Nick aus der Flasche

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Nick aus der Flasche
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Monica Davis

Nick aus der Flasche

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Presse

So endete der letzte Teil:

Kapitel 8 – Bangen um Nick

Kapitel 9 – Nicks erster Schultag

Kapitel 10 – Geister der Vergangenheit

Kapitel 11 – Abschied

Kapitel 12 – Heimweh

Über die Autorin

Impressum neobooks

Presse

»Nick aus der Flasche« ist ein zauberhaftes modernes Märchen, das durch Magie, Liebe, Freundschaft und tiefe Gefühle zum Leben erweckt wird. Man will unweigerlich mehr davon.

Happy End Bücher

Monica Davis’ »Nick aus der Flasche« ist sexy, witzig und ein Liebesroman mit Sommerfeeling. (Kleeblatts Bücherblog Mai 2013)

So endete der letzte Teil:

In Julies Kopf drehte sich alles. Sie fühlte sich leicht und beschwipst, obwohl sie nur Limonade getrunken hatte, außerdem zu allen Schandtaten bereit. Niemals zuvor hatte sie so viel Mut besessen, das musste sie ausnutzen!

Der Kuss hatte sie jedoch überrascht und wie Sekt in ihrem Magen gekribbelt. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie wollte Josh ärgern, ja, aber dass sie gleich so rangehen würde … Sie gluckste. Josh schaute wie ein Kampfgockel zu ihnen. Er war ja so eifersüchtig, wie geil! Er beobachtete sie aus wenigen Metern Entfernung und hatte zuvor schon mit schlechter Laune reagiert, als Nick Gitarre gespielt hatte und alle Mädchenaugen auf ihn gerichtet waren. Jetzt hatte sie es Josh so richtig heimgezahlt. Ob sie zu ihm sollte?

Sie wollte sich von Nick losmachen, aber der hielt sie eisern fest. »Wir gehen jetzt.«

Ihre ehemals beste Freundin Lisa hielt ihren Daumen nach oben. War sie froh, dass Julie von Josh abgelassen hatte oder gratulierte sie ihr zum neuen Fang? Bei Lisa wusste sie nie, woran sie war. Doch selbst das war Julie egal, sie fühlte sich schwerelos!

»Lass mich zu Josh, Dschinnie.« Ihre Stimme klang so witzig, quietschig und hoch. Hatte Nick sie in Mini-Julie verwandelt? Sie kicherte. Ui, das wäre lustig, dann könnte sie Nick im Puppenhaus besuchen.

»Sei still«, zischte er und zog sie weiter, weg von der Party. »Warum hast du mich geküsst?«

Wieso wollte er ihr denn jetzt alles vermasseln? »Na, um Josh eins auszuwischen, was denkst du denn?«

Sein Gesicht verdüsterte sich. »Du hattest ihn doch eh schon am Haken!«

»Er soll ruhig sehen, dass ich auch andere Kerle haben kann.« Oh ja, im Moment könnte sie alle haben, vielleicht sogar Martin, der mit Nicks Gitarre hinter ihnen herdackelte. »Emma hatte recht, du bist der heißeste Typ aller Zeiten. Und du gehörst mir.«

»Emma hat hübscheste gesagt«, erwiderte er angesäuert.

Was hatte er denn? So eine Spaßbremse.

Julie grinste. »Egal. Josh war ziemlich beleidigt, als du ihm die Show gestohlen hast, das fand ich klasse. Dafür bekommst du noch einen Kuss.«

Er drehte den Kopf weg.

»Hey, warum willst du keinen Kuss?«

»Weil du nicht du selbst bist.« Er klang nicht mehr ganz so böse, dafür atemlos. »Hör bitte auf damit.«

»Woher willst du wissen, wer ich bin? Du kennst mich doch noch keine zwei Tage.« Immerhin schien ihm der Kuss gefallen zu haben, so wie er ihn erwiderte hatte. Oh, er war ein guter Küsser. »Hast du viel mit Emma geübt?«

»Was?« Seine Brauen hoben sich.

»Hattet ihr Sex?« Wow, die Worte kamen so einfach über ihre Lippen. Grinsend drehte sie sich um. »Martin, hattest du schon mal Sex?«

»Mann, bring sie bloß weg hier«, sagte der, während sie tiefer in den Wald gingen.

Jetzt hatte ihr Kumpel auch schon miese Laune. Was war denn mit den beiden los?

Die Musik wurde leiser und die Düsternis der Bäume umfing sie. Hey, sie wollte zurück!

»Wenn ich ein Mensch wäre, würdest du dann mal mit mir ausgehen?«, fragte Nick überraschend.

»Die Frage stellt sich nicht, denn du bist ein Geist.«

»Nicht so laut«, zischte er und schaute über die Schulter. Julie tat es ihm nach und grinste Martin erneut an, doch er zeigte keinerlei Reaktion. Er nahm ihre Aussage wohl nicht ernst. Ob sie Martin einweihen sollte? Immerhin war er ihr bester Freund. Sie teilte all ihre Geheimnisse mit ihm.

»Ich finde das fies von dir, mich für deine Zwecke zu missbrauchen.« Abrupt blieb Nick stehen. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Brust. Er hatte eine schöne Brust. Nicht so muskulös wie die von Josh, aber dennoch breit und sehr ansehnlich.

»Julie, hörst du mir überhaupt zu?«

»Hm«, brummte sie, während sie mit der Hand über seinen Oberkörper strich.

»Ich habe auch Gefühle, und ich mag es nicht, wenn du mich ausnutzt«, sagte er leise.

»Du bist mein Flaschengeist und musst tun, was ich will.« Warum stellte er sich so an?

»Martin!«, rief Nick. »Hilfst du mir, sie nach Hause zu bringen? Sie redet nur noch wirres Zeug.«

Ihr Freund eilte zu ihnen. »Total high. Was hat sie denn genommen?«

»Ich habe gehört, dass Josh den Mädchen irgendwas in die Limonade getan hat, was sich Happys nennt.«

»Der Schweinekerl.«

Happy, Happy … Julie kicherte, machte sich von Nick los und drehte sich im Kreis. Dabei lachte sie ausgelassen. Die Bäume drehten sich, ihr war so schwindelig. Nick und Martin gab es doppelt, dreifach, vierfach … und hinter ihnen tauchte plötzlich Josh auf.

Als Nick sie an den Schultern packte und sie abrupt stehen blieb, ließ sie sich taumelnd an seine Schulter sinken.

»Jetzt werde endlich wieder normal!«

Sie hörte ein Schnippen, dann fühlte es sich an, als würde eine Blase in ihrem Kopf platzen. Die gute Laune verflog schlagartig. Zurück blieb leichtes Kopfweh und die Erkenntnis, wie sie sich aufgeführt hatte.

Lieber Gott, sie hatte Nick geküsst!

Langsam machte sie sich von ihm los. »E-es tut mir so l…«

Plötzlich wurde Nick von ihr weggerissen.

»Josh!«

Mit voller Wucht schubste er Nick mit dem Rücken gegen einen Baum. »Ich hab die älteren Rechte, Tate, also verpiss dich endlich!«

Nick keuchte auf und blieb wie erstarrt an den Stamm gelehnt stehen, die Augen aufgerissen. Dann schnappte er nach Luft und sah an sich herunter.

Julie folgte seinem Blick – und schrie auf. Blut lief unter seinem T-Shirt hervor und versickerte in der Hose.

Sofort war sie bei ihm. »Verdammt, Josh, was hast du getan?« Vorsichtig hob sie das Shirt an und traute ihren Augen nicht: Auf Nicks rechter Seite ragte ein fingerdicker Ast neben seinem Bauchnabel heraus!

»Nein, bitte nicht«, wisperte sie und trat hinter ihn. Ihre Sicht verschwamm, doch nicht, weil es düster im Wald war, sondern von ihren Tränen und dem Grauen, das sich ihr offenbarte. Der abgebrochene Ast hatte sich von hinten durch Nicks Körper gebohrt!

Josh und Martin traten zu ihr.

»Scheiße«, fluchte Josh, fuhr sich durchs Haar und lief davon. Er verschwand im düsteren Wald und ließ sie einfach so zurück. Unfassbar!

»Martin!« Hilflos schaute sie ihren Freund an.

Der schulterte Nicks Gitarre und versuchte, mit zitternden Fingern sein Handy aus der Hosentasche zu bekommen. »Wichtig ist, dass er genau so stehen bleibt, damit er nicht noch mehr Blut verliert«, sagte er mit einer Stimme, die noch panischer klang als ihre.

Julie stellte sich sofort vor Nick, um ihn zu stützen, und er legte die Arme auf ihren Schultern ab. Er atmete stockend und stöhnte dabei. Er musste furchtbare Schmerzen haben.

Hektisch tippte Martin auf dem Handy herum. »Ich ruf einen Krankenwagen!«

»Nein«, krächzte Nick. »Flasche.«

»Deine Flasche?« Hatte sie richtig gehört?

»Darin kann ich heilen«, flüsterte er, wobei er den Kopf zurücklehnte. Sein Gesicht war käseweiß, Schweiß glänzte auf seiner Stirn und er sah aus, als würde er gleich ohnmächtig werden.

»Aber … die Striemen!« Schlagartig erinnerte sie sich an die Male auf seinem Rücken. Die hätten doch auch geheilt sein müssen? Oder waren die Verletzungen sehr tief gegangen?

»Verzauberter Riemen, damit ich länger Schmerzen habe und schlecht heilt«, erwiderte er stockend.

Selbst in diesem Moment wünschte sie Mr. Solomon die Pest an den Hals. Sollten ihm die Maden im Grab die Augen herausfressen! »Halte durch, Nick, ich hole deine Flasche!« Sie überlegte, zu ihrem Fahrrad zu laufen, das nur wenige Meter entfernt stand, aber dann müsste sie Nick loslassen.

»Seid ihr bescheuert?« Martins Stimme überschlug sich. »Er muss sofort operiert werden!«

»Er kann in kein Krankenhaus.« Dort würden sie herausfinden, dass er kein Mensch war. Doch Martin hatte Recht, es musste augenblicklich etwas geschehen. Bis sie mit der Flasche zurückkam, könnte es zu spät sein. »Vertrau uns Martin, Bitte! Nick ist … ein Flaschengeist.«

 

»Komm mal von deinem Trip runter!«, rief er. »Hier geht’s um Leben und Tod!«

Julie hatte jetzt keinen Nerv, das auszudiskutieren. »Mach ein Foto von ihm. Du wirst ihn darauf nicht sehen!« Verdammt, die Zeit lief ihnen davon!

Erneut wandte sie sich an Nick. »Du hast doch gesagt, du spürst, wo deine Flasche ist, kannst du dich nicht auflösen und hinfliegen?«

»Zu schwach, zu weit weg. Weiß nicht, ob ich das überhaupt kann«, stieß er hervor.

Schwarze Schlieren waberten vor ihren Augen, sie wankte. Bitte, das durfte doch nicht wahr sein. Er war ein Geist, die starben nicht! »Ich rufe Connor an!« Sie holte ihr Smartphone aus der Umhängetasche und tippte hastig auf die eingespeicherte Nummer ihres Bruders.

Der ging auch gleich ran, klang jedoch mürrisch. »Was gibt’s?«

»Con, du musst mir sofort meine Flasche bringen, oder Nick stirbt! Wir sind im Park, am nördlichen Ausgang!«

Schweigen am anderen Ende.

»Bitte, leg nicht auf! Frag Martin, der kann dir das bestätigen.«

»Was bestätigen?«

»Verdammte Scheiße, ich glaub’s ja nicht«, murmelte Martin, wobei er abwechselnd von Nick auf sein Handy schaute. Dann trat er zu Julie und sagte atemlos in ihr Smartphone: »Nick ist ein Geist!«

»Habt ihr was getrunken? Wenn Dad das rausbekommt …«

»Connor, bitte, das ist kein Witz!«

»Wohl eher ein mieser Versuch, um an die Flasche zu kommen. Vergiss es!«

Julie weinte. Ihre Verzweiflung brannte wie Säure in ihrer Seele. »Bitte, Connor, Nick stirbt! Du kannst ein Leben retten!«

Wieder Zögern. Hatte sie endlich seinen Nerv getroffen? Connor wusste, dass sie keine Witze machte, wenn sie auf den Tod seiner Mutter anspielte.

»Ich hole dich nach Hause, aber nur, weil du total hysterisch klingst. Wo bist du noch mal?«

»Am nördlichen Ausgang des Wolfe’s Pond Park. Und denk an die Flasche!«

Erleichtert legte sie auf. »Martin, kannst du am Eingang auf Con warten und ihn herbringen?« Sonst würde er sie im Wald nie finden.

Er legte die Gitarre ab und machte sich sofort auf den Weg, obwohl er reichlich verwirrt aussah.

Nun stand sie allein mit Nick im düsteren Wald. Seine Atmung verlangsamte sich und zum Glück verlor er nicht zu viel Blut. Der Ast in der Wunde wirkte wie ein Stöpsel. Doch es schien, als wäre er kaum noch am Leben.

Während sie dicht bei ihm stand, damit er sich an ihr abstützen konnte, streichelte sie über sein Gesicht. »Halte durch, Con ist gleich da.«

Zitternd öffneten sich seine Lider. »Julie … Du bist die beste Herrin, die sich ein Dschinn wünschen kann.«

»Hör auf so zu tun, als würdest du gleich …« Sie schluchzte auf und schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals. Sie spürte seine Wärme, fühlte schwach den Puls an ihre Wange klopfen. Er war groß und stark – er würde durchhalten!

Bitte, Con, mach schnell …

Als ihr Bruder eine Unendlichkeit später angelaufen kam und sie hörte, wie Martin ihm den Unfallhergang erklärte, atmete Nick kaum noch. Julie zwickte in seinen Oberarm, weil sie sich nicht traute, ihn zu rütteln.

Schwerfällig öffnete er die Lider, sein Blick wirkte entrückt.

»Sie sind da.« Julie wandte den Kopf zu ihrem Bruder. Es war noch dunkler geworden, trotzdem bemerkte sie sofort, dass er die Flasche nicht dabei hatte. Ihre Erleichterung wandelte sich in grenzenlose Panik. »Wo hast du die Flasche?!«, schrie sie, ohne von Nick zu weichen.

Abrupt riss Con die Augen auf, als er den Ast in Nicks Körper stecken sah. »Scheiße! Ihr lasst ihn sterben, nur um an die Flasche zu kommen? Wie stoned seid ihr denn?«

»Denkst du immer noch, das ist ein Erpressungsversuch?« Ihre Stimme schrillte in ihren Ohren. »Jetzt wird er deinetwegen sterben!«

Con versuchte offensichtlich, Ruhe zu bewahren, denn er atmete tief durch, besah sich Nicks Wunde und zog anschließend sein Handy hervor. Julie schlug es ihm aus der Hand.

»Du bist total krank!« Con hob das Telefon auf und ging auf Abstand.

Julie hatte nur noch Augen für Nick. Er würde sterben. Es war entschieden.

Sie hätten doch einen Krankenwagen rufen sollen, verflucht!

Sie stand kurz davor, einen hysterischen Anfall zu bekommen. »Ich wünsche mir deine Flasche herbei, hörst du, Nick!«, brüllte sie in sein Gesicht, da sich seine Augen ständig schlossen. »Das ist ein Befehl, ein Wunsch! Du musst ihn mir erfüllen!« Verdammt, warum hatte sie nicht eher daran gedacht? Weil er zu schwach war, sich aufzulösen?

»Ein Wunsch?«, flüsterte er.

»Ja, verdammt, ein Wunsch! Ich habe noch zwei frei, vorher erlaube ich dir nicht zu sterben!« Sie streckte eine Hand neben seinem Kopf aus. »Die Flasche! Sofort!«

Connor redete am Telefon mit jemandem und Martin heulte, aber das nahm sie kaum wahr. Dafür hörte sie etwas anderes, das Brechen von Ästen, ein surrendes Geräusch … und plötzlich landete die Flasche mit voller Wucht in ihrer Hand.

Vor Überraschung ließ Julie sie beinahe fallen.

»Scheiße!« Connor hatte sein Handy losgelassen. Rasch hob er es auf, entschuldigte sich bei dem Gesprächspartner, sagte dass alles in Ordnung wäre, und legte auf.

»Nick, es hat geklappt!« Lächelnd hielt sie ihm die Flasche vor die Nase und öffnete den Verschluss.

»Kann nicht mehr …« Sein Kopf sank nach unten, sein Körper fiel nach vorne und Julie konnte ihn kaum halten. Der Ast glitt aus ihm und mehr Blut strömte nach.

»Helft mir doch!«, rief sie, woraufhin Connor sofort zu ihr kam und Nick auf den Boden legte.

Julie kniete sich neben ihn und streichelte sein Gesicht, während Connor die Hände auf die Wunde drückte.

Hatte ihr Wunsch ihm die letzten Kräfte geraubt? Bitte nicht, sie waren so kurz vor dem Ziel! Julie vermochte kaum zu sprechen, so sehr schluchzte sie. »Denk an Emma! Du musst ihr noch einen Brief schreiben. Willst du diese Welt verlassen, ohne ihr die Wahrheit zu sagen?«

Flatternd hoben sich seine Lider. »Nur für Emma?«, wisperte er.

»Und für mich«, erwiderte sie unter Tränen.

Ein Lächeln huschte über sein schmerzverzerrtes Gesicht, bevor er sich auflöste. Julie hielt die Flasche in Bodennähe, und die blaue Rauchsäule kroch langsam hinein. Als der letzte Hauch im Gefäß verschwunden war, setzte sie hastig den Stöpsel drauf. Es war geschafft.

Aufatmend ließ sie sich rückwärts ins Gras sinken, die Flasche an ihre Brust gepresst, und starrte zwischen den Baumwipfeln hinauf in den Abendhimmel, auf dem sich erste Sterne zeigten.

Martin und Connor waren sehr still geworden und schauten sie einfach nur an. Sie würde den beiden einiges erklären müssen, doch das war ihr egal. Nick war in der Flasche, nur das zählte.

Kapitel 8 – Bangen um Nick

Connor hatte zuerst Martin nach Hause gefahren, der ihr im Auto Löcher in den Bauch gefragt hatte. Da Julie im Moment nicht nach Reden zumute war, hatte er ihr versprechen müssen, niemandem etwas zu erzählen. Sie würde ihm morgen alles erklären.

Als sie in die Garage fuhren und Con das Fahrrad vom Heckständer holte, kam ihnen Mom aufgeregt entgegen. »Da seid ihr ja endlich!«

»Was ist denn passiert?« Ihr Bruder versuchte, die blutigen Hände hinter seinem Rücken zu verbergen, während sich Julie hinter der Gitarre versteckte.

»Deine Fensterscheibe ist plötzlich zerborsten. Zuerst dachte ich, jemand hätte sie eingeworfen, doch ich habe nichts im Zimmer gefunden. Scheint ein Vogel gewesen zu sein, aber auch der ist weg.«

Dad war wohl noch nicht zu Hause und Mom war nachts ungern allein. Sie wirkte erleichtert, sie zu sehen.

Con und Julie blickten sich kurz an, dann drückte sie sich an Mom vorbei. Sie musste dringend unter die Dusche und die blutbesudelte Kleidung loswerden. Zum Glück trug sie Schwarz.

»Wem gehört die Gitarre?«, rief Mom ihr hinterher.

»Mrs. Warren hat sie mir geschenkt.«

»Und wo kommt ihr jetzt überhaupt her?«, fragte sie Connor.

»Ich hab Julie abgeholt, weil Martin sie nicht nach Hause begleiten konnte.«

Danke, Con, dachte sie. Ihr Bruder hatte was gut bei ihr. Ab und zu war er ein richtiges Ekel, wie es Geschwister eben manchmal waren, aber nach dieser Nacht würde sie Con nie wieder anmaulen.

Oben angekommen, verschwand sie gleich unter die Dusche, wobei sie selbst dort die Flasche nicht aus den Augen ließ. Julie spülte Blutflecken vom Silber, trocknete sich ab und schlüpfte in ihr Schlafshirt.

Als sie in ihr Zimmer kam, saß Connor an ihrem Schreibtisch. »Du hast mir einiges zu erklären.«

Ja, das hatte sie. Wahrscheinlich platzte er bald vor Neugier, genau wie Martin.

Nachdem sich Julie ins Bett begeben hatte, wobei sie Nicks Flasche auf das Kissen neben sich legte, erzählte sie ihrem Bruder alles, angefangen von Mrs. Warrens Geschenk, Mr. Solomon, den verschwundenen Kleidungsstücken bis zum Unfall, wobei sie einige Details, wie den Kuss, nicht erwähnte.

Connor wirkte erstaunlich gefasst, wofür Julie ihn bewunderte. Aber vielleicht stand er unter Schock.

Sie zitterte, ihr war übel und eiskalt. »Bitte erzähle niemanden, wer Nick wirklich ist, auch nicht Mom und Dad.«

Er versprach es ihr. Fürs Erste. »Mr. Solomon ein Hexer … Irgendwie hoffe ich, das alles nur zu träumen«, murmelte er. »Und wie geht es jetzt weiter? Wie lange muss er in der Flasche bleiben?«

Wenn sie das wüsste! »Keine Ahnung, ich hatte noch nie einen Flaschengeist. Was denkst du?« Immerhin war er derjenige, der Medizin studierte.

»Seine Wunde war tödlich. Normalerweise hätte er operiert werden müssen.«

»Nick sagte, er müsse in die Flasche. Von Magie verstehe ich nichts.«

»Magie …« Con tippte sich ans Kinn. »Ich kann nur auf das zurückgreifen, was ich aus Filmen kenne, aber ob das der Wahrheit entspricht?«

»Ein Fünkchen Wahrheit steckt wohl darin. Ich habe Aladdin gesehen und Bezaubernde Jeannie. Ein paar Dinge treffen auch auf Nick zu.« Sie seufzte. Warum gab es keine Gebrauchsanweisung für Flaschengeister?

»Vielleicht sollten wir morgen mal nach ihm schauen«, sagte Con.

Länger würde sie die Ungewissheit ohnehin nicht ertragen. »Ich danke dir.« Julie war so froh, dass sie mit ihrem Geheimnis nicht allein war.

»Das ist meine Pflicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Dennoch müssen wir den Unfall anzeigen.«

»Und was soll ich erzählen? Dass mein Dschinn angegriffen wurde?« Julie holte ein Taschentuch aus ihrem Nachttisch und schnäuzte sich. »Außerdem glaube ich nicht, dass es Joshs Absicht war, Nick zu verletzen. Es war wirklich nur ein unglücklicher Unfall.«

»Und was ist mit Josh? Wenn Nick in der Schule antanzt, wird er Fragen stellen.«

»Falls er es überhaupt schafft.« Vehement hielt sie neue Tränen zurück. Sie wollte sich nicht ausmalen, Nick zu verlieren, und am allerwenigsten wollte sie jetzt an Josh denken.

»Oder Mr. Solomon«, setzte Con hinzu. »Er hat Nick und viele andere Jungen entführt!«

»Die Polizei hatte damals schon Mrs. Warren keinen Glauben geschenkt, was meinst du was sie denken, wenn du ihnen erzählst, Solomon war ein Zauberer? Ich wünschte ja selbst, etwas tun zu können.«

Seufzend stand Connor auf und fuhr sich durch sein schwarzes Haar. »Okay, ich muss auch erst Mal eine Nacht drüber schlafen. Im Moment ist das alles noch so unwirklich.« Er wünschte Julie eine gute Nacht und verschwand in sein Zimmer.

Eine gute Nacht würde sie bestimmt nicht haben. Wahrscheinlich würde sie kein Auge zumachen. Dennoch löschte sie das Licht und kuschelte sich ins Kissen. Nicks Flasche ließ sie dabei niemals los. Sie fühlte sich ungewohnt kalt an. Ob er darin fror? Ein bisschen Wärme würde ihm sicher nicht schaden, befand sie, und zog die Decke höher. Julie hatte einfach das Gefühl, dass es ihm guttun würde und ihr auch.

***

»Na, Schlafmütze, ist alles okay mit dir?«

Als Julie Moms Stimme hörte, schlug sie die Augen auf. »Hm?«

»Es ist bereits nach zehn, so lange schläfst du selbst am Wochenende nicht.«

Schlagartig fiel ihr alles wieder ein und ihr Herz begann zu rasen. Nick!

 

Die Flasche lag neben ihr unter der Decke und fühlte sich warm an. Julie hatte sie die ganze Nacht nicht losgelassen und musste irgendwann eingeschlafen sein.

Sie blinzelte. »Ähm, ich hab bloß leichtes Kopfweh.« Das stimmte sogar. Hinter ihren Schläfen pochte es. »Und ein bisschen Bauchweh.« Das war geflunkert, aber sie wollte das Zimmer heute nicht verlassen.

Ihre Mutter musterte sie skeptisch. »Hast du was getrunken?«

»Natürlich.«

»Julie!«

Darauf fiel Mom immer wieder rein. »Keinen Alkohol, nur Limo.« Aber irgendetwas war in der Limonade gewesen, hatte Nick das nicht erwähnt?

Julie umklammerte die Flasche unter ihrer Zudecke fester. Ob sich die Wunde bereits geschlossen hatte? Durfte sie ihn herauslassen?

»Na gut, ruh dich aus, damit du für die Schule wieder fit bist. Ich mach dir heute Mittag eine Hühnerbrühe.« Bevor sie das Zimmer verließ, sagte sie noch: »Ich habe übrigens Mr. Mitchell angerufen. Er kann Connors Fenster austauschen und kommt tatsächlich heute noch vorbei.«

Mr. Mitchell gehörte zu den Nachbarn, die gerne Moms Gemüsesäfte kauften. Er arbeitete in einer Fensterbaufirma. »Das ist sehr nett von ihm.«

Kurz darauf kam Connor herein und sperrte hinter sich ab. Er sah so müde aus, wie sie sich fühlte. In der Hand balancierte er einen Kleiderstapel. Julie erkannte eine Jogginghose und T-Shirts.

»Für Nick«, sagte er und setzte sich zu ihr aufs Bett. Die Kleidung legte er daneben. »Oder hatte ich einen verrückten Traum?«

»Keinen Traum.« Sie zog die Flasche hervor. »Ob ich ihn rausholen soll? Mir wäre es lieber, du bist dabei.« Am Nachmittag würde Con wieder nach New York ins College fahren.

»Okay.« Er hielt den Blick fest auf die Flasche gerichtet, während Julie ein Stück wegrutschte, um Platz zu machen. Dann öffnete sie den Verschluss.

Sofort strömte blauer Rauch heraus und ihr Herz klopfte schneller. Das war ein gutes Zeichen, oder?

Auf der anderen Bettseite materialisierte sich Nick. Er lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen, und bewegte sich nicht.

»Nick?«, flüsterte sie. Sein Gesicht war so weiß wie ihr Laken.

Als er plötzlich nach Luft schnappte und sich aufrichtete, stieß Julie einen leisen Schrei aus.

Nick presste die Hände auf sein blutverschmiertes T-Shirt und schaute schwer atmend an sich herunter. Das Blut schien getrocknet zu sein, denn es sah braun aus.

Con war sofort bei ihm. »Es ist alles okay. Lass mich mal sehen.« Während er den verkrusteten Stoff anhob, ließ sich Nick zurücksinken, die Augen auf Julie gerichtet.

Rasch nahm sie seine Hand. »Connor studiert Medizin, er kennt sich aus.« Ohne den blutigen Bauch zu beachten, aus Angst, dort ein Loch zu erblicken, fragte sie ihren Bruder: »Und?«

»Die Wunde hat sich geschlossen!«

Erleichtert atmete sie auf und warf nun doch einen flüchtigen Blick auf Nicks Bauch. Sie erkannte zwar viel trockenes Blut, aber keine offene Wunde. Aufmunternd grinste sie Nick an. Sie hätte jetzt die ganze Welt umarmen können! Er lebte und die Verletzung schien verheilt. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie und stellte die Flasche auf den Nachttisch.

»Müde«, antwortete er leise und lächelte matt.

Julie hätte ihn am liebsten geküsst. Vor Freude lief ihr eine Träne über die Wange, die er ihr mit dem Daumen wegstrich. »Du hast mich gerettet. Ihr beide.«

»Und Martin«, wisperte sie.

»Und Martin.« Plötzlich wurden seine Augen groß. »Meine Gitarre!«

»Ist hier.« Julie deutete auf den Schreibtisch und erntete von Nick ein weiteres Lächeln.

Sie wollte ihm so viel sagen, sich für ihr unmögliches Verhalten entschuldigen, aber nicht vor ihrem Bruder. Der würde nur wieder Fragen stellen.

Con war dabei, Nicks Bauch abzutasten. »Tut das weh?«

»Nein.«

»Dreh dich mal auf die Seite.«

Nick drehte sich in Julies Richtung, und Con schaute sich den Rücken an. »Hier ist auch alles in Ordnung, nur eine Narbe zu sehen. Erstaunlich.« Er runzelte die Stirn. »Woher sind die Striemen?«

»Solomon«, antworteten Julie und Nick gleichzeitig.

Connor keuchte schockiert auf, während sie sich über Nick beugte, um ebenfalls seinen Rücken zu betrachten. »Sie sind viel schwächer geworden, kaum noch da. Du solltest öfter eine Flaschenkur machen.« Wahrscheinlich hatte der alte Bastard ihn kurz vor seinem Tod noch mal geschlagen, so stark, wie die Striemen beim ersten Mal sichtbar gewesen waren.

Grinsend schüttelte Nick den Kopf. »Schönheit wird überbewertet.«

Julie streichelte ein Mal über sein Haar, wobei ihr Herz wild klopfte. »Ich bin so glücklich!«

»Ich klebe überall«, erwiderte er lächelnd.

»Connor hat frische Sachen für dich.« Sie wandte sich an ihren Bruder. »Hilfst du mir, ihn umzuziehen?«

»Das schaff ich allein.« Mühsam setzte sich Nick auf. »Bin nur ein bisschen schwach.«

»Kein Wunder, du hast eine Menge Blut verloren.« Con half Julie, ihm das Shirt über den Kopf zu ziehen. Dann knöpfte Nick die Jeans auf.

»Ich hole einen Waschlappen.« Julie sprang auf, um die beiden allein zu lassen, und nahm das Shirt mit, um es im Badezimmermülleimer zu entsorgen. Ein nackter Dschinn in ihrem Bett war ihr eine Spur zu … Ja, was? Peinlich?

Vor ihrem Bruder auf alle Fälle.

*

Als sie mit dem feuchten Lappen zurückkam, trug Nick bereits die Jogginghose und Con deckte seine Beine zu.

Ihr Bruder erhob sich. »Ich hole dir Magnesium, das nimmst du ein. Außerdem musst du dich ausruhen und viel trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen«, erklärte er und ging Richtung Badezimmertür. »Bin gleich wieder da.«

Eine unangenehme Stille herrschte plötzlich im Raum, bis Nick sagte: »Dein Bruder ist echt nett«, und gähnend die Augen schloss. Unter seinem dichten Wimpernkranz lagen Schatten. Blass und müde wirkte er, doch er lebte – und das war das Wichtigste.

»Ja, seit gestern ist er unheimlich nett, sonst eher nervig.« Julie hockte sich auf die Matratze, strich mit dem warmen Lappen über sein Gesicht und fuhr am Hals abwärts bis zu der blutverkrusteten Stelle neben dem Bauchnabel. Behutsam rieb sie das Blut von der Haut und bewunderte heimlich Nicks Figur. Nun konnte sie ihn in aller Ruhe betrachten: die sanften Täler zwischen den Muskeln, die weiche Haut, die Spur dunkler Härchen, die von seinem Bauchnabel abwärts im Hosenbund verschwand.

Als sie zu ihm aufblickte, starrte er sie an, wobei seine Wangen Farbe bekommen hatten.

Schnell zog sie den Arm zurück. »Ich denke, du bist sauber.«

»Danke.« Seine Lider flatterten und fielen schließlich zu.

Kurz darauf kehrte Con zurück und stellte eine Flasche Wasser sowie eine Schachtel Magnesiumtabletten auf den Nachttisch. »Wie geht es ihm?«

»Ich glaube, er ist eingeschlafen«, sagte sie leise und zog die Decke über seinen Bauch.

Con senkte die Stimme. »Er kann nicht hier bleiben.«

Was? Jetzt war es wohl vorbei mit der Nettigkeit. »Er ist mein Flaschengeist! Außerdem wohnt er im Puppenhaus.«

Connor hob die Brauen und musterte Nick mit verschränkten Armen. »Er sieht aber nicht aus wie ein Flaschengeist. Was würden Linda und Dad denken, wenn sie ins Zimmer kämen? Bestimmt nicht, dass da ein Geist liegt.«

Julie schaute auf ihren schlafenden Dschinn.

Connor hatte recht. Ihre Eltern würden einen halbnackten jungen Mann erblicken. Sie wäre geliefert. »Er kann sich klein machen, dann braucht er auch fast nichts zum Essen. Bitte, Con!«

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Sobald es ihm besser geht, muss er sich eine andere Unterkunft suchen. Vielleicht kann er bei Martin wohnen?«

Ja, das würde ihrem Kumpel gewiss gefallen.

»Er hat heute ohnehin schon zwei Mal angerufen.«

Julies Herz setzte einen Schlag aus. »Was? Hab ich gar nicht mitbekommen.«

»Du hast ja auch geschlafen. Er hat auf dem Festnetzanschluss angerufen.«

Sie ging zum Drehstuhl, auf dem ihre Umhängetasche lag, und zog ihr Smartphone heraus. Es ließ sich nicht einschalten. Der Akku war leer. Sofort hängte sie es ans Ladegerät. »Was wollte er denn?«

»Natürlich wissen, was mit Nick ist. Beim ersten Mal wusste ich ja noch nichts und eben hab ich ihm gesagt, dass er über den Berg ist.«

»Ich werde ihn später zurückrufen.« Hoffentlich hatte Martin niemandem etwas erzählt.

»Er möchte am Nachmittag vorbeikommen.«

Das hatte sie sich fast gedacht, doch Nick brauchte Ruhe.

»Schau, dass er genug trinkt und die Tabletten nimmt, dann müsste er bald fit sein.« Connor schlenderte zur Tür und drehte sich zu Julie um. »Ich muss jetzt packen, in ein paar Stunden muss ich fahren.«

»Danke, Connor. Für alles«, sagte sie und meinte jedes Wort ernst, auch wenn ihr Bruder Nick nicht länger hier wohnen lassen wollte. Im Moment war er der beste Bruder auf der ganzen Welt.

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