgreich, vermögend, attraktiv, ungebunden. Zu seinem Leben zählen zahllose Affären - die große Liebe mit Hochzeit, Familie und Kindern kam für ihn nie Frage. Womit er bei Frauen viele gebrochene Herzen hinterließ. Der einzige, der nicht in das Bild des Playboys passt, ist sein Hund. Der junge Terrier Murphy sorgt dafür, das Nick Huttons sorgloses Leben aus den Fugen gerät. Murphy führt ihn zu einer Frau, die ihm so gefährlich werden kann wie kaum jemand zuvor. Denn Rebecca Hold ist Journalistin und für ihre ebenso hartnäckigen wie kompromisslosen Recherchen bekannt. Ihr nächstes Ziel: der verschwiegene Hedgefonds-Manager Nick Hutton. Eine Nacht im Februar ändert alles. Denn beiden kommt etwas dazwischen, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie müssen sich zwischen Job und Liebe entscheiden, es sei denn ....

Impressum

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Texte: © Copyright by Lisa Kruger

Umschlag: © Copyright by pexels.com

Verlag:

Lisa Kruger

Holzweg 77

46509 Xanten

lisakruger-online@web.de

Kapitel 1

“Hey…”. Rebecca hörte ein leichtes Trappeln und sah gerade noch, wie ein Fellknäuel durch ihre Wohnungstür huschte. Natürlich hatte sie sie wieder offen stehen gelassen, als sie eben kurz zum Briefkasten ging. Natürlich hatte sie wieder keinen Schlüssel mit, und natürlich hoffte sie, dass die Wohnungstür nicht wieder zufallen würde. Sie schloss den Briefkasten auf, nahm zielsicher einige Briefe mit und klappte die kleine Tür wieder zu.

Vermutlich war sie eine der wenigen, die in diesen digitalen Zeiten noch Briefe erhielt. Wenn heute ein Postbote kam, war er meistens mit Paketen diverser Onlineshops bepackt. Sie aber schätzte den guten alten Brief – des Postgeheimnisses wegen. Dies hing sicher auch mit ihrem Job als Journalistin zusammen. Im Netz war der Datenschutz schon lange nicht mehr gewährleistet. Das Briefgeheimnis hingegen war nach wie vor ein hohes Gut. Wollte sie an wichtige, geheime oder belastende Informationen gelangen, ging es heutzutage manchmal nicht anders als mit einem guten alten Brief.

Wer oder was da genau in ihrer Wohnung unterwegs war, hatte sie so schnell nicht sehen können. Sie beeilte sich. “Hallo?”, rief sie vorsichtig in ihren Flur. Okay, nach einem Tier Hallo zu rufen, war nicht wirklich clever, andererseits verstand ein Tier ihre Worte auch nicht. Tapp, tapp, tapp – sie hörte wieder die leisen, aber federnden Schritte. Dann schauten zwei Knopfaugen aus der Küche neugierig hervor Ein Hund! Und was für einer! Ein Foxterrier. In den bekannten drei Farben: weiße Haare an Kopf, Körper, Beinen und Schwanz, abgesetzt mit schwarzen und braunen Flecken. In seinem Fall waren beide Ohren braun, der Hals braun und schwarz. Auf dem Rücken hatte er noch einen schwarzen Fleck, der aussah, als ob sich eine Decke um ihn legte. Die Schwanzspitze war ebenfalls schwarz. Ein bildhübscher Hund. Und das wusste er offenbar auch selbst.

Sie schloss die Wohnungstür, blieb im Flur stehen und beugte sich leicht hinunter. Nicht zu tief, falls er versuchte, sie anzuspringen oder nach ihr zu schnappen. “Hey, mein Kleiner, wer bist Du denn?” Angst hatte sie vor Hunden noch nie gehabt. Sie streckte ihren Arm aus, ballte die Hand zu einer lockeren Faust und drehte sie etwas nach innen. Das schien seine Neugier zu wecken. In der Hoffnung, ein Hundeleckerli zu finden. Er trabte auf sie zu, blieb aber rechtzeitig stehen. Streckte die schwarze, feuchte Nase leicht vor und beschnupperte ihre Hand.

Sie öffnete vorsichtig die Faust, drehte die Hand und versuchte, ihn unter seinem Hals zu streicheln. Was er auch zuließ. Ängstlich schien er jedenfalls nicht zu sein. Sie erhob sich und ging den Flur entlang, bog rechts in die Küche ab. Er folgte ihr. Nun hatte sie nur das Problem: Wie hieß der Hund? Woher kam er – und vor allem: Wem gehörte er? Da die Haustür verschlossen war – wie eigentlich immer – musste er bereits im Gebäude gewesen sein. Er hätte sonst nur mit dem Briefträger ins Haus gelangen können. Der aber hätte sicherlich etwas bemerkt.

Außer ihr selbst im Erdgeschoss wohnten in den oberen Etagen jeweils zwei Parteien, insgesamt 13 Wohnungen. Sie kannte sie zwar nicht alle Bewohner bestens, wusste aber, dass eigentlich kein Hund im Haus lebte. Also vielleicht zu Besuch? Immerhin eine Möglichkeit. Den einzigen, den sie bisher nicht gesehen und kennengelernt hatte, war der neue Eigentümer der Wohnung im obersten Stockwerk. Die Ausbauarbeiten schienen beendet, und es sollte wohl auch jemand eingezogen sein, so viel wusste sie.

Ein Banker oder Manager. Zweifelsohne aber jemand mit Geld, sonst hätte er den Ausbau nicht finanzieren können. Wobei – Ausbau traf es nicht richtig. Das Hausdach war abgetragen und das Gebäude um eine komplette Etage aufgestockt worden. Zwar bestand Wohnungsmangel allerorten, dass der aber durch solche Maßnahmen behoben werden konnte, daran zweifelte sie.

Ob der Kleine Durst hatte? Sie nahm eine Porzellanschüssel aus einem der Küchenschränke und füllte sie mit lauwarmem Wasser. Erwartungsvoll beobachtete der Terrier sie. Als er jedoch merkte, dass sich nur Wasser in der Schüssel befand, schleckte er zwar höflich ein bisschen davon, hatte aber wohl etwas anderes erwartet. Er schaute sie erneut mit seinen dunkelbraunen Augen an und wedelte langsam mit dem Schwanz.

Rebecca war zwar keine Hundeexpertin, schätzte den Hund aber noch jung ein. Zwei bis drei Jahre alt, vielleicht. Als sie sich nicht rührte, drehte er sich weg. Ihre Wohnung interessierte ihn ohnehin mehr. Im Wohnzimmer war ihm – zum Glück für sie – der Weg in den Garten versperrt. Dort hätte er sich vermutlich gut aus dem Staub machen können. Der Garten war zwar eingezäunt, aber wer weiß, wie sicher der Zaun noch war und wie hoch er springen konnte.

Nachdem er die Terrassentür abgeschnüffelt hatte, wandte er sich dem kleinen Couchtisch und dem Sofa zu. Ein schneller Sprung – schon thronte er auf der Couch. Rebecca musste unwillkürlich lachen. Sie war sich nicht sicher, ob seine Krallen dem Sofaleder gut täten. Aber er war schon weiter in der Wohnung unterwegs. Den Schwanz auf halber Höhe leicht wedelnd, besuchte er nun ihr Arbeitszimmer. Ein wenig aufgeregt zwar, aber er schien niemanden zu vermissen.

Als Nachrichtenchefin in einem großen Verlag hatte sie häufig unkonventionelle Arbeitszeiten – so auch heute. Erst ab dem frühen Nachmittag wurde sie in der Redaktion erwartet. Noch ein paar Stunden Zeit also bis dahin. So sehr sie den Hund mochte, er ließ sie doch etwas unruhig werden. Was, wenn keiner nach dem kleinen Racker suchte? Dann müsste sie wohl im Haus von Tür zu Tür gehen und fragen, ob jemand einen jungen, vorwitzigen Terrier vermisse.

Aus ihrem Schlafzimmer – Schlafzimmer! – riss sie ein leises Knurren aus ihren Gedanken. Sie lief aus dem Wohnzimmer durch den Flur ins Schlafgemach. Der Hund hatte einen ihrer dicken Wollsocken gefunden. Offensichtlich war er ihm feindlich gesonnen. Den Socken zwischen den Zähnen schüttelte der Terrier wild seinen Kopf, als wollte er den Socken-Feind in der Luft zerreißen, und knurrte angsteinflößend. Sobald sie jedoch nach dem Strumpf griff, lief er triumphierend davon, drehte sich um, wartete und lauerte darauf, dass sie es wieder versuchen würde. Konnte sie ihn erhaschen, spielte er Tauziehen mit ihr und dem Strumpf. Den Strumpf konnte sie also abschreiben. Wegnehmen war also zwecklos. Rebecca setzte sich auf ihr Bett und beobachtete ihn bei seinem Spiel. Sie hatte ihn bereits jetzt in ihr Herz geschlossen. Wie gern würde sie ihn behalten! Rebecca seufzte. Leider kam das so gar nicht in Frage. Und nun?

 

Alle Wohnungstüren waren erneuert worden. Sie waren gut gedämmt und schirmten den Geräuse aus dem Treppenhaus weitgehend ab. Deswegen vernahm sie den Pfiff auch kaum. Der Hund dagegen hielt plötzlich inne, hob seinen schlanken, hübschen Kopf, ließ die Socke fallen und galoppierte in Richtung Tür.

Rebecca wusste nicht, ob Hunde galoppieren können, jedenfalls ähnelten Murphys Tempo und Gangart der einem Pferd. Sie folgte ihm völlig überrascht. Erst jetzt hörte auch sie die lauter werdenden Pfiffe. Offensichtlich suchte doch jemand nach dem Hund! Der Terrier jaulte leise, wedelte mit dem Schwanz und sprang an der Tür hoch.

Wenn sie jetzt die Tür öffnete, um nachzusehen, könnte er ihr vielleicht entwischen. Sie bekam ihn zu fassen und bugsierte ihn gegen seinen Willen in ihr Arbeitszimmer. So konnte sie gefahrlos ihre Wohnungstür öffnen, ohne dass ihr der Hund entwischte. Sie verschloss sorgfältig die Tür des Arbeitszimmers, ging durch den Flur zurück, öffnete ihre Wohnungstür und spähte hinaus. “Murphy, Murphyyy!”, hörte sie draußen jemanden rufen. “Wo bist du denn schon wieder?” Dann ein scharfer Pfiff. Sie griff nach ihrem Schlüssel am Garderobenbrett (dass sie in diesem Moment daran dachte!) und ging hinaus.

Was sie sah, verschlug ihr fast den Atem – oder wahlweise hätte sie fast durch die Zähne gepfiffen: Ein unfassbar gut aussehender Typ kam durch das Treppenhaus. Alles an ihm erschien perfekt und teuer: durchtrainiert, groß, schwarze Jeans, hellblaues Hemd, den obersten Knopf geöffnet, die Ärmel lässig hochgekrempelt. Die pechschwarzen Haare erschienen auf der einen Seite länger als auf der anderen, offenbar trug er sonst einen Seitenscheitel. Im Moment fielen ihm einige vorwitzige Strähnen direkt in die Stirn. Unter den schmalen schwarzen Augenbrauen glänzten hellwache grüne Augen, die unablässig alles in sich aufzunehmen schienen. Sein Gesicht war eher schmal, mit hohen Wangenknochen, vollen Lippen und einem etwas kantigen Kinn.

Rebeccas Gefühle fuhren Achterbahn, die ihr Verstand verzweifelt in den Griff zu bekommen suchte. Aus ihren zahlreichen Gesprächen und Interviews als Journalistin kannte Rebecca solche Menschen. In der Regel Männer, die wissen, was sie wollen und es auch durchsetzen. Die ihre Macht, ihren Einfluss und ihr Vermögen nicht verbergen können, egal wie höflich, freundlich oder charmant sie sich nach außen gaben oder wie leger sie sich auch kleideten. Es lag in ihren Bewegungen, ihren Gesten, selbst in ihren Stimmen. Rebecca stand gewissermaßen einem Prototypen dieser Gattung gegenüber.

Offensichtlich war er leicht verärgert, wie seine Stimme verriet. Rebecca schätzte ihn auf Ende Dreißig, höchstens Anfang Vierzig. “Endlich sieht man in diesem Haus mal jemanden”, rief er, als er sie entdeckt hatte, und nahm locker die beiden letzten Stufen Richtung Erdgeschoss. Es war ein Dienstag, ein früher Vormittag. Eine Zeit, zu der viele Hausbewohner auf der Arbeit waren. Er offensichtlich aber nicht. “Haben Sie meinen Hund gesehen? Einmal nicht aufgepasst, schon ist der Racker wieder entwischt.” Zur Bestätigung hielt er die Hand mit der schwarzen Leine leicht hoch. Er lächelte, seine Augen verrieten aber eher Sorge. Rebecca musste sich an sich halten, damit sie ihn nicht anstarrte: Sein Auftreten, seine Stimme, seine Augen nahmen sie gefangen.

Sie schluckte, weil sie sich innerlich zusammenreißen musste, und kam ihm einen Schritt entgegen. “Ich habe ihn nicht nur gesehen, ich weiß, wo er ist”, sagte sie. Froh, dass sich nun doch alles aufklärte. “In meiner Wohnung. Ihr Hund hat die Gelegenheit genutzt, als ich zum Briefkasten ging.” Er musterte sie von oben bis unten – interessiert, offen, ungeniert. Und er wollte, dass sie es bemerkte. Sie blickte ihm möglichst unbeeindruckt direkt in die Augen. Das wäre dann schon mal geklärt, dachte sie. Das Spiel hatte begonnen. Also doch so ein Frauentyp, der sich seiner Wirkung sehr bewusst ist. Und sehr, sehr sicher.

“Murphy ist bei Ihnen? Glück gehabt. Ich hatte befürchtet, er wäre ganz weggelaufen, raus auf die Straße.” Wieder dieses Lächeln. Weiße Zähne. Grüne Augen. Noch nie hatte sie solche grünen Augen und einen solchen stechenden, durchdringenden Blick gesehen. Und noch nie hatte sie eine solche Stimme gehört. Gar nicht mal sehr tief, eher dunkel und rau. Als wenn er heiser wäre, aber dabei viel vibrierender. Sie hinterließ einen kleinen, wohligen Schauer auf Rebeccas Haut. “Kommen Sie bitte mit”, sagte sie und schloss ihre Wohnungstür auf.

Murphy konnte es kaum erwarten, er jaulte aus dem Arbeitszimmer, weil er die Stimme natürlich längst erkannt hatte. Als Rebecca die Tür öffnete, sprang er dem gut aussehenden Fremden vor Freude fast auf den Arm. “Alter Junge, nichts als Ärger mit Dir”, tadelte er den Hund mit gespielter Sorge. Murphy verstand sofort: Er nahm den Tadel überhaupt nicht ernst.

“Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt”, wandte er sich an Rebecca. “Das macht nichts, ich ja auch nicht”, erwiderte sie steif. “Nick Hutton. Ich bin erst kürzlich eingezogen. Oberstes Geschoss.” Er hielt ihr die Hand hin. “Freut mich. Rebecca Hold.” Angenehm warme, trockene Hand, fester Händedruck – was auch sonst – und den sie erwiderte. Seine Augen ließen sie nicht aus dem Blick, Rebecca fühlte sich wie unter einem Mikroskop. Sie standen unschlüssig in ihrem Flur, und er machte keine Anstalten, zu gehen.

“Kaffee?”, dazu rang Rebecca sich schließlich durch, um die Stille zu überbrücken. “Ja, gern.” Wieder ein Lächeln. Sie führte ihn durch den Flur zur Küche. Der Flur war der längste Raum ihrer Wohnung, dunkles Parkett, weiße Wände und Decke, und mehrere Türen zweigten ab. Direkt rechts am Eingang befand sich eine Garderobe, in schwarz gehalten, mit einem kleinen Tisch als Ablage und einer kleinen Leuchte. Strahler sorgten für angenehmes Licht. Eine Tür auf der linken Seite war unverschlossen, es handelte sich um das Schlafzimmer. Murphy kannte sich schon aus und trabte vorneweg.

Nick Hutton folgte ihr. Sie war schmal, kleiner als er, gut 1,70 m groß, schätzte er. Sie bewegte sich sehr geschmeidig, fast ohne Anstrengung. Ihre Hüften schwangen leicht in der Bewegung mit, ohne dabei aufreizend oder gar provozierend zu wirken. Einfach natürlich. Ihre schwarzen Haare, dazu die schwarze Hose und Bluse unterstrichen diesen Eindruck, der sie zugleich sehr elegant wirken ließ. Lediglich ein knallrotes Halstuch wich von diesem Look ab. Es irritierte ihn. Nicht allein der hervorstechenden Farbe wegen, sondern weil es nicht locker um den Hals und auf die Schultern fiel, sondern sehr eng gebunden war. Draußen war zwar erst leichtes Frühjahr, aber es war nicht mehr so kalt, dass man mit dicken Schals aufwarten müsste, fand er.

Die Wohnung schien gut aufgeteilt. Am Ende des Flurs befand sich offenbar ein größerer Raum, vermutlich das Wohnzimmer. Sie bog vorher rechts ab. “Bitte kommen Sie und nehmen Sie Platz.” Die Küche war überraschend groß. Sie verfügte über zwei Türen: die Flurtür, aus der sie beide die Küche betraten, links davon eine weitere zum Wohnzimmer. Gegenüber der Flurtür befanden sich zwei große Fenster, so dass es hier fast immer sehr hell war. Direkt rechts und an der vierten Wand standen Schränke, Backofen, Herd und vermutlich auch ein Kühlschrank. Die Mitte des Raumes nahm ein großer dunkler Tisch mit sechs ebenso dunklen Stühlen ein. Das scheint offensichtlich das Konzept dieser Wohnung zu sein, dachte Nick. Starke Kontraste. Für seinen Geschmack zu viel Kontraste und zu wenig Abwechslung. “Danke”, sagte er, zog einen der Stühle zu sich und setzte sich so, dass er sie sehen konnte. Murphy legte sich zu seinen Füßen.

Natürlich setzte er sich nicht einfach so an einen Tisch, dachte Rebecca. Er ging um den Tisch, die Fenster im Rücken, den Stuhl platzierte er so, dass er die Beine übereinanderschlagen und einen Arm locker auf der Lehne eines zweiten Stuhls ablegen konnte. Reviermarkierung. Immerhin, den Tisch gab er frei. Ein Mann, der sich seiner sehr sicher war, aber auch etwas gelangweilt schien. Sie kam sich beobachtet vor. “Milch? Zucker?”, fragte sie. “Oh, danke nein, schwarz bitte.” Sie nahm aus einem Küchenfach eine große weiße Tasse, stellte sie in den Kaffeeautomaten und startete diesen. Während die Maschine mahlte und brühte, ging sie in ihr Arbeitszimmer und holte ihre eigene Tasse. Mit Löffel und Keks reichte sie ihm den Kaffee, während sie selbst einen Espresso mit Zucker nahm.

Er schaute sie interessiert an. Sie gefiel ihm. Unter dem schwarzen Pony blickten ihn zwei dunkelbraune Augen leicht spöttisch, zugleich auch offen und neugierig an. Das Gesicht war leicht gebräunt, vermutlich zeigten die ersten Sonnenstrahlen bereits ihre Wirkung. Sie musterte ihn nicht, sie versuchte, ihn einzuschätzen. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass er seine Wirkung bei ihr nicht verfehlte. Seinem Blick hielt sie so lange stand, bis er die Augen abwandte. “Seit wann wohnen Sie hier?”, eröffnete sie das Gespräch. “Seit gut acht Wochen, aber es ist noch nicht alles richtig fertig geworden”, erzählte er. Rebecca setzte sich an die Kopfseite des Tisches. Sie beobachtete ihn und drehte den kleinen Löffel gedankenverloren zwischen ihren Fingern. Wie immer, wenn sie konzentriert war.

“Sie mögen Hunde?”, fragte er. Obwohl Murphy ihm schon selbst die Antwort gegeben hatte. Der Hund spürte sofort, ob jemand Angst hatte, ihn ablehnte oder ihm zugetan war. Auf die Frauen, die Nick er bisher kannte, trafen die Punkte eins und zwei zu. “Sehr”, antwortete sie. “Ich hoffe, er hat sich anständig benommen und nichts angefressen? Ich habe ihn nicht richtig gut erzogen, und er ist manchmal etwas wild. Foxterrier eben”, lächelte er entschuldigend. “Nein, nein, alles in Ordnung. Er hatte lediglich in meinen Strümpfen einen Feind entdeckt, den es zu bekämpfen galt. Aber das ist okay”, sagte sie und lachte, als sie an die Szene dachte. Ihr feines Lachen und ihre wachen Augen berührten Nick sehr. “Wenn er etwas kaputt gemacht hat, sagen Sie es mir bitte. Ich ersetze es”, bat er sie. Sie winkte ab. “Alles gut.” Und er glaubte ihr.

“Kennen Sie die anderen Bewohner hier? Ich meine, Sie wohnen doch hier bestimmt schon etwas länger…”. Ja, sie wohnte hier schon länger, aber die meisten kannte sie auch nur vom Sehen oder von einem “Guten Morgen”. “Ich kenne die Leute nicht sehr viel näher. Tagsüber ist es hier meistens sehr ruhig, dann sind fast alle arbeiten”, erzählte sie, während Nick sie über den Rand seiner Kaffeetasse beobachtete. Murphy stand auf, trank etwas, kam zu ihr, stellte sich auf die Hinterbeine und legte ihr die Vorderpfoten auf die Oberschenkel. Er wollte beachtet werden. Sie streichelte ihn

Nick beobachtete die Szene. Als er in die Küche gekommen war, hatte er außerdem schon registriert, dass sie dem Hund eine Wasserschüssel hingestellt hatte. Gute Wahl, Murphy, dachte er anerkennend. “Mach Sitz, Murphy”, sagte er. Der Hund gehorchte, setzte sich, wandte den Blick aber nicht von ihr. “Er soll Leute nicht immer so anspringen.” “Ach, das ist doch gar kein Problem.” Wieso hatte ein solcher Mann einen Hund? Was wollte er damit? Diese Fragen gingen ihr nicht aus dem Kopf.

“Und Sie haben Urlaub?” Die Frage zielte darauf, dass er ebenfalls nicht arbeitete. “Nein, nein”, er schüttelte amüsiert den Kopf. Was war daran so lustig? Ihr Blick traf ihn. Es war unfair, sie konnte es ja nicht wissen. “Ich bin Manager in einer Bank”, das war stark untertrieben. “Heute ist nur alles irgendwie schiefgelaufen. Meine Haushaltshilfe ist krank, deswegen konnte sie nicht auf Murphy aufpassen. Also wollte ich ihn mit zur Arbeit nehmen, dabei ist er mir entwischt. Den Rest kennen Sie.” Während er erzählte, blickte er sie offen an. “Und was ist mit Ihnen?” Small Talk at its best, dachte sie, Austausch von Höflichkeiten. “Ich arbeite als Journalistin in einem Verlag. Deswegen habe ich zuweilen unkonventionelle Arbeitszeiten”, fasste sie kurz zusammen, “so dass ich heute erst ab ungefähr mittags in der Redaktion arbeiten werde.”

Nick schaute sie noch intensiver an. “Welcher Verlag denn? Und worüber schreiben Sie?”, fragte er weiter. Rebecca lächelte. “Morgennews-Verlag. Und ich schreibe in der Hauptsache über Politikthemen”, antwortete sie. “Dann habe ich also schon mal von Ihnen gelesen?”, fragte er interessiert. “Wenn Sie nicht nur den Wirtschaftsteil lesen, vermutlich schon”, antwortete Rebecca vorsichtig. “Ich werde darauf achten. Schön, auch mal die Journalisten hinter den Artikeln kennenzulernen”, erwiderte Nick. “Sie haben also nicht regelmäßig mit den Medien zu tun?”, fragte Rebecca weiter. “Eher selten.” Eine leichte Spannung baute sich auf. Ihre Erfahrung sagte Rebecca, dass ihm das Thema nicht behagte und er es beendet wissen wollte. Sollte sie weiterfragen, würde sie sich auf unsicheres Terrain begeben. Männer wie Nick Hutton waren es gewohnt, Unterhaltungen zu bestimmen. Als Journalistin interessierte sie das nicht sonderlich, denn es war ihr Job, Menschen zum Reden zu bringen und sich nicht von ihrem Äußerem beeindrucken zu lassen. Aber in diesem Fall hielt sie sich zurück, es war schließlich kein berufliches Treffen.

 

Murphy schien ihr als Thema besser geeignet. “Nehmen Sie Murphy öfter mit ins Büro?”, fragte sie stattdessen, um zu zeigen, dass sie seine Unterhaltungsführung verstanden hatte. “So oft wie möglich. Sonst bräuchte ich keinen Hund, wenn ich ihn fast nie sehen würde”, antwortete Nick, nachdem er noch einen Schluck Kaffee getrunken hatte. “Dann scheinen Sie ja einen toleranten Arbeitgeber zu haben”, sagte Rebecca, mit etwas Neid in der Stimme. “Das kann man glücklicherweise so sagen, ja. Meinen Arbeitgeber interessieren die Ergebnisse mehr als die Umstände.” Nick lächelte leicht spöttisch. Offensichtlich wusste Rebecca wirklich nicht, wer er war. Und er ließ sie gern in ihrem Glauben.

“Wenn Ihnen Ihre Haushaltshilfe nochmal absagt, bringen Sie Murphy gern zu mir, falls es bei mir zeitlich passt. Er sorgt für Abwechslung.” Das Angebot war ehrlich gemeint. Das Schmunzeln auch. Nick war einigermaßen überrascht. “Ja, sehr gern. Aber nur, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht.” Er freute sich sehr. Sie war offenbar doch schwieriger einzuschätzen, als er zunächst gedacht hatte. Er war es gewohnt, dass Frauen von ihm beeindruckt waren und er leichtes Spiel hatte. Bei Rebecca war er sich nicht sicher. Bisher war sie eher reserviert gewesen. Aber sie kannten sich ja kaum.

Rebecca erging es ebenso. Sie war überrascht von sich selbst. Warum hatte sie ihm das Angebot gemacht? Was wollte sie mit einem Hund? Oder wollte sie ihn? Ein nerviges Summen riss sie beide aus ihren Gedanken. Ihr Handy. Neue Nachrichten trudelten ein. “Sorry, danach muss ich schauen”, setzte sie an. “Kein Problem. Ist mir bekannt. Ich möchte Sie auch gar nicht länger aufhalten. Danke für den Kaffee und fürs Murphy-Einfangen.” Er erhob sich, Murphy mit ihm. Diese Kombination aus Machtbewusstsein, Lässigkeit und Souveränität hatte sie so noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen.

Er bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Arroganz und Smartness – das allerdings sehr gekonnt. Dieser Faszination konnte sie sich nur schwer entziehen, wie sie sich eingestehen musste. Sie begleitete die beiden bis Tür: “Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Einen schönen Tag noch. Wir werden uns ja bestimmt wiedersehen – wo wir doch Nachbarn sind.” Rebecca zweifelte keine Sekunde daran. Der Satz war leicht gesagt, aber ernst gemeint. “Hat mich auch sehr gefreut.”

Ich kenne diesen Typen, grübelte Rebecca, nachdem die beiden ihre Wohnung wieder verlassen hatten. Sie setzte sich wieder an ihren Laptop im Arbeitszimmer. Eine kurze Anfrage bei Google verriet ihr, dass er nicht nur einfach “Manager in einer Bank” war. Er war Hedgefondsmanager. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten dazu. Kein Wunder, dass er seinen Hund ins Büro mitnehmen durfte – er war der Boss. Über sein wahres Vermögen gab es nur vage Angaben. Einige Auszeichnungen, ein paar Bilanzen seiner Arbeit, bei welchen Events er mit welcher Frau gesehen wurde, ziemlich viele Links zu Klatschportalen und Blogs. Das Übliche eben.

Doch alles in allem schien ihr die Trefferliste recht kurz. Keine Accounts in den einschlägigen Social Networks. Keine wirklichen News. Rebecca hatte ihr Spezialgebiet eher in der Politik. Dort unterhielt jeder Polit-Promi – und vor allem die, die sich dafür hielten – über alle mögliche Auftritte in Social Media. Die Finanzbranche schien ihr dagegen regelrecht verschwiegen. Egal, Rebecca musste sich auf ihre eigene Arbeit konzentrieren. Später, wenn sie etwas Zeit hätte, würde sie die Recherche intensivieren.

In der nächsten Zeit hatte Rebecca tatsächlich einen neuen Freund gewonnen. Nein, eigentlich gleich zwei: Murphy und dessen Haushaltshilfe. Mrs Cox – so ihr Name – war eine ausgesprochen patente, freundliche, warmherzige Frau. Sie war etwa Mitte Fünfzig und schien das Leben von Nick Hutton mehr oder weniger zu organisieren. Auch Murphy stand sie freundlich gegenüber, jedoch schien sie sich nicht so recht für Hunde erwärmen zu können. Deshalb war sie ganz froh, dass es noch jemand anderen gab, der sich zur Not um Murphy kümmern konnte. Bei ihrem ersten Treffen tat sie sich schwer, um Hilfe zu bitten. “Entschuldigen Sie, Ms Hold, mein Name ist Cox. Ich bin die Haushaltshilfe von Mr Hutton. Er hat mir gesagt, dass es ausnahmsweise in Ordnung ist, wenn Sie zwei Stunden auf Murphy aufpassen könnten. Wäre das übermorgen Nachmittag vielleicht möglich?”

Rebecca mochte die Dame auf Anhieb. “Ja, sicher, kein Problem. Bringen Sie mir Murphy einfach vorbei.” “Futter, Spielzeug und Leine auch?” “Das wäre am einfachsten. Möchten Sie kurz hereinkommen?” Mrs Cox lehnte ab, es war ihr schon unangenehm genug, Rebecca überhaupt mit ihrer Bitte belästigt zu haben. Die nächsten Tage verbrachte Rebecca nicht mehr nur mit ihrer Freundin Lou und ihrem Arbeitskollegen David, sondern eben auch mit Murphy. Er wusste beide - Lou und David - sofort für sich einzunehmen. Und Rebeccas Tagesablauf änderte Murphy auch: Er wollte unterhalten werden, im Garten spielen und vor allem spazieren gehen. Als sie eines Nachmittags von einem etwas ausgedehnteren Spaziergang zurückkehrten, wartete Mrs Cox bereits vor ihrer Wohnungstür.

“Oh, Mrs Cox, haben Sie uns gesucht? Warten Sie schon länger? Ich habe die Zeit völlig vergessen”, entschuldigte sich Rebecca, ein bisschen außer Atem. Mehr Bewegung war für sie offenbar dringend angeraten gewesen. “Kommen Sie doch auf einen Kaffee mit”, lud Rebecca die Dame ein. “Hm, gern. Aber nur kurz. Mr Hutton erwartet heute Abend Besuch, dazu muss alles perfekt vorbereitet sein.” Seit ihrem ersten Kennenlernen hatte Rebecca ihn noch ein paar Mal auf ein kurzes Gespräch im Treppenhaus getroffen. Diese Unterhaltungen waren zwar amüsant, aber ebenso unverbindlich geblieben.

Gesehen hatte Rebecca ihn dagegen öfter: Einmal war er mit einer sehr hübschen jungen Frau Richtung Aufzug gegangen. Die beiden hatten viel Gefallen aneinander gefunden, um es so auszudrücken. “Ich schätze mal, Damenbesuch”, gab Rebecca lakonisch zurück, während sie, Mrs Cox und Murphy in die Wohnung bis zur Küche gingen. Sie setzten sich an den großen Esstisch. “Schön haben Sie es hier”, lobte Mrs Cox. “Danke”, erwiderte Rebecca und errötete ob des Lobes leicht. “Na ja, wissen Sie, was soll ich Ihnen jetzt dazu sagen? Frauen mögen ihn einfach”, erzählte Huttons Haushälterin verlegen. Klar, so kann man das auch sagen, dachte Rebecca, alles eine Frage der Perspektive. Vermutlich schleppte er jeden Abend Frauen ab, weil ja keine seinem Charme widerstehen konnte. Aber Mrs Cox war eben vollkommen loyal. Sie plauderten noch etwas, Rebecca erzählte von ihren Spaziergängen mit Murphy, dann musste sich Mrs Cox auch schon wieder verabschieden. Rebecca hatte den Nachmittag dennoch sehr genossen, wie sie sich hinterher eingestehen musste. Durch Murphy war mit einem Mal mehr Leben in ihre Wohnung gekommen. Und in ihr Leben – das gefiel ihr.

“Mann, Dich hat es ja ganz schön erwischt.” Ben schmunzelte. Gerade eben hatte sein Freund Nick ihm von seiner neuen Nachbarin berichtet. Obwohl: Vorgeschwärmt traf es besser. Schon lange hatte Nick nicht mehr so über eine Frau gesprochen wie jetzt über Rebecca. “Aber sonst weißt Du schon recht wenig über sie, oder? Außer, dass sie auch in diesem Haus wohnt. Und dich nachhaltig beeindruckt hat.” Den letzten Satz konnte Ben sich nicht verkneifen. “Sie ist Journalistin. Offenbar eine sehr gute. Dummerweise ausgerechnet bei diesem Morgennews-Verlag.” Ben runzelte die Stirn. “Journalistin. Hältst Du das für eine gute Idee? Ich meine, bei Deiner Vergangenheit …” “Bei meiner Vergangenheit? Was soll das denn heißen? Du tust ja gerade so, als hätte ich Jahre im Knast gesessen.” Nick reagierte auch nach dieser langen Zeit noch sehr gereizt auf die alte Geschichte.

Journalisten des besagten Morgennews-Verlags konnten dem Unternehmen, für das Nick damals arbeitete, unsaubere Praktiken bei der Beratung zur Altersvorsorgeprodukten nachweisen. Nicks Name war damals zwar auch gefallen, irgendwie war es ihm aber gelungen, dass die Journalisten sich auf andere Kollegen konzentriert hatten. Im Detail wusste selbst Ben nicht, wie tief Nick damals in die Geschichte verwickelt gewesen war und wie er sich dann letztlich doch heraushalten konnte. Aber das war einer seiner wunden Punkte. Nein. Es war DER wunde Punkt in seinem Leben, der ihn für immer angreifbar machte. Immerhin: Danach hatte Nick sofort gekündigt und sich als Hedgefondsmanager etabliert. Doch es blieb für Nick nach wie vor ein Spiel, wie weit er die gesetzlichen Rahmenbedingungen austesten konnte. Er ging aber nicht mehr so weit, dass es ihm noch einmal gefährlich werden könnte.