Kümmer dich ums Kätzchen

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Kümmer dich ums Kätzchen
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sara Jacob

Kümmer dich ums Kätzchen

Erotischer Roman

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Am Anfang war…

Sieh mal an

Gelegenheiten

Entdeckung

Zugzwang

In den dunkelsten Ecken

Hausfriedensbruch

Einbruch

Die Tür steht noch offen

Kochtopf

Meer

Noch mehr

Ab ins Fantasialand

Fantasialand

Zurück im Schuppen?

Wehe, wenn sie losgelassen

Kätzchen

Kümmer dich

Impressum neobooks

Am Anfang war…

1.

Die Tür zu unserem Abteil öffnet sich für den ersten Schaffner, dem wir auf dieser Fahrt unsere Tickets zeigen. Niedersachsen ist am Ende, nächster Halt Amsterdam. Kaum ist die Tür wieder zu, grinst mich Maike an.

»Ich glaub das ja immer noch nicht, dass wir tatsächlich unterwegs sind«, sagt sie aufgeregt. Sie sitzt so aufrecht in ihrem Sitz, als hätte sie ein Brett im Rücken. Ihre kurzen dunkelblonden Haare hat sie hinter die Ohren gestrichen. Wenn sie grinst, bekommt sie ganz schmale Augen und einen breiten Mund, die Lippen fest zusammengepresst. Ich denke dabei immer an Meg Ryan.

Unter ihrer dunkelgrünen Windjacke blitzt weiße Schrift auf einem grauen T-Shirt. who killed Laura lese ich. Links fehlt I know und rechts Palmer. Das Bekenntnis des Spielverderbers auf ihrem T-Shirt wird besonders bei den Wörtern who und Laura in die Breite gezogen. T-Shirt. Habe ich genug dabei? Ein wenig zu spät, darüber nachzudenken. Sieben T-Shirts für vier Wochen. Wenn ich jedes T-Shirt zwei Tage anziehe, muss ich erst in Madrid waschen. Bei Unterhosen und Socken passt die gleiche Rechnung. Eine Jeans, zwei Shorts, Badelaken, Händehandtuch, und voll ist der Rucksack.

Im Gang vor den Abteilen trampeln sich die zugestiegenen Fahrgäste beinahe über den Haufen. Nicht wenige tragen große Rücksäcke, Schlafsack oben, Zelt unten, Trinkflasche in der Seitentasche, Schuhe mit den Schnürsenkeln an den Laschen festgebunden.

Vor dem halb heruntergezogen Fenster knattert der Wind. Unseren ersten Tag auf Achse habe ich mir anders vorgestellt, mit Sonne und blauem Himmel, Hitze und Alkohol. Sollten wir nicht ein paar Bier öffnen? Frank hatte versprochen, einen Sechserträger mitzubringen, für jeden ein Bier, um auf die große Fahrt anzustoßen. Doch es scheint, als habe uns der Regen auch die Lust auf Bier vermiest.

»Wir haben es uns auch unheimlich leicht gemacht«, sagt Frank. »So können wir immer die Sechserzimmer in den Jugendherbergen mieten.«

In seiner Stimme liegt unangebrachte Ironie. Er ist schließlich im Dezember als letzter zu unserer Gruppe gestoßen und hat unsere Gruppe erst so groß gemacht. Aber zu fünft hätten wir es auch nicht leichter.

Frank dreht selber, raucht Kette, hält einen Mercedes schlicht für ein Fortbewegungsmittel und schwärmt von der sozialistischen Revolution. Sein Vater ist Abteilungsleiter bei einem der größten Arbeitgeber in Burghausen, einem Zulieferer für die Automobilindustrie. Frank hat stets einen blöden Spruch auf den Lippen und lässt seine Hemden immer offen, damit man seine behaarte Brust unter dem tief ausgeschnittenen T-Shirt besser sehen kann.

Manchmal glaube ich, er fährt am Wochenende nach Hamburg in die Hafenstraße und schmeißt zusammen mit Hausbesetzern Steine auf die Polizei. Er hat trotz seines proletenhaften Verhaltens immer etwas Elitäres, Distanziertes.

Er redet nicht viel und seinem Schweigen entnehme ich abgrundtiefe Verachtung für die pubertären Spielchen in unserem Jahrgang. Ich bewundere ihn manchmal für seine Coolness, auch Fabian redet immer mit viel Respekt von Frank, der als einziger in meinem Freundeskreis einen so dichten Bartwuchs hat, dass er sich jeden Tag rasieren müsste.

In diesem Punkt tut er mir ein bisschen leid, aber ich versuche mir diese Abneigung gegen Körperbehaarung nicht anmerken zu lassen. Nur einmal ist mir ein ‚haariger Affe’ herausgerutscht. Daraufhin habe ich mir von ihm anhören müssen, ich könne mich mit einem trockenen Brötchen rasieren.

Stört mich nicht.

Frank war nie ganz Teil unserer Clique, und es überrascht keinen, dass seine zahlreichen Freundinnen nicht auf unsere Schule gehen.

»Aber es gibt doch kaum Sechserzimmer«, sagt Katja mit großen Augen. Wieder einmal hat sie ihre mittellangen, dunkelbraunen Haare mit einer silbernen Spange gescheitelt. Braves Mädchen.

Sie hat die Ironie in Franks Stimme nicht erkannt, aber das ist nichts Neues. Ich halte sie insgeheim für eine naive, dumme Nuss, die sich in der katholischen Dorfjugend engagiert.

Vor einem Jahr wurde der Kontakt zwischen uns enger. Das lag an einem von meinem Biolehrer nur spöttisch Kuppelvirus genannten Phänomen.

Es infizierte kurz nach den Sommerferien unseren Jahrgang. Maike und Fabian kamen zusammen, Maikes beste Freundin Bettina und der Rüpel des Jahrganges wurden ein Paar. Und in der zweiten Clique meines Jahrgangs, bei den Strebern, fanden sich ebenfalls zweimal zwei Herzen, selbst ich wurde leider von diesem Virus angesteckt.

Katja wiederum fand in Gregor, einem Freund von Fabian und mir, ihre verlorene Hälfte. Ihr Traummann, unser Traumpärchen. Beide katholisch und aus Meggelde, einem Kaff vor den Toren unserer Kleinstadt. Meggelde – wer aus diesem Dorf kommt, kann nur einen Schuss haben. Klingt wie eine Krankheit. Entschuldigung, sagt der Arzt nach der Untersuchung, aber Sie haben Meggelde.

Jeden Morgen kamen sie mit dem Schulbus, jeden Nachmittag fuhren sie wieder zusammen zurück. In der Folge wurden die Partys, die regelmäßig im Haus von Fabians Eltern stattfinden, um einige Personen erweitert.

Maike brachte Bettina mit. Ihr Freund, der Rüpel, entpuppte sich nach dem Fall einiger Masken als handzahm. Er war mit dem langhaarigen Musiker unseres Jahrgangs befreundet. Der Musiker kannte Frank. Frank war schwer in Ordnung. Die Kontakte verschränkten, das Netz verdichtete sich.

Der Kuppelvirus grassierte ein Jahr, bis wir nacheinander immun wurden. Die ersten Anzeichen der Resistenz zeigte ich bereits nach einem Monat, anschließend brachen die Beziehungen Schritt für Schritt auseinander. Bettina und Rüpel – Geschichte. Streberherzen – gebrochen. Fabian und Maike sind die letzten Infizierten, denn kurz vor unserem Interrailurlaub trennten sich auch Gregor und Katja.

Wochenlang erlebten wir eine griechische Tragödie auf dem Schulhof. Tränen, Flehen, Flüstern, die Kann-ich-dich-mal-sprechen-Frage, die Partys, auf denen Gregor stundenlang mit Katja im Garten stand und sich anhörte, was er nicht wissen wollte. Hoffnung in Katjas Augen, Distanz in Gregors Blick, und die ersten blöden Witze über sie. Wir waren dennoch in dieser Konstellation losgefahren.

Gregor war schließlich unser Freund, ohne den wir nicht fahren wollten. Ohne Gregor, der sich zwei Wochen vor der Fahrt den linken Arm gebrochen hat und auf der Reise einen leichten, unkomplizierten Gips um den Unterarm trägt, blättert in einem Buch von T.C Boyle, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Wir finden, dass er sich damit von seinem Vater abgrenzen will, dem Autoverkäufer, dem Proleten. Sein größtes Ziel ist ein Medizin- oder Jurastudium in Hannover mit dem Geld seines Vaters. Fabian betont gerne, dass Gregors Unterhose mehr kostet als mein gesamtes Outfit.

»Das war ein Scherz, Katja«, sagt Gregor, schlägt sich mit der freien Hand an die Stirn und zieht eine Grimasse.

»Dafür gibt es Sechserabteile, vor allem in Schlafwagen. Ist doch super«, sagt Fabian. So kenne ich ihn. Loyal, nie auf Streit aus. Lange Jahre war Fabian mein einziger Verbündeter. Immer auf der Suche nach dem Mädchen, das ihm gefiel und dem er sich anvertrauen konnte. Genauso erfolglos wie ich, genauso wählerisch, genauso einsam.

Zusammen gehen wir jede Woche ins Kino oder gucken nächtelang Video. Anschließend reden wir nicht über die Filme, das brauchen wir nicht. Wir verstehen uns wortlos. Meine Mutter kam einmal sogar in mein Zimmer, um zu sehen, was wir so treiben. Nichts, natürlich, außer Video gucken. So ein Quatsch, als ob ich jemals mit Fabian irgendetwas treiben würde.

 

Ich mag Fabian wie einen Bruder.

Wir waren eines Abends bei Gregor auf einer Party und hatten die Nacht durchgemacht. Morgens saßen wir im Arbeitszimmer von Gregors Vater auf unseren Schlafsäcken und quatschten über Mädchen. Wir hatten beide Beulen in den Unterhosen. Nichts war passiert. Was wir so treiben. So ein Quatsch. Wir waren Leidensgenossen. Mehr nicht.

Bis zu dem Sommer vor einem Jahr, als er Maike fand. Sie wohnt bei ihm um die Ecke. Das ist sehr bequem. Manchmal glaube ich, diese Bequemlichkeit spielt eine größere Rolle als ihr Charakter, ihr Aussehen oder ihre Liebe. Aber das streitet Fabian ab. Nur einmal hat er mir nach einer dieser Fragen Neid vorgeworfen, weil er eine Freundin hat und ich nicht. Dabei gönne ich ihm sein Glück mit Maike wirklich.

Der Zug rattert über eine Weiche, schwankt, lärmt. Jemand reißt die Tür zum Abteil auf. Ein verpeilt aussehender Typ mit langen Haaren und Grungebart lässt seinen Blick über die sechs belegten Plätze gleiten. Wie zugedröhnt musst du sein, um nicht schon vom Gang aus zu sehen, dass hier kein Platz mehr ist. Wortlos schließt er die Tür wieder, zu schwungvoll, denn sie springt wieder auf. Im Gang raucht jemand. Fabian beschwert sich und zieht die Abteiltür zu.

Ich habe nicht gedacht, dass wir mal zusammen in den Urlaub fahren. Doch es ist die einzige Rettung in diesem Sommer. 31 Tage lang muss ich nicht die Stufen zu unserer kleinen Wohnung in der vierten Etage in der hässlichsten Wohnsiedlung von Burghausen nehmen, mich nicht in mein schmales Bett legen, meiner Mutter nicht beim Heulen in der Küche zuhören.

Der letzte Urlaub mit meiner Mutter war ein Alptraum. Wir haben meine Großeltern besucht, letzten Sommer. Nur sie und ich, und zuhause wartete die Austauschschülerin von Maike, eine niedliche Französin, die mich so sehr fasziniert hatte, wie kein fremder Mensch zuvor, der ich auf einer Party in den ersten Ferientagen die Frage stellte, was Cul hieße, Teil des Titels eines Film von Roman Polanski, und Katja, die immer besser Französisch sprach und Francoise, die Austauschschülerin, kicherten verlegen.

Ich weiß, wie ich überrascht zurücklächelte. Ob ich keine Ahnung habe, was es bedeuten könne, und ich sagte, der Rest des Titels laute de Sac, Cul des Sac, und die beiden lachten, nicht verlegen sondern freundlich.

»Das heißt Sackgasse«, sagte Francoise. »Und Cul alleine heißt Hintern.«

Als ich rot wurde, lachten Katja und Francoise wieder. Meine Mutter machte mit diesem blöden Trip zu meinen Großeltern nach München alles kaputt. Als ich zurückkam, war Francoise wieder in ihrer Heimat und ich um eine Chance ärmer. Nie wieder fahre ich mit meiner Mutter in den Urlaub, ich werde sie nicht einmal anrufen, ich werde ihr einen Brief schreiben und sie bitten, mich in Ruhe zu lassen.

Der Zug rattert unruhig über eine Weiche. Vor dem Fenster huscht eine Landschaft vorbei, regennass, dunkelgrün, satt und von Zäunen begrenzt. Ab und zu ein rotes Haus. Kulissen, ohne Tiefe, abgetrennt von einer dünnen Scheibe aus Glas, durch die du alles sehen und nichts anfassen kannst. Dir bleibt, zu staunen und dich von dem, was du siehst, erregen zu lassen.

»Was erwartet ihr von diesem Urlaub?«, fragt Maike grinsend. Ich will irgendetwas Kluges antworten, aber mir fällt so schnell nichts ein. Ein Ticket und ein Rahmenplan: Fünf Länder in vier Wochen. Was erwarte ich? Was? Anzukommen?

»Ich erwarte, dass ihr euch benehmt«, sagt Frank ungerührt und holt ohne aufzusehen aus seiner Jackentasche einen Beutel Tabak. Gregor prustet vor Lachen. Ach, ich wäre gerne so cool wie Frank.

»Nee, jetzt mal ehrlich, was erwartet ihr?«

Fabian kratzt sich am Kopf. »Kannst du nicht einmal versuchen, weniger gezwungen tiefsinnig zu sein?«

»Du bist so blöd.« Maike wirft trotzig den Kopf nach hinten Sie hat ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, was sich besonders bei ihren großen Titten bemerkbar macht, aber Fabian scheint das zu mögen, jedenfalls hat er sich noch nie abfällig über ihr Gewicht geäußert. Für mich wäre das nichts. .»Also, ich will, dass wir uns bis zum Schluss gut verstehen.«

Katja nestelt an ihrem Pullover. »Ich will neue Eindrücke gewinnen.«

»Ich erwarte, dass ihr mein Zelt nicht ruiniert…«

»…weil es deinem Nachbarn gehört, ich weiß«, sage ich. Das hat er mindestens drei Mal erzählt. Wer soll schon sein Zelt kaputt machen?

»Ich hab gehört, dass in italienischen Zügen das Gepäck aus dem Zug geworfen wird, nachdem es ausgeplündert wurde.«

Gregor winkt ab. »Maike, du liest zu viel Mumpitz. Mach dir keine Sorgen.«

Frank wickelt Tabak ein, leckt das Papier der Länge nach an und rollt es zu einer perfekten Röhre. »Außerdem fahren wir überhaupt nicht nach Italien.«

Wohin fahren wir? Haben wir überhaupt ein Ziel? Oder wollen wir nur unterwegs sein, ohne anzukommen. Wenn überhaupt jemand ein Ziel hat, bin ich das. Aber das muss ich ihnen nicht erzählen. Vielleicht weiß ich es auch selbst nicht.

»Wollen wir eigentlich ins Disneyland?«, fragt Maike. Ich habe davon gelesen, es hat erst seit ein paar Wochen geöffnet. Die Feier war überall in den Medien. Kulturimperialismus, und das auch noch in Frankreich. Wieso eigentlich nicht Frankreich? In der Mitte Europas?

Katja ist nicht begeistert. Ich hätte nichts dagegen. Ein großer Spielplatz voll mit Micky-Maus-Figuren. Das hört sich doch aufregend an. Vielleicht auf dem Rückweg, beschließen wir.

Was erwartest du? Ich erwarte eine Antwort, erwarte, dass ich Frieden finde, einen Ausweg aus meiner Sackgasse. Ich erwarte Freiheit. Und ein wenig freue ich mich auf das Unbekannte.

Ich freue mich darauf, meinen Big Mac bald in Gulden, Francs, Peseta und Escudo zu bezahlen und meine Unterschrift auf Rechnungen in Französisch, Spanisch und Portugiesisch zu setzen. Hoffentlich kann ich mit meiner brandneuen EC-Karte problemlos Geld aus den Automaten in Amsterdam, Paris, Madrid und Lissabon ziehen.

2.

Die Bremsen quietschen erst wieder in Amsterdam, gerade als die Wolkendecke aufbricht und Sonnenstrahlen durchlässt. Keine Zeit zum Nachdenken. Mein Rucksack ist so leicht wie eine Feder. Auf dem Vorplatz des Bahnhofes mache ich den ersten Schritt in die große, weite Interrail-Welt.

Ich bin wacher als sonst, meine Augen gieren nach Licht. Nur in meinem Hinterkopf schwirrt plötzlich der Name eines Platzes herum wie eine hektische Stubenfliege an einer schmutzigen Fensterscheibe: Leidseplein.

Vor ein paar Jahren las ich auf dem Cover eines Pornos, dass sich auf dem Leidseplein die Schwulen treffen, um sich gegenseitig in den Arsch zu ficken. Leidseplein, der Ort für Schwule, käuflichen Sex, ausgelebte erotische Fantasien. Jetzt bin ich diesem Ort näher, als jemals gedacht. Auf dem Bahnhofsvorplatz in Amsterdam mache ich einen großen Schritt in eine neue, nie gedachte Fantasiewelt.

Der erste Geldautomat spuckt holländische Gulden aus. Ich hebe Geld für Katja ab, die ihre Urlaubskasse auf mein Konto eingezahlt hat. Ich hätte im Gegensatz zu ihr eine EC-Karte, zudem doch auch bestimmt nichts dagegen und keinen besseren Vorschlag. Dumme Nuss. Keine eigene EC-Karte.

Der Wind fegt unangenehm kühl über den Bahnhofsvorplatz, über den unablässig Straßenbahnen rumpeln. Ein Sommerurlaub fühlt sich anders an. Fabian schimpft auf seinen Schlafsack, der immer wieder von seinem Rucksack rutscht. Gregor fragt, wer ihm den Ghettoblaster abnehmen kann. Wenn wir nicht nur Phillip Boa und New Model Army hören würden, täte ich es. Geht aber nicht, weil ich keine Kassetten dabei habe.

Frank will direkt zum ersten Coffeeshop, Gregor auch, die anderen zur Jugendherberge. Frank und Gregor haben das Nachsehen. Die zweite Entscheidung: Einzelfahrten? Tageskarte? Gruppenticket?

Maike will ein Tagesticket für 10 Gulden kaufen, um nicht zu viel zu Fuß gehen zu müssen. Gregor hält die Distanzen zwischen Museum, Kanälen und Herberge für zu kurz, um mit der Straßenbahn zu fahren. Mir ist es egal, Fabian auch, Frank denkt an die Urlaubskasse, Katja sowieso. Gregor setzt sich durch. Einfache Fahrt.

Eine Straßenbahn trägt uns zur Jugendherberge am Vondelpark. Kein Familienzimmer verfügbar, wir müssen mit Etagenbetten im Schlafsaal vorlieb nehmen. Kiffen ist auch im Bistro nicht gestattet. Pizza hat für Frank und Gregor nur zweite Priorität.

»Erst ne Runde absoften«, sagt Gregor. Fahrig wischt er sich mit der Gipshand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er wirkt gehetzt.

»Und dann langsam um die Ecke ditschen«, ergänzt Frank. Er raucht gelassen eine Selbstgedrehte.

Links Kanal, rechts Fahrradweg, Touristen queren, die Stadt ist voller Autos mit Parkkrallen, Brücken, Kontorhäuser, Verkehrsschilder auf Holländisch. Fabian und Maike motzen sich an.

Sie sind seit fast einem Jahr zusammen, seine erste richtige Freundin für mehr als Händchenhalten, mehr als Rumknutschen, für den ersten Sex. Zu Beginn war ich mehr als eifersüchtig, denn Maike ist auf eine merkwürdige unregelmäßige Weise hübsch. Manchmal gefällt mir ihr breites, augenloses Grinsen, sehe ich ihre bemerkenswert großen Titten, die bei jedem Schritt auf und ab wippen. Doch wenn ich wichsend vor meinem Bett knie, denke ich nie an Maike.

Ihr leichtes Übergewicht, ihre spröde Art, ihre kurzgeschnittene, blondierten Haare und die vielen Leberflecke auf den Armen sind nicht Teil meines Traums. Ansonsten komme ich sehr gut mit Maike aus und rede ich gerne mit ihr.

Mich regt nur manchmal auf, dass sie nicht sofort versteht, wovon ich rede. Aber wer tut das schon. Vielleicht drücke ich mich auch immer zu undeutlich aus. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass ich nichts zu sagen habe.

Fabians ständiges Problem ist, wie er mir unter der Hand gerne erzählt, Maike zu verstehen, doch besonders rätselhaft bleibt ihm, warum sich Maike im Herbst den Spaß an Twin Peaks verdorben und zu Beginn der Serie auf der Teletext-Seite von SAT.1 den Namen des Mörders nachgelesen hat.

Nicht selten hat sie Fabian im letzten Herbst aus der Reserve gelockt, indem sie ihm immer wieder androhte, den Namen des Mörders laut auszusprechen. Und jeden Freitagabend um Viertel nach Neun hoffte ich, sie würde es wenigstens erst tun, wenn sie alleine waren. Zur Beginn der zweiten Staffel verriet sie es ihm schließlich, und weil Fabian nicht alleine leiden wollte, trompetete er den Namen gleich im Anschluss aus. Es war ein verdammt mieser Herbst.

Neben mir zupft Katja Fäden aus ihrem Pulli. Zwischen jedem Faden ein Blick zu Gregor. Seinem Vater gehört eine Reihe von gut laufenden Autohäusern in der Provinz. Volkswagen ist für ihn keine Marke wie die anderen, es ist eine Lebenseinstellung. Ein Automobil für den bodenständigen Mann.

Er pilgert nach Wolfsburg und betet jeden Sonntag in der Dorfkirche. Doch sein heimlicher Götze ist der Mammon. Ich mag seinen Vater nicht, einen lauten, ziemlich übergewichtigen Mann mit einem zu großen Selbstbewusstsein, eine Mischung aus Helmut Kohl und Dieter Thomas Heck. Zum 18. Geburtstag hat er Gregor einen nagelneuen Golf III geschenkt. Für Gregor eine Selbstverständlichkeit. Seitdem kommt er nicht mehr mit dem Bus zur Schule. Nicht mehr mit Katja. Fabian und ich sehen da einen Zusammenhang.

Gregor und Frank sind immer zwei schnelle Schritte voraus. Schwarzer Afghane oder Roter Libanese oder doch lieber Gras - sie werden aufgeregter, je näher wir einem Coffeeshop kommen. Die Tür zum Paradies, zwei Kinder im Spielzeugladen, das Schlaraffenland.

Vierzig Gulden später sitzen wir in einem Touristenrestaurant. Das erste Mal gehen wir in einem Restaurant essen. Und nachdem wir die Rechnung gesehen haben vermutlich auch das letzte Mal. Für Interrailer viel zu teuer. Allein die Getränke kosten das Doppelte dessen, was wir zuhause dafür bezahlen.

Im Vondelpark vor der Herberge dreht Frank den ersten Joint meines Lebens. Dazu klebt er drei Blättchen aus seinem Zigarettenpapier zusammen, rollt aus einem Stück Pappe einen Filter und legt feingeschnittenen Tabak in die Rinne. Mit dem Feuerzeug erhitzt er das Haschisch.

Ein würziger Duft breitet sich aus. Niemand im Park nimmt Notiz von uns, obwohl wir wissen, dass öffentliches Kiffen nicht erlaubt ist. Schließlich leckt er die Klebefläche des Blättchens an und rollt den Joint zusammen, zwirbelt sogar die Spitze zwischen den Fingern. Ein Bild von einem Joint. Mein Herz klopft aufgeregt. Frank und Gregor erklären, wie es geht.

Rauch in die Mundhöhle saugen. Mund öffnen, dann erst einatmen. Ganz tief. Ich muss nicht husten. Stattdessen fliegen mir beinahe die Augen aus dem Schädel. Der Joint kreist. Maike nimmt einen Zug, Fabian, Gregor, Katja nicht, dann Frank und wieder ich. Aus dem Ghettoblaster dröhnt Phillip Boa, live im Exil on Valletta Street. Was immer das auch heißt. Das Gras in meiner Hand ändert plötzlich seine Struktur. Die Vögel in den Bäumen werden laut. Ich spüre ein Kitzeln in meinem Bauch. Frank grinst unter seiner Kapuze.

 

»Na, Danny? Wirkt er schon?« Er betont jeden Buchstaben. Das ist ziemlich komisch. Das Kribbeln in meinem Bauch wird zu einem Kitzeln und bricht als Lachen hervor. Der graue Himmel zieht blaue Schlieren, das Gras wächst hörbar.

Ich kichere, schmunzle, gröle und spotte. Katjas hellbraunes Haar ist ganz glatt, ihre Beine unendlich lang, Franks trockene Haut raschelt, Maikes Titten wachsen unter ihrem bunten Pulli, Gregors Nase wird länger und länger und länger.

»Ich merk nix«, sagt Fabian, bleibt ganz ernst, dabei hat er den besten Witz des Tages gemacht. Wieder und wieder purzele ich über die Wiese. Ich liebe Joints.

Vor dem Schlafengehen im riesigen Schlafsaal hockt sich Maike auf Fabian und massiert ihm den Rücken, kniet sich Katja auf mich und drückt zaghaft meine Schultern. Ihre Griffe sind durch ihre Kraftlosigkeit unangenehm. Auch war die Belastung durch den Rucksack zwar ungewohnt aber bei weitem nicht so schmerzhaft, als dass ich eine Massage bräuchte. Warum massiert sie einen Betrüger, einen Hochstapler?

Fünf Minuten später wechseln wir, und ich berühre Katjas Rücken. Zwischen uns nur ihr rosa T-Shirt. Meine Hände sind nicht viel mutiger. Mein Mund ist trocken. Mein Hirn klebrig. Der Geschmack von Milch liegt mir auf der Zunge. Es ist gar nichts mehr komisch. Außerdem habe ich Hunger.

Mit knurrendem Magen lese ich in Stephen Kings letztem Gefecht, bis das Licht ausgeht. Irgendwo schnarcht jemand im Schlafsaal, ein anderer furzt. Ich horche und lasse meine Hand in meine Unterhose gleiten. Dann stelle ich mir vor, wie ich aus der Herberge zum Schwulenstrich auf dem Leidseplein schleiche und von einem gesichtslosen Jungen angesprochen werde, wie ich dem jungen Typen den Schwanz lutsche und mich von ihm in den Arsch ficken lasse, bis ich ihm in seinen Mund spritze. Nass klebt die dünne Decke an meinem Bauch. Noch zwei Träume bis zum neuen Tag. Ich freue mich darauf.

3.

Van Goch. Rembrandt. Heuhaufen. Goldhelm. Neben mir Katja, die immer dorthin sieht, wo Gregor nicht steht. Sie ist klein und traurig und viel zu still. Frank und Gregor denken an den nächsten Joint. Fabian und Maike zicken sich an. McDonalds und Joint, Flaschenbier und Joint, Wachsfigurenkabinett und Joint. Und mit jeder Minute denke ich häufiger an den Leidseplein.

Ich weiß nicht, warum Maike und Katja nie Teil meiner Fantasie sind. Selten habe ich überhaupt ein konkretes Gesicht vor Augen, sondern blanke, alle Öffnungen penetrierende Geschlechtsteile in Großaufnahme.

In den Tagträumen in der Schule frage ich mich manchmal, ob ich mit den Mädchen aus meinem Jahrgang ficken würde. Es gibt ein Kriterium als Gradmesser für mein sexuelles Interesse an einem Mädchen: Würde ich sie zwischen den Beinen lecken? Im Deutschunterricht sehe ich die Gesichter, die Brüste unter Hemden, die Hintern, die Schenkel.

Von Judith, Maria, Melanie, Anne, Petra und Maike. Doch keine ist so perfekt, so sehr nach meinen Vorstellungen, so sauber wie meine Fantasie, dass ich auch nur in meinen Tagträumen die Zunge in ihre Möse bohren würde.

In einer Kneipe stocken Frank und Gregor ihren Vorrat an Schwarzem Afghanen auf. Sie lesen die in Plastik eingeschweißte Liste mit den angebotenen Drogen wie eine Speisekarte. Ich verschwinde auf die Toilette. Ein schummriges Loch. Bob Marley scheppert aus schlechten Lautsprechern.

An der Wand ein leerer Spender für Papiertücher, daneben ein Kondomautomat. Von drei Urinalen sind zwei mit aufgeschnittenen Müllbeuteln abgedeckt. Die Türen der beiden Toilettenkabinen haben die Kiffer der letzten Jahrzehnte mit obszönen Zeichnungen, Telefonnummern und blöden Sprüchen in allen Sprachen der Erde beschmiert. Es riecht nach Toilettenstein und kaltem Zigarettenrauch und ein bisschen nach Urin.

Rasch betrete ich die linke Kabine und schließe hinter mir ab. Meine Finger zittern, als ich den Gürtel öffne und die Hosen herunter lasse. Mit klopfendem Herzen lehne ich mich an die kalte Außenwand der Kabine und packe meinen steifen Schwanz. Der Stromschlag jagt hinauf in mein Hirn. Dann wichse ich mit langen, lustvollen Bewegungen.

Die Zeichnungen an der Trennwand variieren zwischen Abbildungen erigierter und gespreizter Geschlechtsteile, zeigen kopulierende Paare auf dem Niveau von schlechten Comics, darunter eine mit einem dicken Edding angefertigte Zeichnung einer Katze, die mit hocherhobenen Schwanz ihren After entblößt. In einer Ecke prangen völlig absurde Landschaftsszenen, die bestimmt nach der Einnahme bewusstseinserweiternder Drogen entstanden sind.

Plötzlich öffnet sich die Tür zu den Toiletten. Jemand tritt ein. Die Schritte werden lauter, verharren vor meiner Kabinentür. Ich atme ganz flach und knete lautlos meinen Harten. Jederzeit kann ich abspritzen. Die Vorstellung, dass beim Wichsen jemand neben mir steht, ist noch geiler. Wenige Sekunden nur steht die Person still, dann klappt die Tür der Kabine neben mir. Das Schloss wird gedreht. Eine Gürtelschnalle klingelt. Mein T-Shirt raschelt rhythmisch, ganz leise, meine Hand an meinem Schwanz erzeugt dieses feuchte, klatschende Geräusch, das nur beim Wichsen entsteht. Ich schließe die Augen.

»Hey, you«, zischt es plötzlich aus der Kabine neben mir. Eine Männerstimme. Mein Herz bleibt vor Schreck beinahe stehen. Ich räuspere mich. Mein Blick geht nach oben. Die Wände zwischen den Kabinen sind bis zur Decke gezogen. Niemand kann mich sehen. Dennoch stoppe ich die Manipulationen an meinem Schwanz.

»Yes?«, frage ich zurück. Ihm fehlt vermutlich Toilettenpapier. Zur Not kann er meines haben. Zwischen der Trennwand und den schmutzigen Fliesen ist genug Platz, um eine Rolle Papier von einer Kabine zur anderen zu wechseln.

»Ich hab dich reingehen sehen«, sagt der Mann auf Englisch. Augenblicklich werde ich wieder nervös. Mein Schwanz erschlafft, meine Knie werden in einem Fluchtreflex weich. Was soll ich sagen? Soll ich überhaupt antworten? Er scheint kein Klopapier zu wollen.

»Lust auf was Härteres?«

Die Katze ist aus dem Sack. Was will er mir verkaufen? Heroin, Kokain, LSD? Mein Schwanz hängt schlaff in meiner Hand. Blöde Sau. Hat mir den Höhepunkt verdorben.

»Nein, Danke«, sage ich und bücke mich nach vorne, um meine Hose hochzuziehen. Mein Blick bleibt an der Zeichnung der Katze auf der Trennwand hängen. An den schwarzen Linien, den groben Strichen, dem erhobenen Schwanz. Ich erstarre.

Ihr entblößter After ist nicht gemalt - er ist ausgesägt. Ich sehe durch ein Loch von der Größe eines Fünfmarkstücks in die andere Kabine und erschrecke. Mich blickt ein Auge an, blinzelt und verschwindet. Kurz sehe ich vor der gegenüberliegenden Wand ein nacktes Bein, und plötzlich schiebt sich ein erigierter Penis durch das Loch.

»Bedien dich«, sagt die Stimme. Mir ist von einer Sekunde auf die andere schwindelig, als habe ich einen Schlag gegen den Kopf bekommen. Ich weiche erschrocken zurück. Aus der weißen Wand ragt die Erektion wie ein rotbrauner Kleiderhaken. Die Eichel ist dick und rot und glänzt im schummrigen Licht. Der steife Schwanz wippt leicht auf und ab.

Unerwartet spüre ich den hohen Druck in meiner rechten Hand. Mein Schwanz ist so hart wie drei Minuten zuvor und schickt eindeutige Signale an meinen Hypothalamus. Lust überschwemmt meinen Körper. Mit der Hand an meinem Schwanz mache ich einen Schritt nach vorne. Meine Schuhe schleifen. Ich beuge mich nach vorne und gehe in die Knie. Meine Gelenke knacken.

Die Erektion mit der zurückgerollten Vorhaut pulst voller Erwartung vor meinen Augen, die Eichel geht schimmernd wie ein blank geputzter Schuh fast nahtlos in den harten Schaft über. Unter der bräunlichen Haut schwellen blaue Adern. »Fass ihn an«, sagt der Mann dumpf. Er muss meinen Atem gespürt haben. Anfassen? Ich? Einen fremden Schwanz?

»Los, mach schon.« Die Adern auf der Erektion erinnern mich an einen Witz, der am FKK-Strand spielt: Sie haben da eine Raupe auf dem Schwanz. – Nein, das ist eine Krampfader vom vielen Stehen.

Mit der rechten Hand massiere ich meine eigene, beinerne Erektion im steten Rhythmus.

Langsam, vor und zurück, reibt meine Hand über meinen Schaft, schiebt die Vorhaut leicht über die Eichel und wieder herunter. Wie fühlt sich fremde Haut an meinen Fingern an, und wie heißes Fleisch in meinem Mund, auf der Zunge, am Gaumen?

»Oder blas ihn, wenn du willst, aber mach irgendwas«, höre ich wieder den Mann. In seiner Stimme schwingt unverhohlene Lust, zitternd vor Erregung. Ich denke gar nicht daran. Ich bin schon so kurz vor den Höhepunkt. Die fremde Erektion sieht geil aus, die steife Stange, die prallen Eichel. Ich will keinen Schwanz im Mund. Die Vorstellung einer Möglichkeit allein ist schon erregend genug.