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Fuck fashion
Zu den Klamotten gleich am Anfang

Wenn man John Lydon glauben kann, fing alles ganz banal an; hatte überhaupt nicht zur Absicht, Beginn einer ›Bewegung‹ zu sein. Kurz nachdem John, der auch mal lange Haare hatte, bei seinen Eltern rausgeflogen war, lebte er zusammen mit Sid Vicious und einigen Hippies in einer WG und berichtet in No Irish, No Blacks, No Dogs:

»Nicht nur die Nachbarn hassen uns, die anderen Hausbesetzer auch, wegen unseres Aussehens – kurze, hochstehende Haare und alte Anzüge. Zu diesem Zeitpunkt fing Sid an, sich ein wenig mehr wie ich zu kleiden. Ich verpaßte ihm seinen ersten anständigen Haarschnitt, der später Punk-Mode wurde. Du hast dir im wahrsten Sinne Haarklumpen rausgeschnitten. Die Idee dahinter war, keine Form in deiner Frisur zu haben – sondern es schauerlich aussehen zu lassen. Das war der Anfang von der ganzen Sache.«

Die ›ganze Sache‹ endete in aufwendig gestylten Irokesenschnitten und mit Postkarten, wie man sie heute in jedem Londoner Souvenirladen kaufen kann. Noch vor dem Punk wird dort die Queen als Motiv an Attraktivität verlieren – darauf jede Wette!

Irokesenschnitte hatte es zur Zeit der SEX PISTOLS noch nicht gegeben. Die Clique der ersten Punks trat zerschlissen auf: Weil kein Geld für neue Klamotten da war, wurde aus der Not eine Tugend, nämlich ein Stil gemacht. (Den Malcolm McLaren und andere sehr schnell in Geld umzusetzen wußten.) Die Punks, von denen sich Hardcore schließlich Mitte der Achtziger absetzte, hatten dagegen ein ganz anderes Outfit.

Betrachtet man heute Photos von den klassischen Punkbands, also den PISTOLS, THE CLASH, WIRE und den STIFF LITTLE FINGERS, sehen die Beteiligten ziemlich propper und aus heutiger Sicht unspektakulär aus – weder übertriebenes Styling noch übertrieben zerfetzt. 1976 war man mit kurzen, selbstgeschnittenen Haaren schon eine Provokation.

Übrigens: Die erste Punk-Generation war gar nicht, wie die bürgerliche Presse es gerne darstellte, bewußt häßlich und verdreckt, sondern sie hatte ganz schön viel Sex appeal (der Klamottenladen von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood hieß nicht von ungefähr »Sex«). Dank ihres kreativen Umgangs mit Kleidung und Körper sahen die Punks oft sogar besser aus als der Rest der Gesellschaft. Das trifft in besonderem Maße auf die frühe New-York-Variante zu, zum Beispiel auf das transsexuelle Auftreten der NEW YORK DOLLS, das allerdings ein Kapitel für sich wäre. Was die Ungezwungenheit des Körperlichen anging, legte Johnny Rotten mehr Sex appeal als John Travolta an den Tag, Poly-Styrene mehr als Olivia Newton-John. Ein Sex appeal, das übrigens verschwand, als Punk mit seinen Nietengürteln und Irokesenfrisuren immer überstylter und phantasieloser wurde.

›Feierabend-Punk‹ ist schließlich, seit Punk sich immer mehr über Äußerlichkeiten präsentierte, Schmähbegriff für jene geworden, die eine Doppelexistenz führten, tagsüber in gewöhnlicher Kleidung eine gegenüber dem System angepaßte Existenz lebten bzw. einer geregelten Arbeit nachgingen, abends die Spraydose ansetzten und für ein paar Stunden den Anarcho spielten. In seiner Extremform jedoch (Iro, gefärbte Haare, Piercing, Tattoos) ist dem Punk eine solche Doppelexistenz fast unmöglich, während Hardcore-Anhänger kaum spezifisch antibürgerliche Merkmale zur Schau tragen. Die bunt bedruckten Band-T-Shirts, mögen sie auch aus Splatter-Motiven bestehen, unterscheiden sich auf den ersten Blick kaum vom farbenfrohen Boutiquen-Flitter. Kapuzenpullis und Militärhosen, letztere meist Bundeswehrbestand wie so manches Core-Accessoire (Schlafsack, Rucksack), dürften bei der Bevölkerung kaum ein Naserümpfen und Wechseln der Straßenseite hervorrufen.

Moses Arndt erinnert sich in ZAP #19 an die Anfangszeit 1984: »Hannover bringt jedoch auch eine Neuigkeit. Zwischen den zugesoffenen Nietenpunks bewegt sich eine kleine Gruppe Italiener, die völlig aus der Reihe fallen. Das beginnt bei ihrem Äußeren: Sie tragen keine Lederjacken und Spikes, sondern geschorene Schädel und bunte Stirntücher [kannte man von der SUICIDAL TENDENCIES-Platte], Armeejacken, Turnschuhe und normale Jeans. […]

Das Outfit spielt plötzlich wieder eine große Rolle, allerdings auf eine andere Art und Weise als bei Punkrock. Man will nicht die Bürger erschrecken oder möglichst cool aussehen. Es dient lediglich dem Erkennen der eigenen Gruppe.«

Man kann fast schon von einer Tarnung sprechen, von subversivem Auftreten, das sich auf Erkennungsmerkmale beschränkt, die so wenig von alltäglicher Kleidung abweichen, daß ihr Spezifisches nur noch Eingeweihten erkennbar wird. Und doch können der Kapuzenpulli (gibt’s in jedem Sportgeschäft) und das Halstuch (Stangenware) im Handumdrehen – etwa auf Demos – zur tatsächlichen Tarnung eingesetzt werden. Insofern folgt das scheinbürgerliche Auftreten dem Prinzip des Straßenkampfes, dem unerkannten »Brüllen, zertrümmern und weg« (SLIME), während Punk ein »Für immer Punk« (GOLDENE ZITRONEN) bedeutet, schillerndes Auftreten, durch das sich das Andere sofort als Anderes zu erkennen gibt. Und sich dadurch selbst ›findet‹ bzw. definiert.

Bequeme Straßenkleidung, die den Handlungsspielraum nicht einschränkt, ersetzt das aufwendige Styling der Punks. Man stellt nichts mehr zur Schau und glaubt damit wiederum, Punk als extreme Form von Modebewußtsein entlarvt zu haben. Gegen die Scheinaffirmation des Hardcore erscheint Punk als das, was auch weltweit daraus gemacht wurde: Exotismus, ideales Objekt für Modeplakate und Postkarten.

Gegenüber Punk (der dem Spiegel bereits 1978 eine Titelstory wert war) hatte Hardcore dadurch lange Zeit eine absolut geringe Medienattraktivität. Jugendliche, die eine extrem aggressive Musik hören und eine politische Einstellung haben, welche aus der Sicht bürgerlicher Medien ebenfalls als extrem eingestuft wird, sind durch ihre optische Neutralität als printwürdige Subkultur disqualifiziert. Lediglich bei Eskalationen, etwa im Rahmen des Häuserkampfes, zerrt die Kamera Personen an die Öffentlichkeit, die teilweise aus der Hardcore-Bewegung stammen, aber von der Presse nicht als solche eingeordnet werden.

Hardcore als subversiv-rebellische Bewegung blieb damit in der Öffentlichkeit lange Zeit ähnlich unerkannt und nicht aufgearbeitet wie die Gruppe der Situationisten in den Fünfzigern. Greil Marcus widmete dem von ihm konstruierten historischen Dreigespann Dada-Situationismus-Punk mit Lipstick Traces einen fünfhundert Seiten umfassenden Essay. Obwohl sich Malcolm McLaren beim Gründen der SEX PISTOLS auf die Situationistische Internationale beruft, entspricht weniger das kaputte, medienwirksame Auftreten der Punks, sondern später erst das codierte Auftreten von Hardcore dem verborgenen situationistischen Spiel.

Im Spiegel schließlich erscheint Hardcore erst 1993 ganz am Rande als musikalische Stilbezeichnung für Henry Rollins, nachdem das Wort – seiner komplexen geschichtlichen Bedeutung beraubt – längst schon von MTV inflationär für fast jede Form der härteren Musik gebraucht wird.

Die Kritik an einem solchen Outfit, das gegen destruktives Punk-Abgewracktsein positiven Kämpfergeist zu vermitteln versucht, liegt auf der Hand. In der Tat ist Hardcore-Outfit (und damit gleichzeitig Outfit der autonomen Linken) oft mit dem der Neonazis bis auf kleine, nur noch für Insider erkennbare Abweichungen deckungsgleich (z. B. kurzgeschorene Haare, Bomberjacke, Militärhose, DocMartens). Gegenüber Punk dominiert hier männlich geprägtes Partisanentum. Schon die ersten Oi!-Bands wußten, daß Punk-Outfit möglicherweise schockt, aber nicht unbedingt aggressiv rüberkommt: Gegenüber dem Bandphoto von RED ALERT auf ihrer 83er We’ve Got The Power-LP möchte man Sid Vicious geradezu streicheln. Zahlreiche Oi!-Bands traten wie RED ALERT paramilitärisch-martialisch, mit kurzgeschorenen Haaren auf und ließen die Punks mit ihren strubbeligen Haaren demgegenüber süß und harmlos aussehen. Abgesehen von bunten Halstüchern, Armbändern u.ä., ist die optische Abgrenzung, die Hardcore später gegenüber Punk vorgenommen hat, aus diesem Grund nicht eigentlich originell gewesen, denn sie kopiert weitgehend das Outfit der im Zuge von Punk schon Ende der Siebziger populären Oi/Skinhead-Bewegung, nun zugunsten eines linken Militarismus der Uniformität abgewandelt. Ohrringe, Armbänder, Kopftücher und ähnlicher Flitter sind allerdings längst auch unter Neonazis salonfähiges, nicht ungewöhnliches Accessoire – die Verwirrung sozusagen komplett.

Während der Demonstration gegen das Naziehepaar Müller und die Versammlung auf deren Gärtnereigelände in Mainz-Gonsenheim, an der 1993 etwa 1000 AntifaschistInnen teilnahmen, fragte eine ältere Passantin verwirrt: »Seid ihr jetzt für oder gegen die Müllers?«

Auch dies gehört zur angesprochenen, Mißverständnisse in Kauf nehmenden Subversion: für Außenstehende nicht unbedingt als solcher decodierbarer linker Militarismus, der sich sowohl von Punk als demonstrativem Kaputtsein wie auch von der soften Hippie-Schiene abgrenzt.

Daß die Übergänge natürlich fließend sind, daß auf Hardcore-Konzerten wie auf antifaschistischen Aktionen Kurzgeschorene neben Langhaarigen, Bomberjacken neben Batikhemden, Irokesenschnitte neben Baseballkappen zu sehen sind, ist dagegen eher ein Zeichen dafür, wie wenig die Linke sich de facto einer optischen Uniformität unterwerfen läßt.

Neben dieser optischen Transparenz rechter und linker Gruppen stellt sich ein weiteres Problem: Nicht jeder Skater ist Hardcore; nicht alle, die eine Baseballkappe tragen, sind Hardcore; weil einige Hardcore-Accessoires wie Skateboard, Converse-Turnschuhe und Baseballkappen nicht spezifisch sind, sondern Standards der Jugendkultur, fällt es – was mit Punk einst so kaum möglich war – auch solchen Jugendlichen nicht schwer, sich in die Hardcore-Szene einzuklinken, sich mit Hardcore als Stil zu identifizieren, die politisch eher zum gemäßigten Spektrum gehören bzw. sich über Themen wie Antifaschismus und Sexismus noch keinerlei Gedanken gemacht haben. Jugendliche also, die tatsächlich (noch) eine mehr oder weniger verdeckte Doppelexistenz führen.

 

Aber auch hierin sehen Hardcore-AktivistInnen eine ernstzunehmende Chance: Indem keine extrem von der Norm abweichende Kleiderordnung existiert, wird es einem im politischen Bewußtsein noch nicht gefestigten Jugendlichen leicht gemacht, an Hardcore-Konzerten teilzunehmen und damit schrittweise zu erfahren, welche politische Tragweite hinter dem Ganzen steht.

Dirk [SLIME]: »Es ist verdammt wichtig, mal raus zu kommen aus dieser Antifa-Gemeinde, weg von einem Publikum, das sich von der Bühne eh nur seine Bestätigung holt – weg von diesem Heimspiel. […] Sind wir doch mal realistisch: Den Fünfzehnjährigen, der in seinem Plattenregal die ONKELZ neben SLIME stehen hat, gibt es mit Sicherheit, da brauchst du gar nicht groß suchen. Auch wir hatten mit Fünfzehn noch kein ausgeprägtes politisches Bewußtsein. Und doch kann ich nicht sagen, daß dieser Typ verloren sei. Da ist noch alles möglich. Und es ist wichtig, die bessere Möglichkeit zu geben.«

Damit es nicht nach Verschwörungstheorie klingt: Die hier aufgezeichnete subversive Chance ist Folge der Abgrenzung von den Punks gewesen, aber keineswegs von Anfang an durchdacht oder gar geplant. Hier wurde eine Entscheidung getroffen, die dem Müll-Outfit etwas Positives entgegensetzte, dem rein extrovertierten ein auf Inhalte bezogenes Anderssein vorzog. Hardcore war anfangs, wie Andreas, Ex-Sänger der Stuttgarter Band SHARON TATE’S CHILDREN es beschreibt, »Punk ohne Müll und Syph«. Eine neue Ästhetik, die den Punks zu erkennen gab, daß eine auf Äußerlichkeiten aufgebaute Gegenkultur nur der Widerschein dessen ist, was abzulehnen sie vorgibt, Negativprojektion der auf Schein aufbauenden Gesellschaft.

Ian MacKaye [MINOR THREAT/FUGAZI]: »Ich bin mir darüber bewußt, daß ich mit meinem Äußeren nicht viel, zumindest keine Inhalte demonstrieren kann. Und weil es mir um Inhalte geht, verschwende ich kaum Zeit für meine Kleidung und mein Aussehen.«

Georg Simmel ging davon aus, daß Moden immer Klassenmoden sind, »daß die Moden der höheren Schicht sich von der der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sich anzueignen beginnt«.1 Eine These, die so im Spätkapitalismus nicht mehr stimmt, wo die Jeans als ursprüngliche Arbeiterhose ohne Klassenunterschiede getragen wird und gewisse Punk-Bestandteile, wie zum Beispiel zerrissene Hosen, in die Mode Einzug hielten.

Dennoch wollte Punk (und noch viel stärker die Oi/Skinhead-Bewegung) Klassenzugehörigkeit zeigen, sei es diejenige der arbeitslosen Outlaws oder eines stolz zur Schau getragenen Proletariats. Damit wurden auch solche regressiven Stereotypen des Proletariats übernommen und ins Extrem überzogen, die stets ganz im Sinne der herrschenden Klasse gewesen sind: Abneigung gegenüber Bildung und Intellekt, Alkoholismus, Bandenkämpfe und sexistisches Vokabular.

Mit dem Song »We know how to live« hat die britische Oi-Band COCK SPARRER noch 1993 sämtliche Platitüden scheinbarer proletarischer Selbstbestimmung aufgelistet – vom schnellen Sex bis zum Komasaufen. Hier löscht der Stolz auf ein von Unterdrückung geprägtes Verhalten auch den entferntesten Gedanken an Klassenkampf aus.

Obwohl Punk im Gegensatz zur Oi-Bewegung »grundsätzlich links« (Campino/DIE TOTEN HOSEN) geprägt war, empfanden viele Nachwachsende die Bewegung Mitte der Achtziger als theoriefeindlich, die Gesellschaft nicht analysierend, sondern sich hauptsächlich durch Äußerlichkeit abgrenzend, was weder zur eigenen Entwicklung noch zu einer Veränderung der Gesellschaft beitragen konnte.

Grob gesehen begann so der nie völlig unüberquerbar gewesene Graben zwischen Hardcore und Punk, der heute an vielen Stellen wieder zugeschüttet ist. Bis am Ende auch Hardcore, der einmal als Abgrenzung gegenüber Modepunks entstand, für viele eine absolut modische Erscheinung geworden ist.

Harley Flanagan, Sänger der CRO-MAGS, äußerte sich diesbezüglich bereits 1990 im britischen Fanzine Sold Out ziemlich resigniert:

»Wenn die Leute älter werden, bleiben sie in einem bestimmten Trott hängen, aber während wir jünger sind, haben wir die Möglichkeit, unsere Gehirne für etwas Produktiveres zu nutzen, als nur modebewußt zu sein, und das ist die Richtung, in die ich Hardcore sich entwickeln sehe. Es ist mehr eine Modenschau als irgendetwas anderes.«

Wird hier eine am Punk kritisierte Tendenz wiederholt? Hieß es nicht schon bei EXPLOITED, als ewige Vorzeige-Punks und Mode-Clowns verrufen: »Fuck fashion«? – Ironie der Geschichte.

Middle Class Fantasies
Soundtrack für die Einfamilienhäuser Gegen Sexismus, gegen Rassismus, männlich und weiß

Zum Verständnis dieses Kapitels stellt sich erst einmal die Frage: Wo waren Punk und Hardcore wann, und in welcher Art und Weise waren sie politisch motiviert? Dies erfordert je nach Land und Jahr eine so ausdifferenzierte Betrachtung, daß ich hier nur sehr verkürzt Tendenzen nachzeichnen kann, die allerdings wichtige Einzelphänomene unberücksichtigt lassen.

Nahezu der komplette folgende Text bezieht sich auf die Entwicklung in Deutschland. Wie in keinem anderen Land waren hier sowohl Punk wie Hardcore mit der autonomen Linken gekoppelt. Die frühen, bedeutenden deutschen Punkbands waren höchst politisch (VORKRIEGSJUGEND, SLIME, RAZZIA, CHAOS Z, TOXOPLASMA etc.) bis hin zu einer Verhärtung in Sachen Ausschließlichkeit, die ziemlich humorlos gewesen ist. Alles galt dem Gestus einer Radikalisierung von z. B. TON, STEINE, SCHERBEN gegen Bullen, Staat und Justiz. Ästhetisch vollzog sich damit auch eine Abwendung von der Öko- und Friedensbewegung, obwohl sowohl Ökos wie auch Punks in Wackersdorf und an der Startbahn West nebeneinander standen; inhaltlich war man also doch gar nicht so weit voneinander entfernt: Franz Josef Degenhardt und das SOGENANNTE LINKSRADIKALE BLASORCHESTER argumentierten in einem ähnlichen Rahmen wie SLIME.

Abgesehen von einem völlig anderen Auftreten und einer wesentlich härteren Musik, hatte Punk in der BRD die alte Linke zwar radikalisiert, kämpfte aber doch neben und mit ihr für eine ›gemeinsame Sache‹. Neue Akzente brachten ganz andere Bands, FSK beispielsweise, THE WIRTSCHAFTSWUNDER, S.Y.P.H. und DIE TÖDLICHE DORIS, all die Extremisten, die gerne der ›Neuen Deutschen Welle‹ zugeordnet wurden, ohne doch wirklich etwas mit NENA und Co. gemeinsam gehabt zu haben: In ihrer Ausdrucksweise, die gleichzeitig auch Absage gegenüber alten Gesellschaftsutopien gewesen ist, sind sie oft weiter gegangen als die Politpunks, waren musikalisch und inhaltlich auf ganzer Linie ›moderner‹. Die subversive Qualität solcher Bands, die gerade vermeiden wollten, das Vokabular der Utopisten von gestern neu aufzukochen, wurde jedoch häufig nicht wahrgenommen oder aber einfach ignoriert: Die Politpunks sahen darin nur suspekte Studentenscheiße; die Friedensbewegung witterte zum Teil sogar Faschismus, weil sie die Ironie von Slogans wie »Zurück zum Beton« (S.Y.P.H.) nicht verstehen konnte.

Man muß sich also vor Augen halten, daß gerade in Deutschland die Politisierung der Szene eine zentrale Rolle spielte und daß auch Hardcore Mitte der Achtziger politisch motiviert auf Punk reagierte: sei es, daß der Antifaschismus des Politpunk als zu floskelhaft und undifferenziert abgelehnt wurde, aber auch, daß Punk auf der anderen Seite von abgewrackten Alkoholikern und Biercombos bestimmt wurde.

Ganz anders in England und Amerika. Über die politische Motivation der ersten Punk-Generation in Großbritannien könnte man Anthologien füllen, so wenig läßt sich dies unter einem Schlagwort fassen. Im Kontext der deutschen Autonomen standen lediglich CRASS; GANG OF FOUR und THE POP GROUP bildeten eine weitere Ausnahme, da sie ihr Polit-Konzept ausdifferenzierter und hintergründiger in Szene setzten, als je eine deutschsprachige Band das konnte (abgesehen vielleicht von den GOLDENEN ZITRONEN seit Das bißchen Totschlag, die sich Mitte der Neunziger an solche Vorbilder zu erinnern begannen). Ansonsten reichte die Palette von Situationismus (zumindest McLaren sah das so), anarchischer, über den Kontext der traditionellen Linken hinausgehender Destruktion (SEX PISTOLS) über Working-Class-Postulate (ANGELIC UPSTARTS, SHAM 69), rotziges Rock-’n’-Roll-Spektakel (SLAUGHTER & THE DOGS), kommunistisch gefärbtem Agit Prop (THE CLASH) und puren Nonsens (DAMNED) bis hin zu analytisch unterkühlter Distanz (WIRE).

Nach diesem nie eindeutig politisch übergreifend bestimmbaren Gestus von Punk/Wave in England folgte eine Zeit des bloßen, träumerischen Ästhetizismus, getragen durch New Romantics, erste Anzeichen für Gothic-Rock, Blütezeit des Synthie-Pop (SOFT CELL, ULTRAVOX, YAZOO, CULTURE CLUB u. a.) und Gitarrenrock. Erst wieder während des Höhepunktes des Thatcherismus in der zweiten Hälfte der Achtziger kam es zu einer erneuten Politisierung, zu Bands in CRASS-Tradition und -Umfeld (CITIZEN FISH, THATCHER ON ACID, SCHWARTZENEGGAR) und Grindcore – Phänomene, die man sich allerdings nicht mehr als eine nach außen hin besonders wirksame Jugendkultur denken darf. Nachdem längst alles in Sparten zersplittert war, blieben diese Politbands kaum beachtet im großen Fluß von Rave, Gitarrenpop, Techno, EBM, Crossover, Melodiepunk, Death Metal und Darkwave.

Noch bescheidener nimmt sich die politische Tragweite des Punk in Amerika aus: Man muß sich klarmachen, daß eine der politisiertesten Bands Amerikas, die DEAD KENNEDYS, ganz anders verfahren als die SEX PISTOLS auf der einen, SLIME auf der anderen Seite. Unter Ronald Reagan wird das, was Sänger Jello Biafra einfordert, zur rein demokratischen Notwendigkeit: Pluralismus, Demokratisierung, Meinungsfreiheit und Abrüstung sind die Themen der DEAD KENNEDYS, weder Anarchie noch Stadtguerilla. Unter der Fuchtel des Zensors bleibt, was Biafra formuliert, ein Einklagen der Bürgerrechte, eine nicht einmal punkspezifische Radikalität, sondern ein spartenübergreifendes Miteinander, Seite an Seite beispielsweise mit anderen von der Zensur geplagten Künstlern wie Frank Zappa und Robert Mapplethorpe. – Solange noch nicht einmal die Demokratie eingelöst sei, sagte Biafra in einem Interview, müsse man zuallererst um sie kämpfen.

Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß die punkintern enorme Popularität der DEAD KENNEDYS ein europäisches, insbesondere deutsches Phänomen ist. Kaum einer, der hierzulande nicht durch In God We Trust (1981) elektrisiert wurde. Unterhält man sich mit amerikanischen Bands, ist von dieser Euphorie wenig zu spüren. Die Underground-History Rock And The Pop Narcotic (1990) von Joe Carducci legt beispielsweise allen Punk-Ruhm BLACK FLAG in die Wiege. Das mag ein bißchen persönlich bestimmt sein (Carducci arbeitete bei SST Records); daß die DEAD KENNEDYS dort unter ›ferner liefen‹ rangieren, spricht allerdings für (oder gegen) sich. Am populärsten sind sie nach wie vor in ihrer Heimatstadt San Francisco, eine der wenigen US-amerikanischen Städte, die auf eine lange Tradition politisierter Popkultur zurückblicken kann.

Obwohl es also auch in den USA ganz vereinzelt linke Punk- und Hardcorebands gibt (z. B. CHRIST ON A CRUTCH, NAUSEA), bleibt die Bewegung dort größtenteils privates Einfordern von Spaß, Individualität und Selbstverwirklichung. Der Agit-Aspekt früher Punk- und Hardcore-Bands in Amerika (CIRCLE JERKS, BLACK FLAG, AGENT ORANGE, MISSION OF BURMA, HÜSKER DÜ, SEVEN SECONDS, MISFITS) ist verschwindend gering, was aber nicht heißen soll, daß nicht auch hier Formen gefunden wurden, gegen den Reagan-Ungeist den Verlust von Freiheit bzw. Eigentlichkeit einzuklagen. Dies funktionierte jedoch häufig auf einer rein ästhetischen Basis – man höre sich nur an, wie Henry Rollins »I’m wasted« schreit und wie sich der Name »Diane« im Mund von Bob Mould verformt. Schon die Art des Ausdrucks markiert hier eine Verweigerungshaltung.

Doch nun zum eigentlichen Text – der Frage, ob es sich bei Punk und Hardcore, ganz gleich in welchem Land, in erster Linie um das handelte, wonach sich eine Frankfurter Punkband benannte: um MIDDLE CLASS FANTASIES.

»Die BRD-Linke«, heißt es im Text Drei zu eins von Klaus Viehmann, »ist privilegiert: je männlicher und je weißer und je weniger auf den Verkauf von Arbeitskraft angewiesen, desto mehr. Privilegien machen blind. Blind für Wirklichkeiten außerhalb der eigenen Erfahrungen und gängigen Bewußtheiten. So müssen Typen vieles erst von feministischen Genossinnen lernen, und alle ähnlich viel aus Texten von Schwarzen.«2

 

Dieses Urteil trifft ganz und gar auf die Punk/Hardcore-Bewegung (über die BRD hinaus) zu. Ob man, wie Drei zu eins fordert, von den Minderheiten lernen muß oder überhaupt das eigene Privileg überwinden kann, oder ob dieses Privileg nicht vielmehr aus sich selbst heraus erkannt und umgeformt werden muß, sei dahingestellt; fest steht jedoch die Bestandsaufnahme: Von sozial Benachteiligten werden in der Regel weder die Linke noch die Punk/Hardcore-Bewegung getragen.

Aufgrund der martialisch harten, Gewalt als Möglichkeit oder zumindest als künstlerisches Mittel propagierenden Musik sind Punk/Hardcore bis heute eine Männerdomäne geblieben (nein, ich will keine Geschlechterklischees aufbauen, aber die Szene selbst zimmert gerne diese Klischees durch Mythen vom Krieger und Straßenkämpfer): Musikerinnen sind leider ebenso selten wie Frauen im Publikum. Dennoch ist natürlich Vorsicht angesagt, den Anteil an Frauen innerhalb einer musikalischen Szene als Garant verwirklichter Emanzipation zu deuten. Den höchsten Anteil an Musikerinnen findet man noch immer in der marktorientierten Popmusik, nicht jedoch, weil dort die Künstlerin als solche akzeptiert und also selbstbestimmt zu arbeiten frei wäre, sondern weil Pop als Transfiguration gesellschaftlicher, männlich geprägter Wunschvorstellung sich der gutaussehenden Frau als Objekt der Begierde bedient.

Eine Ausnahme bildet – mit Abstrichen – die in den Achtzigern aus Punk hervorgegangene, musikalisch weniger martialische Independent-Szene: Hier finden wir einen vergleichsweise hohen Anteil an selbstbestimmt arbeitenden Frauen (z. B. bei SONIC YOUTH, PIXIES, BREEDERS, SUGARCUBES, THROWING MUSES, THIS MORTAL COIL, LUSH, HOLE, YO LA TENGO, WALKABOUTS u. a.).

Im Schnittpunkt zwischen feministischer Selbstbestimmung und Rolle als Sexsymbol bewegt sich beispielsweise die von Madonna faszinierte Kim Gordon, Musikerin bei SONIC YOUTH. Ihre offensive Beschreibung weiblicher Sexualität, ihr Zur-Schau-Stellen weiblicher Lust, weiß von der eigenen Stellung als Pop-Objekt der Begierde und ironisiert diese Rolle durch maßlose Übertreibung. »Pacific coast highway« auf der 1987 erschienenen SONIC YOUTH-LP Sister (von Kim Gordon ungeheuer ekstatisch und hingebungsvoll gesungen) kann beispielsweise als Song gehört werden, der das Besitzergreifende einer vom Patriarchat geprägten Sexualität nur widerspiegelt, oder aber als Song, der genau dies umkippen läßt und dem Mann all seine gewollte Macht über die Frau entzieht:

»Com’on get in the car

Lets go for a ride somewhere

I won’t hurt you

as much as you’ve hurt me

Let me take you there

before the sun goes down

comon give me your love

comon baby all you have

take my breath away.«

Daß die Filme des New Yorker Regisseurs Richard Kern, der mit Lydia Lunch als Schauspielerin und SONIC YOUTH als Soundtrack-Lieferanten zusammenarbeitet, bei ihrer Vorführung in Deutschland 1991 von Feministinnen mit Farbbeuteln angegriffen wurden, hat seine Ursache in genau dem provozierten Mißverhältnis, aus dem heraus hier Emanzipation sich dadurch formuliert, die einst von Männern entwickelte Hardcore-Pornographie zugunsten der Frauen umzukehren (Frauen als Vergewaltigerinnen, dominant und zu jeglicher Gewalt bereit).

Wie schräg es um die Aufbereitung des Geschlechterkampfes im amerikanischen Underground-Film und -Rock bestellt war, läßt sich jedoch weniger an SONIC YOUTH und Lydia Lunch festmachen (die sehr wohl eine ganz spezifische feministische Ästhetik entwickelt haben), sondern eher daran, wie im Zuge der Riot Grrrl-Bewegung gerade jene Frauenbands – zum Beispiel L7 – von den Medien gefeiert wurden, die am wenigsten feministische Inhalte vertraten. Daß es sich bei L7 um Frauen handelte, die von Motorrädern und Whiskey, also dem harten Leben auf der Straße sangen, grenzten männliche Journalisten als emanzipatorische Leistung lobend vom defensiven Mauerblümchendasein in Joan-Baez-Tradition ab, ohne auch nur für einen kurzen Moment zu begreifen, daß hier die Frau in den zerschlissenen Jeans als reine Nachahmung des männlichen Survival-Rock sämtliche Selbstbestimmung zugunsten bloßer, unreflektierter Vertauschung der Geschlechterrolle aufgegeben hatte.

Parallel zu solchen eher kommerziellen Erscheinungen der Riot Grrrls haben sich in den USA um 1995 jedoch auch Frauenbands gegründet, die Punk als Plattform für ihre Inhalte zu nutzen verstanden. Deren undogmatischer, ganz und gar nicht steifer Feminismus und ihr Bekenntnis zur lesbischen Liebe wurde jedoch von der (männlich dominierten) Presse – zumindest in Deutschland – kaum gefeatured. TEAM DRESH, BIKINI KILL, TRIBE 8 und so manche »Girl«-Band mehr setzten Punk für ihre Sache ein – beinahe dreißig Jahre hatte es damit also gedauert, bis innerhalb des Punk eine ausgesprochene, von männlichen Machern unabhängige Frauenbewegung entstehen sollte, die alleine aufgrund der neuen Themen und des Auftretens der Musikerinnen ungemein frisch wirkte. »Queercore« entwickelte sich in jeglicher Hinsicht ziemlich spät und wurde von den kommerziellen Medien gerne beiläufig abgetan. Mag beispielsweise die schwule Punkband PANSY DIVISION ein wenig unoriginell nach Melodiepunk à la NOFX klingen, so hat sie doch zumindest mit ihren »buttfuck«-lyrics inhaltlich neue Akzente gesetzt, die zu setzen eine Band wie NOFX völlig unfähig wäre.

Im frühen Punk hat es neben wenigen Ausnahmen (etwa X-RAY SPEX, HANS-A-PLAST, PENETRATION) kaum nennenswerte, von Frauen geleitete Bands gegeben. Tony Parsons deliriert 1994 im Spiegel-Spezial Pop und Politik, daß sich durch Punk zum ersten Mal in der Geschichte des Rock’n’Roll »eine Menge Mädchen auf die Bühne wagten«. Wo auch immer er sie gesehen haben mag, diese Mädchen: Musikerinnen können es nicht gewesen sein. Im Gegenteil: Durch Punk wurde Rockmusik plötzlich wieder Männerdomäne, wie sie es in diesem Ausmaß lange nicht gewesen war. In den verschiedensten Hippie-, Psychedelic- und Folkgruppen gab es sehr viel mehr Frauen, die oft auch innerhalb der Band eine exponierte Stellung hatten. Erinnert sei an Janis Joplin, Joni Mitchell, JEFFERSON AIRPLANE, AMON DÜÜL, CURVED AIR, THE MAMAS & PAPAS u. v. m., aber auch an Kate Bush, die vergleichsweise enorm selbstbestimmt arbeitete, sich ihre Musiker selbst aussuchte, selbst produzierte etc.

Tatsächlich intelligente, teilweise feministisch geprägte weibliche Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft und der eigenen Rolle als Künstlerin, brachte eher die als New Wave umschriebene Musik im Umfeld von Punk mit sich (Laurie Anderson, SLITS, LILIPUT, YOUNG MARBLE GIANTS, Nina Hagen u. a.). Liegt dies nur daran, daß Punk mit seiner Aggressivität und seinen Emblemen deutlich von Männern geprägt war, oder aber doch an einer latent frauenfeindlichen Haltung? Diese Frage ist schwer zu beantworten – für mich als Mann sowieso.

Es gibt eine sehr provozierende, haarige Stelle im Der Plan-Buch von Moritz R., die eine Seite – die männliche – zu diesem Thema wiedergibt:

»Gender-phänomenologisch war Punk ein Aufbegehren männlicher Jugendlicher gegen das weibliche Element, das die Subkultur der siebziger Jahre mehr und mehr dominiert hatte; ein Ausbruch zorniger junger Männer gegen die repressive neue Mütterlichkeit der WG-Gesellschaft und gegen das Hippietum. In einer Epoche der sich auflösenden Formen gab es wieder Sehnsucht nach scharfen Konturen. Ein Kampf des apollinisch-männlichen Prinzips gegen das chthonisch-weibliche, wie die amerikanische Psychologin Camille Paglia sagen würde.«

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