Digital Mensch bleiben

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Digital Mensch bleiben
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


Copyright © Claudius Verlag, München 2018

www.claudius.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München

Umschlagabbildung: © shutterstock/Sentaline

Layout: Mario Moths

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-532-60036-8

Der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit Dank für die Verleihung der Ehrendoktorwürde gewidmet

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Digitalbiografische Einstimmung

Warum die digitale Veränderung so viel Kraft hat

Energie aus dem Tal

Was manche erwarten und hoffen

Erlösungsfantasien

Die neue Welt

Kommunikation immer und überall

Vernetztes Leben

Industrie und Arbeit 4.0

Digitale Medizin

Übernehmen Maschinen alles? Was kann Künstliche Intelligenz?

Was jetzt zu tun ist

Die Wirklichkeit ist größer geworden

Alle müssen lernen!

Die lernende Gesellschaft und die Aufgabe der Politik

Ein Wunsch zum Schluss

Anmerkungen


DIGITALBIOGRAFISCHE EINSTIMMUNG

PAULA ist im Februar 2018 geboren. Statistisch hat sie gute Chancen, das Jahr 2100 zu erleben. Wie wird die Welt dann aussehen? Vielleicht werden die Autos von den Straßen verschwunden sein. Es gibt sich selbst steuernde fliegende Fahrzeuge, die allen zur Verfügung stehen. In den Innenstädten gibt es keine Probleme mehr mit Parkplätzen und Feinstaub. Aus den Straßen sind längst überall Radwege geworden. Weil es gesund ist, wurde das Radfahren beibehalten. Die Räder sind herkömmliche Räder oder digital gesteuerte High-Tech-Bikes. Paula ist es gewohnt, die technischen Geräte im Haushalt über Sprachanweisungen zu steuern. Manches machen die Geräte auch längst selbst. Die Waschmaschine erkennt die Kleidungsstücke und wählt das richtige Waschprogramm aus.

Paula ist mein Enkelkind. Ich habe meinen ersten Computer 1987 gekauft. Da war gerade Paulas Mutter geboren. Der Computer war für mich erst einmal eine sehr komfortable Schreibmaschine. Meine Examensarbeit hatte ich noch mit einer ganz normalen Schreibmaschine, nicht einmal elektrisch, getippt. Dann gab es Schreibmaschinen, in denen man ungefähr eine Zeile abspeichern und im Display bearbeiten konnte. Der Computer war da etwas ganz anderes. Die Bedienung war nicht ganz einfach. Um Dateiverzeichnisse anzulegen und zu verwalten, habe ich ein paar DOS-Befehle gelernt und so direkt auf der Ebene des Betriebssystems gearbeitet. Programmieren habe ich nicht gelernt, obwohl ich mir immer mal wieder überlegt hatte, das zu tun. Als Paulas Mutter zwei Jahre alt war, saß sie schon hin und wieder mit mir vor dem Computer. Wir haben auf einer Piano-Tastatur mit der Maus geklimpert oder mit dem Malprogramm „Paint“ herumgespielt. Der Bildschirm war zweifarbig – beim ersten Computer schwarz und grün, beim zweiten schwarz und bernsteinfarben. Bei der Arbeit an meiner Doktorarbeit habe ich Texte in den Computer geschrieben – irgendwann war es mit ergänzenden Zeichensätzen möglich, auch Hebräisch und Griechisch zu schreiben. Für bibliografische Arbeiten benutzte ich ein einfaches Datenbankprogramm. Ein nächster Entwicklungsschritt war dann die Steuerung über Bildschirmsymbole. Als mir ein Freund Mitte der 90er-Jahre erstmals zeigte, wie das Internet funktioniert, war ich skeptisch, ob sich das durchsetzen würde. Das Einwählen über ein Modem hat mal funktioniert, mal nicht. Der damalige Telekom-Chef Ron Sommer hat bekanntlich gesagt: „Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft.“ Es kam anders. Irgendwann wurden fleißig E-Mails geschrieben und das Internet war so selbstverständlich, dass es zum Nachteil wurde, in einer Region zu leben, die keinen schnellen Zugang zum Internet hatte. Als Paulas Mutter Abitur machte, war nicht nur Internet selbstverständlich. PowerPoint-Präsentationen gehörten zum Schulalltag und durften auch als Prüfungsleistung erbracht werden. Längst hatte sich auch die mobile Kommunikation geändert. Es gab Handys, mit denen nicht nur telefoniert, sondern eifrig „gesimst“ wurde. Aus den Handys wurden Smartphones – hoch leistungsfähige Kleincomputer, die Telefon, Kamera, Rechner und vieles mehr sind. Die aber vor allem einen ständigen Zugang zum Internet ermöglichen. Vor allen Dingen durch die Messenger-Dienste und die sozialen Netzwerke haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten enorm ausgeweitet. In der Familiengruppe von WhatsApp gibt es fast täglich ein neues Paula-Bild. So sind die Großeltern als „digital immigrants“ (digitale Einwanderer) über die „digital native“-Eltern bestens über die Entwicklungsschritte der Digital Natives 2.0 (oder sind die ganz Kleinen jetzt schon 3.0?) informiert. Welche Veränderungen diese neue Generation dann in 30 oder 60 Jahren oder um die Jahrhundertwende beschreiben wird, ist kaum wirklich zu sagen. Und mit Prognosen möchte ich mich zurückhalten. Ich lag damals beim ersten Kontakt mit dem Internet gründlich schief. Allerdings ist zu erkennen, dass die Veränderungen sehr groß sein werden. Und vor allen Dingen werden sie wohl sehr viel schneller kommen als das, was ich als meine Digital-Biografie beschrieben habe. Aus der Biografie ist vielleicht zu erkennen, dass ich kein Technik-Freak war und bin, der auf jede neue Entwicklung sofort einsteigt. Aber als aufgeschlossen und auch experimentierfreudig würde ich mich schon bezeichnen. Mittlerweile ist mein Tabletcomputer für mich fast unentbehrlich geworden. Ich lese nicht nur Tageszeitungen auf dem Tablet, ich nutze es permanent, um aktuelle Nachrichten zu verfolgen, morgens die Tageslosung und den täglichen Bibeltext zu lesen, E-Mails zu beantworten und mir über das Netz Informationen zu beschaffen. Ich habe neue Technik immer sehr gerne genutzt, wenn ich den Eindruck hatte: Das hilft mir jetzt bei meiner Arbeit und bei der Kommunikation. So halte ich es auch heute. Zögerlich war ich bei Facebook, weil ich dachte, dass es zu viel Zeit beansprucht. Seit zwei Jahren nutze ich Facebook, und zwar als sogenannte „Person des öffentlichen Lebens“. Ich poste in meiner Funktion als Kirchenpräsident und habe es ganz gut in meine Arbeit integrieren können. Was dort zu lesen ist, schreibe ich selber. Die Öffentlichkeitsarbeit unserer Kirche unterstützt mich nur insofern, als sie für Bilder sorgt und Verweise auf andere Berichterstattungen hinzufügt.

Die digitale Technologie hat Kommunikation verändert und damit für sehr viele Menschen auch das tägliche Leben. Das ist offenkundig. Digitalisierung ist allerdings weitaus mehr. Digitale Technologie durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. Deshalb wird sich vieles weiter verändern. Büros sind schon lange ohne Computer nicht mehr vorstellbar. Aber die Entwicklung geht weiter. Viele Routineaufgaben, aber nicht nur die, können von Systemen erledigt werden, die über sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) gesteuert werden. Dies wird die Arbeitswelt verändern, und zwar nicht nur in den großen Fabrikhallen der industriellen Fertigung. Unsere unmittelbare Lebenswelt in unseren Wohnungen und Häusern wird immer digitaler werden. In der Medizin geschieht bereits vieles, Diagnose und Behandlung in Krankenhäusern und Arztpraxen werden sich wandeln. Es eröffnen sich großartige Möglichkeiten – manches, wovon Menschen immer geträumt haben. Zugleich macht das auch vielen Menschen Angst. Wo wird das hinführen? Machen wir uns als Menschen vielleicht sogar selbst überflüssig? Werden uns die Maschinen, die wir bauen, irgendwann beherrschen?

Ich bin überzeugt: Es ist richtig, solche Fragen zu stellen und Digitalisierung nicht einfach geschehen zu lassen. Sie muss gestaltet werden. Deshalb sollte mehr darüber nachgedacht und geredet werden. Es muss auch manches geklärt und entschieden werden. Mit diesem Buch möchte ich dazu einen Beitrag leisten. Was ich anbiete, ist ein Versuch, besser zu verstehen, was durch die Digitalisierung geschieht, und klarer zu erkennen, wo und wie wir handeln müssen. Ich schreibe nicht als Fachmann für Digitalisierung, sondern als Theologe und Pfarrer in einer kirchenleitenden Funktion. Dies mache ich, weil die Digitalisierung natürlich auch die Kirche herausfordert. Aber das steht für mich hier nicht im Vordergrund. Ich bin überzeugt, dass mit der Digitalisierung Grundfragen menschlichen Lebens berührt sind. Und darauf gibt es auch eine theologische Sicht, die ich für hilfreich und orientierend halte.

 

Im ersten Abschnitt beschreibe ich, warum die Digitalisierung eine so große Veränderungskraft hat. Mit der Digitalisierung sind sehr weit gespannte Erwartungen, ja sogar Erlösungsfantasien verbunden. Darum geht es im zweiten Kapitel. Der dritte Teil nimmt Entwicklungen in der Kommunikation, der Lebens- und Arbeitswelt, der Medizin und der Künstlichen Intelligenz in den Blick. Am Ende skizziere ich, was uns als Einzelne und als Gesellschaft herausfordert, und mache auch Vorschläge, was meines Erachtens zu tun ist.

WARUM DIE DIGITALE VERÄNDERUNG SO VIEL KRAFT HAT
Energie aus dem Tal

„Die digitale Revolution ist keine Frage, die man bejaht oder verneint, sie findet statt. Und sie ist noch wirkmächtiger als die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts – vor allem ist sie sehr viel schneller. Ihre Geschwindigkeit ist atemberaubend.“1 Das hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Focus-Interview am Anfang dieses Jahres gesagt. Revolution ist ein starkes Bild. Es zeigt an, dass sich etwas grundlegend verändert und dass hier eine große Veränderungsdynamik wirksam ist. Wer betonen will, dass die Veränderung ein längerer Prozess ist, spricht lieber von „digitaler Transformation“. Aber auch damit ist angezeigt, dass es um grundlegende Veränderungen geht. Welche Kräfte sind wirksam?

Die Dynamik der Veränderung hat einen Ursprungsort. Es ist das Silicon Valley – jener Landstrich an der Westküste der Vereinigten Staaten in der Nähe von San Francisco. Im Silicon Valley „schlägt das Herz der Digitalisierung“2. Dort haben die großen Firmen Apple, Google und Facebook ihren Sitz. Geschätzt etwa dreißigtausend sogenannte Startups arbeiten daran, ihre Ideen in Produkte umzusetzen. Viele träumen davon, selbst Bahnbrechendes zu entwickeln. In der Sprache des Valley sind das „Moonshots“ (Mondschüsse), die im Idealfall aus dem Startup ein „Unicorn“ (Einhorn) werden lassen. „Unicorns“ sind Unternehmen, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind.

Verschiedene Faktoren haben aus dem Silicon Valley einen ziemlich einzigartigen Ort gemacht. Da sind die beiden Elite-Universitäten Stanford und Berkeley, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden. Beide Universitäten haben hervorragende Köpfe hervorgebracht. Um die Stanford Universität entstand in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts ein eigener Industriepark. Hier haben große Elektronikunternehmen wie Hewlett-Packard ihren Ursprung. Bedeutsam ist ebenfalls, dass mitten im Silicon Valley das Moffet Federal Airfield liegt. Das wurde 1933 gebaut und im 2. Weltkrieg zu einem zentralen Militärflughafen. Um das Airfield herum haben sich dann Rüstungs- und Technologiekonzerne angesiedelt, die später auch für die Raumfahrt arbeiteten. Die ersten Computer Mitte des 20. Jahrhunderts waren Großcomputer, die vom Militär und großen Unternehmen genutzt wurden. Gern wird mit Blick auf jene Anfänge die herrliche Fehleinschätzung des IBM-Vorsitzenden Thomas Watson aus dem Jahr 1943 zitiert. Er soll gesagt haben: „Ich denke, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.“ Dass es ganz anders kam, hat dann auch mit einer Entwicklung in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu tun. Sie ist bis heute für die Mentalität und die Arbeitsweise im Silicon Valley prägend.

Die 60er- und 70er-Jahre waren die Zeit, in der viele junge Menschen nach Freiheit, Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden suchten. Einige davon arbeiteten daran, die Computertechnologie für möglichst viele Menschen nutzbar zu machen. Dazu gehörten unter anderem Bill Gates und Steve Jobs. Der gemeinsame Gegner hieß anfangs IBM. Im Silicon Valley gab es so etwas wie eine antimonopolistische Gegenbewegung. Diese wiederum wurde dann von IBM mit der Produktion von PCs beantwortet. Sehr bald war allerdings auch den Idealisten im Silicon Valley, die anfangs ihre Ideen und ihre Software in Computer-Clubs miteinander teilten, klar, dass sie damit gut Geld verdienen können würden. Die Geschichte ist im Einzelnen sehr spannend. Hier will ich mich aber schlicht damit begnügen, an die Ideale des Anfangs zu erinnern. Denn – das ist der Grund für diese Reminiszenz – sie sind durchaus noch wirksam. Sie sind längst eingebettet in knallharte Ökonomie mit Monopolisierungsansprüchen. Was entwickelt wurde, war höchst einträglich. Bill Gates wurde mit Microsoft zu einem der reichsten Menschen unserer Zeit. Und Steve Jobs hat Apple in schwindelerregende Erfolgshöhen geführt.

Um Digitalisierung zu verstehen, ist es aufschlussreich, sich klarzumachen: Hinter der Entwicklungsdynamik, die natürlich längst nicht mehr nur im Silicon Valley zu finden ist, stecken Ideale. Das ist plakativ etwa erkennbar im Motto von Google: „Don’t be evil!“ („Sei nicht böse!“). Auch im Unternehmen selbst gab es Debatten darüber, ob dies nicht zu naiv sei. Larry Page, einer der Gründer von Google, macht allerdings immer wieder deutlich, was ihn antreibt: „Wir denken viel über grundlegende Problemfelder der Menschheit nach und wie wir sie durch Technologie lösen können.“3 Und angeblich hat er in seinem Büro eine Liste mit den wichtigsten Problemen der Menschheit, die er nach und nach abarbeiten möchte. Was Larry Page beschreibt, ist durchaus eine Grundmotivation im Silicon Valley. Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die für Menschen nützlich sind und deshalb das Leben und die Welt verbessern.

Darüber, ob das Nützliche die Welt verbessert, lässt sich selbstverständlich streiten. Im Silicon Valley grenzen sich jedenfalls viele von den Investmentbankern an der Ostküste ab. „Wir verdienen nicht Geld mit Geld, sondern mit Nützlichem.“ Das ist das Selbstverständnis. Sie sind natürlich zugleich davon überzeugt, dass das, was nützlich ist, auch Geld bringt. Noch einmal Larry Page im Originalton: „Schauen Sie, am Anfang wussten wir nicht, wie wir mit der Suchmaschine Geld verdienen sollten, sondern wir haben erst einmal die Technologie entwickelt. Mit dem selbstfahrenden Auto wird es ähnlich sein. Es ist ein Produkt, das Einfluss auf fast die gesamte Menschheit haben wird. Und deswegen wird es auch ein riesiges Geschäft werden. Ich bin mir absolut sicher, dass wir damit ordentlich Geld verdienen werden, auf welche Art auch immer.“4

Im Silicon Valley gibt es einen ausgeprägten Willen, eingefahrene Bahnen zu verlassen und Neues zu entwickeln. Dabei wird konsequent „nutzerorientiert“ gedacht. Wer ein wenig in die Gedankenwelt des Silicon Valley eintaucht, erfährt schnell: Da sind viele bereit, immer wieder Neues zu probieren. Dazu gehört, dass es nicht als Schande verstanden wird zu scheitern. Wer scheitert, muss sagen können: „Dies oder jenes habe ich gelernt. Das mache ich beim nächsten Mal besser. Ich fange etwas Neues an.“ Die Haltung ist: „Learn fast, fail fast.“

Im Jargon des Silicon Valley heißt das „Disruption“. Bisherige Lösungen werden nicht nur infrage gestellt, sie sollen durch neue ersetzt werden. Das ursprüngliche Firmenmotto von Facebook bringt es auf den Punkt: „Move fast and break things“ (Beweg dich schnell und durchbrich die Dinge). Das trägt natürlich eine besondere Dynamik in sich. Um nicht selbst Opfer neuer Technologien zu werden, muss man immer weiter neue Dinge entwickeln. Alle suchen das sogenannte „Dilemma der Innovatoren“ zu vermeiden. Deshalb wird konsequent nutzerorientiert gearbeitet. Die Methode ist das „Design Thinking“. Wie Designer dies tun, wird aus der Sicht derer, die das Produkt nutzen, gedacht. Hocheffektiv ist der Weg, aus einer ersten Idee möglichst schnell ein „Minimal Viable Product“ (minimal funktionsfähiges Produkt) zu machen und im Kontakt mit Nutzerinnen und Nutzern herauszufinden, ob es angenommen wird und wie es weiterzuentwickeln ist. Charakteristisch ist, dass Neues in der Regel in Teams entwickelt wird. Sicher gibt es herausragende Köpfe und Gründerfiguren. Aber vieles wird in Teams, und zwar oft in internationalen Teams, entwickelt. Gezielt wird darauf gesetzt, dass unterschiedliche kulturelle Herkunft auch neue Zugänge und Ideen eröffnet. Das ganze System würde allerdings nicht funktionieren, wenn die Gründerkultur nicht durch sehr agile Förder- und Finanzierungsmethoden wie etwa die Venture-Capital-Fonds getragen würde.

Ich hatte im vergangenen Jahr die Gelegenheit, bei einer kleinen Studienreise ins Silicon Valley einen Eindruck davon zu bekommen, wie dort gedacht und gearbeitet wird. Mir ging es wie vielen, die zurzeit ähnliche Reisen unternehmen. Das Denken und die Arbeitsweise sind kraftvoll und inspirierend. Und es ist auch zu erkennen, dass so vieles entsteht und weiter entstehen wird, was unser Leben verändert – schlichtweg, weil es nützlich ist und Menschen hilft.

Das ging mir besonders so, als ein junges Startup ein System vorstellte, mit dem eine Wohnung komplett überwacht werden kann. Zielgruppe: Ältere Menschen, die nicht in ein Seniorenheim möchten, sondern gerne in ihrer Wohnung bleiben wollen. Überwachungskameras sind mit einem System gekoppelt, das über Künstliche Intelligenz gesteuert wird. Daten werden nur nach außen gegeben, wenn die Person selbst die Daten nach außen sendet oder das System einen Notfall erkennt. Ich war fasziniert und zugleich tief verunsichert.

Die Dynamik der Veränderung speist sich aus dem Geist, Neues entwickeln zu wollen. Dieser Geist findet sich in wissenschaftlicher Neugier, der Überbietungslogik militärischen Denkens und in Idealen der Weltverbesserung. Wer die Geschichte des Internets erzählt, kann das alles identifizieren. Da stand ganz am Anfang – Ende der 60er-Jahre – das Computer-Netzwerk „Arpanet“ (Advanced Research Agency Network), das Forschungseinrichtungen miteinander verband. Auftraggeber war das US-Verteidigungsministerium. Genutzt und weiterentwickelt wurde es dann vor allem von Universitäten. In den 80er-Jahren wurde der Begriff Internet geprägt. 1993 hat die renommierte Forschungseinrichtung CERN in Genf das World Wide Web zur allgemeinen Nutzung freigegeben. Der britische Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee hatte dort ein System entwickelt, mit dem man weltweit auf Dokumente zugreifen kann. Danach verlief die Entwicklung bald rasant. Die Nutzung weitete sich enorm aus. Ein neuer gigantischer Raum für Kommunikation und Ökonomie war eröffnet – mit viel Gutem, aber auch mit hochproblematischen Nutzungen.

Mittlerweile ist nicht nur das Internet sehr viel schneller geworden und der Zugang zum Internet mobil. Die technische Entwicklung geht immer weiter voran. Die großen Firmen wie Facebook und Google arbeiten daran, dass von jedem Punkt der Erde aus ein Zugang zum Internet möglich ist. Technische Weiterentwicklung wird durch noch leistungsfähigere Computer forciert. Die Möglichkeit, Daten zu speichern und zu verarbeiten, wächst exponentiell. Das heißt: Sie weitet sich mit rasanter Geschwindigkeit aus. Dadurch war es in den letzten Jahren möglich, die sogenannte Künstliche Intelligenz mit großer Schubkraft weiterzuentwickeln. Der qualitative Unterschied besteht darin, dass Systeme, die über Künstliche Intelligenz gesteuert werden, nicht nur das tun, was vorher „einprogrammiert“ wurde. KI-Systeme, so die Abkürzung, können sich selbstlernend weiterentwickeln.

Wissenschaftliche Neugier und wissenschaftlicher Ehrgeiz, militärische Nutzung, Ideale der Weltverbesserung, die Aussicht auf das große Geld und sich ständig ausweitende technische Möglichkeiten sind gerade in ihrer Kombination sehr starke Kräfte. Sie werden die Welt weiter verändern. Und wir sollten auf jeden Fall genau hinschauen, „was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“5 – und nicht nur von dort.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?