Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs

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Barbaren am Rande des Nervenzusammenbruchs
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Thomas Niggenaber





Barbaren





am Rande des



Nervenzusammenbruchs





Roman





Impressum





Texte:    © 2021 Thomas Niggenaber



Umschlag:  © 2021 Thomas Niggenaber





Verantwortlich



für den Inhalt:  Thomas Niggenaber



   Stockumer Str.12



   44225 Dortmund





Druck:   epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin




1





Erst nach vielen Stunden brachialer Gewalt fand die Schlacht an den Reißzahn-Bergen am späten Nachmittag ihr Ende.



Dort, wo in den frühen Morgenstunden die Armee der Barbaren auf das Heer der Orks geprallt war wie Brandung auf Fels, kehrte nun eine unheimliche Ruhe ein. Statt des Kampflärms war nur noch das Klagen der Verletzten und das Wimmern der Sterbenden zu hören, welches vom leisen Rauschen des Windes begleitet wurde.



Von den beiden einstmals gewaltigen Streitmächten vermochte es nur noch eine Handvoll Krieger, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. In den meisten darniederliegenden Leibern steckte noch nicht einmal mehr ein Rest von Leben, was sie zu einer üppigen Mahlzeit für jeden Aasfresser machte.



Der Gestank von Blut und Tod lockte auch schon bald unzählige Krähen herbei. Ein schmackhaftes Stück toten Gedärms oder den ein oder anderen delikaten Augapfel wollten sich selbige freilich nicht entgehen lassen. Einem gewaltigen schwarzen Schleier gleich senkte sich dieser Schwarm auf die weite Ebene am Fuße des Gebirges nieder. Jedwede Tischmanieren vermissen lassend nahm sich die Vogelschar dann umgehend der vielen Leichen menschlicher und orkischer Krieger an.



Nur einer der dunkel gefiederten Gesellen – ein Exemplar, das aufgrund seiner Größe auch ein Rabe hätte sein können – stürzte sich nicht sofort auf die erst kürzlich dahingeschiedenen Leckerbissen. Er ließ sich auf dem kahlen Ast eines abgestorbenen Baumes nieder, der inmitten der kargen, mit blassbraunem Steppengras bewachsenen Landschaft stand. Aus tiefschwarzen, seltsam intelligent wirkenden Augen beobachtete er von hier aus seine Artgenossen bei ihrem grausigen Festschmaus.



Von den wenigen Überlebenden, die sich mühsam humpelnd, auf allen vieren oder sogar auf dem Bauch kriechend ihren Weg vom Schlachtfeld suchten, ließen sich die gefiederten Leichenfledderer nicht stören. Unbeeindruckt und gierig pickten sie an den toten Körpern herum, die sich hier und da sogar zu kleinen Hügeln häuften.



Auf einen dieser blutigen Leichenhaufen stieg Zorm der Zerfetzer, Heerführer der Nordland-Barbaren und einer der bekanntesten und gefürchtetsten Krieger Archainos. Selbst in den entlegensten Winkeln dieser Welt kannte man seinen Namen und seinen Ruf als grausame, gnadenlose und unbesiegbare Kampfmaschine. Wenn er guter Laune war – so erzählte man sich –, riss er seinen Gegnern Arme und Beine mit bloßen Händen aus. War seine Laune schlecht, fügte er ihnen meist sogar ernsthafte Schmerzen zu.



In seiner Rechten hielt Zorm sein mächtiges Breitschwert, dessen Klinge nahezu vollständig bedeckt war mit dem Blut seiner erschlagenen Feinde. Sein massiger, nur aus steinharten Muskeln bestehender Leib war ebenso blutbesudelt, was der Reinheit seiner Garderobe natürlich sehr abträglich war. Da diese jedoch ohnehin nur aus einem Lendenschurz und Fellstiefeln bestand, schenkte er diesem Umstand keinerlei Beachtung.



Auf dem Gipfel des Leichenhügels blieb der Zerfetzer stehen. Während seine lange, blonde Mähne im Wind wehte, blickte er mit grimmiger Miene und aus stahlblauen Augen gen Süden.



Von dort näherte sich langsam eine Gestalt, die ebenso beeindruckend und ehrfurchtgebietend war wie Zorm, wenn nicht vielleicht sogar noch ein wenig imposanter, massiger und blutbesudelter.



Es war Morack Meuchelhammer, Hordenführer der Bergorks.



In Sachen Grausamkeit war Morack dem Barbaren wohl mehr als nur ebenbürtig. Seine Halskette aus menschlichen Ohren und die vielen, ebenfalls menschlichen Skalps, die er an seinem Gürtel trug, legten davon Zeugnis ab. Manch Barde sang Balladen darüber, wie der Ork seinen Opfern manchmal die Därme aus den Körpern riss, um sie damit zu erdrosseln. Diese Lieder gehörten jedoch zu den gemäßigteren Stücken über Morack, die man auch schon mal auf Familienfeiern vortrug.



Während sich dieser grünhäutige Kampfkoloss gemächlich seinen Weg über das Schlachtfeld bahnte, erlöste er im Vorbeigehen noch so manch Sterbenden von seinen Qualen. Ganz gleich war es ihm, ob es sich dabei um Mensch oder Ork handelte. Ein kurzer Hieb mit seiner riesigen, mit spitzen Metalldornen bestückten Keule ließ die Lebenslichter beider Rassen gleichermaßen schnell erlöschen. Ob man von diesen armen Seelen vielleicht noch einige hätte retten können, tangierte Morack selbstverständlich überhaupt nicht. Ihr erbärmliches, unverschämt leidvolles Stöhnen entsprach einfach nicht seinem Sinn für Heldentum und Tapferkeit. Es nervte ihn deshalb in hohem Maße.



Als er sich dem Zerfetzer bis auf wenige Meter genähert hatte, breitete er seine muskelbepackten Arme aus und lachte laut. Das Dröhnen seiner Stimme scheuchte nun auch endlich die gefräßigen Krähen auf. Lauthals krächzend beschwerten sie sich über die Störung ihrer Mahlzeit, während sie erbost davonflogen. Nur der schwarze Bursche auf dem Baum blieb einsam sitzen und beobachtete weiter das Geschehen.



»Was für ein herrlicher Tag!« Der Ork grinste breit. Seine prächtigen Hauer, die aus seinem vorstehenden Unterkiefer hinauf bis zu seinen Augen ragten, glänzten dabei strahlend weiß im Licht der tief stehenden Sonne.



»Was für eine glorreiche Schlacht! Der Boden getränkt vom Blut der Erschlagenen, Hunderte von zerschmetterten Leibern und kaum ein Krieger, der noch aufrecht gehen kann – was kann man vom Leben mehr erwarten? Und nun folgt als krönender Abschluss das epische Gefecht der zwei mächtigsten Krieger des Landes. Lass uns beginnen, Zorm, die Götter wollen Blut sehen!«



Zur Überraschung des Orks machte der Zerfetzer keinerlei Anstalten, dieser Aufforderung nachzukommen. Er stand nur reglos, irgendwie erstaunlich unheldenhaft da und ließ die breiten Schultern kraftlos herabhängen. Noch verblüffter war Morack von dem Ausdruck der Bestürzung, der urplötzlich die Miene des Barbaren prägte.



»Das … das ist ja alles so furchtbar«, murmelte dieser leise. »All diese Toten, all diese bedauernswerten Kreaturen.« Mit gesenktem Kopf blickte er um sich. »Schau mich doch mal an – ich stehe auf einem Berg aus Leichen und bin von Kopf bis Fuß mit Blut beschmiert. Das ist doch krank!«



Der Ork stutze. »Hä, was stimmt denn mit dir nicht? Was soll denn an einem Haufen Kaputter so schlimm sein? Und Blut ist doch ungemein dekorativ, solange es nicht das eigene ist. Und jetzt lass uns endlich loslegen, daheim wartet mein Abendessen auf mich.«



Der Barbar schüttelte sein noch immer gebeugtes Haupt. »Nein, keine weitere Gewalt mehr! Ich ertrage dieses Morden und endlose Blutvergießen nicht mehr. Tun dir die vielen Gefallenen denn nicht auch leid? Empfindest du denn kein Mitleid für all diese armen Wesen? Nur weil wir sie in den Kampf geschickt haben, mussten sie alle sterben. Welch gigantische Schuld haben wir damit auf unsere Schultern geladen?«



Morack Meuchelhammer grunzte verächtlich. »Was erzählst du denn da für einen Kappes? Das war doch ein 1A-Gemetzel! Unsere Leute haben über Stunden fröhlich aufeinander eingedroschen. Sie sind voller Stolz und Elan in den Tod gegangen, haben alles gegeben, so wie es sich für echte Krieger geziemt. Nur dafür haben sie gelebt, nur dafür wurden sie geboren!«



»Also ich weiß ja nicht.« Zorms Stimme klang beinahe schon weinerlich. »Das kann doch nicht der Sinn unserer Existenz sein. Es gibt doch so viel Schönes auf dieser Welt, für das es sich zu leben lohnt: Freunde, ein bisschen Frieden, ein hübsches Zuhause und eine glückliche Familie.« Mit merkwürdig sanftem Blick sah er sein Gegenüber an. »Hast du Familie, Ork?«



Der grünhäutige Hüne atmete tief ein und der Stolz ließ seinen ohnehin schon gewaltigen Brustkorb dermaßen anschwellen, dass man bequem einen Humpen Met auf ihm hätte abstellen können. »Natürlich habe ich das! Ich habe achtundzwanzig Weiber, die mir so ungefähr einundfünfzig oder zweiundfünfzig Kinder geschenkt haben – so ganz genau weiß ich das nicht. Mehr als dreißig davon sind aber ganz sicher männlich.« Mit seiner zur Faust geballten linken Hand schlug sich der Ork vor die Brust, was einen dumpfen, hohlen Ton erzeugte. »Meinem leuchtenden Beispiel zu folgen und ein ebenso großer Krieger wie ich zu werden, das ist natürlich der sehnlichste Wunsch all meiner Söhne. Sie alle sind unsagbar stolz darauf, einen Vater wie mich zu haben und sie alle werden nach meinem Tod stolz die Geschichten meiner Heldentaten erzählen.«



»Ein lebender Vater würde ihnen dann gewiss lieber sein«, gab Zorm zu bedenken. »Ein Vater, der für sie da ist, der sich ihre Sorgen anhört und mal was Schönes mit ihnen unternimmt. Einen Ausflug ins Grüne oder ein nettes Gesellschaftsspiel zum Beispiel. Ich habe zwar noch keine Familie, aber ich werde eines Tages ein solcher Vater sein. Ich habe so viel Schlechtes getan, habe so viel Leid verursacht und so unglaublich vielen Wesen den Tod gebracht. Das muss nun ein Ende haben. Ich werde nur noch Gutes tun, ich werde eine Familie gründen, mit der ich gemeinsam die Liebe und den Frieden hinaus in die Welt tragen werde.«



Der blonde Barbar richtete sich auf. Er erhob sein Haupt und starrte in den dunkler werdenden Himmel, als würde er dort oben etwas Erhabenes, etwas Bedeutungsvolles erblicken.



Dann fuhr er mit lauter, feierlicher Stimme fort. »Hier und jetzt gelobe ich im Beisein Hunderter dahingemordeter Seelen: Mein Weg soll von nun an der Pazifismus sein!«

 



»Pattsi… was?« Die Augen des Orks verengten sich zu schmalen Schlitzen. »So ein Wort gibt es doch gar nicht!« Ein Augenblick verging, dann blitzte ein Funke vermeintlicher Erkenntnis in ihm auf. Voller Misstrauen musterte er den Barbaren. »Ist das vielleicht eine List, Mensch? Willst du mich etwa verwirren, weil du glaubst, mich so leichter besiegen zu können?«



»Aber nein, versteh doch«, flehte Zorm eindringlich. »Ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich will nie wieder kämpfen. Kämpfen ist doof!«



Ob nun die Empörung oder die Verwirrung in ihm überwog, dessen war sich Meuchelhammer nicht gewiss. Sein Antlitz zeigte jedoch eindeutig die Anzeichen großer Verwunderung.



»Du willst echt nicht kämpfen?«, erkundigte er sich noch einmal ungläubig.



»Nein!«, erwiderte Zorm entschlossen.



»Etwas raufen vielleicht?«



»Nö!«



»Könntest du wenigstens dein Schwert erheben, damit ich dich reinen Gewissens erschlagen kann?«, schlug der Ork vor. »Du brauchst dich auch nicht zu wehren.«



Der Zerfetzter verneinte vehement. »Das werde ich auch nicht tun! Ich will nur noch nette Sachen machen – so wie Bilder malen, Gedichte schreiben oder einen kleinen Garten mit bunten Blumen anlegen.«



Während Morack Meuchelhammer nun versuchte, das soeben Gehörte zu verarbeiten, verfolgte der schwarz gefiederte Beobachter – noch immer unbemerkt von den beiden Kriegern auf seinem Ast hockend – das Gespräch aufmerksam. Es schien fast so, als könnte er jedes Wort der beiden Kontrahenten verstehen. Als der Ork plötzlich seine Keule erhob und sich dem Barbaren drohend näherte, zuckte er nur kurz und leicht erschrocken zusammen. Der blonde Barbar auf dem Leichenhaufen tat es ihm gleich.



»Jetzt hab ich die Schnauze aber so langsam voll!«, äußerte sich Morack lautstark. »Ich bin hierhergekommen, um gegen Zorm den Zerfetzer zu kämpfen, einen der mächtigsten Barbarenkrieger unserer Zeit. Man hat mir von deiner Wildheit, deiner Stärke und deiner Unerbittlichkeit erzählt. Du wärst beinahe ein so fähiger Kämpfer wie ich, haben sie gesagt, mir im Kampf vielleicht sogar ebenbürtig. Doch was sehe ich nun vor mir? Ein jammerndes, rückgratloses Etwas! Ein widerliches, feiges Gewürm, das sich mit wirren Worten einem anständigen Kampf zu entziehen versucht. Erhebe endlich dein Schwert, du Lappen!«



Morack Meuchelhammer hatte in dieser endlosen Schlacht, die er sein Leben nannte, schon viel gesehen. In die Augen unzähliger Feinde hatte er geblickt, während er ihnen den Bauch aufgeschlitzt, die Eingeweide herausgerissen oder Schlimmeres angetan hatte. Er hatte gegen Kreaturen gekämpft, deren bloßer Anblick andere in die Flucht geschlagen hätte oder sie sogar wahnsinnig hätte werden lassen.



Doch nun bot sich dem Ork ein Anblick, der ihn zutiefst verstörte und sein Weltbild bis ins Mark erschütterte: Über die ausgeprägten, nervös zuckenden Wangenknochen des Barbaren bahnte sich eine Träne langsam ihren Weg nach unten.



»Das … das war total fies von dir«, jammerte der Zerfetzer. »Warum sagst du so garstige Sachen zu mir? Denkst du denn gar nicht darüber nach, was solche Beleidigungen in den Seelen anderer Wesen anrichten können? Wörter können mehr verletzen als Schwerter, weißt du? Sie schneiden tief in dein Innerstes und hinterlassen dort Narben, die niemals richtig verheilen.«



»Ich werde dir dein Innerstes gleich mal zeigen!«, erwiderte Morack und seine Stimme wurde mehr und mehr zu einem bedrohlichen Knurren. »Dann kannst du ja mal nachschauen, was meine Worte dort hinterlassen haben. Weiß deine Mutter eigentlich, was für einen erbärmlichen Sitzpinkler sie in diese Welt gesetzt hat?« Ein höhnisches, boshaftes Grinsen machte sich im Gesicht der Grünhaut breit. »Oder hast du etwa gar keine Mutter? Hat dich vielleicht eine Ziege bei ihrem Stuhlgang versehentlich mit ausgeschissen? So muss es sein, Barbar: Deine Mutter ist eine alte, dreckige und stinkende Ziege!«



»Och menno!« Wie ein trotziges Kind stampfte Zorm mit seinem linken Bein auf, wobei er versehentlich den Schädel einer der unter ihm liegenden Leichen zertrümmerte. Blut, kleine Schädelsplitter und ein wenig Hirnmasse blieben an seinem Fellstiefel kleben. »Wieso beleidigst du denn jetzt auch noch meine Mutter? Weißt du eigentlich, wie lieb ich meine Mami habe? Meine Mutti ist die allerbeste Mutti auf der ganzen Welt! Du bist wirklich ein ganz ungehobelter Bursche – schlecht erzogen, total aggressiv und absolut unsensibel. Ich will mir diese Unverschämtheiten auch gar nicht mehr anhören!«



Mit einer ungelenken Bewegung warf Zorm der Zerfetzer sein blutbesudeltes Breitschwert von sich. Es landete scheppernd zu Füßen des verwirrt dreinblickenden Orks.



»Du … du ungehobelter, grünehäutiger Rüpel!« Diese Worte als Abschiedsgruß hinterlassend wandte sich der Barbar ab, um dann leise schluchzend den Leichenberg hinunterzulaufen.



Morack öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen und erhob dabei seine Hand. Er ließ sie jedoch wieder sinken, als er feststellen musste, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Stumm und in nicht unerheblichem Maße verwirrt blickte er dem Zerfetzer hinterher.



Dieser bahnte sich weiterhin heulend seinen Weg über die vielen Toten, für deren Ableben er zum größten Teil selbst gesorgt hatte. Dass ihm der Schatten einer kleinen, fliegenden Kreatur folgte, das bemerkte er nicht.



Ein einsamer, irgendwie verloren wirkender Ork blieb zurück. Erst nach einigen Minuten fand dieser seine Sprache wieder.



»Das war ja mal ein Ding«, sagte er leise zu sich selbst. »So was ist mir ja noch nie passiert.«



Ratlos schaute er um sich. Einen anderen würdigen Gegner suchte er vergeblich. Alles, was er hätte niedermähen können, war schon geflohen oder lag mehr oder weniger leblos und zumeist recht lädiert auf dem Boden herum.



Schulterzuckend entschloss er sich deshalb dazu, ebenfalls den Heimweg anzutreten. Nachdem er das Schwert des Barbaren aufgehoben hatte, schlenderte er langsam von dannen. Die seltsamen Worte des Zerfetzers hallten derweil in seinen Gedanken wider. Ja, auch er mochte seine Mutter sehr und es war wohl auch an der Zeit, sie mal wieder zu besuchen.



Vorher würde er ihr aber noch ein paar Blümchen pflücken.




2





Noch nie hatte ein Barbarenkönig eine solch unangenehme Unterredung führen müssen wie die, welche Storne Stahlhand nun bevorstand.



Etwas nervös saß er deshalb im herrschaftlichen Langhaus auf dem riesigen, wuchtigen Thron, der an der südlichen Wand des geräumigen Holzbaus stand. Zwei dicke, mehr als mannshohe, lodernde Fackeln flankierten dieses Ehrfurcht einflößende Symbol der Macht. Schon vor Jahrtausenden war dieses aus den bleichen Totenschädeln der unterschiedlichsten Kreaturen Archainos angefertigt worden. Mit viel Geschick hatte man die vielen fleischlosen Häupter zusammengefügt und anschließend mit einem speziellen Harz behandelt, sodass der Zahn der Zeit diesem imposanten Kunstwerk nichts anhaben konnte.



Sehr bequem saß man auf diesem morbiden Möbelstück allerdings nicht. Die Wölbungen der harten Schädel drückten sich selbst durch das dicke, rote Polster, mit dem man die Sitzfläche ausstaffiert hatte. Nach längerem Sitzen hinterließen sie deshalb kleine, schmerzende Dellen im Gesäß.



Dessen ungeachtet war es natürlich trotzdem eine große Ehre, auf dem Schädelthron sitzen zu dürfen. Jeder Angehörige des Barbarenstamms hätte weit mehr als ein schmerzendes Hinterteil in Kauf genommen, um dieses Privileg einmal für sich in Anspruch nehmen zu dürfen.



Doch selbiges war ausschließlich Storne Stahlhand vorbehalten. Erst vor Kurzem hatte man ihn zum neuen Oberhaupt des Stammes ernannt, weil er der stärkste, muskulöseste und braungebrannteste aller Nordland-Barbaren war. Nur Zorm der Zerfetzer wies nahezu identische physische Merkmale auf und wäre aufgrund dessen ebenfalls qualifiziert für das Amt des Königs gewesen. Da Storne jedoch seine Brustmuskeln sehr beeindruckend zucken lassen konnte, war die Wahl letztendlich doch auf ihn gefallen.



Nun stand dem König sein ehemaliger Konkurrent gegenüber. Er stand zwischen dem Thron und der langen, rustikalen Festtafel, die sich fast über die ganze verbleibende Länge des Langhauses erstreckte und an der mehrmals wöchentlich wilde Gelage gefeiert wurden. Die präparierten Tierköpfe, von denen unzählige die Wände aus groben, unbehauenen Baumstämmen zierten, schienen schon ungeduldig auf das Gespräch der beiden Barbaren zu warten.



Während Storne Stahlhand sein Gegenüber missmutig beäugte, rutschte er unruhig auf seinem Thron hin und her. Sein schmerzender Hosenboden war nicht die alleinige Ursache für diese Unrast.



»Nun, Zorm«, begann der König langsam, während er sich seufzend mit der rechten Hand durch sein rabenschwarzes Haar fuhr. Diese Angewohnheit war ihm seit jeher zu eigen und zeigte sich stets, wenn er ein ungutes Gefühl bei einer Sache verspürte. »Du kannst dir sicher denken, warum ich dich hab rufen lassen.«



»Wahrscheinlich geht es um die Schlacht an den Reißzahn-Bergen«, vermutete Zorm kleinlaut. Er hielt dabei seinen Blick auf die Spitzen seiner Stiefel gerichtet.



Allein dafür hätte Storne ihm schon gerne einen Scheitel mit der Breitaxt gezogen, der hinunter bis zu seinem Kinn gereicht hätte. Ein Barbar hatte nicht dazustehen wie ein geprügelter Hund; ein Barbar hatte aufrecht und stolz jedem Ungemach, welches ihm drohte, entgegenzusehen. Natürlich setzte der König seinen Wunsch nicht in die Tat um – zumindest vorerst nicht.



»Und ob es um die Schlacht an den Reißzahn-Bergen geht!«, schnauzte er stattdessen. Dann hielt er eine Schriftrolle hoch, die ihm ein Brieffalke aus dem Lager der Bergorks gebracht hatte. »Dieses Schreiben ist hier eingetroffen, kurz bevor du aus der Schlacht heimgekehrt bist. Es ist von Morack Meuchelhammer und was darin geschrieben steht, kann ich beim besten Willen nicht glauben. Bitte sag mir, dass du nicht – wie Morack es behauptet – vor dem Endkampf davongelaufen bist.«



Zorm hob seinen Blick und schüttelte den Kopf, was eine Welle der Erleichterung in Storne Stahlhand auslöste. Doch der Zerfetzer sollte dieses Wohlgefühl gleich wieder zunichtemachen.



»Ich bin nicht davongelaufen. Ich war es nur leid, mir die unflätigen Äußerungen des Orks anzuhören. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, die Konversation mit ihm zu beenden.«



»Also bist du doch weggerannt!«, stellte der König aufgebracht fest, wobei er mit seiner flachen Hand auf die Armlehne seines Throns schlug. »Wie peinlich ist das denn? Wie steht unser Stamm denn jetzt da?« Voller Verachtung warf er Zorm die zusammengerollte Schriftrolle an den Kopf. »Ein Heerführer der Nordland-Barbaren, der sich vor einem Kampf drückt. Meuchelhammer wird die schmachvolle Geschichte deiner feigen Flucht überall herumerzählen!«



»Morack Meuchelhammer ist ein ordinärer Flegel«, wandte Zorm der Zerfetzer ein und ein Hauch von Trotz schlich sich in seine Stimme. »Er hat mich und meine Mutter in einer außerordentlich vulgären Art und Weise beleidigt. Ich musste unser Gespräch beenden, um ihn für sein ungebührliches Verhalten zu bestrafen. Es wird ihm sicher eine Lehre sein. Demnächst wird er sein loses Mundwerk zügeln und seinen Gesprächspartnern den gebührenden Anstand entgegenbringen.«



»Ääääääh…«, war zunächst alles, was dem König dazu einfiel. Eine Verwirrung unbekannten Ausmaßes machte sich in ihm breit und nötigte ihm einige Sekunden ab, in denen er sich sammeln musste. Während er dies tat, zog er seine buschigen Augenbrauen zusammen, sodass sie wie ein weit geöffnetes V über seinen fast schwarzen Augen verweilten.



»Habe ich was verpasst?«, fragte er dann. »Seit wann reagieren wir Barbaren auf eine Beleidigung nicht mehr mit brutaler Gewalt und vollständiger Vernichtung? Hat es da irgendeine bedeutsame Veränderung in der natürlichen Ordnung der Welt gegeben, von der ich nichts mitbekommen habe?«



»Gewalt ist doch nicht die Lösung für alles«, sprach der Zerfetzer nun einen Satz aus, wie ihn seit Anbeginn der Zeit wohl noch kein Barbar je ausgesprochen hatte. Er tat dies zudem mit einer Selbstverständlichkeit, die den König in übermächtiges Erstaunen versetzte.



»Es gibt doch auch friedvollere, erwachsenere Methoden der Konfliktbewältigung«, fuhr der Zerfetzer fort. „Einfach mal über die persönlichen Differenzen reden, bei einem Schluck Tee oder auch Met. Dabei sollte man seinem Gegenüber natürlich den nötigen Respekt und auch Verständnis entgegenbringen. Man sollte nicht immer nur draufhauen, draufhauen, draufhauen. Mal das Gehirn zu benutzen, das könnte euch allen nicht schaden.«

 



»Dich kneift ja wohl dein Lendenschurz!« Maßlose Empörung ließ Storne von seinem Thron hochfahren.



Er kam jedoch nicht mehr dazu, dem blonden Barbaren eine passende und vielleicht sogar schmerzhafte Antwort auf seine unverschämte Bemerkung zu geben. Die hohe Doppeltür des Langhauses öffnete sich nämlich und Grahlum der Greise trat herein.



Grahlum war der Druide der Nordland-Barbaren und wie es sich für einen Druiden gehörte, trug er wesentlich mehr am Leib als die anderen Mitglieder des Stammes. Seine Gestalt wurde verhüllt von einem weiten, erdbraunen Gewand, dessen Kapuze sein Gesicht in tiefen Schatten tauchte. Nur die Spitze seines grauen, schwarz melierten Bartes lugte aus diesem hervor und zwei stechende, graublaue Augen funkelten in dieser Düsternis.



Den langen, knorrigen Stab aus Eichenholz, auf den er sich beim Hereinkommen stützte, benötigte er eigentlich gar nicht als Gehhilfe. Der Druide trug ihn stets als Waffe bei sich und um seiner Erscheinung ein etwas ehrwürdigeres Aussehen zu verleihen. Tatsächlich war er in einer außerordentlich guten körperlichen Verfassung und an Agilität mangelte es ihm in keiner Weise. Für einen Mann seines Alters war dies zweifellos ungewöhnlich, denn die Anzahl der von ihm gelebten Jahre war wirklich legendär hoch. Man munkelte sogar, dass er vor einiger Zeit schon sein fünfzigstes Lebensjahr vollendet hatte.



Solch ein enormer Fundus an Lebenserfahrung prädestinierte Grahlum natürlich dazu, dem König als Berater zu dienen. Darüber hinaus gehörte es zu seinen Aufgaben als Druide, sich um die mystischen, übersinnlichen Belange des Barbarenstamms zu kümmern. Dies beinhaltete das gelegentliche Opfern von Lebewesen, das Brauen geheimnisvoller Tränke und die Kommunikation mit diversen Naturgeistern. Nur noch selten kam er jedoch dazu, sich diesen Verpflichtungen zu widmen, denn auch die Kranken und Verwundeten des Stammes fielen in seinen Zuständigkeitsbereich.



Letztere gab es aufgrund der mehrmals wöchentlich stattfindenden Gemetzel natürlich massenhaft. Er behandelte deshalb nur diejenigen, deren Wiederherstellung voraussichtlich vollständig und somit wertvoll hinsichtlich der Kampfkraft des Stammes sein würde. Dem Rest bereitete er ein schnelles und humanes Ende mit der Streitaxt.



»Zorm!«, rief der Greise erfreut, als er den Zerfetzer sah. »Du bist wieder zurück aus der Schlacht! War bestimmt ein nettes kleines Massaker. Hattest du viel Spaß?«



Während der Druide frohen Mutes näher trat, sah Zorm ihn vorwurfsvoll an. Der uralte Barbar konnte sich natürlich nicht erklären, womit er diese strafenden Blicke verdient hatte.



»Ob ich Spaß hatte?«, fragte der blonde Krieger. »Wie kannst du mir eine so gefühllose Frage stellen? Es war eine grausame, blutige Tragödie! Ich habe den größten Teil meiner Männer in dieser Schlacht verloren. Kaum einer hat es zurück ins Dorf geschafft. Erschlagen und vergessen liegen sie nun fern der Heimat herum und dienen den Krähen als Futter! Und du fragst mich allen Ernstes, ob ich Spaß hatte?«



Man hätte fast meinen können, die Verwirrung würde sich wie ein Virus in dem Langhaus verbreiten, denn die gleiche Verblüffung ergriff nun Besitz von Grahlum, wie sie auch der König noch immer verspürte.



»Na und?«, wunderte sich der Druide. »Das ist doch bei all unseren Schlachten so. Oftmals kommt gar kein Kämpfer aus ihnen zurück und das ist auch ganz gut so. Schließlich berücksichtigen wir diese Verluste ja auch bei der Kalkulation unserer Nahrungsreserven.«



Unverhohlene Missachtung und Entrüstung schlugen dem Druiden nun aus dem Antlitz des Zerfetzers entgegen. »Wie könnt ihr nur so herzlos sein? Ist euch das Leben der anderen Stammesmitglieder denn gar nichts wert? Ihr sprecht vom Töten, als sei es das Normalste auf der Welt. Das ist doch … barbarisch!«



Der Barbar hielt verdutzt inne. Irgendwas schien ihn an seiner eigenen Aussage zu verstören.



»Unser guter Zorm tickt nicht mehr ganz richtig«, mischte sich nun der König wieder ein, der noch immer vor seinem Thron stand und sich mit der flachen Hand seinen Hintern rieb. »Du wirst es nicht glauben, Druide, aber er ist vor Morack Meuchelhammer aus dem Kampf geflohen. Er hat einfach die Biege gemacht und nun sülzt er mich voll mit irrem Geschwafel von friedvoller Konfliktbewältigung und ähnlichem Tinnef. Er hat sogar behauptet, dass Gewalt nicht die Lösung für alles sei.«



Von diesen Worten geradezu schockiert und mit sorgenvoller Miene betrachtete Grahlum den blonden Hünen eingehend. Dann ging er langs