Die Krieger des alten Japan

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Tödliche Eifersucht

Sobald Yoshitsune in Hiraizumi anlangte, stand er unter dem Schutz des örtlichen Machthabers Hidehira. Er blieb hier fünf Jahre und vervollkommnete seine militärische Ausbildung bei ausgezeichneten Kriegern.

Unterdessen führte Yoritomo, der noch immer nichts von der Existenz seines jüngeren Halbbruders wußte, erzwungenermaßen eine seßhafte Lebensweise, denn er stand nach wie vor unter ständiger Bewachung. Es war ihm jedoch gelungen, seine Bewacher durch seine Intelligenz und sein Gespür für Politik für sich einzunehmen. Insgeheim schmiedete er bereits Pläne für die Restauration der Minamoto. Doch wie hätten die Spione der Taira ahnen sollen, daß sich hinter seiner offenkundigen Oberflächlichkeit, die sich in seinem Kleidungsstil, seiner Lebensweise und seinen Worten ausdrückte, irgendein Wille zur Rache verbergen könnte? Yoritomo führte sie alle hinters Licht, und Kiyomori glaubte, ruhig schlafen zu können in Kyôto. Aber unter der Asche schwelte die Glut.

Schon bald gab Yoritomo zum ersten Mal seine Zurückhaltung auf. Er wollte die Tochter eines Aristokraten ehelichen, und dies sollte sein erster Schritt auf dem Weg zur Macht werden. Dazu hatte er die junge und schöne Masako auserkoren, die älteste Tochter der Familie Hôjô, die im Gebiet zwischen Izu und Sagami herrschte. Er beschloß, sie zu entführen, und zu diesem Zweck schlich er sich eines Nachts in den Palast der Hôjô. Ein Wächter überraschte ihn und wagte ihn zu fragen, wer er sei. Dem Unglücklichen blieb kaum die Zeit, die Antwort, die »Minamoto!« lautete, zu verstehen, denn kaum, daß der Name gefallen war, fiel auch schon das abgetrennte Haupt des Wächters. Yoritomo gelang es, Masako zu ehelichen, und damit war er plötzlich zum Herren über ein Lehen und sogar über eine kleine militärische Einheit geworden. Der Wiederaufstieg des Klans der Minamoto hatte begonnen.

1181, zwanzig Jahre nach der Ermordung Yoshitomos, starb Taira-no-Kiyomori eines natürlichen Todes. Im selben Jahr begannen Entwicklungen großer Tragweite. Es begann der Aufstand des Klans der Minamoto. Erneut sollten deren weiße Feldzeichen und die roten Standarten der Taira in der Schlacht aufeinanderstoßen. Drei mächtige Armeen standen einander gegenüber: Die Armee der Taira unter Taira-no-Koremori34, die in Kyôto stationiert war, die Streitmacht der Minamoto unter Yoritomo in Kamakura, und die der Minamoto unter dem Befehl seines Cousins Yoshinaka, die in der Provinz Shinano lagerte. Yoshinaka wurde durch seinen Onkel Yukiie unterstützt, der als erster Feindseligkeiten gegen die Taira vom Zaun gebrochen hatte, aber zunächst eine schwere Niederlage erlitten hatte.

Im Mai 1183 näherte sich Yoshinaka schließlich mit einer großen Streitmacht Kyôto, wo infolge einer Reihe von Mißernten Seuchen und Hunger wüteten. Der junge Taira Koremori, ein Enkel Kiyomoris, versuchte, mit einer gewaltigen Armee aus 100 000 Männern den Weg zur Hauptstadt zu versperren. Doch die Führung seiner Armee war desorganisiert, und die Truppen standen in einem bereits verwüsteten Land, dessen Bevölkerung ihnen nach der langen Schreckensherrschaft nichts als Haß entgegenbrachte. All dies bremste den Marsch der Truppen Koremoris gegen das Heer Yoshinakas. Eine Woche, nachdem sie die Hauptstadt verlassen hatten, traf die Vorhut der Taira auf die Streitkräfte der Minamoto. Die entscheidende Schlacht fand in der Nähe des Berges Tonami statt, in der Provinz Etchû.

Am 1. Juni 1183, dem Vorabend der Schlacht, schlugen die Taira-Truppen ihr Lager nahe dem Kurikara-dani-Paß auf, in einem Gebiet namens Tonamiyama. Am darauffolgenden Tag tat Yoshinaka alles, um seine Gegner hinzuhalten. Er ließ seine Truppen jeder ernsthaften Auseinandersetzung aus dem Wege gehen und gab seinen Samurai Anweisung, sich nur in kleineren Gruppen in Scharmützel verwickeln zu lassen. Auf diese Weise erreichte er, daß der Tag ohne Entscheidung verstrich. Mit Anbruch der Nacht zogen sich die Taira in ihr Lager zurück. Hier jedoch wurden sie von einer Kriegslist Yoshinakas überrascht. Dieser hatte heimlich eine Rinderherde hinter das gegnerische Lager treiben lassen. Die Hörner der Tiere waren mit Strohbündeln umwickelt. Das Stroh wurde in Brand gesetzt und die Herde, Hunderte Rinder, kopflos vor Angst, wurde mit Schreien, Trommelwirbel und den schrillen Klängen der Kriegstrompeten ins Lager der schlafenden Taira getrieben. Panik griff um sich. Zehntausende Taira suchten das Heil in der Flucht in Richtung des Kurikara-Tals. Zu spät begriffen sie, daß sie in eine enge Schlucht getrieben worden waren, die in einen Abgrund mündete. Durch die nachdrängenden Menschen und die Rinder, die ihnen noch immer auf den Fersen waren, stürzten Unzählige hinab in die Tiefe. 60 000 Taira verloren auf diese Weise ihr Leben. Die Bergbäche mischten sich mit Strömen von Blut, und die Leichen bildeten einen Hügel. Sie wurden später unten im Tale verbrannt. Man sagt, daß man noch heute in diesem Tal Überreste von Pfeilen und Schwertern finden kann.

Tonamiyama wurde zum Grab für die Blüte der Taira-Kavallerie. Die Überlebenden zogen sich im Eilmarsch in Richtung der Hauptstadt zurück, wo sich mit der Nachricht von der verheerenden Niederlage Panik ausbreitete. Man versuchte dennoch, die Hauptstadt zu halten, aber allein der Anblick der weißen Banner der anrückenden Minamoto trieb die Taira dazu, ihre Truppen abzuziehen. Den jungen Kaiser Antoku und die Kronjuwelen nahmen sie mit sich. Der frühere Kaiser Go-Shirakawa hingegen eilte zu einem Treffen mit Yoshinaka und schloß sich diesem bei seinem Marsch auf die Hauptstadt an. Dies ermöglichte ihm einen triumphalen Wiedereinzug in Kyôto in Begleitung von Yoshinaka und Yukiie.

Somit waren die Minamoto wieder in Besitz der Hauptstadt. Zumindest galt dies für Minamoto Yoshinaka. Tatsächlich war Yoritomo über den grandiosen Erfolg seines Cousins in hohem Maße verärgert und eifersüchtig, denn er sah sich selbst in der Rolle des tatsächlichen Anführers des Aufstands. Er mußte also schnell handeln, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dabei sollte ihm sein Halbbruder Yoshitsune helfen, den er kurz zuvor endlich kennengelernt hatte. Kaum, daß Yoshitsune davon gehört hatte, daß sein Bruder im Begriff stand, eine Minamoto-Streitmacht aufzustellen, war er zu ihm geeilt, begleitet von 2 000 Reitern aus seiner Wahlheimat Mutsu. Die erste Begegnung der Halbgeschwister hatte in der Provinz Suruga, nahe dem Fluß Kise, stattgefunden. Yoshitsune wünschte nichts weiter, als Yoritomo, den er zutiefst bewunderte, dienen zu dürfen.

Yoritomo betraute Yoshitsune unverzüglich mit seiner ersten Mission: Er sollte um jeden Preis seinen Cousin Yoshinaka dazu bringen, innezuhalten und seinen Ehrgeiz zu zügeln. Tatsächlich hatte sich Yoshinaka schon bald nach seinem Einzug in Kyôto sehr unbeliebt gemacht. Die Zivilbevölkerung hatte die Minamoto zunächst als Befreier betrachtet, mußte aber ihre Erwartungen rasch zurückstecken. Die Truppen Yoshinakas und Yukiies verhielten sich wie Besatzer auf erobertem Gebiet. Sie suchten die leidgeprüfte Stadt mit Plünderungen heim und mißbrauchten ihre Macht aufs ärgste. Yoshinaka unternahm nichts, um ihrem Treiben Einhalt zu gebieten und die Ordnung wiederherzustellen. Das mag daran gelegen haben, daß ihn andere Sorgen quälten. Benommen von seinem Erfolg, hatte er Go-Shirakawa unter Hausarrest gestellt. Damit wollte er erreichen, daß dieser die Maßnahmen, die er selbst für die Verwaltung der Stadt durchsetzen wollte, sanktionierte und ihnen durch sein kaiserliches Ansehen Gewicht verlieh. Doch es blieb ihm wenig Zeit, seine Vorhaben zu verwirklichen. Im Februar 1184 wurde ihm zugetragen, daß eine große Armee unter Führung von Yoshitsune auf die Stadt zumarschierte.

Nachdem alle Verhandlungen erfolglos geblieben waren, befahl Yoshinaka, der selbst in Kyôto blieb, zwei seiner besten Generäle, die Truppen Yoshitsunes am Fluß Uji, der zwischen Kyôto und Nara lag, so lange wie möglich aufzuhalten. Sein Plan bestand darin, hierfür dieselbe Brücke, an der schon vier Jahre zuvor Minamoto Yorimasa versucht hatte, dem Ansturm der Taira standzuhalten, zu nutzen. Zu diesem Zweck ließ er den Brückenbelag entfernen und zahlreiche Pfähle mit Hilfe von Seilen fest im Flußbett verankern. Doch Yoshitsunes Kavallerie gelang es, den durch die Schneeschmelze angeschwollenen Fluß in einem Schwung zu durchqueren. Sie schlossen sich mit den Truppen von Minamoto Noriyori, einem weiteren Bruder Yoshitsunes, zusammen, die den Fluß bei Seta überquert hatten.

Der Armee Yoshinakas blieb keine andere Wahl, als sich nach Kyôto zurückzuziehen. Noch einmal versuchte Yoshinaka, durch einen Gegenangriff das Kriegsglück zu wenden. Doch trotz der Tapferkeit seiner Samurai und nicht zuletzt auch der seiner Gefährtin Tomoe Gozen, die eine furchteinflößende Kriegerin war, scheiterte er. Einer seiner engsten Waffengefährten, Imai Kanehira, ein Bruder Tomoes, bot ihm an, ihm lange genug den Rücken freizuhalten, damit er entsprechend den Regeln seppuku begehen konnte. Aber Yoshinaka blieb selbst diese letzte Genugtuung versagt, die jeder Samurai sich wünschte, wenn es galt, aus dem Leben zu scheiden. Sein Pferd glitt auf einer gefrorenen Pfütze aus. Er verlor im Sattel das Gleichgewicht, und in eben diesem verhängnisvollen Moment durchbohrte ein Pfeil den Hals des Mannes, dem es gelungen war, die mächtigen Taira zu besiegen. Zwei gegnerische Samurai stürzten sich unverzüglich auf ihn, um ihn zu enthaupten. Als er sah, daß sein Plan, seinem Herren die Möglichkeit zu schenken, auf ehrenvolle Weise aus dem Leben zu scheiden, vereitelt worden war, beging Imai Kanehira auf spektakuläre Weise Selbstmord. Nachdem er den beiden Samurai einen letzten Fluch entgegengeschleudert hatte, nahm er die Spitze seines Schwertes in den Mund und stürzte sich mit dem Kopf voran vom Pferd. Tomoe Gozen wurde gefangengenommen. Später wurde sie begnadigt. Sie entsagte der Welt und zog sich in ein Kloster zurück, um Priesterin zu werden.

 

Der Gempei-Krieg trat in seine letzte Phase. Damit brach die große Zeit des Minamoto-no-Yoshitsune an.

Die Schlacht von Ichi-no-Tani

Nachdem Yoshitsune Kyôto eingenommen hatte, empfing ihn Go-Shirakawa und beherbergte ihn im kaiserlichen Palast. Doch er blieb nur wenige Tage in der Hauptstadt. Yoritomo beauftragte ihn, die verbliebenen Taira-Truppen aus ihren zahlreichen befestigten Schlupfwinkeln an der Küste der Inlandsee zu vertreiben. Diese Festungen galten als uneinnehmbar, und die Taira waren zudem hervorragende Seefahrer. Wer anders als der ungestüme Yoshitsune hätte mit solch einer schwierigen Aufgabe betraut werden sollen?

Die erste Schlacht fand bei Ichi-no-Tani statt, einer von den Taira errichteten Verschanzung, die sich auf einem schmalen Küstenstreifen unterhalb einer schroffen Felswand befand. Nach Süden hin, zum Meer, war das Lager der Taira weit offen. Hier ankerte ihre Flotte. Die Felswand im Norden hinauf führte ein in Serpentinen verlaufender Pfad, der so steil war, daß selbst die behenden Affen ihn mieden. Die üblichen Belagerungsmethoden konnten für diese Seefestung somit nicht angewendet werden.

Yoshitsune befahl seinem Bruder Noriyori, den Gegner aus Richtung Osten kommend an der Küste anzugreifen. Er selbst begab sich in weitem Bogen mit seinen Kriegern auf dem Landweg nach Westen, um so die Festung der Taira in die Zange zu nehmen. Siebentausend seiner Leute setzten den Marsch fort, während Yoshitsune das direkte Kommando über dreitausend von ihnen übernahm, mit denen er den Angriff auf Ichi-no-Tani von hinten, also von Norden aus, wagen wollte. Mitten in der Nacht begab er sich mit diesen in die Berge, weit hinter das Angriffsziel. Eile war geboten, denn der konzertierte Angriff sollte zu Tagesanbruch stattfinden. Im Fackelschein wanderten sie durchs Gebirge, und schließlich standen sie oben auf der Felswand und blickten hinab auf das Lager der schlafenden Taira. Sobald der erste Sonnenstrahl am Horizont sichtbar wurde, drang Kriegsgeschrei aus dem Wald von Ikuta. Noriyori hatte seinen Angriff aus dem Osten begonnen. Yoshitsune beschloß, seinen aberwitzigen Plan in die Tat umzusetzen. Er ließ zwei reiterlose Pferde auf den Pfad, der am Hiyodori-Paß begann, treiben und beobachtete ihren langsamen Abstieg. Als die Tiere unten angelangt waren, gab er den zweihundert besten unter seinen Reitern den Befehl, ihnen zu folgen. Zum Erstaunen seiner Leute wagte er selbst als erster den Weg in den Abgrund, gefolgt vom treuen Benkei. Sein kleiner, sorgfältig ausgewählter Samuraitrupp folgte ihm unverzüglich. Sie ritten so dicht hintereinander, daß immer wieder Geräusche von aufeinandertreffenden Rüstungen und Waffen zu vernehmen waren. Als sie den halben Abstieg hinter sich gebracht hatten, trieben die Samurai, ermutigt durch die Entschlossenheit ihres Anführers, ihre Pferde an und begannen Kampfschreie auszustoßen. Im Lager der Taira, die sich von drei Seiten angegriffen sahen, brach heillose Panik aus. Die waghalsigen Männer Yoshitsunes legten, sobald sie das Lager erreicht hatten, Feuer. Angefacht durch einen kräftigen Westwind breitete es sich rasch in Richtung Meeresküste aus, so daß die Taira fürchteten, daß die Flammen auf ihre Flotte übergreifen könnten. In vollkommener Auflösung flohen die Überlebenden der Schlacht zu ihren Schiffen, um dort Schutz zu suchen. Ihre Stellung auf dem Festland war verloren.

Viele Samuraigeschichten haben ihren Ursprung in dieser Schlacht. Die ergreifendste davon ist jene über den Tod des jungen Samurai Taira-no-Atsumori. Im Lager der Taira herrschte bereits Panik. Wiehernd und in wildem Galopp versuchten die vor Angst kopflosen Pferde, mit oder ohne Reiter, dem Schlachtenlärm, dem Rauch und dem Feuer in Richtung des Meeres zu entkommen. Die letzten Verteidiger von Ichi-no-Tani zerstreuten sich gleich Spinnenkindern, deren schützender Kokon zerrissen war. Kumagai-no-Naozane, ein Yoshitsune nahestehender Samurai, zügelte sein Pferd und musterte die Szenerie mit ruhigem Blick. Er hatte in der Schlacht bereits viele Gegner mit dem Schwert erschlagen, und das sashimono35 mit dem mon36 der Minamoto, das der Wind flatternd gegen seinen Rücken schlug, war blutgetränkt. In leichtem Trab ritt er mit seinem Fuchs den Strand entlang, in der Hoffnung, den Tag mit einem wertvollen Fang beschließen zu können. Da erblickte er einen gegnerischen Reiter, dessen Ausrüstung schön gearbeitet war. Kein Zweifel, es mußte sich um einen Anführer der Taira handeln. Dieser hatte sein Schlachtroß bereits ins Wasser getrieben, um mit ihm eines der in der Bucht ankernden Schiffe zu erreichen. Kumagai galoppierte unverzüglich in seine Richtung. Sobald er in Rufweite des Flüchtenden gekommen war, rief er: »He, du da unten! Komm zurück, wenn du kein Feigling bist! Wage es, um dein Leben zu kämpfen!«

Der Taira-Reiter wendete unverzüglich sein Pferd und kam zum Ufer zurück. Wie er aus den Wogen auftauchte, zeigte sich eine schlanke Silhouette, gehüllt in eine violette Rüstung, die mit schwarzem Leder geschnürt war und in der sich Lichtreflexe spiegelten. Auf seinem Rücken, hinter dem Helm mit dem roten Pfeilschutz, der auf seine Schultern fiel, trug er einen Bogen und Pfeile mit schwarzen Federn. Zweifelsohne ein Glücksgriff, sagte sich Kumagai. Dennoch, als er den langsam näherkommenden Gegner genauer musterte, beschlich ihn ein ungutes Gefühl, dessen Ursache ihm unklar war. Als der Reiter das Festland erreicht hatte, sprang er von seinem Pferd, legte seinen Köcher ab und zog sein Schwert. Auch Kumagai ließ sich rasch aus dem Sattel gleiten und kreuzte unverzüglich mit dem Gegner die Klinge. Schließlich rollten sie aneinandergeklammert im Sand, wobei Kumagai schnell die Oberhand gewann. Sein Gegner lag reglos unter seinem schweren Körper, und Kumagai nahm ihm den Helm ab, um ihm den Kopf abzutrennen. Unverhofft blickte er in das ruhige Antlitz eines Jünglings von 16 Jahren. Er dachte an seinen eigenen Sohn, der das gleiche Alter hatte und auch an der Schlacht teilgenommen hatte. »Dein Name«, sagte er, »nenn mir deinen Namen, und ich verschone dich.«

»Das spielt keine Rolle. Aber wisse, daß ich kein unwürdiger Gegner für dich bin. Nimm meinen Kopf und zeige ihn den Minamoto. Es wird welche geben, die mich erkennen werden.«

Verwirrt zögerte Kumagai. Doch um sie herum wimmelte es von Minamoto-Rittern, und wenn er den jungen Taira nicht tötete, würde es einer von ihnen tun. Er faßte einen Entschluß. »Wenn du schon sterben mußt, so soll es von meiner Hand geschehen. Ich werde dafür sorgen, daß für dich gebetet wird, damit du mit einem besseren Karma wiedergeboren wirst.«

»Dann laß es geschehen.«

Ein trüber Schleier legte sich für einen Moment vor die Augen Kumagais, als er sein Schwert mit zitternder Hand hob. Er mußte all die Selbstbeherrschung eines alten Kriegers aufbringen, um sich zu zwingen, die Klinge auf das Genick des Jünglings herabfallen zu lassen. Dieser starb, ohne auch nur die leiseste Geste zu seiner Verteidigung gemacht zu haben.

Als er das abgetrennte Haupt in ein Stück Tuch wickelte, entdeckte er eine Flöte, die im Gürtel des Enthaupteten steckte. Und Kumagai brach in Tränen aus. Dieser Jüngling war es also gewesen, der in der Nacht vor der Schlacht auf so wunderbare Weise Flöte gespielt hatte. Er erinnerte sich an die leichten Töne, die aus dem schlafenden Lager aufgestiegen waren und die ihn einen Moment lang in Träumerei versetzt hatten. Kumagai Naozane verfluchte sich dafür, den Jüngling herausgefordert zu haben, wo er doch bereits auf dem besten Wege gewesen war, das rettende Schiff zu erreichen.

Es war niemand anders als Yoshitsune, der ihm den Namen seines jungen Opfers nennen konnte. »Das ist Atsumori, ein Enkel von Taira Tadamori.« Und gedankenverloren streichelte Yoshitsune die Flöte, von der er wußte, daß sie direkt vom ehemaligen Kaiser Toba stammte, und er erinnerte sich an seine eigene Kindheit auf dem Berg Kurama.

Von diesem Tag an war Kumagai Naozane ein anderer Mensch. Er trug Trauerkleidung für Taira Atsumori. Schließlich wurde er unter dem Namen Rensho Mönch, um den Weg des Friedens zu suchen.

Die Schlacht von Ichi-no-Tani endete für die Taira in einem Desaster. Einer der Söhne von Kiyomori, Taira Tomomori, derselbe, der 1180 in der Schlacht am Fluß Uji über Minamoto Yorimasa den Sieg errungen hatte, war der Oberbefehlshaber der Stellung gewesen. Seine Bogenschützen hatten so lange wie möglich dem direkten Angriff der Truppen von Noriyori standgehalten, mußten sich aber schließlich auch auf die Schiffe zurückziehen. Tomomori war der letzte der Taira, der das Festland verließ. Es gelang ihm nicht, sein Pferd mit aufs Schiff zu nehmen. Aber anstatt den prächtigen Hengst zu töten, damit er dem Feind nicht in die Hände fiele, ließ er ihn zum Strand zurückkehren. Die Minamoto brachten das Tier in die kaiserlichen Pferdeställe, denn es war ein Schlachtroß von hohem Wert.

Der Überfall auf Yashima

Die überlebenden Taira flohen auf die Insel Shikoku. Den Kindkaiser Antoku nahmen sie mit sich. Dies war für die siegreichen Minamoto der einzige Makel der Schlacht von Ichi-no-Tani, aber in den Augen Yoritomos war dies eher nebensächlich. Zunächst ließ er den Feldzug unterbrechen, um die Kräfte seiner Truppen wiederherzustellen. Außerdem trachtete er danach, die für seinen Geschmack allzu brillant begonnene Laufbahn seines Halbbruders so schnell wie möglich enden zu lassen. Er mißgönnte ihm seinen Erfolg.

Yoshitsune hatte bei Ichi-no-Tani bemerkenswertes taktisches Gespür, Kühnheit und ausgeprägtes Entscheidungsvermögen an den Tag gelegt. Er war ein kalkuliertes Wagnis eingegangen und hatte gewonnen. Sein Wagemut gefiel aber nicht allen. Selbst einige seiner Offiziere machten vor Yoritomo keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegenüber Yoshitsune.

Yoritomo war nun das Oberhaupt des wiederhergestellten Klans. Sein Hauptquartier befand sich in Kamakura. Bei aller Eifersucht auf den Erfolg seines jüngeren Bruders konnte er es ihm natürlich nicht zum Vorwurf machen, auf spektakuläre Weise das Lager des Feindes eingenommen zu haben. So zügelte er seinen Groll und beschloß, zunächst einmal nichts gegen die wachsende Popularität Yoshitsunes zu unternehmen, auch wenn diese seinen eigenen Ambitionen zuwiderlief. Man hatte Yoshitsune einen triumphalen Empfang vor den Toren von Kyôto bereitet. Der ehemalige Kaiser Go-Shirakawa verlieh ihm den Titel eines Offiziers der kaiserlichen Polizei, verbunden mit dem Privileg des Zugangs zur Kammer der Höflinge des Kaisers. Das war ganz und gar nicht im Interesse Yoritomos. Dieser wollte seine Macht auf einer neuartigen Hierarchie gründen, deren Titel er allein verlieh. Er fand die Ehre, die der Ex-Kaiser seinem Bruder zuteil werden ließ, übertrieben, und er warf Yoshitsune, der schließlich von geringerer Geburt war als er selbst, vor, die Ehrungen angenommen zu haben, ohne ihn zuvor um seine Meinung dazu gefragt zu haben. Yoshitsune war auf dem besten Wege, zu einer Gefahr für die neue Ordnung, von der Yoritomo träumte, zu werden. In jedem Fall war er ein ernstzunehmender Konkurrent. Denn es war denkbar, daß das Volk und auch die Samurai dem jüngeren Bruder den Vorzug geben könnten, wenn es darum ging, wer die Macht ausüben sollte. Somit war es eher Furcht und nicht, wie häufig behauptet wird, Haß, welche Yoritomos Handlungen gegen den jungen Helden antrieb.

Zunächst beraubte er Yoshitsune der Früchte seines Erfolges im Kampf gegen die Taira, indem er seinen anderen Halbbruder, Noriyori, der sich ihm gegenüber liebedienerischer verhielt, zum Oberbefehlshaber der Minamoto-Truppen ernannte. Zudem nötigte er den darüber verständlicherweise verärgerten Yoshi­tsune, mehrere Monate lang tatenlos in der Hauptstadt zuzubringen. Doch bereits zu Beginn des darauffolgenden Jahres wurden die Feldzüge gegen die Taira wiederaufgenommen, und erneut gelang es Yoshitsune, sich im Kampf mit Ruhm zu bedecken, während Noriyori mit seinen wenig motivierten Truppen kaum Erfolge vorzuweisen hatte. Doch diesmal hatte Yoritomo dafür gesorgt, daß Kajiwara-no-Kagetoki, einer seiner treuesten Gefolgsleute, sich Yoshitsune anschloß, um ihn zu beobachten und über seine Taten Bericht zu erstatten.

Nach ihrer Niederlage bei Ichi-no-Tani hatten die Taira ihr neues Hauptlager in Yashima, auf der Insel Shikoku, eingerichtet. Zwar waren die Taira auf dem Land besiegt worden, aber auf dem Meer hatten sie ihre Vorherrschaft bewahren können. Sie waren keineswegs gewillt, die Macht aufzugeben, und so hatten sie sogar am Fuße des Yashima-Gebirges einen Palast errichtet, wo der 7jährige Antoku residierte, der trotz seiner jungen Jahre noch immer als offizieller Kaiser galt.

 

Die Aussicht, mit den Taira auf deren Terrain, dem Meer, konfrontiert zu werden, schreckte die Minamoto-Samurai, die sich vor allem als gute Reiter auszeichneten und deren bevorzugtes Gelände die Berge waren. Nichtsdestotrotz wurde an der Küste von Watanabe, auf der Shikoku gegenüberliegenden Seite der Inlandsee, eine Flottille zusammengestellt. Doch es war keineswegs die Absicht Yoshitsunes, den Taira den Vorteil einer offenen Seeschlacht zu verschaffen. Tatsächlich wollte er erneut aus unverhoffter Richtung über den Feind herfallen, um ihn so der Möglichkeit gut organisierter Verteidigung zu berauben.

Die Vorbereitungen für den Angriff führten zu einem heftigen Streit mit Kajiwara Kagetoki, den von Yoritomo eingesetzten Spion. »Ich denke, daß unsere Schiffe mit Rudern ausgerüstet werden sollten«, sagte Kajiwara.

Yoshitsune erwiderte: »Wozu soll das gut sein?«

»Damit unsere Schiffe auch umkehren können.«

Mit schneidender Stimme sagte Yoshitsune: »Umkehren? An dem Tag, an dem Ihr das Kommando übernehmt, könnt Ihr die Schiffe mit so vielen Rudern ausrüsten, wie Ihr wollt. Aber solange ich die Verantwortung trage, weigere ich mich, irgend etwas zu unternehmen, das auch nur die Möglichkeit eines Rückzugs in sich birgt!«

»Wollt Ihr etwa meinen Sachverstand und meine Loyalität in Frage stellen?« schrie Kajiwara, rot im Gesicht vor Scham und Wut. Es fehlte wenig, und die beiden hätten sich geschlagen.

Am 22. März 1185 waren die Vorbereitungen abgeschlossen, und die Flottille stach in See. Sie näherte sich ihrem Ziel in einem weiten Bogen, südlich an der Insel Awaji vorbei, um auf Shikoku in der Provinz Awa zu landen und Yashima auf diese Weise von hinten erreichen zu können.

Die Taira wiegten sich in jener Nacht in Sicherheit, denn es wütete ein Taifun, der eine Landung unmöglich zu machen schien. Doch die Truppen Yo­shi­tsunes gelangten ohne Schwierigkeiten ans Ufer, schwangen sich sogleich auf ihre Pferde und ritten nach Yashima, wo man die Flotte der Minamoto noch immer in Watanabe wähnte. Gleich einem Tsunami stürmten die Krieger das Lager der Taira. Sie setzten die Küstenanlagen in Brand, aber dennoch war es zuvor zahlreichen Taira gelungen, sich auf ihre Schiffe zu flüchten und den jungen Kaiser und seine Mutter mitzunehmen. Die Flotte der Taira blieb jedoch in unmittelbarer Nähe der Küste, und ihre Bogenschützen beschossen die Minamoto-Krieger, die nun die gesamte Küste eingenommen hatten, mit Pfeilen. Auf diese Weise entspann sich eine ebenso ungewöhnliche wie heftige Schlacht zwischen Seefahrern und Kavallerie.

Unter Ausnutzung der Ebbe näherten sich die Minamoto mit ihren Pferden soweit wie möglich den Schiffen. Bis zur Brust trieben sie die Kampfrosse ins Wasser. Yoshitsune kämpfte an vorderster Front. Als die Schlacht am heftigsten tobte, lenkte Noritsune, der als bester Bogenschütze der Taira galt, sein Schiff in Richtung Küste. Er hatte den jungen Anführer der Minamoto und seinen treuen Begleiter Benkei inmitten ihrer tapferen Krieger ausfindig gemacht und war ihnen sehr nahe gekommen. Unbeeindruckt vom Schlachtengetümmel spannte er seinen Bogen und zielte in aller Seelenruhe auf Yoshitsune. Der Samurai Sato Tsuginobu sah dies und schrie, um Yoshitsune zu warnen, aber es war zu spät. Kurzentschlossen warf er sich mit seinem Körper in die Flugbahn des Pfeils. Er starb auf der Stelle. Yoshitsune trauerte sehr um seinen Lebensretter, der bereits zu der Zeit, als er in der Provinz Mutsu weilte, zu seinen Getreuen gezählt hatte und den er in all den Jahren hoch zu schätzen gelernt hatte.


Der Bogenschütze Nasu Munetaka schießt einen Fächer vom Mast eines Taira-Schiffes. Holzschnitt von Yôshû Chikanobu.

Wenig später, während er in einen Schwertkampf verwickelt war, verlor Yo­shi­tsune seinen Bogen. Obwohl die Taira ihn mit Pfeilen beschossen und Haken nach ihm schleuderten, um ihn zu ihren Schiffen ziehen zu können, suchte er in aller Seelenruhe nach der verlorenen Waffe. Seine Offiziere flehten ihn an, die lebensgefährliche Suche aufzugeben. Doch Yoshitsune hörte nicht auf sie und fand den Bogen endlich im Wasser wieder. Später, nachdem er die Schlacht unversehrt überstanden hatte, erklärte er ihnen lachend den Grund für seine Hartnäckigkeit: »Ja, wäre dieser Bogen einer von der Sorte gewesen, wie ihn mein Onkel Tametomo37 benutzt, dann hätte ich ihn dem Feind bedenkenlos überlassen. Um so einen Bogen zu spannen, braucht man die Kraft von zwei oder drei Männern. Aber mein Bogen ist schwach und von geringer Reichweite. Ich hätte mich in den Augen des Feindes lächerlich gemacht, wenn ihnen eine so gewöhnliche Waffe in die Hände gefallen wäre!«

Eine weitere Episode aus dieser Schlacht wurde bis in unsere Tage überliefert, die Geschichte der unglaublichen Tat des Nasu-no-Yoichi Munetaka. Die Taira hatten an einem am Bug eines ihrer Schlachtschiffe aufgestellten Mast einen roten Fächer angebracht. Dies war zum einen eine Provokation für die Bogenschützen der Minamoto und zum anderen ein geschickter Schachzug, durch den sie veranlaßt wurden, ihre Pfeile zu vergeuden. Tatsächlich hatten die Bogenschützen der Minamoto bald nichts anderes mehr im Auge als den in der Luft flatternden Fächer, auf den eine goldene Sonne gemalt war, und sie wetteiferten darum, ihn zu treffen. Aber der Fächer stellte alles andere als ein leichtes Ziel dar, und die Taira auf ihren Schiffen spotteten über das Ungeschick der Minamoto. Unter diesen befand sich jedoch der 18jährige Samurai Nasu Munetaka, der trotz seiner jungen Jahre ein Meister im Bogenschießen war. Er beschloß, sein Glück zu versuchen, während um ihn herum eine ganze Armee ebenso wütend wie vergeblich versuchte, den provokanten Fächer abzuschießen. Mit großer Sorgfalt legte er einen Pfeil an die Sehne, atmete ein, spannte den Bogen und schoß den Pfeil ab, während er zugleich einen Schrei, der aus seinem tiefsten Innern kam, ausstieß. Einen Augenblick darauf zerfetzte sein Pfeil den Fächer und die Bruchstücke fielen in die Wogen. Es gab großen Beifall für den Meisterschuß, selbst die gegnerischen Bogenschützen auf ihren Schiffen kamen nicht umhin, zu applaudieren. Die Nachkommen Munetakas erhielten das Recht, in ihrem Familienwappen, dem mon, einen Fächer, auf den eine Zielscheibe gezeichnet war, darzustellen.

Als die Sonne sank, war die Schlacht entschieden. Die Flotte der Taira zog sich in den Schutz der weiter östlich gelegenen Shido-Bucht zurück. Die Minamoto verbanden ihre Wunden am Strand von Yashima und wuschen das Salz von ihren vom Meerwasser getränkten Rüstungen, damit diese nicht rosteten.

Einige Tage später nahmen die Taira Kurs auf die Westspitze von Kyûshû, um ihre letzte Zuflucht, Kagoshima, zu erreichen. Damit entfernten sie sich noch weiter von Kyôto, der Hauptstadt, die sie dem Feind hatten überlassen müssen.