Kriminalfälle aus der DDR - 1. Band

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Kriminalfälle aus der DDR - 1. Band
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Walter Brendel

Kriminalfälle aus der DDR

1. Band

Nach Gerichtsakten, Vernehmungsprotollen und Stasi-Unterlagen

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Vorwort

1. Tod eines Abschnittsbevollmächtigten

2. Doppelmord durch einen Sowjetsoldaten

3. Der Posträuber

4. Der Frauenmörder

5. Habgier und ein Doppelmord

6. Tatort „Leipziger Messe“

7. Die Leiche im Kofferraum und der Medikamentenschmuggel

8. Klau der Trabanten

9. Mord an einem Volkspolizisten

10. Sexualmord an Monika

11. Obszöne Anrufe

12. An der Grenze getötet

Zusammenfassung des 1. Bandes

Quellen

Vorwort

Um dem DDR-Bürger vorzutäuschen, dass ihr Land frei von Kriminalität wäre, wurde darüber in der Presse kaum berichtet. Dennoch legte der Staat großen Wert auf die Aufklärung dieser Verbrechen und so wurde mit hohem Personaleinsatz und großem Aufwand nach den Tätern gesucht. In vielen Fällen wurden die Ermittlungen sogar vom Ministerium für Staatssicherheit geführt, wodurch es nicht selten zu Bespitzelungen von Angehörigen von Verbrechensopfern kam, oder auch zu Vertuschungen, wenn die Tat von einem Partei-Funktionär, einem Stasi-Mitarbeiter oder einem Sowjetsoldaten begangen wurde.

Zur DDR-Zeit kontrollierten Partei und Geheimdienst, wie Verbrechen aufgeklärt, Täter bestraft und die Bürger informiert wurden. Wir wollen die spektakulärsten Fälle von damals näher betrachten. Unsere Folgenmacht deutsch-deutsche Geschichte anhand schicksalhafter Ereignisse erlebbar. Im Blickfeld stehen Opfer, Täter und Ermittler – und der Alltag im real existierenden Sozialismus. Auch im Arbeiter- und Bauernstaat wurde gemordet, geraubt und betrogen – wie in jedem Land der Welt.

Laut den veröffentlichten Statistischen Jahrbüchern der DDR gab es von 1969 bis 1989 insgesamt 2263 Mord- und Totschlagfälle in der DDR. Auch die Fälle von Vergewaltigung, Raub, Betrug und Diebstähle waren zwar geringer als in der BRD, aber dennoch waren es für sozialistische Verhältnisse viel zu viel.

In vertraulichen Sitzungen und in Fachblättern ereifern sich renommierte SED-Juristen über die wachsende Zahl von Bürgern des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates, die bourgeoisen Lastern verfallen: Die Existenz von Kriminellen und anderen Parasiten - Prostituierten, Alkoholikern, Arbeitsscheuen und Spekulanten - dürfe von den Parteipropagandisten und den sozialistischen Gesetzesmachern nicht länger ignoriert werden.

„Klarheit in den Köpfen der Funktionäre“ über den notwendigen Kampf gegen parasitäre Außenseiter im Ulbricht – und Honecker Reich wurde viel gestritten, doziert und gelehrt.

Man kritisierte den unbegründeten Optimismus, den die meisten SED-Juristen in Sachen Kriminalität noch pflegen. Zwar sei unter sozialistischen Rechtsgelehrten kein Zweifel an der These erlaubt, dass es dereinst in der kommunistischen Gesellschaft keine Kriminalität mehr geben werde. Die Tatsache aber, dass sogar in der weit fortgeschrittenen Sowjet-Union die Bekämpfung von Verbrechenwiederhabe intensiviert werden müssen, beweise hinlänglich, wie wenig Ursache zum Leichtsinn die vergleichsweise rückständige DDR habe.

In der Tat hatten die Parteiführer nach der Devise, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, in den letzten Jahren so gehandelt, als werde der Aufbau des Sozialismus zwangsläufig zur Beseitigung der Kriminalität führen. Und die DDR-Statistik schien den Funktionären recht zu geben: Die Zahl der bekanntgewordenen Delikte ging von 1946 bis 1960 um mehr als zwei Drittel zurück, während sich in der Bundesrepublik seit 1954 die Zahl der Straftaten um etwa ein Drittel erhöht hat.

Allerdings: Die absoluten Zahlen bestimmter Verbrechen waren sogar angestiegen: Einem Rückgang der Eigentumsdelikte stand die Zunahme vor allem der Morde, der Notzuchtverbrechen und der Brandstiftungen gegenüber. Man dürfe aber nicht von der falschen Voraussetzung ausgehen, die dem Sozialismus zustrebende Gesellschaft der DDR habe schon die Anfälligkeit für Kriminalität überwunden.

Mit neuen DDR-Rechtsreformern sollte neuer Auftrieb erfolgen, die lieber die steigende Kriminalität radikal bekämpfen als fortschrittliche Illusionen pflegen wollen. Mit einen neuen Strafgesetzbuches wollte man es dementsprechend formulieren. Notwendig seien:

- differenziertere Strafsysteme für kriminelle und politische Delikte;

- spezielle Strafmaßnahmen gegen nichtkriminelle- „Parasiten der Gesellschaft“, wie Prostituierte, Alkoholiker, Arbeitsscheue, Hausbesitzer und andere „Spekulanten“;

- strengere Strafen für unpolitische Delikte; Strafaussetzung zur Bewährung solle nicht mehr so häufig wie bisher gewährt werden.

Weiterhin soll der Kampf gegen die Kriminellen ohne großes Aufsehen geführt werden.

Das neue Strafgesetzbuch der DDR trat am 12. Januar 1968 in Kraft und löste das das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 ab.

Fakt ist, dass die neuen Strafgesetze einfacher zu handhaben waren, im Umfang stark verringert und durchaus progressive Züge aufwiesen. Allerdings auch politische Straftaten verschärften. Erst 1987 wurde die Todesstrafe offiziell abgeschafft. Authentische Dokumente aus dem umfangreichen Stasi-Unterlagen-Archiv, Zeitzeugen, Ermittler und Experten zeigen auf, unter welchen Umständen die meisten, aber nicht alle Fälle aufgeklärt wurden.

Verbrechen passen nicht in den Sozialismus, denn das sozialistische Menschenbild ist ein friedliches. Die DDR-Bürger sollen glauben, dass ihr Land frei von Kriminalität ist.

Die DDR wollte ein Staat ohne Mord, Totschlag und Diebstahl sein. Auch Sexualverbrecher und Pädophile passten nicht zum sozialistischen Menschenbild. Soweit die Theorie. Doch die Theorie von der sozialistischen Moral und dem „guten Menschen“ stimmte nicht mit der Realität überein. So gab es von 1969 bis 1989 laut den veröffentlichten Statistischen Jahrbüchern der DDR 2263 Mord- und Totschlagfälle. Die DDR veröffentlichte diese Zahlen und begründete diese mit den negativen Einflüssen des Kapitalismus, die auch vor der Mauer nicht Halt machten. Generell widmete der Staat der Verbrechensbekämpfung in der DDR besonders viel Aufmerksamkeit, um die Kriminalität möglichst gering zu halten. So gab es in jedem Bezirk personell und technisch gut ausgestattete Morduntersuchungskommissionen mit weitreichenden Befugnissen bei den Ermittlungen.

Allerdings wurden diese auch sehr schnell eingeschränkt oder massiv behindert, wenn die Staatssicherheit den Fall übernahm. Dann wurden häufig Fakten vertuscht und Ermittler behindert, um sozialistische Bruderstaaten zu schützen oder eigene Mitarbeiter der Staatssicherheit öffentlich nicht vorführen zu müssen. Das hatte in jedem Fall politische Priorität. Deshalb war die Kriminalpolizei bei ihrer Ermittlungsarbeit generell der Stasi unterstellt.

Dabei hatte die Aufklärung eines Verbrechens in der DDR oberste Priorität. Mit hohem Personaleinsatz und großem Aufwand sollten die Täter so schnell wie möglich hinter Schloss und Riegel gebracht werden.

Die Kriminalisten in der DDR waren sehr gut ausgebildet und hatten in vielen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Staatssicherheit. Denn auch die Stasi stellte bei Kapitalverbrechen professionelle und gut ausgestattete Ermittler. Das Verhältnis zwischen Kriminalpolizisten und Stasimitarbeitern war allerdings ambivalent. Denn das MfS saß immer am längeren Hebel. In einigen Fällen erfuhren die Polizisten der Morduntersuchungskommission nur wenig über die teils geheimen Ermittlungen des MfS.

Die DDR investiert viel in die Aufklärung von Verbrechen, auch solche, die es eigentlich gar nicht geben darf. Bei einem Angriff auf den Staat kennt man keine Gnade. Dafür gibt es die Höchststrafe, die Todesstrafe. Und wenn dazu auch noch der Klassenfeind in die Verbrechen verwickelt ist, wie dann? Kann man sich mit dem Westen überhaupt verständigen?

Viele Fragen bleiben bis heute offen. Die Kriminalisten stoßen auf eine Mauer, die man nicht zerbrechen kann. Betrachten wir also einige Fälle der Kriminalität in der DDR und die die Verbrechensbekämpfung.

 

Sogar in den DDR-Krimis, wie in der populären (und auch heute noch produzierten) Serie „Polizeiruf 110“ wird streng darauf geachtet, dass es eine bestimmte Art von Verbrechen nicht gibt. Der Staat zensiert jede einzelne Folge. Auch hier dürfen SED-Funktionäre, Soldaten oder Polizisten keine Mörder sein. Die Täter sind meistens Außenseiter der Gesellschaft, Alkoholiker oder psychisch Kranke.

Doch lesen Sie selbst.

1. Tod eines Abschnittsbevollmächtigten

Seehausen bei Magdeburg im Jahr 1972. Karl L. ist hier ABV, oder wie es konkret heißt, „Abschnittsbevollmächtigte“ der Volkspolizei, eine DDR-typische Polizei-Instanz auf lokaler Ebene.

Der ABV war verantwortlich, dass alles seinen “sozialistischen Gang geht“ und wer bloß einmal ohne die dafür erforderliche Berechtigung mit dem Moped fuhr, musste aufpassen, dass man nicht erwischt wurde. Dann schlug das Gesetz zu. Und der ABV musste seinen Job sehr ernst nehmen.

Ein Abschnittsbevollmächtigter war ein Polizist vor Ort, der ermittelte, den jeder kannte und auch Auskunft geben sollte. Nun gab es solche und auch solche ABVs, dass kam auf die Betrachtungsweise und das unterschiedliche Ansehen an. Für manche der Freund und Helfer, für andere ein bloßes Ärgernis.

Der ABV war also für die polizeilichen Aufgaben in Gemeinden, Stadtbezirken und auf Streckenabschnitten der Reichsbahn zuständig. In seinem Abschnitt war er polizeilicher Ansprechpartner für die Bewohner und versah Streifendienst. Er war für die Aufnahme und Weiterleitung von Strafanzeigen und polizeiliche Prävention zuständig. Der ABV hatte ähnliche Aufgaben wie ein heutiger Kontaktbereichsbeamter der Polizei. Er bekleidete den Rang eines Unterleutnants oder Leutnants und wurde von freiwilligen zivilen Helfern der Volkspolizei (VP) unterstützt.


Darüber hinaus war der ABV in seinem Abschnitt zuständig für Verkehrskontrollen, Kontrollen der Einhaltung der Meldepflicht (Hausbücher) und auswärtiger Besucher sowie die Kontrolle staatlich beauflagter Personen. Er gab Einschätzungen über Bewohner seines Abschnitts ab, wenn beispielsweise über die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach einer Sperre oder über die Genehmigung einer Reise in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet entschieden werden sollte. Für die Genehmigung solcher Reisen wurden die Einschätzungen des ABV durch die zuständigen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit eingesehen und sie dienten als Grundlage für eine Genehmigung oder Versagung.

Die Stellung eines ABV wurde ab Oktober 1952 nach sowjetischem Vorbild eingeführt.

Der ABV als Ärgernis? Das gab es und das traf auch auf Klaus J. zu, der im Tiefbau arbeitet und ebenfalls in Seehausen lebt. Er gilt als Unruhestifter und ist das schwarze Schaf der Gemeinde. Man kannte ihm seit seiner Kindheit und erinnerte sich, dass er schon damals Auffälligkeiten zeigte.

Er hatte mehrere Fehler, einer davon war, dass er häufige Tobsuchtanfälle bekam und schon im Kindergarten die Kindergärtnerin getreten. Das setze sich in der Schulzeit fort bis hin zum Erwachsenenalter. Und ergab es sich, dass er und der ABV nicht beste Beziehung pflegte und sie immer wieder aneinander gerieten. Zu diesem Zeitpunkt war er wirklich der einzige Unruheherd in der Gemeinde und kassierte mehrere Ordnungsstrafen wegen Körperverletzungen in den Jahren 1968 bis 1971. Wildes Herumschießen mit dem Luftgewehr, Prügelei und dergleichen mehr.


Kein Wunder also, dass ihm der ABV L. auf Grund seiner vielen Verfehlungen auf dem „Kieker“ hatte. Am 12. Februar 1972 zettelte J. in der HO-Gaststätte „Ratskeller“ wieder einmal eine Schlägerei an. Seine Opfer zerreiß er die Jacke, der ihm daraufhin beim ABV anzeigt.

Letztendlich kam es dann auch so, dass nach den Streitigkeiten der ABV sagte, nun ist es genug, nun muss J. mal eine Strafe bekommen.

Am nächsten Morgen knöpft sich ABV den Übeltäter in dessen Wohnung vor. Bei dieser Begegnung brennen bei Klaus J. die Sicherungen durch. Es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden Männern. Die Situation eskaliert. Klaus J. hat dann den ABV entwaffnet, hat ihm die Pistole entrissen und tötete den ABV mit zwei Schüssen.

Karl L. ist sofort tot. Sin Mörder flüchtet wie im Wahn, rennt bis ins nächste Dorf, bedroht dort einen Bekannten mit der Waffe, gibt sogar einen Warnschuss ab. Dann entwendet er ein Motorrad und setzt seine aussichtslose Flucht fort. Auf einem Gehöft sucht er Schutz und trifft dort auf vier junge Männer, denen er seine Tat schildert.

Einem der Männer gelang es, ihm von seinen weiteren Fluchtabsichten abzubringen und ihm dazu zu bewegen, sich bei der Volkspolizei zu stellen. Und tatsächlich, nur wenige Stunden nach der Tat stellt sich J. dem ABV des Nachbardorfes und legt ein umfassendes Geständnis ab.

Die Tatsache, dass er einen Polizisten, ein untadeliges und klassenbewussten SED-Mitglied erschossen hatte, macht dem Fall besonders brisant. Ein toter Polizist war für jeden Staat, auch den sozialistischen, ein Angriff auf dem Gesamtstaat.

Das ganze Dorf ist in Aufruhr, solch ein Verbrechen haben die Bewohner von Seehausen noch nie erlebt. Im Ratskeller wurde von nichts anderen gesprochen. Man konnte sich das einfach nicht vorstellen, in der Kleinstadt eine Sonderfall, unfassbar.

Klaus J. gesteht den Vernehmern, dass er schon lange Wut auf dem ABV hatte. In den Akten der Staatssicherheit, die die Ermittlungen nun gemeinsam mit der Volkspolizei führte, heiß es:

„Die brutale und vorsätzliche Tötung des ABV hatte der Beschuldigte bereits seit Februar 1971 geplant, da dieser ihm ständig, wie es seine dienstliche Pflicht als ABV war, zur Ruhe und Ordnung anhielt, sowie an der Durchführung von Ordnungs- und Strafverfahren gegen J. mitwirkte. Der Beschuldigte hatte deshalb einen unbändigen Hass auf die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei im Allgemeinen und speziell gegen den ABV L. entwickelt. Anlässlich einer Zuführung im Februar 1971 drohte J. schon damals, ihn umzubringen.

Damit hat sich J. des Verbrechens des Unternehmens gem. § 102 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 110 Ziff. 1, 3 und 4 in Tateinheit mit einem vorsätzlichen Tötungsverbrechen gem. § 112 Abs. 1 und 2 Ziff. 1 (aus Feindschaft gegen die DDR begangen) schuldig gemacht.

Von einer Affekthandlung kann also hier keine Rede mehr sein, wenn man schon ein Jahr vorher plant, bei passender Gelegenheit töte ich den ABV.

Außerdem finden die Ermittler in der Wohnung des Beschuldigten Beweisstücke, die seine Lage noch verschlimmern. Im Vorfeld der Tat muss der Täter auch mal den Gedanken gehabt haben, in die Bundesrepublik zu flüchten, denn bei einer späteren Hausdurchsuchung wurden entsprechende Skizzen dazu gefunden. Allein dieser Gedanke und schon Ansätze einer Planung, waren für sich genommen schon einer Straftat.

Seehausen liegt nur wenige Kilometer vom Grenzübergang Marienborn/Helmstedt entfernt. Wollte J. über die Grenze flüchten? Man hielte in Seehausen aber für ausgeschlossen, dass er die DDR über die Grenze verlassen wollte, den schon Kleinkinder wussten, dass die Grenze undurchlässig war. So intelligent hat man Klaus J. schon eingeschätzt, dass er keinen Grenzdurchbruch machen würde.

Was Klaus J. wirklich vorhatte, ist unklar. Zunächst war er nämlich Richtung Osten unterwegs. Im Vernehmungsprotokoll liest sich das so:

„Ich begab mich zu Fuß Richtung Autobahn. Mein Ziel war es, von dort aus per Anhalter in eine größere Stadt zu fahren, um dort erst einmal >unterzutauchen< bis die Großfahndung vorbei ist, um dann über Hamersleben, Wackersleben, Orslebenin die BRD zu gelangen. Ich wollte deshalb nicht gleich Richtung Grenze gehen, weil ich sicher wusste, dass Wanzleben bereits informiert ist und demzufolge auch an der Grenze entsprechender Alarm ausgelöst würde. Ich benutzte nicht den eigentlichen Weg, sondern ging bei den Neubauwohnungen entlang, um von niemanden gesehen zu werden.“

Das Verfahren wegen Mordes wird nun ausgeweitet. „Bohrist Klaus J. geb. am 18.06.1949 in Seehausen, Krs. Wanzleben wird beschuldigt, Terror, Mord und unbefugten Waffenbesitz begangen zu haben. Der Beschuldigte hat es mit dem Ziel, die sozialistische Staatsordnung zu schädigen, unternommen, vorsätzlich einen VP-Angehörigen zu töten. Seit dem Jahre 1968 wurde der Beschuldigte durch den VP-Angehörigen L. mehrfach wegen disziplinwidrigen Verhaltens in der Öffentlichkeit zur Ordnung angehalten. Deshalb fasste er den Entschluss, den VP-Angehörigen wegen seiner staatlichen Tätigkeit zu töten und setzte das, nachdem er den VP-Angehörigen L. niedergeschlagen hatte, in die Tat um, entriss diesem die Dienstwaffe und töte ihn durch mehrere Schüsse.“

Damit hat der Staat damit das letzte Mittel herausgeholt, die Terrorbeschuldigung. Damit wurde J. zum politischen Mörder gemacht. Aber, wenn man einen Polizisten tötet, ist es Terror, verunsichert die Bevölkerung und richtet sich gegen die elementarsten Grundlagen der Gemeinschaft. Heute bekäme der Täter dafür Lebenslänglich, aber damals war es noch anders.

In der ehemaligen DDR gelten Straftaten, die die Bevölkerung verunsichern und den Staats angreifen als Terror. Dazu zählt schon ein unerlaubter Grenzübertritt und erst recht Gewalt gegen Staatsorgane. Das Strafmaß für Terror ist besonders hoch, bis hin zum Todesurteil.

Im Fall des J. lautet das Urteil am 23.03.1973 wegen Mord und Terror auf Todesstrafe. Bei einer offiziellen Versammlung erfahren die Dorfbewohner von dem Ausgang des Verfahrens. Es sollte aber nicht groß darüber diskutiert werden. Doch nicht jeder der Versammelten hält seine Meinung zurück und das hat schwerwiegende Folgen.

Der Bürgermeister und sein Stellvertreter diskutierten im „Ratskeller“ darüber. Der Bürgermeister sagte, dass man J. in eine psychiatrische Klinik hätte bringen sollen und in der Heilanstalt wegschließen sollte. Aber nicht hinrichten. Das Gespräch hörte auch ein Fahrer der SED-Kreisleitung und erzählte es brühwarm seinen Sekretär.

Beide, Bürgermeister und Stellvertreter waren über Nacht ihren Job los, das war die Reaktion auf das Gespräch. Es war also sehr schwer, seine persönliche Meinung zu äußern, wenn die nicht in Richtung von Partei und Gesellschaft ging. Am Ende verliert die Gemeinde Seehausen gleich zwei ihrer Dorfbewohner.

Das Opfer und sein Mörder, obwohl die Umstände für ein Todesurteil mehr als fraglich waren. Ansonsten war es ein schlimmer Fall in der Geschichte von Seehausen.

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