Wünsch dich in Wunder-Weihnachtsland Band 11

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Was für ein Geschenk!

Adil mochte Weihnachten nicht. Zu Hause hatte Weihnachten nie eine Rolle gespielt. Er verstand nicht, warum die anderen hier so ein Bohei darum machten. Aber nach den Weihnachtsferien kamen sie mit neuen Schuhen, neuen Pullovern, neuen Etuis, neuen Handys in die Schule. Manche hatten auch eine neue Frisur.

Adil hatte nichts Neues. Er würde auch nichts vom Weihnachtsbraten erzählen können. Er musste sich aus allen Gesprächen über Weihnachten heraushalten. Wer den höchsten Weihnachtsbaum hatte, die dicksten Kugeln, die meisten Geschenke, den meisten Besuch.

Adil und seine Mutter bekamen nie Besuch, die ganzen dreizehn Monate nicht, seitdem sie hier angekommen waren. Der Rest der Familie, auch Adils Vater, sein Bruder, seine Cousinen und Vettern, war immer noch unterwegs. Über das Mittelmeer oder die Balkanroute.

Adil wusste nicht, wie viele Weihnachten sie noch ohne Besuch bleiben mussten. Wenn sein Vater, sein großer Bruder und seine Onkel und Tanten kämen, sähe Weihnachten sicher ganz anders aus. Es gäbe Tee, Umarmungen, viel Gelächter und Lammbraten. Vielleicht endlich auch eine eigene Wohnung.

Solange das nicht so war, mochte Adil Weihnachten nicht. Niemand hatte etwas von der Familie gehört – trotz Handys. Nur ein früherer Nachbar hatte angerufen. Er saß irgendwo in einem Ankerzentrum fest. Also würde auch er nicht zu Besuch kommen.

Schön war, dass Adils Mutter bald aus dem Krankenhaus entlassen werden würde. „Am 24. Dezember bin ich wieder bei dir“, hatte sie gesagt, als sie die Krankenhaustasche gepackt hatte.

Jetzt war der 24. Dezember, also Weihnachten. Keine Mutter in Sicht, kein neuer Pullover, kein Etui, kein Lammbraten.

Adil malte alles auf ein Stück Papier. Sogar einen Weihnachtsbaum mit roten Kugeln. Der Pullover unter dem Baum war auch rot. Seine Mutter trug ein neues rotes Kleid und neue Schuhe. Adil malte auch Tiere, Hunde, Katzen und einen Vogel.

Adil sang beim Malen. Er sang sich Weihnachten schön. „Alles wird gut werden“, dachte er.

Kaum hatte er das gedacht, ging die Tür auf und Adils Mutter kam ins Zimmer. Sie lächelte und legte den Finger auf die Lippen. Pst!

Hinter ihr stand jemand. Es war Baschar, der große Bruder.

Gerade als Adil ihm entgegenstürzen wollte, um ihn zu umarmen, schüttelte Baschar den Kopf. „Hier, dein Weihnachtsgeschenk“, sagte er und stellte einen Karton auf den Tisch.

In dem Karton fiepte etwas. Adils Hand stieß auf etwas Weiches, Felliges.

„Die kleine Hündin lief mir auf Schritt und Tritt auf dem langen Weg über die Berge nach“, sagte Baschar. „Sie wollte zu dir. Sie heißt Inaaya.“

Und genauso sah Inaaya auch aus. Etwas struppig, eben ungekämmt, aber was für ein Geschenk!

Gudrun Güth hat Anglistik und Romanistik an der Ruhr-Universität Bochum und der University of Bristol/England studiert. Promotion mit der Dissertation „Typen des englischen Arbeiterromans“. Bis 2013 war sie als Fremdsprachenlehrerin an Gymnasien und einer Gesamtschule sowie an der Deutschen Schule Brüssel tätig. Fachleiterin für Englisch am Studienseminar Recklinghausen (Lehrerausbildung). Literarisches Schaffen in den Sparten Lyrik und Prosa: Veröffentlichungen in Zeitschriften, in Anthologien und im Rundfunk. Bücher: ein Kinderbuch, ein Krimi, zuletzt Spike Dickus & Co.

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Weihnachtsküche

Oh, wie gut riecht es in unsʼrer Küche!

Weihnachtsplätzchen backen. Oh, wie fein!

Jedes Jahr zur Weihnacht die Gerüche

stimmen uns aufs Weihnachtsfest jetzt ein.

Weihnachtsplätzchen riechen gut,

Weihnachtspätzchen schmecken fein.

Wer nicht Weihnachtsplätzchen isst,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann

in den großen Sack hinein!

Oh, wie gut riecht es in unsʼrer Küche!

Weihnachtsstollen backen. Oh, wie fein!

Jedes Jahr zur Weihnacht die Gerüche

stimmen uns aufs Weihnachtsfest jetzt ein.

Weihnachtsstollen riecht so gut,

Weihnachtsstollen schmeckt so fein.

Wer nicht Weihnachtsstollen isst,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann

in den großen Sack hinein.

Oh, wie gut riecht es in unsʼrer Küche,

Weihnachtsgans gebraten. Oh, wie fein!

Jedes Jahr zur Weihnacht die Gerüche

stimmen uns aufs Weihnachtsfest jetzt ein.

Weihnachtsbraten riecht so gut,

Weihnachtsbraten schmeckt so fein.

Wer nicht Weihnachtsbraten isst,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann,

steckt der Weihnachtsmann

in den großen Sack hinein.

Ulli Lanin

*

Vom kleinen Stern, der sein Licht verlor

Es war Weihnachtszeit. Der Schnee bedeckte Felder und Wiesen und versteckte Häuser und Bäume unter weißen Hauben.

Ivo, der große graue Mäuserich, hatte alle seine Freunde zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Zu diesem Zweck hatte er in der Scheune Unmengen von Strohsternen aufgehängt. An den Fenstern glitzerten Eisblumen und der Tisch war gedeckt mit knackigen Nüssen und getrockneten Äpfeln. Sogar Käse gab es. Wo Ivo den wohl stibitzt hatte?

Nun musste er nur noch die Kerzen am Christbaum anzünden – und die Gäste konnten kommen.

Schon klopfte es.

„Schöne Weihnachten!“, rief Emma, Ivos Nachbarmaus. Sie umarmte den Mäuserich, küsste ihn auf beide Wangen und überreichte ihm eine große Walnuss. „Die hab ich eigens für dich im Herbst gesucht“, erklärte sie.

Auch Emmas Mäusetochter Mia war mitgekommen. Heute Abend würde es zwar spät werden, aber welche noch so kleine Maus ging am Weihnachtsabend schon früh zu Bett?

Nach und nach trafen alle Mäusegäste ein. Sie begrüßten sich, wünschten sich schöne Weihnachten und setzten sich an den Tisch. Der Festschmaus konnte beginnen.

Zur gleichen Zeit stand oben, inmitten der Weite des Himmels, ein kleiner Stern und staunte. Die Erde unter ihm war heute Nacht über und über mit Lichtern bedeckt. Was für ein wunderschöner Anblick!

Der kleine Stern beugte sich weit vor, damit er alles ganz genau sehen konnte. Dörfer und Städte glänzten und glitzerten, sogar am Nordpol entdeckte er einen leuchtenden Schein. Der kleine Stern reckte und streckte sich und plötzlich – Hilfe! – verlor er das Gleichgewicht und purzelte kopfüber vom Himmel. Vor Schreck blieb ihm fast das Herz stehen. Wie eine Sternschnuppe sauste er durch die Nacht, bis er auf etwas Weichem landete.

Benommen richtete er sich auf und schnupperte. Dann rümpfte er die Nase. Oh nein! Ausgerechnet auf einen Misthaufen war er gefallen! Vorsichtig kletterte er von dem weichen, warmen Hügel herunter. Dann blickte er sich neugierig um. Gleich neben dem Misthaufen stand eine Scheune. Unter der Tür drang ein Lichtstreifen hindurch ins Freie. Dahinter hörte der kleine Stern Stimmen. Und wie gut es hier duftete!

Kurz entschlossen drückte er die Tür auf. Auf einen Schlag verstummten das Reden und das Lachen. Unzählige Mäuseaugen starrten auf den kleinen Stern.

„Wer bist denn du?“, fragte Ivo schließlich, nachdem ihm ein Käsestück beinahe im Hals stecken geblieben wäre.

„Ich bin ein Stern und gerade vom Himmel gefallen“, erklärte der kleine Stern.

„Mhm“, räusperte sich Ivo. „Ein Stern also ...“ Er begutachtete den Kleinen nachdenklich.

„Sterne sehen anders aus“, rief Elvira, die Kirchenmaus, vorlaut. „Und sie riechen auch nicht so wie du!“ Elvira kannte sich da ganz genau aus. Schließlich war die Kirche mit unzähligen Sternen geschmückt.

„Das ist kein Stern, das ist ein Dreckspatz“, sagte Emma, Ivos Nachbarmaus, mit wichtiger Stimme. Sie war sich ganz sicher, dass sie recht hatte. Ihre Mia sah nämlich genauso aus, wenn sie vom Spielen nach Hause kam. Über und über voll mit Schmutz.

„Aber ich bin ein Stern!“, rief jener ein wenig ärgerlich. Warum glaubte ihm niemand?

Doch die Mäuse am Weihnachtstisch hörten ihm schon nicht mehr zu. Sie sprachen gerade darüber, ob die kleine Mia wirklich so ein Dreckspatz war, wie ihre Mama behauptete. Und ob es vielleicht auch Mia gewesen war, die die frischen Bucheckern in der Vorratskammer der Kirchenmaus angeknabbert hatte. Elvira hatte da nämlich so kleine Fußspuren entdeckt ...

Niemand kümmerte sich mehr um den kleinen Stern. Die erwachsenen Mäuse hatten ihn glatt vergessen. Ein wenig verloren stand er an der Tür.

Da raschelte etwas neben ihm im Heu. „Willst du mit mir Fangen spielen?“, fragte Mia den kleinen Stern.

Ihr war es am Tisch der Großen langweilig geworden. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen. Was, wenn herauskam, dass tatsächlich sie von den leckeren Bucheckern genascht hatte?

Der kleine Stern strahlte. „Klar spiele ich mit dir!“

„Fang mich!“, rief Mia und schlüpfte durch die Tür hinaus. Der kleine Stern flitzte hinterher.

Mia war schnell. Geschickt umrundete sie den Misthaufen und sauste einen Schneehügel hinunter. Der kleine Stern rannte, so schnell er nur konnte. Er war ihr schon ganz nah. Gleich würde er sie erwischen!

 

Da trat er genau auf eine Eisplatte und rutschte aus. So ein Pech!

Mia sprang flink zur Seite und der kleine Stern schlitterte wie auf einer Rodelbahn den Hang hinunter.

„Hast du dir wehgetan?“, fragte Mia besorgt.

„Gar nicht!“, lachte der kleine Stern. „Das Rutschen war toll! Komm, wir rutschen gleich noch einmal!“

Gemeinsam kletterten sie den Hang hinauf und rutschten wieder hinunter. Und kletterten hinauf ... und rutschten hinunter. So lange, bis sie ganz außer Atem waren.

Plötzlich blieb Mia stehen und starrte den kleinen Stern an. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie erschrocken. „Du strahlst ja wie ein Stern!“

„Ich bin ein Stern!“, erklärte der kleine Stern. „Ich war nur voll Mist. Jetzt bin ich sauber. Und darum siehst du mein Licht.“

Vorsichtig berührte Mia den leuchtenden Stern. „Kommst du wirklich vom Himmel?“, fragte sie.

Der kleine Stern lachte. „Das hab ich doch gesagt. Und ich glitzere und glänze und funkle genauso wie all die anderen Sterne da oben am Himmel.“

Mia war beeindruckt. Ihr Spielkamerad war ein echter Stern und sie hatte das nicht bemerkt.

„Das zeigen wir meiner Mama“, rief sie begeistert und rannte voraus in die Scheune.

Die großen Mäuse starrten den kleinen Stern genauso entgeistert an wie zuvor Mia.

„Du bist wirklich ein Stern“, flüsterten sie.

„Ja, ich bin ein Stern“, lächelte dieser, glücklich darüber, dass die Mäuse ihn erkannt hatten.

Das Weihnachtsfest dauerte noch bis spät in die Nacht. Und es machte gar nichts, dass die Kerzen am Christbaum – eine nach der anderen – herunterbrannten und verloschen. Die Mäuse hatten ja einen kleinen Stern zu Gast, der ihr Weihnachtsfest mit seinem Licht erhellte

Waltraud Egitz ist Lehrerin an einer Mittelschule in Kufstein und unterrichtet Deutsch, Musik und Italienisch. Neben mehreren kleineren Veröffentlichungen wurden vier ihrer Texte in Form von Kinder- und Jugendbüchern herausgegeben: „Der Zottelbär“, „Der kleine Bär sucht das Glück“, „Ein Stern für alle“, „Absturzgefahr“.

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Der verliebte Schneemann

Ein Schneemann hatte sich verliebt

in eine hübsche Schneefrau.

Die stand im Garten nebenan

ganz nah von ihm am Vorbau

des Hauses. Und er wolltʼ zu ihr,

doch störte ihn ein Zaun,

der zwischen den Verliebten hier.

Wer konntʼ nur so was bauʼn?

Der Schneemann sann nun etwas nach,

um diesʼ Problem zu lösen.

Er war gewiss ein Mann vom Fach

und schaute auf den Besen.

Da kam ihm plötzlich die Idee,

mit diesem hinzufliegen

zu seiner Braut, die auch aus Schnee.

Das müsstʼ er doch hinkriegen!

So stieg er auf den Besen dann,

doch der tat sich nicht regen,

weil halt ein Besen das nicht kann,

sich fliegend zu bewegen.

Der Schneemann schaute zum Balkon vom Haus,

sah eine Leiter.

Von dort gehtʼs übern Zaun hinaus,

doch wie, wusstʼ er nicht weiter.

Er stieg flugs zum Balkon hinan,

den Besen in der Linken.

Im Garten dort von nebenan

sah er die Schneefrau winken.

Das brachte ihn sofort in Fahrt,

er konntʼ es kaum erwarten,

zu fliegen so nach Schneemannsart

hin zu der Liebsten Garten.

Er nahm den Besen und flog los

und war dabei sehr munter.

Doch leider zog sein Schneemannschoß

ihn auf den Hof hinunter.

Dort lag er, war total zerstört,

aus war sein Liebesstreben.

Wer Besen nimmt als Fluggerät,

der holt den Tod sich eben.

Ulli Lanin

*

Alle Jahre wieder

An Neujahr habe ich einen wichtigen Vorsatz gefasst: In diesem Jahr lasse ich mich weder zu Weihnachten stressen noch in den als besinnlich titulierten Wochen, in denen die Zeit schneller als sonst im Jahr rennt. Soll sie doch rennen wie ein Wiesel – ich werde schlendern, ganz gemütlich.

Selbst im Kindergarten meiner Tochter gibt es für die Kleinsten ein Programm zur Entschleunigung in der Adventszeit. In diesem Jahr, habe ich beschlossen, entschleunige ich mit. Auch deshalb stürzen wir uns nicht wie Lemminge in die Massenwanderung Richtung Alpen, um dann wie zu Hause ohne Schnee zu feiern.

Die Zauberformel zur Entschleunigung heißt unnötigen Ballast abzuwerfen, Organisation und Aufgaben vorzuverlegen. Gleich nach den Sommerferien habe ich mich daher um die Weihnachtsgeschenke gekümmert (leider hatte niemand aus der Familie um diese Zeit Wünsche, ich musste also kreativ werden). Ich habe sechs Stollen zum Einfrieren im ungewöhnlich warmen, um nicht zu sagen, tropisch-heißen Altweibersommer im Trägerkleid gebacken und bei weit geöffnetem Fenster Weihnachtsmusik zur Einstimmung sehr zum Erstaunen des Postboten gehört, während mir die Schweißperlen die Wirbelsäule herunterrannen.

Ganz stressfrei lassen wir uns den Weihnachtsbaum in diesem Jahr nach Hause liefern. Alles, was andere Frauen sonst vor dem Fest der Feste beschäftigen könnte – ausgiebiges Shoppen, Wellnesswochenenden, Weihnachtsmärkte, Pediküre, Maniküre, ein paar überflüssige Kilos mit einem adretten Personal Trainer ab- und die seelische Verfassung gleichzeitig aufbauen, Detox, Botox ... Darauf verzichte ich freiwillig.

Gut, es bleibt dennoch ein wenig zu tun, stelle ich fest, als ich am Montag nach dem ersten Advent meine Liste begutachte.

Folgende Aufgaben stehen an: Geschenke verpacken (sechs bis zehn Stunden), sechzig Weihnachtskarten schreiben (macht vier pro Tag à fünfzehn Minuten, wenn sie rechtzeitig eintreffen sollen), mindestens fünf Chargen Plätzchen backen, allein schon, um Nikolausgeschenke zu haben (dafür brauche ich gefühlt drei Tage; apropos Nikolaus, da muss ich mir noch ein paar Gedanken machen), Weihnachtsgarderobe aussuchen (purer Luxus, ich weiß, trotzdem, den gönne ich mir. Stunden: ?), Festtagsmenü planen (klingt hochtrabend, aber erfordert eben ein bisschen mehr Sorgfalt als ein Nullachtfünfzehn-Braten zum Wochenende, zumal sich kurzfristig Familie angesagt hat, da sie mitbekommen hat, dass wir nicht verreisen). Und deutlich weihnachtlicher könnte unser Haus aussehen ...

Saisonal bedingt, alle Jahre wieder, kommen andere Extras hinzu: Meine Schulkinder schreiben Arbeiten bis zum Abwinken, wobei sie auch auf elterliche, sprich, mütterliche Unterstützung angewiesen sind. Und der Garten, nun ja, schön wäre es, wenn ich wenigstens den Rasen vor dem ersten Schnee (immerhin muss man diese Eventualität auch im Flachland in Betracht ziehen) vom Laub befreien könnte.

Tante Herta, die sich selbst bei uns eingeladen hat, bittet um Rückruf, da sie wissen möchte, welches Programm an Heiligabend bei uns stattfindet.

Nicht als Pflichten zähle ich die obligatorischen vorweihnachtlichen Treffen im Verwandtschafts- und Freundeskreis, denn das ist Eustress, alles ganz positiv und entspannend.

Meistens zumindest.

Nachdenklich starre ich am Montagmorgen nach dem zweiten Advent auf meine Liste. Organisation ist gut. Aber es gibt eben diese unvorhersehbaren Dinge – nennen wir sie Überraschungen des Lebens –, die sich als gnadenlose Zeiträuber entpuppen können.

Leider habe ich mir beim Genuss einer Weihnachtsprinte mein schönes Inlay herausgebissen (der Zahnarztbesuch war unabdingbar, ohne Termin drei Stunden Wartezeit!). Geschenkt, kann passieren. Ebenso wie der Rohrbruch im Keller, ein Geschirrspüler, der sich aus unerfindlichen Gründen weigert, das Geschirr zu waschen, und der Verdacht auf Gehirnerschütterung bei meiner Tochter, nachdem sie beim Lustig-lustig-tralala-Tanzen im Kindergarten mit einem anderen Kind zusammengestoßen ist.

Das Telefonat mit Tante Herta steht noch aus und mir bevor. Zur Ablenkung schaue ich zum Fenster hinaus: Heute schneit es. Ununterbrochen. Keineswegs besinnlich, sondern kräftig wie in den Bergen. Der Wetterbericht sagt Schneefälle auch für die kommenden Tage an. Die Freude der Kinder bedeutet für mich: Chaos auf den Straßen und ausgiebiges Schneeschippen.

Uff! Darauf trinke ich erst einmal einen Zeit-für-mich-Tee.

In der Ruhe liegt die Kraft.

Montag nach dem dritten Advent. Offen und ehrlich – irgendwie sieht meine Liste nicht so aus wie erwartet. Okay, Teile – Großteile – sind erledigt, aber es gibt leider immer noch Geschenke, die nicht verpackt, und mehrere Weihnachtskarten, die nicht geschrieben sind. Und woran liegt das? Ganz klar: an den außerordentlichen Ereignissen der letzten Woche.

Im Kindergarten suchten sie dringend Eltern zur Unterstützung beim Plätzchenbacken. Meine Tochter sah mich mit bittenden, flehenden, kurzum unwiderstehlichen Augen an. Warum suchen sie immer mich?

Auch mein Mann ist bisweilen für eine vorweihnachtliche Überraschung gut. Meist hängt es damit zusammen, dass Unvorhergesehenes auf der Arbeit passiert (wie sehr häufig) und ich sein Auffangbecken, groß wie ein Ozean, für seine unerledigten privaten Aufgaben werde. (Dass an der Weihnachtsfeier seiner Firma in diesem Jahr die Partner pflichterwünscht waren, war ihm hingegen „durchgerutscht“. Fünf Stunden habe ich abgezweigt von meinem Zeitkonto für seine Kollegen.)

UND: Warum muss sich der attraktive Personal Trainer ausgerechnet bei meiner Freundin so unprofessionell verhalten, dass sie zwar mit zehn Pfund weniger, dafür aber mit gebrochenem Herzen zurückbleibt und unser Telefon heißläuft?

„Da lobe ich mir die Funklöcher in den Bergen“, lautete der einzige Kommentar meines Mannes zum Leid meiner Freundin nach unserem mehrstündigen Telefonmarathon.

Immerhin sind Stunden der sozialen Kontakte die besten Stresskiller, lese ich immer wieder, quasi Entschleunigung pur. Ich sollte dankbar sein für mein weit gefächertes soziales Umfeld.

Apropos: Tante Herta!

Ein Tag vor Heiligabend, Montag nach dem vierten Advent. Alles geschafft! Auch dank zweier Nachtschichten. Musste sein, denn unseligerweise ist mir ein Magen-Darm-Virus (zwar nur ein vierundzwanzigstündiger, dafür gerecht auf alle Familienmitglieder verteilt) in der letzten Woche in die Quere gekommen. So mir nichts, dir nichts bin auch ich in den Genuss einer Radikalkur gekommen (Detoxing und Gewichtsabnahme kombiniert).

Sogar die Last-minute-Geschenke sind rechtzeitig eingetroffen. (Erst eine Woche vor Weihnachten fällt meiner Familie ein, welche dringenden Wünsche sie an den Weihnachtsmann hat.) Übernächtigt, mit Augenringen groß wie Untertassen, sitze ich vor meiner Liste, die nichts als durchgestrichene Posten enthält.

Bravo!

Daneben liegt – leider – die neue, nicht eben kurze Liste für morgen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Verwandtschaft anrücken, sich in unserem Haus verteilen: Tante Herta, die darauf wartet, dass das Programm endlich beginnt, Onkel Gerhard mit seinem laut piepsenden Hörgerät, Tante Brigitte, die ihren sabbernden Hund niemals alleine lässt ...

Bin ich gestresst? Hmm.

Einmal tief durchatmen, dazu ein mentales Schulterklopfen. Na also, geht doch!

Bis zur Eröffnung des Weihnachtsspektakels sind es genau siebzehn Stunden – und sechsunddreißig Minuten.

Das schaffe ich. Locker!

So wie ich es mir zu Beginn des Jahres vorgenommen habe.

Na ja ... also fast so.

Bettina Schneider, Jahrgang 1968, lebt in Berlin, verheiratet, zwei Kinder und ein Hund, Studium der Betriebswirtschaftslehre, im Anschluss zehn abwechslungsreiche Jahre im Rechnungswesen in der Privatwirtschaft, heute Freiraum für kreative Tätigkeit. Sie schreibt mit Begeisterung Kurzgeschichten und Erzählungen, einige davon sind veröffentlicht.