Die Fahrt ins Nichts

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Die Fahrt ins Nichts
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Das Buch

Ein geheimnisvoller Meteor, dessen Erscheinen die Welt in Panik versetzte, stürzt in der Nähe von Japan in die tiefen und unsicheren Wasser des Ozeans und löst überall Angst und Neugier aus. In der exotischen Atmosphäre des indischen Subkontinents richten die berühmtesten Wissenschaftler der Welt ein Laboratorium ein. Wird es ihnen gelingen, mit den vorhandenen Steinproben die Rätsel um den Meteor zu lösen? Oder ist eine Reise von 10.000 Metern in die Tiefen des Ozeans unvermeidbar? Wieder geht es um die Rettung der Menschheit. Wieder sind der Chemiker Walter Werndt und seine genialen Ideen gefordert. Dazu müssen jedoch nicht nur die Rätsel um den dunklen Meteor überwunden werden, sondern auch die mysteriöse Herrscherin Indiens.

Mit DIE FAHRT INS NICHTS veröffentlicht der Reichel Verlag den in sich abgeschlossenen Fortsetzungsroman des Science Fiction Klassikers PANIK von Reinhold Eichacker. Das Original erschien 1923 in deutscher Sprache und wurde auch in andere Sprachen übersetzt.

Der Autor

Reinhold Eichacker (1886 - 1931) hat DIE FAHRT INS NICHTS nach einer technischen Idee von Max Valier geschrieben. Max Valier (1895 - 1930) war ein Südtiroler Schriftsteller, Astronom und Raketenbau-Pionier, dessen Arbeiten von Wernher von Braun fortgeführt wurden. Über den Autor selbst ist wenig bekannt und die Orginalausgaben seiner Bücher sind eine Rarität. Der Verlag dankt dem Antiquar Michael Gallmeister für die Buchsuche und der Phantastischen Bibliothek Wetzlar für die Bereitstellung der Orginalausgabe.

Reinhold Eichacker

Die Fahrt ins Nichts


Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Das Buch / Der Autor

Titel

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Nachwort

Impressum



Wir danken der

Phantastischen Bibliothek Wetzlar

für die Bereitstellung der

Originalausgabe.

1

Der um die Ecke des Parsenplatzes rasende Sportwagen stoppte so plötzlich, dass die Bremsen quietschten. Der hintere Teil des Wagens hob sich einen Augenblick, als wolle er sich überschlagen. Dann standen die Räder.

»Parbleu!« kam es von innen. Unter dem amerikanischen Verdeck schoss ein Kopf vor. »Jagt dich der Teufel, Halunke!«

Der indische Fahrer winkte beschwichtigend ab und erklärte in gebrochenem Englisch: »Umzug, Sahib. Die Jainas. Ganze Straße voll Menschen.«

Der Weiße kniff ärgerlich die Lippen zusammen und lehnte sich in sein Polster zurück. Der helle Tropenhut hatte sich verschoben, so dass das graumelierte Haar in die Stirn fiel. Er rückte ihn zurecht und drehte sich zu seinem Begleiter.

»Wieder einer dieser verrückten Festzüge der Burschen. Man stolpert an allen Ecken darüber. Seit dem missglückten Erduntergang vor sechs Monaten ist Bombay ein einziges Tollhaus geworden. Als der Meteor noch die Erde bedrohte, war die Meute besessen vor Grauen, jetzt heult sie vor Freude. Straßenfeste, Umzüge an jeder Straßenecke. All das Volk aus den Pettahs wälzt sich durch die Straßen, um seinen unzähligen Göttern Dankopfer zu bringen. Schauen Sie nur diesen Aufzug! Für Sie hat der Zauber da vorne ja noch den Reiz des Neuen.«

Neben dem Auto tauchte der Riesenleib eines Elefanten auf. Der schlanke Inder saß hoch oben auf seinem Rücken, dicht hinter dem gewaltigen Schädel des Tieres. Seine braunen Füße hatte er hinter die Ohren des Dickhäuters gestemmt. Prunkvolle Decken und Teppiche hingen zu beiden Seiten herab und wirbelten Staub auf.

Der Jüngere bog sich weit unter dem Verdeck vor, um besser sehen zu können, .im gleichen Augenblick fuhr ihm der schlenkernde Rüssel des Tieres feucht über die Backe.

»Fi donc!« machte er erschrocken. Der andere lachte laut auf und beherrschte sich mühsam,

»Vorsichtig, mein Lieber. So etwas nennt man einen Elefantenkuss. Ihre bulgarisch-französische Anziehungs-kraft!«

Der Bulgare wischte sich mit seinem parfümierten Taschentuch über die Augen. Immer neue Massen schreiender, heulender, tanzender Menschen strömten vorüber. Alle trugen festliche Kleider, weiße Gewänder und farbige Tücher. Spielleute bearbeiteten in wildem Rhythmus die Felle ihrer Trommeln oder entlockten ihren langen, dünnen Flöten unheimlich hohe und quieckende Töne. Dazwischen stolzierten in würdevollem Trott die riesigen Elefanten, heilige Kühe aus den Tempeln der Jainas, tollten kreischende Affen neben bunten Symbolen der indischen Gottheiten.

Der junge Bulgare war fasziniert. »Ein fabelhaftes Bild, Monsieur Cachin!«

»Das werden Sie in den nächsten Tagen noch öfter erleben. Diesmal sind es die Jainas, die Mahawira anbeten, den überwundenen Rivalen Gautamas. Morgen sind es die Parsen, die Jünger Zarathustras, die übrigens hier in Bombay die reichsten Kaufleute sind, neben den Mohammedanern, die den Juwelenhandel beherrschen. Auch all die anderen Rassen und Kasten werden Sie kennenlernen, Goanesen, Afghanen, Singhalesen, und wie sie alle heißen.«

Der Wagen setzte sich plötzlich wieder in Bewegung. Wasa, der Lenker, hatte geschickt eine Lücke erwischt und sauste mit voller Geschwindigkeit auf die andere Seite der Straße. Der europäische Charakter des Stadtteils wurde immer beherrschender, Kirchen, Regierungspaläste, das große Klubhaus in gotischem Stil, weite europäisch angelegte Ziergärten, Tennis- und Hockeyplätze blieben hinter dem Auto zurück.

Dann hielt der Wagen vor einem weitläufigen, einstöckigen Bau im Sti1 eines englischen Landhauses. Mehrere farbige Diener eilten diensteifrig zum Öffnen der Wagentüre. Der Graumelierte beachtete sie nicht und ging ohne Zögern durch die Halle des Hauses.

Ein weißer Angestellter kam ihm entgegen und reichte ihm einen Meldeblock. Der Fremde nahm den Bleistift und überflog kurz den Vordruck.

»Professor Cachin«, schrieb er bedächtig. »Brüssel« Und in eine besondere Spalte des Zettels: »Chemie«.

Der kleine Bulgare folgte seinem Beispiel.

»Dumascu«, schrieb er hastig. »Paris, Ingenieur« Der Sekretär prüfte die Namen und hob einen Vorhang.

»Madame erwartet die Herren.«

Der Professor sah überrascht auf.

»Madame hat uns schon heute erwartet? Wir wollten eigentlich erst morgen von Benares hier eintreffen und...«

Über das Gesicht des Angestellten lief die Andeutung eines Lächelns.

»Da die Herren bereits heute Nacht 3 Uhr 40 in Bombay eingetroffen sind und im Hotel des Indes Quartier genommen haben, erwartete die Herrin Sie schon heute.«

 

Cachin gab keine Antwort und ging durch den Vorhang.

»Unheimliche Frau!« zischte er Dumascu zu. »Ihre Spione sitzen in jeder Spelunke.«

Im nächsten Zimmer übernahm ein Hindu die Führung und öffnete eine verborgene Tür. Die beiden Fremden sahen sich plötzlich einer größeren Gesellschaft von Herren gegenüber.

»Man stellt sich nicht vor«, sagte die Stimme des Hindus bedächtig.

Cachin sah sich unwillkürlich nach ihm um, doch der Inder war schon verschwunden. Man begrüßte sich nur durch eine kurze Verbeugung. Die Anwesenden standen in kleineren Gruppen in Ecken und Nischen des Raumes. Gespräche wurden nur flüsternd geführt. Durch die Mitte des Zimmers zog sich ein länglicher Tisch mit zahlreichen Sesseln. Sie waren alle noch unbesetzt.

Dumascu überflog den Raum mit nervösen Blicken und zupfte sich ungeduldig an dem kleinen, verschnittenen Bärtchen.

»Also, nun sagen Sie mir doch bitte einmal, verehrter Professor, ist dieses Haus...«

»Einer der interessantesten Steinbaukästen in Bombay. Hinter jeder Tür lauert ein Geheimnis! Wenn man auf einen Knopf drückt, sind Sie dreiviertel verzaubert und erwachen morgen als Bauchtänzerin. Unter jedem Fuß Boden kann eine Falltüre verborgen sein, und wenn der Hindu nur ssit macht, ist das Ganze verschwunden. Mein Lieber«, lachte er in die verwunderten Augen des anderen -, »eines müssen Sie sich in Indien vor allem abgewöhnen: das Fragen! In Indien ist alles ein Rätsel, Geheimnis, unlösbar. Man muss es hinnehmen, wie man es sieht, ohne zu grübeln. Wer fragt und studiert, bekommt hier nur Nasenstüber. Man macht sich unbeliebt dadurch in Indien!«

Trotz des scherzhaften Tones war in seinen Worten ein gewisser Unterton, der Dumascu aufhorchen ließ. So wie die heimliche Warnung eines Menschen, der sich selbst nicht recht traut, mehr als Antwort zu sagen. Auch die Augen des Belgiers schielten einen Augenblick zur Seite, als fühle er sich behorcht. Doch Dumascu witterte eine Sensation, die ihn reizte.

»Kennen Sie Madame Barbuche?« fragte er gedämpft.

Einen Augenblick schien es ihm, als verstummten die leisen Gespräche rings um ihn herum, als würden alle für einen Augenblick die Luft anhalten. Aber es musste eine Täuschung gewesen sein, denn die anderen Gäste im Zimmer wanden ihm fast alle den Rücken zu. Professor Cachin war sichtbar verlegen. Wieder irrten seine Augen über die Wände.

»Sie fragen sich noch um den Hals, mein Verehrtester!« meinte er leise, mit merkwürdig steifer Haltung des Kopfes. »Madame Barbuche kennt niemand. Niemand weiß, wo sie wohnt. Aber sie ist die Herrscherin Indiens. Niemand weiß, wer sie ist, sie hat tausend Gestalten. Einmal ist sie eine vornehme Dame, ein anderes Mal ein Hinduknabe, ein Fakir, ein Emir, ein Kaufmann. Niemand weiß, ob sie nicht neben ihm steht als Liftboy oder Bettler, als Maharadscha oder als Bäuerin. Sie ist ein Sammelbegriff, eine Macht - eine unheimliche Macht. Sie hört alles, sieht alles; regiert alles. An Madame Barbuche denkt man, aber man spricht nicht von ihr!«

Das Letzte klang ernst. Der sehnige Bulgare wehrte sich vergeblich gegen ein leichtes Gefühl des Unbehagens. Erst jetzt bemerkte er den sonderbar-kostbaren Schmuck der Wände, die mit schillernder Schlangenhaut und Fellen von Tigern und anderen Dschungeltieren bespannt waren.

»Ich verstehe nur nicht, dass so bedeutende Männer, wie Sie, sich unter den Willen einer Frau...« Er brach ab, denn der Vorhang am anderen Ende des Zimmers hatte sich geteilt.

Der weiße Sekretär aus der Vorhalle ging lautlos zum Tisch und schlug den Gong. Er trug jetzt einen Frack. »Ich heiße die Herren im Namen der Herrin willkommen!« sagte er deutlich und leicht in den Saal. »Bitte nehmen Sie Platz!«

Als sich die Gäste um den langen Tisch verteilt hatten, zeigte sich, dass jeder Sessel besetzt war. Insgesamt waren elf Herren und eine Frau von nordischem Aussehen versammelt. Mit ihrem hellblonden Haar stach sie aus der dunklen Menge der Herren hervor.

Der Sekretär machte sich eine kurze Notiz. Er sah jetzt im Frack wesentlich älter aus, als vorher in der Diele. Auch sah man ihm jetzt seine indische Abstammung an. Sein Blick hatte etwas Herrisches, Kaltes, das keine Vertraulichkeit zuließ. Er setzte seine Worte wie klingende Münzen.

»Die Herrin hat Sie hierhergebeten, um Ihnen ihre Entschlüsse persönlich bekannt zu geben. Vorher soll kurz über den letzten Stand der Dinge berichtet werden. Wir haben den Absturz des Meteors vor sechs Monaten alle selbst miterlebt. Darf ich Japan bitten, die bisher bekannten Daten kurz zu skizzieren!«

An der Mitte des Tisches erhob sich ein schmächtiger Japaner mit grauweißem Haar. Seine großen Brillengläser funkelten über die Runde. »Der Meteor, dessen Absturz unseren Planeten zu vernichten drohte, stürzte in eine der tiefsten Stellen des Ozeans und ruht jetzt in 9436 Meter Tiefe. Nur dadurch ist zu erklären, dass die Menschheit den Absturz überlebt hat. Die Absturzstelle gehört bereits den internationalen Gewässern an und fällt daher nicht mehr in den japanischen Hoheitsbereich. Der am Meeresgrund liegende Kern des Meteors wird also Eigentum dessen, dem die Bergung gelingen sollte.«

Leise Unruhe breitete sich am Tisch aus.

»Das dürfte aber technisch kaum ausführbar sein.«

Der Sekretär unterbrach ihn. »Liegen Beweise für das Vorhandensein dieses Meteorkerns vor?«

»Ja. Es gelang dem deutschen Chemiker Werndt, ultrachromatische Platten in jene Ozeantiefe zu versenken und deutlich ihre Schwärzung festzustellen. Dagegen gelang es selbst mit den modernsten Geräten nicht, auch nur ein Körnchen der kosmischen Materie ans Tageslicht zu fördern.«

»Ausgenommen die Bruchstücke in Japan«, war der Einwand des Sekretärs.

»Diese ausgenommen«, fuhr der Japaner fort. »Nach dem Absturz fand man vor dem Regierungspalast in Tokyo einen Meteorblock von 2,5 Kubikmeter Umfang. Weitere Nachforschungen auf dem Lande förderten noch drei weitere Bruchstücke von 0,5; 0.75 und 1 Kubikmeter zutage. Aufgrund ihres Fundorts waren sie zunächst Eigentum Japans.«

»Wem gehören sie jetzt?«

»Dem deutschen Chemiker Walter Werndt.«

Zwischen den Augen des Sekretärs stand eine scharfe Falte. »Warum kaufte Abteilung Erz sie nicht an?«

Der Japaner duckte sich ein wenig unter dem Ton dieser Stimme. »Es geschah sofort, aber...«

»Aber?!«

»Der Kauf wurde von der japanischen Regierung für ungültig erklärt, um Rivalitäten der einzelnen Nationen zu vermeiden. Verschiedene Institute und Privatpersonen wollten die Bruchstücke ersteigern, es waren elf mit fast unbegrenzten finanziellen Mitteln. Die japanischen Regierung führte eine Volksabstimmung durch und diese gab dem deutschen Chemiker den Zuschlag.«

Der Belgier Cachin trommelte ungeduldig auf der Tischplatte. »Alles?!« entfuhr es ihm.

Sofort flammte ihn das Auge des Inders an, dass er zusammenzuckte.

»Alles. Mit Ausnahme des zweitgrößten Blocks, der am Tag vor der Volksabstimmung spurlos verschwand, und offenbar gestohlen wurde.«

Das Auge des Sekretärs glitt einen Augenblick über das Gesicht eines schwarzhaarigen Gastes, dessen Gestalt außergewöhnliche Körperkräfte und Gewandtheit verriet. Der Italiener lächelte flüchtig zurück.

»Es ist gut«, nickte der Weiße nach dem Japaner hinüber. »Sind die angekauften Stücke noch in Tokyo?«

»Sie wurden abtransportiert.«

»Wohin?«

»Das ist nicht bekannt. Jedenfalls aber nach Indien.«

Der Sekretär nickte und schrieb eine Zeile. »Danke. - Bergungsabteilung?«

Der athletische Italiener hob seine Schultern. »Bericht stimmt. Zweiter Block wurde geborgen.«

»Fahndungsabteilung?«

Der Aufgerufene erhob sich. »Der Transport Werndts ging nach Benares und war bisher ständig duch elektrischen Starkstrom gesichert. Mit internationalen Forschungsgeldern baut Werndt ein Riesenlaboratorium nördlich Benares. Ganze neuentstandene Stadtteile wurden mit Tausenden von Arbeitern besiedelt.«

»Wann wird das Laboratorium fertig sein?«

»In etwa zwei Monaten.«

»Danke. - Abteilung Chemie !« Der Belgier Cachin erhob sich vom Sessel. »Wir stehen mit diesem Meteor einem der größten chemischen Rätsel der Menschheit gegenüber. Die Strahlungen und Emissionen, die bisher festgestellt werden konnten, sind ganz eigentümlicher Art.«

»Wie wurden diese Strahlungen festgestellt?«

»Durch Spektralaufnahmen des Chemikers Werndt.«

Die bleichen Wangen des Inders überflog flüchtiges Rot. »Immer dieser Werndt!« zischte er. Doch er beherrschte sich sofort wieder.

»Durch Spektralaufnahmen des Chemikers Werndt, mit Hilfe dessen neuer ultrachromatischer Platte.«

»Bergungsabteilung!« kam es scharf von der Spitze des Tisches.

Der Italiener lächelte spöttisch. »Die Aufnahmen fanden statt in der Michigansternwarte in New York in den Wochen vor dem Absturz.«

»Und?«

»Wir haben eine Abschrift der Ergebnisse und 23 Platten gewonnen.«

Die Falte auf der Stirn des Inders verschwand wieder.

Cachin beugte sich vor. »Diese Platten gingen mir zu. Das Ergebnis wurde nachgeprüft. Wir stellten außer den Strahlungserscheinungen der uns bereits bekannten Stoffe oder chemischen Elemente wie Eisen, Chrom, Nickel, Silber, Platin, Gold, Kupfer und Natrium noch eine, uns bisher vollkommen unbekannte Strahlungsenergie fest, die bisher weder auf der Erde noch auf einem anderen Planeten entdeckt wurde.«

»Was schließen Sie daraus?« drängte der Sekrektär.

»Dass der abgestürzte Meteor ein vollständig neues Element enthalten muss, das bisher weder der Chemie noch den Astrophysikern bekannt war, und dessen Emanationen jedem Forscher den sofortigen Tod bringen könnten...«

»Oder Unsterblichkeit!«

Cachin hörte den Tadel heraus. »Gewiss«, stotterte er hastig. »Der Tod eines Einzelnen spielt auch gar keine Rolle gegenüber der Bedeutung dieses geheimnisvollen neuen Elementes, das -«

Seine Rede riss ab wie ein Faden. Das Licht im Zimmer war plötzlich erloschen. Alle saßen für wenige Augenblicke in undurchdringlichem Dunkel.

Dann flammte wieder Helligkeit auf. Alle Augen wandten sich nach dem Stuhl des Inders. An seiner Stelle saß eine fremde Gestalt. Eine indische Frau...

»Bitte sprechen Sie weiter, Herr Professor!« sagte sie mit einer tiefen, vollklingenden Stimme. Ihre großen, glänzenden Augen wanderten ruhig über die Gesichter der Gäste, als bemerke sie nicht die Verblüffung, die sich auf ihnen abzeichnete. Es dauerte einige Zeit, bis Cachin sich wieder gefasst hatte. Sein Blick irrte unwillkürlich zu Dumascu hinunter. Doch dieser bemerkte ihn nicht. Er hing an den Augen der Frau, die mit ihrer Schönheit und rätselhaften Ausstrahlung die ganze Gesellschaft in ihrem Bann hielt.

Der Belgier zwang sich energisch klar zu denken. Alles in diesem Zimmer, in diesem sonderbaren Haus schien dazu angetan, zu verblüffen, zu verwirren. Aber er wehrte sich dagegen.

»Ich bin der Überzeugung«, führte er den unterbrochenen Bericht zu Ende-, »dass die Bedeutung dieses geheimnisvollen, neuen Elementes für unsere Erde die aller bekannten Stoffe weit übertrifft.«

»Ich teile diese Überzeugung. Ich danke Ihnen.« kam es gelassen vom Kopf des Tisches. »Diese Überzeugung leitete auch meine weiteren Entschlüsse. Der Meteor und seine geheimnisvolle Materie muss unser alleiniges Eigentum werden. Bisher steht nur der zweitgrößte Block zu unserer Verfügung. Die Abteilung Chemie übernimmt die Erforschung. Die notwendigen Mittel stehen bereit. Jedes mögliche Experiment ist zu wagen. Menschenleben spielen keine Rolle, wie Sie sehr richtig bemerkten, Herr Professor.« Ein eiskalter, grausamer Blick, wie der eines Raubtiers, schoss zu dem Belgier hinüber.

Er antwortete nur mit einer stummen Verbeugung, aber seine Lippen zitterten.

Die Frau ihm gegenüber drehte den makellosen Kopf zur Seite, als spräche sie zu einem Unsichtbaren.

»Aber diese Versuche werden erst beginnen, wenn ich es befehle. Die ersten Experimente sind dem Chemiker Werndt zu überlassen. Ich nehme an, dass sie ihm den Tod bringen werden. Ich habe vergeblich versucht, diesen Mann für uns zu gewinnen« - heißer Zorn lag plötzlich in ihren Zügen -, »er hat meinen Agenten abgewiesen. Infolgedessen wird er unfreiwillig für uns arbeiten. Paris - Ingenieurabteilung?«

Dumascu erhob sich lässig.

»Sie werden als Vertreter der internationalen Kommission bei dem technischen Aufbau des Laboratoriums mitwirken. Ihr Patent erhalten Sie heute. Sie werden sich ständig in nächster Nähe Walter Werndts halten, und über jedes Experiment sofort ausführlichen Bericht erstatten.«

 

Der junge Bulgare errötete unter dem herrischen Ton dieses Befehls. Wie kam diese Frau dazu, über ihn, den sie zum ersten mal sah, den man unter allerlei seltsamen Vorwänden hierhergeholt hatte, zu gebieten wie über ein willenloses Werkzeug! Das Blut schoss ihm in die Schläfen.

Unwillig erwiederte er: »Bevor ich diese Bitte erfülle, bitte ich zunächst um nähere Aufklärung. Ich kann derartige Aufträge nur annehmen, wenn mir die Bedingungen zusagen. «

Wieder schien es als würde die Runde den Atem anhalten. Man sah ihn fassungslos an.

»Sind Sie verrückt?!« zischte Cachin.

Die großen Augen der Frau am Tischende flammten für einen Augenblick zornig auf. Dann legte sich ein feines Lächeln über ihre schön-geschwungenen Lippen.

»Bergungsabteilung!« sagte sie langsam, als sei nichts geschehen. »Abteilung Fahndung und Erz halten dauernd selbständig Verbindung mit Abteilung Technik und geben Berichte weiter an Abteilung Chemie, Finanzen, Kultus und Zentrale. Abteilung Bergung.«

Der Italiener beugte sich dienstbereit vor.

»Jede Gelegenheit, weiterer Meteorstücke habhaft zu werden, ist auszunützen. Chemie!«

Cachin hob seine Hand.

»Sobald die Ergebnisse Walter Werndts zur Ausnutzung reif sind, oder Werndt den ersten Experirnenten zum Opfer gefallen sein sollte, erwarte ich Meldung. - Kultus! Wer bei der Mitwirkung versagt, verschwindet!«

Die Köpfe der Anwesenden duckten sich eine Handbreit nieder. Jeder wollte einen Blickkontakt mit anderen oder der Herrin vermeiden. Dennoch konnte sich keiner von ihnen der gnadenlosen Konsequenz ihrer Worte entziehen.

»Bestie!« zischte Cachin zwischen den Zähnen. Wieder schoss dem Pariser das Blut in die Schläfe, ob dieser grausamen Drohnung der Sprecherin. Sein ganzer Stolz bäumte sich auf gegen diese Behandlung auf. Er verstand diese Männer nicht, die sich willenlos beugten.

»Ich bitte ums Wort!« stieß er nach drüben.

Erst jetzt sah er, dass der Stuhl wieder leer war. Durch den Vorhang trat wieder der weiße Sekretär und überreichte jedem der Herren einen länglichen Brief. »Ich danke den Herren.«

Hastig gingen die Gäste hinaus. Dumascu ging als letzter, dicht hinter Cachin.

Als er das Zimmer verlassen wollte, hob der Hindu am Vorhang die Hand. »Die Herrin erwartet den Sahib!«

Der Bulgare stutzte einen Augenblick. Sein Instinkt warnte ihn, aber dann gewann sein Stolz die Oberhand. Es sollte ihm eine Erleichterung sein, dieser Frau seine Meinung zu sagen. »Wo ist sie?« fragte er mit betonter Unhöflichkeit.

Der Hindu ging ihm geschäftig voraus, und ließ ihn am Vorhang mit einer tiefen Verbeugung vorbei.

Dumascu stand in einem verschwenderisch ausgestatteten, indischen Zimmer. Schillernde Seidenteppiche bedeckten jede Handbreit der Wände. Rund um den Fußboden, der in weichen Fellen versank, lagen Polster und Kissen. Gedämpftes Licht spielte auf den goldenen Beschlägen der Hocker und Tischchen.

In der Mitte des Zimmers, auf einem breiten Tigerfell lag die indische Frau. Mit einer weichen Handbewegung lud sie den Gast ein, näherzutreten und sich auf ein Polster zu setzen. Ruhig und interessiert studierte sie sein Gesicht.

»Sie sind heißblütig und mutig«, sagte sie träumerisch, mit ihrer vollen, tiefen Stimme. »Ich kann mutige Männer gebrauchen.«

»Ich liebe es nicht, einer Unbekannten zu gehorchen!« sagte er kurz mit bewusster Schärfe. »Ich liebe es deshalb auch nicht, meinen Mut Ihnen gegenüber zu beweisen.«

Sie lächelte leicht.

»Sie werden Gelegenheit erhalten, ihn auch sonst zu beweisen. Rauchen Sie?«

Sie reichte ihm eine Schale mit Zigaretten. In ihrer Frage lag etwas wie ein suggestiver Befehl.

Obwohl der Ingenieur eigentlich ablehnen wollte, griff er doch nach den Papyros und setzte eine Zigarette in Brand. Ein leichter, süßlicher Geruch verbreitete sich in dem Zimmer.

»Ich danke Ihnen, dass Sie, einer der hoffnungsvollsten und erfolgreichsten Techniker Frankreichs, meinem Ruf gefolgt sind«, setzte sie das Gespräch freundlich fort. Irgend etwas in ihrer Stimme zwang den Bulgaren, ganz gegen seine Gewohnheit, unhöflich zu bleiben.

»Ich bin nicht Ihrem Ruf gefolgt, Madame, sondern meine Behörde hat mich nach Benares geschickt, um dort technische Arbeiten zu leiten.«

Der süße Geruch der Zigarette legte sich wohltuend auf seine Sinne.

»Benares? Die Stadt des heiligen Wassers?« wiederholte sie. Es war wie ein Singen. »Sie ist schön, diese Stadt, aber geheimnisvoll, Benares. Waranasi...«

Ein eigenartiger Zauber ging von diesen Silben aus, als sie sie sprach. Dumascu sah plötzlich deutlich das Bild dieser Stadt vor sich, leibhaftig, greifbar, wie auf der Leinwand eines Lichtspieltheaters. Die endlosen Reihen der Moscheen und Tempel, die Badeplätze mit den Tausenden badender Pilger, die hier mit Inbrunst das heilige Wasser tranken, in dem tagaus, tagein zahllose Leprakranke Heilung suchten, und verkohlte Überreste verbrannter Leichen vorbeitrieben... Waranasi, die Stadt des heiligen Wassers... Benares... die Stadt des Wahnsinns...

Wie aus einer anderen Welt kam die Stimme da vorne zu ihm, und doch glaubte er, die Augen der Frau ganz dicht vor sich zu sehen, wie zwei flammende Sonnen. Dazu dieser seltsame, süßliche Duft...

»Wenn Sie gewusst hätten, dass ich Sie rief, wären Sie also nicht gekommen?« gurrte es zärtlich.

Benares... Waranasi... bohrte es in seinem Gehirn.

»Nein!« wollte es in ihm aufbegehren, aber der feine, bläuliche Rauch der Zigarette in seinem Munde umfing sein Willenszentrum mit einem seligen Rausch.

»Ich - weiß - nicht,« meinte er leise. Es war wie ein Hauch. »Ich - weiß - nicht ...«

Wie eine Liebkosung fühlte er eine weiche Hand auf seiner Stirn, einmal - zweimal - dann sank er glücklich lächelnd zurück auf sein Polster - tief - tief - immer tiefer...

Die Indierin schaute stumm auf ihn hinab. Unverrückt bohrten sich ihre Blicke fest auf die Nasenwurzel des Schlafenden, dessen Kopf in ihrer geöffneten Hand lag.

Leise, wie eine fremdartige Beschwörungsformel kamen kurze fremdartige Silben aus ihrem Mund.

»Tat wam asi - Du bist ich - ich bin du -«

Dann schlug sie den Gong und verschwand durch den Vorhang...

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