Das kleine Buch vom Meer: Inseln

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Das kleine Buch vom Meer: Inseln
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DAS KLEINE BUCH VOM MEER
INSELN

VON STEFAN KRUECKEN HRSG. UND OLAF KANTER

DAS KLEINE BUCH VOM MEER – INSELN

Originalausgabe, Februar 2020

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 by Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt

Texte: Olaf Kanter, Hamburg; Nantucket, Dursey, Rockall, Rungholt

Stefan Krücken, Hollenstedt; alle anderen Inselgeschichten.

Fotografie: Andree Kaiser/Ankerherz Verlag (Färöer, Spitzbergen); Ankerherz Archiv

iStock S. 42, 59, 116, 225, 230, 235

Illustration: Bernd Muss, Hamburg

Titelgestaltung: Susanne Schmaus, Berlin

Gestaltung und Satz: Daniela Greven, Berlin; Susanne Schmaus, Berlin

Reinzeichnung: Markus Drangsal, Berlin

Lektorat: Olaf Kanter, Hamburg

Korrektorat: Sarah Schroepf, Losheim am See

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://d-nb.de abrufbar.

Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt

info@ankerherz.de

www.ankerherz.de

ISBN 978-3-945877-31-9

eISBN 978-3-945877-82-1

INHALT

VORWORT

Reif für die Inseln

GEDICHT

Die Insel von Rainer Maria Rilke

01

FÖHR

Die Insel der Kapitäne

02

SYLT

Die Legende von Pidder Lüng

03

FIRE ISLAND

Der Wellenbrecher

DEUTSCHLANDS UNBEWOHNTE INSELN

04

NANTUCKET

Die Insel der Jäger

IM LABOR DES LEBENS

Romane, die auf Inseln spielen

05

DURSEY ISLAND

Der Knopf Richtung Insel

DIE INSELN DER SUPERREICHEN

06

FÄRÖER

Die Insel der Wikinger

07

JUIST

Die Insel der Spätzünder

WISSEN

Wie entstehen eigentlich Inseln?

HELGOLAND

Die deutscheste aller Inseln. Ein Insel-Abc

GEDICHT

Die Insel von James Krüss

SIEBEN LIEDER ÜBER INSELN

08

ROCKALL

Der Felsen

09

WANGEROOGE

Die Insel mit dem Zug

DEUTSCHLANDS GRÖSSTE INSELN

10

RUNGHOLT

Die versunkene Insel

ISLAND

33 Fakten

11

AMELAND

Die Insel mit dem Pferderettungsboot

12

JERSEY

Die Insel der Schmuggler

DIE EINSAMSTEN INSELN

13

SPIEKEROOG

Die Geschichte vom Drinkeldodenkarkhoff

14

SPITZBERGEN

Die Insel der Eisbären

15

USEDOM

Ein Strandfoto

DIE 20 GRÖSSTEN INSELN DER ERDE

16

LANGEOOG

Die Geschichte der Familie Leiß

17

VLIELAND

Im Abendboot nach Lummerland

18

BORKUM

Die Strandräuber von Borkum

DIE GETEILTEN INSELN

19

 

KEY WEST

Die Insel der freien Geister

20

RÜGEN

Von Störtebeker und Bernstein

ÜBER UNSERE INSELN
REIF FÜR DIE INSELN

Wer das Meer mag, der liebt auch eine Insel. Ein kleines Stück Land inmitten der Welt, und doch weit weg von allem. Inseln stehen für Sehnsucht, für Wind und Weite und Wellen, für eine eigene Romantik. Inseln sind Rückzugsgebiete, und wenn wir auf unserer liebsten Insel sind, dann stellen wir auf der Fähre die Telefone aus und haben das Gefühl, dass der Alltag hinter dem Horizont verschwindet.

Darum soll es in diesem Buch gehen: um dieses besondere Inselgefühl.

Dieses Buch soll eine kleine Flucht bieten. Immer mal aufblättern, eine Insel besuchen, für die Lesezeit der Geschichte in eine andere Welt abtauchen. Diese Idee liegt allen Büchern der neuen Reihe „Kleines Buch vom Meer“ zugrunde. Mit den Inseln fängt alles an.

Die Inseln in diesem Buch sind eine Auswahl unserer liebsten Inseln. Mit Ausnahme des versunkenen Rungholt und des lebensfeindlichen Felsens Rockall haben wir alle besucht. Dieses Buch ist gewissermaßen die Essenz unserer Insel-Erfahrungen, nach mehreren Jahrzehnten Beschäftigung mit Themen vom Meer.

Ein Schwerpunkt liegt vor der deutschen Küste. Wir starten mit der Insel der Kapitäne und schließen mit Deutschlands größter Insel. Ein Herzstück des Buches ist Helgoland, der Rote Felsen in der Nordsee. Wenn man die ganz große Karte betrachtet, dann hat dieses Buch einen Schwerpunkt auf den nordischen Meeren. Rau und wild, das mögen wir an der See eben besonders.

Wir sind auf Nantucket und auf Key West, auf Spitzbergen ganz im Norden und auf dem Wellenbrecher Fire Island vor New York City. Wir haben mit Schmugglern, mit Legenden, mit Piraten und mit anderen Touristen zu tun. Verliebt sind wir in Vlieland und Island.

Allen Lesern wünschen wir schöne Reisen mit unserem ersten „Kleinen Buch vom Meer“!

RAINER MARIA RILKE
DIE INSEL


NORD
SEE

DIE NÄCHSTE FLUT VERWISCHT DEN WEG IM WATT, UND ALLES WIRD AUF ALLEN SEITEN GLEICH; DIE KLEINE INSEL ABER DRAUSSEN HAT DIE AUGEN ZU; VERWIRREND KREIST DER DEICH

UM IHRE WOHNER, DIE IN EINEN SCHLAF GEBOREN WERDEN, DRIN SIE VIELE WELTEN VERWECHSELN, SCHWEIGEND; DENN SIE REDEN SELTEN, UND JEDER SATZ IST WIE EIN EPITAPH

FÜR ETWAS ANGESCHWEMMTES, UNBEKANNTES, DAS UNERKLÄRT ZU IHNEN KOMMT UND BLEIBT. UND SO IST ALLES, WAS IHR BLICK BESCHREIBT

VON KINDHEIT AN: NICHT AUF SIE ANGEWANDTES, ZU GROSSES, RÜCKSICHTSLOSES, HERGESANDTES, DAS IHRE EINSAMKEIT NOCH ÜBERTREIBT.




FÖHR


DIE INSEL
DER
KAPITÄNE

Alte Steine erzählen die Geschichten der Kapitäne. Der Wind hat sie schief gestellt, und das Wetter der Nordsee hat sie geschliffen. Einige sind von Moos bewachsen, manche völlig verwittert. Auf fast allen sieht man ein Kreuz, ein Herz und einen Anker, die drei Symbole der christlichen Seefahrt.

Glaube.

Liebe.

Hoffnung.

Föhr ist die Insel der Kapitäne.

Auf dem Friedhof des Dorfes Süderende, im Westen der Insel, neben dem Backsteinturm der Pfarrkirche „Sankt Laurentii“, sprechen die Steine zu den Besuchern. Zum Beispiel erzählen sie von Früd Faltings, geboren am 23. Dezember 1783, der 1811 Ingke Olufs zur Frau nahm, die ihm drei Kinder gebar. 23 Jahre lang führte er ein Schiff aus Kopenhagen und brachte seine Familie zu Wohlstand. So steht es in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund.

Vom Segen, den die Seefahrt brachte, ist manches noch zu sehen in den Inseldörfern, deren Namen klingen, als würden sie allesamt aus einem Asterix-Heft stammen: Klein-Dunsum, Wrixum, Hedehusum. Weiße Kapitänshäuser unter Reet sind Belege eines gewissen Wohlstands, und manches Gartentor ist aus den Knochen eines Wales gebaut. Auf allen Inseln, deren Boden es beinahe unmöglich machte, etwas zu ernten, und auf denen es an Brennmaterial mangelte, wagten sich die Bewohner hinaus aufs Meer. Sie mussten hinaus, wenn sie überleben wollten.

Aber kaum irgendwo geschah das so konsequent wie auf Föhr, dessen Name sich herleitet vom friesischen Begriff „feer“, was „unfruchtbar“ bedeutet. 82 Quadratkilometer Strand und Dünen und Land auf 54° 43' Nord, 8° 30' Ost, wie in einem großen Schutzbecken zwischen Sylt, Amrum und den Halligen gelegen. Wer abends am Strand von Nieblum entlangspaziert, sieht weit über das Watt und in der Ferne die Lichter der Warften. Föhr: Das ist eine Insel trotziger Nordfriesen, die sich gegen die Dänen auflehnten und später wegen der Preußen in Scharen auswanderten. Bis ins Jahr 1864 war die Insel zweigeteilt, zumindest amtlich gesehen. Der Westen gehörte dem König Dänemarks. Der Osten dem Herzog von Schleswig. Die Trennung lief genau durch die Insel und mitten durch das Dorf Nieblum. Auf der Flagge Föhrs steht bis heute der Leitspruch: „Lewwer duad üs Slaav“. Lieber tot als Sklave.

Ein Aspekt zieht sich durch die Geschichte dieser Insel: die Seefahrt. „Noch zu meiner Zeit fuhren alle Männer im Westen der Insel zur See“, sagt Nickels Peter Hinrichsen, Jahrgang 1939, ein drahtiger Mann mit fein gestutztem Schnurrbart. In Seefahrerkreisen gilt Hinrichsen als eine Autorität. Unter seinem Kommando segelte die „Gorch Fock“, als sie noch der Stolz der Marine war, einst ganz nahe an den Hafen der Inselhauptstadt Wyk heran. Ein riskantes Manöver für ein Segelschiff im Wattenmeer – und eines, bei dem Triumph und Spott dicht im Schlick nebeneinanderlagen. Zwei Jahre lang hatte Hinrichsen mögliche Veränderungen des Wasserstands beobachtet, die Gezeiten geduldig studiert und analysiert, wann die Durchfahrt der engen Priele möglich war. „Auf Höhe ‚Rütergat‘ war die Fahrrinne nur bei voller Tide zu schaffen“, berichtet Hinrichsen. Mehr als 100 Segler, Fischkutter und Jachten begleiteten die Bark auf dem letzten Abschnitt. Eine Seemeile vor dem Hafen von Wyk gab Hinrichsen den Befehl, Anker fallen zu lassen, was Tausende Schaulustige an der Uferpromenade feierten.

Mit seinem mutigen Manöver, das manchem auf der Insel als „Jahrhundertereignis“ gilt, hätte sich Hinrichsen gewiss auch den Respekt der alten Seefahrer verdient. Ein Kapitän von Föhr zu sein, das bedeutete einst einen Status, wie ihn heute Fußballer aus Brasilien, Autobauer aus Schwaben oder Panflötenprofis aus Peru genießen: Sie galten als die Besten ihres Fachs.

Mit dem Walfang im nördlichen Eismeer, mit der Gewinnung des begehrten Rohstoffs Tran, hatte für das arme Föhr ein goldenes Zeitalter begonnen; im 17. und 18. Jahrhundert setzten besonders englische und hanseatische Kompanien auf die Dienste der Inselfriesen, was dazu führte, dass Frauen auf Föhr in den Sommermonaten weitestgehend unter sich blieben. 1750 lebten 5500 Menschen auf der Insel, von denen statistisch beinahe jeder Dritte zur See fuhr, darunter 150 sogar als Kapitäne und weitere 75 als Steuermänner. Nur Kinder, Greise und solche, denen man die gefährliche Reise nicht zutraute, blieben zurück. Es ist überliefert, dass sogar zehnjährige Bengel zur See gingen.

Dass sich im weiten Umkreis herumsprach, wie versiert die Seeleute von Föhr waren, liegt nicht nur an der oft besungenen Zähigkeit der Friesen, sondern vor allem an der Klugheit eines Pastors namens Richardus Petri, der von 1620 an fast sechs Jahrzehnte lang in St. Laurentii wirkte. Gleich nach seinem Amtsantritt hatte er damit begonnen, Männer seiner Gemeinde in Navigation, Mathematik und Astronomie zu unterrichten. Petri (der selbst niemals ein Schiff geführt hatte) knüpfte an die Ausbildung eine Bedingung: Wer es durch die kostenfreie Privatschule zum Kommandanten oder Steuermann brachte, der sollte seine Kenntnisse später kostenfrei an die Jugend weitergeben. Dieses System organisierter Selbsthilfe, im 17. Jahrhundert so modern wie heute, sorgte für hoch qualifizierten Nachwuchs und damit für Wohlstand, der die nächste Generation absicherte.

Früd Faltings, dessen Grabstein noch heute seine Geschichte erzählt, nutzte diese Chance ebenso wie ein gewisser Matthias Petersen, der zu einer echten Berühmtheit werden sollte. Petersen erlegte in seiner Laufbahn insgesamt 373 Wale, eine sagenhafte Zahl. Neben Reichtum brachte sie ihm auch einen Beinamen ein, „den er mit Zustimmung aller annahm“ (wie seine Grabplatte auf dem Friedhof von Süderende informiert): „Matthias der Glückliche“.

Geboren am Weihnachtstag des Jahres 1632, wurde er in der Seefahrtsschule des Pastors von St. Laurentii ausgebildet und bekam schon mit zarten 20 Jahren das Kommando über ein Walfangschiff. 19 Fangreisen unternahm er, vor allem in die Buchten von Spitzbergen. Als die Bestände dort ausgerottet waren, verlegten die Walfänger ihre Jagd auf die offene See, was weniger erfolgversprechend und weitaus gefährlicher war. Ging ein Schiff an die See verloren, bedeutete dies Elend und Hunger für ganze Dörfer. „Matthias der Glückliche“ aber meisterte auch diese Jahre, wobei ihm die lange Erfahrung als Kapitän zugutekam.

Die beiden Kronleuchter aus Messing, die er der Gemeinde stiftete, hängen heute noch im Kirchenschiff – und sein Name ist überall auf der Insel präsent, als Inspiration für Fischrestaurants oder Aufkleber an Straßenlaternen. Dass damals Walfänger, nach heutigem Maßstab Multimillionäre, ihre Kenntnisse weitergaben, dass sie, ganz anders als im Standesleben jener Zeit, mit Menschen jeder Schicht verkehrten, dass man sie duzte, sie sich kaum anders kleideten und verhielten als normale Matrosen, liegt an einer anderen Besonderheit der Föhringer.

„Noch heute kann man keinen größeren Fauxpas begehen, als seine materielle und geistige Überlegenheit zu zeigen“, sagt der Historiker Volkert Faltings, der die Navigationsgeschichte erforscht hat. Was erwartete Angeber auf Föhr? „Schweigendes Nichtbeachten und spöttische Blicke!“ Mehr als Wind und Wellen setzten französische Freibeuter der Familie Petersen zu. Anno 1701 wurde Petersens ältester Sohn Matz, ebenfalls Kommandant eines Walfängers, nach St. Malo entführt und erst nach nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen. Petersen selbst wurde auf seiner letzten Reise 1702 von Franzosen aufgebracht. Er kaufte sich und seine Crew für 8000 Reichstaler frei. Seine Söhne Ock und John fielen wenig später im Kampf gegen französische Seeräuber.

Über Jahrhunderte bewährte sich das System der lokalen Wissensweitergabe, bis 1867, als die Preußen das Herzogtum Schleswig annektierten. Sie verboten die Föhrer Navigationsschule. Die Tradition, zur See zu fahren, setzte sich aber in den Familien fort. Als Kapitän Niels Held, Jahrgang 1941, ein hünenhafter Friese aus Wrixum, mit 15 Jahren seine Laufbahn begann, wusste er von seinem Großonkel, der den legendären Fünfmastsegler „Preußen“ befehligte, und drei Onkeln, die als Kapitäne zur See fuhren.


„Schon als Kind war ich im Boot unterwegs“, erinnert er sich. Für einen Einsatz auf der Azoreninsel Flores, als er 32 griechischen Seeleuten das Leben rettete, erhielt Held die höchste Auszeichnung, die von der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ (DgzRS) verliehen wird. Er hatte jeden Seemann, der nach einer Strandung des Frachters in einer tosenden Brandung vor der Steilküste festsaß, einzeln gerettet. 32 Männer rettete er, 32 Mal unter Einsatz des eigenen Lebens. Nach solchen Details befragt, zeigt sich Held irritiert. „Was ist so Besonderes daran? Das hätten Sie doch auch so gemacht!“

 

Diese Bescheidenheit, dieses Bedürfnis, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und solche, die sich wichtig nehmen, besonders unwichtig zu behandeln, ist überall auf der Insel spürbar. Auch nach vielen Besuchen fällt die Freundlichkeit der Bewohner immer wieder auf. Wer durch die Gassen von Nieblum schlendert, dem romantischsten Inseldorf, in dem ein Reetdachhaus gemütlicher ist als das nächste, wer mit einem Friesentee abends vor dem Kamin hockt, wenn der Wind um die Ecken pfeift, der möge sich auch an die Erlebnisse der Kapitäne von Föhr erinnern und ihre Geschichten lesen.

Föhr ist die größte und bevölkerungsreichste Insel Deutschlands ohne Landverbindung. Sie weist im Unterschied zu anderen Inseln, die vom Tourismus abhängig sind, eine Besonderheit auf. Auch Föhr lebt von den Gästen, die auf die Insel kommen, und im Herbst und Winter, wenn die Stürme über die Nordsee ziehen, geht es ruhiger zu. Doch die „Hauptstadt“ Wyk, ein Dorf von viereinhalbtausend Einwohnern ganz im Südosten der Insel, die im Sommer zur Kleinstadt mit 20.000 Bewohnern anwächst, ist das ganze Jahr über lebendig. Es gibt ein Einkaufszentrum, eine Fußgängerzone mit kleinen Läden und vielen Fischgeschäften, ein Krankenhaus und das Gefühl, dass rund ums Jahr etwas los ist. Szenen wie auf der Nachbarinsel Sylt, wo manche Orte in den Wintermonaten Geisterdörfern gleichen, in denen kein Licht mehr brennt, gibt es nicht.

Das Wappen von Wyk zeigt ein havariertes Segelschiff auf blauen Wellen vor rotem Hintergrund und unter einem hell leuchtenden Stern; auf dem Spruchband darunter steht: „Incertum quo fata ferunt“, was übersetzt bedeutet: „Ungewiss ist, wohin das Schicksal führt.“ Dieses Wappen weist also auf die Gefahren der Seefahrt hin – inklusive Mastbruch. Der Stern möge der Stadt als Orientierungspunkt den Weg weisen.

Als der dänische Dichter Hans Christian Andersen 1844 die Insel besuchte, schrieb er: „Ich habe jeden Tag gebadet, und ich muss sagen, es ist das unvergesslichste Wasser, in dem ich je gewesen bin.“ Was genau am Föhrer Wasser so besonders war, führte er nicht weiter aus, allerdings beschrieb er die lange Anreise. Wer damals nach Föhr wollte, war von Hamburg aus vier Tage lang unterwegs. Von der populären Insel Helgoland aus waren es zwei Tage, allerdings über See, was nicht allen bekam.

Heute geht der Transport schnell und reibungslos auf Autofähren, die an Bügeleisen erinnern und die extra gebaut sind für das flache Wattenmeer. Wer mit ihnen unterwegs ist, sollte an einen anderen Seemann von Föhr denken. An Hans Erich Brathering, einen Kapitän mit Bart und schwarzem Humor, der mit einer solchen Fähre vor einigen Jahren bis Gibraltar fuhr. Im Herbst, im Sturm, durch die Wellen der offenen Nordsee und der gefürchteten Biskaya. Ein thailändischer Hotelunternehmer hatte die Fähre „Nordfriesland“ gekauft, und jemand musste sie sicher nach Asien bringen. Vor allem die erste Etappe über die Meere des Nordens war eine heikle Sache. Keiner wollte, doch einer musste es machen.


Selbst als in hoher Dünung die Treibstoffleitungen der kleinen Fähre verstopften, als die Funkanlage ausfiel, als der thailändische Kapitän seekrank wurde und der Maschinist nur durch Trunkenheit auffiel, blieb Brathering so gelassen, wie es sich für einen Kapitän von Föhr gehört. „Dass es keine Spazierfahrt werden würde, war mir klar. Ich freute mich über das Abenteuer. Meine Familie fährt seit vielen Generationen zur See, und ich hatte schon früh gelernt, ein Boot zu steuern.“ Schon früh gelernt, das meint: Um als Kind ans Steuerrad zu gelangen, hatte Brathering einen Hocker unter den Füßen.

Die kleine Fähre schaffte es bis Thailand, wie Brathering später im „Inselboten“ las, der Heimatzeitung auf Föhr. Eine Urlauberin hatte die ehemalige „Nordfriesland“ erkannt und fotografiert. Bratherings Sehnsucht, die heutige „Raja 1“ wiederzusehen, hält sich in Grenzen. „Bei uns auf Föhr ist es ohnehin schöner als auf Ko Samui“, sagt er.