Weltordnungskrieg

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Weltordnungskrieg
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Robert Kurz

Weltordnungskrieg

Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung

Herausgegeben von Roswitha Scholz

Mit einem Nachwort zur Wiederauflage von Herbert Böttcher


Teils korrigierte Epub-Ausgabe der erweiterten Wiederauflage

© der Originalausgabe 2003 Horlemann Verlag · Bad Honnef

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Umschlaggestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH · Hamburg

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt

ISBN Printausgabe: 978-3-86674-637-4

ISBN E-Book-Pdf: 978-3-86674-859-0

ISBN E-Book-Epub: 978-3-86674-898-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

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Den namenlosen Opfern

der demokratischen

Bombergemeinschaft und

des ökonomischen Terrors

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

EINLEITUNG Die Krise des Weltsystems und die neue Begriffslosigkeit

DIE METAMORPHOSEN DES IMPERIALISMUS

Pax Americana: Der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ist entschieden

Die letzte Weltmacht an der historischen Systemgrenze

Vom territorialen Nationalimperialismus zum „ideellen Gesamtimperialismus“

Vom nationalen „Gutmenschen“-Pazifismus zum globalen Interventions-Bellizismus

Die NATO als supranationale Verlängerung des „ideellen Gesamtimperialisten“

DIE REALEN GESPENSTER DER WELTKRISE

Krisenpotentaten und neue Bürgerkriege

Die globale Plünderungsökonomie

Risikogesellschaft, Sachzwang und Gewaltverhältnisse

Die Logik der Abspaltung und die Krise des Geschlechterverhältnisses

Die Kälte gegen das eigene Selbst

Die Ökonomie der Selbstzerstörung: Globalisierung und „Ausbeutungsunfähigkeit“ des Kapitals

Die Metaphysik der Moderne und der Todestrieb des entgrenzten Subjekts

DIE POSTMODERNE WELTPOLIZEI

Neue Militärdoktrin und neue Kriegsökonomie

Der „Kampf der Kulturen“ als Kriegsideologie

Ideologie und Logik der Menschenrechte

Von der politischen Ökonomie zum postmodernen Kulturalismus

Sicherheitsimperialismus

Öl- und Gasimperialismus: die Sicherung der strategischen Rohstoffreserven

DER NAHE OSTEN UND DAS ANTISEMITISCHE SYNDROM

Kapitalistische Verbrennungsreligion und Ölregimes

Der Antiimperialismus und die antisemitische Krisenideologie

Der Staat Israel und sein paradoxer weltkapitalistischer Status

Das Ende der „nationalen Befreiungsbewegungen“ und der Spuk der palästinensischen Staatsgründung

Israel als „Alien“ der kapitalistischen Welt und der arabische Neo-Antisemitismus

Vom Zionismus zur Herrschaft der Ultras: Die innere Krise der israelischen Gesellschaft

DIE IMPERIALE APARTHEID

Eine Welt voller Flüchtlinge

Ausgrenzungsimperialismus: Mauer und Todesstreifen nach freiheitlicher Art

Die Illusion vom „Wiederaufbau“

Die Phantom-Ökonomie des humanitär-industriellen Komplexes

Sexuelle Gewalt- und Elendsökonomie

Vom Pufferstaat zum Ethno-Zoo

DIE GEMEINSAMKEIT DER DEMOKRATEN

Inländische Ausländer als Humanressourcen

Innere Menschenjagd und Abschiebungsterror

Das demokratische KZ

Zonen des Rassismus

Der demokratische Mob in Aktion

USA: Rassistische Basisidentität und Intergetto-Bürgerkrieg

Synthetische Identitäten und Neo-Rechtsradikalismus

Die Nützlichen und die Unnützen

Die Globalisierung der „Anständigen“

DAS IMPERIUM UND SEINE THEORETIKER

Das Reich und die neuen Barbaren (Jean Christophe Rufin)

Empire - die Krisenwelt als Disneyland der „Multitude“ (Michael Hardt/Antonio Negri)

DAS ENDE DER SOUVERÄNITÄT

Al Kaida: eine neue Qualität der postpolitischen Gewalt

Zweierlei Menschenopfer. Zur Theologie der demokratischen Empörung

Nationale Selbstverteidigung als logische Unmöglichkeit

Die totalitäre Macht der Moderne: der Begriff der Souveränität

Politisch-militärische Deterritorialisierung

Alle gegen alle: die anomische Transformation

Der Zusammenbruch des Völkerrechts

Das Bündnis mit den postsouveränen Mächten

Die Privatisierung des Gewaltmonopols

Der moralische Verschleiß der Institutionen und die Korrumpierung des demokratischen Nomos

Das Ende der Souveränität und die juristische Illusion

 

Kapitalismus geht nicht ohne Souveränität

DER GLOBALE AUSNAHMEZUSTAND

Das demokratische Feme-Tribunal

Das Ende der modernen Rechtsform und die Ideologie der „Legitimität“

Demokratische Kriegsverbrechen und demokratische Entrechtlichung

Anomischer Sicherheitsimperialismus nach innen

McCarthy lässt grüßen: die demokratische Hexenjagd

Kann denn Folter Sünde sein?

Die Logik des Ausnahmezustands

Zur Geschichte des Ausnahmezustands

Der permanente Ausnahmezustand

Das nackte Leben und der gebrochene Wille: Der Ausnahmezustand als verborgener Nomos der Moderne

Die Schreckenshäuser der Betriebswirtschaft: Kapitalismus als geronnener Ausnahmezustand

Die Verflüssigung des Ausnahmezustands als Verflüssigung der Souveränität

Ausbürgernde Einbürgerung und Elendsbürgerlichkeit

Juden und andere „Überflüssige“: die Struktur der einschließender Ausschließung

DER ANACHRONISTISCHE ZUG

Vulgärmaterialismus und Irrationalität des Systems

Immer wieder Erster Weltkrieg

Historische Geisterfahrer der Neuen Linken

Die radikale Linke als Epochenschläfer

Vom Ölfieber zum Seelenkoller

Deutschland als Weltmacht-macht-Phantom

Immer wieder Zweiter Weltkrieg

Das große Hitler-Spiel

Eine Verschwörungstheorie für intellektuell Arme

Die Globalisierung der „deutschen Ideologie“

Nach dem 11. September: das letzte Stadium des anachronistischen Denkens

VOM WELTORDNUNGSKRIEG ZUM ATOMAREN AMOKLAUF?

Die Rückkehr zum Paradigma der „Schurkenstaaten“

Die Krise der Finanzmärkte und der „Traum vom Öldorado“

Der atomare Todestrieb der Macht

Für eine Renaissance radikaler Gesellschaftskritik

NACHWORT ZUR NEUAUFLAGE

von Herbert Böttcher

LITERATUR

Über den Autor

EINLEITUNG Die Krise des Weltsystems und die neue Begriffslosigkeit

Soweit in einer Zeit, in der das herrschende System keiner Legitimation mehr zu bedürfen scheint, überhaupt noch reflexiv gedacht wird, wirkt dieses Denken merkwürdig anachronistisch. Das gilt nicht nur für den aktuellen Inhalt, sondern auch für die Kategorien selbst, in denen dieser Inhalt sich darstellt. Wie es in wachsendem Umfang neue und schreiende soziale Gegensätze gibt, die sich aber nicht mehr mit eindeutigen soziologischen Modellen oder Klassenbegriffen erklären lassen, ebenso sind neue globale Wirtschaftskonflikte, Kulturkämpfe und Kriege zu beobachten, die nicht mehr in den bisherigen Begriffen der Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik beschrieben werden können. Zwar nimmt die seit Anfang der 90er Jahre (ungefähr zeitgleich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion) geführte sogenannte Globalisierungsdebatte eine ganze Reihe neuer Phänomene wahr, die jedoch durch das alte kategoriale Raster gefiltert werden, weil kein anderes begriffliches Bezugssystem zur Verfügung steht. So stellt man einerseits einen Bedeutungsverlust der Politik und einen Souveränitätsschwund der Staaten fest, drückt diese empirischen Erscheinungen andererseits gleichwohl immer noch in herkömmlichen Begriffen der Politik und der staatlichen Beziehungen aus.

Damit hängt zusammen, dass eine Orientierung, soweit sie überhaupt noch versucht wird, vornehmlich rückwärtsgewandt ist, nämlich als Hoffnung auf und Konzeptheckerei für irgendeine „Wiedergewinnung des Politischen“; und auch deswegen erweist sich die Sichtweise des Neuen als phänomenologisch beschränkt, während der Begriffsapparat der alte bleibt und krampfhaft festgehalten wird. Das zeigt sich nicht zuletzt auf der Ebene der internationalen oder zwischenstaatlichen Verhältnisse, wenn ebenso vollmundig wie unangemessen von einer „Weltinnenpolitik“ die Rede ist. Diese besonders in grün-sozialdemokratischen Kreisen beliebte und besinnungslos heruntergebetete Phrase beweist ganz unmittelbar, dass hier eine bloße Projektion alter bürgerlicher Begriffe auf eine unverstandene neue Entwicklung stattfindet.

Dabei drängt sich die Parallele zur Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft auf. Auch in dieser Hinsicht wird ständig das Neue der Erscheinungen betont, während die Arbeitskategorie selber als stummes A priori geradezu tabuisiert bleibt und sämtliche Konzepte oder gar Heilsbotschaften auf die Erhaltung dieser Kategorie in irgendeiner Form und nahezu um jeden Preis hinauslaufen. Die Analogie in der Vorgehensweise verweist auf den inneren Zusammenhang der beiden Komplexe: Die Krise der Weltarbeit und die Krise der Weltpolitik stellen nur verschiedene Aspekte ein und desselben weltgesellschaftlichen Prozesses dar.

Solange der Kalte Krieg als Systemkonflikt zwischen zwei ungleichzeitigen Erscheinungsformen bzw. Entwicklungsstufen des modernen warenproduzierenden Systems tobte, überlagerte er ein tiefer liegendes Problem, das auf diese Weise verborgen blieb. Unter der Oberfläche des Kalten Krieges bildete sich eine globale prozessierende Krisenstruktur aus, die mit dem Zusammenbruch des Staatskapitalismus schlagartig ans Licht trat, jedoch unter dem Eindruck der Nachkriegsgeschichte nur ideologisch verzerrt wahrgenommen werden konnte.

Was als „Sieg“ des westlichen Kapitalismus erschien, entpuppte sich im Verlauf der 90er Jahre als irreversibler sozialökonomischer Zusammenbruch zunächst von großen Teilen der Peripherie des Weltmarkts. Im Zentrum dieses Krisenprozesses steht das Abschmelzen der reellen (real Wert bildenden) kapitalistischen Arbeitssubstanz durch die dritte industrielle Revolution, die zunehmende „Ausbeutungsunfähigkeit“ des Kapitals aufgrund seiner eigenen technologischen Produktivitätsstandards und damit die Entsubstantialisierung des Geldes (Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realökonomie). Diese innere Logik der Krise wirkt sich jedoch nicht nur als Strukturbruch auf der Ebene der Weltmarktbeziehungen aus (Globalisierung des Kapitals), sondern auch als Strukturbruch auf der Ebene des weltpolitischen Systems (Ende der Souveränität und des Völkerrechts).

Was unter dem Rubrum der Globalisierung als weltumspannender positiver und zukunftsmächtiger Wandel verkauft wird, lässt sich in dieser Hinsicht längst als Zersetzungsprozess der herrschenden Produktions- und Lebensweise dechiffrieren, die in einen schrumpfenden globalen Minderheitskapitalismus einerseits und dessen Barbarisierungsprodukte andererseits zerfällt. Dabei kann der dem Kapitalverhältnis immanente strukturelle Widerspruch von Staat und Markt bzw. von Politik und Ökonomie sowohl auf der Ebene der Nationalstaaten als auch auf der Ebene des Weltsystems nicht mehr ausgehalten werden. Was sich innenpolitisch als Austrocknungsprozess der staatlichen Souveränität darstellt, erscheint außenpolitisch als Verfall der internationalen Beziehungen.

Auf beiden Ebenen gerät die Vermittlung des Widerspruchs ins Schwimmen. Zwar bestehen die Nationalstaaten als formale Hüllen und als (zunehmend repressiv in der Krisenverwaltung agierende) Apparate weiter, aber ihrer kohärenten nationalökonomischen Grundlagen beraubt. Umgekehrt wachsen die transnationalen Kapitale und ihre Märkte zwar über das bisherige nationale und internationale Bezugssystem hinaus, zerstören aber gerade dadurch zunehmend ihre eigenen Rahmenbedingungen. So entstehen unkontrollierte und unkontrollierbare Verlaufsformen, in denen die unheilbaren Selbstwidersprüche des Weltkapitals kulminieren.

Es ist nicht nur eine allgemeine Denkfaulheit, die es verhindert, dass eine den neuen Phänomenen entsprechende neue Begrifflichkeit entwickelt wird. Denn es handelt sich bei den in Frage stehenden Begriffen von Nationalökonomie, Nationalstaat, nationaler Innen- und Außenpolitik bzw. einer darauf beruhenden nationalen Interessen- und „Einfluss“-Politik (Imperialismus) nicht um Ausdrücke einer bestimmten vorübergehenden Entwicklungsstufe, sondern ähnlich wie beim Begriff der Arbeit um Grundkategorien des modernen Gesellschaftssystems selbst, und zwar in allen seinen Variationen. Die neuen Phänomene sind Krisenphänomene neuen Typs, weil sie in keinen höheren Aggregatzustand der bürgerlichen, über die Warenproduktion vermittelten Vergesellschaftung mehr führen, sondern deren eigene kategoriale Krise bilden.

Deshalb kann die Entwicklung auch nicht mehr vom Standpunkt der bestehenden Weltordnung aus bestimmt werden, sondern nur unter dem Gesichtspunkt von deren Selbstzerstörung. Genauer gesagt: Es gibt gar keine positive, tragfähige „Entwicklung“ auf diesem gesellschaftlichen Boden mehr. Das bedeutet, dass in die Analyse zusammen mit dem Verfall der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Beziehungen auch der Zerfall der Begriffe mit eingehen muss, in denen diese Ordnung sich darstellt. Und in diesem Sinne sind nicht nur die Begriffe des ökonomischen, sondern auch die Begriffe des politischen Weltsystems obsolet.

Die verheerenden Terroranschläge gegen die USA am 11. September 2001 haben buchstäblich blitzartig deutlich gemacht, was längst vorher absehbar gewesen ist: Die weltumspannende gesellschaftliche Vernetzung nicht über bewusste Vereinbarungen und durch menschliche Selbstbestimmung, sondern über die blinden Gesetze der Konkurrenz und der Finanzmärkte bringt nicht nur neuartige strukturelle Krisen hervor, sondern auch ebenso neuartige subjektive Hass- und Vernichtungspotentiale, in denen sich die Zersetzung der bürgerlichen „politischen Subjektivität“ darstellt. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, die „unsichtbare Hand“ eines losgelassenen totalitären Ökonomismus schlägt ebenso erbarmungslos zu wie die andere „unsichtbare Hand“ einer blinden „postideologischen“ und „postpolitischen“ Wut, deren pseudo-religiöses Gestammel unfreiwillig beweist, dass sich jede rationalistische Legitimation der sogenannten „Modernisierung“ restlos erschöpft hat.

Die Ratio der warenproduzierenden, auf der unendlichen Verwertung als Selbstbewegung des Geldkapitals beruhenden Weltgesellschaft ist selber jener Schlaf der Vernunft. Aber diese zum „Pragmatismus“ herabgesunkene, also zur kritischen Reflexion und Selbstreflexion nicht mehr fähige moderne Rationalität eines irrationalen Selbstzwecks kann und will ihre Grenzen nicht sehen, und so macht sie einfach stur weiter und versucht, ihre eigenen Dämonen als ein fremdes und äußeres „Sicherheitsproblem“ zu definieren. Der unaufhaltsame Zerfall der Ökonomie soll mit ökonomischen, der ebenso unaufhaltsame Zerfall der Politik mit politischen Mitteln aufgehalten werden. Die Weltherrscher des Kapitals begreifen ihre eigene Welt nicht mehr.

 

Um das scheinbar Unbegreifliche dennoch begreifen zu können, ist es notwendig, in krassem Gegensatz zur pragmatischen Ideologie der herrschenden Funktionseliten, die heute in Wahrheit nur noch den totalitären Anspruch der Ökonomie an der Welt exekutieren, den ganz und gar nicht modischen Standpunkt radikaler Distanz und Kritik einzunehmen. Erst aus dieser Position ist es möglich, die Zersetzungs- und Selbstzerstörungsprozesse des Weltsystems als solche zu erkennen, die Zusammenhänge in ihrer historischen Dimension aufzurollen und gleichzeitig als aktuell erscheinende Grenze der kapitalistischen Dynamik zu dokumentieren.

DIE METAMORPHOSEN DES IMPERIALISMUS

In der Welt des modernen warenproduzierenden Systems ist die Politik immer schon die Fortsetzung der ökonomischen Konkurrenz mit anderen Mitteln, wie der Krieg (nach einem Wort von Clausewitz) die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Diese vermittelte Identität von Konkurrenz, Politik und Krieg ist es, die den Kampf um die planetarische Hegemonie impliziert und insofern kapitalistische Geschichte geschrieben hat.

Der ursprünglich polyzentrische Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft war zunächst ein rein europäischer und hatte seine Wurzeln in der west- bzw. mitteleuropäischen Konstitutionsgeschichte der kapitalistischen Produktionsweise. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert bildeten sich dabei zusammen mit dem modernen warenproduzierenden System die europäischen territorialen Nationalstaaten heraus, deren Begriff der Nation auf die übrige Welt ausstrahlte und die globale Entwicklungsgeschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bestimmen sollte. Zunächst aber erschien die riesige Masse der außereuropäischen Weltregionen nur als politisch leerer Raum und als Zankapfel in der kolonialen Expansion Europas. Der europäische Staats- und Nationsbildungsprozess eskalierte dabei frühzeitig zu einem Konflikt der entstehenden nationalökonomischen bzw. nationalstaatlichen kapitalistischen Konstrukte um die Welthegemonie.

Da der Kampf auch immer um die kolonialen Gebiete und damit in Übersee geführt wurde, reimte sich Weltmarkt von Anfang an auf Weltkrieg. Das Ringen der kapitalistischen Nationalstaaten Europas um die globale Vormacht musste dabei letztendlich unentschieden bleiben, weil schon von den Ausgangsbedingungen her keiner von ihnen einen entscheidenden Vorteil geltend machen konnte. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wechselte die Rolle der Vormacht mehrmals, die identisch war mit der Rolle des jeweiligen Vorreiters in der kapitalistischen Entwicklung.

Zwar konnte dann Großbritannien für einen Großteil des 19. Jahrhunderts die Position der Weltmacht Nr. 1 einnehmen, insofern es als Schrittmacher der Industrialisierung lange Zeit die entscheidende Transformation dominierte, in der sich die kapitalistische Produktionsweise überhaupt erst auf ihren eigenen Grundlagen zu entwickeln begann. Aber die Aufholjagd Frankreichs und vor allem Deutschlands in der industriellen Entwicklung hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Vorsprung nahezu wettgemacht und damit auch das politisch-militärische Machtgleichgewicht erneut verschoben. In der Epoche der beiden industrialisierten Weltkriege und der damit verbundenen Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit zerfleischten sich die europäischen nationalen Raubstaaten des Kapitalismus gegenseitig und blieben zu Tode erschöpft auf dem Schlachtfeld zurück. Der Weltmarkt brach praktisch zusammen; der Welthandel fiel auf ein Niveau zurück, das nur noch dem Stand gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsprach. Damit aber drohte auch die weitere kapitalistische Entwicklung auf den nationalökonomischen Binnenmärkten und innerhalb der auf sich selbst zurückgeworfenen Nationalstaaten zu erlahmen.

Dieser Zusammenbruch als Folge des europäischen Kampfes um die kapitalistische Weltherrschaft war bereits der Vorschein einer absoluten Grenze des modernen warenproduzierenden Systems. Aber eben nur der Vorschein. Denn die weltweite sozialökonomische Katastrophenwelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war in erster Linie politisch-militärisch induziert, also in abgeleiteten Formen des Kapitalverhältnisses, während der ökonomische Spielraum weltkapitalistischer Entwicklung noch keineswegs ausgeschöpft war. Das konnte man damals aus der Binnenperspektive der Ereignisse natürlich nicht erkennen. Aus heutiger Sicht aber lässt sich sagen, dass es sich bei der Epoche der Weltkriege mit der darin eingeschlossenen Weltwirtschaftskrise um die letzte und größte Durchsetzungskatastrophe der kapitalistischen Produktionsweise (also innerhalb einer ökonomisch weiter aufsteigenden Bewegung) gehandelt hat, noch nicht um deren absolute innere Schranke, die das Ende der ökonomischen Aufstiegsbewegung selber markiert.