Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Das Schatzhaus des Königs», lehekülg 3

Font:

»Aber du blutest,« rief sie erbleichend aus, nach dieser Hand fassend. Ihr vorher so stolz blickendes Auge verdunkelte sich, als das feuchte Rot an ihren Fingern haften blieb; ein schmerzvoller Ton entrang sich ihrer Brust.

»Es ist nichts, Mädchen,« flüsterte Menes mit Anstrengung, denn das Benehmen Myrrahs hatte ihn, wie in einen süßen Halbschlaf gewiegt, »ich schlug meinem Angreifer auf den Mund; seine Zähne ritzten mir das Fleisch.«

»Das ist gut,« lächelte sie unter Tränen zu ihm empor, »du bist mutig.«

Diese Freudigkeit verwandelte sich sogleich wieder in die besorgteste Unruhe. Wasser war bald zur Hand, ein Tuch ebenfalls. Nun kniete sie nieder und streifte den Ärmel vom Gewand des Jünglings zurück, um sein Blut, das bis an den Ellbogen hinabgeflossen, aufzuwaschen. Als ihr dabei die schön gerundeten Muskeln seines Armes entgegenblühten, überzog ein ängstliches Rot ihre weißen Züge; nun erst schien ihr das Bedenkliche der ganzen Lage klar zu werden. Rasch strich sie das Gewand wieder über den Arm, stand auf, eilte an die Türe und sagte abgewendet:

»Bleibe du hier, ich will heute nacht auf der Matte des Hausflurs zubringen.«

»Eben erst sagten mir deine Lippen, Myrrah,« erwiderte ihr der errötende junge Mann, »daß du mir in allen Stücken trautest – es scheint, du traust mir dennoch nicht?«

»Das ist wahr,« lächelte sie nun, »ich war recht töricht.«

Menes, durch den Blutverlust geschwächt, stützte sich müde auf den Tisch, indem seine Glieder schlaff herabhingen.

»Armer Mann, leidest du Schmerzen?« frug sie besorgt. Er lächelte ermattet. Darauf schritt sie vertraulich zu Menes heran, setzte die Lampe auf den Tisch, holte aus einer Holztruhe ein altes kleines Brot hervor und stellte daneben ein Gefäß mit Milch nebst einigen Datteln.

»Dies ist meine Feiertagsmahlzeit,« sagte sie, »nimm, was dir die Armut bieten kann, du wirst hungern.«

Obgleich anfangs Menes, gerührt von der Einfachheit des Mahles und der Gutmütigkeit des Mädchens, dankend die Berührung der Speisen ablehnte, mußte er schließlich, um seine nötigende Wirtin nicht zu beleidigen, von der Milch etwas zu sich nehmen.

»Es ist keine Schweinemilch, die aussätzig macht,« hatte sie in traurigem Tone gelispelt, als Menes sich geweigert zuzugreifen. Daraufhin natürlich trank er. Kaum hatte Menes das Gefäß niedergesetzt und den Trank gelobt, so ließen sich auf der Treppe, die in das zweite Stockwerk führte, Tritte vernehmen. Erschrocken fuhr Myrrah empor.

»Man kommt von oben,« hauchte sie, »ich muß dich verbergen.«

Sie sah sich verlegen in dem Gemache um, das außer einem niedrigen, streuartigen Ruhelager, nebst einer Truhe, Stuhl und Tisch, nichts bot, hinter welchem sich Menes hätte verstecken sollen. Jedoch die Tritte kamen näher, die Not wuchs.

»Das ganze Haus ist von Juden bewohnt,« klagte die Jungfrau, »wenn sie dich erblicken – weh dir! weh mir! wir sind beide verloren.«

Nun hielten die Schritte an, dreimal pochte es an die Türe des Gemachs.

»Lösche die Lampe,« riet Menes leise, »ich kaure mich hinter die Truhe, stelle du dich, oder besser setze du dich auf dieselbe.«

Er sprang rasch hinter die Holzkiste, Myrrah zauderte, die Lampe zu löschen, jedoch schließlich blieb ihr, da es zum zweiten Male anpochte, nichts anderes übrig. Darauf eilte sie an die Tür, machte sie zwei Finger breit auf und frug: wer draußen sei, sie in ihrem Schlaf zu stören?

»Ich bin es –«

»Wer?«

»Ich! Isaak.«

»Du?« frug das Mädchen. »Und wie steht es um deinen kranken Vater?«

»Rebekka, meine Schwester, ist bereits seit vier Tagen nicht nach Hause gekommen,« jammerte Isaak, dessen Bekanntschaft wir bereits gemacht. »Sie schwärmt draußen umher, während ihr Vater im Sterben liegt, die gottlose Tänzerin.«

»Heute erst,« fiel ihm Myrrah ins Wort, »verkehrte ich mit ihr, sie hat sich manches erworben, sogar Gold. Ein reicher Bewunderer ihres Tanzes gab ihr drei goldene Ringe, sie könnte euch beide ernähren, wenn sie wollte.«

»Sie tut es nicht,« klagte Isaak, »ich muß meinen armen Vater hungern lassen. Da wir nicht mehr an den Pyramiden arbeiten können, wird uns auch die Nahrungslieferung entzogen, die uns sonst zuteil ward. Ich bin gekommen, gute Myrrah, – dein mildes Herz – nicht wahr, es ist unrecht, daß ich mitten in der Nacht –«

»Laß es nur gut sein,« sagte das Mädchen mit fast rauher Stimme, »du weißt zwar, daß ich dich nicht leiden mag, Isaak, aber deinen würdigen Vater kann ich nicht hungern lassen. Nimm hier den letzten Rest Milch nebst diesem Brot.«

Sie reichte dem demütig vor ihr stehenden Isaak die Speisen.

»Jehova mög' es dir danken,« stammelte er, »wenn ich dir einst ebenso aus der Not helfen könnte, es wäre der schönste Augenblick meines Lebens, gutes Kind.«

Angeekelt von seinem kriechenden Wesen wandte sich Myrrah ab und frug nur: »Liegt dein Vater noch immer stumm?«

»Du bist sehr gütig, daß du nach meinem Vater fragst,« sagte Isaak unterwürfig, das Brot mit gierigen Blicken betrachtend, »der alte Mann hat ein paar Worte gesprochen, jedoch er ist sehr matt, Rebekkas Lebenswandel stürzt ihn in die Grube.«

Myrrah schloß entrüstet die Türe, denn sie wußte, daß Isaak von jeher den Lebenswandel Rebekkas begünstigt und zu seinen habsüchtigen Absichten ausgebeutet hatte. Als die Lampe wieder das kleine Gemach beleuchtete und Menes aus seinem Versteck hervorgekommen war, drückte der Jüngling ergriffen die Hände des Mädchens.

»Du hast ein schönes Werk vollbracht,« sagte er.

»Oh, wenn sie nur nicht so schlecht wären,« murmelte sie betrübt vor sich nieder.

Hierauf erzählte sie, da Menes es von ihr zu hören wünschte, ihren ganzen Lebenslauf. Ihre Eltern hatte sie nie gekannt. Sie erinnerte sich noch dunkel, daß sie in frühester Jugend zwischen den Säulen eines Tempelhofs gespielt und daß sie dort zuweilen von einer vornehmen Dame besucht wurde, deren kostbare Sänfte noch jetzt ihr lebhaft vorschwebte. Alle Priester und Priesterinnen wichen dieser schönen, stattlichen Dame ehrfurchtsvoll aus, verbeugten sich vor ihr und frugen mit großem Respekt nach dem Befinden des Königs. Die mächtige Frau lächelte immer, scherzte fein mit ihrer Umgebung, reichte zum Abschied dem Oberpriester jedesmal einen goldenen Ring und frug, welche Fortschritte Myrrah gemacht, worauf ihr ein ältlicher Priester jedesmal die gewünschte Auskunft erteilte. Dieser Priester bewies ihr die größte Zärtlichkeit, sie lernte ihn wie einen Vater lieben. Eines Tages ließ sich die vornehme Dame in großer Erregung in den Tempel tragen. Einer langen stürmischen Unterredung, welche sie mit dem Oberpriester hatte, folgte allgemeine Bestürzung des ganzen Priesterkollegiums; die vornehme Dame sank zu Boden und weinte, der Oberpriester zerriß sein Gewand. Rasch eilten Tempeldiener herzu, um einen Stoß von Papyrusrollen zu verbrennen, welche irgendein Geheimnis bergen mußten; Myrrah freute sich bereits auf das lustige Feuer, aber der Eintritt von dreißig königlichen Schergen tat dem Werk Einhalt. Die Schergen durchstöberten die Rollen, die Worte: Verschwörung, Unterschlag usw. schlugen an Myrrahs kindliches Ohr; der Oberpriester wurde samt der vornehmen Dame auf Befehl des Königs zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in den äthiopischen Goldbergwerken verurteilt. Hier folgte in Myrrahs Erinnerung eine Lücke, sie findet sich in einem wilden, schwarzen Gebirge wieder, das von weißen Adern durchzogen, vielen Schachten den Weg in sein metallreiches Innere eröffnet. Tausende von Arbeitern sind dort beschäftigt, glänzendgelbes Metall aus Sand zu waschen, der zuvor in Mörsern zerstampft wurde. Die Sonne brennt, die Geißel der Aufseher treibt erbarmungslos zur Arbeit an. Sie selbst, das zarte Kind, muß Steine in Empfang nehmen, die aus den Schachten herausgewühlt werden. Ihre Hände bluten dabei, neben ihr kauert dieselbe vornehme Dame, die sich sonst in den Tempel tragen ließ, in zerrissenem Anzug, hohl, krank am Boden und gießt mit denselben Händen, die früher mit Perlen und Fächern spielten, Wasser über schmutziges Geröll. Manchmal empfängt sie einen schmerzlichen Blick von dieser Frau, manchmal einen brennenden Kuß, der ihr viel heiße Tränen an die Wangen drückt. Worte hört sie selten aus diesem blauen, welken Mund, nur von Seufzern quillt er über. Eines Tages sieht sie, wie diese Frau ein Schreiben empfängt, welches ihr ein königlicher Beamter vorliest.

»Gnade!« stammelt sie freudebebend, preßt leidenschaftlich die kleine Myrrah an ihre Brust und sinkt zu Boden.

Der Beamte beugt sich zu der Hingesunkenen nieder.

»Zu spät,« hört sie ihn gleichgültig sprechen, »die Freude hat sie getötet.«

Von diesem Zeitpunkte an bekümmerte sich keine Seele mehr um Myrrahs Dasein. Sie bettelte sich mühsam nach Memphis zurück. Dort war sie eifrigst bemüht, ihren Pflegevater aufzusuchen, jedoch vergebens. Gewerbsüchtige Ebräer bemächtigten sich des kleinen Mädchens, sie zum Tanzen oder allerlei Künsten abzurichten; dies scheiterte jedoch an der Sittsamkeit des Kindes. So lebte sie ein trauriges, gequältes Dasein dahin in den Jahren, die eigentlich der Freude geweiht sein sollten, ernährte sich mühsam durch kleine Handleistungen, Verkaufen von Blumen oder hungerte auch wohl, wenn ihre Schüchternheit zu groß war, sich auf der Straße zu zeigen. Menes hatte dies alleinstehende, verlassene Kind während ihrer Erzählung mit feuchten Augen, versunken in ihre lieblichen Züge, betrachtet. Als sie geendet, war es ihm, als spräche sie noch weiter, er wiegte sein Haupt träumerisch zu ihr hin und schien noch immer ihr Wort zu trinken.

»Der Morgen erhellt meinen Fenstervorhang bereits,« sagte sie nach einiger Zeit erstaunt, »wir haben die letzten Stunden der Nacht rasch hinweggeplaudert und es wird Zeit, daß du gehest, Menes.«

Menes fuhr aus seinem Sinnen empor. Ein Frösteln überschauerte ihn, als er darauf den Vorhang hob und die Straße in rötliches Grau getaucht vor ihm lag.

»Der kühle Morgenwind haucht vom Nil her,« sagte er ermattet, »du hast recht, Myrrah, ich muß gehen. Man wird zu Hause angstvoll meiner geharrt haben, ich werde nicht freundlichen Empfang von meiner Mutter zu erwarten haben. Aber mir gilt es gleich, durchlebte ich doch in dieser Nacht die schönsten Stunden meines eintönigen Lebens – Errettung aus Gefahr, das süße Gespräch mit dir, den Einblick in deine gute, schlichte Seele.«

Myrrah löschte die Lampe und öffnete die Fenster. Sie ward still, sie setzte sich bekümmert auf die hölzerne Truhe und schien an nichts mehr teilnehmen zu wollen, was um sie her vorging.

»Du hast mir bei meinem Abschied nichts zu sagen?« frug sie Menes zärtlich.

Das Mädchen schüttelte betrübt den Kopf.

»Wirklich nicht? Nicht, daß ich dich wiedersehen darf?«

Es erfolgte eine lange Pause. Beide standen sich, süße Qual im erregten Busen, gegenüber. Er wagte kaum verstohlen zu ihr aufzuschauen. Plötzlich schritt sie auf den Wandschrank zu, nahm ein Messer, das dort verborgen lag, legte es vor Menes nieder und hauchte abgewendet:

»Töte mich.«

Der überraschte Jüngling trat schaudernd einen Schritt zurück. Dann aber stürzte er vor, sie zu umarmen. Sie, als sie dies bemerkte, wich ihm aus.

»Wie kannst du doch solch sündhaftes Wort über deine Lippen bringen,« stammelte er vorwurfsvoll.

»Ich dich töten, der ich diesen Leib anbete, als sei er der einer Gottheit, der ich dich schützen möchte vor allem Unheil, vor Hunger, vor Schmähungen, der ich selbst der kleinsten Fliege nicht gönne, wenn sie über deine Hand laufen darf. Ich soll dich töten? Und weshalb wünschst du dir den Tod? Warum tust du mir dies Leid an, dich leiden zu sehen?«

»Bedenke, wer du bist,« fiel ihm die Jüdin ins Wort. »Willst du,« lachte sie bitter auf, »willst du deiner vornehmen Mutter sagen, du habest mit der Jüdin gesprochen, daß sie vor dir entflieht? Willst du ihr die Jüdin als Braut über ihres Hauses Schwelle tragen: O glaube mir, du achtest mich nicht, wenn du dir auch fest vornimmst, mich zu achten.«

»Lache nicht so wild, Myrrah,« rief Menes zitternd, »du tust mir weh! Wisse, daß ich dich achte, und hätte ich dich auf dem Felde die unsauberen Schweine hüten oder dich als Tänzerin den ekeln Reigen schwingen sehen. Nichts kann dich mir in Unehre bringen, nichts mich von dir vertreiben, dein Bild mir trüben, und wenn meine stolze Mutter mir darum zürnt, so mag sie es tun, ich bedarf ihrer nicht, deiner aber bedarf ich, um zu leben.«

Myrrah war in lautes Schluchzen ausgebrochen.

»Gehe! verlasse mich,« seufzte sie, »wenn du Spiel mit mir triebst, würdest du mich töten. Du stürzest mich, ich fühle es, ins Verderben. Mir wäre besser, ich hätte dich nie gesehen, oder ich stürbe gleich auf der Stelle, denn ich weiß nicht, was ich ohne dich beginnen soll, und mit dir leben darf ich nimmermehr.«

Der junge Mann versuchte die Weinende zu beruhigen, er gab ihr die zärtlichsten Namen, versicherte sie, daß er jeden Abend in ihr Haus schleichen wolle, daß er ihr einen ergebenen Diener täglich senden wolle, ihr Nahrung zu bringen, sie aber wehrte heftig alle seine Liebkosungen ab, suchte ihr tränenüberströmtes Gesicht zu verbergen und rief ein über das andere Mal: »Gehe! Oh, hätte ich dir nicht dein Leben gerettet, hätten sie dich und mich getötet.«

Nach vielen vergeblichen Versuchen, sich ihr verständlich zu machen, stand Menes auf.

»Du willst, daß ich gehe! Gut denn, ich gehorche dir,« sprach er mit schmerzlichem Trotz. »So will ich dich denn nie mehr wiedersehen. Lebe wohl und vergiß mich, wie ich dich zu vergessen suche.«

Schon hatte er die Türe erreicht, da sprang Myrrah auf, als ob sie ihn zurückhalten, sich an seine Brust werfen wollte, aber sie faßte sich gewaltsam, indem sie auf ihren Sitz zurücksank, die Arme und den Kopf erschlafft herabhängen lassend.

Menes ging.

Nach einigen Minuten flog durch das kleine Fenster ein Siegelring, den ein smaragdener Käfer zierte, zu Myrrahs Füßen nieder. Über eine halbe Stunde lang saß das Mädchen regungslos da. Draußen waren längst die Schritte ihres Freundes verhallt, die Straße füllte sich mit Menschen, die ihrem Gewerbe nachgingen; Aufseher traten in die Wohnungen, um Steuern zu erheben oder die jungen Männer der Ebräer zum Ziegelbrennen abzuholen. Wagen rollten, Sänften wurden getragen, das Brausen und Tosen einer Großstadt drang bis in das kleine Zimmer des Mädchens. Diese schüttelte endlich die schwermütige Erschlaffung von ihren Gliedern, hob vorsichtig den Smaragden vom Boden auf, küßte ihn, wickelte ihn in ein feines Tuch und barg ihn errötend an ihrer Brust. Hierauf nahm sie ihr Kopftuch, um an den Ufern des Nils Blumen zu suchen, damit sie Kränze und Sträuße daraus winden möchte, da heute abend ein vornehmer Ägypter solcher bedurfte, seinem Feste Pracht und Glanz zu verleihen. Als sie nach Ablauf von zwei Stunden ermattet in ihr niedriges Zimmer zurückkehrte – wer beschreibt ihr Erstaunen – da trug ihr Tisch eine kostbare Mahlzeit, wie sie solche noch nie gesehen, geschweige denn genossen. Gänsebraten, feines Gebäck, Datteln, Wein, breitete sich duftend vor ihren erstaunten Augen aus; sie jedoch ließ die Speisen unberührt.

Drittes Kapitel

Über dem Zimmer Myrrahs befand sich dasjenige des kranken, alten Juden. Die Lehmwand des Gemachs zeigte mehrere Löcher, durch die der Wind nach Belieben pfeifen konnte. Der ausgetretene Fußboden war nicht der reinlichste; an Tischen und Stühlen waren nur sehr zerbrechliche Exemplare vorhanden, deren Farbe in widriges Grau übergegangen war. Durch einen zerrissenen, grünen Vorhang schielte die Sonne über zerbrochenes Tongeschirr, welches am Boden stand. Auf einem sehr niedrigen, hölzernen Gestell, das mit etlichen Lumpen belegt war, lag der alte Mann; sein Atem kam zögernd über seine Lippen, schwer, mühsam hob sich seine Brust. Neben ihm kniete sein Sohn Isaak, mit ängstlicher Aufmerksamkeit in das matte, blasse Gesicht, die irren, glanzlosen Augen des Vaters blickend, zuweilen ihm den blutigen Stirnverband zurechtrückend oder mit Wasser seine Lippen befeuchtend.

»Stirb mir nicht, Vater,« kam es aus Isaaks Busen hervor, »du weißt, ich liebe dich, verlasse deinen Sohn noch nicht, halte noch mit ihm in dieser elenden Welt aus.«

»Wo bleibt Rebekka, deine Schwester?« frug mit einiger Anstrengung der Sterbende. »Ich sah sie nicht, so lange ich an dieser Wunde daniederliege, warum tritt sie nicht an das Sterbelager ihres Vaters?«

»Verzeihung, mein Vater,« sprach der junge Mann, indem er hastig nach den zuckenden Händen des Alten griff, »Verzeihung deiner Tochter und mir! Wie konnte ich ahnen, daß sie so herzlos, so gottlos wird, als ich sie dazu verleitete, unserer Not durch Harfenspiel und Tanz ein Ende zu machen.«

Über das Angesicht des Alten flog ein Schatten.

»Ja, du warst es, der meine Rebekka,« keuchte er, »dem reichen Setineht in die Hände spielte, damit er sie verderbe, um uns –«

»Um dich –« fiel Isaak bebend ein.

»Um uns vom Hungertode zu retten,« fuhr der Greis fort. »Von diesem Tag an sank sie tiefer, immer tiefer; sie lernte sündhafte Tänze, bestrickende Gesänge und, was sie erwarb, das kam nicht mehr uns zugute, das brachte sie mit Kriegsknechten durch, oder kaufte sich elenden Goldflitter dafür, ihren unreinen Leib zu behängen. Sie war nicht schlecht, mein Kind, sie war munter, lebenslustig, heftig von Gemütsart – sind das Fehler? nein! doch es wurden Fehler daraus; das Gift schmeckte ihr süß, sie trank es in vollen Zügen aus den Händen der Ägypter, und jetzt ist sie völlig davon durchfressen. O Isaak, was tatest du mir an! Was hast du aus deiner Schwester gemacht!«

Isaak beugte sich über seinen Vater und küßte ihm den welken Mund.

»Denke nicht an die Mißratene,« bat er sanft. »Daß sie so geworden, wie sie ist, zeigt mir, daß ein schlechter Kern in ihr lag, und daß sie auch ohne meine Beihilfe geworden, was sie nun ist. Sieh! ich pflege dich, ich sitze Tag und Nacht an deinem Lager, ich hungere, ich bettle für dich – kannst du sagen, ich sei ein schlechter Sohn? Aber sie! was tut sie! sie lacht, sie tanzt, sie liebt, während ihr Vater –«

»Rede nicht von ihr,« wehrte der Ermattete ab, »mir wird weh, Isaak, gib mir Wasser.«

Isaak tat, wie ihm geheißen wurde. Dann kauerte er sich dicht neben das Haupt des Kranken, lauschte auf seine unregelmäßigen Atemzüge und sah dabei zuweilen mit verlangenden Blicken auf einen Napf voll Milch, den er für den Vater erbettelt hatte. Ja, manchmal streckte er unwillkürlich die zitternde Hand nach dem Getränke aus, ließ sie aber jedesmal sinken, sobald sein Auge das Gesicht des Verwundeten streifte. Er litt augenscheinlich grimmigen Hunger, der Arme, denn etlichemal fielen ihm vor Schwäche die Augenlider zu, jedoch die Pflicht, seinen Vater zu ernähren, gebot ihm dem heftigen Naturtrieb zu widerstehen, denn diese kleine Schale Milch sollte für diesen Tag die einzige Nahrung der beiden sein. Nach langem Stillschweigen bemerkte Isaak, wie sich plötzlich die Züge des Bejammernswerten seltsam veränderten. Er faßte nach der Hand seines Kindes und sah ihm mit einem feierlichen, geheimnisvollen Ausdruck in die Augen.

»Isaak!«

»Vater!«

»Richte mich auf, ich muß mit dir sprechen.«

»Ja, Vater.«

»Aber rasch, denn ich fühle den Tod mir nahen.«

Dann setzte er sich stöhnend mit Isaaks Hilfe empor, hieß diesen die Türe sorgfältig schließen, nachdem er sich umgesehen, ob niemand lausche, hieß ihn die Fenster verdunkeln und bat ihn, sein Ohr dicht an seine Lippen zu legen. Nachdem dies geschehen, atmete er noch einmal tief auf, ließ sich von der Milch reichen und begann:

»Ich muß dir, ehe sich mein Auge auf ewig schließt, ein wichtiges Geheimnis anvertrauen, mein Sohn, das bis jetzt nur das meine war. Laß dir verkünden, daß ich als junger Mensch, unter der Regierung des vorigen Königs Seti des Ersten, half, eines der größten Werke zu vollenden, welches die Erde je sah oder noch sehen wird.«

Hier brach er erschöpft ab, um Luft zu sammeln. Der Sohn hing gespannt an den Lippen des Vaters.

»Ich war unter der Schar,« fuhr er flüsternd fort, nachdem er sich erholt, »die des Königs Schatzhaus bauen mußte.«

»Wie? Du, Vater? Und du lebst noch?«

»Alle die diesen Bau ausgeführt, sogar der Baumeister, mußten sterben, damit keiner verriete, wo sich das Haus befinde, oder auf welchen Pfaden man in sein Inneres gelangen könne. Sterben mußten sie, Isaak! Alle sterben.«

Schmerzen zwangen ihn, sich zu unterbrechen; er drohte umzusinken; Isaak hielt ihn jedoch aufrecht.

»Und du entkamst dem Mordschwert der Ägypter?« frug Isaak klopfenden Herzens, »doch erhole dich erst noch ein wenig, ehe du weitersprichst.«

»Ich entkam,« begann der Alte aufs neue, seine Schwäche beherrschend. »Ich dachte, es ist einerlei, ob dich das Schwert eines Kriegers tötet, oder ob du im Innern des Gewölbes, das du bauen halfst, verhungerst, und so versteckte ich mich, nachdem alle übrigen Arbeiter bereits aus dem vollendeten Bau gebracht werden waren, in einer Kiste. Drei Tage lang hielt ich es dort aus, von Dunkelheit umgeben. Endlich tappte ich mich durch die mir wohlbekannten Gänge bis an das noch nicht vermauerte Tor. Von hier aus floh ich in den Schilf des Nil, wo ich mich wieder längere Zeit verborgen hielt, um meinen Verfolgern zu entgehen. Das waren fürchterliche Tage, mein Sohn, denn ich lebte von da an einem Tiere ähnlicher, als einem Menschen. Erst nach vielen Jahren, bis man mich vergessen oder mich tot geglaubt, ließ ich mich wieder sehen.«

Diese Worte hatte der alte Mann röchelnd hervorgestoßen, man sah ihm deutlich an, wie er mit Angst ans Ende zu kommen suchte, um seinem Kinde, noch bevor der Tod ihm den Mund verschließen konnte, die ganze Tragweite des Geheimnisses zu entdecken.

Isaak wollte einige Worte einwerfen, ihn bitten, sich zu schonen, jedoch er winkte ihm Schweigen zu und fuhr immer hastiger, immer angstbeklommener weiter fort:

»Lausche nun meinen Worten, Kind, denn ich will dich durch das, was ich dir nun verkündige, glücklich, reich und mächtig machen. Ich hatte keinen Mut dazu, mein Vorhaben auszuführen, aber dir fehlt es nicht an Scharfsinn, Entschlossenheit und Erfindungsgeist, die Früchte zu genießen, die ich unberührt liegen ließ. Du wirst nachholen, was ich alter, furchtsamer Tor versäumt.«

Isaaks Atem flog aufgeregt durch seine Lippen, er beugte sein Ohr dicht an den Mund des Vaters und trank dessen flüsternde Worte.

»Ich will dir,« fuhr dieser fort, »den Weg beschreiben, den du gehen mußt, um in das Innere des Schatzhauses zu gelangen, wo die Goldgefäße stehen, angefüllt bis zum Rand mit Goldringen, mit Edelsteinen, wo du dir nehmen kannst, so viel dir Jehova erlaubt, denn die Feinde zu berauben ist keine Sünde. Wenn ich die Augen geschlossen, dann wird Pracht und Reichtum einziehen in meines Sohnes niedere Hütte; du wirst dir einen Palast bauen an den Ufern des Nil, du wirst wie die mächtigen Pharaonen auf Purpurpolstern ruhen, bedient von schönen Sklavinnen, du wirst deine vergoldete Gondel auf den Wellen des Nil rudern und dich tragen lassen in reich bemalter Sänfte. Isaak, du erhebst dich aus dem Staube der Knechtschaft, du setzest deinen Fuß auf die stolzen Nacken der Unterdrücker, du rächst deine Schmach, rächst deines Vaters Schande, deines Vaters Tod, denn, wer Reichtum besitzt, besitzt Macht.

Verführe sie, verderbe unsere Feinde, und aus dem Grabe heraus will ich dich segnen; mein Geist wird dich schützen.«

Der Alte hatte ermattet die Stimme sinken lassen, während Isaak mit erglühten Wangen, leuchtenden Augen seiner Rede gefolgt war.

»Vater,« preßte der überraschte Sohn hervor, »mein der Schatz des Königs? mein? es ist keine Ausgeburt deines fieberkranken Hirnes? Ich, der verachtete, bespiene Jude, reich, mächtig, der Rächer meines Volkes? Vater, mir schwindelt, meine Sinne halten es nicht aus; mir ist, als sähe ich die Pracht des königlichen Schatzes vor mir glänzen, wie ein Meer im Abendstrahl, und die Edelsteine würden zu Flammen, mich zu versengen, das Gold dünstet giftiggelbe Gluthitze aus, mich zu ersticken – ich sehe mich in prächtigen Gewändern dahinschreiten, hohnlachend meinen Unterdrückern – Vater, mache mich nicht wahnsinnig vor schauderndem Entzücken.«

Mit Anstrengung gelang es ihm endlich, seine schweratmende Brust zu bändigen, er richtete den zurückgesunkenen Sterbenden auf, sprach einige herzliche Worte zu ihm und küßte ihm im Rausche der Freude dankbar die Stirn. Der alte Mann begann nun in abgebrochenen Worten zu beschreiben, wohinaus Isaak sich zu wenden habe, um das Schatzhaus zu finden.

»Du siehst, ich mache dir ein reiches Vermächtnis, teurer Sohn, so reich, wie es der reichste Königsbeamte seinem Sohn nicht hinterläßt,« stotterte er immer mühsamer, »nun sterbe ich gern, denn ich habe dich glücklich gemacht.«

»Vater, du vergaßest, mir genau anzugeben, wo sich das Schatzhaus befindet,« rief Isaak angstvoll, »sammle deine Sinne, damit ich der Beschreibung genau folgen kann, denn, wenn ich keine Ahnung habe, in welchem Gebäude der Schatz liegt, wie soll ich ihn finden? Also, da wo der alte Königspalast von Memphis liegt, am Südostende der Stadt steht, umgeben von mehreren anderen Gebäuden, das Schatzhaus?«

Der Greis beschrieb dem Sohn mit dem Finger aus dem Fußboden den Weg, den er zu gehen habe. Wenn er von der Stadt käme, sei es das dritte und größte der Gebäude; mächtige Pylonen ragten vor ihm in die Luft, aber die Türe, die in sein Inneres führe, sei so verborgen, daß kein Mensch ahne, wo sie sich befände, denn sie führe in der Rückseite des Palasts auf den Nil hinaus und sie erhübe sich gerade da, wo das Wasser des Flusses aufhöre, also, daß sie bei einer Überschwemmung gänzlich unter Wasser gesetzt sei. Eben wollte der erregte Isaak fragen, wie er denn diese Eingangspforte zu finden habe und durch welchen Kunstgriff sich der schwere Stein hinwegbewegen lasse, als sich draußen vor der Türe munteres Lachen vernehmen ließ. Isaak sprang an die Türe; kaum hatte er sie geöffnet, so tanzte mit heiterem Singen seine Schwester Rebekka in das Gemach, blieb aber, mitten in ihrem Gesang abbrechend, stehen, als sie ihren abgezehrten Vater sich langsam erheben sah.

»Nicht in meine Nähe,« keuchte tonlos der bereits unter den Fittichen des Todes Weilende. »Hebe dich weg von dem Lager deines Vaters, du Verworfene, schütte nicht deine trübe Gier, deine niedrige Weltlust über sein dem Grabe geweihtes Haupt aus. Was kommst du meine letzten Lebensträume zu stören? Was trägst du diesen Mißklang in dies ernste Zimmer? Hättest du nicht warten können, bis dies Auge dich nicht mehr sieht, dies Ohr deine eiteln Gesänge nicht mehr vernimmt? Isaak, verbirg sie meinem Blick, ich will nicht in ihrer Nähe sterben.«

»Vater, sie ist dein Kind,« bat der Bruder, seinen Vater sanft zurück auf das Lager zwingend. »Verzeihe ihr, nimm nicht deinen Unwillen, deinen Groll ins Grab hinab.«

»Sie hat den Gott unserer Väter verlassen; wie, sollte ich sie nicht verlassen?« rief der Sterbende, zornige Blicke auf die Eingetretene richtend. »Sie hat unser Volk verlassen, hat sich mit den Fremden abgegeben; verkehre nicht mit ihr, Isaak, sage dich los von ihr, sie mag verhungern, sie bringt Schande auf unser Haupt, denn sieh nur, wie heiter sie aufgeschmückt ist, wie sie lachen, wie sie singen kann und –«

Schwäche verhinderte ihn weiter zu reden; seine zum Fluche erhobene Hand sank schlaff auf das Lager; er fiel mit dem Haupt, einem Toten ähnlich, zurück. Isaak beugte sich verzweiflungsvoll über den kaum Atmenden; Rebekka stand wie betäubt, die Türe in der Hand haltend. Als der Vater verstummte, schritt sie erbleichend auf den still Daliegenden zu, aber Isaak wehrte ihr näher zu treten. Beschämt den Blick an den Boden geheftet, stand sie dort, bis dieser Blick zufällig auf ihre goldenen Armbänder fiel. Hastig streifte sie dieselben ab, in einem Moment flog der Goldflitterbesatz ihres Kleides unter ihren Fingern zu Boden und die Handtrommel entsank ihren Armen. Sie empfand mit Schauder, wie seltsam ihr leichtfertiger Schmuck stimmte zu dem erhabenen Augenblick, in welchem die Seele ihres Vaters Abschied nahm von dieser Welt. Tränen traten über ihre Augen und behutsam schlich sie sich an den Sterbenden heran, seine kalten Hände mit ihren heißen Zähren zu benetzen. So kniete sie lange um den Sterbenden beschäftigt, der nur noch einmal die Kraft hatte: »Zu spät!« zu hauchen. Wer sie in dieser Stunde gesehen hätte, würde sie für die besorgteste, zartfühlendste Tochter gehalten haben, und selbst der, der sie auf der Straße tanzen sah, er hätte ihr nun verziehen, so sehr war ihr ganzes Wesen umgewandelt, so sehr schien sie ihren Lebenswandel zu bereuen. Die beiden Geschwister gaben sich flüsternde Winke, deuteten sich an, daß es mit ihrem Vater merklich zu Ende ging. Schon schien es den beiden, die jeden Atemzug des Sterbenden zählten, als stocke plötzlich die regelmäßige Hebung der väterlichen Brust, schon schlug Isaak die Hände vor die Augen, den Todeskampf des Teuren nicht mit anzusehen, da erhob sich dieser noch einmal und verlangte, durch entschiedene, nicht mißzuverstehende Winke, Stift und Papyrusrolle. Als der Sohn ihm dies gereicht, sah er, wie die krampfhaft zuckenden Finger seines Vaters bemüht waren, mit der letzten Kraft etwas auf die Rolle niederzuschreiben, da ihm bereits die Zunge den Dienst versagte. Isaak erriet, daß es sich um die geheime Türe des Schatzhauses handelte, er verfolgte den zuckenden Stift des Schreibenden mit glühenden Augen, ja er vergaß fast, daß er sich in der Nähe des Todes befand; die Aussicht, den Schatz zu erlangen, überwand in diesem Moment den Schmerz um das brechende Herz des Vaters. Mit Bestürzung jedoch bemerkte er nach einiger Zeit, daß unter den Fingern des Sterbenden fast völlig unleserliche Zeichen hervorquollen. Er deutete dies dem Vater an, frug, was dieses oder jenes Zeichen bedeuten solle. Dieser sah flehentlich zu ihm auf, als wolle er sagen: entwirre meine Schriftzüge, die Finger gehorchen mir nicht mehr. Darauf ließ er den Stift fallen, legte mühsam die kraftlose Hand auf Isaaks Haupt, sank zurück, zuckte noch einmal vom Munde an bis in die Zehen hinunter und tat keinen Atemzug mehr. Rebekka brach in heftiges, verzweiflungsvolles Schluchzen aus, während ihr Bruder in dumpfem, tränenlosen Schmerz die Züge des Verblichenen anstarrte. Das Mädchen konnte sich nicht fassen, sie zerriß ihr Kleid, schlug sich die Brust, warf sich zu Boden, kurz, gab sich dem leidenschaftlichsten Jammer hin.