Integrative Medizin und Gesundheit

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Inhalt

I Was ist Integrative Medizin?

1 Integrative Medizin und Gesundheit – Konstrukt einer modernen Medizin

Benno Brinkhaus und Tobias Esch

2 Die Bedeutung der Selbstregulation in der Integrativen und Mind-Body-Medizin – Ein Überblick

Tobias Esch und Benno Brinkhaus

3 The Evolution of Integrative Health in the Reform Effort for US Medicine: 1965 to Present John Weeks

4 Patientenzentrierte Versorgung Jördis Maria Zill, Stefan Zeh und Isabelle Scholl

5 Self-Care-Maßnahmen der Integrativen Medizin in einer digitalen Welt Claudia M. Witt und Daniel Pach

6 Stärkung der Interprofessionalisierung und der vernetzten Zusammenarbeit im Kontext der Integrativen Medizin Angelika Homberg und Claudia M. Witt

7 Stimulate Collaboration – Förderung von Kollaboration – Herausforderungen für die Umsetzung Joachim E. Fischer

8 Toward Fully Transparent Communication: Shared Medical Records Tom Delbanco and Jan Walker

9 Patientenbeteiligung und partizipative Entscheidungsfindung in der Integrativen Medizin Martin Härter und Jörg Dirmaier

10 Integration der Gesundheitsversorgung – Von „Volume“ zu „Value“: Umsetzung und Evaluation von Triple-Aim-Ansätzen Alexander Pimperl, Helmut Hildebrandt und Oliver Gröne

11 Forschung zur Integrativen Medizin – Strategische und methodische Aspekte Klaus Linde

12 Integrative Medizin, Naturheilkunde und Komplementärmedizin in den Leitlinien für Humanmedizin der AWMF Jost Langhorst

13 Integrative Versorgung im Quartier erfordert die Verknüpfung von individueller Gesundheitsversorgung mit einem Public-Health-Ansatz Helmut Hildebrandt und Oliver Gröne

14 Integrative Medizin und Global Health, weltweit integrierte Sozialmedizin Peter Tinnemann, Maike Voss und Jens Holst

15 Wertebeitrag digitaler Gesundheitsanwendungen für eine Integrative Gesundheitsversorgung Peter Haas

16 Integrative Medizin aus Patientensicht Anna Paul und Annette Kerckhoff

II Entwicklung und Formen der Integrativen Medizin

1 Integrative Medizin: Historische Perspektive Robert Jütte

2 Kunst und Medizin – Am Beispiel der Musik Stefan N. Willich

3 Die Bedeutung der Naturheilkunde für die Integrative Medizin Dieter Melchart

4 Anthroposophische Medizin als integratives medizinisches System in Deutschland Harald Matthes und David Martin

5 Mind Body Medicine and the Challenges of 21st Century Healthcare Gregory L. Fricchione

6 Pflege in der Integrativen Medizin Cornelia Mahler und Regina Stolz

7 Integrative Medizin im Medizinstudium am Beispiel des Begleitstudiums Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke Friedrich Edelhäuser, Diethard Tauschel und Christian Scheffer

8 Integrative Medizin und Gesundheit in ärztlicher Aus- und Weiterbildung Eckhart G. Hahn

9 Mind Body and Other Integrative Practices in the Training of Physicians in the United States Aviad Haramati, Shelley R. Adler, Ray Teets and Benjamin Kligler

10 Placebo- und Noceboeffekte: Psychologische und neurobiologische Grundlagen und klinische Implikationen Ulrike Bingel

11 Internationalization of Integrative Medicine Torkel Falkenberg

12 Ethik und Recht im Kontext der Integrativen Medizin Martin W. Schnell

III Praktische Aspekte

1 Integrative Oncology Shelly Latte-Naor und Jun J. Mao

2 Schmerz und muskuloskeletale Erkrankungen Gustav Dobos

3 Integrative Medizin bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen Andreas Michalsen

4 Integrative Medizin bei metabolischen Erkrankungen Michael Jeitler und Christian S. Kessler

5 Integrative Gastroenterologie Jost Langhorst

6 Was ist Integrative Psychiatrie? Oliver Somburg, Stefan Brunnhuber und Holger C. Bringmann

7 Herausforderungen bei der Integration komplementärmedizinischer Verfahren in die Allgemeinmedizin Stefanie Joos

8 Integrative Pädiatrie Alfred Längler und Georg J. Seifert

9 Integrative Medizin in der Altersheilkunde Michael Teut und Miriam Ortiz

The Berlin Agreement: Self-Responsibility and Social Action in Practicing and Fostering Integrative Medicine and Health Globally

Die Herausgeber

I

1 Integrative Medizin und Gesundheit – Konstrukt einer modernen Medizin

Benno Brinkhaus und Tobias Esch

 

Zusammenfassung

Trotz enormer Erfolge der konventionellen Medizin, insbesondere bei der Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten sowie in der Akutmedizin, sind in den letzten Jahrzehnten die Limitationen dieses v.a. auf einem pathogenetischen Gesundheitsverständnis basierenden Medizinsatzes offensichtlich geworden. Die konventionelle Medizin wird heute zunehmend durch die Integration von präventivmedizinischen Aspekten und solchen der Gesundheitsförderung, die insbesondere auf der Salutogenese und Stärkung von Resilienzfaktoren basieren, maßgeblich erweitert. Evidenzinformierte bzw. -basierte Verfahren der Naturheilkunde sowie der komplementären bzw. traditionellen Medizin und der Selbstfürsorge/Gesundheitsförderung werden die Medizin sinnvoll ergänzen, wobei dem selbstverantwortlichen und aktiven Patienten sowie dem empathischen und an einem partizipativen Dialog interessierten Arzt besondere Bedeutung zukommt. Besonders wichtig ist die intensive wissenschaftliche Untersuchung von Naturheilkunde und komplementärer Medizin insbesondere durch eine Fokussierung auf die Komplexität der zu untersuchenden Verfahren im Sinne einer „Whole Medicine Research“, die durch die öffentliche Hand gefördert werden sollte. Die komplementäre Medizin wird in diesem Kontext zukünftig vermehrt als Teil einer ganzheitlich ausgerichteten Integrativen Medizin gesehen werden, wie es in den USA bereits der Fall ist. Zentraler Bestandteil der Integrativen Medizin ist neben der Aktivierung des Patienten die interdisziplinäre Vernetzung aller an der medizinischen Versorgung und der Gesundheitsförderung beteiligten Gesundheitsprofessionen, wobei der Unterstützung gesellschaftlicher Partner bei der Förderung dieser Entwicklung ein zentraler Faktor ist. Soziale, politische und ökologische Grundbedingungen von Gesundheit und ihre Erhaltung sollten in Zukunft stärker Berücksichtigung finden, hierzu tragen Mitarbeiter aller Gesundheitsprofessionen besondere Verantwortung. Nur wenn es gelingt, die Medizin in Richtung Integrativer Medizin zu modernisieren, wird sie den gesundheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft bewältigen können.

Summary

Despite the enormous success of conventional medicine, especially in combating infectious diseasesas well as in intensive care, the limitations of such medicine, which is based primarily on a pathogenetic understanding of health, have become evident. Today, conventional medicine is being employed increasingly in the integration of preventive medical practices and those of health promotion, which are based, in particular, on salutogenesis and the strengthening of resilience factors.

Evidence-informed or evidence-based methods of naturopathy as well as complementary or traditional medicine and self-care/health promotion will complement medicine in a meaningful way, with special emphasis on encouraging self-responsible, active patients as well as empathetic physicians who are genuinely interested in a participative dialogue.

Of central importance in this development is the thorough scientific investigation of naturopathy and complementary medicine, especially by focusing on the complexity of its procedures to be investigated in the sense of ‘Whole Medicine Research’, which should also be funded by public authorities.

In this context, complementary medicine will increasingly be part of future comprehensive and holistic – supposedly integrative – medicine, as is already the case in the USA.

In addition to patient activation, a central component of future Integrative Medicine is the interdisciplinary networking of all health care professions involved in medical care and health promotion, with the support of social partners being a key factor in promoting this development. In addition, the social, political and ecological conditions surrounding health should be given greater consideration in the future. Only if we succeed in modernizing medicine in the direction of Integrative Medicine, will we be able to meet the health policy challenges of the future.

1.1 Einleitung

Trotz enormer Erfolge der konventionellen Medizin insbesondere bei der Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten und in der Akutmedizin sind in den letzten Jahrzehnten die Limitationen dieses v.a. auf einem pathogenetischen Gesundheitsverständnis basierenden Ansatzes offensichtlich geworden. Folge ist, dass den aktuellen Herausforderungen der globalen Medizin bei der Versorgung von einer zunehmenden Weltbevölkerung sowie die Zunahme an chronischen Erkrankungen insbesondere in den Industrienationen nicht mehr allein durch die kostenaufwendige konventionelle Medizin begegnet werden kann. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Medizin zunehmend in Richtung einer Integrativen Medizin entwickelt. In dem vorliegenden Artikel wird diese Entwicklung ausgehend von den Konzepten von Gesundheit und Krankheit, von den Konzepten der komplementären naturheilkundlichen bzw. traditionellen Medizin bis hin zu den verschiedenen Definitionen von Integrativer Medizin nachgezeichnet. Des Weiteren werden Konkretisierung wichtiger Aspekte in Form vom Berlin Agreement, das im Rahmen des 1. Weltkongresses für Integrative Medizin entwickelt wurde, vorgestellt.

1.2 Konzepte von Gesundheit und Krankheit

Die Integrative Medizin ist unter anderem das Ergebnis der durch die gesellschaftlichen Bedingungen sich wandelnden Konzepte von Gesundheit und Krankheit insbesondere im 20. Jahrhundert.

Der WHO-Gesundheitsbegriff von 1947 „Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 2006) ist zwar mehrdimensional und positiv, deutet aber auch auf einen Idealzustand hin, der unerreichbar erscheint und somit realitätsfern ist. Insbesondere das der konventionellen Medizin zugrunde liegende biomedizinische Krankheitsbild mit der Grundannahme, dass jeder Krankheit eine Veränderung des organischen Substrats durch innere Bedingungen (z.B. genetische Codes) oder äußere Einwirkungen (z.B. Infektionen oder chemische-physikalische Einflüsse) zugrunde liegt, hat die Medizin seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich geprägt und insbesondere bei der Bekämpfung von Infektionserkrankungen zu unübersehbaren Erfolgen geführt. Allerdings hat dieser Ansatz auch nicht zu übersehende Schwächen, so haben Befindlichkeitsstörungen und funktionelle Erkrankungen kaum einen Platz in diesem System, bei dem der menschliche Körper eher wie eine Maschine interpretiert wird, die Krankheit als Betriebsschaden aufgefasst und der Körper wird bei technischen Störungen repariert wird. Auch die diesem System entsprechenden äußeren Bedingungen haben mit einer zunehmenden Technisierung der Medizin die Grenzen des biomedizinischen Krankheitsbilds aufgezeigt. Darüber hinaus ist bei der pathogenetischen Betrachtungsweise die Festlegung der Grenze zwischen „normalen“ und „pathologischen Werten“ problematisch, da die sich daraus ergebende Dichotomisierung zwischen „sicher gesund“ und „sicher krank“ zu einem Reduktionismus des menschlichen Lebens führt. Auch gilt nicht immer das Normale (entlang der Verteilung von Merkmalen in der Normalbevölkerung) als gesund, heute werden zunehmend Referenzwerte für gesunde Merkmale (vgl. systolische Blutdruckwerte, Plasma-Lipidwerte etc.) weit außerhalb ihrer Normalverteilung definiert, was große Gruppen der Bevölkerung automatisch – per definitionem – zu „Kranken“ macht.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich aber auch Gesundheitsmodelle entwickelt, die primär den Begriff der Gesundheit und nicht der Krankheit in den Mittelpunkt stellen (Franke 2012). Diese Modelle werden häufig als salutogenetische Modelle bezeichnet, die für die Entwicklung der Integrativen Medizin von größter Bedeutung sind (Franke 2012): Vom Begründer der Salutogenese, dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, wird die Salutogenese, die Lehre bzw. Erforschung von Faktoren und Prozessen, die die Gesundheit erhalten und fördern, bewusst dem Begriff der Pathogenese, der Lehre bzw. Erforschung von Faktoren und Prozessen, die die Krankheit erzeugen oder verlängern, gegenüber gestellt. Antonovsky weist darauf hin, dass die Pathogenese und die Salutogenese eine komplementäre Beziehung bei der Betrachtung von Gesundheits- und Krankheitsprozessen eingehen (s. Abb. 1).

Abb. 1 Integration von Pathogenese und Salutogenese entlang des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums. Linke Säule: Pathogenetische Perspektive (Fokus auf Risikofaktoren bzw. Krankheiten). Rechte Säule: Salutogenetische Perspektive (Fokus auf Schutzfaktoren/Widerstandsressourcen bzw. Gesundheit) (Esch 2017)

Das Modell der Salutogenese von Antonovsky geht von der Annahme aus, dass Gesundheit und Krankheit zwei Pole eines Kontinuums sind, auf dem sich der Mensch befindet, so, dass folglich Krankheit eine normale Erscheinung des menschlichen Lebens ist. Aus der Sicht der Salutogenese gelingt das Verständnis des Krankheitsprozesses und somit eine optimale Therapie bzw. eine Gesundheitskorrektur nur durch ein möglichst breites Wissen über den Menschen, insbesondere auch über die Möglichkeit, krankmachende Stressoren und Belastungen zu meiden sowie gesundmachende Faktoren und Prozesse zu stärken (Gesundheitsschutzfaktoren). Ein wichtiger Bereich, der einen konstruktiven Umgang mit Stressoren ermöglicht, sind hier auch die „generalisierten Widerstandsressourcen“. Diese ergeben sich einerseits aus gesellschaftlichen Widerstandsressourcen – den Bedingungen, in denen der Mensch lebt – und andererseits aus den individuellen Widerstandsressourcen – z.B. den kognitiven, physiologischen, psychischen und materiell-ökonomischen Ressourcen. Entscheidende Bedeutung misst Antonovsky dem sogenannten Kohärenzgefühl (engl. Sense of Coherence, SOC) bei, das eine Hauptdeterminante dafür ist, welche Position der Mensch auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum hat, als auch die Richtung mitbestimmt, in welche der Mensch sich auf einen der Pole zubewegt (Antonovsky 1997). Das Kohärenzgefühl ist definiert als „eine globale Orientierung“, die ausdrückt, in welchem Ausmaß der Mensch ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind, 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen und 3. die Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengungen und Engagement lohnen (Antonovsky 1997). Antonovsky identifiziert dazu drei Teilkomponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit, die zum Kohärenzgefühl entscheidend beitragen sollen. Verstehbarkeit ist dabei das Ausmaß, in dem interne und externe Stimuli kognitiv erfasst werden. Handhabbarkeit ist das Ausmaß, in dem der Mensch über Ressourcen verfügt, um auf die Stimuli reagieren zu können, und Bedeutsamkeit ist das Ausmaß, in dem dem eigenen Leben ein Sinn, eine Bedeutung zugeschriebenen wird (Franke 2012). In der aktuellen Forschung auch zu Resilienzmodellen und Persönlichkeits-Gesundheits-Kontexten – jenseits der Integrativen Medizin – spielt das Kohärenzgefühl weiterhin eine große Rolle, wobei nach Faktorenanalysen heute die Validität einer Auftrennung in die drei beschriebenen Teilkomponenten hinterfragt wird.

Im Modell von Antonovsky stehen die Reaktionen des Körpers auf Stressoren im Vordergrund, andere wichtige Faktoren wie Vertrauen, Liebe, Fantasie und Gemeinschaft spielen eher eine geringe Rolle. Neben dem Modell der Salutogenese hat sich u.a. auch das Resilienz-Modell etabliert, das die körperliche, v.a. aber psychische und seelische Widerstandsfähigkeit des Menschen bezeichnet, auf schwere Lebensereignisse – wie z.B. eine Krebserkrankung – zu reagieren und sich somit krankmachenden Prozessen entgegen zu stellen (Ludolph, Kunzler et al. 2019). Die Resilienzforschung sucht Faktoren, die dazu führen, dass der Mensch sich auf dem Gesundheit-Krankheitskontinuum eher auf der Seite der Gesundheit befindet.

Das salutogenetische Modell führt zu einem dringlich notwendigen Paradigmenwechsel in der Medizin bzw. Gesundheitswissenschaften. Der die konventionelle Medizin aktuell noch primär tragende pathogenetische Ansatz wird fruchtbar ergänzt durch den salutogenetischen Ansatz, der insbesondere dem präventivmedizinischen und dem naturheilkundlichen bzw. ressourcenorientierten Denken entspricht und an zentraler Stelle das Selbsthilfe- und Selbstheilungspotenzial des Patienten adressiert (Esch 2018).

 

1.3 Konzepte der Naturheilkunde und anderer traditioneller Medizinsysteme

Die Naturheilkunde (NHK) und traditionelle Medizinsysteme basieren mitunter auf durchaus unterschiedlichen Konzepten von Gesundheit und Krankheit, die zum Teil, wie etwa bei der Chinesischen Medizin (CM– Anmerkung: Da es keine kontinuierliche und einheitliche „traditionelle“ Chinesische Medizin gibt, wird in diesem Buch dieser Begriff verwendet), auf naturphilosophischen Ansätzen basieren, zum Teil solche Ansätze verlassen und sich naturwissenschaftlichen Gesetzen unterordnen. Die NHK als primär regulationsmedizinischer Ansatz basiert beispielsweise vor allem auf der Selbstregulation bzw. der Adaptation des Körpers an Umwelteinflüsse und den gestaltenden Kräften zur Bewahrung oder Verbesserung der Gesundheit. Trotz dieser wichtigen Unterschiede haben die beschriebenen Medizinsysteme neben der kulturellen Verankerung aber auch viele Gemeinsamkeiten: Bei vielen dieser Systeme herrscht die Idee der „Homöostase“ vor, was den Gleichgewichtszustand eines offenen biologischen Systems beschreibt – als grundlegendes Prinzip des Lebens. Genauer sprechen wir heute auch von der „Allostase“, was präziser zum Ausdruck bringt, dass die angestrebte gesunde Balance niemals stabil, sondern immer dynamisch ist (Esch 2002).

Für den Begriff der Integrativen Medizin jedoch mindestens so bedeutsam ist die in vielen traditionellen Medizinsystemen enthaltene Aufforderung zur aktiven individuellen Beeinflussung der Gesundheit unter anderem durch Einleitung oder Begleitung günstiger Veränderungen des Lebensstils, sowohl im Sinne einer Gesundheitsförderung als auch im Sinne präventiver Maßnahmen. In der Naturheilkunde wurde hierfür zentral der Begriff der „Ordnungstherapie“ konzipiert, eine Bezeichnung für die Anregungen und Hilfen zu einem geordneten Leben und Lebensstil aus den Erfahrungen der klassischen Naturheilverfahren (Pschyrembel 1999); im Engl. wird hier der Begriff der „Lifestyle Medicine“ oder immer häufiger der Begriff der „Mind Body Medicine“ eingesetzt (Dobos, Altner et al. 2006). In der Naturheilkunde und in der traditionellen Medizin spielen darüber hinaus die Selbstmedikation, z.B. die Einnahme von Hausmitteln oder die in Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen zur Unterstützung der Gesundheit, eine zentrale Rolle. Therapeutisch setzt die Naturheilkunde, so wie die meisten traditionellen Heilsysteme, auf multimodale Ansätze, d.h. dem Kombinieren unterschiedlicher therapeutischer und präventiver Verfahren, um die Gesundheit zu fördern bzw. Krankheiten zu therapieren. Bei vielen traditionellen Medizinsystemen kommt neben der Ordnungstherapie (Lifestyle Medicine, Mind-Body-Medizin – s.o.) der Ernährungs-, Bewegungs- und Entspannungstherapie eine besondere Bedeutung zu, die nicht selten durch den unterstützenden Einsatz von einer oder mehrerer Heilpflanzen ergänzt wird. Weitere Therapieverfahren von traditionellen Medizinsystemen – wie z.B. die Hydrotherapie in der NHK oder die Akupunktur in der CM – stellen oftmals Alleinstellungsmerkmale dar. Zentraler Bestandteil nahezu aller traditionellen Therapiesysteme ist jedoch die Aufforderung, ein gesundes Leben zu führen und krankmachende Faktoren zu meiden. Insofern passt die Naturheilkunde (etwa am Beispiel der Ordnungstherapie sehr konkret, aber auch paradigmatisch insgesamt) ideal in das (neue) Paradigma einer modernen Integrativen Medizin.