Generation der gewonnenen Jahre

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Generation der gewonnenen Jahre
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Rolf W. Meyer

Generation der gewonnenen Jahre

Imprint

Rolf W. Meyer

Generation der gewonnenen Jahre

Copyright: © Rolf W. Meyer

Umschlagfoto: Rolf W. Meyer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

Eventuelle Ähnlichkeiten von Namen und beschriebenen Verhaltensweisen mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Inhalt

Vorwort

1. Das Leben ist großartig!

2. Altern – solange man jung bleibt

3. Die Zukunft gehört den Frauen

4. Arbeits-Single und Steinzeitpsyche

5. Mit dem Alter steigt der Anspruch an den Partner

6. Die Alten sind goldrichtig

7. Wie betreibt man Personalmarketing?

8. Die Fähigkeiten älterer Mitmenschen

9. Die Selbsteinschätzung von Männern

10. Im Wandel der Zeit

11. Ein Rentner erlebt den häuslichen Alltag

12. Die Freiheit der Alten

13. Infantilisierung statt Reife und Verantwortlichkeit

14. Vom Downaging zum Antiaging-Programm

15. Die Vielseitigkeit von Frauen

16. Wie bewältigt man die Beschwerden im Alter?

17. Der Weckmann

18. Die Geburtstagsfeier

19. Aus dem Leben eines Mitmenschen mit Alterungshintergrund – Ein Rückblick unter verhaltensbiologischen Gesichtspunkten

20. Amtssprache als Machtinstrument

21. Die Strategien von Frauen und Männern

22. Ein später Zugang zur Kunst

23. Wissenswertes zur Generation Sonnenuntergang

24. Warum gibt es heutzutage noch Glatzenträger bei den Männern?

25. Das Land der Snowbirds-Rentner und der Tip-Kultur

26. Mit dem Älterwerden kommen die Erinnerungen

Zur Person

Das Alter ist ein Geschenk des Lebens. Man muss nur lernen, damit richtig umzugehen.

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch kam mir nach einer meiner Lesungen im letzten Jahr vor dem traditionellen „Literaturkreis“ im Privatbereich von Petra und Klaus Meyer in Mettmann. Zu Beginn dieser Lesung hatte ich meiner Zuhörerschaft, die sich im fortgeschrittenen Alter befand, die Frage gestellt: „Gehören Sie zu den Menschen, die ihr kalendarisches Alter als eine Lebensbarriere empfinden und dadurch in eine Sinnkrise geraten sind?“ Deren Antwort war ein einhelliges „Nein!“ Wen wundert es? Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlten sich der „Generation der gewonnenen Jahre“ zugehörig. Sie standen nicht nur mitten im Leben, sondern sie verfügten auch über Fähigkeiten, die in unserer heutigen Zeit immer wichtiger werden: Aufgeschlossenheit gegenüber Veränderungen in einer multikulturellen Gesellschaft, Weltoffenheit, soziales Engagement und Motivation für lebenslanges Lernen. Wir alle erfahren täglich, dass sich nicht die Dinge verändern, sondern dass wir uns verändern. Solche Änderungsprozesse, die die eigene Person betreffen, stehen auch mit dem Alterungsprozess in Verbindung. Doch dadurch ergeben sich wiederum neue Lebenschancen. Daher sollte man sich immer bewusst machen, dass das Alter nur eine Frage der Perspektive ist.

2014 traf ich in Hyde Park City, New York State, wo sich die Privathäuser der historischen Persönlichkeiten Franklin D. Roosevelt und seiner Frau Eleanor Roosevelt befinden, die 92 jährige Doris Mack. Sie hatte seinerzeit bei der amerikanischen Präsidentengattin Eleanor Roosevelt als Köchin gearbeitet. Sie berichtete mir aus ihrem eigenen langen und ereignisreichen Leben. Als ich ihr mein damaliges Alter von 72 Jahren anvertraute, sagte sie nur: „Rolf, you are still a baby.“ Seitdem weiß ich, dass ich noch einen langen Entwicklungsprozess zu durchlaufen habe.

Allen Mitmenschinnen und Mitmenschen, die als „Best Agerin“ und „Best Ager“ (auch „Senior Citizens“ genannt) den Entwicklungsmöglichkeiten im Alltag gegenüber aufgeschlossen sind, bietet dieses Buch lebensnahe Beschreibungen. Während bekanntlich Sozialwissenschaftler „Best Ager“ als eine Risikogruppe auf dem Arbeitsmarkt einstufen, stellt der „Best Ager“ für den Marketing-Bereich eine interessante Zielgruppe dar. Der Grund: Sein im Durchschnitt relativ hohes verfügbares Einkommen ermöglicht ihm ein Kaufverhalten, das dem Wirtschaftswachstum förderlich ist. In der vorliegenden Veröffentlichung wird jedoch das Verhalten der Vertreter der „Generation der gewonnenen Jahre“ in Alltagssituationen, d.h. im Umgang mit Mitmenschen, in den Mittelpunkt gestellt.

Ein großer Dank geht an Petra und Klaus Meyer, die schon seit vielen Jahren Lesungen in ihrem Privatbereich ermöglichen und durch ihre großzügige Gastfreundschaft den Veranstaltungen stets einen besonderen Rahmen geben. Mein Dank gilt auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der literarischen Veranstaltungen, die immer wieder unter Beweis stellen: Das Besondere im Leben besteht darin, in seinem Wesen jung zu bleiben. Allen, die Interesse an diesem Buch haben, wünsche ich beim Lesen viel Freude.

Rolf W. Meyer, Ratingen

1. Das Leben ist großartig!

Wir sind Seenagers (Senior Teenagers). Wir haben alles, was wir als Teenager besitzen wollten. Nur einige Jahrzehnte später.

Wir müssen nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit gehen.

Wir bekommen jeweils am Ende eines Monats unsere Renten.

Wir haben unsere eigenen Wohnungen.

Wir haben kein Ausgangsverbot.

Wir haben unsere Führerscheine und unsere eigenen Wagen.

Wir haben Ausweise, mit denen wir Bars und Nachtclubs aufsuchen können.

Die Leute, mit denen wir herumlungern, haben keine Angst davor, schwanger zu werden.

Und wir haben keine Hautausschläge.

Das Leben ist großartig. Wir gehören zur Generation der gewonnenen Jahre und sehen zuversichtlich in die Zukunft.

2. Altern – solange man jung bleibt

Jeder von uns erfährt in seinem Leben, dass der Alterungsprozess auf verschiedenen Ebenen abläuft. Mit jedem Geburtstag altern wir kalendarisch um ein weiteres Jahr. Nach der Geburt setzt bereits der biologische Alterungsprozess ein. Indem wir ein bestimmtes Alter mit einem neuen Lebensabschnitt verbinden, vollzieht sich die gesellschaftliche Alterung. Bemerkenswert ist, dass das biologische Alter mittlerweile deutlich weniger abhängig ist vom kalendarischen Alter. Deswegen können die Vertreter der Sechzig-Plus-Generation heute als „Spätjugendliche“ durchgehen.

In Verbindung damit ist zu beobachten, dass manche „Spätjugendliche“ (einem gesellschaftlichen Trend folgend) versuchen, sich im Prozess der Alterung zu optimieren. Dies kann so weit ausarten, dass es in einem „individualistischen Optimierungswahn“ endet. Durch die Veränderung verspricht man sich mehr Erfolg und Ansehen. Die Frage ist nur, ob man sich überhaupt entscheidend ändern kann. Der Hirnforscher Gerhard Roth vertritt die Ansicht, dass es grundsätzlich schwierig ist, sich aus eigener Kraft zu ändern. Nach Erkenntnissen der Hirnforschung sind 20 bis 50 Prozent der Merkmale eines Menschen genetisch oder vorgeburtlich beeinflusst. Nach den ersten drei Lebensjahren sind diese Charakteristika kaum noch zu verändern. Innerhalb dieses Zeitraumes entscheidet sich, wie stark das limbische System geformt und ausgeprägt ist. Diese Funktionseinheit des Gehirns ist „der Hauptsitz der Gefühle und des emotionalen Gedächtnisses“.

Da in jedem Menschen aber ein Veränderungspotential angelegt ist, ergibt sich auch für den alternden Menschen die Chance für einen persönlichen Wandel. Der Grund dafür ist, dass Hirnstrukturen bis ins hohe Alter plastisch und veränderbar bleiben. Dies setzt allerdings voraus, dass man konsequent eine anregende Lebensweise führt und dadurch immer wieder neue Anregungen erhält. Wissenswert ist, dass es fünf Eigenschaften eines Menschen gibt, die eine starke erbliche Komponente aufweisen und deshalb bis an das Lebensende stabil bleiben: Emotionale Stabilität, introvertiertes oder extrovertiertes Temperament, Verträglichkeit im Umgang mit anderen Mitmenschen, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen.

 

Obwohl sich so mancher Mitmensch sicherlich wünscht, ewig jung bleiben zu können, muss er jedoch der Realität ins Auge blicken. Es spielt keine Rolle, wie lang man theoretisch leben könnte. Denn jedes Individuum stirbt früher oder später aufgrund von Infektionskrankheiten, Gewalteinwirkungen, Auswirkungen bei lang anhaltendem Stress, Stoffwechselausfällen oder im Straßenverkehr. Hinzu kommt, dass „Polymorbidität“

(Mehrfacherkrankung)im hohen Alter immer noch ein verbreitetes Phänomen ist. Daher ist es vorteilhafter (vor dem Hintergrund der natürlichen Auslese) eine erfolgreiche Fortpflanzung in der Jugend zu betreiben und den Nachwuchs frühzeitig in die Selbständigkeit zu entlassen. Unter soziobiologischen Gesichtspunkten bedeutet das: Für Organismen ist es oft „zweckmäßig“, die Fitness (gleichbedeutend mit Fortpflanzungserfolg) in der Jugend auf Kosten jener im Alter zu erhöhen. Der Versuch, die Vitalität des Körpers endlos aufrecht zu erhalten, zahlt sich hingegen nicht aus.

Welche Symptome im Alter werden zu einer Belastung? Bevor Sie mit dieser Problematik konfrontiert werden, sollten Sie innerlich darauf vorbereitet sein. Es könnte unter Umständen bei Ihnen eine Panik ausgelöst werden. Denn die nachfolgende Auflistung häufig auftretender Symptome unterstreicht die Sorge älter werdender Menschen, ihre Selbständigkeit zu verlieren: Atemnot, depressive Störungen, Einbußen beim Hörvermögen, Einschränkung der Sehfähigkeit, Inkontinenz, Schmerzzustände, Schwindel, Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses oder des Denkvermögens, wahnhafte Vorstellungen. Hinzu kommt, dass im Alter der Geruchssinn nachlässt. Denn es fällt dem Gehirn zunehmend schwer, Gerüche zu unterscheiden. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, dass ältere Menschen keinen so großen Appetit mehr zeigen.

Der menschliche Wunsch nach der ewigen Jugend soll noch einmal aufgegriffen werden. Im Südosten der USA existiert die Ameisenart Pheidole dentata, die eine Eigenschaft besitzt, von der Menschen nur träumen können. Die Vertreter dieser Ameisenart sind gegen das Altern immun. Man erklärt dieses Phänomen damit, dass diese Tiere keinen kognitiven Verfall erleben. Für die Wissenschaftler bleibt allerdings eine Frage unbeantwortet: „Wenn diese Ameisen nicht altern – warum sterben sie dann trotzdem?“

3. Die Zukunft gehört den Frauen

Die prädestinierte Vertreterin einer Frauengeneration, die davon überzeugt ist, dass die Zukunft den Frauen gehört, ist Mareike Stick (30). Sie teilt die Meinung mit der Journalistin Hanna Rosin, die zum Ausdruck bringt: „Auf den Aufstieg der Frauen folgt nicht der Niedergang der Männer, aber der des Machos.“ Mareike Stick ist in der IT-Branche als „Principal Consultant“ tätig. Einen wertvollen Helfer in ihrer Berufstätigkeit, in der sie für die Kundenberatung zuständig ist, stellt der Computer dar. Während des jahrelangen Umganges mit diesem technischen Gerät („eine (un)logische Beziehungskiste“) hat sie erkannt: Das wirkliche Problem ist nicht, ob Maschinen denken, sondern ob es die Menschen tun. Während viele Menschen behaupten, dass „der Computer die logische Weiterentwicklung des Menschen ist, nämlich Intelligenz ohne Moral“, kann Mareike Stick sich ein Leben ohne Computer gar nicht mehr vorstellen. Er ist regelrecht zu ihrem Lebensinhalt geworden. Für junge Frauen hat die Beschäftigung mit Computern sogar eine Schlüsselfunktion. Sie erschließt ihnen eine traditionell von Männern beherrschte Welt. Nach Erfahrung der Soziologin Martina Ritter wird der Computer von jungen Frauen als Garant für die Erfahrung von Leistung und Kompetenz wahrgenommen. Zu einer Erkenntnis sollte jedoch die junge Artgenossin Mareike Stick kommen: Der übermäßige Umgang mit dem Computer kann zu einem „Rückkoppelungseffekt“ auf die Psyche führen. PC-Anwender beginnen nämlich nach und nach selbst wie ein Computer zu denken. Dies hat gesellschaftspolitisch betrachtet gravierende Auswirkungen. Denn Mitmenschen und zwischenmenschliche Beziehungen werden in zunehmendem Maße mit PC-Denkmodellen erklärt. Mit Hilfe von Computern können nämlich Probleme logisch-eindimensional gelöst werden.

Für Mareike Stick kann es noch immer zu einer großen Herausforderung werden, wenn sie einem Zuhörerkreis gegenüber Sachverhalte auf der Grundlage der konventionellen Kommunikationsform Sprechen vortragen muss. Als Rettungsanker dient ihr aber dabei das technische „Triple P“ („PowerPoint Presentation“), das ihre Aussagen den Zuhörern visuell erlebbar macht.

Die junge Vertreterin aus der IT-Branche ist zu Beginn des Informationszeitalters, das 1980 begann, auf die Welt gekommen. Die Entwicklung der Computer-Technologie bewirkte eine digitale Revolution und hat auch ihr Leben ganz entscheidend geprägt. Als „digital native“ ist für sie die technologische Entwicklung etwas Selbstverständliches geworden. Als Ende der 1980er Jahre die Entwicklung von Mobiltelefonen begann, ermöglichte dies, dass die Menschen seitdem zu jeder Zeit erreichbar sind und von fast jedem Ort der Erde aus (vorausgesetzt, man gerät nicht in ein Funkloch!) telekommunizieren können. Seitdem wachsen die SMS-Generationen heran und neue Formen der Verständigung werden kreiert. Durch das Internet sind seit 1989 Computer zu einem weltumspannenden Datennetz verbunden, wodurch die Welt zu einem globalen Dorf geworden ist. 1996 hat der Wissenschaftler Peter Russell die These vertreten, „dass die Menschheit über die enge Verbindung durch Computernetze in einem neuen evolutionären Sprung allmählich ein globales und kollektives Gehirn entwickelt“. Das Jahr 2002 wird, nebenbei bemerkt, als Beginn des „Digitalen Zeitalters“ gesehen. Immer mehr Wissenschaftler sind der Ansicht, dass der intensive Umgang mit Computern Auswirkungen auf die Nervenzellen (Neuronen) des Gehirns haben. Darüber allerdings hat sich Mareike Stick noch keine Gedanken gemacht.

Trotz der Einbindung in einer von Männern dominierten IT-Branche hat Mareike Stick noch lange nicht ihren Humor verloren. Ganz im Gegenteil. Von der Kabarettistin Gerburg Jahnke hat sie gelernt, dass es auch so etwas wie geschlechtsspezifischen Humor gibt. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Männer, wenn sie bei einem Witz ertappt werden, aufhören zu lachen. Wenn dagegen Frauen ertappt werden, dann können sie sich kaum noch halten vor Lachen. Dazu Gerburg Jahnke: „Wenn wir uns auf der Bühne über Frauen lustig machen, dann lachen Frauen und Männer. Verulken wir Männer, dann lachen nur Frauen. Die Männer werden sofort still. Männer sind unendlich humorvoll, wenn es um andere geht.“ Wie das Gehirn eines Menschen auf Humor reagiert, soll kurz erläutert werden. Über die Ohren gelangt der Witz in Sprachareale des Gehirns, wo er analysiert wird. Die Verarbeitung des Witzes und die Erfassung der Pointe erfolgt durch den linken Stirnlappen des Gehirns. Das „Unerwartete im Witz“ führt zu Aktivität im rechten Stirnlappen, der eher für Emotionen zuständig ist. Es werden widersprüchliche Gefühle ausgelöst. Diese sind so stark, dass sie die Aktivität im „skeptischen Rest des Gehirns“ unterdrücken. Der rechte Stirnlappen aktiviert das gehirneigene „Belohnungssystem“. Es kommt zur Ausschüttung von „Glückshormonen“(Neurotransmitter, wie zum Beispiel Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Endorphine) aus dem so genannten Nucleus accumbens, was zur Erheiterung führt. Gleichzeitig wird das für Mimik verantwortliche motorische Areal gereizt. Die Folge ist, dass die Muskeln für lautes, spontanes Lachen aktiviert werden. Dieses Lachen dauert etwa fünf Sekunden. Es ist nachgewiesen, dass strategisches, vom Verstand gesteuertes Lachen nur für zwei bis drei Sekunden andauert.

Um in ihrem Beruf den steigenden Anforderungen gewachsen zu sein, kann sich Mareike Stick nicht allein auf ihren Humor verlassen. Ein Vorteil für sie sind ihre fachlichen Kompetenzen. Um Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen vorzubeugen, achtet sie auf eine ausgewogene Ernährung. Daher hat Mareike Stick neben ihrem Laptop, Smartphone und iPad auf dem Arbeitstisch immer eine Portion „Gehirnnahrung“ griffbereit stehen. Deren Inhaltsstoffe (Kohlenstoffhydrate, ungesättigte Fettsäuren, Vitamine) und gasarmes Wasser sind für sie oft wichtiger als die Börsendaten. Denn was hilft es ihr, wenn aus irgendeiner Datenzentrale Informationen rund um den Erdball geschickt werden, aber die Neuronen von Mareike Stick’s Gehirn nicht die erforderlichen Botenstoffe (Neurotransmitter) bilden können, um eine Entschlüsselung der Botschaften zu ermöglichen.

4. Arbeits-Single und Steinzeitpsyche

Zwei Mitmenschen, auf die die Aussagen „permanenter Druck und dauernder Konkurrenzkampf“ zutreffen, sind der 45 jährige Andreas Hüther und seine 40 jährige Ehefrau Christina Piepenstein-Hüther. Eine erfolgreiche Fortpflanzung und damit eine direkte Fitness sind bislang ausgeblieben. Dafür leisten sie gelegentlich (soweit es ihre berufliche Tätigkeit und die durchorganisierte Freizeit zulassen) eine indirekte Fitness, indem sie als „Helfer am Nest“ ihre Verwandten durch zeitlich begrenzte Betreuung des verwandtschaftlichen Nachwuchses unterstützen. Dass sie selbst keine Kinder haben, ist einfach zu erklären: Eine Investition von Energie in ihre berufliche Arbeit ist ihnen wichtiger als eine elternliche (parentale) Investition in eigene Kinder. Beide Partner sind nicht nur Workaholics sondern auch Arbeits-Singles, da sie aus beruflichen Gründen zwei Wohnsitze haben müssen. Das kommt ihnen aber als taktische Singles entgegen, da sie ihre jeweils eigene Wohnung als „Rückzugsstätte“ nutzen können. Nach dem Abschluss seines BWL-Hochschulstudiums hat Andreas Hüther noch für ein Jahr an der Ostküste der USA ein einjähriges Studium an der Yale University absolviert und sich an der Harvard Business School den letzten Schliff geben lassen. Seine Lebensmaxime lautet: „Strive for excellence“ („Strebe nach hervorragender Leistung“). Für ihn manifestiert sich Leistung und Erfolg in Zahlen. Sein Blick ist stets auf einen Gewinnzuwachs ausgerichtet. Nun ist der enorm ehrgeizige und extrem erfolgsorientierte Mittvierziger in verantwortungsvoller Position als Manager in einem internationalen Wirtschaftsunternehmen tätig. Er muss enorm viel leisten, um den Ansprüchen der globalen Wirtschaftsklientel zu genügen und sich dadurch seine Erfolgsprämien zu sichern. An seinem hohen sozialen Status in Verbindung mit seinem Lebensstandard kann er nur festhalten, wenn er eine hohe Erfolgsquote bei der Jagd nach der Beute Geld erreicht. Um seine Macht und damit seinen Einfluss aufrecht halten zu können, baut Andreas Hüther Hierarchien auf. Die Erfahrung zeigt: Mit Imponierverhalten, dem Aufbau und der Pflege von Konkurrenzbeziehungen werden Machtstrukturen durch Männer aufrechterhalten. Das bedeutet, dass Männer in Führungspositionen sehr in Machtkämpfe, Parteilichkeit, Profilierung und Statusdenken verstrickt sind. Männer verhalten sich vorrangig aufgaben- und zielorientiert, wobei sie ihr eigenes Führungsverhalten sehr oft als „kooperativ“ bezeichnen. Männer entwickeln häufiger Durchsetzungsstrategien. Die Erfahrung zeigt auch, dass männliche Unternehmer „transaktional“ führen: Sie sehen ihre Arbeit als eine Serie von Transaktionen mit untergeordneten Mitarbeitern an. Sie belohnen und bestrafen und nutzen ihre Macht, um persönliche Ziele zu erreichen.

In der modernen Gesellschaft, in der Andreas Hüther lebt, ist ihm sein archaisches (ursprüngliches) Verhalten „abgewöhnt“ worden. Aber sein Steinzeitkörper kann sich an die Herausforderungen der modernen „Zivilisation“ nur geringfügig anpassen. Er denkt, fühlt und handelt noch immer mit einer „Steinzeitpsyche“. Es ist, nebenbei bemerkt, eine Folge der „Missevolution“: Die biologische Evolution kann mit der kulturellen Evolution nicht mehr Schritt halten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass er immer wieder an seine Grenzen der Belastbarkeit stößt und das Gefühl hat, „ausgebrannt“ zu sein. In solchen Situationen fragt sich der hyperaktive Manager Andreas Hüther verzweifelt: „Was ist eigentlich mit mir geschehen?“. Einmal in die Zivilisationsjacke eingezwängt hat er auch im Hinblick auf seine Grundbedürfnisse die Orientierung verloren. Da auch über die Werbung Bedürfnisse geweckt werden, will dieser Jetztzeitmensch immer mehr Konsumgüter und Annehmlichkeiten haben, um sich zu befriedigen.

 

Seine Frau, die Hosenanzugträgerin Christina Piepenstein-Hüther, arbeitet in verantwortungsvoller Position im oberen Management einer Großbank. Sie ist ebenfalls sehr erfolgsorientiert ausgerichtet. Auf eine interessante Frage soll in dem Zusammenhang kurz eingegangen werden: „Warum streben Frauen Führungspositionen an?“. Macht spielt angeblich für die meisten Frauen keine große Rolle. Das Gegenteil soll der Fall sein. Es geht ihnen nur darum, sich zu verwirklichen. Eine Ausnahme bilden aber die „maskulinisierten Frauen“, die sich männliche Attitüden angeeignet haben. In der Kulturgeschichte der Menschheit sind sie immer wieder in den Vordergrund getreten.

Auf ihre Karriere fokussiert gingen und gehen heute Frauen mit der Macht nicht anders um als Männer. Interessant ist, dass, je höher Frauen in der Hierarchie aufsteigen, ihr Umgang mit der Macht dem der Männer immer ähnlicher wird. Haben Frauen Spaß an der Macht? Dies lässt sich mit „ja“ beantworten. Die Erfolgsstrategie einer Frau ist die Fürsorglichkeit. Es ist ihre Waffe. „Frauen stellen Verpflichtungen her und Bindungen“, so der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstil. „Zum Beispiel sorgen sie im Konfliktfall für Harmonie, heben niedergeschlagene Mitarbeiter wieder hoch – alles sehr erfolgreiche Formen der Machtausübung. Frauen leben Macht anders als Männer. Aber einen Machtanspruch haben sie genauso.“

Wenn aber Frauen Machtkämpfe nicht gewinnen, dann verkraften sie die Niederlagen nicht so gut wie Männer. Das größte Hindernis für Frauen, die beruflich aufsteigen wollen, ist die Tatsache, dass die Arbeitswelt von Männern dominiert wird. Daher ist es auch für Frauen im Beruf sehr wichtig, ein gut funktionierendes soziales Netzwerk aufzubauen.

Da beide Arbeits-Singles evangelischen Glaubens sind, verstehen sie sich als geistige Erben des Reformators Johann Calvin und des Volkswirtschaftlers und Soziologen Max Weber. Sie setzen die protestantische Ethik pragmatisch um, indem sie ein asketisches Leben in bestimmten Teilbereichen ihrer Lebensgestaltung führen. Sie beherrscht der Elitegedanke, denn sie wollen die Welt mit bestimmen können. Der Aktienmarkt gibt ihnen dazu Gelegenheit. Regelmäßig besuchen sie Fortbildungsveranstaltungen gehobenen Stils, wie etwa das „World Economic Forum“ in dem Schweizer Ort Davos. Sie wollen ein Teil sein in den Netzwerken der Oberschicht. Andreas Hüther ist Mitglied in einem Rotary Club und Christina Piepenstein-Hüther ist in den Service-Club Zonta International aufgenommen worden. Beide sind außerdem Mitglieder in einem Golfclub und in einem Fitness-Club. Zusätzlich joggen sie regelmäßig, wobei sie auch während des Laufens Informationen aus ihren iPhones abrufen. Sie verbringen nur Kurzurlaube in Wellness-Hotels, in New York City und St. Moritz oder auf einer Segeltour im Mittelmeer. Alles dient in dieser Informationsüberflussgesellschaft ausschließlich dem eigenen Fortkommen. Das Wirksamkeitsdenken beherrscht sie Tag und Nacht.

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