Das Gift an Amors Pfeil

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Alte Weisheiten
Der Taoismus

In diesen Weisheitssegmenten zwischen den Kapiteln schauen wir uns verschiedene Texte und Traditionen an, in denen Einsichten wiedergegeben werden, wie der Geschlechtsverkehr auf eine tiefere Vereinigung der Partner ausgerichtet werden kann, anstatt der Fortpflanzung zu dienen. Die Auszüge sind vor allem interessant, weil es sie überhaupt gibt – nicht weil sie irgendein Mainstream-Dogma verkünden. Wer hätte gedacht, dass es so viel überliefertes Wissen zum Potential gibt, das in intimen Beziehungen versteckt liegt?

Einer meiner liebsten Berichte zum Thema bindungsstärkender Sexualität ist in einer kaum bekannten Sammlung von Lehren enthalten, die von dem taoistischen Meister Laotse aus China mündlich weitergegeben worden sein sollen. Im Hua-Hu Ching 22 warnt Laotse:

„Obwohl die meisten Menschen ihr gesamtes Leben damit verbringen, ihrem biologischen Impuls zu folgen, ist dies nur ein winziger Teil unseres Wesens. Wenn wir von Samen und Eiern besessen bleiben, sind wir zwar mit dem fruchtbaren Tal der Fortpflanzung der Mysteriösen Mutter verbunden, doch nicht mit ihrem unermesslichen Herzen und allwissenden Geist.23

Und:

Wenn wir uns mit ihrem Herzen und Geist vereinigen wollen, müssen wir Yin und Yang in uns selbst integrieren und ihr Feuer nach oben lenken. Dann haben wir die Macht, mit dem gesamten Wesen der Mysteriösen Mutter zu verschmelzen. Das bedeutet wahre Evolution.24

Er erläutert weiter:

Die erste Integration von Yin und Yang ist die Verbindung des Samens mit dem Ei im Leib. Die zweite Integration von Yin und Yang ist die sexuelle Verbindung des reifen Mannes mit der reifen Frau. Beide haben mit Fleisch und Blut zu tun, und alles, was in diesem Reich empfangen wird, muss sich eines Tages wieder auflösen und vergehen.25

Bis dahin ist es uns noch vertraut, doch dann sagt Laotse, dass uns eine ganz andere Erfahrung durch Vereinigung offen steht.

„Erst die dritte Integration bringt etwas Unsterbliches hervor … Das neue Leben, das von dieser letzten Integration erschaffen wird, ist sich seiner selbst bewusst, doch ohne Ego, es ist fähig, in einem Körper zu leben, doch ohne anzuhaften, und wird von Weisheit anstatt von Emotionen geleitet. Es ist vollständig und tugendhaft und kann niemals sterben.“ 26

Laotse weist darauf hin, dass diese mystische Einheit zwischen Yin und Yang durch den Geschlechtsverkehr erlangt werden kann.

„Weil immer höhere Vereinigungen von Yin und Yang für die Empfängnis immer höheren Lebens notwendig sind, können einige Lernende in der Kunst der zweifachen Kultivierung unterwiesen werden, in der Yin und Yang unmittelbar in das Tai Chi [die disziplinierte Übung] des Geschlechtsverkehrs integriert werden … Wenn wahre Tugend und wahre Meisterschaft zusammen kommen, … kann die Übung zu einem tiefen Gleichgewicht der groben und feinen Energien des Lernenden führen [andernfalls kann sie eine destruktive Wirkung haben].27

Und in der Tat:

Das Ergebnis davon ist eine verbesserte Gesundheit, ausgeglichene Emotionen, das Ende von drängenden Impulsen und starkem Verlangen und, auf der höchsten Ebene, die transzendente Integration des gesamten Energiekörpers.“ 28

Mein Mann und ich profitieren bereits von einigen der von Laotse genannten Vorteile, die das Ergebnis von häufigem, liebevollem Geschlechtsverkehr sind, ohne dass dabei die Überstimulierung durch sexuelle Übersättigung herbeigeführt wird. Wir haben definitive Verbesserungen in unserer Gesundheit, ein größeres emotionales Gleichgewicht und abnehmendes Verlangen in verschiedenen Bereichen festgestellt.

Hier sind noch zwei weitere Sektionen aus dem Hua-Hu Ching, die weitere Hinweise liefern.

Sektion 69

„Der Zugang eines Menschen zur Sexualität ist ein Zeichen für seine Entwicklungsebene. Wenig entwickelte Menschen praktizieren gewöhnlichen Geschlechtsverkehr. Sie überbetonen die Sexualorgane und vernachlässigen dabei die anderen Organe und Systeme des Körpers. Die gesamte angesammelte physische Energie wird auf einen Schlag entladen, und auch die subtilen Energien werden gleichermaßen vergeudet und zerstreut. Es ist ein großer Rückschritt.

Für diejenigen, die nach den höheren Regionen des Lebens streben, gibt es die engelsgleiche zweifache Kultivierung. Weil jeder Teil des Körpers, des Verstandes und des Geistes sich nach der Integration von Yin und Yang sehnt, wird der engelsgleiche Geschlechtsverkehr mehr von dem Geist und weniger von den Geschlechtsorganen gelenkt.

Während gewöhnlicher Geschlechtsverkehr anstrengend ist, ist engelsgleiche Kultivierung ruhig, entspannt und natürlich. Wo gewöhnlicher Geschlechtsverkehr nur die Geschlechtsorgane miteinander verbindet, verbindet engelsgleiche Kultivierung Geist mit Geist, Verstand mit Verstand und jede Zelle des einen Körpers mit jeder Zelle des anderen Körpers. Der Höhepunkt liegt nicht in der Auflösung, sondern in der Integration [„nicht in der Trennung, sondern in der Verschmelzung“?] und ist eine Gelegenheit für einen Mann und eine Frau, einander zu transformieren und in das Reich von Glückseligkeit und Ganzheit zu erheben.“

Sektion 70

„Die Fesseln der Leidenschaft und des Begehrens weben ein festes Netz um uns … Die Falle der Dualität ist hartnäckig. Gebunden, starr und gefangen kann man keine Befreiung erlangen.

Durch zweifache Kultivierung ist es möglich, das Netz zu entwirren, die Starrheit aufzuweichen und die Falle zu öffnen. Indem wir unsere Yin-Energie in der Quelle des universellen Lebens aufgehen lassen und aus der gleichen Quelle die Yang-Energie beziehen, lassen wir die Individualität hinter uns, und unser Leben wird rein und natürlich. Frei von Ego, leben wir natürlich, arbeiten rechtschaffen, werden von unerschöpflicher Vitalität erfüllt und sind für immer vom Zyklus der Geburt und des Todes befreit.

Wir müssen eines verstehen: Spirituelle Freiheit und Einheit mit dem Tao (Dao) sind keine zufälligen Geschenke, sondern der Lohn für die bewusste Wandlung und Entwicklung des Selbst.“

Andere alte taoistische Sexhandbücher, wie z. B. Secrets of the Jade ­Chamber und The Dangers and Benefits of Intercourse with Women widmen sich auch dem Phänomen, dass Mann und Frau gemeinsam durch die Bewahrung ihrer sexuellen Energien Unsterblichkeit erlangen können. In Dangers and Benefits heißt es, dass dies durch eine Kombination von tiefem Eindringen, niedriger Erregung und Visualisierung der Energie, wie sie sich durch den Körper bewegt, geschieht.29 In True Transmission of the Golden Elixir wird es als eine Parthenogenese beschrieben, „die den heiligen Fötus bildet“, abhängig davon, wie gut man seine eigene Lebensenergie zu konservieren versteht. In Exposition of Cultivating the True Essence wird erklärt, dass diese sexuelle Alchemie nur möglich ist, wenn die instabile männliche Sexualenergie (1) erweckt wird, ohne „sich zu ergießen“, (2) die stabilere Yin-Energie willkommen heißt und (3) sich mit ihr verbindet.30

Das hochgesteckte Ziel der spirituellen Vereinigung zwischen gleichwertigen Partnern wurde in späteren taoistischen Schriften unterwandert – zunächst durch Pläne, die Sexualenergie des gegengeschlechtlichen Partners zu „stehlen“, und in jüngerer Zeit durch Techniken, wie Männer und Frauen sich selbst und dem Partner zu multiplen Orgasmen verhelfen können. Kurz gesagt, selbst die Taoisten konnten dem Drängen des unbewussten Paarungsprogramms im Menschen nicht immer widerstehen – vielleicht, weil sie die Geschenke des tiefen emotionalen Bandes zwischen den Partnern aus den Augen verloren. Und doch bin ich den Chinesen sehr dankbar dafür, dass sie einige der ältesten Schriften zum kontrollierten Geschlechtsverkehr bewahrt haben. Diese Schriften haben meine eigene Erfahrung auf überraschende Art und Weise bestätigt.

Die chinesische Legende erzählt von einem goldenen Zeitalter, in dem alle Menschen in Harmonie mit der Natur lebten und ihren Samen so natürlich in etwas Höheres verwandelten, wie wir es zu atmen verstehen.

Mantak Chia, taoistischer Lehrer

Der Wissenschaftler Douglas Wile, der zahlreiche frühe chinesische Texte über Sexualität übersetzt und analysiert hat, bemerkte, dass „für die Christen Sex zur Fortpflanzung dient; für die Chinesen hingegen der Orgasmus zur Fortpflanzung dient, der Sex jedoch dem Vergnügen, der Therapie und Erlösung.“31 Wie wir im nächsten Weisheitssegment sehen werden, ist es möglich, dass auch die frühen Christen lehrten, dass Sexualität der Erlösung dient.

Kapitel 2
Elefanten im Wohnzimmer

Indem wir sexuelle Übersättigung vermeiden, können wir intime Beziehungen dazu benutzen, häufiger Gefühle von Optimismus und Fülle in uns zu wecken.

Ein Orgasmus kann Stimmungswechsel und Veränderungen unserer Wahrnehmung bewirken, die für ungefähr zwei Wochen anhalten.

Diese Veränderungen betreffen beide Geschlechter und sie werden auch durch Masturbation hervorgerufen.

Haben Sie sich jemals in jemanden verliebt, dem es genauso ging? Was für eine Erfahrung! Auf einmal ergibt die Welt einen Sinn. Wir stehen unter erhöhter Spannung und fließen über voll inspirierter Ideen. Das Leben nimmt einen rosigen Glanz an, und die Flügel und der Heiligenschein unseres Geliebten sind klar zu erkennen. Und doch, wenn alles seinen normalen Gang geht, werden wir bald schon auf diesen kurzen Intervall erhöhten Bewusstseins als die Flitterwochen zurückblicken und ihn als eine Prise Feenstaub betrachten, der uns eine kurze Romanze beschert hat.

 

In Wirklichkeit geschieht etwas sehr Reales, biologisch und vielleicht auch energetisch. Es belebt uns tatsächlich, weitet unsere Wahrnehmung und verändert unsere Körperchemie. Wenn wir verschiedenen spirituellen Traditionen rund um den Erdball Glauben schenken, dann ist die Verbindung zwischen Liebenden nichts Geringeres als ein möglicher Pfad zur Erleuchtung. Die meisten von uns kommen jedoch nicht einmal in die Nähe des Penthouses spiritueller Erkenntnis. Wir steigen stattdessen irgendwo im dritten Stock aus und begeben uns auf den gewohnten Abstieg ins vertraute Erdgeschoss, häufig gefolgt von einem Sturzflug in den Keller. Dies geschieht, weil der körperliche Teil unseres Seins von einem biologischen Autopiloten gesteuert wird und wir angenommen haben, sein Wille sei der unsere.

Mein Lernprozess über das heilende Potential in Beziehungen begann genau mit einem solchen Absturz. Jahre zuvor hatte mir meine Schwester, die es leid geworden war, die ständigen Katastrophen in meinem Liebesleben mit anzusehen, mir ein Buch geschenkt, das so ähnlich hieß wie „Wie heirate ich meinen Traummann?“ Ich hatte schon jeden Rat, der uns zur Rettung von Beziehungen zur Verfügung steht, erfolglos ausprobiert und dachte demzufolge, warum nicht? Der Autor gab mir den dringenden Rat, eine Liste mit einer genauen Beschreibung meines Idealpartners zu erstellen. Und das tat ich.

Natürlich erschien er auch innerhalb des nächsten Jahres. Und nicht nur das. Einige Monate bevor Paul und ich uns trafen, war er auf einer Party gewesen, deren Gastgeber eine medial begabte Frau als Party-Gag engagiert hatte. Diese Frau sagte Paul, dass er mich zu einem bestimmten Zeitpunkt treffen würde, und nannte ihm mein Alter, meinen Beruf, das Element meines astrologischen Tierkreiszeichens und noch ein paar andere erstaunlich korrekte Dinge. Wir begegneten uns auf einer Konferenz in New York, zwei Tage vor dem genannten Datum. Es fühlte sich an wie eine Fügung des Himmels. Jedoch kurz nachdem konventioneller Sex ins Spiel kam, zerbrach die Beziehung. Und jedes Mal, wenn wir es wieder versuchten, geschah dasselbe.

Zu der Zeit stellte ich noch keine Verbindung her zwischen der Jagd nach dem Orgasmus und der immer wiederkehrenden Spannung zwischen uns. Es fühlte sich einfach nur an, als hätte ein Blitz aus heiterem Himmel gerade mal wieder eine meiner kostbaren Verbindungen in Schutt und Asche verwandelt. Es war qualvoll zu beobachten, wie eine Beziehung mit jemandem, mit dem ich eine so tiefe und scheinbar schicksalhafte Verbindung erfahren hatte, zerbrach, trotz aller Bemühungen sie zu retten.

„Sei vorsichtig, worum du bittest … Es könnte dir gewährt werden“

Obwohl ich eine rationale Frau aus der Geschäftswelt war, hatte ich kurz zuvor damit begonnen, mit dem Konzept zu experimentieren, dass inspirierte Erkenntnis jedem Menschen gewährt wird, wenn er darum bittet. Ich dachte mir, dass eine gute Art sei, mir zu beweisen, dass meine Idee Unsinn ist, wenn ich es einfach eine Weile ausprobierte. Außerdem waren die Ergebnisse, die ich mit Hilfe von rationalen Strategien in meinem Liebesleben erzielte, entmutigend. Also konzentrierte ich mich auf die Frage: „Warum zerbrechen meine Beziehungen?“ Fast unmittelbar darauf kam die Antwort – auch wenn sie sich nur als ein Strang in einem größeren Geflecht herausstellte, aus dem sich zuletzt dieses Buch entwickelte.

Noch in der gleichen Woche lief mir mein erstes taoistisches Handbuch zur körperlichen Liebe über den Weg.32. Es empfahl eine andere Methode des Liebens. Anstatt auf den Höhepunkt zuzueilen, entscheiden sich die Liebenden für einen wellenartigen Zugang, mit der Betonung auf tiefer Entspannung zwischen Perioden zärtlicher Vereinigung. In dem Moment, in dem ich die Beschreibung las, wusste ich, was ich immer in intimen Beziehungen gesucht hatte:

„Es ist eine sehr machtvolle Erfahrung, die ich in jeder Zelle fühle, in jedem Teil meines Seins, als ein exquisites, ekstatisches Verschmelzen. Das Gefühl der Verbindung mit meinem Partner ist ungeheuer tief. Ich teile mein ganzes Sein mit ihm und er seins mit mir, als ein Fluss, der keine Grenzen kennt … Ich staune ehrfürchtig über die immense Kraft, die in Mann und Frau ruht … Da ist ein Gefühl, alle Zeit dieser Welt zu haben, in der Ewigkeit zu weilen und immer noch mehr Energie zur Verfügung zu haben.“ 33

Doch es gab ein winziges Hindernis. Um zu dieser Erfahrung zu gelangen, musste man den konventionellen Orgasmus hinter sich lassen. Leider ging Pauls wilde und verrückte Seite nicht über gelegentliche seltsame Begegnungen auf Partys hinaus, und er hatte definitiv kein Interesse daran, unkonventionellen Sex zu erkunden. Kurz darauf ging ich nach Europa. Schon wieder wurden meine Pläne durchkreuzt.

In meiner nächsten Inkarnation möchte ich mein Leben rückwärts leben. Man beginnt mit dem Tod und hat das schon mal hinter sich. Dann erwacht man in einem Altersheim, und es geht einem von Tag zu Tag besser. Man wird schließlich dort rausgeworfen, weil man zu gesund ist, man bekommt seine Pension, und wenn man dann anfängt zu arbeiten, bekommt man eine goldene Armbanduhr geschenkt und direkt eine Party zur Begrüßung. Dann arbeitet man vierzig Jahre lang, bis man jung genug ist, sich zurückzuziehen. Man geht auf Partys, trinkt Alkohol und schläft sich durch diverse Betten, bis man reif für die höhere Schule ist. Danach besucht man die Grundschule, wird ein Kind und spielt. Man hat keine Verantwortung und wird zum Baby, bis man geboren wird. Die letzten neun Monate verbringt man dann, indem man unter luxuriösen, kurortsähnlichen Umständen in warmem Wasser liegt, mit Zentralheizung und Zimmerservice auf Knopfdruck, von Tag zu Tag mehr Platz hat und schließlich … Voilà! Endet man als Orgasmus! Noch Fragen?

Woody Allen

Das Buch zum Taoismus landete wieder im Regal, doch innerhalb der nächsten zwei Jahre nahm mein Leben eine radikale Wendung. Ich lehnte eine Beförderung zum Hauptsitz meiner Firma ab, um mich weiter meinen spirituellen Studien zu widmen. Das überraschte vor allem die, die mich gut kannten, denn ich war wohl kaum eine Kandidatin für einen asketischen Lebensstil. Außerdem war ich seit meinem zwölften Lebensjahr eine Erz-Atheistin – damals hatte ich etwas über Sklavenschiffe und Konzentrationslager gelernt und entschieden, dass kein Gott jemals erlauben könne, dass so etwas geschieht.

Ich hatte jedoch ein paar Jahre zuvor durch eine unerwartete Konstellation der Umstände ein Seminar besucht, den „Silva Mind Control-Kurs“. Es war mein erster Kontakt mit der Vorstellung, dass unsere Gedanken, Überzeugungen und Erwartungen unsere Erfahrung prägen, ein Konzept, das ich sehr schnell als Quatsch abtat. Um es mir selbst zu beweisen, versuchte ich ziemlich halbherzig eine Technik der Entspannungsaffirmation, und war regelrecht verärgert, als es funktionierte. Der Stresskopfschmerz, der mich seit Jahren geplagt hatte, hörte einfach auf. Es ärgerte mich, doch ich kaufte trotzdem ein Buch über kreative Visualisierung – und meine Einstellung verschob sich allmählich von Zynismus zu Optimismus, so wie ich produktiver und glücklicher wurde. Meine Beziehungen wurden liebevoller, blieben jedoch gleichbleibend zerbrechlich. Es schien so, als hätte ich noch mehr innere Arbeit zu leisten.

Unterdessen stellte ich fest, dass ich in größeren Zusammenhängen zu denken begann, die schließlich weit genug wurden, um sowohl die Evolution als auch eine Vorstellung des Göttlichen zu umfassen (wodurch ich zu Richard Dawkins schlimmstem Albtraum wurde). Ich begann die Schöpfung als eine Art explodierenden Wolkenpilz nicht endender Kreativität zu sehen, mit einer unendlichen Anzahl von Existenzebenen, die alle einzigartig sind. Was wäre, wenn wir göttliche Funken innerhalb dieses großen, wohlgesonnenen und doch unpersönlichen Kaleidoskops die Freiheit hätten, jedes kollektive Experiment vorzunehmen, das wir uns aussuchen?

Besonders fasziniert hat mich die Theorie, dass wir Menschen auf einer unbewussten Ebene Aspekte unserer kollektiven Erfahrung mit unseren Überzeugungen prägen. Wenn ich mir die Ungerechtigkeiten auf unserem Planeten so anschaute oder auch unsere Gewohnheiten, nicht erneuerbare Energien zu verwenden, oder ständig über irgendetwas zu schimpfen, dann konnte ich nachvollziehen, dass wir wohl einige regelrecht selbstsabotierende Gedanken haben mussten, wenn die Theorie stimmt. Konnte es sein, dass unsere Gedanken Mangel erschufen, Abwehr, Gier, kurzsichtiges Denken sowie ein ungutes Verhältnis zwischen den Geschlechtern? Und wenn ja, wer dachte dann all diese kontraproduktiven Gedanken?

Gleichzeitig war ich fest entschlossen, zu überprüfen, ob die ganzen Versprechungen in meinen heiligen Texten irgendeinen Wert hatten. Konnten Partner durch die Vermeidung von sexueller Übersättigung ihre intimen Beziehungen wirklich dazu nutzen, um Gefühle der Fülle zu erzeugen, Vollständigkeit, Optimismus, stabile Zuneigung und ein erweitertes Bewusstsein? Könnte die Menschheit eine neue Erfahrung kreieren, wenn dies alles stimmte?

Es kam mir damals noch nicht in den Sinn, dass wir die ganze Abwehr, die Angst und den Mangel, die mich so irritieren, unbeabsichtigt überhaupt erst erzeugten, indem wir einander zur sexuellen Übersättigung und Fortpflanzung nutzen.

„[Laut den alten Chinesen] sollte man den Orgasmus nicht mit unserem normalen Zustand vergleichen, sondern eher mit unserem postkoitalen Zustand … Der Coitus Reservatus wird dann nicht als unerträglicher Drang oder Druck erfahren, sondern als Vollständigkeit und Kraft.“ 34

Doña Quijote macht sich auf den Weg

Eine faszinierende Reise hatte begonnen. Sie war jedoch nicht ohne Hindernisse. Ich entdeckte schnell, dass es selbst mit den besten Absichten nicht so einfach ist, sexuelle Gewohnheiten hinter sich zu lassen. Meinen ersten Versuch, den Code zu knacken, unternahm ich mit Alex, den ich auf einem Workshop bei einer spirituellen Gemeinschaft in Schottland kennengelernt hatte. Er war ein zutiefst spiritueller Mann, der eine Auszeit von seiner psychologischen Praxis nahm, um von Kanada aus um die Welt zu reisen und verschiedene inspirierende Orte zu besuchen. Nach dem Seminar fuhren wir gemeinsam nach Belgien zu mir nach Hause.

Haben Sie niemals Angst, etwas Neues auszuprobieren. Denken Sie daran: Amateure haben die Arche Noah gebaut, Profis die Titanic.

Ich holte mein verstaubtes taoistisches Buch über Liebe und Sexualität aus dem Regal und wir versuchten uns daran, Geschlechtsverkehr ohne Ejakulation zu haben. Der Autor des Buches glaubte nämlich, dass Samenverlust, nicht der Orgasmus, der Hauptnachteil von konventionellem Sex sei. Ich vertraute entsprechend darauf, dass es ein Thema des Mannes war und der weibliche Orgasmus ungefährlich. Damals wusste ich es einfach nicht besser – noch nicht.

In dem Buch standen jede Menge Tipps, wie Männer ihren Drang zur Ejakulation überwinden können. Es empfahl, die Muskeln um die Prostata anzuspannen, die Zähne zusammenzubeißen, Atemzüge zu zählen und andere ziemlich heftige Techniken – die, wie ich später lernte, alle nicht annähernd so effektiv oder gesund sind wie ein langsamerer, entspannterer Zugang zum Geschlechtsverkehr.

Jedenfalls bestand Alex darauf, dass er keinerlei Anweisungen brauchte. Doch wenn wir uns liebten, war es wie immer. Sprich, er ejakulierte. Und über die nächsten Tage passierte genau das Gleiche, trotz seiner ehrlichen Absicht, den Orgasmus zu vermeiden.

Ich schlug immer wieder vor, dass er doch das Buch lesen solle, aber er wurde immer gereizter. Als ich darauf hinwies, dass laut dem Buch seine Gereiztheit das Resultat der Orgasmen sein könnte, rastete er total aus.

„Du bist verrückt, wenn du mir erzählen willst, dass die Ejakulation einen negativen Einfluss auf Männer hat!“ bellte er mich an. „Ich bin Psychologe. Wenn das der Fall wäre, müsste ich es wissen. Wenn du weiter so ein Zeug redest, landest du in der Psychiatrie … da kannst du es deinem Arzt erklären!“

 

Ich sah ein, dass weiteres Argumentieren die Sache nur noch verschlimmern würde, und ich dachte, wie schön es wäre, wenn er einfach gehen und in den nächsten Zug steigen würde! Ich übte mich in eisigem Schweigen. Schließlich explodierte er: „Ich sehe, dass du offenbar kein Wort mehr mit mir sprichst, bis ich dieses Buch gelesen habe!“

„Das stimmt, Alex“, gab ich zu.

„Okay, was muss ich also lesen?“

Ich zeigte ihm die vier oder fünf Seiten, auf denen die oben erwähnten Techniken erklärt wurden, wie Männer den Orgasmus vermeiden können.

Er überflog die Erklärungen flüchtig und sagte dann: „Also gut, probieren wir ’s.“

An diesem Punkt war ich bereit, die ganze Idee einfach aufzugeben. Diese ziemlich unritterliche Einladung glich keiner meiner Vorstellungen einer heiligen sexuellen Begegnung. Doch ich sehnte mich danach, endlich herauszufinden, ob diese Ideen überhaupt einen Sinn ergaben.

Wir liebten uns wie im Buch erklärt. Er presste und drückte und zählte und beendete unser Beisammensein ohne Ejakulation. Dann überraschte er mich wirklich, als er sagte: „Ich kann es zwar kaum glauben, aber ich fühle mich nicht unerfüllt. Ich habe keine … äh … blauen Eier. Danke, dass du mir das gezeigt hast!“ Doch so erstaunlich sein neu gewonnener Enthusiasmus bereits war, es folgte noch eine viel größere Überraschung. Während der nächsten 24 Stunden war er ein anderer Mann. Seine Wut verschwand, und sein Herz öffnete sich. Wo er mir vorher versichert hatte, er brauche keine Partnerin, weil er auf einem spirituellen Weg wäre, öffnete er sich jetzt und sprach darüber, wie sehr er sich doch eine Partnerin wünschte und wie verwirrt er über seine Unfähigkeit sei, in einer Beziehung zu bleiben.

Die größte Veränderung jedoch war, dass er mich plötzlich in einem völlig anderen Licht sah. Er wollte mich nicht mehr in die Psychiatrie einliefern lassen, sondern sagte: „Du bist so spirituell und großzügig. Gott muss ganz schön stolz auf dich sein, dass du dich von so viel Widerstand nicht hast abschrecken lassen.“ Auch ich fühlte mich wie verwandelt. Mein Herz öffnete sich voller Dankbarkeit, und ich konnte ganz klar seine engelsgleichen Qualitäten sehen. Ich erinnere mich noch, wie ich dachte: „Lieber Gott, danke, dass du mir die wahre Schönheit dieses Mannes gezeigt hast.“

Ich schwor, dass ich meine letzte sinnlose Verschmelzung mit einem Liebhaber hinter mir hatte. Ich konnte das Potential für gegenseitige Bewunderung und befriedigende Intimität in der neuen Herangehensweise fühlen und war noch entschlossener als vorher, diese unkonventionelle Annäherung an das Thema Sexualität zu meistern.

Es stellte sich heraus, dass weitere sinnlose Verschmelzungen vor mir lagen, weil einige der Hinweise, wie wir uns den Paarungszielen unserer Gene entziehen können, in den heiligen Texten, die ich damals las, fehlten. Trotz Durchbrüche waren meine Ergebnisse wechselhaft. Alex hatte mir das Potential gezeigt, das in dem Konzept steckte, doch wir hatten es noch nicht geschafft, die Vorteile aufrechtzuerhalten. Wechselhafte Gefühle (das Gefühl tiefer Liebe an einem Tag und eine Abwehrhaltung am nächsten) waren noch beängstigender als dauerhafte emotionale Distanz. Sie ließen Liebe als etwas Unzuverlässiges erscheinen. Diese scheinbar unerklärlichen Wechselzustände gilt es zu vermeiden, wenn man sich als Paar auf Dauer nah sein möchte. Nach und nach lernte ich, dass eine langsame Herangehensweise und langfristige Beständigkeit entscheidende Faktoren waren.

In der Zwischenzeit reichten meine guten Absichten und hohen Ziele keineswegs aus. Wann immer ich unabsichtlich in meine früheren Gewohnheiten von Vorspiel und Sex mit Ejakulation abglitt, brach in der Beziehung Disharmonie aus.

„Als wir nach dem Geschlechtsverkehr einschliefen, sah ich, dass mein Liebster immer noch eine starke Erektion hatte. Wir hatten gerade erst damit begonnen, mit Orgasmusvermeidung zu experimentieren, deshalb fragte ich ihn: „Ist dir das nicht unangenehm?“ In seiner Stimme schwang ein hörbares Lächeln mit, als er antwortete: „Nein, im Gegenteil!“ Und als wir im Laufe der Nacht aufwachten, fand ich heraus, warum.“

Kaiya