Seewölfe - Piraten der Weltmeere 197

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 197
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-533-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

In der Ankerbucht des spanischen Schiffsverbandes schien das Inferno ausgebrochen zu sein. Das Donnern der schweren Bordkanonen wälzte sich durch die Nacht und mischte sich mit dem Schreien der Sterbenden und Verwundeten, rollte gegen die sandigen Ufer der Bucht und schob sich breit und drohend durch das Dickicht des Urwaldes bis zu dem Pah, dem Dorf der Maoris, das geschützt hinter einem hohen, geschnitzten Holzzaun lag. Es war ein Höllengewitter, das nicht mehr enden wollte. Sein zuckendes Feuer durchbrach grellgelb und rot die Dunkelheit.

Don Victor de la Barca, der Kapitän der Zweimast-Karavelle „San Biasio“, und Ramon de Mesonero, der Bootsmann des Flaggschiffes „San Rosario“, hatten soeben die Palisade des Pahs verlassen und trieben ihre Gefangenen quer durch den Busch vor sich her.

Sechsundzwanzig Maori-Mädchen waren es, die die beiden Spanier im Frauenhaus des Dorfes überrascht und überwältigt hatten. Zuerst hatten die Mädchen sich zur Wehr setzen wollen, aber dann, als de Mesonero eine von ihnen mit dem Messer bedroht hatte, hatten sie jeden Widerstand aufgegeben und sich fesseln lassen.

Stricke aus geflochtenem Flachs und Kleiderfetzen waren jetzt um ihre Handgelenke geschlungen. Don Victor und de Mesonero hatten ihnen die Arme auf dem Rücken zusammengebunden. Außerdem hatten sie ihren Geiseln Stricke um die Fußknöchel geknotet, so daß diese nur kurze Schritte tun konnten. Schließlich hatten sie die Mädchen auch untereinander gefesselt, und somit war das Werk perfekt: Die jungen Mädchen bildeten eine lange Kolonne, die sich im Gänsemarsch durch den Wald bewegte und sich nicht auflösen konnte.

Don Victor schritt an der Spitze der traurigen Prozession und zerrte die erste Eingeborene an einem kurzen Tau hinter sich her. Die anderen Mädchen mußten ihrer Stammesschwester folgen, ob sie wollten oder nicht, aber die eine oder andere geriet immer wieder ins Straucheln und drohte auf dem Pfad, den der Kapitän und der Bootsmann entdeckt hatten, hinzufallen. Dann griff de Mesonero ein. Er ging ein paar Yards weiter hinten und achtete darauf, daß keine der Gefangenen sich allzu sehr gegen die Entführung sträubte. Hier und da half er durch grobes Zugreifen, durch Fluchen und Drohen oder durch derbe Hiebe auf die nur spärlich bekleideten Hinterteile der Mädchen nach.

Er lachte und rief: „He, Don Victor, Capitan, was haben wir doch für ein Riesenglück! Statt im Kampf gegen dieses Gesindel zu fallen wie der Rest unseres Trupps, sind wir auf ein Nest von Weibern gestoßen! Ich sage noch einmal: Das ist ein Wink des Himmels, und wir haben einen Schutzengel, der uns geholfen hat!“

Don Victor drehte sich zu ihm um und zischte: „Still! Willst du uns die Krieger durch dein Geschrei wieder auf den Hals locken?“

„Sollen sie doch kommen!“

„Ich an deiner Stelle würde das nicht auch noch heraufbeschwören.“

„Sie können uns nichts mehr anhaben, Capitan!“

„Aber sie können uns verfolgen, vergiß das nicht“, raunte Don Victor seinem Begleiter zu. „Sie können uns auf den Fersen bleiben, ohne daß wir sie bemerken. Sie können den richtigen Augenblick abpassen, um noch einmal über uns herzufallen.“

Mit drei langen Schritten schloß der Bootsmann zu dem Kapitän der Karavelle auf. „Die wagen es nicht, uns auch nur ein Haar zu krümmen, wenn wir ihren Frauenzimmern das Messer an die Gurgel halten“, sagte er. „Wir haben sie in der Hand, Capitan, glaube es mir. Fest in der Hand haben wir diese Hundesöhne.“

Don Victor warf ihm einen Blick zu, und der Bootsmann der „San Rosario“ vermochte im schwachen Mondlicht, das durch die Wipfel der Bäume drang, den zornigen Ausdruck in seinen Zügen zu erkennen.

„Eins sollte zwischen uns beiden von Anfang an klar sein“, sagte Don Victor gepreßt. „Nur einer hat das Kommando auf dem Schiff, auf das wir die Frauen als Sklavinnen verfrachten, und dieser Mann führt den Titel eines Kapitäns.“

„Si, Senor“, beeilte sich der schwarzhaarige, knebelbärtige Andalusier zu versichern. „Selbstverständlich unterstelle ich mich deinem Kommando, Capitan.“

„Also führst du auch jetzt meine Befehle aus, verstanden?“

„Si. Ja, gewiß.“

„Dann halte deinen vorlauten Mund“, sagte der Kapitän, während er die Mädchen weiter voranzerrte und sichernd nach allen Seiten Ausschau hielt.

„Ich werde mich bessern“, flüsterte der Bootsmann. „Aber in diesem Kanonendonner versteht man kaum sein eigenes Wort, und auch die Wilden werden nichts von dem hören, was wir plaudern. Senor, wenn wir die Weiber an Bord unseres Schiffes geschafft haben, wirst du mich dann befördern?“

„Ich werde dich zu meinem ersten Offizier ernennen, das verspreche ich dir.“

„Danke“, sagte de Mesonero und setzte wieder sein spöttisches, hinterhältiges Grinsen auf.

Don Victor de la Barca blieb plötzlich stehen, und fast prallte das Maori-Mädchen, das als erste hinter ihm schritt, gegen seinen Rücken. Der ganze Zug verhielt.

„Dios“, sagte Don Victor im anhaltenden Donner der Schiffsgeschütze. „Mein Gott, Ramon, es sind mehr als drei Schiffe, die da schießen. Ich meine, ich kann jetzt deutlich den Kanonenböller eines vierten Seglers hören.“

„Du meinst, diese Kannibalen haben wirklich Schiffe, wie du vermutet hast, und sie haben unseren Verband damit angegriffen?“

De la Barca versuchte, mehr aus den Schlachtgeräuschen herauszuhören, doch das Grollen und Wummern der Kanonen vermengte sich zu einem einzigen Geräusch, das wie der gewaltige Ausbruch eines Vulkanes über die Bucht fegte.

„Was ich glaube, braucht nicht zuzutreffen“, sagte er vorsichtig. „Aber wer immer sich da eingemischt hat, er Scheint unserem Verband schwer zuzusetzen.“

De Mesonero lachte leise. „Das kann uns doch nur recht sein. Wir nutzen die allgemeine Verwirrung aus und …“

„Vorausgesetzt, wir treffen noch rechtzeitig ein.“

„Weil man unsere beiden Galeonen und die Karavelle auf den Grund der Bucht schicken könnte?“

„Weil unser Verband die Flucht ergreifen könnte“, sagte de la Barca. „Der Comandante el Colmado und der Capitan las Albas wissen nicht, wie es uns beiden ergangen ist, aber notfalls lassen sie uns im Stich und gehen ankerauf, um Schlimmeres zu vermeiden.“

„Und um uns wie die anderen zu verheizen“, raunte der Bootsmann. „Sie haben ja nicht mal Verstärkung geschickt, als wir uns mit diesen verdammten Wilden herumgeschlagen haben. Da ist es nur recht und billig, daß wir auf unsere Art abmustern und uns auf eigene Beine stellen, Capitan.“

„Ja“, sagte de la Barca. „Los jetzt.“

Sie hasteten weiter, dirigierten ihre hilflosen Gefangenen durch den Busch und hielten ihre Waffen bereit, um eventuelle Angreifer sofort abwehren zu können.

Der Seewolf stand auf dem Quarterdeck der „Isabella VIII.“ und manövrierte sein Schiff an der größten Galeone des spanischen Verbandes vorbei. Dicht an Backbord hatte er sie liegen, höchstens zwanzig Yards entfernt, und dies wäre für den spanischen Kommandanten der beste Augenblick gewesen, dem so unvermittelt aufgetauchten Feind eine vernichtende Breitseite zu verpassen. Aber so sehr er sich das auch herbeisehnen mochte, die Erfüllung seines innigsten Wunsches scheiterte an der Tatsache, daß die Seeleute und Seesoldaten der Galeone die zwölf Backbordgeschütze auf der Kuhl immer noch nicht vollständig nachgeladen hatten.

Hasard konnte sie im fahlen Licht des Mondes an den Culverinen hantieren sehen. Eben hatten sie die Kartuschen in den Rohren versenkt, und jetzt schickten sie sich an, die schweren 17-Pfünder-Eisenkugeln hineinzuhieven. Aufgeregt schrien sie durcheinander. Zwei Drehbassen- und vier Culverinenschüsse der „Isabella“ hatten die Back und den vorderen Bereich der Kuhl ihres Schiffes getroffen. Das Schanzkleid der Backbordseite war teilweise zerfetzt und zerstückelt, und in der Bordwand klaffte ein häßliches Loch. Gut ein halbes Dutzend der Besatzung hatte es erwischt, vielleicht auch noch mehr. Das Stöhnen und Wimmern der Schwerverwundeten, die neben den verkrümmten Gestalten der Toten an Deck lagen, ließ die Panik ihrer unversehrten Kameraden wachsen.

Drüben, auf der zweiten Galeone des spanischen Verbandes und auf der lateinergetakelten Karavelle, blitzten wieder die Geschütze auf. Im herüberhuschenden Schein der Mündungslichter vermochte der Seewolf den Namen des Flaggschiffes zu entziffern, der in verschnörkelten Lettern auf den Backbordbug gepinselt war.

„San Rosario“.

Für den Bruchteil eines Augenblickes wurde auch die dicke Gestalt des Kommandanten auf dem Achterdeck dieser „San Rosario“ gespenstisch erhellt: ein nervöser Mann, wie Hasard erkannte, einer, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Als die „Isabella“ in die große Bucht der Südinsel eingelaufen war, hatte dieser sofort eine volle Breitseite zu ihr herübergeschickt – und der Seewolf und seine Männer hatten den Spanier von Anfang an richtig eingeschätzt. Als „Wahnsinnsknaben“ und „vollendeten Narren“ hatten sie ihn taxiert, und diese Beurteilung schien tatsächlich der Wahrheit zu entsprechen.

 

„Sieh ihn dir an, diesen Hitzkopf von einem Don!“ rief Hasard Ben Brighton, seinem ersten Offizier und Bootsmann, zu. „Er scheint erst jetzt zu begreifen, welchen Fehler er begangen hat!“

„Soll ich unsere zweite halbe Backbordbreitseite auf ihn abfeuern lassen?“ fragte Ben.

„Nein, die sparen wir uns auf!“

Die Kugeln der zweiten spanischen Galeone und der Karavelle heulten heran, doch die Distanz war noch zu groß für ein paar sichere Treffer, außerdem beeinträchtigte die Dunkelheit das genaue Zielen. Rauschende Wasserfontänen stiegen vor der „Isabella“ auf, die jetzt herumholte und wendete, um über Steuerbordbug liegend mit dem Westwind zu segeln. Nur eine Kugel des Gegners bohrte sich krachend und knirschend in die Galion. Doch es schien – soweit Hasard und Ben es von ihrem Stadort aus erkennen konnten – kein allzu großer Schaden zu sein, denn der Bugspriet und die Blinde blieben ganz und neigten sich um keinen Zoll dem Wasserspiegel zu.

„Neunpfünder-Kaliber!“ schrie Al Conroy von der Back herüber. „Die Lady hat ein Loch in der Brust, aber es ist kein sehr großes!“

„Dafür werden wir diesen Hundesöhnen das Fell in Streifen abziehen!“ brüllte Edwin Carberry auf der Kuhl. „Das werden wir ihnen heimzahlen, diesen blutrünstigen Haien!“

„Sir!“ rief Bill, der Moses, aus dem Großmars nach unten. „Der Don läßt das Musketenfeuer auf uns eröffnen!“

Hasard, der für kurze Zeit voraus gespäht hatte, richtete seinen Blick jetzt wieder nach Backbord und sah, wie einige der Spanier auf der „San Rosario“ von den Backbordgeschützen abließen und Musketen und Tromblons in Anschlag brachten. Ihr beleibter Kommandant rannte auf dem Achterdeck auf und ab, fuchtelte wild herum und schrie so laut, daß auch die Seewölfe es durch den verhallenden Kanonendonner vernehmen konnten.

„Schießt sie zusammen! Laßt sie nicht entwischen! Räumt ihre Decks leer! Feuer! Feueeeer!“

„Deckung!“ rief der Seewolf.

Die Männer der „Isabella“ duckten sich und zogen die Köpfe ein, und dann krachten die Handfeuerwaffen der Spanier auch schon los. Mit harten, pochenden Lauten schlugen die Kugeln ins Schanzkleid der „Isabella“. Sie pfiffen flach übers Deck, und der Blei- und Eisenhagel der Blunderbüchsen prasselte gegen die Backbordbatterie.

Ben, der sich neben seinem Kapitän hinter das Ruderhaus gekauert hatte, stieß hervor: „Dieser Scheißkerl von einem Don scheint bei allem Schwachsinn doch auch ein großer Witzbold zu sein. Glaubt er vielleicht, er …“

„Warte, Ben“, sagte Hasard. Er schaute auf und suchte mit seinem Blick die Gestalten von Big Old Shane und Batuti.

Ja, der graubärtige Riese und der schwarze Herkules waren in den Großmars und Vormars aufgeentert, wie er es ihnen befohlen hatte. Hasard brauchte jetzt nur noch einen Pfiff auszustoßen und zu schreien: „Shane, Batuti – Feuer frei auf die Dons!“ – und schon flammten die Brandpfeile auf und huschten zum Oberdeck und zur Takelage des Gegners hinüber.

Im Nu war drüben der Teufel los. Das Musketenfeuer der Spanier setzte aus. Zwei, drei Männer der „San Rosario“ brachen getroffen zusammen. Ein Pfeil – ob nun von Shane oder dem Gambia-Mann abgeschossen, ließ sich nicht mehr feststellen – bohrte sich in eine neben einer Culverine bereitliegende Segeltuchkartusche, zündete sie und brachte sie zum Explodieren. Während sie krachend zerfetzte, züngelten aus dem Rigg des Spaniers die Flammen hoch. Im Nu loderten das Großsegel, das Großmarssegel und das Kreuzsegel. Der Kommandant und seine Mannschaft hatten plötzlich alle Hände voll damit zu tun, den Brand zu löschen.

Hasard wandte sein Gesicht Ben Brighton zu und grinste. „So, Ben, jetzt kannst du weiterreden“, sagte er.

Ben lachte. „Ich meinte nur, er glaubt doch wohl nicht, uns mit seinen dämlichen Musketenkugeln stoppen zu können.“

„Er schafft es nicht. Wir sind ja schon an ihm vorbei und lassen ihn Backbord achteraus liegen.“

„Weißt du, was ich mich frage?“

„Ja. Wer der Kommandant ist, woher er stammt und welcher Dummkopf ihn auf diese Reise geschickt hat“, sagte der Seewolf. „Darüber denke ich auch schon die ganze Zeit nach.“

Weder Ben noch er ahnten, daß der tatsächliche Kommandant des spanischen Verbandes, Don Lucas el Colmado, mit einem achtzehnköpfigen Trupp von Männern eine halbe Stunde vor dem Eintreffen der „Isabella“ am Ufer der Bucht gelandet war, um nach dem verschollenen Kapitän de la Barca und dem Bootsmann el Mesonero zu suchen.

Der Trupp war von Maoris angegriffen worden wie de la Barcas und de Mesoneros Gruppe, doch dank der Rückendeckung durch die drei Schiffe des Verbandes war es Don Lucas gelungen, den Angriff zurückzuschlagen und in den Urwald einzudringen.

Fassungslos kehrten Don Lucas el Colmado und seine Begleiter jetzt aus dem Farndickicht zurück und beobachteten, was sich in der Bucht abspielte.

Die „Isabella“ war soeben an der „San Rosario“ vorbeigesegelt und eröffnete jetzt das Feuer auf die Galeone „Sebastian Guma“, die drohend auf sie zuglitt.

Zuerst sprachen die achteren vier Backbord-Culverinen der „Isabella“, dann ihre inzwischen nachgeladenen vorderen Drehbassen – und wenig später auch die vorderen vier 17-Pfünder, die in aller Eile neu gestopft worden waren.

Ein Feuerwerk von Brand- und Pulverpfeilen empfing die Zweimast-Karavelle „San Biasio“, die nun ebenfalls näher an den Gegner heranmanövrierte, um der in Bedrängnis geratenen „Sebastian Guma“ beizustehen.

Don Lucas’ Blick wanderte zu den schemenhaften Schatten ab, die von allen Seiten durch das Wasser der Bucht auf die im Kampf liegenden Segelschiffe zueilten. Es waren die voll besetzten Kriegskanus der Maoris – zwanzig, dreißig, nein, noch mehr!

Daß die Maoris der Nordinsel dem Seewolf mit zwanzig Kanus gefolgt waren, um ihm in dieser Schlacht beizustehen, konnte Don Lucas nicht wissen. Doch selbst wenn er es erfahren hätte, an der Lage hätte dies nichts geändert.

Der spanische Verband befand sich in höchster Bedrängnis. Die Verblüffung in el Colmados Zügen wich einem Ausdruck des Entsetzens und der Ratlosigkeit. Erschüttert sah er wieder zu der brennenden „San Rosario“, seinem Flaggschiff.

„Don Vicente las Albas“, flüsterte er. „Sie werden dich vernichten. Madre de Dios, heilige Mutter Gottes, warum habe ich dich nur als meinen Stellvertreter an Bord der ‚San Rosario‘ zurückgelassen?“

Die Antwort lautete: Er, Don Lucas, hatte eben keinen besseren Mann zur Verfügung gehabt als den dicken Kapitän der „Sebastian Guma“. So hatte er schweren Herzens Don Vicente das Kommando übertragen müssen. Denn Don Victor de la Barca und der Bootsmann der „San Rosario“ waren im Dschungel verschwunden und fielen also aus. Und der erste und der Zweite Offizier der „San Rosario“ waren auch nicht besser als las Albas. So hatte es sich ergeben, daß Don Vicente für die Zeit der Abwesenheit von Don Lucas die Leitung des Dreierverbandes erhielt, zumal er sich ja gerade an Bord des Flaggschiffes befunden hatte. Und: Don Lucas hatte ihn durch diesen Auftrag auf die Probe stellen wollen. Er hatte ihm eine Chance zur Bewährung gegeben.

Aber diese Chance war von Don Vicente verspielt, und dem Verband drohte ein jämmerliches Ende. Wer war dieser Teufel, der wie der Blitz zwischen die Spanier gefahren war? Don Lucas wußte es nicht. Er hatte nicht einmal einen vagen Verdacht, um wen es sich bei diesem Gegner handeln konnte – bis er wenig später die Flagge mit dem roten Georgskreuz im Besantopp der feindlichen Galeone flattern sah. Da fiel es dem Kommandanten wie Schuppen von den Augen.

„Der White Ensign“, murmelte er. „Die Flagge der Engländer – und, allmächtiger Gott im Himmel, dieses Schiff mit den sehr hohen Masten und den flachen Aufbauten – das kann doch nur …“

„Senor“, stieß einer seiner Begleiter, ein Sargento von der „San Rosario“, hervor. „Senor, unsere drei Jollen liegen nach wie vor an dem Platz, an dem wir sie zurückgelassen haben! Wir sollten versuchen, sie zu erreichen, ehe die Wilden uns den Weg zu den Schiffen abschneiden.“

Don Lucas gab sich einen inneren Ruck. „Ja. Danke, Sargento. Los, laufen wir! Schieben wir die Boote ins Wasser und pullen wir zur ‚San Rosario‘, um zu retten, was noch zu retten ist!“

Er rannte als erster los, quer über den Sandstrand der „Bucht des Massakers“ – wie er sie getauft hatte – hinüber zu den drei Jollen.

Wieder brüllten die Kanonen, krachten Musketen, zischten Brandpfeile, und auf der „Sebastian Guma“, dröhnte plötzlich eine Explosion, die von der ersten Flaschenbombe verursacht worden war, die Ferris Tucker in dieser Nacht mit seiner „Höllenflaschenabschußkanone“ auf die Reise geschickt hatte.

2.

Don Victor de la Barca, Ramon de Mesonero und die sechsundzwanzig Mädchen hatten das Ende des Buschpfades erreicht. Nur noch hundert Schritte konnten sie vom Ufer trennen, so rechnete der Kapitän der „San Biasio“, sich aus, und diese kurze Entfernung würden sie innerhalb weniger Minuten überbrückt haben. Ein Stück undurchdringlich wirkenden Farngestrüpps, in dem es keinen Weg gab, dehnte sich jetzt vor ihnen aus. Gerade dort gab es für die Eingeborenen die besten Versteckmöglichkeiten. Dort waren de la Barca und de Mesonero mit ihren Trupps aus dem Hinterhalt überfallen worden.

Deshalb raunte der Kapitän seinem bärtigen Begleiter zu: „Wir müssen jetzt besonders auf der Hut sein. Wenn die Wilden uns packen wollen, dann tun sie es hier.“

„Capitan, ich versichere es dir noch einmal: Sie greifen uns nicht an.“

„Wir sind nur zu zweit, vergiß das nicht.“

„Ich denke die ganze Zeit über daran. Aber der Hauptgrund dafür, warum wir uns sicher fühlen können, besteht meiner Ansicht nach darin, daß der Urwald jetzt menschenleer ist – bis auf uns, versteht sich.“

„Die Wilden sind alle in der Bucht?“ fragte de la Barca zweifelnd.

„Ja. Hör doch.“

Sie lauschten wieder dem Dröhnen der Kanonen und dem Geschrei, das vom Wasser zu ihnen herüberdrang. Sie sahen auch das Feuer, das auf einem der Schiffe ausgebrochen war. Hell wie ein Fanal loderte es in der Nacht und wies ihnen den Weg zu ihrem Ausgangspunkt.

„Ich will uns beiden wünschen, daß du recht behältst“, sagte der Kapitän leise. Dann übernahm er wieder die Führung des Zuges.

Es war kein leichtes Stück Arbeit, die Mädchen durch das dichte, feuchte Gesträuch zu führen. Zwei von ihnen, die ungefähr in der Mitte der Kolonne schritten, ließen sich plötzlich sogar absichtlich sinken und sträubten sich dagegen, den Marsch zur Bucht fortzusetzen. Aber de Mesonero zückte sein Messer und beugte sich zu ihnen nieder. Er brauchte nur dem jüngeren Mädchen die Klinge an die Kehle zu setzen und ein paar drohende Worte auszustoßen, da rappelten sie sich wieder auf und stolperten weiter, zitternd vor Angst.

Die Maori-Mädchen begriffen kein Wort von dem, was die beiden Männer sprachen. Doch sie verstanden aus deren Gebärden genug, um zu wissen, was ihnen blühte, falls sie Widerstand leisteten. De la Barca und de Mesonero würden nicht zögern, ein Exempel zu statuieren, falls dies nötig war.

Ja – sie würden eins der Mädchen töten, wenn die Situation es erforderte. Dies hatten sie sich von Anfang an vorgenommen.

Ramon de Mesonera hatte in dieser Beziehung nicht die geringsten Skrupel. Don Victor de la Barca hingegen war durchaus in der Lage, menschliche Gefühle für die Eingeborenen zu entwickeln, aber auch er wurde zu diesem Zeitpunkt nur von einem Gedanken beherrscht: daß nämlich das eigene Leben mehr wert war als das einer Gruppe von Mädchen. Daß es heute nacht die bloße Haut zu retten galt und alle anderen Empfindungen hinter diesem übermächtigen Drang zurückzustehen hatten.

Unbehelligt gelangten sie durch das Farndickicht bis zum Ufer. Fast stimmte es Don Victor mißtrauisch, daß ihnen nichts geschah – waren sie doch bei ihrem ersten Vorstoß so jäh und grausam angegriffen worden.

Doch dann rief er sich wieder de Mesoneros Worte ins Gedächtnis zurück. Er mußte ihm endgültig recht geben, als sie vom Saum des Gebüsches aus über die Bucht sehen konnten. Alle Aktivitäten der Maoris schienen sich jetzt wirklich auf die Schlacht zu Wasser zu konzentrieren. Im Schein des Feuers, das aus der Takelung der „San Rosario“ aufstieg, und im Aufblitzen der Kanonen waren sehr deutlich die Kriegskanus zu sehen, von denen es in der Bucht zu wimmeln schien.

 

Alle Kanus hatten Kurs auf die spanischen Schiffe genommen. Wilde, bunt tätowierte Gestalten hockten darin, je zwei Dutzend pro Boot, und stachen ihre Paddel in die Fluten. Die Krieger, mit Speeren, Keulen und Ästen bewaffnet, trafen Anstalten, die „San Rosario“, die „Sebastian Guma“ und die „San Biasio“ zu entern.

„Al diablo“, sagte de la Barca. „Das ist das Ende unserer Expedition.“

„Was schert uns noch unsere Mission?“ zischte der Andalusier. „Wir wären doch so oder so abgesprungen, Capitan. Hast du etwa Gewissensbisse?“

„Die Kameraden …“

„Sie werden nicht alle sterben, keine Angst.“

„Wir müssen uns beeilen, sonst gelingt es uns nicht mehr, eins der Schiffe zu nehmen“, stieß der Kapitän hervor. „Siehst du den fremden Segler?“

„Und ob! Sein Kapitän muß den Teufel im Leib haben! Ho – er führt die englische Flagge. Verfluchte Engländer, wie sind die Hunde nur hierher, ans Ende der Welt geraten?“

„Das können wir später erörtern. Siehst du die drei Jollen, die dort liegen, keine fünfzig Schritte von uns entfernt?“

„Si, Senor. Es sind die Beiboote unserer Schiffe.“

„Also hat der Kommandant doch Verstärkung an Land geschickt, um uns zu helfen.“

„Leider zu spät, viel zu spät“, sagte der Bootsmann der „San Rosario“ mit verkniffener Miene. „Capitan, nehmen wir uns die Jollen und pullen wir los. Es wird nicht so einfach sein, die Weiber zum Verband hinüberzuschaffen, wir brauchen dazu mindestens zwei Jollen, und wir beide werden kräftig pullen müssen.“

„Notfalls lassen wir einige Mädchen an Land zurück.“

„Ja. Zehn Mädchen pro Boot, das dürfte wohl genug sein.“

„Richtig“, flüsterte Don Victor de la Barca. „Aber los jetzt, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.“

De Mesonero hielt ihn plötzlich am Arm zurück. „Warte, Capitan. Sieh doch – da stürmt unser Kommandant höchstpersönlich heran, und er hat eine Meute unserer Männer bei sich. Sie halten genau auf die Boote zu!“

„Verdammt“, preßte de la Barca zwischen den Zähnen hervor. „Hölle und Teufel, jetzt geht doch noch alles schief. Sie schnappen sich die Jollen, und wir haben das Nachsehen.“

Don Lucas el Colmado hatte die Boote fast erreicht, da wurde er auf eins der Kriegskanus der Maoris aufmerksam. Es hatte sich vom Rest des starken Kanuverbandes gelöst und steuerte plötzlich auf das Ufer zu. Seine Insassen schienen den Trupp Spanier entdeckt zu haben und schossen jetzt mit ihrem Fahrzeug heran, um den Feind daran zu hindern, an Bord der Schiffe zurückzukehren.

Don Lucas wandte sich zu seinen Männern um.

„Alle zu mir!“ rief er ihnen zu. „Wir nehmen Deckung hinter den Jollen und warten ab, bis die Wilden nah genug heran sind. Es wird erst geschossen, wenn ich den Befehl dazu gebe!“

So schnell sie konnten, duckten sich die Spanier hinter die Jollen. Ehe die Maoris ihre Speere und Streitäxte schleuderten, hatten sie ihre Musketen und Tromblons, Arkebusen und Pistolen in Anschlag auf das rasch herangleitende Kanu gebracht.

Schnell schrumpfte die Distanz zwischen den gegnerischen Parteien. Die Eingeborenen schienen jetzt jedoch ihren Kurs zu ändern. Statt wie bisher direkt auf die drei Schiffsbeiboote zuzuhalten, wandten sie sich etwas weiter nordwestwärts und bereiteten sich auf die Landung an dem freien Stück Strand vor, das sich neben den Jollen erstreckte.

„Senor“, zischte der Sargento von der „San Rosario“ seinem Kommandanten zu. „Sollten sie am Ende gesehen haben, daß wir hier in Deckung gegangen sind? Glauben sie vielleicht, daß wir uns in den Busch zurückgezogen haben?“

„Nein“, erwiderte Don Lucas. „Sie haben uns so gut beobachtet, wie auch wir sie gesehen haben. Sie wollen uns nur in die Seite fallen, das ist es. Wenn sie mitten zwischen die Jollen steuern, laufen sie Gefahr, stark in ihren Bewegungen behindert zu werden.“

„Senor“, raunte einer der Seesoldaten hinter seinem Rücken. „Jetzt springen sie an Land. Sehen Sie doch!“

„Noch nicht schießen“, sagte Don Lucas el Colmado leise.

„Sie bringen uns alle um“, flüsterte der Soldat.

„Halten Sie den Mund, und reißen Sie sich gefälligst zusammen“, zischte der Kommandant ihm wütend zu. „Kein Wort mehr, verstanden?“

Der Soldat schwieg, doch ein Seemann murmelte jetzt: „Es ist unser aller Tod. Diese Kannibalen haben allesamt den Teufel im Leib. Wie sonst hätten sie unseren Verband jemals in Bedrängnis bringen können?“

Don Lucas wollte sich auch an ihn wenden. Doch der weitere Verlauf der Ereignisse verlangte seine volle Konzentration. Plötzlich ertönte im Dickicht hinter den Rücken der Spanier der verzweifelte Schrei einer Mädchenstimme. Die Maoris, die sich geduckt auf die Jollen zubewegten, verharrten für einen Moment und richteten ihre Blicke auf das Gebüsch.

„Jetzt“, raunte Don Lucas seinen Männern zu.

Die Läufe der Musketen, Arkebusen und Tromblons ragten über die Jollen. Jäh ruckten sie zurück und spien ihre Ladungen aus. Die Mündungsblitze waren hellgelbe Lanzen in der Nacht.

Die tätowierten Gestalten in der vordersten Front der heranrückenden Feindesschar brachen zusammen, aber die nachfolgenden Krieger sprangen über die schlaff werdenden Körper ihrer Stammesbrüder und stürzten sich mit Geschrei auf die Spanier.

Don Lucas gab das Zeichen, die Pistolen abzufeuern. Krachend brachen auch die Schüsse dieser Waffen, und wieder sanken sechs, sieben oder noch mehr Maoris auf dem Strand zusammen.

Aus dem Dickicht war jetzt ein ersticktes Wimmern zu vernehmen, das nach Don Lucas’ Ansicht von demselben Mädchen herrührte, das vorher geschrien hatte. Doch zu sehen war sie nicht, und so konnte der Spanier nur vermuten, daß sie versucht hatte, ihre anschleichenden Brüder zu warnen oder auf etwas hinzuweisen.

Es waren immer noch mehr als zehn Eingeborene, die den Sturm auf die Jollen fortsetzten und sich jetzt mit gezückten Steinkeulen, Streitäxten und Lanzen auf ihre Gegner stürzten.

Don Lucas und seine Männer warfen die leergeschossenen Musketen, Arkebusen, Tromblons und Pistolen in den Sand, sprangen auf und zückten die Säbel und Degen. Sie stellten sich den Maoris, indem sie eine lebende Barriere vor den drei Jollen bildeten.

Die Maoris wichen nicht zurück. Mit haßerfüllten Rufen drangen sie auf die Spanier ein. Im Nu entbrannte ein wildes Handgemenge.

Don Lucas schritt degenschwingend auf die Eingeborenen zu, stach einen von ihnen nieder und wandte sich dem nächsten zu, mußte dann aber sehr schnell ausweichen, weil eine aus Knochen geschnitzte Speerspitze auf seinen Leib zuzuckte.

Dicht hinter sich hörte er den Sargento aufschreien. Don Lucas gewahrte durch einen Seitenblick, daß er getroffen war. Mit einem letzten gurgelnden Laut, der im neuerlichen Donnern der Schiffsgeschütze unterging, hauchte der Mann sein Leben auf dem Strand des neuen, fremden, ihnen so feindlich gesonnenen Landes aus.

Zorniger hieb und stach Don Lucas el Colmado mit seinem Degen zu, und auch seine Begleiter kämpften mit dem wilden Mut der Verzweiflung. Doch die Maoris waren harte Gegner, erfahrene Kämpfer, deren Spezialität gerade diese Art der Auseinandersetzung zu sein schien – Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Immer mehr Spanier fielen unter den auf sie einprasselnden Keulen- und Axtschlägen. Don Lucas fühlte Panik in sich aufsteigen. Nie hätte er damit gerechnet, an diesen Gestaden einen so erbitterten Gegner anzutreffen. Wenn er auch nicht daran geglaubt hatte, die Bewohner des unbekannten Landes auf Anhieb zu unterwerfen, so hatte er sich doch keinesfalls ausgemalt, daß sie seine Schiffsmannschaften dezimieren könnten.

Eine Jadeit-Keule sauste von links auf seine Schulter nieder, und nur im allerletzten Augenblick konnte er durch einen Sprung ausweichen. Er nahm dem Hieb die größte Wucht, doch immer noch war er dem Gegner so nah, daß die steinerne Waffe seine Schulter zumindest streifte.

Heftiger Schmerz durchzuckte Don Lucas’ Schulter. Er krümmte sich, focht aber mit rechts weiter und konnte sich noch glücklich schätzen, daß es nicht seine rechte Schulter getroffen hatte. Mit einem Aufschrei ohnmächtiger Wut warf er einen Eingeborenen zurück, der sich ihm mit einem Speer entgegenstellte, fuhr dann zu dem Keulenmann herum, der zu einem neuen Schlag ausholte, und senste dessen Attacke durch zwei blitzartig geführte Streiche nieder.

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