Angelus Mortis

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Viertes Kapitel

Indem Werner der Oberstin versicherte, dass die fremde Dame ihm unbekannt sei, sagte er bewusst die Unwahrheit. So auffallende Gesichtszüge konnten bei ihm unmöglich in Vergessenheit geraten; er wusste, wie sehr diejenige, welche damit geschmückt war, die zärtlichsten Gefühle zu wecken vermochte, und er fürchtete sich schon jetzt vor einem Zusammentreffen, das die schrecklichsten Stürme für die Zukunft erwarten ließ. Aber sollte er unter diesen Umständen die Ruhe seiner ahnungslosen Herrin vergiften? War es nötig, in ihrem Herzen die verzehrenden Flammen der Eifersucht zu entfachen? Unglücklicherweise gibt es Situationen im menschlichen Leben, in denen es notwendig ist, die Wahrheit zu verschweigen und mit der Lüge ins Bündnis zu treten, um größeren Übeln vorzubeugen. Eine von diesen Situationen war nun eingetreten, und obwohl Werner ihr nur ungern seine Liebe zur Wahrheit opferte, sah er doch letztlich keine andere Möglichkeit, als der Oberstin zu verschweigen, was er wusste. Wie sehr wünschte er sich die Nacht herbei, um ruhig über diese schwierige Lage nachdenken zu können. Er war sich bewusst, wie wichtig es war, sich nichts von seiner inneren Unruhe anmerken zu lassen; denn wenn sich erst ein Verdacht im Busen der Oberstin regte, zu welch peinlichen Auftritten konnte das führen! Er riss sich daher zusammen und wachte selbst so streng über sich, dass Helene in seinen Gesichtszügen nichts Ungewöhnliches zu entdecken vermochte.

Es war schon nach elf Uhr abends, als Werner endlich wieder in sein Zimmer trat. Schnell ging er zu seinem Schreibtisch, um seinem Herrn zu schreiben, was sich zugetragen hatte.

»Wie groß wird Ihr Erstaunen sein, Herr Oberst, wenn Sie erfahren, dass Lodoiska jetzt hier in R… ist und in direkter Nachbarschaft zum Schloss wohnt. Was will sie hier, jetzt, nachdem so viele Jahre vergangen sind? Was hegt sie für Absichten? Diese Fragen kann ich Ihnen nicht beantworten. Sie hat mich nicht erkannt, zumindest gab ihr Verhalten nichts preis, was etwas anderes vermuten ließe. Lassen Sie mir jetzt Ihre Befehle zukommen und ich werde sie ohne Verzug ausführen. Wollen Sie sie wiedersehen und sich eine Zusammenkunft mit ihr verschaffen, um ihre Absichten zu erfahren? Oder ziehen Sie es vor, dass die Frau Oberstin und Ihre Kinder diese Gegend hier augenblicklich verlassen? Dies wäre vielleicht der beste Weg, den Sie einschlagen könnten. Doch eines steht fest, solange diese Lodoiska lebt, oder wenigstens, solange Sie von dieser Frau und ihren Vorwürfen verfolgt werden, können Sie weder glücklich werden noch Ruhe finden.«

Als Werner diese letzten Worte niedergeschrieben hatte, erschauderte er unwillkürlich; denn es schien ihm, als höre er hinter sich das Geräusch raschelnder Kleidung und spüre den Atem einer Person, die sich über ihn beugt, um zu lesen, was er gerade geschrieben hatte. Die Täuschung war so vollkommen, dass er nicht daran zweifelte, die Oberstin befinde sich dicht hinter ihm, und voller Schrecken hierüber, wagte er anfangs weder die Augen zu öffnen noch den Kopf zu drehen. Als sich nach Ablauf von einer Minute aber noch immer kein neues Geräusch vernehmen ließ, blickte er sich um und musste feststellen, dass er sich geirrt hatte. Kein lebendiges Wesen war in seinem Zimmer zu sehen und die tiefste Stille herrschte überall, nur dann und wann von dem Geschrei einer einsamen Eule unterbrochen, die in dem alten Turm des Schlosses nistete. Die Gewissheit, dass die Oberstin seinen Brief nicht gelesen hatte, ließ ihn eine große Erleichterung verspüren. Er verschloss sein Zimmer gewissenhaft und versuchte nun, sich einem erquickenden Schlaf zu überlassen; doch es gelang ihm nicht. Die geheimnisvolle Lodoiska ging ihm nicht aus dem Sinn, und in seinem Zorn auf sie fluchte er so laut, als ob er eine Abteilung Rekruten zu exerzieren hätte. Erst spät in der Nacht schlossen sich seine Augen und der Mensch in ihm lebte nur noch durch seine nächtlichen Beziehungen mit den himmlischen Geistern fort.

Für gewöhnlich war Werner schon auf den Beinen, noch bevor sich der erste Schimmer der Morgenröte am Firmament zeigte; diesmal aber stand die Sonne schon über den umliegenden Hügeln, als der alte Unteroffizier plötzlich aus dem Schlaf aufschreckte und über die Art von Bewusstlosigkeit, in der er gewesen zu sein schien, erstaunte. Zweifellos hatte man schon ohne ihn mit der Arbeit auf dem Feld begonnen. Voller Scham über diesen Fehler zog er sich schnell an und eilte hinunter in den Hof; dort angekommen fiel ihm jedoch ein, dass er den wichtigen Brief an seinen Herrn auf dem Schreibtisch vergessen hatte, und da seine Klugheit ihm riet, denselben nicht vor jedermanns Augen herumliegen zu lassen, kehrte er schnell in sein Zimmer zurück, um das Schreiben an sich zu nehmen und es später dem Boten, der täglich zur Stadt ging, zur Aufgabe bei der Post mitzugeben.

Doch der Brief befand sich nicht mehr an dem Ort, wo Werner ihn hatte liegen lassen. Er lag, in tausend Stücke zerrissen, auf dem Fußboden verstreut. Dieser ebenso sehr überraschende wie erschütternde Anblick entriss Werner einen lauten Aufschrei und versetzte ihn dann in ein peinliches Nachdenken. Wer konnte das Schreiben zerrissen haben? Wer war innerhalb so weniger Augenblicke in seinem Zimmer gewesen, um dort eine solche Unverschämtheit zu begehen? Sollte es die Oberstin, Lisette oder gar das Hausmädchen gewesen sein? Nur diese drei Personen konnten schon um diese Zeit aufgestanden sein. Er erinnerte sich, dass er das Hausmädchen auf dem Hof gesehen hatte; auch erblickte er Lisette durch das Fenster in der Küche, die gerade mit ihren Arbeiten beschäftigt war, und die Oberstin schien noch gar nicht aufgestanden zu sein, wie die geschlossenen Fensterläden ihres Zimmers zeigten. Kurz, er wusste nicht, was er von diesem außerordentlichen Vorfall halten sollte. Da er es nicht über sich brachte, den Brief sogleich von Neuem zu schreiben, sammelte er zunächst nur die Papierschnipsel vom Boden auf und übergab sie dem Feuer.

Den ganzen Tag über befand sich Werner in einer äußerst peinlichen Stimmung. Obwohl er überzeugt war, dass die Oberstin sein Zimmer nicht betreten hatte, fühlte er doch eine große Verlegenheit, als er heute zum ersten Mal in ihre Nähe kam. Doch trotz dieser Schwäche, die er zu unterdrücken versuchte, fasste er sogar den Mut, in den Gesichtszügen Helenes nach außergewöhnlichen Regungen zu forschen; aber diese waren so ruhig, dass unmöglich davon auszugehen war, dass sie Kenntnis von dem für sie verstörenden Inhalt des Briefes erlangt hatte. Werners Erstaunen wurde nun immer größer und er verlor sich vergebens in allerhand Vermutungen; höchst unangenehm aber war es ihm, als die Kinder ihn baten, sie wieder wie gestern zum Wald hinunterzuführen, weil sie hofften, ihre neue Freundin, wie sie die Fremde nannten, wiederzusehen.

Gerne hätte Werner es ihnen abgeschlagen; aber die Oberstin war zugegen, und ehe er noch ein Wort dazu sagen konnte, hatte sie schon ihre Einwilligung gegeben. Die Klugheit gebot ihm, sich nichts von seinen wahren Gedanken anmerken zu lassen, um bei der Gemahlin seines Obersts weder Argwohn noch Furcht zu erregen. Daher stieg er mit zurückgehaltenem Unwillen langsam den Hügel hinab, dem Ort entgegen, an dem sie die Fremde schon einmal getroffen hatten.

Kaum befanden sie sich am Saum des Waldes, als Lodoiska plötzlich aus dem Gebüsch hervortrat, in ihren Händen ein paar Federbälle und eine schöne Puppe haltend, die sie für die Kinder mitgebracht hatte. Sobald die beiden ihre neue Freundin erblickten, liefen sie auf sie zu, und Julie war so dreist, sich geradezu in ihre Arme zu werfen. Diese unschuldige Handlung schien die Fremde jedoch aufs Tiefste zu verstören; sie trat einen Schritt zurück und warf einen so finsteren, unheimlichen Blick auf das Kind, dass der mutige Werner dabei erstarrte. Aber diese anfängliche Erregung dauerte nicht lange; ganz plötzlich überflog wieder ein leichtes Lächeln die Gesichtszüge der Fremden und mit der größten Liebenswürdigkeit verteilte sie die mitgebrachten Geschenke.

Wilhelm, entzückt über die Federbälle, lief sogleich zur nahe gelegenen Wiese, um sie auszuprobieren, und Julie, ganz glücklich bei dem Anblick ihrer Puppe, bat um Erlaubnis, Blumen pflücken zu dürfen, um ihre kleine Dame damit zu schmücken. Die Fremde hatte nichts dagegen, und als sie sah, dass die Kinder vollauf mit ihren Spielen beschäftigt waren, näherte sie sich dem alten Unteroffizier, der tief in Gedanken versunken an einen Baum gelehnt stand und mit einem starken Gefühl von Unzufriedenheit über die jüngsten Ereignisse nachdachte. Werner fürchtete nämlich, dass das Auftauchen der Fremden große Verwerfungen in der Familie des Obersts auslösen könnte, und es wollte ihm trotz allen Nachdenkens kein Mittel einfallen, mit dem er das drohende Ungewitter aufhalten konnte.

Derart mit sich selbst beschäftigt, hatte er das Näherkommen der jungen Dame gar nicht bemerkt, sodass er plötzlich jäh durch eine ihm wohlbekannte Stimme, die aber in diesem Augenblick etwas so Dumpfes und Feierliches hatte, dass er sich davon bis ins Innerste ergriffen fühlte, aus seinen Gedanken gerissen wurde.

»Nun Werner«, sprach sie ihn an, »was habe ich dir getan, dass du stets gegen mich bist? Wirst du deine ungerechte Abneigung gegen mich denn niemals ablegen?«

Aufs Äußerste überrascht durch diese Worte, schlug der Soldat die Augen auf, entfernte sich von dem Baum, an dem er gelehnt hatte, und schien wenig geneigt, ihr zu antworten. Doch er überwand sich und sagte:

»Was wollen Sie von mir, Lodoiska? Warum haben Sie ihr Vaterland verlassen? Was suchen Sie hier in Deutschland? Ist die Zeit denn spurlos an ihnen vorübergegangen? Sollten sie tatsächlich noch immer das gleiche Ziel wie in ihren Jugendjahren verfolgen? Dann bedauere ich sie oder vielmehr beklage ich ihren Wahnsinn.«

 

»Die Zeit«, antwortete die Fremde in dem feierlichsten Ton, »vermag mir jetzt nichts mehr anzuhaben; es gibt ein Leben, in dem sie keine Macht mehr besitzt und die Empfindungen unveränderlich werden wie die Ewigkeit, von der sie ein Teil sind. Wundere dich nicht über meine Gegenwart, denn nicht mein Wille ist es, der mich leitet; ich gehöre nicht mehr mir selbst, sondern einem grausamen, gebieterischen Herrn, der mir jeden meiner Schritte vorzeichnet. Meine alte Wunde blutet noch und die Zeit, wie du sie nennst, hat das Recht verloren, sie zu vernarben.«

»Warum aber«, erwiderte Werner, »sich mit unnützen Hoffnungen quälen? Zwischen ihnen und dem Oberst ist alles vorbei. Er hat vielleicht ein Unrecht gegen sie begangen, aber er darf daran nicht mehr denken. Schon seit mehreren Jahren ist er der Gatte einer Frau, die seine Liebe verdient. Wollen sie etwa seine häusliche Ruhe stören? Treibt die Rache sie so weit, dass sie das Herz seiner Gemahlin zerreißen könnten?«

»Durfte er sich denn verheiraten, Werner? Gehörte dein Herr nur sich selbst, dass er sich so frei hinzugeben vermochte? Hat er nicht mit seinem eigenen Blut das Versprechen unterschrieben, nur mit mir vor den Altar zu treten? Weißt du das alles nicht mehr, du, der du so dreist von der Vergangenheit sprichst, die den Treulosen vernichten wird? War ich weniger schön als deine jetzige Gebieterin oder gar weniger tugendhaft? Was habe ich Unrechtes getan? Etwa, weil ich Liebe für Liebe gab und mich gänzlich einem Gefühl überließ, das ich für aufrichtig hielt? Habe ich mein Versprechen zurückgenommen, das auch ich mit meinem Blut unterschrieben habe? Liegt es nicht immer noch in Alfreds Händen, und kann er vor Gott der rechtmäßige Gatte einer anderen sein? Was habe ich Unrechtes getan? Er kann mir keine Vorwürfe machen, während ich ihn durch die Menge der meinen zu Boden schlagen könnte!«

Während die schöne Fremde so sprach, schien sie der Erde gar nicht mehr anzugehören; ihre hohe und schlanke Gestalt, der unstet umherschweifende Blick, die in ihren Gesichtszügen deutlich sichtbaren Anzeichen des Unwillens, die ihrem Mund einen furchtbaren Ausdruck gaben, all dies ließ sie wie ein überirdisches Wesen erscheinen. Werner war nicht imstande, dem Blick ihres forschenden Auges standzuhalten, das seine Gedanken bis in die innersten Falten seines Herzens zu verfolgen schien. Insgeheim musste er zugeben, dass sein Herr ihr Unrecht getan hatte; aber es war auf keine Weise wiedergutzumachen und Lodoiska musste, trotz der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche, auf die Einlösung des Versprechens verzichten. Dies versuchte er, ihr in seiner Antwort begreiflich zu machen.

Die Fremde hörte ihm mit einem verächtlichen Lächeln zu, ohne ein Anzeichen von Erstaunen oder Unzufriedenheit zu zeigen. Schon gab er sich der Hoffnung hin, sie überzeugt zu haben, und wollte gerade ansetzen, seinen Sieg zu vollenden, als sie plötzlich ihre rechte Hand auf seine Schulter legte. Diese mit einer Art von Nachlässigkeit ausgeführte Bewegung brachte in ihm eine geradezu außerordentliche Wirkung hervor. Dort, wo Lodoiskas Hand seine Schulter berührt hatte, verspürte er plötzlich ein ganz seltsames Gefühl, und es schien ihm, als wenn er auf einem glühenden Ofen säße und gleichzeitig mitten in ein Meer von Eis geschleudert würde; dieses Gefühl verlor sich aber sogleich wieder, nachdem die Hand, die es ausgelöst hatte, zurückgezogen wurde.

»Habe ich ihn von seinem Versprechen entbunden?«, fragte Lodoiska ruhig, ohne auf die Gründe einzugehen, die ihr Werner soeben dargelegt hatte. »Besitzt er unseren schriftlichen Vertrag noch?«

»Es ist ganz gleich, ob er ihn noch hat oder nicht, es kommt ja doch nicht mehr darauf an; mag er in seinen Händen sein oder in den ihren, wozu könnte er noch dienen? Die Gerichte werden ohnehin keine Rücksicht darauf nehmen.«

»Es ist gut möglich, leichtsinniger Soldat, dass die menschlichen Gesetze gegen diese Art von Meineid nichts vermögen; aber in der jenseitigen Welt gibt es einen unbestechlichen Richter. Und dieser war Zeuge des Versprechens; an ihn habe ich mich gewandt, um Gerechtigkeit zu erlangen, und ich bin mir sicher, diese auch zu erhalten.«

»Nun ja, Lodoiska«, erwiderte Werner lächelnd, »da werden sie wohl noch lange warten müssen, bis das Urteil, von dem sie sprechen, vollzogen wird. Glauben sie mir, es wäre am besten für sie, wenn sie in ihr Vaterland zurückkehrten und dort ruhig bei ihrer Familie lebten. Seien sie überzeugt, dass der Oberst nicht zögern wird, ihnen durch ein anständiges Jahresgehalt eine ruhige und sorglose Zukunft zu ermöglichen.«

»Das steht nicht mehr in seiner Macht«, antwortete die Fremde in einem noch feierlicheren Ton als bisher. »Ich habe keine Familie mehr, die ganze Erde ist nun mein Vaterland, und der Mittel, die du mir in Alfreds Namen versprichst, bedarf ich nicht. Das Geld ist in meinen Augen verächtlich und ich besitze es im Überfluss. Wenn du mir versicherst, deinem Herrn nicht zu melden, dass ich hier bin, verspreche ich dir mehr Reichtümer, als du dir wünschen kannst. Hier«, fuhr sie fort, eine sehr große gefüllte Geldbörse hervorziehend, »nimm dies als Anzahlung darauf, was du noch in Zukunft von mir erhalten sollst.«

Die seltsamen Worte Lodoiskas machten das Erstaunen des alten Soldaten vollkommen. Er wusste, dass sie, die Tochter eines moldauischen Bauern, nicht reich war, und jetzt gab sie ihm den Beweis des Gegenteils. Dies trug keineswegs dazu bei, sein Misstrauen ihr gegenüber zu verringern, und so war es wenig verwunderlich, dass es der Fremden nicht gelang, ihn mit ihrem Angebot zu verführen.

»Auch ich, Lodoiska«, sagte Werner, »bin über meine Bedürfnisse erhaben. Dennoch danke ich ihnen für ihr großmütiges Angebot; doch es könnte mich nicht reizen, selbst wenn ich die Absicht hätte, dem Oberst zu schreiben, dass sie hier sind.«

»Lügner!«, antwortete Lodoiska lebhaft. »Du hast sie, diese Absicht, und du hast schon versucht, sie auszuführen.«

Diese zuversichtliche Behauptung, die für ihn einer Beleidigung gleichkam und für die eine männliche Person mit ihrem Blut hätte bezahlen müssen, ließ den erstaunten Werner fast erstarren. Er wusste nicht, ob er seinem Zorn freien Lauf lassen sollte oder ob es nicht besser wäre, ihn zu unterdrücken; doch die Heftigkeit seines Charakters riss ihn mit fort und er rief voller Unwillen:

»Danken sie es ihrer weiblichen Kleidung, die sie vor meiner augenblicklichen Rache schützt! Aber welchen Titel verdienen sie wohl, unvorsichtiges Weib, die sie sich erdreisten, heimlich in fremde Häuser einzudringen und die Handlungen ihrer Bewohner auszuspionieren? Sie stehen früh genug auf, wie es scheint; aber seien sie sicher, dass sie so bald nicht wieder ohne mein Wissen ins Schloss eindringen werden.«

Ein Lächeln, das Werner nicht zu deuten vermochte, war Lodoiskas ganze Antwort darauf. Dann aber nahm sie plötzlich eine würdevolle Miene an und sagte:

»Bedenke, Werner, dass du tätigen Anteil an meinem Unglück gehabt hast; ich warne dich jetzt, nicht blind in den Abgrund des Verderbens zu rennen. Glaube mir, es wird am besten für dich sein, unparteiisch bei dem Kampf zu bleiben, der sich bald erheben kann; dies ist der einzige Weg für dich, dem nahenden Ungewitter zu entgehen.«

Bei diesen Worten sprühten ihre Augen wie Feuer. Und ohne noch den Stimmen der beiden Kinder Beachtung zu schenken, die, ihrer Spiele müde, sich näherten, um mit ihr zu plaudern, machte sie gegen Werner eine fürchterlich drohende Gebärde und ging mit schnellen Schritten auf einen schmalen Fußweg zu, der sie schon bald den Blicken entzog. Werner stand wie unbeweglich da und war in tiefes Nachdenken über das Unglück versunken, das er schon mit Gewissheit heraufziehen sah, als er plötzlich durch Wilhelm aus seiner Träumerei geweckt wurde.

»Werner, hörst du den Donner nicht, der dort aus der schwarzen Wolke herüberrollt? Sieh doch, welch schöne Blitze! Es wird gewiss ein Gewitter geben.«

»Ein Gewitter?«, rief Werner erstaunt. Sollte ihre Prophezeiung schon so schnell in Erfüllung gehen? — Er erblickte nun ebenfalls die heranziehenden schwarzen Wolken, aus denen sich immer häufiger Blitze entluden, und da die Vorsicht nicht erlaubte, den Spaziergang noch weiter fortzusetzen, nahm er seine beiden jungen Freunde an die Hand und kehrte auf dem kürzesten Weg mit ihnen zum Schloss zurück.

Fünftes Kapitel

Helene, die bereits von ihrem Fenster aus gesehen hatte, dass ein Gewitter heraufzog, war schon in großer Sorge darüber, dass ihre Kinder noch nicht zurück waren. Voller Ungeduld verließ sie daher das Schloss, um ihnen entgegenzugehen; doch sie war noch gar nicht weit gekommen, als sie auch schon das laute Lachen der kleinen, übermütigen Julie hörte, und bald darauf sah sie die teuren Wesen auf sich zulaufen. Die Kinder sprachen von nichts anderem als von der schönen Dame und von den Geschenken, die sie ihnen gemacht hatte. Helene war viel zu sehr Mutter, um nicht gleich ein günstiges Urteil über die Person zu fällen, die ihren teuren Kindern eine solche Freude machte. Mit Spannung erkundigte sie sich, was die Fremde gesagt hatte.

»Oh, diesmal«, antwortete das kleine Mädchen, »hat sie nicht lange mit uns geplaudert. Sie sprach die ganze Zeit nur mit Werner, den sie am Ende voller Wut verließ.«

Diese wenigen Worte des Kindes stürzten alle Pläne über den Haufen, die der Unteroffizier sich unterwegs schon zurechtgelegt hatte. Er wusste, dass die Oberstin ihm nicht glauben würde, wenn er der kleinen Julie widerspräche; doch ein Entschluss musste gefasst werden, und obwohl er es verabscheute zu lügen, wartete er nicht erst ab, bis Helene ihn fragte, sondern tischte ihr, gleich nachdem sie die Kinder durch einen Wink fortgeschickt hatte, folgende Geschichte auf:

»Frau Oberstin, ich hatte vollkommen recht damit, der Unbekannten nicht zu trauen. Glauben sie mir, dass sie ihren Aufenthalt hier in R… nicht ohne gefährliche Absichten gewählt hat. Eine ganze Stunde lang hat sie mich mit Fragen über ihre Familie und die gesamte Nachbarschaft gepeinigt. Sie wollte alles wissen, das Alter, den Rang, die Beschäftigung eines jeden, und sie wurde gar nicht müde in ihren Versuchen, mich auszufragen. Anfangs versuchte ich, ihren unverschämten Fragen mit Höflichkeit auszuweichen, aber sie hielt sich noch nicht für besiegt und kehrte zum Angriff zurück. Eine Frage folgte auf die andere, gleichsam wie ein ununterbrochenes Heckfeuer, sodass ich der Sache schließlich überdrüssig wurde. Ich nahm meine Truppen zusammen und rückte ihr mit gefälltem Bajonett auf den Leib, sodass ich ihr eine völlige Niederlage beibrachte. Mein Widerstand rief eine solche Bestürzung bei ihr hervor, dass sie in höchst übler Laune ihren Rückzug antrat.«

Diese mit militärischen Ausdrücken vermischte Rede rang der Oberstin ein Lächeln ab. Die Fragen der Fremden schienen ihr gar nicht so unverschämt, wie Werner sie darstellte; sie hielt es für ganz natürlich, sich nach den Familien der Gegend, in der man sich niedergelassen hatte, zu erkundigen.

»Ich hoffe, mein lieber Werner, dass deine Antworten nicht beleidigend gewesen sind; man muss Achtung vor den Damen haben und gerade ein Soldat sollte im Umgang mit dem schwachen Geschlecht ein zuvorkommendes Verhalten an den Tag legen.«

»Das mag für unsere Herren Offiziere gelten«, erwiderte Werner; »aber wir, die wir nicht deren Vorrechte genießen, brauchen auch nicht ihre Höflichkeiten nachzuahmen.«

Mit diesen Worten, die er absichtlich etwas hart aussprach, entfernte sich der alte Soldat und Helene kehrte nun zu ihren Kindern zurück, während das Gewitter immer näher kam und der Regen schon in Strömen niederfiel. Helene fürchtete das Rollen des Donners so wenig wie ihre Kinder; aber Lisette und Marie waren in größter Angst. Sie eilten zu ihrer Herrin, um bei ihr Schutz zu suchen, den sie ihnen auch nicht verweigerte. Da Werner unterdessen ungestört sein konnte, begab er sich auf sein Zimmer, und trotz eines unwillkürlichen Schauders, der sich mehrmals in seinem Innern erhob, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um ein zweites Mal an seinen Herrn zu schreiben.

Das Gewitter wurde immer heftiger und die Winde kämpften so fürchterlich miteinander, dass sie in ihrer Wut das Schloss in seinen Grundfesten zu erschüttern drohten. Von Zeit zu Zeit erschien es Werner sogar, als ob sich klagende Stimmen unter das Rollen des Donners und das Heulen des Sturmes mischten; ja, er hörte Worte, deren Ton seinem Ohr nicht unbekannt war. Mehrere Male hörte er unwillkürlich auf zu schreiben; dann aber, voller Scham über seine Schwäche, sammelte er seine Gedanken wieder und zur Stunde des Abendessens war sein Brief an den Oberst fertig.

 

Da er sein Schreiben nicht abermals den Versuchen Lodoiskas aussetzen wollte, schloss er es in einen Kasten ein und legte diesen in seinen Kleiderschrank. Von beiden nahm er die Schlüssel an sich und verließ dann ruhig sein Zimmer, überzeugt davon, dass sein Geheimnis nun in Sicherheit war.

Draußen tobte noch immer das Unwetter und Lisette wie auch Marie waren schon fast tot vor Angst. Die Kinder, des Wartens auf das Abendessen müde, schliefen auf einem Sofa, und Helene las in einem guten Buch. Werners Eintritt in das Zimmer belebte die beiden Mädchen wieder, die sich nun entschlossen, zu ihren jeweiligen Verrichtungen zurückzukehren, und bald darauf wurde auch das verspätete Abendessen aufgetragen.

Erst gegen Mitternacht wurde der Himmel wieder heiterer und nach und nach beruhigte sich die Natur. Werner hatte dem Unwetter mit heimlichem Vergnügen zugesehen, denn er wusste, dass es bei solchen Regenmengen mehrere Tage lang unmöglich sein würde, spazieren zu gehen; und er hoffte, dass während dieser Zeit irgendein Umstand eintreten möge, der die neue Bekanntschaft zwischen den Kindern und Lodoiska beenden würde; ja, er schmeichelte sich, dass die Antwort des Obersts auf seinen Brief dem ganzen Leben der Familie eine andere Richtung geben könnte.

Mit diesen Gedanken beschäftigt, die ihm keine Ruhe ließen, schlief der brave Soldat nur wenig. Der neue Tag war noch nicht angebrochen, als Werner schon wieder auf den Beinen war. Er nahm seine Schlüssel und öffnete den Schrank und den Kasten, um den Brief herauszunehmen, den er unverzüglich nach Prag auf die Post senden wollte. Er fand ihn tastend und steckte ihn in seine Tasche, ohne einen Blick darauf zu werfen, da es ohnehin noch dunkel war; hierauf ging er hinunter in den Hof, um den Knecht zu rufen, der ihm als Bote dienen sollte.

Ehe er ihn fand, verging einige Zeit, und die heraufsteigende Morgenröte erhellte bereits die Erde ringsumher, als er den alten Peter damit beauftragte, sich sogleich auf den Weg zur Stadt zu machen, um einen höchst eiligen Brief auf die Post zu bringen. Während er mit ihm sprach, zog er den Brief aus der Tasche und warf noch zufällig einen Blick darauf, ehe er ihn übergab. Doch was er nun sah, machte ihn schier fassungslos … denn das Papier war mit großen Blutstropfen befleckt, sodass nicht einmal mehr die Aufschrift zu entziffern war! —

Unwillkürlich presste sich ein Schrei aus der Kehle des zutiefst erschrockenen Soldaten. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen; unbeweglich stand er da, den Brief zwischen den Fingern hin- und herdrehend, ohne noch immer zu begreifen, was er in den Händen hielt. Dann kehrte er schnell seine Tasche um, aber sie war völlig rein, ohne auch nur die geringste Spur von Blut aufzuweisen. Hastig eilte er ins Schloss zurück auf sein Zimmer, um den Kasten zu untersuchen, in dem der Brief gelegen hatte; aber auch hier fand sich nichts, was das Papier beschmutzt haben könnte. Wie erstarrt stand Werner nun in seinem Zimmer, ohne noch einen klaren Gedanken fassen zu können; doch schon bald erholte er sich wieder und ohne Zeitverlust schrieb er den Brief nun zum dritten Mal. Zwar kürzte er ihn ab, aber sein Inhalt war desto dringender, und sobald er fertig war, übergab er ihn dem Boten, den er zur größeren Sicherheit noch ein gutes Stück weit begleitete.

Werner besaß Mut, aber dennoch konnte er sich jetzt einer gewissen abergläubischen Furcht nicht erwehren. Mit der größten Unruhe erinnerte er sich an die Erzählungen, die er in Russland und vor allem in der Moldau und Walachei gehört hatte, als er sich mit seinem Regiment dort aufhielt; an die Sagen von Menschen, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten und dadurch eine übernatürliche Macht zum Schaden ihrer Mitmenschen erlangten. All jene Märchen fielen ihm jetzt wieder ein, und das, was er soeben erlebt hatte, verleitete ihn sogar zu dem Glauben, dass Lodoiska sich durch ein solches Bündnis eine ähnliche Macht verschafft haben könnte. Doch schon bald verwarf er diese Gedanken wieder. »Was für ein Tor ich doch bin«, sagte er zu sich selbst, »an solchen Unsinn zu glauben. In der Moldau und Walachei mag so etwas angehen, da dort ohnehin nur Barbaren wohnen; aber in Deutschland hat der Teufel schon lange sein Recht verloren oder es bloß den Taschenspielern überlassen; das sind die Einzigen, die bei uns noch für ihn arbeiten, und vielleicht ist Mamsell Lodoiska eine solch geschickte Taschenspielerin. Aber sie mag sich in Acht nehmen; denn es würde ihr übel ergehen, wenn ich sie einmal auf frischer Tat ertappen sollte.«

Nachdem er hierauf einer Flasche mit gutem alten Rum, die auf seinem Tisch stand, einen Besuch abgestattet hatte, vergrößerte sich sein Mut noch und er nahm sich vor, seine Wachsamkeit künftig zu verdoppeln, um herauszufinden, wodurch sich Lodoiskas Einfluss bis ins Schloss erstreckte. In der Hoffnung, recht bald vom Oberst Antwort zu erhalten, ging er dann wieder seinen gewöhnlichen Geschäften nach.

Die Einsamkeit, in der die Familie Lobenthal im Schloss R… lebte, ging indessen nicht so weit, dass sie nicht von Zeit zu Zeit durch einige Besuche unterbrochen worden wäre, welche die auf den umliegenden Gütern wohnenden Herrschaften im Schloss abstatteten. Sie wurden stets mit großer Höflichkeit und Gastfreundschaft empfangen und Helene sah sie sogar mit Vergnügen, besonders seitdem ihr Gatte abwesend war; denn sie bedurfte der Zerstreuung jetzt mehr als früher und fand sie im Umgang mit den Nachbarn. Daher war es auch nicht ungewöhnlich, als noch am selben Tag, nachmittags um zwei Uhr, ein alter Edelmann aus der Nachbarschaft im Schloss eintraf, der früher Oberjägermeister gewesen war, jetzt aber ruhig sein Feld bestellen ließ.

Herr von Krauthof war ein großer Esser und ein erprobter Trinker, der seine freie Zeit fast ausschließlich mit Besuchen zubrachte und dabei weder die Schlösser der Herrschaften noch die Häuser der Pächter verschmähte. Seine vorzüglichste Eigenschaft bestand darin, stundenlang nichts als Komplimente herzusagen; und nachdem er diesem wichtigen Ritual auch heute wieder beim Eintritt in Helenes Zimmer Genüge getan hatte, kam er endlich auf einen Gegenstand zu sprechen, der uns hier näher angeht.

»Nun, Frau Oberstin«, fuhr er im Fluss seiner Rede fort, »sie haben ja eine liebenswürdige Nachbarin bekommen. Ich sage: liebenswürdig, obgleich ich nicht recht weiß, warum; denn mich hat sie mit einer verzweifelten Strenge behandelt. Erst am vergangenen Dienstag erfuhr ich, dass sich hier in der Gegend eine fremde Dame niedergelassen hat, deren Schönheit allgemein gelobt wird; ich hielt es daher für meine Pflicht, ihr sogleich einen Besuch abzustatten, nicht zuletzt, um ihr einen guten Eindruck von unseren hiesigen Herren zu vermitteln. Gestern also begab ich mich zu dem Häuschen im Wald, meinen Regenschirm unter dem Arm, weil man dem Wetter derzeit ebenso wenig trauen kann wie den Menschen. Als ich ankam, war die Haustür verschlossen. Ich fand dies nicht ungewöhnlich, weil ja ein jeder in seinem Hause Herr sein will; ich klopfte daher an und man öffnete. Schon war ich im Begriff einzutreten, als ich plötzlich ein wahres Gespenst vor mir sah, das mir den Weg versperrte. Stellen sie sich den größten und zugleich den magersten aller Menschen vor: ein Gesicht wie ein Jesuit, Augen wie eine Eule und eine Miene, als wenn er eher ein Bewohner jener als dieser Welt wäre; eine raue und hohle Stimme, eine Manier wie ein Holzblock und einen völlig verpesteten Atem.

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