Loe raamatut: «Herr über Leben und Tod bist du», lehekülg 2

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Ein Schuss und sieben Stiche

Kurz vor 10 Uhr trafen Fett und Schmelzer an der Kirche in Bergstein ein. Sie fuhren zum Parkplatz, von dem man auf den Stausee von Obermaubach schaute. Der dunkelrote VW-Bully der Kriminaltechnik parkte kurz hinter der Schranke am Aufgang zum Burgberg. Ein Streifenwagen stand am Seitenrand. Fett zog die schwarze Dockermütze über die Ohren, Schmelzer war eingemummelt in seine Funktionsjacke.

»Was wissen wir, Schmelzer?«

Schmelzer schaute auf sein Handy und las die Nachricht der KTU: »Alter Mann auf der obersten Plattform des Krawutschketurms. Kopfschuss und Messerstiche. Eugen Kaltenbach, 75, alleinstehend, aus Bergstein. Besaß einen Bauernhof. Hatte alles verpachtet. Frau vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Vermutlich in der Früh umgebracht worden. Keine Kinder. Gefunden von einem Rentner aus Bergstein, der morgens hier seine Runde drehte.«

»Senile Bettflucht. Die können morgens nicht bis 8 Uhr abwarten.«

»Der Rentner hat einen Hund. Da muss man morgens raus. Der Hund hat den Toten gefunden.«

»Ja, oder vor der Alten flüchten.«

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Auf die Alte und den Hund. Übrigens hat er eine Fahne.«

»Wer, der Hund? Trinken die jetzt auch?«

»Nicht der Hund, der Hundebesitzer, dieser, na, dieser Norbert Jörres.«

»Frühtrinker. Hatte bestimmt Stress mit seiner Frau. Oder Witwer?«

»Nein, kein Witwer. Nur kalt.«

»Kalter Witwer?«

»Er hat wegen der Kälte getrunken, Chef.«

»Stimmt. Ich auch. Allerdings Kaffee.«

»Wo müssen wir lang, Herr Fett?«

»Hier, den kurzen und steilen Weg. Kenne ich.«

»Woher?«

»Damals. Segelflug in Bergstein. Manchmal sind wir hier gewesen. Wenn das Wetter nicht passte oder um die Aussicht zu genießen oder nahe am Himmel zu sein.«

Sie stapften den mittleren Weg hinauf, der steil in Richtung Krawutschketurm führte. Das gefallene Laub roch vermodert. Überall Einbuchtungen im Boden, abgebrochene Äste. Sie passierten das Kreuz für einen gefallenen US-Soldaten. Aus den Augenwinkeln sah Fett, dass eine Kerze brannte. Schmelzer rutschte auf seinen Sommerschuhen ständig aus. »Anne hat mir die falschen Schuhe rausgestellt. Irgendwelche handgenähten Ökoschuhe aus Afrika. So ein Käse.«

»Bestimmt sie auch Ihre Schuhe? Ich dachte, nur das Essen«, grinste Fett.

»Das auch. Wahrscheinlich muss ich bald barfuß latschen, zur Abhärtung oder weil irgendein Jogi das so macht.« Schmelzer keuchte. Leberkäs- und Streuselbrötchen machten sich konditionell bemerkbar. Endlich erreichten sie die Höhe und begrüßten die Kollegen aus Kreuzau.

»Kennen wir uns nicht von dem Fall in Obermaubach?«, fragte Fett.

Holz antwortete kurz und bündig: »Moin, ne, das waren andere Kollegen. Mein Name ist Holz, und drüben steht Kollegin Dillinger bei Herrn Jörres. Der hat die Leiche gefunden. Das heißt, sein Hund Rocky, der Dobermann. Außerdem hat der ordentlich geschluckt am frühen Morgen.«

»Der Hund?«

»Das fehlte noch, nein, der Jörres. Glaube nicht, dass er der Täter war.«

»Fürs Glauben ist der liebe Gott zuständig. Vielleicht weiß der Hund mehr. Fett und Schmelzer aus Aachen«, sagte Fett mit Blick auf den Kollegen aus Kreuzau.

»Sie, mit dem Drops auf dem Kopf, sind Kommissar Fett?«

»Drops auf dem Kopf? Das ist eine Dockermütze von New Yorker Hafenarbeitern.«

»Passt zum Rursee. Ahoi, die Herren. Wir stehen hier, um die Massen fernzuhalten, die gleich den Krawutschketurm stürmen werden.«

Hatte Rocky auf das Stichwort gewartet? Er bellte los, als ob 1000 Hasen über den Burgberg flitzen würden.

»Aus, Rocky! Aus!«

Jörres verschaffte den Ermittlern eine kurze Rocky-Pause. Fett schaute hoch zum Turm. Er erspähte die in weiße Overalls gekleideten Kollegen von der Kriminaltechnik.

»Schmelzer, versuchen Sie es mit dem betrunkenen Dobermannbesitzer. Ich klettere auf den Turm. Es wird eng da oben. Sie können nach mir hoch. Oder auch nicht.«

Fett passierte die Markierung der Blutlache am Fuß der Treppe und stieg die Metallstufen empor. Weitere Fahnen kennzeichneten vereinzelte Tropfen. Er blieb auf der letzten Stufe stehen und schaute auf den Toten.

»Moin, Herr Fett. Schöne Aussicht hier oben. Nur nicht für den da. Kopfschuss von vorne in die Stirn über der Nasenwurzel. Hinten ausgetreten. War sofort tot. Die sieben Messerstiche in die Brust brauchte es nicht mehr.« Kollegin Elke Unsleber leitete an diesem Tag die Kriminaltechnik. Ihre Aussagen waren belastbar. Ihr trockener Humor ansteckend. Sie engagierte sich im Umweltschutz, kam mit dem Rad zum Polizeipräsidium. Ohne Akku natürlich. Kurze braune Haare, trainierter Körper, grüne Augen, fester Gang, selbstbewusst. Fett musste sich konzentrieren.

»Todeszeitpunkt?«

»In der Früh. Heute Morgen.«

»Hell oder dunkel?«

»Der Schuss? Ich vermute vor Sonnenaufgang.«

»Nähe?«

»Nicht aufgesetzt. Keine Schmauchspuren und keine Kampfspuren. Nichts. Der muss von unten erwischt worden sein.«

»Tödlicher Schuss aus der Umgebung. Danach steigt der Täter, wenn es nur einer war, auf den Turm und versetzt ihm etliche Stiche?«

»Ja. Zuerst der Schuss, im Anschluss die Stiche. Sonst hätten wir nicht die Blutspritzer auf dem Geländer. Schuss, Täter klettert hoch, sieben Stiche, dreht ihn um, so sehen wir die Stiche nicht sofort. Und er ist nicht durch das Blut gelatscht wie der Frühtrinker da unten, denn der hat Blut an den Schuhen. Den können Sie vergessen. Der hat bestimmt 1,5 Promille.«

»Diese Early Bird Säufer sind mir die liebsten«, schwärmte Fett. »Sie reden so poetisch. Kann ich mir den Toten ansehen?«

»Noch eine Minute. Letzte Aufnahmen.«

Kommissarin Unsleber zeigte auf verschiedene Punkte, und eine Kollegin fotografierte. Kollege Sonanini sammelte das Besteck seines Tatortkoffers ein und nahm an Fett vorbei den Weg nach unten.

»Haben Sie seine Papiere gefunden?«, fragte Fett.

»Ja. Fast vergessen. Hatte der 75-Jährige dankenswerterweise dabei. Eugen Kaltenbach aus Bergstein. Geboren 1944.«

Unsleber reichte Fett den Personalausweis in einer Plastiktüte.

Fett betrachtete den Toten, das Einschussloch über der Nasenwurzel, die sieben Stiche durch den Mantel in die Brust. Eugen Kaltenbach starb mit 75 Jahren auf dem Krawutschketurm. Was soll das alles, dachte Fett.

»Können Sie grob sagen, aus welcher Richtung der Schuss gekommen ist?«

»Wir werden es am Computer simulieren«, versprach Unsleber. »Augenscheinlich stand Kaltenbach hier, neben der Infotafel in Richtung Vossenack, mit Blick über Bergstein in Richtung Westen. Die Blutspritzer auf dem Geländer und der Aufschlagpunkt auf der Plattform deuten darauf hin. Der Schuss muss von schräg unten gekommen sein. Quasi voll auf die Zwölf, klingt makaber, ist aber so. Wir untersuchen den Bereich dort unten gleich genauer.« Sie zeigte auf einen Graben, der sich in westlicher Richtung von Bunkerresten nach Norden zog.

»In der Dunkelheit eine Meisterleistung, den Alten zu erwischen.«

»Guter Schütze oder Schützin. Wir sehen uns das gleich unten an. Vielleicht finden wir eine Patronenhülse. Dafür brauchen wir den Metalldetektor. Übrigens kein großes Kaliber, Jagdwaffe oder so. Die Kugel ist allerdings hinten raus. Die werden wir kaum hier oben finden. Die Kölner Rechtsmediziner sollen den Schusskanal untersuchen. Jedenfalls sind Fund- und Sterbeort identisch.«

Eugen Kaltenbach. Kein typischer Name für die Region, befand Fett. Unten am Turm waren die ständigen Begleiter der Mordkommission eingetroffen, die dunklen Sargträger des lokalen Beerdigungsinstituts Himmelsleiter. Sie würden den Toten in die Rechtsmedizin der Uni Köln schaffen. Aachen besaß keine Rechtsmedizin mehr.

Fett stieg nachdenklich die Stufen hinunter zu Schmelzer, Kaltenbach und Rocky. Auf den Hund hatte er keine Lust. Seit er vor über 40 Jahren von einem Rottweiler angefallen worden war, hielt er sie auf Distanz. Die Hunde merkten, dass Fett sie scheute, rochen seine Angst. Da konnte Herrchen noch so oft rufen »Der will nur spielen!«. Bei Fett endete das Spiel, und die Aggressivität der Kampfhunde brach durch.

Der Stinkstiefel und die Sommersprossen

»Leinen Sie den Hund an die Sitzbank. Wir müssen mit Ihnen reden«, befahl Fett.

Jörres band einen Behelfsknoten und Rocky setzte sich aufmerksam und mit offener Schnauze auf sein Hinterteil. Er ahnte, dass Herrchen nicht in bester Verfassung war, und würde ihm zur Not mit Leine und Holzlehne der Bank zur Hilfe eilen.

»Wann waren Sie heute Morgen hier am Turm?«

»So gegen 7.30 Uhr ungefähr. Das ist die Zeit für Rocky.«

»Wo wohnen Sie und von wo sind Sie gekommen?«

Zwei Fragen. Das wurde etwas schwieriger für Norbert Jörres. Der Inhalt seines Flachmanns lag im hochprozentigen Bereich. Er fuhr sich nervös und fahrig über die Stirn.

»Bergstein, da drüben und von dort, den gemütlichen Weg bin ich gekommen, nicht den steilen.« Er zeigte auf eine Lücke zwischen den Resten zweier Bunker.

»Haben Sie etwas gehört, ist Ihnen jemand aufgefallen?«

»Nee, nichts. Und Rocky bellt ja hinter jedem Kaninchen her.«

»Wie sind Sie auf den Toten aufmerksam geworden?«

»Rocky, der bellte mehr als sonst. Hat das Blut entdeckt und wollte unbedingt auf den Turm. Ich geh manchmal hoch, weil die Aussicht so schön ist. Dann sah ich die Bluttropfen. Könnten ja auch von einem Tier stammen. Hier sind viele Tiere, nicht nur ich und Rocky, ab und an Wildschweine und Rehe und Füchse …«

»Halten Sie keinen Vortrag über Rotwild.« Fett wurde ungeduldig mit dem sichtlich angetrunkenen Mann. »Was ist Ihnen aufgefallen? Reißen Sie sich zusammen, Mann. Sonst nehmen wir eine Blutprobe.«

Jörres zuckte. So hatte lange niemand mehr mit ihm geredet. Zuletzt sein Frühstücksdirektor, der einmal pro Woche von Düren zur Filiale nach Kleinhau gefahren kam.

»Sind Sie schwerhörig?«, ermahnte Fett.

»Nein, nein, nein. Nichts, ich habe nichts gesehen und gehört. Nur den Toten da oben, den habe ich gesehen. Dann habe ich angerufen, Herr Kommissar.«

»Wir müssen den Hund ins Tierheim geben. Alkoholiker dürfen keine Hunde halten.«

»Bitte, Herr Kommissar. Rocky ist alles, was ich habe. Mit wem soll ich denn sonst reden?«

»Mit mir und mit Frauchen.«

»Ich weiß nix. Ich geh hier rum, sehe den Toten und ruf die Polizei. Und kalt ist mir auch. Ist ja nicht verboten, was gegen die Kälte zu tun. Oder?« Norbert Jörres geriet trotz der Frische des Tages ins Schwitzen.

»Sagt Ihnen der Name Eugen Kaltenbach etwas?«

»Kaltenbach. Ja. Eugen Kaltenbach. Ein Stinkstiefel. Ist der das da oben?« Jörres hob das Kinn leicht in Richtung Turm.

»Warum ein Stinkstiefel?«

»Der hat Ärger gehabt und Ärger gemacht. Alle hassten ihn. Fragen Sie doch rum. Mehr sag ich nicht. Fragen Sie die anderen im Dorf.«

»Halten Sie sich zu unserer Verfügung. Rocky auch. Und schlafen Sie Ihren Rausch aus.« Fett hatte genug von dem Alkoholiker.

»Rocky, komm!« Herr und Hund machten sich nachdenklich auf den Weg zurück nach Bergstein. Was der Hund dachte, wusste niemand. Norbert Jörres überlegte, dass er bei der nächsten Leiche einfach die Klappe halten würde. Er sehnte sich nach seinem Hobbykeller und der Flasche Wodka im Werkzeugschränkchen neben der Laubsäge.

»Schmelzer, gehen Sie mit Holz und Dillinger zu den Häusern am Ortsrand«, befahl Fett. »Vielleicht hat jemand was gehört oder gesehen. Ich bleib bei Frau Unsleber. Die prüft die möglichen Positionen, aus denen geschossen worden sein könnte.«

»Positionen prüfen. Na dann. Viel Vergnügen. Dafür hab’ ich eh nicht die richtigen Schuhe an.«

Kollegin Unsleber stakste bereits wie ein Storch im weißen Overall durch das Unterholz in einem Graben nahe des Krawutschketurms. Immer wieder blickte sie hoch zum Turm, wo ein Kriminaltechniker an der Brüstung stand. Sie legte an, als ob sie ein Gewehr halte, und zielte auf den Kollegen. Der warf die Spule mit einer dünnen roten Schnur zu ihr hinunter. Sie schritt vorsichtig damit weiter bergab bis zu einer Vertiefung. Dort aus der Kuhle, vielleicht ein Bomben- oder Granattrichter, von dort musste der Schuss erfolgt sein. Die Schnur war gespannt. Der Polizist auf dem Turm hielt sie in Höhe des Kopfs vom Toten an der Stelle auf dem Turm, wo er gestanden haben musste.

»Was gefunden?« Fett stand am Turm, um nicht Spuren zu zertreten,

»Der Täter muss von hier geschossen haben.« Sie zeigte in Richtung des Kollegen. »Keine brauchbaren Spuren.«

Super, dachte Fett. Ein toter Senior, ein betrunkener Senior, ein nüchterner Dobermann. Alles super an diesem Montagmorgen am Krawutschketurm. Frohe Weihnachten. Er betrachtete die Infotafel am Turmaufstieg, las die Geschichte, wartete auf Elke Unsleber.

»Wir prüfen alles. Es sieht nicht gut aus.« Elke Unsleber schwitzte unter dem Overall.

Ihre Sommersprossen mochte Fett. Er hatte sie häufig an Tatorten beobachtet. Sie behielt den Überblick und gab entscheidende Tipps. Nur heute war Essig.

»Sieben Stiche, Schuss in die Stirn, mitten zwischen die Augen. Muss ein guter Schütze gewesen sein.« Fett schaute die Kollegin fragend an.

»Bestimmt. Die Kriminalmedizin soll auf den Schusskanal achten. Sagte ich bereits. Kaliber neun Millimeter war es nicht.«

»Werde ich ausrichten, danke. Freue mich auf Ihren Bericht, Kollegin.« Fett reichte ihr die Hand. Er nahm den steilen Weg hinunter in Richtung Bergstein. Nach wenigen Metern hielt er an dem Kreuz für den amerikanischen Soldaten. Er las die Inschrift: »PFC Paul Peternell. 121. US-Infanterieregiment. 8. US-Infanteriedivision. Vermisst seit dem 9. Dezember 1944 im Bereich des Burgbergs. Gefunden im Juli 1981 am Burgberg durch Stefan Hoven. Beigesetzt auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof Neupre (Neuville-en-Condroze) in Belgien. Möge er in Frieden ruhen.«

Die amerikanische Spur
und das Monster

Fett beugte sich hinunter zu den drei Kerzen vor dem Gedenkkreuz, von denen eine brannte. Er stutzte, nahm einen kleinen Zweig und spießte etwas auf: eine Patronenhülse. Die Hülse war nicht verrostet, sie glänzte, er hielt sie an seine große Nase. Die Patronenhülse roch nach Pulver. Vorsichtig legte Fett sie wieder vor das Kreuz, zog sein Handy aus der Jackentasche und rief Elke Unsleber an.

»Ich hab hier was. Kommen Sie 50 Meter den steilen Weg runter.«

»Nichts berühren«, warnte die Kollegin, als sie Fett erreichte. »Die Hülse liegt noch nicht lange da. Guter Blick, Kollege Fett. Kaliber 7,62 Millimeter Springfield. Sieht mir nach amerikanischer Munition für das M1 aus.«

»Geht es etwas genauer?«

»Standardgewehr der US-Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Halbautomatisch. Bestimmt liegt hinten im Museum Hürtgenwald ein Exemplar.«

»Das geht mir zu schnell. Sie meinen, die Kugel wurde aus einem amerikanischen Karabiner abgefeuert, der im Zweiten Weltkrieg hier zum Einsatz kam. Und drüben, im Museum in Vossenack, da liegt so ein Teil?«

»Ich vermute. Den Rest nach der ballistischen Auswertung. Einen Reim müssen Sie sich darauf machen. Ich liefere Daten und Fakten. Wie immer, lieber Herr Fett.«

»Der liebe Herr Fett hat da oben einen Toten mit Kopfschuss, sieben Messerstichen und hier, an dem Kreuz für den Private First Class Peternell, der im Dezember 1944 am Burgberg vermisst wurde, eine frische Patronenhülse. Nicht zufällig. Davon gehe ich aus.«

»Würde ich auch so sehen. Viel Erfolg bei den Ermittlungen.« Elke Unsleber steckte eine Markierung in den Boden, rief den Kollegen Sonanini auf dem Krawutschketurm an und gab die Untersuchung der Bodenstelle in Auftrag.

Schwer atmend stiegen Schmelzer, Holz und Dillinger, von den Anwohnern kommend, den steilen Weg hoch zum Kreuz von Peternell.

»Und?« Fett schaute die Kollegen erwartungsvoll an.

»Käse. Nichts. Die unmittelbaren Nachbarn haben das Gebell von Rocky gehört. Eugen Kaltenbach, der wanderte an jedem Tag morgens hoch zum Krawutschketurm. War wohl sein Sportprogramm. Beliebt war der nicht. Eigenbrötler und schnell mit dem Anwalt zur Hand wenn es Streit gab. Von Trauer keine Spur. Eher Erleichterung. Mit dem Rest können wir nichts anfangen.«

Fett zeigte den Kollegen die Patronenhülse: »Haben wir an dem Kreuz gefunden. Amerikanischer Karabiner aus dem Zweiten Weltkrieg. Heute Morgen abgefeuert.«

Schmelzer schaute überrascht. »Schon wieder eine alte Geschichte. Ich krieg die Motten. Wieder Zweiter Weltkrieg, Verbrechen, Krieg. Hört das denn nie auf? Vor 75 Jahren war die Hölle los im Hürtgenwald. Jetzt bekommen wir wieder Vergangenheit serviert. Das macht mich kirre. Herr Fett, da soll Kollegin Lövenich von den Kapitalverbrechen ermitteln. Ich bin zu. Mir reicht das. All dieser Nazikram, diese unendliche Geschichte, diese Netzwerke und Seilschaften.« Es platzte aus Schmelzer heraus. Er hatte genug Fälle erlebt, die tief mit der Geschichte des Dritten Reiches verbunden waren. »Zu allem Überfluss wird es auch mysteriös, Chef. Hier geht ein Monster um.« Schmelzer machte eine Kunstpause. »Sürches Mossel.«

»Schmelzer, lenken Sie nicht ab von dem Schlamassel. Lassen Sie alle Kameras auswerten, Hotels und Pensionen abklappern, Museum Hürtgenwald checken, den Toten lebendig machen mit seiner Vita.«

»Die Anwohner glauben, dass es der Überfall eines Offiziers der Truppen Karls V. war. Der spuke hier seit dem 16. Jahrhundert, und in jedem Jahr falle ihm ein Mensch zum Opfer.«

»Zu viel Stephen King gelesen?«

»Ich lese lieber Regionalkrimis, wissen Sie ja. Hier gab es in den letzten Jahren ungeklärte Unfälle von Wanderern, ab und an einen Überfall. Vor ungefähr 20 Jahren soll ein Wanderer aus Nonnenbach so erschreckt worden sein, dass er durchdrehte. Der wurde in die Landesklinik nach Düren gebracht. Er soll etwas von einem Wolf mit Messer gefaselt haben. So, halten Sie sich fest. Drüben, vor der Kirche, da ist ein kleiner Platz. Dort steht eine Skulptur von diesem Untoten.«

»Schmelzer, ich ermahne Sie. Wenn Sie nicht sofort die Aufträge rausgeben, gibt es ein Diszi und eine Woche Verbot von Fleischwurstbrötchen mit dicker Scheibe.«

»Die Skulptur zeigt einen Menschen mit Wolfskostüm und Krummmesser.«

»Schreiben Sie es auf. Nachher im Büro. Erinnert mich an einen französischen Film. Nicht die Purpurnen Flüsse, sondern, ich komm drauf, ich komm drauf. Pakt der Wölfe oder so ähnlich. Schöne Geschichte. Taugt für einen Lokalkrimi aus Bergstein. Nicht für uns.«

»Und wenn es ein Ritualmord war?«, grübelte Schmelzer. »Spuren ablenken mit amerikanischem Gewehr und so. Dann hat es nichts mit dem Krieg zu schaffen, sondern mit einem Psychopathen aus der Nordeifel.« Schmelzer wollte seine Theorie nicht über den Haufen oder vom Burgberg werfen. »Ich lese Ihnen vor, was auf der Infotafel steht, habe ich mit dem Handy abfotografiert: ›Während des Krieges zwischen Karl V. und Wilhelm V. von Jülich im Jahr 1542 lagen Truppen Karls in Bergstein und sollten auf Befehl Karls die Burg Nideggen einnehmen. Der Anführer der Truppen wollte die Nideggener überlisten und hüllte sich in ein Hundefell. So verkleidet schlich er sich an die Stadt Nideggen heran. Mit seinen Truppen hatte er vereinbart, dass sie ihm auf ein geheimes Zeichen hin folgen sollten, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war. Für den Fall, dass sie kein Zeichen von ihm erhalten würden, sollten sie davon ausgehen, dass er gefangen genommen oder getötet worden war. Sollte dies geschehen, so hatte er sich geschworen, wollte er jahrhundertelang sein Unwesen in der Gegend treiben. Der Anführer der Truppen wurde bei seiner List vom Grazias-Turm der Burg Nideggen erschossen. Seitdem soll er jede Nacht den Weg von Bergstein bis Nideggen und zurück stöhnend und ächzend in Gestalt eines Hundes zurücklegen. Auf seinem Weg soll er Menschen, die ihm begegnen, zwischen die Beine laufen, sie ein Stück weit forttragen und schließlich unsanft abwerfen.‹«

»Unsanft abwerfen, Schmelzer, nicht töten, erstechen oder erschießen.«

»Die Anwohner munkelten, dass sich das Wesen radikalisiert habe.«

»Jede Nacht.«

»Nein, einmal im Jahr. Zu einem besonderen Anlass wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt, Mariä Himmelfahrt, Michaeli oder zu historischen Daten erwischt es in der Regel Männer, aber niemand glaubt den Bewohnern.«

»Jetzt haben die ja einen Gutgläubigen gefunden: Kommissar Schmelzer, Geisterjäger, Assistent von John Sinclair. Mann, Schmelzer. Das ist Mist. Schreiben Sie es von mir aus im Büro in eine Datei und befolgen Sie endlich meine Anordnungen. Ich geh nochmal hoch auf den Turm. Wir treffen uns am Wagen.«