The Racing Flower Pilgrim

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The Racing Flower Pilgrim
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The Racing Flower Pilgrim

1  Titelseite

2  Widmung und Impressum

3  Intro

4  Warum denn eigentlich?

5  Warum denn eigentlich nicht?

6  Alle Anreise...

7  Wenn ich schon mal hier bin… Ich lauf dann mal los.

8  28.08.2019

9  29.08.2019

10  30.08.2019

11  31.08.2019

12  01.09.2019

13  02.09.2019

14  03.09.2019

15  04.09.2019

16  05.09.2019

17  06.09.2019

18  07.09.2019

19  08.09.2019

20  09.09.2019

21  10.09.2019

22  11.09.2019

23  12.09.2019

24  13.09.2019

25  14.09.2019

26  15.09.2019

27  16.09.2019

28  17.09.2019

29  18.09.2019

30  19.09.2019

31  20.09.2019

32  21.09.2019

33  22.09.2019

34  23.09.2019

35  24.09.2019

36  25.09.2019

37  26.09.2019

38  27.09.2019

39  28.09.2019

40  29.09.2019

41  30.09.2019

42  01.10.2019

43  02.10.2019

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50  09.10.2019

51  10.10.2019

52  11.10.2019

53  12.10.2019

54  13.10.2019

55  14.10.2019

56  15.10.2019

57  Irgendwann im Frühjahr 2020.

Philipp Döhrer

The
Racing Flower Pilgrim

Der Camino de Santiago.

Künstliche Blumen.

Und ich.

Ein Reisebericht.

Oder so ähnlich.

Für meine Familie.

Für meinen Opa.

Für Hartmut.

Und für mich.

Impressum

Texte: © 2021 Copyright by Philipp Döhrer Cover:© 2021 Copyright by Philipp Döhrer

Verlag: Philipp Döhrer Dorfstrasse 51 CH-3622 Homberg bei Thun doehrer81@gmail.com

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Eigentlich braucht keine Sau einen weiteren Reisebericht über den Jakobsweg...

Die Tradition besagt, dass der Pilger, der sich entschlossen hat, nach Santiago de Compostela zu gehen, einen Stein aus der Heimat mitnimmt. Einen symbolischen Ballast. Am Cruz de Ferro, dem Eisenkreuz, am höchsten Punkt des Jakobsweges, spricht man ein kleines Gebet und legt den Stein dort ab. Man legt damit schlechte Erinnerungen, schlechte Erfahrungen und alte Sünden ab. Man legt alle Dinge des vorherigen Lebens ab, die man mit sich trug und die man niemals wieder mit sich tragen möchte. Der Berg aus seelischem Ballast am Cruz de Ferro wuchs und wuchs im Laufe der Jahrhunderte.

Um sofort Missverständnissen vorzubeugen, möchte in an dieser Stelle gleich betonen, dass ich nicht gläubig bin. In keiner Weise. Nie gewesen. Die Vorstellung einer höheren Macht oder gar eines höheren Wesens ist für mich dermaßen abwegig, dass es mir schwerfällt, für diese Abwegigkeit überhaupt Worte zu finden. Ich kann damit einfach nichts anfangen. Vielleicht bin ich zu rational. Auch ein Konzept wie Schicksal halte ich für abstrus. Meiner Meinung nach war dieser Begriff immer nur eine Ausrede für Menschen, die es nicht schaffen, ihre eigenen Entscheidungen zu hinterfragen oder damit zu leben.

Ich respektiere, nein, ich bewundere jeden Menschen, der glaubt. Wahrhaft glaubt. Woran auch immer. Das ist eine Leistung, zu der ich leider nie imstande war. Ich respektiere Traditionen, ich kenne die Geschichte und die Auswirkungen des Glaubens. Ich weiß, was manch ein Glaube angerichtet hat. Ich weiß aber auch, dass der Glaube vielen Menschen geholfen hat und noch helfen wird. Aber für mich? Ich fand die Macht des Zufalls immer reizvoll. Vielleicht glaube ich schlicht und einfach an den Zufall. Zufall und daraus resultierende Entwicklungen oder eben einfach nur weitere Zufälle. Dieses Konzept gefällt mir.

An eine Sache wollte ich allerdings immer gerne glauben: An Menschen. Hat oft funktioniert, aber eben leider nicht immer. Wenn ich es mal nicht tat, dann zwang ich mich dazu, trotzdem irgendwie weiter an die Menschen zu glauben. Hat es was gebracht? Mittlerweile glaube ich, dass Menschen grundsätzlich immer Gutes wollen. Letztendlich bauen sie dann dennoch immer Scheiße. Das ist doch mal ein Konzept. Dafür sollte man mal einen Kult einrichten. Das Gebet könnte dann allerdings etwas merkwürdig ausfallen.

Bleiben wir also lieber bei der alten Tradition, beim alten Gebet am Cruz de Ferro, während man den Stein ablegt:

Herr, möge dieser Stein, Symbol für mein Bemühen auf meiner Pilgerschaft, den ich zu Füßen des Kreuzes des Erlösers niederlege, dereinst, wenn über die Taten meines Lebens gerichtet wird, die Waagschale zugunsten meiner guten Taten senken. Amen.

Letzteres wahlweise zu ersetzen durch: So möge es sein. So is‘. So machmer’s.

Die Tradition besagt, dass der Pilger, der sich entschlossen hat, nach Santiago de Compostela zu gehen, einen Stein aus der Heimat mitnimmt. Einen symbolischen Ballast.

Ich nehme zwei Steine mit. Und monströse, künstliche Blumen.

Warum denn eigentlich?

23.07.2019 00:20 Uhr

Ich sitze in meiner Bude. Ja, in meiner Bude. In meinem Stitz. Einen hochwertigeren Begriff gibt es dafür nicht. Ich bin dankbar, dass ich ihn habe, aber es ist eben einfach nur ein Stitz. Ich sitze in meinem unfassbar bequemen und gleichzeitig vollkommen durchgesessenen DDR-Rollsessel, bei dem ich nach jeder Bewegung die linke Rolle an der Unterseite nachziehen muss, um nicht halb auf dem Boden zu sitzen. Das hat was. Aber nicht viel.

 

Vor mir auf dem Bildschirm flimmert irgendein Film, irgendeine Serie, vor sich hin. Grundsätzlich flimmert bei mir immer irgendetwas vor sich hin. In diesem Moment aber hauptsächlich ich selbst. Ich bekomme absolut nichts von dem Treiben auf dem Bildschirm mit. Es könnte ein surreales Werk aus der Feder von Darren Aronofsky sein. In den Hauptrollen David Hasselhoff und Annegret Kramp-Karrenbauer. Unter der Regie von Hieronymus Bosch, Klaus Kinski und einem sprechenden Schimpansen. Auch sowas kann man mögen. Muss man aber nicht.

Nichts davon interessiert mich gerade. Es flimmert einfach. Ich sitze also einfach da. Ich lasse mich von diesem cineastischen Meisterwerk unterbewusst einlullen und denke. Nur denken. Das kann ich und tue ich leider oftmals viel zu gut. Ich kriege dieses hässliche, fast haarlose Ding, welches aus meinem Hals hervorragt, einfach nicht ausgestellt. Ich habe keinen Schalter dafür. Lieferfehler. Hat Hermes vor knapp 33 Jahren einfach verkackt. Jegliche Bemühung um Nachlieferung fehlgeschlagen.

Ich schlafe nun seit fast drei Wochen so gut wie gar nicht. Mit „so gut wie“ meine ich absolut. Und mit „gar nicht“ meine ich GAR NICHT. Ich esse seit fast drei Wochen sehr, sehr wenig. Nur Kleinkram. Ich habe seit fast drei Wochen eine Nervenstörung am Hauptnerv des Hinterkopfes. Ich fühle mich taub und unkonzentriert. Ich habe seit fast drei Wochen ein riesiges Loch in meinem Leben. Größer als je zuvor. Es ist eher wie eine riesige, zerklüftete Schlucht. Als hätte eine gewaltige, hässliche, fette, warzenbewachsene Kröte ihren gigantischen Schlund geöffnet und… Lassen wir das. Dieser Vergleich hinkt. Auf beiden Beinen. Sogar auf allen dreien. Lieber in Form eines Gleichnisses, so wie unser guter, alter Freund J.C. vor einigen Jährchen schon immer gerne redete:

Es ist, als hätte ich einen fantastischen Baumeister kennengelernt und angeheuert. Dieser Baumeister begann ein Gebäude zu errichten. Er maß dem Werk eine riesige, bedeutungsvolle Zukunft bei. Vor meinen Augen stellte er es Schritt für Schritt fertig. Ich konnte währenddessen noch nicht so ganz daran glauben, da meine Erfahrungen mit vorherigen Baumeistern nicht die besten waren. Mit jedem Stein, den er setzte, begann ich, immer mehr zu glauben, immer mehr zu wissen, dass dieses Werk wirklich standhaft sein wird. Standhaft bis zu dem Tag, an dem die Hölle einfriert und Roberto Blanco weiß wird. Als der Schlussstein des Bauwerks gesetzt werden sollte, als ich alle Zweifel abgelegt hatte, riss der Baumeister sein Werk vollständig ein. Einfach so. Dann schnappte er sich ein Klatschblättchen, eine Rolle Klopapier und setzte einen gewaltigen Haufen darauf. Und lachte dabei. Dieser Vergleich ist zwar irgendwie widerlich, aber er trifft’s.

Genau SO fühle ich mich in diesem Moment. In der wohligen Umarmung dieses sesselförmigen Meisterwerks. Diese bedeutungsvolle Zukunft, an die mich der Baumeister glauben ließ, als ich es selbst noch bezweifelte. Das Gebilde, das er mit mir seit mehr als zwei Jahren aufgebaut und mir versprochen hat. Er hat es nun eingerissen. Unwiderruflich. Und hat danach genüsslich schmatzend ein gewaltiges Exkrement darauf hinterlassen. Während ich in diesem dampfenden Chaos noch nach der Ursache für all das suche, ist der Baumeister längst dabei, das nächste Gebilde für den nächsten Klienten zu errichten. Ich suche derweil noch in diesem Berg aus Scheiße und stelle mir die ganze Zeit die hochwissenschaftliche und philosophische Frage: Hä?

Nun dürfte jedem Einzelnen klar sein, was ich damit meine. Nun dürfte jedem Einzelnen klar sein, dass das irgendwie ein merkwürdiges Gleichnis ist. Nun dürfte sich jeder Einzelne fragen: „Was hat der Typ genommen? Was hat er vergessen zu nehmen?“ Nun dürfte jedem Einzelnen klar sein, dass der Baumeister kein Mann war. Ja, manchmal kann ich schon sehr emotional und melancholisch sein. Gedanklich und beim Schreiben. Gefühlschaos der krassesten Sorte. In diesen Ausmaßen allerdings auch für mich völlig neu. Ich möchte das nicht noch genauer vertiefen. Nicht an dieser Stelle. Man kommt momentan sowieso nicht auf den Grund der Entstehung dieses aufgerissenen Loches. Höchstwahrscheinlich wird man das auch nie.

Halten wir also in diesem Moment fest:

1. Ich sitze.

2. Dieser Sessel ist auf eine geniale Weise bequem und total beschissen zugleich.

3. Ich habe einen mittleren Nervenschaden am Kopf, der mich taub und unkonzentriert macht.

4. Meine Baumeisterin hat mich entsorgt.

5. Das ganze versprochene Gebäude gleich mit.

6. Holzklotz reimt sich nicht auf Bitterorange.

7. Nein.

8. Punkt 7 bedarf einer genaueren Untersuchung.

9. Ich muss jetzt irgendetwas tun, um wieder einen freieren Kopf zu bekommen.

10. Listen mit mehr als zehn Punkten sollte man keine Bedeutung beimessen.

11. Was zur Hölle mache ich jetzt?

Seit dem mythenumrankten Jahr 2010 habe ich einen Gedanken. Damals, als das Gras noch grün war und Schlumpf-Eis wirklich noch nach echten, handgejagten Schlümpfen schmeckte, prägte mich ein ganz besonderes Erlebnis. Wir unternahmen eine Reise. Wir waren zu dritt, mein Opa, mein Onkel und ich. Eine Reise durch Südfrankreich und Nordspanien mit dem sehr speziell ausgerichteten Reiseveranstalter Rotel-Tours.

Auf den Spuren des Jakobsweges nannte es sich. Im Nachhinein würde ich es gerne etwas anders taufen:

Unterwegs in einem rollenden Hühnerkäfig namens ‚Rotel-Tours-Bus‘, in dem jegliche Privatsphäre schlicht nicht vorhanden ist, du allerdings sehr viel siehst, während du nachts von den urwaldartigen Geräuschen der zwei schwäbischen Lesben, die in den Kabinen über dir schlafen, unterhalten wirst, die dir wahlweise ein Lächeln oder die blanke Wut ins Gesicht zaubern, du dich danach frisch ‚gestärkt‘ in einen neuen Tag voller Sightseeing begibst und halt so allgemein, na ja….auf den Spuren des Jakobsweges halt.

Guter Titel der Reise. Macht sich aber nur bedingt gut in einem Reisekatalog. Wohl eher gar nicht.

Ich fand es genial. Ich habe Fernweh. Immer gehabt. Ich will alles sehen, alles erleben. Ich möchte am liebsten überall hin. In jedes Land, zu jedem Ort. Muss wohl ein Erbfehler sein. Herzlichen Dank, Familie. Es war jedenfalls ein bis dato einmaliges Erlebnis. Nicht falsch verstehen, es war bei weitem nicht die erste große Reise meines Lebens, im Gegenteil. Ohne jetzt angeben zu wollen, möchte ich einfach mal von mir behaupten, ich kenne mich in der Welt schon ganz gut aus. Aber diese Reise, diese Tour mit diesem Veranstalter, die Art und Weise des Trips, das war eine ganz andere Hausnummer als alles zuvor Erlebte. 20 Tage mit anfänglich wildfremden Menschen auf engstem Raum unterwegs zu sein, in relativ kurzer Zeit extrem viele Orte zu besuchen, gemeinsam Essen zuzubereiten, zu verspeisen und wieder hinaus zu befördern, eine Gegend nicht nur zu sehen, sondern einfach zu erleben, unbeschreiblich. Keine meiner anderen Reisen kommt diesem Erlebnis nahe. Entschuldigung mein verehrtes Rom. Ich liebe dich trotzdem noch.

Diese Tour hatte einige der schönsten und merkwürdigsten Begebenheiten und einige der besten menschlichen Begegnungen meines bisherigen Lebens inklusive. Danke an den Rotel-Gott, falls es ihn gibt. Die Route der fahrenden Schlafkabinen führte entlang der Strecke des französischen Jakobsweges, über Toulouse und Lourdes und natürlich entlang des eigentlichen Jakobsweges, des Camino Francés, durch Spanien. Zu allen wichtigen Orten, die in Zusammenhang mit diesem altehrwürdigen Weg stehen. Selbstverständlich gehörten zum Reiseprogramm auch einige Etappen des Camino. Jeweils nur ein paar putzige, kleine Kilometerchen. Man bekam zumindest einen klitzekleinen Eindruck des Pilgerns und der verschiedenen Landschaften entlang der hunderte Kilometer langen Strecke. So kurz und knapp die jeweiligen Etappen waren, ich lief meistens allein, ganz für mich. Es war der Wahnsinn.

Die Menschen, die auf diesem Weg unterwegs waren. Die Geschichten, die ich nur auf diesen wenigen Ausschnitten des jahrhundertealten Weges gesehen und gehört habe. Unfassbar. Man kann es nicht alles in Worten zusammenfassen. Ein Pilger, der seinen Rucksack nicht trug, sondern in einem Bollerwagen, hinten an seinem Gürtel befestigt, hinter sich herzog. Zwei junge Typen, die sich als Thüringer aus Suhl entpuppten, die einfach mal Bock darauf hatten. Mal sehen was hier so passiert. Ein Mann, der absolut nichts bei sich hatte, außer einem Wanderstock und den zerlumpten Klamotten am Leib. Ein zerfressener Kartoffelsack war gegen ihn ein luxuriöses Gut. Von Prada. Marktlücke.

Was bewegt einen Menschen dazu, sein normales Leben für viele Wochen zurückzulassen und je nach genauem Ausgangs- und Bestimmungsort circa 800 Kilometer in großer Entbehrung durch Spanien zu laufen? Zum vermeintlichen Grab eines Apostels Jesu? Oder danach weiter bis nach Finisterre, ans Meer, bis ans Ende der Welt? Wer macht sowas? Warum macht man sowas? Sind die alle einfach irre?

Oder sind es gerade diese Menschen nicht?

Ich habe mich damals sofort in den Gedanken verliebt, diesen Weg auch zu gehen. Einfach den Weg zu gehen. So interessant auf vielerlei Weise. Landschaftlich, kulturell, geschichtlich, menschlich. Einfach den Weg und die Umgebung aufsaugen. Dass der Weg auch mich gehen muss, das war mir noch nicht klar. So vergingen weitere Jahre. Der Gedanke verging nie. „Ein Gedanke ist wie ein resistentes Bakterium.“ Verdammte Filmzitate. Dieser resistente, standhafte Gedanke. Immer begleitet von den üblichen Ängsten eines zumindest halbwegs normal denkenden Menschen. Ich kann doch nicht einfach wochenlang weg sein. Ich kann doch nicht einfach wochenlang alle Verpflichtungen bei Seite schieben. Ich kann mir das doch finanziell gar nicht leisten. Schwachsinn.

Verrückterweise kam irgendwann das Jahr 2014. Das Gras war nicht mehr so grün wie einst, Schlümpfe für Schlumpf-Eis wurden nicht mehr professionell, sondern nur noch von der ukrainischen Schlumpf-Mafia geschreddert und Gurken durften nur noch einen bestimmten Neigungsgrad aufweisen, um als Gurken zu gelten. Welch abgefahrene Zeit. In diesem Jahr, am 25. August, begab sich mein Opa mit seinem alten Studienfreund Manfred auf den Jakobsweg. Denn auch Opa hatte sich auf unserer Reise in den Gedanken Camino verliebt. Insgeheim war ich neidisch. So richtig neidisch. Ich färbte mich gelb.

Ich befand mich zu dieser Zeit in der Endphase eines letztendlich sinnlosen Studiums. Ich wollte es und ich habe es versucht. Danke europäisches Bachelor-System. Du hast alles richtig gemacht. Prima. Drecksack. Es hat nicht sollen sein. Nur wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht so ganz. Vielleicht wollte ich es auch einfach noch nicht wahrhaben. Der Anblick der beiden glücklichen Pilger am Ende ihrer Reise, bei der Abholung am Bahnhof, brachte diesen kleinen, versteckten, aber unausweichlich existierenden Gedanken wieder ans Tageslicht. Na du Saftnase, wärste mal lieber mitgegangen, wa? Danke Hirn. Ich habe dich auch lieb.

Opa schrieb einen Reisebericht. Ich konnte ihn bis heute nicht lesen. Ich brachte es nicht übers Herz. Ich konnte mich wahrscheinlich mit dem Gedanken nicht anfreunden, nicht auch den Weg gegangen zu sein. Irgendwie ging es einfach nicht.

Dann wurde ich krank. An Weihnachten 2014 war ich plötzlich komplett ausgeschaltet. Mein ganz persönlicher „Nightmare before Christmas“. Bis heute weiß ich nicht genau, was zum Teufel da los war. Aufgewacht, Füße rot und geschwollen, kurz: Ich konnte nicht mehr laufen. Aber nicht nur die Füße, sondern beide Beine waren tot. Gefühlt. Wundrose nannte man es. Penicillin und Krücken waren die Kur. Aber durch was war es bedingt? Ich durchlief alle Tests, die man überhaupt an einem Menschen durchführen kann. Lag auch einige Tage im Krankenhaus.

Alles wurde untersucht. Kleines Blutbild. Großes Blutbild. Urin- und andere lustige Proben. Röntgen. Alles vom schütteren Haupthaar bis zur Hornhaut an der Ferse. CT. MRT. ARD. ZDF. Sonographie. Wenigstens Schwangerschaft war ausgeschlossen. Alles in allem kam bei den Tests heraus: Mir ging es total prima. Aber ich konnte halt nicht laufen, weil beide Beine geschwollen waren und schmerzten. Lief bei mir. Oder eben nicht.

Nach Monaten ging es dann wieder. Irgendwann ging auch ich wieder. Weiß der Geier, was da los war. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein meinem Körper gesagt: Alter, wenn du nicht langsam mal was machst, nicht endlich irgendwas in deinem Leben änderst, dann hau ich dich halt einfach um und du läufst nie wieder.

 

Das tat ich dann auch. Ich hörte hin. Ich brach das Studium ab und machte einen klaren Schnitt. Ich bewarb mich in der heimatlichen Umgebung. Tschüss Mainz, tschüss Studentenleben. Zeit für Neues. Zeit für eine Lehre. Zeit für eine abgeschlossene Ausbildung. Mit 28 Jahren. Ist doch kein Problem. Irgendwas, wo ich mit Menschen in Kontakt komme. Einer, der fast Lehrer wurde, muss halt einfach reden. Reden. Reden. Hotelfachmann? Na, das klingt doch gut. Und los.

Und es ging los. Mein verkorkster Lebenslauf war wohl kein Hindernis. Ich bekam die erwünschte Stelle und fühlte mich sofort sehr wohl in diesem neuen Leben. Es lief. Irgendwann in diesem neuen Lebensabschnitt wurde es noch schöner. Ich traf auf eine neue Kollegin. Eine unfassbar tolle Frau. Eine, wie ich sie mir nicht mal hätte vorstellen können, wenn ich jede einzelne Hirnzelle benutzt hätte. Da war sie. Einfach so. Es war der Hammer. Sie war der Hammer. Niemals hätte ich so etwas erwartet. Geschweige denn geglaubt, dass mir ein solcher Zufall einfach über den Weg läuft. An so etwas wie ein sofortiges Verständnis untereinander und eine sofortige Verbundenheit im Geiste, hatte ich nie geglaubt, das hatte ich mir nie zu erträumen gewagt. Und plötzlich war all das da. Ich neige nicht zu übertriebenem Kitsch, aber meine Fresse, das passte vom ersten Moment an, wie die Locken auf den Frosch, wo auch immer der die hat. Betonung auf passte. Etwas über zwei Jahre lief es besser, als ich es je kannte. Ein gemeinsames Denken und Fühlen, gemeinsame Reisen und Unternehmungen, gemeinsame Zukunftsplanung. Es war alles da und es war schlicht und einfach perfekt. Es war nicht die längste Beziehung meines Lebens, aber es war einfach die beste. Genau das war es. So hatte ich mir das immer vorgestellt und mir gewünscht. Bis die Realität kam.

Und nun, ihr bemitleidenswerten Leser dieser verschwurbelten Zeilen, wisst ihr zwei Dinge:

Erstens: Ich neige zu Ausschweifungen, wenn ich schreibe.

Zweitens: Ja, genau das meinte ich. Genau diese Frau, diese Baumeisterin, hat nun das Gebilde zerstört. Und ich weiß nicht, warum. Erklärungen ihrerseits hin oder her. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe sie nicht.

Nun sitze ich hier. Mit einem Nervenschaden durch zu viel Nachdenken. Mit einem riesigen Loch im Leben. Mit Wiederholungen ein und derselben Sache am laufenden Band. Was mache ich jetzt, um das alles irgendwie zu verarbeiten? Eventuell sogar, um das alles zu vergessen? Das Bad im Selbstmitleid muss langsam enden. Es duftet nicht gerade gut. Irgendwas muss ich tun.

Hallo Hirn. Da ist er wieder. Der Gedanke. Das resistente Bakterium. Du hast Recht. Ich mache es.

JA, VERDAMMT. JETZT. Genau jetzt werde ich endlich diesen Weg gehen, den ich seit Jahren gehen will.

Der Jakobsweg ruft. Genau jetzt muss es einfach sein.