Geschichten aus Oakhill

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Geschichten aus Oakhill
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»Vor alten Eichen sollst du weichen.«

(Alte Weisheit)

Vorwort

Manchmal ist es nicht leicht, Entscheidungen zu treffen, wenn es sich um die Veröffentlichung von Geschichten handelt, die Jahrzehnte in der »Schublade« liegen. Diese Story war einst konzipiert für einen Kurzgeschichtenband namens »Dark Visions«. Dieser fand seinen Weg nie in Läden und ich widmete mich anderen Projekten. Da die Geschichten aber allesamt nicht sonderlich kurz ausfielen, fasste ich letztendlich den Entschluss, dass jede von ihnen es verdient hatte, als eigenständiges Buch zu erscheinen. Geschichten aus Oakhill (es gab nie mehr als diese eine von angedachten mehreren Oakhill-Stories) ist eine davon. Zwei weitere sind bereits erschienen. Christmas Meeting und Brut des Bösen.

Es ist mitunter auch die Erinnerung an jene Zeit, in der diese Geschichten entstanden, die mich bewogen hat, sie in die Welt zu schicken. Kein Internet, keine Handys. Dafür Schnurtelefone, mit Drehscheiben oder – als modernisiertes Highlight – mit Drucktasten. Es gab Telefonzellen. Zu schwer, um mit sich herumzuschleppen. Ständige Erreichbarkeit waren Fremdwörter, Burnouts wurden so erfolgreich vermieden. Es gab keine Emails, whatsapp oder sondersgleichen. Man schrieb Telegramme. (Was wäre in unserer Story wohl geschehen, wenn die Protagonistin dieses Romans auf ein Handy hätte zurückgreifen können?)

Meine Überlegungen, die Storys ganz einfach auf die heutige Zeit »umzuschreiben« habe ich nach wenigen Zeilen aufgegeben. Die Geschichte wollte es nicht, wenn Sie wissen, was ich meine.

Aber möglicherweise genießen Sie diese Zeitreise mit mir zusammen. Und entscheiden SIE ob und WANN (Vergangenheit oder Gegenwart) die Geschichten aus Oakhill eine Fortsetzung erfahren sollten. Nutzen Sie dazu gerne die modernen Medien unserer Zeit.

Willkommen in meiner Welt!

Mein Name ist Mark Savage!

PROLOG

Das kleine Dörfchen Oakhill lag auf der Anhöhe eines Hügels, inmitten der schottischen Highlands. Das Tal unterhalb der Ortschaft durchzog dichtes, kilometerbreites Waldgebiet, soweit das Auge reichte. Ein für Schottland durchaus untypisches Landschaftsbild.

Die Bewohner des nie mehr als dreihundert Seelen zählenden Ortes genossen die Idylle, in der sie lebten. Sie verdingten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Viehzucht und führten ein hartes und entbehrungsreiches Leben. Dennoch wäre keiner von ihnen je auf den Gedanken gekommen von hier fortzuziehen.

All die Jahrhunderte hindurch bewahrte sich die seltsame, fremdenfeindliche Mentalität der Bürger von Oakhill. Trotz all der Schrecken, mit denen die Menschen von Zeit zu Zeit konfrontiert wurden, hielt man zusammen und stellte sich den Gefahren.

Gefahren, die von einer rätselhaften dunklen Kraft ausgingen. Einer Macht, die oft jahrelang schlief, doch dann wieder zu unheilvollen Leben erwachte. Selbst die Ältesten wussten nicht zu berichten, wie lange schon diese Macht Oakhill bedrohte. Nach den Überlieferungen hielt sie sich seit Jahrhunderten im Wald oder im Moor verborgen.

Trotzdem galt es nicht als gefährlich, den Wald oder das Moor zu betreten. Man wusste, wie weit man sich wagen konnte, und kannte jene Gebiete, die zu meiden lebenswichtig waren.

Einige der Älteren behaupteten, alles begann, als der junge Yorkshire vor über dreihundert Jahren vom Wald verschlungen wurde. Doch es gab Berichte, die noch tiefer in die Vergangenheit führten.

Tatsache war, dass immer wieder Menschen verschwanden, die sich zu weit in den Wald verirrten. Es gab Tage, an denen sich die Bewohner in ihre Häuser einschlossen, da es schien als würde das Grauen stündlich durch die Gassen schleichen. Manch junger Bursche verschwand spurlos, da er den Warnungen seiner Eltern keinen Glauben schenkte.

Trotz all dieser geheimnisvollen Geschehnisse dachte niemand daran, seine Heimat zu verlassen. Jeder Einwohner Oakhills war zu sehr an diesen Ort gebunden, er empfand sich als Teil von ihm, als ein lebenswichtiges Segment des Ganzen.

Dennoch sollten in den nächsten Tagen und Wochen der Mut und die Entschlossenheit dieser Menschen auf eine harte Probe gestellt werden, denn das rätselhafte Böse schickte sich an, sein grauenhaftes Wesen zu offenbaren.

Ein mehr als dreihundert Jahre alter Fluch würde den Ausschlag für die kommenden schrecklichen Geschehnisse geben.

1.

Vergangenheit:

August 1694

Es dunkelte bereits, als Will Yorkshire von der Weide nach Hause kam. Er fühlte sich hundemüde und ausgesprochen hungrig. Hinzu kam die Nervosität, die ihn an fast nichts anderes denken ließ als an den morgigen Tag.

Das diesjährige traditionelle Erntefest bedeutete für ihn, den achtzehnjährigen Bauernburschen, der den Hof seines verstorbenen Vaters weiterführte, etwas Besonderes. Er wollte das Mädchen, das er liebte, für sich gewinnen.

Seit er ein kleiner Junge war, verehrte er dieses zauberhafte Geschöpf. Nichts wünschte er sich mehr, dass sie die Frau sein würde, die mit ihm künftig den Hof teilte.

Das Mädchen wohnte nur wenige Schritte von seinem Hof entfernt, und er überlegte sich ernsthaft, ob er nicht heute noch an die Rückseite ihres Fensters schlich, um sie zu fragen. Schließlich kannten sie sich schon von Kindheit an. Sie würde es ihm gewiss nicht übelnehmen.

Morris, sein alter Mischlingshund, begrüßte ihn eifrig, als er den Hof betrat. Will war jedoch zu sehr in Gedanken, um sich so intensiv mit ihm zu beschäftigen, wie er es für gewöhnlich tat. Nachdem ihm seine Mutter ein großes Stück Fleisch briet und einen üppigen Eintopf servierte, wusch sich der Junge ausgiebig.

Eine Stunde später schlich er heimlich, um seiner Mutter keine Rechnung tragen zu müssen, aus dem Haus und lief in westlicher Richtung zum Grundstück der Bradeys.

Vorsichtig pirschte er sich an die Rückseite des Hauses, hielt aber erschrocken inne, als er eine Gestalt an Anns Fenster wahrnahm. Seine Vermutung, dass es sich um einen Einbrecher handeln könnte, bewahrheitete sich zu seinem Leidwesen nicht. Er erkannte Howard McGee, den Sohn von Rob McGee, dem der Hof an der Südseite gehörte.

Zu seinem Entsetzen erkannte er, dass Ann an Howies Hals hing wie eine Klette und ihn mit Küssen bedeckte.

In Will stieg wilde Wut hoch. Dieser dunkelhäutige, wie ein Affe behaarte, grobschlächtige Typ gefiel SEINER Ann. Er glaubte es einfach nicht.

Es kostete ihm einiges an Beherrschung, nicht über den Burschen herzufallen, in der Gewissheit, dass er gegen diesen Hünen keine Chance hatte.

Will bot mit seinem eher schmächtigen Körper einen regelrecht verhungerten Eindruck gegenüber McGee. Dennoch konnte man ihn nicht als hässlich beschimpfen. Seine blonden Haare und sein jungenhaftes Gesicht ließen ihn um einige Jahre jünger scheinen als er tatsächlich war. Zudem besaß er ausdrucksvolle Augen, die schon so manches Mädchen bezauberten. Doch was nutzten ihm andere, wenn sein Herz Ann Bradey gehörte. Diese jedoch vergnügte sich mit diesem entsetzlichen Kerl, den Will noch nie leiden. Er sah, wie er sie aus dem Fenster hob und sie gemeinsam in die Nacht schlichen, den Abhang hinunter, Richtung Wald.

Will, der beileibe nicht abergläubisch war, fand es dennoch leichtsinnig von Howard, mit dem Mädchen um diese Zeit einen solchen Ort aufzusuchen. Manche der alten Geschichten mögen einen Kern Wahrheit enthalten. Man wusste nie, wer oder was sich um diese Zeit dort herumtrieb.

Vorsichtig und leise schlich er Ann und Howie nach. Die Zielstrebigkeit, mit der sich die beiden fortbewegten, ließ vermuten, dass sie sich öfters heimlich trafen. Die Stelle, an der sie schließlich anhielten, kannte Will. Es war eine kleine Lichtung inmitten des Waldes, auf der eine riesige, alte knorrige Eiche stand.

Und genau unter diesem alten Baum ließen sich die beiden Liebenden nieder.

Will vermochte in der Dunkelheit lediglich die Umrisse der beiden Körper zu erkennen. Doch das Stöhnen, das zu ihm drang, bereitete ihm seelische Qualen.

»Howard, bitte, noch nicht. Nicht hier und jetzt, bitte«, vernahm er Anns Stimme.

»Du verlangst viel«, erwiderte McGee. »Niemand sieht uns hier, nur der Wald, und der schweigt, da bin ich mir ganz sicher.«

»Das ist es nicht, Liebling«, antwortete Ann. »Es ist nur … so unheimlich. Dieser Ort … so schön er am Tag ist, so gespenstisch ist er in der Nacht.«

»Kein Gespenst wird dir etwas zuleide tun, wenn ich bei dir bin.«

»Das weiß ich, Howard. Trotzdem möchte ich noch nicht. Wenn du mich liebst dann verstehe mich bitte.«

»Ich liebe dich und akzeptiere es. Es wird Zeit, dass du meine Frau wirst, damit diese Heimlichtuerei endlich ein Ende hat.«

Wills Hoffnung, es würde sich nur um eine kurze Liebelei handeln, brach zusammen. Dieser Schuft gedachte Ann doch tatsächlich zu heiraten. Voller Hass sah er hinüber zu der Eiche, unter der sich die beiden Liebenden tummelten.

Will fuhr zusammen, als sein Blick auf den mächtigen Baumstamm fiel. Es schien, als würde der Baum leben. Will glaubte in dem Dunkel zu erkennen, dass der Baum ihn höhnisch angrinste. Dann verschwand der Eindruck plötzlich und er vernahm erneut Anns Stimme.

»An diesen Ort kommen so gut wie nie Leute. Er wird aus irgendeinem Grunde gemieden. Möglicherweise macht mir auch dieser Aberglaube ein wenig Furcht.«

»Ach, ich gebe nichts auf diese Gerüchte, dass hier irgendwo der Teufel hausen soll.«

 

»Weißt du, was man sich erzählt? Meine Eltern geben nie Antwort, wenn ich sie frage, warum man diesen Ort meiden soll.«

»Nun ja, ich will dir keine Angst einjagen. Eigentlich ist es rechts seltsam was man so erzählt.«

»Erzähl«, forderte ihn Ann auf. »Schließlich bist du ja bei mir und kannst mich in den Arm nehmen, wenn ich Angst bekommen sollte.«

»Da hast du wohl recht«, erwiderte Howard belustigt. »Eigentlich weiß ich auch nicht viel, aber soweit mir bekannt ist, ist es der Baum, der den Leuten hier Furcht einflößt.«

»Der Baum? Unser Baum?«, fragte Ann, und schielte misstrauisch zu der Eiche hinauf.

»Ja. Man erzählt sich, dass dieser Baum einmal oben stand, auf dem Hügel, mitten im Dorf. Viele mussten versucht haben ihn zu fällen, aber keinem gelang es. Die Geschichte erklärt nicht, aus welchem Grund man diesen Baum nicht fällen konnte, aber es musste etwas vorgefallen sein, das die Leute davon abhielt, es weiterhin zu versuchen.

Dann aber kam jener Tag, an dem sich der Himmel pechschwarz färbte und das Böse sich hier niederließ. Am nächsten Morgen stellte man fest, dass der Baum spurlos verschwunden war. Man fand ihn später durch Zufall hier an dieser Stelle wieder. Niemand konnte auch nur erahnen, wie er an diesen Ort gelangen konnte.«

»Komische Geschichte«, meinte Ann schauernd. »Wie kann ein Baum seinen Standort wechseln. Unheimlich, findest du nicht auch?«

»Eher unsinnig«, erwiderte Howard. »Aber einen Vorteil hat dieses Märchen. Wir können uns hier jederzeit treffen, und niemand stört uns. Ist das nicht wunderbar?«

»Stimmt«, lachte Ann. »Eigentlich sollten wir dem Baum dankbar sein. Er hat uns schließlich letztendlich zusammengeführt.«

»Und er wird es sein, unter dem wir uns wieder treffen, morgen, während des Festes.«

»Wir sollen einfach so verschwinden? Was werden die Leute denken?«

»Gar nichts, weil sie nichts bemerken. Außerdem habe ich morgen eine ganz besondere Überraschung für dich, Liebste.«

Will kochte vor Zorn und er bemühte sich nicht, leise zu sein als er mit Tränen in den Augen davonrannte.

In dieser Nacht fand William Yorkshire keinen Schlaf. Der Hass in seinem Herzen brannte zu stark. Hass auf Ann Bradey, Howard McGee und Hass auf diesen verfluchten Baum, der ihn zu verhöhnen schien.

* * *

Die uralte riesenhafte Eiche stand stolz und stark im Dunkel der Nacht. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Jahrhundert für Jahrhundert. Mindestens zehn Mann würden benötigt werden, wollte man den großen Stamm umspannen. Doch niemand kam auf den Gedanken Derartiges zu tun. Selten nur wagte sich ein Mensch in ihre Nähe.

Die alte Eiche lebte.

Doch sie fühlte sich seit einiger Zeit schwach und krank. Es wurde Zeit für eine Symbiose. Einer Symbiose, die sie befähigte, weiterhin zu existieren. Mächtig und ehern, wie all die Generationen zuvor.

Die dunklen Mächte, die hier im stillen hausten, bemächtigten sich vor Hunderten von Jahren des Baumes und belebten ihn auf seltsame Art und Weise. Die Eiche war diesen Mächten dankbar. Sie war nicht dazu verurteilt, ihr ganzes Leben reglos dahinzudämmern wie ihre Artgenossen.

Das Liebespaar, welches sich regelmäßig unter ihren kräftigen Ästen tummelte, schien dem Baum wie geschaffen für sein Vorhaben. Leider gelang es ihm nicht, Kontrolle über ihre Seelen zu erlangen. Ihre Geister standen unter einem starken Bann. Dem Bann der Liebe. Diese Voraussetzungen zwangen den Baum, seine Pläne zurückstellen, um auf eine günstigere Gelegenheit zu warten.

In dieser Nacht jedoch gelang es dem Baum, ein geeignetes Opfer zu finden. Es war ihm ein leichtes gewesen, die Saat in ihm einzupflanzen.

Nun galt es nur noch abzuwarten.

Die Zweige und Äste vibrierten vor Erwartung.

Die Stunde der Symbiose stand bevor.

* * *

»Mein Gott, ist der schön«, rief Ann und sah freudestrahlend auf den Ring, den ihr Howard im Schatten der Eiche überreichte.

»Es ist dein Hochzeitsring. Du musst aber noch warten, bis du ihn tragen darfst.«

»Ich will aber nicht mehr warten«, jauchzte sie, und fiel ihrem Geliebten um den Hals.

Die beiden hatten sich nach Beginn der Dämmerung heimlich vom Treiben des Festes entfernt. Die Stimmung der Dorfbewohner war ausgelassen und fröhlich, was man nicht zuletzt dem selbstgebrauten Gerstensaft des alten Berenger verdankte. Niemand bemerkte ihr Verschwinden, bis auf William Yorkshire, der die beiden heimlich und argwöhnisch den ganzen Tag über beobachtete.

Er erhielt einmal sogar die Möglichkeit mit Ann zu tanzen. Es war ein Fehler, gestand er sich ein, denn dadurch wurde die Wunde noch tiefer. Der Gedanke, dass dieses zauberhafte, bildschöne Mädchen mit den langen schwarzen Haaren und hellblauen Augen nicht ihm gehören sollte, machte den jungen Burschen fast wahnsinnig und rasend vor Eifersucht.

Als er dann mit ansehen musste, wie sie in ihrem weißen Kleid vor Howard stand, ihn anhimmelte und vor Freude aufschrie, als er ihr den Antrag machte, war es aus mit seiner Beherrschung. Er wollte sich auf Howard werfen, um ihn den Schädel einzuschlagen, wollte schreien, toben ...

Doch er tat es nicht.

Er tat es nicht, weil in jenem Moment der Baum wieder zu ihm herüber zu starrte. Zumindest erschien es Will so. Hohn schien aus diesem Blick zu sprechen.

Ich bin es!, flüsterte es in seinem Hirn. Ich bin es, dem die beiden ihre Liebe verdanken. Du kleiner Narr, hast du allen Ernstes geglaubt, sie würde einem Niemand wie Dir ihre Liebe schenken?

Voller Entsetzen griff sich Will an die Stirn.

»Will Yorkshire, du wirst wahnsinnig«, sprach er zu sich selbst. »Jetzt hörst du schon Stimmen, wo keine sind. Dieser verfluchte Baum, er macht mich noch verrückt. Warum?«

Er sprach mit sich selbst, um die Angst zu vertreiben, sowie das Grauen, das sich in seinen Eingeweiden breitzumachen drohte. Er achtete nicht mehr auf die beiden Verliebten, sondern verließ schnellen Fußes diesen Ort.

Aber nicht für lange.

* * *

Mit der Zeit bekam Will heraus, zu welcher Stunde sich die beiden Verliebten trafen, und jedes Mal saß er in einer Hecke und belauschte sie. Der Baum schien ihn selbst bei Tageslicht zu verhöhnen, doch Will versuchte, sich dieses Gefühls zu erwehren.

Dann, am Nachmittag des achtzehnten August, es war ein Sonntag, folgte er den beiden nach der Kirche erneut zu ihrem Treffpunkt. Immer wieder sah er hasserfüllt zu der Eiche, die es zuließ, dass das Mädchen seines Herzens unter ihrem Schatten mit diesem Howard Zärtlichkeiten austauschte.

»Howard, es ist so ein herrlicher Tag. Ich freue mich so auf die Hochzeit. Hast du es deinem Vater schon gesagt?«

»Nein, das hat noch Zeit. Du weißt, wie sich der alte Herr immer aufregt, wenn er den Namen Bradey hört.«

»Als ob wir etwas dafür könnten, wenn unsere Väter sich ständig in den Haaren liegen müssen.«

»Soll ich dir einmal zeigen, was ich von einer Bradey halte?«

»Nur zu.«

Wieder musste Will mit ansehen, wie sich die beiden küssten. Seine Augen wurden groß, als Howards große Hand Anns Busen massierte und sie keine Anstalten machte sich dagegen zu wehren. Sein Magen rebellierte, da daraufhin Anns Finger unter McGees Kilt glitten.

Voller Hass sah er zu, wie sein Widersacher Ann Bradey entjungferte. Will begann zu weinen wie ein kleines Kind, und durch den Schleier seiner Tränen sah er den höhnisch lachenden Baum.

Hast du es gesehen, Junge?, flüsterte die Stimme in seinem Kopf. Das war mein Werk. Ich habe sie dir genommen und Howard als Geschenk gegeben. Es ist alles mein Werk, du dummer Narr.

»Wenn es dein Werk ist, Baum, dann werde ich dafür sorgen, dass es aufhört.«

Während er voller Hass diese Worte sprach, und sich dabei nicht wunderte, dass sie einem Baum galten, erkannte er die Lösung. Plötzlich war er bereit an die Geschichten der Alten zu glauben, die von einer bösen Macht erzählten, die in Oakhill umging.

Die Eiche war böse. Sie lebte und machte Ann gegenüber diesem Schlächtertypen zu einem gefügigen Wesen. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, seinen Kontrahenten aus dem Feld zu schlagen und Ann für sich zu gewinnen. Erregt und voller Eile verließ er sein Versteck und ließ die beiden nackten Leiber, die sich unter der verhassten Eiche wälzten, hinter sich.

Er gab seinem Hund einen Tritt, als dieser ihn begrüßen wollte. Jaulend zog sich der Ärmste in die Hütte zurück, während er ängstlich seinen Herrn beobachtete, der es eilig hatte in die Scheune zu gelangen. Einige Atemzüge später trat er wieder heraus. In seinen Händen hielt er eine große Axt. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er wieder in Richtung Wald davonging.

Morris wimmerte leise vor sich hin. Er spürte, dass sich eine unheilvolle Veränderung an dem jungen Mann vollzog. Als Will mit erhobener Axt in den Büschen verschwand, verriet ihm sein tierischer Instinkt, dass er seinen Herrn wiedersehen würde.

Morris trat vor die Hütte und begann zu heulen.

Ein Zeichen seiner Trauer.

* * *

Ann und Howard waren bereits verschwunden, als Will mit der Axt eintraf. Dies mochte mitunter ein glücklicher Umstand gewesen sein, da sich der junge Mann in einer Verfassung befand, die ihn unberechenbar werden ließ.

Will ließ seinen Blick über die Eiche wandern. Er musste den Kopf tief in den Nacken legen, um den Baum in dessen ganzen Höhe zu erfassen.

»Verfluchter Baum!«, schrie er. »Du bist schuld, dass ich seit Wochen keinen Schlaf mehr finde. Ich weiß nicht, was du mit mir gemacht hast, ob du nicht nur Ann, sondern auch mich verhext hast. Aber eines weiß ich sicher. Dass ich deinem Dasein endgültig ein Ende bereiten werde.

Du bist schon zu lange auf dieser Welt, und der Teufel weiß, wie viel Elend du in dieser Zeit über die Menschen Oakhills gebracht hast. Damit ist jetzt Schluss. Wenn du bald nicht mehr bist als ein totes Stück Holz, dann wird Ann mir gehören, das weiß ich jetzt.«

Kraftvoll holte Will mit der Axt aus.

»Stirb, du verfluchter Baum!«, rief er laut.

Dann schlug er zu.

Tief bohrte sich die scharfe Schneide der Axt in die widerstandsfähige Rinde der Eiche. Es kostete Will nach jedem Schlag einiges an Kraft, sie herauszuziehen.

Wie ein Berserker schlug er immer wieder auf den Baum ein. Jeden seiner Hiebe begleitete ein heißer Schrei. Er schien wie besessen, und er würde nicht eher Ruhe finden, bis er den Baum gefällt hatte, egal wie viel Kraft und Zeit es ihm abverlangte.

Er schlug erneut mit ganzer Kraft zu. Immer wieder und immer wieder.

Platsch.

Eine dunkle Flüssigkeit spritzte aus der Rinde hervor und direkt in Wills Gesicht. Vor Schreck hielt er inne und fuhr sich mit der Hand über beide Gesichtshälften. Er stöhnte auf, da er erkannte, dass es Blut war, das sich an seinen Händen befand.

Echtes Blut.

Es wirkte so rot und echt wie das eines Menschen.

Sein Blick streifte die Axt, an deren Schneide der Lebenssaft herabrann, ebenso wie aus der gebrochenen Rinde des Baumes.

William Yorkshire lachte irre auf.

»Habe ich doch gleich gewusst, dass mit dir was nicht stimmt, du verfluchtes Stück Brennholz. Du blutest, also kann ich dich auch töten.«

In wilder Zerstörungswut schlug er immer heftiger auf den Baum ein. Dabei achtete er nicht mehr auf das Blut, das ihm entgegen spritzte und ihn zusehends in ein Abbild des Grauens verwandelte.

Der nächste Schlag durchbrach vollständig die schützende Rinde, und zu Wills Erstaunen bildete sich urplötzlich und mit lautem Schmatzen ein mannshohes Loch. Durch seinen eigenen Schwung riss es den Bauern direkt auf die Öffnung zu, so dass er regelrecht hineinfiel. Völlige Dunkelheit umgab ihn, und er versuchte sich stöhnend aufzurichten. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn, da er glaubte, dem Baum einen vernichtenden Schlag verpasst zu haben.

Da griff das Grauen nach seinem Herzen.

Er spürte einen Sog, intensiv und mächtig. Etwas zog ihn tiefer in dieses Loch hinein, und Will versuchte sich mit aller Kraft dagegenzustemmen.

Sinnlos.

Ein Reh, das verwundert dem Geschehen zusah, blickte verständnislos auf das Paar menschlicher Beine, das mit gewaltigem Ruck in der gähnenden Schwärze des Loches verschwand. Innerhalb von Sekunden schloss sich das Loch. Schützende, dicke Rinde bildete sich um den verletzten Stamm, der mehr und mehr gesundete.

 

Das Reh graste weiter. Es besaß nicht den Verstand, sich über diese merkwürdigen Vorfälle zu wundern.

Der Baum jedoch spürte das wohltuende, menschliche Fleisch, welches sich in einer einzigartigen Symbiose mit ihm verband. Die Schwäche verschwand zusehend aus seinen Ästen und Zweigen. Es raschelte geheimnisvoll im Blätterdach des riesigen Baumes.

Er hatte sein Opfer gefunden. Es hieß William Yorkshire.

* * *

Das Verschwinden des jungen Yorkshire löste allgemeine Bestürzung aus. Wochenlang suchte man nach dem Verschollenen, ohne eine Spur zu entdecken.

Als sämtliche Bürger im Wirtshaus versammelt waren, um ihr weiteres Vorgehen zu beratschlagen, betrat überraschend die alte Maud die Stube. Niemand wusste, wie alt dieses kleine runzlige Weiblein eigentlich war, es wurde gemunkelt, sie hätte die Hundert bereits überschritten. Und jeder, der sie zum ersten Mal sah, glaubte dies aufs Wort.

»Verschwinde hier, Hexe!«, rief Tom Holden, der stämmige Wirt des Gasthauses. »Du bist hier nicht erwünscht. Niemand hier ist erpicht darauf, deine Schauergeschichten zu hören.«

Die Alte grinste nur hämisch.

»Weil ihr wisst, dass die alte Maud die Wahrheit spricht«, erwiderte sie mit krächzender Stimme. Der fast zahnlose Mund wirkte ausgesprochen hässlich in dem runzligen Gesicht.

»Das Böse hat den jungen Yorkshire geholt, ihr wisst es so gut wie ich. All eure Mühen waren umsonst, ihr werdet ihn nie finden.«

»Vielleicht bist du es, der uns den Teufel ins Dorf geholt hat, alte Hexe«, rief ihr Winkleham, der Dorfschmied zu.

»Möglicherweise wäre Oakhill von seinem Fluch befreit, wenn wir die Hexe verbrennen würden«, schrie John Dempsey, der Bäcker dazwischen.

Die Alte zog eine grässliche Fratze.

»Ist das alles, was ihr könnt, ihr Waschweiber? Einer alten Frau Angst einjagen? Durchaus möglich, dass ich mich mit Magie und Zauberei beschäftige, aber als Christin stehe ich auf Seite des Guten. Wenn wir etwas für William Yorkshires Seele tun können, dann nur, indem wir das Böse herausfordern, es aus seinem Versteck hervorlocken und besiegen.«

»Wenn es wirklich der Teufel ist, der Oakhill in seinen Klauen hat«, erwiderte der alte Farham, »wie könnten wir gegen ihn ankämpfen? Wir wären alle verloren.«

»Es ist nicht der Teufel«, erwiderte Maud. »Ich weiß nicht genau was es ist, aber es nicht der Teufel.«

»Verschwinde endlich, wir haben genug von deinen Märchen«, drohte Winkleham.

»Beruhige dich, Sam«, besänftigte Dempsey. »Die Alte hat recht, das wissen wir alle. Ihr kennt die Geschichten, die uns schon unsere Großeltern erzählten. Auf Oakhill liegt ein Fluch. Nur halte ich es für besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen, denn es liegt nicht in unserer Macht, uns mit diesen Kräften zu messen. Wenn du das Böse austreiben willst, dann musst du es allein tun, Hexe.«

»Feiglinge«, zischte Maud abstoßend. »Ihr wollt Männer sein und habt nicht mal den Mut eure Familien zu beschützen.«

»Du irrst«, erwiderte Dempsey. »Eben aus diesem Grund werden wir nicht da rausgehen, mit der Gewissheit, nicht wiederzukehren.«

»Wir verstehen uns nicht auf Zauberei«, rief der Wirt. »Du bist doch die Dorfhexe. Man erzählt sich die verrücktesten Sachen über dein Treiben in der alten Hütte.«

»Das sind Schauermärchen«, krächzte Maud. »Ich bin lediglich eine alte Frau, die ihr Leben dem Kampf gegen das Böse widmet. Doch ich bin zu schwach, mein ganzes Streben war umsonst. Die Macht, die hier am Werke ist, ist um vieles stärker. Womöglich wird sie mich holen, noch bevor ich friedlich aus dieser Welt entschlafe.«

»Wenn du uns nicht helfen kannst, dann verschwinde endlich«, fuhr sie Winkleham an, worauf die Alte sich umdrehte und ohne ein Wort verschwand.

Die Männer sahen ihr stumm hinterher.

Sie hielten die Alte nach wie vor für verrückt, und manch einer würde sie lieber heute als morgen auf dem Scheiterhaufen sehen.

Doch ihre Worte, das wussten sie, entsprachen der Wahrheit.

Etwas Unheilvolles bedrohte ihr Dorf, und dies schon seit Hunderten von Jahren.

* * *

Howard McGee und Ann Bradey traf das Verschwinden des Bauernsohnes inmitten der Hochzeitsvorbereitungen. Ann, die sich seit ihrer Jugend gut mit Will verstanden hatte, schockierte das Ereignis zutiefst.

Howard, der mit Yorkshire nicht gerade auf gutem Fuße stand, beteiligte sich dennoch an der Suche. Niemand sprach davon, dass der Wald, oder was darin hauste, den jungen Bauern geholt habe. Doch die Ausstrahlung des Unheimlichen spürten sie alle. Man suchte wochenlang nach ihm, durchstöberte das Moor mit langen Stangen, und achtete stets darauf, dass man bei seiner Gruppe blieb.

Irgendwann beruhigten sich die Menschen wieder. Man munkelte, der junge Yorkshire sei in einem Anfall von Trunkenheit ins Moor geraten.

Als es nur zwei Tage hin waren, bis der junge McGee seine Braut zum Altare führen würde, besaß man endlich neuen Gesprächsstoff. Die Gemüter beruhigten sich langsam.

In der Nacht vor der Hochzeit trafen sich die beiden Verlobten wieder einmal unter der alten Eiche. Sie hatten wenig Gelegenheit dazu in den letzten Wochen, davon abgesehen, dass sie es aus einer ungewissen Angst heraus nie wagten, diese einsame Lichtung zu betreten.

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