Lebendige Seelsorge 1/2022

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Lebendige Seelsorge 1/2022
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INHALT

THEMA

Priesterliche Übermacht

Von Johanna Beck

Klerikalismus: Vom Leben und gelebt werden

Von Wolfgang Metz

Die zwei Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘

Die Replik von Johanna Beck auf Wolfgang Metz

Ja, stürzt die Mächtigen vom Thron, aber setzt euch bitte nicht selbst darauf

Die Replik von Wolfgang Metz auf Johanna Beck

Verletzender Klerikalismus – und der Aufbruch ins Magdalenische Zeitalter

Von Hildegund Keul

PROJEKT

Heraus aus der Welt des Seminars, hinein in das Seminar der Welt

Stimmen zur Priesterausbildung

(Gegen-)Erfahrungen als Spiritualin im Priesterseminar

Von Franziska Loretan-Saladin

Wo Berufung wachsen kann

Hin zu einer neuen Perspektive der Priesterausbildung

Von Christian Hennecke

INTERVIEW

„In einer synodalen Kirche entscheidet keiner alleine.“

Ein Gespräch mit Nathalie Becquart XMCJ

PRAXIS

Klerikalismus und der Synodale Weg

Von Gregor Maria Hoff

Auf der Bühne der Macht

Einblicke in Kölner Abgründe

Von Maria Mesrian

Paternalistische Unterdrückungsfürsorge

Von Ute Leimgruber

Un/doing Co-Klerikalismus

Von Michael Schüßler

SEELSORGE UND DIASPORA: BONIFATIUSWERK

Als Priester im unbedingten ‚Mit-Sein‘ mit den Menschen

Ein Gespräch mit Albert Krottenthaler SDB

FORUM

„Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Warum es das Evangelium in Leichter Sprache braucht

Von Dieter Bauer

Ein Dank an Erich Garhammer

Von Christian Bauer, Ute Leimgruber, Matthias Sellmann, Bernhard Spielberg und Hildegard Wustmans

POPKULTURBEUTEL

Shaun schafft das

Von Bernhard Spielberg

NACHLESE

Re:Lecture

Von Ulrich Ruh

Buchbesprechungen

Impressum


Die Lebendige Seelsorge ist eine Kooperation zwischen Echter Verlag und Bonifatiuswerk.

EDITORIAL


Christian Bauer Herausgeber

Liebe Leserin, lieber Leser,

zum Glück gibt es jede Menge nichtklerikaler Priester. Aber es gibt eben auch die anderen. Diejenigen, die mit römischem Kragen oder gar in Soutane herumlaufen, um sich von allen übrigen Getauften abzuheben. Dazu gehören dann auch männerbündische Seilschaften wie das Klerikalmilieu der Kölner ‚Nebelbrüder‘, aber auch entsprechend habitualisierende Ausbildungsformen im Priesterseminar.

Ursprünglich bildete Klerikalismus einen Gegenbegriff zur französischen Laizität. Inzwischen bezeichnet er jedoch vor allem einen Habitus „statusbegründeter Selbstherrlichkeit“ (Rainer Bucher), der zu den wichtigsten systemischen Missbrauchsgründen gehört: „Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat“ (MHG-Studie). Kurz gesagt: „Klerikalismus ist Pastoralmacht plus ständisches Kirchenbild“ (Michael Schüßler). Oder noch kürzer: „Paternalistische Unterdrückungsfürsorge“ (Ute Leimgruber).

Papst Franziskus kritisiert diesen Klerikalismus wie wohl keiner seiner Vorgänger („Priesterkaste über dem Volk Gottes“). Und er bietet Synodalität, das „gemeinsame Vorangehen“ aller auf dem Weg der Nachfolge, als ein probates Gegenmittel an: Kirche als Societas Jesu einer jesusbewegten Weggefährt*innenschaft, die in ihrem ganzen Sein und Wesen die anbrechende Gottes- und nicht Klerikerherrschaft bezeugt. Nathalie Becquart, die neue Untersekretärin der römischen Synodenbehörde, spricht von der entsprechenden Notwendigkeit, aus einer „klerikalen Kirche eine synodale zu machen“.

Unsere Kirche steht damit vor einem fundamentalen Paradigmenwechsel: Synodalität oder Klerikalismus – das ist hier die Frage. Den weltweit verbreiteten Klerikalismus theologisch besprechbar zu machen, ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem gerade eingeschlagenen Synodalen Weg – die Einladung zu einer beherzten kirchlichen Selbstevangelisierung im jesuanischen Sinne einer geschwisterlich-synodalen Nachfolgekirche ohne ‚Mitbrüder‘ und ‚Hochwürden‘.

Da haben wir noch einiges vor uns, findet Ihr:


Prof. Dr. Christian Bauer

THEMA
Priesterliche Übermacht

Der Klerikalismus und ein überhöhtes Priesterbild spielen im Missbrauchskontext eine äußerst problematische Rolle. Auch ich habe das am eigenen Leib und an der eigenen Seele erleben müssen. Es ist also höchste Zeit für einen radikalen Wandel. Johanna Beck

Ich habe, nachdem ich für zehn Jahre einen sehr großen Bogen um alles Katholische gemacht hatte, gerade meine jetzige Heimatgemeinde entdeckt und begonnen, wieder regelmäßig in die Kirche zu gehen. Nach dem Gottesdienst unterhalte ich mich kurz mit dem Gemeindepfarrer. Er trägt ein schwarzes Hemd mit Priesterkragen. Während unseres Gesprächs fällt mein Blick immer wieder auf sein Kollar und aus irgendeinem Grund – ich kann es mir selbst nicht erklären – steigt in mir eine unbestimmte und unerklärliche Angst auf. Nein, keine Angst, sondern vielmehr Panik. Mein Puls fängt an zu rasen, ich schwitze und mein ganzer Körper geht in den Fluchtmodus. Krampfhaft versuche ich, gegen dieses Gefühl anzukämpfen und mir nichts anmerken zu lassen. Was um alles in der Welt ist nur los mit mir?

KLERIKALER TRIGGER

Heute – einen MHG-Studien-Erkenntnismoment und eine Therapie später – kann ich diese irritierenden Vorfälle viel besser verstehen und einordnen: Kleriker mit Kollar zählen zu meinen ultimativen Triggern. Trigger nennt man in der Psychologie Schlüsselreize, die die Erinnerung an traumatische und häufig verdrängte Erlebnisse aufbrechen lassen und starke psychische und physische Reaktionen auslösen können. In meinem Fall war es der Anblick eines Priesterkragens, der meine für lange Zeit verdrängten Erinnerungen an den geistlichen Missbrauch und die sexualisierten Übergriffe, die ich als Kind und Jugendliche durch einen Priester erleben musste, erweckte und der diese rätselhaften Reaktionen bei mir verursachte.

Aber ich beließ es nicht bei einer rein psychologischen Aufarbeitung, sondern begann parallel dazu, Licht in meinen Fall zu bringen, sagte gegen den Priester von damals vor dem Kirchengericht aus und befasste mich – auch um meinen Fall besser verstehen und einordnen zu können – intensiv mit dem Thema Missbrauch in der katholischen Kirche. Im Zuge dessen kam in mir jedoch eine neue brennende Frage auf: Warum habe ich mich damals nicht gegen diesen Priester gewehrt?

 

Johanna Beck

Literaturwissenschaftlerin, studiert Theologie im Fernkurs; Mitglied im Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie Gastmitglied der Synodalversammlung. Im März erscheint ihr Buch Mach neu, was dich kaputt macht. Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche (Freiburg i. Br. 2022).

„OH, WIE GROSS IST DER PRIESTER!“

Die Antwort lautet: Ich wusste zu diesem Zeitpunkt gar nicht, dass ich mich wehren kann, ja darf – schon gar nicht gegen einen Kleriker! Das lag völlig jenseits meiner Vorstellungskraft! Ich bin in einer katholisch-fundamentalistischen Gruppierung aufgewachsen, in der noch in den 90er Jahren ein Priesterbild vorherrschte, das für lange Zeit auch in der gesamten katholischen Kirche gang und gäbe war (und das in bestimmten Kreisen gerade eine beunruhigende Renaissance erlebt).

Priester wurden durch ihre vermeintlich wesensverändernde Weihe den normalen, weltlichen Menschen entrückt und mit dem Nimbus der Heiligkeit, der moralischen Überlegenheit und der Unantastbarkeit versehen. Sie standen in der absolutistischen Kirchenhierarchie ganz weit oben und das Gottesvolk war ihnen zu völligem Gehorsam verpflichtet. Darüber hinaus hatten sie durch ihre uneingeschränkte Pastoralmacht, wie Michel Foucault sie bezeichnet hat, die völlige Herrschaft über die Seelen und den Intimbereich ihrer Gläubigen inne. Das wichtigste Herrschafts- und Kontrollinstrument hierfür war das Bußsakrament, sodass „der Beichtstuhl für die Pastoralmacht fast wichtiger noch als der Altar“ (Bucher, 89) war.

Als ‚Schutzpatron‘ dieses hochproblematischen Priesterbildes gilt Jean-Marie Vianney, der Pfarrer von Ars, von dem folgende Worte überliefert sind: „Oh, wie groß ist der Priester! Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben. Gott gehorcht ihm. […] Nach Gott ist der Priester alles!“ (zitiert nach Benedikt XVI.). Diese klerikalistische Vormachtstellung und dieses sakralisierte und überhöhte Priesterbild stattete die Gottesmänner mit einer immensen und unkontrollierten Machtfülle und somit auch mit umfangreichen Manipulations- und Zugriffsmöglichkeiten aus. All das stellte eine hochproblematische bis gefährliche Kombination dar – wie ich es auch leidvoll erleben musste und es ebenso diverse Missbrauchsstudien in den letzten Jahren bewiesen haben. So führt beispielsweise die MHG-Studie an: „In diesem Zusammenhang wird für sexuellen Missbrauch im Kontext der katholischen Kirche der Begriff des Klerikalismus als eine wichtige Ursache und ein spezifisches Strukturmerkmal genannt. […] Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Auswuchs dieser Dominanz“ (MHG-Studie, Zusammenfassung, 10).

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt gar nicht, dass ich mich wehren kann, ja darf – schon gar nicht gegen einen Kleriker!

DECKMANTEL

Das überhöhte Priesterbild und der herrschende Klerikalismus sowie die damit einhergehende Männerbündigkeit sind also nicht nur zunehmend mit einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar, sondern auch nachweislich mitursächlich für die vielen furchtbaren Missbrauchstaten im Rahmen und im Namen der katholischen Kirche. Zudem immunisierten die klerikalistischen Strukturen und der Priester-Nimbus die Geistlichen sowohl gegen jegliche Kontrolle ihrer Macht als auch gegen jegliche Kritik und Anschuldigungen von außen. Gerade im Missbrauchskontext führte dies erschreckend oft dazu, dass den Betroffenen – wenn sie überhaupt den Mut und die Worte fanden, über ihre Missbrauchserfahrungen zu sprechen – nicht geglaubt wurde oder sie sogar für ihre Aussagen abgestraft wurden, denn „ein Pfarrer tut so etwas nicht“. Zudem weist die MHG-Studie darauf hin, dass „ein autoritär-klerikalistisches Amtsverständnis dazu führen kann, dass ein Priester, der sexuelle Gewalt ausgeübt hat, eher als Bedrohung des eigenen klerikalen Systems angesehen wird und nicht als Gefahr für weitere Kinder oder Jugendliche“ (MHG-Studie, Zusammenfassung, 11). Dies hatte regelmäßig zur Folge, dass Missbrauchsfälle vertuscht und der Schutz des klerikalistischen Systems über den Schutz der Opfer gestellt wurde und die Betroffenen somit an den Rand gedrängt, ihr Schicksal und ihr Leid negiert und sie erneut verletzt wurden.

Angesichts dessen drängt sich mir eine weitere schmerzvolle Frage auf: Was ist das nur für eine Kirche, in der „es nicht so sein“ (Mk 10,43) sollte und in der es dann genau so beziehungsweise noch viel schlimmer gekommen ist? Ich habe darauf zwei Antworten: (1.) All das ist sicherlich NICHT ‚im Sinne des Erfinders‘! (2.) Es kann und es DARF kein ‚Weiter so‘ geben!

Die himmelschreienden Zeugnisse der Betroffenen über die dunkle Seite der katholischen Macht und die Empfehlungen der MHG-Studie, die in diesem Zusammenhang eine grundlegende „Änderung klerikalistischer Machtstrukturen“ sowie „eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Weiheamt des Priesters und dessen Rollenverständnis“ (MHG-Studie, Zusammenfassung, 14) anmahnt, dürfen nicht mehr weiter ignoriert oder gar negiert werden. Vielmehr müssen sie als handlungsleitend betrachtet werden. Ihrer Maxime folgend müssen zum einen die klerikalistischen, absolutistischen und männerbündigen Machtstrukturen in der Kirche endlich aufgebrochen und radikal reformiert werden. Macht und Leitung in der katholischen Kirche müssen generell reduziert, (geschlechter-)gerecht verteilt, kontrolliert, transparent gemacht und partizipativ gestaltet werden. Zum anderen muss das Priesteramt ‚entheiligt‘, vom Sockel geholt, geerdet und bei dieser Gelegenheit am besten generell neu – und natürlich im Zuge dessen auch geschlechtergerecht – gedacht werden.

Die jesuanische Form der Machtausübung dreht die herrschenden, missbräuchlichen Asymmetrien komplett um, denn hier geht es um die Macht der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit, der Augenhöhe und des Dienstes.

EVANGELIUMSGEMÄSSE MACHTFORMEN

In diesem Kontext erweist sich – wie so oft – ein Blick ins Evangelium als besonders hilfreich, denn wenn es um die Machtfrage geht, so ist das Evangelium ein Lehrbuch par excellence: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43–44). Die jesuanische Form der Machtausübung dreht die herrschenden, missbräuchlichen Asymmetrien komplett um, denn hier geht es um die Macht der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit, der Augenhöhe und des Dienstes. Wobei Dienst natürlich kein bloßes Etikett sein darf, das die eigentliche Macht kaschiert, vernebelt und somit jeglicher Kontrolle entzieht, wie es in der Kirche viel zu lange der Fall war. ‚Dienst‘ muss Ausdruck einer wirklich demütigen, gewaltlosen, menschenfreundlichen und respektvollen Leitungsform sein.

MÖGLICHE AUSWEGE

Einen guten und wichtigen Schritt in die richtige Richtung stellt der Synodale Weg dar, der als Reaktion auf die Ergebnisse der MHG-Studie ins Leben gerufen wurde und dessen Gast-Mitreisende ich bin. Er ist eine der wenigen – und vielleicht letzten – Chancen, grundlegende Veränderungen in der den Machtmissbrauch tragenden DNA der Kirche (vgl. Bischof Heiner Wilmer: „Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche.“) herbeizuführen. Gerade die fundierten und wegweisenden Texte des Forums ‚Macht und Gewaltenteilung‘ entwerfen eine Kirche, wie sie sein könnte, ja sein sollte. Allerdings sind die Beschlüsse des Synodalen Weges bekanntlich nicht bindend, weshalb es letzten Endes in den Händen der Bischöfe liegt, ob, wie und in welchem Umfang sie die Beschlüsse in den jeweiligen Bistümern umsetzen. Werden sich die Bischöfe also weiterhin an ihre Macht und an verletzende, ungerechte und missbrauchsbegünstigende Strukturen klammern und somit die Botschaft, die sie eigentlich verkünden sollen, weiter verdunkeln? Oder sind sie bereit, sich selbst zu entmachten und an der Gestaltung einer demokratischeren, (geschlechter-)gerechteren, sichereren, evangeliumsgemäßeren und zukunftsfähigeren Kirchenform mitzuwirken? Diese Fragen können allein die Bischöfe beantworten.

So liegt es auch in den Händen von uns Gläubigen, ob wir dieses Machtspiel weiter mittragen und somit am Leben halten oder ob wir den Vertretern des klerikalistischen Systems Kirche schlichtweg die Macht entziehen: Indem wir uns daran erinnern, dass wir alle Würdenträger*innen sind.

Und auch der Theologie kommt in diesem notwendigen Veränderungsprozess eine tragende Rolle zu, denn es bedarf einer gegenwartssensibleren und missbrauchsunanfälligeren Theologie des Amtes: weg von einer gefährlichen Überhöhung, hin zu einer reflektierten Erdung. In diesem Zusammenhang betont der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock: „Die Theologie des Amtes braucht eine Ausfaltung und Aktualisierung. Diese muss wegführen vom reinen Blick auf ‚Weiheämter‘ hin zu den Dienstämtern in ihrer Pluralität: Ämter von Frauen und Männern; Ämter mit Weihe, Beauftragung, Sendung; Ämter mit zölibatärer oder anderer Lebensform. Der Ausgangspunkt hat bei der gemeinsamen Taufberufung zu liegen, nicht bei der ‚besonderen‘ Berufung zum Priestertum“ (Pock, 183). Im Zuge dessen wäre es zudem an der Zeit, entklerikalisiertere und inklusivere Liturgieformen zu entwickeln.

Last but definitely not least wäre da die in der gemeinsamen Taufberufung schon angeklungene und nicht zu unterschätzende Rolle des gesamten Gottesvolkes. Denn um Macht innehaben und ausüben zu können, bedarf es auch eines Gegenübers, das dieses ‚Spiel‘ mitmacht und das sich dieser hochproblematischen Machtform freiwillig unterwirft. So liegt es auch in den Händen von uns Gläubigen, ob wir dieses Machtspiel weiter mittragen und somit am Leben halten oder ob wir den Vertretern des klerikalistischen Systems Kirche schlichtweg die Macht entziehen: Indem wir uns daran erinnern, dass wir alle Würdenträger*innen sind. Indem wir uns nicht mehr gehorsam fügen, sondern freimütig Widerstand leisten, uns selbst ermächtigen und gemeinsam für eine bessere Kirche kämpfen – im Wissen darum, dass Gott auf der Seite der Erniedrigten und Ohnmächtigen steht und nicht davor zurückschreckt, „die Mächtigen vom Thron“ (Lk 1,52) zu stürzen.

LITERATUR

Benedikt XVI., Schreiben zu Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ von Johannes Maria Vianney; abrufbar unter: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html.

Bucher Rainer, Transformationen der Pastoralmacht, in: Dessoy, Valentin/Hahmann, Ursula/Lames, Gundo (Hg.), Macht und Kirche, Würzburg 2021, 85–102.

Dessoy, Valentin/Hahmann, Ursula/Lames, Gundo (Hg.), Macht und Kirche, Würzburg 2021.

MHG-Studie, Zusammenfassung [Version 13.8.2018]; pdf-upload unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-Endbericht-Zusammenfassung.pdf.

Pock, Johann, Prävention als Ziel der Priester-Aus- und -Weiterbildung. Der Beitrag der Theologie, in: Prüller-Jagenteufel, Gunter/Treitler, Wolfgang (Hg.), Verbrechen und Verantwortung. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen in kirchlichen Einrichtungen, Freiburg i. Br. 2021, 162–189.

[Links zuletzt eingesehen am 20.12.2021]

Klerikalismus: Vom Leben und gelebt werden

Ok, ich bin Kleriker. Das lässt sich nicht so einfach ändern und das will ich auch nicht verleugnen. Aber wie klerikal bin ich? Kann ich das eine überhaupt ohne das andere sein? Nach welchem Maßstab darf ich als Kleriker handeln und entscheiden, ohne als klerikal abgestempelt zu werden? Wolfgang Metz

Vor einigen Jahren an einem Freitagabend nach dem Gottesdienst: Nur wenige Wochen zuvor wurde auf Wunsch von Menschen aus unserer Kirchengemeinde die Kommunion unter beiderlei Gestalt im Gottesdienst am ersten Freitag eines Monats eingeführt. Die Ansage dabei war, die Kommunion so zu empfangen, wie es für eine:n die richtige Weise ist: nur in Form der Hostie oder die Hostie in den Kelch einzutauchen oder auch aus dem Kelch zu trinken (natürlich mit dem Hinweis, vorsichtig zu sein).

 

Nach einem der ersten dieser Gottesdienste kam ein jüngerer Mann auf mich zu und begann eine Diskussion mit mir, dass das so nicht ginge und man das so nicht darf. Die Hostie selbst in den Kelch einzutauchen, sei ganz klar dogmatisch verboten, weil man so die Kommunion nicht gereicht bekommt, sondern sie sich selbst nimmt. Er war dabei ernst und es war ihm wichtig, dass alles richtig gemacht wird.

Ich habe dann eine ganze Zeit mit ihm gesprochen, ihm versucht zu erklären, dass man das so einfach nicht sagen kann, weil man ja den Kelch trotzdem gereicht bekommt, und dass das eine gängige Praxis in unserer Diözese im Allgemeinen und in vielen Kirchengemeinden im Konkreten ist. Er hat immer und immer wieder nur gesagt, dass man das nicht darf und dass das so nicht geht.

(Nur kurz zur Klarstellung: Mir geht es hier nicht um eine dogmatische Diskussion. Dieses Fass soll hier erst einmal keine Rolle spielen und zubleiben. Es geht mir um die handelnden Personen.)

Erst ganz am Ende unseres Gesprächs oder besser gesagt unserer Diskussion vermittelte der Mann den Eindruck, als wäre er zufrieden und beruhigt. Nämlich nachdem ich klarstellte: „Ich sage Ihnen eines: Ich bin hier der Pfarrer und ich habe das zu verantworten – und deshalb wird das so gemacht. Punkt!“

Wolfgang Metz

war schon Landwirt, Rockmusiker, Rettungshelfer und Buchautor. Da er alles nur so halb konnte, ist er Priester geworden. Was er kann, ist ins Kino gehen, Musik hören, Worte finden und überlegen, was das Leben noch an halben Sachen für ihn bereithält. Aktuell ist er halb Pfarrer in Sindelfingen und halb Hochschulseelsorger in Tübingen.