Der Agentenjäger

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Der Agentenjäger
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Peter Schmidt

Der Agentenjäger

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

Die Hauptpersonen

Prolog

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Epilog

WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Der deutsche Abwehrspezialist Reuben ist seit zweieinhalb Wochen in Mittelamerika verschollen, als man seine Leiche an einer Wegkreuzung im dünnbesiedelten Nordosten Guatemalas findet. Er liegt entkleidet zwischen zwei großen Basaltsteinen – mit einem weißen Lendentuch als einzigem Schutz. Dem örtlichen comisario kommt seine Hautfarbe merkwürdig vor, die seltsam blass und grünlich durchscheinend ist …

Faber, sein Kollege, fliegt nach Guatemala, um die Beerdigung zu arrangieren. Nach Ansicht der örtlichen Polizei ist Reuben ein Opfer marxistischer Guerillas geworden. Doch Faber versucht herauszufinden, was Reuben eigentlich in Mittelamerika wollte. Dabei stößt er auf merkwürdige Fakten, die seinen Tod in anderem Licht erscheinen lassen. Offensichtlich war Reubens offizieller Auftrag nur ein Vorwand. Aber wofür? Die Theorie vom Anschlag marxistischer Guerillas wird immer unglaubwürdiger. Faber kommt ein furchtbarer Verdacht …

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

Faszinierend – Geheimdienst-Thrill vom Feinsten … Im Spannungsfeld östlicher und westlicher Machenschaften ein auch atmosphärisch außerordentlich reizvoller Blick auf die rätselhafte und bedrohliche Welt Mittelamerikas zwischen Kommunismus und einheimischer Guerilla.

(Hans Walther, Kritiker)

Unter den deutschen Kriminalschriftstellern ist der Westfale Schmidt fraglos einer der wenigen, die wirklich erzählerisches Format besitzen.

(Hamburger Abendblatt)

Auffallend an Schmidts dramaturgisch raffinierten Agenten-Storys sind - neben der Detailtreue - die skeptische Weltanschauung und eine geradezu undeutsch klare kühle Prosa.

(stern)

Deutschlands einziger (jedenfalls einziger ernst zu nehmender) Autor im Agenten-Genre.

(Vorwärts)

So wichtig die raffiniert eingefädelte, doppelbödige, absichtlich verwirrte Handlung auch ist (und in der Hinsicht ist beispielshalber Erfindergeist kaum zu überbieten): Hinter den Plots steckt mehr, anderes, als die dürre Nacherzählung vermuten lässt. Es geht Peter Schmidt immer um die Menschen, die agieren oder reagieren müssen. Es geht um die Macher, die gnadenlos ihre Komplotte einfädeln, es geht um die Opfer, die sich im Netz der Intrigen verheddern, und schaut man genau hin, ist jeder Macher und Opfer zugleich. Der kleine Macher das Opfer der großen Macher, die großen die Opfer ihrer selbst.

Was da ausgeheckt und durchgezogen wird, ist allenfalls noch in der literarischen Schlusspointe zu durchschauen. Das Komplott gewinnt eine solche Eigendynamik, dass sich keiner mehr entziehen kann, auch die Initiatoren nicht, dass es im Grunde nicht mehr zu stoppen ist.

(Krimikritiker Rudi Kost)

AUTORENINFO

http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

Die Hauptpersonen

Thomas Bud Faber – kämpft auf eigene Faust

Karl Reuben – hat den Kampf schon verloren

Lea – ist Figur im Machtspiel der anderen

Corinna Menge – lässt sich nicht leicht abschütteln

Brzinsky – verfolgt ausdauernd seine Ziele

Hauptmann Alvarez – macht sich die Hände nicht schmutzig

Ross – bleibt gerne Sieger

Prolog

Der Mann, der im trüben Schein der Gaslaternen durch die Straße kam, war auffallend groß und breitschultrig; ein hellblonder Hüne, etwa vierzig Jahre alt. Seine leicht wippenden Fäuste erinnerten an einen kampfbereiten Boxer, dem es nur noch am passenden Sparringspartner fehlte …

Noch auffallender aber war die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen, seiner Schultern und Arme ebenso wie der Beine – als habe er seinen Körper völlig unter Kontrolle und sei zugleich hellwach und aufmerksam auf alles, was um ihn herum passierte.

Es war eine Kleinstadt dicht bei der Zonengrenze. Über die Dächer hinweg konnte Marten von seinem Beobachtungsposten im Erker eines altmodischen Hauses aus der Vorkriegszeit ihre angestrahlten Grenzbefestigungen sehen.

Der Himmel darüber war milchiggrau und in den Fenstern der Wachtürme, die hier gut zwanzig Meter näher zur Absperrung standen als außerhalb der Stadt, bewegten sich manchmal Silhouetten von Wachsoldaten.

Irgendwo weiter links gab es einen Übergang für den sogenannten kleinen «Grenzverkehr», dessen Barackengebäude von den dazwischenliegenden Hauswänden verdeckt wurden.

Der blonde Hüne war in der Straße nahe genug herangekommen, um ihn am dunklen Fenster über sich erkennen zu können.

Marten ließ mit einer abrupten Handbewegung die Gardine fahren. Er zündete sich eine Zigarette an, wobei er sich ins Zimmer wandte und die Flamme nach außen mit dem Körper und den Händen abschirmte.

«Faber?», fragte der junge Mann an seiner Seite; er war in Zivil, machte aber mit seiner etwas unterwürfigen und übertrieben korrekten Sprechweise den Eindruck eines Beamten, der sich für einen Augenblick seiner Uniform entledigt hatte.

«Unverkennbar.»

«Ich hätte nicht geglaubt, dass er tatsächlich kommt.»

«Er riskiert‘s einfach», nickte Marten und wandte sich mit seiner Zigarette wieder dem Fenster zu. «Diese Frau scheint ihm viel zu bedeuten; mehr als sie sollte. Wie wir angenommen hatten», fügte er nach einer Pause hinzu.

«Heißt das, wir könnten ihn jetzt hochnehmen?»

«Nicht jetzt», sagte Marten unbestimmt. «Später. Wir halten uns streng an die Anweisungen.»

Der blonde Hüne blieb auf der anderen Straßenseite vor einem zweistöckigen Haus stehen. Es war hell gestrichen, mit ordentlichen glatten Gardinen in den Parterrefenstern, die eher an Büros als an Wohnräume erinnerten.

Er las das weiß emaillierte Schild der Rechtsanwaltskanzlei neben dem Eingang und warf einen prüfenden Blick über seine Schulter in die menschenleere Straße. Seine blasse Hautfarbe verriet, dass er sich zu viele Nächte um die Ohren geschlagen hatte. Als er den Arm zur Klingel hob und das Licht der Straßenlaterne auf sein Profil fiel, wirkte er für einen Augenblick sogar etwas hinfällig.

 

Die Spannung, und damit auch die Geschmeidigkeit und Eleganz seiner Bewegungen, war von ihm abgefallen, als habe er jetzt sein Ziel erreicht und unwiderruflich eine Grenze überschritten.

Hinter den Milchglasscheiben der Kanzlei ging das Licht an; in allen vier Fenstern gleichzeitig. Die Tür wurde geöffnet, ohne dass Marten hätte erkennen können, wer es war – er sah nicht mehr als einen Arm und ein dunkelblaues Hosenbein –‚ dann hatte der Eingang Faber auch schon verschluckt, als habe es ihn nie gegeben.

Das Klingeln des Telefons ließ Marten herumfahren. Der Mann im grauen Anzug, der schweigend unter der kahlen Wand am Tisch gesessen hatte, hob ab und fragte: «Ja?»

Er horchte eine Weile. Dann nickte er zweimal, erwiderte: «Habe verstanden!» und legte auf.

Als er sich Marten zuwandte, war etwas wie Triumph in seiner Stimme:

«Schwarzer Saab ... passiert eben den Kontrollpunkt. Wie wir erwartet hatten …»

«Vogel persönlich?»

«Sie glauben, es sei einer seiner engsten Mitarbeiter aus der Ostberliner Anwaltskanzlei. Aber so genau konnten sie das wegen der Dunkelheit nicht erkennen.»

«Wenn es nicht Vogel selbst ist, dreht sich‘s erst um Vorverhandlungen», sagte Marten nüchtern. Er wirkte ein wenig enttäuscht. «Dann ist Faber noch nicht so weit, wie wir geglaubt hatten.»

«Immerhin führt er mit der Gegenseite Geheimverhandlungen wegen der Freilassung seiner Freundin», wandte der andere ein. Er war einen Kopf kleiner als Marten und hatte ein frühzeitig gealtertes, am Kinn stark eingefallenes Gesicht, das aussah, als habe er sein Gebiss verlegt. «Klarer Verstoß gegen die Dienstvorschriften.»

«Wir sind nicht an kleinen Fischen interessiert», wehrte Marten ab. «Ein Verfahren in diesem Stadium würde ihn nur zu unüberlegten Reaktionen provozieren.»

«Möchte zu gern wissen, was wirklich hinter ihrer Verhaftung steckt.»

«So viel ist jedenfalls sicher.» Marten machte eine Handbewegung, die Verachtung ausdrückte. «Lea gehört zu dieser verrückten Sorte von Journalistinnen, die glauben, sie könnten den Staatssicherheitsdienst mit der linken Hand in die Tasche stecken. Ihm gefahrlos auf der Nase herumtanzen und den offenen Grenzverkehr praktizieren – im Namen der Menschlichkeit für ein paar Ausreisewillige den Samariter spielen! Immer Unzufriedene, die sich besonders gut auf die Mitleidsmasche verstehen.

Aber Fluchthilfe hat sich noch nie ausgezahlt. Sie wurde in einem Ostberliner Kaufhaus verhaftet. Missbrauch der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, Menschenhandel – so nennt man das drüben – in acht Fällen. Lea war voll geständig. Ein paar Tage in den Gefängnissen des Staatssicherheitsdienstes reichten aus, um sie zum Reden zu bringen. Sie hätte sich besser an die Gesetze halten sollen. Damit hat sie nur ihre Arbeitskollegen aus dem Westen in Schwierigkeiten gebracht.»

«Und ihr Freund? Welche Rolle spielte er dabei?»

«Ich glaube, Faber hatte von alledem keine Ahnung. Er ist einfach von ihrer Verhaftung überrascht worden und jetzt versucht er‘s auf nicht ganz legale Weise auszubügeln.» Marten wandte sich wieder der Straße zu.

Scheinwerfer huschten über die Hauswand am Ende der Fahrbahn. Ihr Saab bog langsam aus der Querstraße ein; sein Motorgeräusch war ungewöhnlich leise. Marten schloss daraus, dass sie im dritten Gang fuhren, um bei den Anwohnern der Straße kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Eine seiner Scheiben war heruntergekurbelt und für einen Moment beleuchtete die Laterne die wohlgenährten, gleichgültig wirkenden Züge eines Mannes, der sich sofort wieder in den Wagenschatten zurückbeugte.

«Wendland», stellte er fest. «Sie haben einen ihrer besten Verhandlungsführer geschickt.»

Der Mann auf dem Rücksitz stieg aus. Er war unauffällig gekleidet und hielt ein ledernes Diplomatenköfferchen in der Rechten.

Noch ehe er die ersten Treppenstufen erreicht und geläutet hatte, wurde geöffnet. Im gleichen Augenblick setzte sich auch der dunkle Saab wieder in Bewegung, er rollte fast unhörbar die Straße hinunter. Alles machte den Eindruck einer perfekt eingespielten Aktion.

Marten verschränkte seine Hände auf dem Rücken und sah schweigend auf das Schattenspiel hinter den Milchglasscheiben. Der junge Mann an seiner Seite schien seine Gedanken zu erraten, als er sagte:

«Möchte hebend gern erfahren, worüber jetzt da drüben verhandelt wird …»

«Das würde viele Fragen klären», bestätigte Marten.

«Mit ein paar Mikrofonen wär‘s einfacher gewesen.»

«Dazu reichen die Verdachtsmomente gegen Faber nicht aus. Waldmann ist ein angesehener Anwalt. Und er verfügt über gute Verbindungen nach Bonn.»

«Also auch keine Ausnahmegenehmigung drin?», fragte der andere vorsichtig.

«Wenn etwas gegen ihn oder seine Kanzlei vorläge, ja. Dann vielleicht. Aber Waldmann tritt gegenüber Wendland nur als Vermittler für Vogel und seine Klientin auf. Wir hätten niemals grünes Licht dafür bekommen.»

Sie warteten eine Zeit lang ab, obwohl sie wussten, dass es nicht mehr viel zu tun gab. In einer halben Stunde würde der Wagen des Unterhändlers wieder vor der Haustür der Kanzlei auftauchen, Wendland einladen und ihn über den Kontrollpunkt nach Ost-Berlin zurückbringen.

Marten strich sich gedankenverloren mit drei Fingern über die Stoppeln an seiner Kehle.

«Die Dienste sind zahnlos und fromm geworden …», sagte er mehr zu sich selbst als an seinen Begleiter gerichtet. «Zahme Haushunde, die sich nur noch von durchgedrehtem Fleisch und gekochten Kartoffeln ernähren! Bellen zwar und verbuddeln ihren Knochen, als sei‘s das alte Spiel, aber dann geht ihnen schnell der Atem aus. Eines Tages wird es uns das Genick brechen ... wie im Fall Tiedge. Ja, genau wie im Fall Tiedge», bekräftigte er, als drohe ihm damit eine persönliche Gefahr.

«Ich bin gar nicht mal so sicher, ob eine Weibergeschichte das Risiko überhaupt wert ist», erklärte der junge Mann. «Ich selbst würde an seiner Stelle lieber …»

«Sie vergessen, dass auch Leas Tochter drüben ist. Er hat sie angenommen wie sein eigenes Kind.»

«Und wenn er jetzt einfach in ihren Wagen stiege? Der Grenzübergang ist nicht weit.»

«Nein, Faber ist einer unser erfahrensten Abwehrspezialisten. Deshalb würde er es nie ohne Gegenleistung tun. Er müsste sicher sein, dass sie freikommen – und dass Lea überhaupt zurückkehren will. Der fragliche Punkt an dieser dubiosen Fluchthilfegeschichte … sehr mysteriös.»

Marten wiegte skeptisch den Kopf.

«Auf jeden Fall aber würde Faber es nur als direkten Austausch akzeptieren. Im Gegenzug, Person um Person. Und natürlich würden wir ihn daran zu hindern wissen.»

«Natürlich. Ja, natürlich», sagte der junge Mann.

1

Reuben war zweieinhalb Wochen in Mittelamerika verschollen gewesen, ehe man seine Leiche an einer Wegkreuzung im dünnbesiedelten Nordosten Guatemalas fand. Die nächste Ortschaft, eine Ansammlung armseliger Hütten, lag etwa fünfzehn Kilometer entfernt.

Seine Identifizierung bereitete den örtlichen Behörden keine Schwierigkeiten; Gerüchten nach, die überall im Umlauf waren, sollte er für einen westdeutschen Geheimdienst gearbeitet haben. Das zuständige Konsulat in der Hauptstadt sah wenig Anlass, diese Version zu leugnen.

Er hatte entkleidet zwischen zwei großen, glattgewaschenen Basaltsteinen gelegen – mit einem weißen Lendentuch als einzigem Schutz.

Seine Haut war von seltsamer Blässe und grünlich durchscheinend, als man eine Lampe auf sie richtete. Anfangs glaubte der herbeigerufene comisario, ein dicklicher, völlig kahlköpfiger Mann, dessen Wangen von Pigmentflecken übersät waren, Reuben sei die Kehle durchgeschnitten worden.

An seinem Hals hatte man eine blutverkrustete Schnittwunde gefunden. Das wäre eine Todesursache nach Urbicos Geschmack gewesen, sie passte ins politische Bild. Die Guerillatrupps der kommunistischen PGT hatten niemals Skrupel gezeigt, was diese einfache und erfolgreiche Mordmethode anbelangte.

Einen Tag danach widerrief man Reubens Berufsstand und behauptete, er sei Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Guatemala gewesen. Ein bedauerlicher Fauxpas. Eine Namensverwechslung, dazu derselbe Geburtsort.

Faber, der zwei Tage später mit der Bahn aus Guatemala City eintraf erklärte sich als Beauftragter der deutschen Behörden und Reubens Schwester.

Sobald die Obduktion abgeschlossen sei und die Genehmigung des zuständigen Amtes in Zacapa vorliege, werde er für seine Beerdigung in der Provinzstadt sorgen. Seine Schwester, die Deutschland nicht verlassen könne, lehne Reubens Überführung aus Kostengründen ab. «Arme Leute», erklärte Faber hinter vorgehaltener Hand. Er wolle ihr telegrafisch übermitteln lassen, dass hinter der Kirche ein hübscher kleiner Friedhofliege, auf dem Reuben zweifellos seinen Frieden finden werde.

Dem comisario kam es so vor, als sei Faber überhaupt nicht an der Todesursache interessiert. Er schien eigentümlich gleichgültig zu werden, ja fast vor Abneigung zu erstarren, wenn Urbico die Sprache auf seine ungewöhnliche, grüngraue Hautfärbung brachte. Es erweckte den Eindruck, als hinge sein Tod mit seinem Auftrag zusammen; und damit halte man besser hinterm Berg.

«Machen Sie sich darüber nur keine Gedanken, comisario», sagte Faber, als Urbico erwähnte, dass Reubens Obduktion noch immer keine Hinweise gebracht hatte. «Er trank zuviel mexikanischen Tequila. Zusammen mit Zitrone und Salz … Ich meine: im Übermaß genossen, und wenn sich die Leber zu zersetzen beginnt – soll sich dabei nicht genau jene Hautfarbe einstellen?»

«Nicht, dass ich wüsste.»

«Die Zeit eingerechnet, die er dort in der Sonne lag?»

«Im Schatten. Er lag im Schatten zwischen zwei Basaltsteinen. Man fand ihn in den späten Abendstunden und er konnte nicht vor dem Nachmittag gestorben sein.»

«Das beweist wohl, wie betrunken er war. Oder gehe ich fehl in der Annahme? Wer, außer einem Betrunkenen, verirrt sich schon in ein so abgelegenes Stück Sumpfland?»

«Bei Leberzirrhose sind die Augäpfel gelb. Man erkennt die zersetzte Leber auch an der Rotfärbung der Fingerkuppen und des Handballens. Nichts davon ist bei Reuben zu finden.»

«Und sein Blutalkohol?»

«Normal. Ich würde sagen, völlig normal. Was mir mysteriös erscheint, ist seine grüne Hautfarbe.»

Sie standen auf der Dachterrasse des Hotels Incommente.

Unter ihnen bewegten sich Indiomädchen, die Obst und Gemüse und bemalte Tonkrüge zum Markt trugen. Straßenverkäufer boten laut ausrufend tacos an, flache, gerollte Maisfladen, mit Schweine- und Truthahnfleisch in pikanter Soße gefüllt. Heilhäutige Mädchen, eine Gruppe ladinos, Mestizinnen auf dem Wege zu irgendeiner Fachschule, nahm Faber wegen der blauen Uniformjacken an, winkten ausgelassen zu ihnen hinauf, als sie die beiden Männer auf dem Dach erblickten.

Faber winkte zurück. Gleich darauf schien er sich der Pietätlosigkeit seiner Gebärde angesichts eines unaufgeklärter Mordfalls bewusst zu werden und er fragte mit ernstem Gesicht:

«Dafür gibt es doch sicher irgendwelche Vergleichsfälle, comisario

«Nein, keine.»

«Nicht einen einzigen?»

«Wie ich schon sagte: völlig mysteriös.»

«Und was vermuten Ihre Chemiker?»

«Sie sind noch nicht mit den Analysen zu Rande. Möglich, dass es sich um einen indianischen Zaubertrunk handelt.»

«Einen Zaubertrunk?»

«Diese Burschen sind sehr abergläubisch. Und manches ist ja auch nicht von der Hand zu weisen», setzte er hinzu; dabei deutete er mit den Fingerspitzen auf seinen Jackenärmel. «Ich hatte selbst einmal ein sehr hartnäckiges Nervenleiden im linken Arm, dauernde Schmerzen, als kröchen Ameisenströme durch meine Adern. Kein Arzt in der Stadt konnte mir helfen.

Dann traf ich eine alte Indiofrau, die vom Land kam, um auf dem Markt ihre Heilkräuter anzubieten. Sie empfahl mir, meinen Arm zu besprechen. Das könne ich selbst tun, es komme nur auf die richtigen Worte an.

Glücklicherweise nahm ich ihren Rat ernst. Ich setzte mich in eine ruhige, abgedunkelte Ecke meiner taberna, wo ich auch zu essen pflegte, und sagte dreimal: Weiche von mir, Satan! Es waren die Worte, die sie mir auf den Weg gegeben hatte. Und seitdem sind meine Beschwerden verschwunden …»

Er sah Faber so ungläubig an, als müsse er selbst für ihn ein gehöriges Maß an Skepsis übernehmen.

«Bemerkenswert. Wirklich bemerkenswert», sagte Faber und versuchte seiner Stimme einen überzeugten Klang zu geben. Er nahm, dankbar für die Ablenkung, den Zettel in Empfang, den ihm der Hotelboy auf einem silbernen Tablett reichte:

 

Erwarte Sie an der Rezeption. Fräulein Menge Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Guatemala

stand dort in zierlicher Frauenhandschrift mit leicht verwischter blauer Tinte geschrieben.

«Richten Sie der Dame aus, ich sei momentan verhindert.» Faber gab dem Boy einen halben Quetzal. Zu viel, wie er sofort argwöhnte, denn der Quetzal stand mit dem Dollar eins zu eins. «Wenn es wirklich dringend ist, soll sie gegen Abend wiederkommen. Kurz vor dem Abendessen.» Damit wandte er sich wieder dem comisario zu, der, die Arme über das Geländer der Dachterrasse gestützt, den Kampf zweier roter Hähne im Straßenstaub beobachtete.

«Und die Schnittwunde an seinem Hals?»

«Keine Schnittwunde. Das war unsere erste Vermutung, aber schon nicht mehr die zweite … nur von einem dünnen Strick oder Draht! Man muss ihn ein wenig damit stranguliert haben. Es reichte nicht aus, um ihn zu töten.»

«Soll das heißen, Sie tappen noch immer im Dunkeln?»

«Es ist schon sehr mysteriös», bestätigte der comisario. Er schien das Wort «mysteriös» zu lieben, weil es seine tägliche Arbeit charakterisierte. Es gehörte zum Beruf.

«Und die Beerdigung?»

«Verschoben, bis eine neue Obduktion der Leiche eindeutige Ergebnisse gebracht hat. Wir haben ihn ein wenig auf Eis gelegt, Señor Faber.»

«Mit anderen Worten – ich muss bleiben, bis es Ihnen einfällt, seine Leiche freizugeben?»

«Sie haben Gelegenheit, noch einige Tage unser schönes Land zu genießen. Es gehört zu den interessantesten in ganz Mittelamerika. Ihre Botschaft wird sicher für die Spesen aufkommen.» Er betonte das Wort Botschaft. «Ja, wenn es sich um einen Einheimischen handelte ... Bei Ausländern nehmen wir die Dinge sehr genau. Man kommt zu leicht in Verruf.»

Der kleinere der beiden Hähne hatte aufgegeben, er blutete aus einer tiefen Wunde am Hals, und seine rechte Flugfeder schleifte abgeknickt durch den Straßenstaub, als er das Weite suchte. Faber setzte sich missmutig in den Schatten des Sonnenschirms. Er sog an seinem hellen Zigarillo und trank einen kleinen Schluck Martini, bis die Eiswürfel gegen seine Zähne stießen, dann stellte er das leere Glas abrupt auf die Tischplatte zurück.

«Was macht Sie eigentlich so sicher, dass es die Guerillas waren? Wenn ich richtig informiert bin, gibt es in Ihrem Land über dreißig ultrarechte Todesschwadronen?»

«Zweiunddreißig – nach einer Zählung unserer Tageszeitung Unomasuno», bestätigte Urbico. «Von der ESA, der antikommunistischen Geheimarmee einmal abgesehen. Aber das sind alte Zahlen, wahrscheinlich hat sich ihre Zahl längst verdoppelt.»

«Was macht Sie so sicher?» wiederholte er.

«Nun, sehr einfach: Sie pflegen ihr Zeichen zu hinterlassen. Den Farbabdruck einer weißen Hand, eine rote Rose … Und außerdem lieben sie es, ihren Opfern die Genitalien abzuschneiden. Oder wenigstens die Zunge oder die linke Hand. Nichts von alledem bei Ihrem Freund Reuben.»

«Wie kommen Sie darauf, dass Reuben mein Freund war?»

«Ein Kollege, nehme ich an?»

«Sie glauben noch immer diesen dummen Fauxpas des Konsulats? Dass er für einen westdeutschen Geheimdienst gearbeitet hat? Wie gesagt, eine Namensverwechslung.»

«Ja, natürlich.»

«Man nannte Ihnen einen Dienst, der eigentlich für die innere Sicherheit unseres Landes zuständig ist, für die Treue der Verfassung gegenüber. Schon daran erkennen Sie, dass Reuben gar nicht für die Auslandsaufklärung zuständig sein konnte. Bei uns werden diese Bestimmungen sehr streng gehandhabt. Selbständige Gruppen, wie Ihre Todesschwadronen, die den Regierenden zuarbeiten, wären in unserem Lande völlig undenkbar … Ganz abgesehen von der Brutalität, mit der sie zu Werke gehen.»

«Nun, Sie haben auch keine Indios! Unsere Generäle glauben – und wohl zu Recht –‚ dass diese Menschen besonders anfällig sind für exotische Ideologien. Aus Tradition streben sie nicht nach Grundbesitz und geben sich gern mit Gemeineigentum zufrieden. Es macht ihnen keinerlei Schwierigkeiten.

Daher auch die Namen unserer Schwadronen, wie Adler der Gerechtigkeit, Purpur-Rose, Weiße Hand und so weiter. Eine Art Gegengewicht. Die andere Seite hat ihre Namen, und Namen beschwören in den Augen der Indios uralte mythische Kräfte. Alle diese Organisationen sind durchaus von der Rechtmäßigkeit ihrer nationalen Aufgabe überzeugt.»

Er setzte sich zu Faber an den Tisch, schob seinen Strohhut in den Nacken und stocherte mit dem Zahnstocher in einer Kirsche, die auf dem längst zerflossenen Vanilleeis schwamm.

«Wie ich hörte», fuhr er fort, «ist Ihre Angst vor den Kommunisten drüben im alten Europa kaum geringer? Nur dass Sie weniger öffentlichen Aufhebens davon machen? Alles spielt sich mehr im Verborgenen ab?»