Dem Heere den Sieg

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Sari: Furuks Erbe #4
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Dem Heere den Sieg
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Solveig Kern

Dem Heere den Sieg

Furuks Erbe Band 4

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1: Düstere Wolken am Horizont

Kapitel 2: Die Invasion

Kapitel 3: Rückkehr ins Labyrinth

Kapitel 4: Der weiße Eremit

Impressum neobooks

Kapitel 1: Düstere Wolken am Horizont

Mauro nahm Abschied von allen Würdenträgern, die in Ostgilgart dem Schmieden des siebten Ringes beigewohnt hatten. Dann kehrte er zurück zu Hagen. In seinem Herzen war eine schmerzliche Leere.

„Herr, wollt Ihr ein wenig ruhen, ehe wir aufbrechen? Nehmt Rücksicht auf Eure Gesundheit", riet der treue Gefährte mit sorgenvollem Blick auf Mauros offensichtliche Erschöpfung. „Lasst uns nach Moringart zurückkehren. Erholt Euch ein paar Tage, ehe Ihr wieder in den Kampf zieht!"

Mauro winkte ab: „Ich fühle mich leer und einsam nach all der Betriebsamkeit. Jetzt untätig zu sein würde mir nicht gut tun. Es brächte mich bloß ins Grübeln. Zu viel ist geschehen. Lass uns sofort weiter reiten. Wir werden Pausen machen."

Widerstrebend willigte Hagen ein und gab das Zeichen zum Aufbruch. Er entschied, mit Goswins Leuten über Bärenheim und Malfar nach Süden zu ziehen. Hohepriesterin Suza kam auf Hagen und Goswin zu: „Passt auf den König auf. Lasst nicht zu, dass er in Trance fällt und sich von seinem Körper entfernt. Die Verbindung ist noch schwach, und die Sehnsucht nach dem Frieden der Anderwelt ist groß. Wenn seine Seele hinüber driftet, kehrt sie vielleicht nicht wieder."

Hagen sammelte seine neue Truppe um sich. Auf der Reise nach Süden wollte er die jungen Zauberer testen und entscheiden, welche davon für den Dienst in Mauros Ithryn-Truppe taugten.

Als es an die Verteilung der Pferde ging, stellte sich auch Jorid in die Reihe. Hagen fuhr sie grob an: „Was wollt Ihr hier, Weib? Verschwindet."

Jorid gab ihrer Stimme Festigkeit und erwiderte: „Herr, das ist nicht gerecht. Ich war unter den Besten. Ihr selbst habt meine Leistung anerkannt. Warum weist Ihr mich ab?"

Hagen bemühte sich um einen sachlichen Tonfall: „Fräulein Jorid, ich habe keine Verwendung für Euch. Ihr könnt weder Fechten noch Reiten!"

„Ich bin eine erstklassige Bogenschützin und ein Besen ist schneller als jedes Pferd“, begehrte sie auf. „Gestern habe ich sowohl im Wettkampf mit Rüdiger als auch auf dem Kombat-Parcours bewiesen, dass ich alle Eure Anforderungen erfülle!"

Hagen drehte ihr unwillig den Rücken zu: "Geht mit Kayla von Malfar. Ich kann Euch nicht brauchen!"

Kayla hatte mehrere tüchtige Jungzauberinnen herausgepickt, die sie gerade um sich versammelte. Sie hatte einen ziemlichen Verschleiß an Damen in ihren Diensten, denn sie galt als herrisch, launisch und grob.

„Herr, gebt mir eine Chance!" rief das junge Mädchen verzweifelt hinter Hagen her.

Mauro, der die Szene unbeteiligt beobachtet hatte, fragte Hagen: „Ist sie gut?"

„Ja, schon. Sie will unbedingt Kombat-Zauberin werden. Was soll ich mit einer Frau?"

Mauro betrachtete die junge Frau. Sie war kaum älter als siebzehn, klein und schmächtig. Das auffallendste an ihr war die widerspenstige rote Mähne, die ihr schmales Gesicht umrahmte. „Erinnere Dich an die junge Dame, die Pado mir als Botin geschickt hat. Davon könnte ich ein paar gebrauchen. Sie sagt, sie fliegt einen schnellen Besen."

Hagen brummelte. Daran hatte er nicht gedacht.

„In Ordnung, junge Dame, Ihr sollt Eure Chance haben. Kommt…" Mauro streckte seine Hand aus und zog Jorid hinter sich aufs Pferd.

Alle Zuseher waren überzeugt davon, dass er das hübsche junge Ding für seine persönlichen Bedürfnisse mitnahm. "Gar keine schlechte Idee", meinte Hagen. „Sorgt dafür, dass der König nicht in Trance fällt. Das wäre in seinem Zustand gefährlich. Wenn Ihr merkt, dass er abdriftet, fasst ihn einfach an der richtigen Stelle an!"

Die Jungs lachten ob dieser Anzüglichkeit.

Jorid warf Hagen einen empörten Blick zu und richtete sich auf Äsekiels Rücken ein. Sie machte ihren Job gut und ließ nicht zu, dass Mauro abdriftete. Auch wenn sie sich strikt darauf beschränkte, ihn zu rütteln oder zwischen die Rippen zu stoßen.

Sie kamen quälend langsam voran. Mauro befand sich in einem Dämmerzustand. Die Umgebung nahm er kaum wahr. Für die Gefährten war er überhaupt nicht ansprechbar. Mehrfach verlor er das Gleichgewicht und drohte seitlich vom Pferd abzurutschen. Doch Jorid passte gut auf ihn auf.

Hagen bestand auf vielen Pausen, so dass sie erst am dritten Tag in Bärenheim ankamen. Mauro ließ sich widerspruchslos in die Festung geleiten. Hagen ordnete einen Rasttag an, den Mauro nahezu komplett verschlief. Wenn er gerade wach war, döste er gedankenverloren vor sich hin. Die Erlebnisse der letzten Tage ließen ihn nicht los. Er versuchte zu begreifen, was geschehen war. Wie war es zu den Ereignissen von Ostgilgart gekommen? Fußte alles auf Iarwains Besessenheit oder war es tatsächlich der Wille der Unsterblichen gewesen, den Ring neu zu schmieden? Hatte er selbst Fehler gemacht? An welchen Punkten hätte er anders entscheiden können? Gab es überhaupt eine Chance, das bittere Ende zu vermeiden? Und was würde in Zukunft daraus entstehen? Wie sehr er sich auch den Kopf zermarterte, er fand mehr Fragen als Antworten.

Als er zwischen zwei Schlafphasen kurz erwachte, hatte er den Eindruck, als sässe Sigrun an seinem Bette. Sie strich liebevoll über seinen Arm und murmelte sanfte Worte des Trostes. Als er genauer hinsah, saß da eine almanische Heilerin. Sie bot ihm einen kräftigenden Trank an. Mauro zögerte, ihn anzunehmen, doch Hagen ließ ihm keine Wahl. Mauro musste den Becher bis zur Neige leeren. Schon fiel er wieder in einen unruhigen Schlaf.

Auch in seine Alpträume folgte ihm Sigrun. Er sah sie aus ihrem Rosengarten kommen. Sehnsuchtsvoll streckte er die Arme nach ihr aus. Sie lächelte und kam auf ihn zu, doch zwischen sie drängten sich die üppigen Weiber aus Barrens Labyrinth. Wollüstig pressten sie sich an ihn und nahmen ihm den Atem. Verzweifelt rief er Sigruns Namen, doch angewidert von dem Anblick machte die Liebste kehrt und überließ ihn den Schreckgespenstern.

Schweißgebadet schreckte er hoch. Es war finstere Nacht. Neben sich hörte er das gleichmäßige Atmen der Gefährten, die immer in seiner Nähe blieben. Er lag still und versuchte, sein hämmerndes Herz zu beruhigen. Seine Gedanken kehrten zurück zu Sigrun. Wie automatisch suchte er den Mondstein in seinem Beutel und rieb ihn zwischen den Fingern. In Gedanken sagte er ihr, dass er sie liebte. Und dass es richtig war, sie gehen zu lassen. Er wünschte ihr Glück.

Mit ihrem Bild im Herzen schlief er wieder ein und schlitterte in den nächsten Alptraum. Sigrun stand mit gefesselten Händen vor Gericht. Der Ältestenrat zieh sie der Treulosigkeit, weil sie sich mit dem Erain Maur eingelassen habe. Er wollte zu ihren Gunsten sprechen, doch sie hörten ihn nicht. Sigrun wurde aus dem Stamme verstoßen und mit Schimpf und Schande davongejagt. Mutterseelenallein kämpfte sie sich durch den Wald, ein Rudel Wölfe auf ihrer Spur. Er konnte nicht zu ihr durchdringen und musste tatenlos zusehen, wie die hungrige Meute sie in Stücke riss. Wieder schreckte er hoch und stellte fest, dass alles nur ein Traum gewesen war.

Diesmal schlief er nicht wieder ein, sondern wartete sehnsüchtig, bis die aufgehende Sonne ihn von seinen Qualen erlöste.

Als er am nächsten Morgen gemeinsam mit Hartmut und den Stammesältesten ein kräftiges Frühstück einnahm, schien ihm einen Moment lang, als sässe Sigrun neben ihm. Sie legte den Kopf an seine Schulter, wie damals, als sie Seite an Seite dem Lied des Barden gelauscht hatten. Schmerzlich erinnerte er sich ihres Duftes und nahm mit tiefer Betrübtheit zur Kenntnis, wie seine eigene Sehnsucht ihm Streiche spielte.

Er liebte sie, darüber machte er sich keine Illusionen. Doch es war richtig gewesen, sie ziehen zu lassen. Was für ein Leben hätte sie gehabt, an der Seite eines Mannes, den die eigene Ungeduld trieb? Der aufgerieben wurde zwischen seinen Pflichten? Der nirgendwo lang verweilte?

Doch was, wenn es ihr schlecht erging? Wenn sie unglücklich war? Wenn Not oder Grausamkeit ihre Welt bedrohten? Mit Schrecken dachte er an seinen letzten Alptraum. Er könnte ihr tatsächlich nicht helfen. Er würde es nicht einmal erfahren.

Nach dem Frühstück brachen sie auf. Goswin wählte eine Route, die ihnen die Übernachtung in einem Tempel ermöglichte. Es war kalt geworden in den Bergen und er wollte nicht, dass Mauro in seinem geschwächten Zustand im Freien übernachtete.

Der Tempel lag in einer kleinen Senke an einem See. Es war ein uralter Kraftplatz. Mauro war schon einmal da gewesen, als das Land noch zu Yian Mah gehörte. Damals wurden hier schamanische Rituale der Steppenvölker zelebriert. Heute huldigte man an diesem Ort den Göttern der Almanen.

Mauro spürte, wie die Kraft der Erde an diesem Ort pulsierte. Hier wollte er sich aufladen, neue Energie tanken. Er signalisierte seinen Begleitern, ihn alleine zu lassen und schritt hinein in den Tempel. Er hatte keine Berührungsängste mit den fremden Göttern der Almanen. In vielen fremden Tempeln hatte er schon seinen Frieden gefunden. Niemals waren es die Götter, die ihm zürnten, wenn er ihren geheiligten Ort für seine Einkehr nutzte. Die Intention eines Gebetes galt ihnen mehr als der Wortlaut. Mauro musste viel mehr darauf achten, kein menschliches Tabu zu brechen. Die irdischen Tempelhüter waren weniger großzügig als ihre Götter.

 

„Was möchte er?" fragte Goswin aufgeregt. „Einkehr und Meditation üben? Das dürft Ihr nicht zulassen!"

„Die Götter werden es ihm gewiss nicht übel nehmen", versuchte Hagen den Fürsten zu beschwichtigen.

„Natürlich nehmen ihm die Götter das nicht übel", knurrte Goswin, der den Kult seiner Stämme nur halbherzig teilte. „Doch was meint Ihr, was Barrens Gespenster mit ihm machen? Bleibt in der Nähe, das kann nicht gut gehen."

Goswin wusste, wovon er sprach. Sein Vater war einst im Labyrinth gefoltert worden. Er hatte im Laufe der Jahre zwar gelernt, Barrens Geister in Schach zu halten, doch Zeit seines Lebens war er sie nie losgeworden. So starb er eines frühen Todes, erschöpft und ausgelaugt vom aussichtslosen Kampf. Goswin hoffte inständig, dass das nicht das Los des Königs sein würde. Auch er wusste kein Rezept, ihn von den Alpträumen zu befreien.

Goswin würde Recht behalten. Mauro versuchte, in die Leere zu kommen, doch der gewohnte Zustand wollte sich nicht einstellen. Stattdessen meinte er, ins Bodenlose zu fallen. Alsbald befand er sich inmitten der sandigen Arena, die er aus Knyssar kannte. Henker mit Kapuzen über ihren Köpfen banden ihn an ein übermannshohes Rad. Er wollte wieder Dúath zu Hilfe rufen, doch ein zorniger Iarwain erschien und vernichtete den Dämon mit einer minimalen Geste seiner Hand. Zugleich öffnete er sämtliche Tore und Barrens Gespenster strömten heraus. Während die Schreckgestalten immer näher kamen, drehte ein hämisch grinsender Dorwald an dem Rad. Mauro wirbelte immer schneller im Kreis. Er schrie auf in hilflosem Entsetzen.

Goswin und Hagen schritten sofort ein und schleppten ihren König hinaus ins Freie. Hagen legte seine kräftigen Arme um Mauro und versuchte, ihn zu beruhigen. Goswin scheuchte ein paar Jungzauberer weg, die neugierig den Schreien gefolgt waren. „Großer Thor mit Deinem Hammer, schlag drein und befreie unseren König", betete Hagen voller Zorn.

Langsam kam Mauro wieder zu sich. Ich muss weg hier, weg von diesem Ort."

„Das wird Euch nicht helfen, sie folgen Euch“, murmelte Hagen düster.

„Ihr müsst das Labyrinth erobern, wie Ihr dieses Land erobert habt. Betrachtet sie, sprecht mit ihnen, macht Euch mit ihnen vertraut. Nur so verlieren sie ihren Schrecken." Das war der einzige Rat, den Goswin wusste.

Mauro sah Goswin erstaunt an. Wie konnte er das vergessen? Er hatte die ganze Zeit über gewusst, dass er eines Tages das Labyrinth erobern musste. Lange hatte er es verdrängt, hatte sich in scheinbarer Ruhe und Sicherheit gewiegt. In Ostgilgart hatte Iarwain das verschlossene Tor seiner Erinnerung aufgebrochen. Nun pochte die Aufgabe erbarmungslos an seine Türe und duldete keinen Aufschub: "So ist es. Ich muss sie zähmen, bis sie mich als ihren Herrn akzeptieren. Erst wenn ich sie mir untertan gemacht habe, können sie mir nichts mehr anhaben." Er lachte rau: „Dann werde ich sie gegen die Tolegos wenden und dieses verfluchte Pack quer durchs Land treiben!"

Goswin war nicht sicher, ob er Mauro Erfolg wünschen sollte. Er traute dem König das Unmögliche zu, denn dieser war aus besonderem Holze geschnitzt. Doch er fürchtete die Konsequenzen, falls Mauro die Kontrolle über das Labyrinth erlangen sollte.

Am nächsten Morgen scheuchte Mauro die Gefährten schon bei Tagesanbruch weiter. Er hatte kaum geschlafen, die Alpträume waren schlimm gewesen. Doch er hatte jetzt ein Ziel, das die Situation für ihn erträglicher machte. Es war eine gewaltige Strecke bis Malfar. Mauro schonte sich nicht, er trieb sich und die anderen voran.

Bald schon musste Mauro einsehen, dass er die Eroberung des Labyrinths nicht erzwingen konnte. Hier war nicht Schnelligkeit und Willenskraft gefordert, sondern Ruhe und Beharrlichkeit. Die Heilung der Seele folgt ihrem eigenen Rhythmus, viel langsamer als Mauro das gerne wollte. In Malfar angekommen wurde er mit den physischen Grenzen des Wollens konfrontiert. Als er aus dem Sattel glitt, vermochte er sich kaum auf den Beinen zu halten. Seine Glieder schmerzten und er fror erbärmlich.

Die nächsten Tage hatte ihn das Fieber im Griff. Er phantasierte, schwankte zwischen Alptraum und Delirium. Die Geister des Labyrinths attackierten ihn schonungslos. In seinem geschwächten Zustand hatte er wenig dagegenzusetzen. Mitunter hallten seine Schreckensschreie durch die steinernen Mauern und ließen allen, die sie hörten, das Blut in den Adern gefrieren.

Goswin war heilfroh, dass sie es bis in sein Haus geschafft hatten. Hier verfügte er über Medizinmänner und zauberkundige Frauen. Doch kein Mittel half. Das Fieber wollte nicht weichen. Obwohl sich die besten Heiler des Reiches um ihn bemühten, wurde Mauro nicht gesund.

Von Tag zu Tag schien das Labyrinth bedrohlicher, hoffnungsloser. Denn nun hatten seine Ängste ein Gesicht, an dem sie sich festkrallen konnten. Sigruns Gesicht. Sie verschmolz mit der ungeborenen Tochter, die Barren gegen ihn verwendet hatte. Nun war es sie, die all die grausamen Qualen erdulden musste. Sie war es, die Mauro vergeblich aus den Klauen der Untiere und Dämonen zu befreien versuchte. Immer wieder machte Mauro die grässliche Erfahrung, dass er das, was er liebte, nicht schützen konnte. Darüber erschöpfte sich seine Lebenskraft.

Da löste Yerion ihr Versprechen ein. Eines Tages war sie da, hergeflogen von Yian Mah auf einem schnellen Besen. Sie wartete nicht darauf, dass Goswin ihr den Weg wies, sondern eilte umgehend an Mauros Krankenbett.

Die Tochter der Hexenkönigin kannte den Zauber, ihn dem Würgegriff der Dämonen zu entreißen. Zwar vermochte sie nicht, Barrens Geister auf ewig zu bannen. Doch sie erwirkte ein Zeitfenster, das Mauro ermöglichte, zu Kräften zu kommen, ehe er sich wieder dem Kampf stellen musste.

Yerion blieb lange genug, um sich von der Wirkung ihres Zaubers zu überzeugen. So entging ihr nicht die energetische Präsenz einer anderen Frau. Einen Moment lang verspürte sie die Neigung, die Konkurrentin aus dem Felde zu schlagen. Doch in diesem Wunsch erkannte sie die Stimme ihrer weiblichen Eitelkeit. Ein Leben an Mauros Seite lockte sie nicht. Mit ihm zu spielen könnte ihr übel bekommen. So zog sie es vor, das Feld zu räumen: „Wohl denn, Frau des Königs, er gehört Dir. Ich habe ihn Dir zurückgeholt. Kümmere Dich um ihn." Noch ehe Mauro wieder erwachte, kehrte sie nach Yian Mah zurück.

Als Mauro zum ersten Mal die Augen aufschlug, hatte er den Eindruck, als säße Sigrun an seinem Krankenbett. Das Bild hatte eine andere Qualität als zuvor, weniger flüchtig. Ihm schien, als hätte sie an seinem Lager Nachtwache gehalten. Nun war sie blass und übermüdet, doch sie lächelte ihm aufmunternd zu. Er dachte, seine Sehnsucht spielte ihm wieder einen Streich. Auf die Idee, dass sie mittlerweile den Stein zu gebrauchen gelernt hatte, kam er nicht.

Liebe und Paare

Auf dem Rückweg von Moringart ins Rigland gab Sigrun sich betont aufgekratzt und lebenslustig. Als wäre nichts gewesen. Niemals würde sie sich ihre Enttäuschung über Mauros Abfuhr anmerken lassen. Sie scherzte mit den Kriegern und ritt mit ihnen um die Wette. Doch nachts, wenn sie sich in ihrer Jute zum Schlafe bettete, kehrten ihre Gedanken zu Mauro zurück. Es machte sie wütend, denn sie meinte, er verdiene so viel Aufmerksamkeit nicht. Doch sie konnte nicht verhindern, dass immer wieder zur Unzeit sein Bild vor ihrem inneren Auge auftauchte.

Natürlich hatte Königin Innath Sigrun nicht im Gebrauch des Mondsteins unterwiesen. Mit umso mehr Eifer ging sie dran, dessen Geheimnisse selbst zu entdecken. Vor sich selbst rechtfertigte sie ihren Ehrgeiz damit, dass sie nur zu gerne wüsste, ob der düstere König hin und wieder an sie dachte. Das wäre ihr zumindest eine kleine Genugtuung.

Doch der Stein blieb kalt und stumm. Sigrun wusste nicht, ob es an ihren unterentwickelten Fähigkeiten lag, oder ob Mauro sie so schnell vergessen hatte.

Eines Abends ertappte ihr Oheim Dietrich sie dabei, wie sie mit den Händen im Schoß Löcher in die Luft starrte. Er fragte sie ohne Umschweife, was an jenem letzten Abend zwischen ihr und Mauro vorgefallen war und warum dieser sich nicht erklärt hätte.

Sigrun wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihrem Oheim etwas vorzumachen. So schilderte sie den Verlauf des Abends aus ihrer Erinnerung. Oft hatte sie ihn im Geiste durchgegangen. So oft hatte sie nach eigenen Fehlern oder Unterlassungen geforscht, dass sie jedes kleinste Detail beschreiben konnte. Als sie zum Ende kam, als Mauro ihr gesagt hatte, sie würden einander nicht wieder sehen, versagte ihr die Stimme. Sie wischte eine Träne fort und entschuldigte sich bei ihrem Oheim für ihr unbeherrschtes Verhalten.

Dietrich ließ nicht locker: „Was genau hat er gesagt?"

Sigrun wiederholte mit belegter Stimme Mauros Abschiedsworte.

Dietrich tätschelte wohlwollend ihren Arm: "Nur Mut, Mädchen. Noch ist nicht aller Tage Abend. Das ist noch nicht vorbei."

Noch nicht vorbei. Ihr Herz sprach die gleiche Sprache, doch ihr Verstand begehrte dagegen auf. Schalt sie dumm und eingebildet, sich jetzt noch Hoffnungen zu machen.

Und der Mondstein schwieg.

Daheim im Winterlager der Rigländer nahm Sigrun ihr gewohntes Leben wieder auf. Es dauerte ein Weilchen, bis sie bemerkte, dass doch nicht alles beim Alten geblieben war. Nicht dass es sie berührte, wenn ihrer Freundinnen sie als Liebchen des düsteren Königs aufzogen. Dafür hatte sie eine deftige Antwort parat. Es war Rigbert, dessen verändertes Verhalten ihr zu schaffen machte. Bereits unmittelbar nach Dietrichs Abreise begann er, den Kreis seiner Ratgeber neu zu formieren. Die Veränderung war nicht zum Besseren. Altgediente, besonnene Weggefährten seines Vaters mussten Platz machen für hitzige Jungspunde, die Rigbert nach dem Munde redeten. Auch schien er der Schwester die Schuld für all seine Misslichkeiten zuzuschieben. Nicht nur, dass er keine Gelegenheit versäumte, sie als sitzen gelassenes Mädchen bloßzustellen. Er entzog ihr das traditionelle Recht, im Kreise seiner Ratgeber dabei zu sein und eliminierte sie aus allen Geschäften, die sie vorher mit Umsicht und Einsatzfreude wahrgenommen hatte.

Zuletzt brüskierte er die Runenkundigen, als er den von ihnen vorgeschlagenen Termin für die Hochzeit mit Yelva verwarf. Die Alten rieten, das Trauerjahr für seinen Vater verstreichen zu lassen und den Hochzeitstermin ins Frühjahr, die Zeit des Wachsens und Gedeihens, zu legen. Eine überstürzte Winterhochzeit erschien ihnen als schlechtes Omen. Doch Rigbert bestand darauf. "Wenn ich dieses Weib schon heiraten muss, dann soll sie mir wenigstens die langen Winternächte versüßen!" verkündete er lautstark zum Gejohle seiner Saufkumpane.

Viele Pflichten und keinerlei Rechte - die Wintertage wurden lang für Sigrun. Noch länger und einsamer waren die Nächte. Denn nach und nach wurde ihr bewusst, dass die kurzzeitige Aufmerksamkeit des Erain Maur wie ein unsichtbarer Makel auf ihr lastete. Mit einem Male war sie für ihresgleichen keine überlegenswerte Partie mehr. In ihrer Einsamkeit versuchte sie verzweifelt, dem Mondstein ein wenig Trost zu entlocken. Lange Zeit geschah nichts. Doch eines Nachts schien sich der Stein ihrer stummen Bitte zu erbarmen. Als sie ihn berührte, durchflutete sie Wärme und Zuversicht. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Doch der Eindruck war flüchtig. Am Ende wusste sie nicht, ob es Einbildung oder Wirklichkeit gewesen war.

Am nächsten Tag nahm sie allen Mut zusammen und suchte eine alte Frau auf, die in allerlei Zauber bewandert war. Es brauchte ein ganzes Huhn als Preis, bis sich die Alte bereit erklärte, ihr zu helfen.

"Du weißt nicht, ob Dein Liebster an Dich denkt? Was sagt Dein Herz?"

Sigrun befragte ihr Herz. Es dauerte eine Weile, bis sie hinter der Einflüsterung ihrer Angst die Stimme ihres Herzens vernahm. "Es sagt, dass er an mich denkt."

"Was sagt es noch?"

Sigrun schüttelte verzweifelt den Kopf: "Nichts mehr."

"Schließ die Augen und konzentriere Dich auf Deinen Atem. Mach Dich leer und entspanne Dich.“ Mit monotonen Worten unterstütze die Alte Sigruns Bemühungen. "Nun nimm den Stein zwischen die Finger und reibe ihn sanft. Fühle seine Form und nimm alle Unebenheiten in Dich auf. Hole den Stein in Dein Bewusstsein, bis er ein Teil von Dir geworden ist. Ermächtige ihn, Dir als Projektionsfläche zu dienen für die Bilder, die Du empfängst.“ Die Alte ließ Sigrun Zeit, ihre Anweisungen auszuführen. Als sie das Gefühl hatte, dass Sigrun bereit war, befahl sie: „Nun rufe Deinen Liebsten. Bitte ihn, sich Dir im Stein zu zeigen … Ist er da?"

 

Nach einer Weile öffnete Sigrun die Augen: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich etwas gesehen habe, doch ich meine, ich fühlte seine Gegenwart. Kann das sein oder war es bloß eine Täuschung?"

"Möglich ist es schon. Versuch es noch einmal. Konzentriere Dich und rufe nach ihm."

Sigrun konzentrierte ihr Bewusstsein auf den Stein. Es dauerte einige Zeit, bis sie wieder die Augen öffnete.

"Nun?" wollte die Alte wissen.

"Ich weiß nicht. Zwar konnte ich ihn nicht sehen, doch er schien mir ganz nahe.“ Sigrun legte die Hände in den Schoß und machte eine kleine Pause. Voller Verwirrung sah sie die Alte an. Woher kamen diese starken Gefühle, die sie soeben durchflutet hatten? Hatte sie wirklich Verbindung mit Mauro gehabt? Verlegen blickte sie auf ihre Hände. Durfte sie so weit gehen, das zu behaupten? Schließlich sagte sie unsicher: „Er ist krank. Sehr krank. Ich glaube, er sehnt sich nach mir. Der Schmerz zerreißt ihm das Herz."

"Dann wird es wohl so sein", bestärkte sie die Alte.

"Wie kann ich ihm beistehen?“ fragte Sigrun flehentlich. „Wie kann ich ihm sagen, dass auch ich ständig an ihn denke?"

"Langsam, Mädchen, langsam. Das war gar nicht schlecht fürs erste Mal“, bremste die Alte. „Du hast Talent, und Liebe ist eine starke Antriebskraft. Dennoch wird es ein Weilchen dauern, bis Du sicher weißt, womit Du es zu tun hast. Im Moment bist Du noch zu offen für Vorspiegelungen unreiner Geister.“

„Wie kann ich diese Einflüsterungen von einem echten Kontakt unterscheiden“, fragte Sigrun bang. „Wollt Ihr mich lehren, ehrenwerte Ama?“

„Komme morgen wieder und bringe mir zwei Hühner“, erwiderte die Alte. „Ich will Dich darin unterweisen, mit Deinem Liebsten zu kommunizieren.“

„Ich danke Euch von ganzem Herzen!“ rief Sigrun selig.

„Freu Dich nicht zu früh. Vor Dir liegt ein steiniger Weg. Du musst vor allem an Dir selbst arbeiten. Vergiss nie, dass der Mondstein bloß ein Vehikel ist. Er kann nur so gut sein, wie die Zauberin, die ihn bedient!“

Sigrun war eine gelehrige Schülerin. Anfangs waren die Erfolge eher zufällig und von kurzer Dauer. Doch schon nach einigen Tagen war die Verbindung so stark, dass Sigrun meinte, direkt an Mauros Krankenbett zu sitzen. Sie konnte ihn zwar immer noch nicht sehen, doch sie fühlte seine Pein und sprach ihm Mut zu.

Während der erzwungenen Pause in Malfar trainierte Hagen eifrig mit seinen jungen Leuten. Die Ausbeute war nicht so gut, wie er sich erhofft hatte. Den einen fehlte das Talent, den anderen die nötige Härte zum Kombat-Zauberer. Auch die mentalen Fähigkeiten, auf die er Wert legte, mussten bei den meisten erst entwickelt werden. Am Ende würden vielleicht drei oder vier übrig bleiben, die Shui, Jago und Yvo das Wasser reichen konnten. Das war weniger, als er erhofft hatte.

Fräulein Jorid war mit Feuereifer dabei. Doch da er sie nach wie vor als Mauros Spielzeug betrachtete, nahm er wenig Notiz von ihren Fähigkeiten. Immerhin liess er sie mit den anderen mittrainieren. So kam sie wenigstens nicht auf dumme Gedanken.

Goswin von Malfar nutzte die Tage, um Yelvas Hochzeit vorzubereiten. Sie hatten vereinbart, nicht bis nach dem Feldzug zu warten. Damit konnte er seiner Tochter unmöglich das Geleit geben. Doch Yelva hatte ihm klar gemacht, dass es ihr völlig ausreichte, wenn ihre üppige Aussteuer und ein paar gute Freundinnen sie begleiteten. Auf seine Gegenwart legte sie keinen gesteigerten Wert. Als auch Rigberts Seite Druck machte, willigte er ein und liess sie ziehen. Narghey, der Gatte von Goswins Schwester, würde ihr Geleitschutz geben. Er war ein Heerführer des abtrünnigen Alicando-Clans. Auf Geheiß seines Schwagers durfte er nicht in Erscheinung treten. Obwohl Mauro die Alicandos, die dem Herzog nicht nach Süden gefolgt waren, längst begnadigt hatte, untersagte Goswin ihm strikt, sich vor Mauro blicken zu lassen. Dabei ging es ihm keineswegs um das Wohl des Schwagers und seiner Sippe. Was, wenn Mauro Gefallen an dem Mann fände und mit ihm davonzöge? Dann war er einen vorzüglichen Feldherren los, der ihm noch gute Dienste leisten könnte. Goswin genoss es, die ehemals großspurigen Alicandos zu demütigen und in Abhängigkeit zu halten. Die Base seines Schwagers, die seine dritte Frau geworden war, hätte früher die Nase gerümpft über einen Malfarin als Bewerber um ihre Gunst. Jetzt war sie glücklich, ihm als Nebenfrau zu Willen sein zu dürfen. Das erfüllte Goswin mit unglaublicher Genugtuung.

Kayla interessierte sich nicht für die Hochzeitvorbereitungen ihrer jüngeren Schwester. Sie nutzte den erzwungenen Aufenthalt in Malfar, um ihrer eigenen Hochzeit mit Andor näher zu kommen. Auf der Reise hatten sie viel Zeit miteinander verbracht und über alle möglichen und unmöglichen Dinge des Lebens gesprochen. Kayla hatte schätzen gelernt, dass Andor ein geduldiger und verständnisvoller Zuhörer war. Er preschte nicht schon mit der Lösung vor, ehe sie ihr Anliegen ausgesprochen hatte. Von ihm fühlte sie sich verstanden.

Doch so nahe sie sich in ihren Gesprächen auch kamen, so wenig lief sonst zwischen ihnen. Selbst der Austausch intimer Hoffnungen und Befürchtungen brachte keine physische Annäherung. Kayla schloss daraus, dass Andor sich ihr nicht zu nähern wagte, da sie Fürst Goswins Tochter war. Sie überlegte, wie sie ihm entgegenkommen konnte. Wahrscheinlich war es nur ein kleiner Schritt, der ihm half, die unsichtbare Barriere zu überwinden. Sollte sie diesen ersten Schritt tun?

Yvo beobachtete fasziniert, was da zwischen Kayla und Andor lief. Das konnte nicht gut gehen. Er sagte zu Hagen: "Ich denke, wir sollten Kayla Bescheid sagen, dass Andor sich nicht für Frauen interessiert!"

Hagen setzte seine staatsmännische Miene auf und hielt Yvo einen Vortrag darüber, wie das mit Männern so war: "In Anbetracht Deiner eigenen Geschichte kann ich verstehen, dass Du gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnst, Yvo. Doch es ist nicht ungewöhnlich, dass junge Männer sich für ihresgleichen interessieren. Selbst Hanok, einem bekannten Frauenheld, sagte man eine innige Beziehung zu seinem getöteten Sattelgefährten nach. Er ist übrigens nicht der einzige. Viele berühmte Feldherren suchten Entspannung in den Armen ihrer Kampfgenossen. Löse Dich von Deinen Vorurteilen und nimm die Welt so, wie sie ist. Für Kayla macht Andors Vorliebe für junge Männer keinen Unterschied. Andor ist eine standesgemäße Partie, und sie ist nicht mehr die jüngste."

So sehr Yvo Hagen schätzte, manchmal mochte er an dem alten Meister verzweifeln. Niemand wusste besser als Yvo, der ständig in fremden Köpfen spazieren ging, was Männer so umtrieb. Yvo interessierte sich nicht für Moral, er versuchte, das Wesen der Liebe zu ergründen. Dabei war er bei weitem nicht so unbedarft, wie Hagen meinte. Seit Alagos ihn in die Arme einer erfahrenen Marketenderin gelegt hatte, war er auf den Geschmack gekommen. Er nahm sich Liu zum Vorbild, denn rund um Liu waren die schönsten Frauen zu finden. Und, was für Yvo das wichtigste war: Liu war immer mit vollem Herzen dabei. Die Frau, die er im Moment gerade liebte, genoss seine ungeteilte Hingabe. Oft währten seine Beziehungen nur kurze Zeit, dann war eine andere die schönste und beste. Doch Liu belog und missbrauchte niemanden. Er sagte nur, was er gerade empfand. Das erschien Yvo als anständig. Dass sich Lius Wahrheit häufig änderte, war letztendlich auch ehrlich. So war Liu eben.

Da Ehrlichkeit für Yvo ein hoher Wert war, beschloss er, Lius Modell zu übernehmen. Doch er merkte bald, dass seine Resultate eine andere Qualität hatten. Auf Lius Spuren waren Eifersuchtsszenen und Dramen an der Tagesordnung. Um Yvo weinte nicht einmal das Küchenmädchen, das seine erste Gespielin gewesen war. Während der ersten Monde in Mandrilar trafen sich die beiden, so oft er sich fortstehlen konnte. Sie erforschten ihre Körper und lernten hingebungsvoll voneinander. Als Yvo dem Mädel eines Tages erklärte, er müsse die Stadt verlassen, schien sie fast erleichtert. Seither hatte Yvo kaum eine Gelegenheit versäumt, doch der Abschied war stets kurz und schmerzlos gewesen. Nach und nach begriff er: bei ihm fehlte das, was man gemeinhin als Liebe bezeichnete.