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In der Dämmerstunde

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Plötzlich rief der alte Diener: »Meine Dame, meine gute Dame!«

Aller Augen richteten sich auf Madame Danville, denn sie hatte bis jetzt ruhig zugehört; plötzlich aber raffte sie sich auf und sprach:

»Meine Herren! Ich bin die Tochter eines Edelmannes und die Witwe eines Ehrenmannes. Ich sage hier vor Ihnen Allen, dass ich fortan keinen Sohn mehr habe, denn er ist ein Verräter der schlechtesten Art, von dem sich jeder bessere Mensch entfernt halten mag!«

Dann drehte sie ihrem Sohn den Rücken, verbeugte sich vor den Übrigen und schritt der Tür zu, geführt von dem Arm ihres alten treuen Dieners.

Aber der eben vorübergegangene Moment hatte die Kräfte der alten Frau doch so erschüttert, dass sie ohnmächtig wurde.

»Stehen Sie ihr bei,« rief der General, »bringen Sie sie in das andere Zimmer!«

»Nein.« sagte der alte Dubois, »nach Hause! Ich werde meine teure Herrin pflegen, denn jetzt hat sie nur noch mich!« und man half ihm, seine Herrin in den Wagen tragen.

Trudaine stand noch an derselben Stelle, wo er sich zuerst hingestellt hatte. Der General ging auf ihn zu und bat ihn um Verzeihung, doch bedauerte er, dass er ihm nicht früher als in dem letzten Moment diese Nachrichten habe zukommen lassen.

Während er noch zu Trudaine sprach, klopfte ihm einer seiner Freunde auf die Schulter und fragte: »Ist dem Schurken erlaubt, sich jetzt von hier zu entfernen?«

Der General drehte sich bei dieser Frage um und zeigte Danville den Weg zur Tür, aber er folgte ihm dahin und sagte ganz leise:

»Ihr Schwager hat Sie hier als einen abscheulichen Verräter bezeichnet, Ihre Mutter hat Sie verstoßen, jetzt werde ich noch meine Pflicht erfüllen. Wenn sich sein Mann unter Lügen und falschen Vorspiegelungen in das Haus eines Ehrenmannes einführt, so pflegen wir Männer von der Armee ihn dafür zu bestrafen! Jetzt ist es drei Uhr, um fünf Uhr werden Sie mich und meine Freunde finden.«

Er nannte Danville den Ort des Rendezvous sehr leise; dann zeigte er mit dem Finger auf die Treppe.

»Unsere Arbeit ist hier verrichtet,« sagte Lomaque und legte seine Hand auf Trudaine’s Arm. »Wir wollen Danville erst hinaus lassen und dann wollen wir auch gehen.«

»Wo ist meine Schwester?« fragte Trudaine bestürzt.

»Seien Sie unbesorgt, sie ist in Sicherheit,« antwortete Lomaque, »ich werde es Ihnen draußen sagen, wo sie ist.«

»Sie werden mich entschuldigen,« sagte der General zu allen Anwesenden, »ich habe meiner Tochter einige unangenehme Nachrichten mitzuteilen, und dann habe ich noch ein Privatgeschäft mit einem Freunde abzumachen.«

Dann begab er sich in das Bibliothek-Zimmer. Trudaine und Lomaque verließen das Haus.

»Ihre Schwester wartet im Hotel,« sagte Lomaque, »sie weiß nichts, absolut nichts von dem, was vorgegangen ist!«

»Aber sie hat doch die Mutter Danville’s gesehen?«

»Nein,« entgegnete Lomaque, »ich hatte sie so gestellt, dass sie gesehen wurde, ohne dass sie die einsteigende Dame genau sehen konnte. Doch genug davon! Gehen Sie jetzt nur zu Ihrer Schwester.

Am Abend werden Sie nach Rouen fahren, ich habe schon zwei Plätze im Postwagen für Sie bestellt. Gehen Sie nur ohne mich, ich habe hier noch Geschäfte und möchte auch erst wissen, wie die Angelegenheit zwischen Danville und seiner Mutter ablaufen wird. Bald werde ich zum Besuche in Rouen eintreffen. Geben Sie mir nun Ihre Hand! Leben Sie wohl! Keinen Dankt Lassen Sie mich ruhig meine Geschäfte beenden, hier ist mein Weg, dort der Ihrige! Leben Sie wohl! Ich komme bald nach Rouen!«

Drittes Kapitel

Seit den letzten Ereignissen waren mehrere Tage verflossen. Es ist Abend. Rosa, Trudaine und Lomaque sitzen zusammen auf der bekannten Bank in der Nähe ihres Häuschens an dem Ufer der Seine. Die Umgebung war dieselbe geblieben, trotz allen Wechsels in der Politik und in den Familienverhältnissen, die Natur war unveränderlich!

Da saßen sie nun zusammen und plauderten so vertraulich! Bald führte der Eine, bald der Andere die Unterhaltung; der allgemeine Inhalt war aber die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft! Es wurde dunkler und Rosa erhob sich zuerst von der Bank. Sie wechselte mit ihrem Bruder einen Blick des Einverständnisses, dann sagte sie zu Lomaque:

»Wollen Sie mir erst ein wenig später in das Haus folgen? Dann werde ich Ihnen auch Etwas zeigen!« —

Nachdem Rosa fort war, fragte Louis Trudaine schnell: »Was ist in Paris vorgefallen?«

»Ihre Schwester ist jetzt frei!« antwortete Lomaque.

»Das Duell fand also richtig statt?«

»An demselben Tage! Beide feuerten zu gleicher Zeit. Die Sekundanten seines Gegners sagten aus, dass er wie gelähmt gewesen sei. Sein eigener Sekundant erklärte, dass er nicht zu sterben gewünscht habe, bis er den Mann getötet haben würde, der ihn so öffentlich beschimpft hatte. Ob das nun wahr ist, weiß ich natürlich nicht. Er fiel, ohne die Fähigkeit zu besitzen, ein Wort hervorbringen zu können.«

»Und seine Mutter?«

»Von ihr weiß man wenig. Ihre Tür ist verschlossen und der alte Diener pflegt sie wohl mit Liebe und Sorgfalt. Der Arzt hat den Ausspruch getan, dass ihr Geist leidender ist, als ihr Körper.«

Danach erhoben sich die beiden Männer auch von der Bank und schritten schweigend dem Hause zu.

»Haben Sie Ihre Schwester auf alles Dasjenige vorbereitet, was vorgefallen ist?« fragte Lomaque, als er das Lampenlicht in dem Wohnzimmer angezündet sah.

»Ich werde damit warten, bis wir wieder hier zusammen sein werden.«sagte Trudaine. —

Sie traten jetzt in das Häuschen.

Rosa bat Lomaque, dass er sich zu ihr setzen möge, und legte dann Feder und Papier auf den Tisch. Das Tintenfass stand schon geöffnet da.

»Ich habe Sie um Etwas zu bitten,« sagte sie freundlich zu Lomaque.

»Ich hoffe, es wird noch heute zu bewilligen sein, denn morgen früh, bevor Sie aufstehen, muss ich schon auf dem Wege sein.«

»Sie sollen nur diesen Brief unterzeichnen,« fuhr die junge Dame lächelnd fort. »Er ist von mir geschrieben, und Louis hat ihn diktiert«

»Ich darf ihn doch zuvor lesen?« fragte er.

Sie nickte und Lomaque las: —

»Bürger! Ich begrüße Sie respektvoll in diesem Briefe und bitte um die Erlaubnis, mich von meiner Stellung in Ihrem Hause zu entbinden. Die Freundlichkeit, welche Sie, wie auch Ihr Bruder mir stets erzeigten, lässt mich glauben, dass Sie es mir gönnen, dass ich fortan meine Tage in ruhiger Zurückgezogenheit bei meinen Freunden verbringen werde, die mir so zugetan sind, als gehörte ich mit zu ihrer Familie. Ich bedarf der Ruhe mehr, als mancher andere Mann meines Alters, nach dem bewegten Leben, welches ich geführt habe. Meine Freunde wünschen es durchaus, dass ich bei ihnen bleibe, und ich kann ihnen ihr Anerbieten nicht gut ablehnen. Genehmigen Sie, dass ich mich stets als Ihren ergebenen Diener betrachte. An den Seidenhändler Clairfait, Chalons sur Marne.«

Nach dem Lesen dieser Zeilen kehrte sich Lomaque nach Trudaine um und versuchte zu sprechen, aber die Lippen versagten ihm den Dienst. Er blickte Rosa an und lächelte, aber seine Lippen zitterten. Er tauchte die Feder ein und neigte sich über das Papier. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, aber man sah, dass er noch nicht schrieb. – Rosa legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Schreiben Sie doch!« Er zögerte noch einen Augenblick, dann schrieb er.

Rosa nahm das Papier; es lagen zwei feuchte Tropfen darauf. Sie trocknete sie mit ihrem Taschentuche fort und sagte leise zu ihrem Bruder:

»Es sollen die letzten Tränen sein, Louis, die aus diesen Augen fließen, Du und ich werden dafür sorgen!«

Schluss

Die drei Freunde lebten ferner glücklich in dem bekannten Häuschen an dem Ufer der Seine, und ich habe weiter nichts hinzuzufügen, als dass die französische Gouvernante sie noch kennen lernte, bevor der Tod die Freunde trennte, Lomaque war der erste von ihnen, der sich für immer zur Ruhe bettete. – Mademoiselle Clairfait schildert ihn, in ihrem gebrochenen Englisch, als einen gutmütigen, liebenswürdigen alten Mann, der sonst frei von den Launen seiner Altersgenossen, nur die eine besaß, dass er sich von keiner andern Hand, als der der Schwester Rosa seinen Kaffee reichen ließ.—

Vielleicht hatten die Personen und die Ereignisse in dieser Geschichte nur für mich ein so lebhaftes Interesse, weil ich mich so lange Zeit mit ihnen beschäftigt habe; aber ich kehre nun auch nach englischen Fluren zurück, wenn ich Ihnen die nächste Erzählung bringen werde.

Es fiel mir mir die Wahl schwer, welche ich aus der Sammlung meiner Erzählungen treffen sollte. Meine Frau ist nun der Ansicht, dass ich Ihnen die Geschichte von der

Lady von Glenwith Grange

zunächst mitteilen soll, und ich folge auch gern diesem Vorschlage.

Die Erzählung des Anglers
von der Lady von Glenwith Grange

~~~~~~~~~~~~~~

Einleitung

Meine Maler Tätigkeit war nicht immer mit menschlichen Bildnissen beschäftigt, sondern man überließ mir auch das Malen von Pferden, Hunden, Gebäuden u.s.w. Einmal hatte ich sogar den Auftrag, einen Stier, der der Ruhm, aber auch oft der Schrecken seines – Dorfes war, zu malen, der, nebenbei bemerkt, mein unruhigster Kunde war. Das Tier hatte den treffenden Namen: »Donner und Blitz.« Sein Eigentümer war ein entfernter Verwandter von meiner Frau; ein gebildeter Pächter, namens Garthwaite. Dass der Stier mich nicht auf seine Hörner nahm und tötete, bevor ich noch sein Bild vollendet hatte, ist mir bis heute unerklärlich. Als »Donner und Blitz« mich und meine Malergeräthschaften erblickte, wurde er so wütend, dass zwei Männer ihn halten mussten, während ihm ein dritter einen Ring durch die Nasenlöcher zog; nun erst konnte ich zu malen anfangen. Aber das Tier machte fortwährend Anstrengung, sich zu befreien. Er schüttelte sein riesiges Haupt und rollte die großen Augen wild vor Verdruss, dass er mich nicht aufspießen konnte, da ich mir erlaubte, ihn fortwährend fest anzublicken.

 

Als ich das Bild von meinem unruhigen Kunden kaum halb vollendet hatte, ging ich eines Morgens mit meinem Freunde zu dem Stall des Tieres; es kam uns aber schon auf dem halben Wege einer der Gutsarbeiter entgegen und meldete, dass »Donner und Blitz« heute in einer so außerordentlich wilden Laune sei, dass es unmöglich sein würde, an seinem Bilde zu arbeiten.

Ich blickte fragend auf meinen Freund, den Gutsherren, dieser lächelte und bemerkte: Nun, wenn es heute nicht geht, so wird es morgen gehen! – Hätten Sie nicht Lust, Mister Kerby, heute mit mir eine Angelpartie zu unternehmen, da der Stier Ihnen Ferien gibt?

Ich gestand aufrichtig, dass ich nichts von der Fischerei verstünde; aber Mister Garthwaite war ein so eifriger Angler, dass ihn mein Geständnis durchaus nicht störte: »Daran ist nichts zu lernen,« entgegnete er, »ich werde Sie in kurzer Zeit zu dem geübtesten Angler machen, wenn Sie meinen Anweisungen folgen.«

Es war unmöglich, noch länger zu widerstreben und ich nahm mit geheimem Widerwillen die erste Angelrute in meine Hand.

»Wir werden jetzt aufbrechen!« sagte Mister Garthwaite; »ich werde Sie nun zu dem besten Mühlbach führen, der hier in der ganzen Nachbarschaft ist.«

Mir war das ziemlich gleichgültig, ob wir früher oder später gingen, ob der Mühlbach gut oder schlecht sei. Ich ging geduldig und etwas missvergnügt mit.

Nachdem wir eine Weile gegangen waren, hörte ich schon deutlich das Rauschen des Wassers.

Garthwaite bezeichnete nun eine recht tiefe Stelle des Wassers als die geeignetste für den Fischfang, und bevor ich noch meine Angelschnur abgewickelt hatte, ließ er die seinige schon ruhig auf dem Wasser schwimmen.—

Das Losmachen war nicht die einzige Schwierigkeit bei meiner neuen Beschäftigung, denn nachdem ich die Schnur glücklich von der Rute gelöst hatte, griff der Angelhaken in meine Kleidungsstücke, und ich fing, statt der Fische, meinen Hut, mein Jaquet, meine Weste, Hosen und schließlich meinen Daumen. Ein böser Geist musste in den Angelhaken gefahren sein, denn nun ward auch gar mein Hemd von ihm gefangen, kurz, ich hatte mich selbst gefesselt und konnte nicht von der Stelle. Mein Freund sprang helfend herbei und mit der Hilfe meines Taschenmessers gelang es ihm auch bald, mich von dem Haken zu befreien. Nachdem diese Unannehmlichkeit beseitigt war, fingen wir ernstlich an zu angeln.

Wir fingen wohl einige kleine Fische, die indes nicht viel wert waren. Ich wunderte mich, dass wir bei unserer langweiligen Beschäftigung noch einen Zuschauer fanden.

Der Müllergeselle hatte sich auf das Gitter eines kleines Gärtchens gestützt und blickte unaufhörlich, und wie es schien, mit großer Aufmerksamkeit auf unsere Angeln. —

Nachdem wir ungefähr zwei Stunden vergeblich nach größeren Fischen geangelt hatten, erklärte Mister Garthwaite, es müsse in der Nacht ein Fischdieb dagewesen sein, der die großen Bewohner des Baches weggefangen habe. – Dann forderte er mich auf, mit ihm noch weiter zu gehen, er wolle mir ergiebigere Stellen für die Angel zeigen. Die kleinen Weißfischchen, die bei uns angebissen hatten, wurden verächtlich in die feuchte Tiefe zurückgeschleudert und ihnen das Leben bis zu einem andern Besuche geschenkt.

Wir gingen; aber der unermüdliche Müllers blieb noch immer wie festgenagelt auf seinem Beobachtungsposten.

»Warten Sie ein wenig!« sagte Mister Garthwaite, nachdem wir ein Weilchen schweigend neben einander gegangen waren, »ich habe eine glückliche Idee! Da wir doch diesen Tag zum Angeln bestimmt haben, so will ich Sie wohin führen, wo wir nicht wieder vergeblich unsere Angeln auswerfen werden; außerdem kann ich Sie da gleich einer Dame vorstellen, welche Sie sehr interessieren wird, denn sie hat eine höchst merkwürdige Lebensgeschichte, die ich Ihnen ja gelegentlich einmal erzählen kann.«

»Wirklich?« fragte ich. »In welcher Beziehung ist denn ihre Geschichte merkwürdig?«

»Sie steht im Zusammenhang mit den Verhältnissen ihrer Familie, die hier in einem alten Hause in unserer Nachbarschaft auch lebte. Die Dame heißt eigentlich Miss Welwym aber die armen Leute hier in unsrer Gegend, die sie vergöttern, nennen sie die Lady von Glenwith Grange. Fragen Sie mich nicht weiter nach ihr, bis Sie sie gesehen haben! Sie lebt in strenger Zurückgezogenheit und ich bin fast der einzige Besuch, den sie empfängt; auch darf ich wohl einen Freund mitbringen, weil die Dame weiß, dass ich nie Missbrauch von ihrer Erlaubnis gemacht habe,« sagte Garthwaite.

»Die Lady wohnt kaum zwei Meilen von hier und in der Nähe ihres Hauses ist das fischreiche Glenwith-Becken, wie die Leute es hier nennen, dort werden wir unsere Angeln auswerfen.«

Während wir gingen, wurde Mister Garthwaite schweigsam und gedankenvoll, was mir umso mehr auffiel, da es seine gewöhnliche Art nicht war. Die Erinnerung an Miss Welwyn musste also diese Veränderung in ihm hervorgebracht haben. Ich schritt schweigend neben ihm einher und spähte, ob sich Glenwith Grange noch immer nicht erblicken ließe.

Wir hielten endlich bei einer kleinen Kirche an, welche an dem äußersten Ende eines hübschen Dörfchens stand. Die niedrige Kirchhofmauer war von einer Seite von Bäumen begrenzt, es befand sich hinter den Bäumen ein kleines Gitter, dessen Tür Mister Garthwaite öffnete, wir gingen durch und traten in ein Gebüsch, welches zu dem bezeichneten Wohnhaus führte.

Wir kamen an der Rückseite des Gebäudes an, weil wir einen Privatweg eingeschlagen hatten. Ich blickte zu dem Hause hinauf und gewahrte an einem der Fenster ein ungefähr neunjähriges Mädchen, welches uns kommen sah. Ich musste sie einen Augenblick betrachten, denn ihr dunkles Haar und ihr reiner Teint harmonierten so schön zusammen. Ihr Gesicht hatte eine unaussprechliche Anziehungskraft und ich mochte mein Auge nicht von ihr wenden. —

Mister Garthwaite sah meine Aufmerksamkeit für das hübsche Gesichtchen; er ergriff meinen Arm und flüsterte mir zu: »sagen Sie nicht, dass Sie das arme Kind gesehen haben! Ich werde Ihnen später mitteilen warum.« Dann führte er mich schnell nach der Vorderfront des Hauses.

Es war ein traurig aussehendes altes Gebäude mit einem großen Grasplatz davor. Schlingpflanzen umzogen die großen Steine, die hier und dort zerstreut lagen und rankten auch angeordnet bis zu den niedrigen Fenstern hinauf.

Eine Grabesstille hing über das Haus und seine nächste Umgebung; – sie schien mich auch ergriffen zu haben, denn als mein Gefährte die Hausglocke zog, wollte es mir wie ein Unrecht erscheinen, dass diese heilige Ruhe so plötzlich gestört werden sollte. Als die alte Dienerin die Tür öffnete, dachte ich es mir noch immer unwahrscheinlich, dass wir diese Schwelle überschreiten würden; doch wir traten in das Haus. Das Innere des Hauses zeigte dieselbe Stille als seine äußere Umgebung; kein Hundegebell ließ sich hören, es knarrten weder Türen noch steckten neugierige Dienstleute die Köpfe hervor. Wir traten in ein großes saalartiges Zimmer, welches halb wie ein Bibliothek-Zimmer, halb wie ein Frühstückszimmer erschien. Auf einem Stuhle lag zusammen gekauert eine Angora-Katze und schlief und in einem großen Käfig saß stumm und ernst ein alter grauer Papagei. Mister Garthwaite sprach nicht; er hatte sich an das Fenster gestellt und blickte nach außen. Ich unterbrach die allgemeine Schweigsamkeit nicht, sondern blickte neugierig im Zimmer umher; denn ich wollte von seiner Ausstattung auf den Charakter der Eigentümerin schließen.

Zuerst fesselten meine Aufmerksamkeit zwei mit Büchern bedeckte Tische. Sonderbar! Die moderne Literatur, die in unseren Tagen von Millionen verschlungen wird, war auch nicht durch ein Exemplar hier vertreten. Jedes Werk, welches ich ansah, hatte schon vor fünfzehn oder zwanzig Jahren das Licht der Welt erblickt. Die Noten waren auch alle aus der Zeit Haydn’s und Mozarts. Man sah, die Besitzerin liebte es, sich in frühere Zeiten zu versetzen; denn alle geistigen Werke, die hier vorhanden waren, hatten ein viertel Jahrhundert hinter sich. Als ich mich noch mit diesen Bemerkungen beschäftigte, öffnete sich die Tür und die Dame des Hauses erschien selbst.

Man sah es ihr an, dass der Frühling des Lebens längst hinter ihr lag; aber trotzdem hatte ich doch früher nie ein Gesicht gesehen, welches so viel von seiner ehemaligen Schönheit bewahrt hatte. Wahrscheinlich waren schwere Sorgen an dieser Dame vorübergegangen, aber sie hatten ihr Antlitz nicht entstellt, sondern ihm nur den Ausdruck der Entschlossenheit verliehen. Ihr Gesichtsausdruck war jugendlich geblieben, aber das Haar fing an zu ergrauen, und um den Mund zogen einige seine Fältchen und der Ernst in ihrem Auge zeugte von beginnendem Alter. An dem Ton ihrer Stimme konnte man leicht erkennen, dass sie viel gelitten habe; aber diesen Leiden war es doch nicht gelungen, das Äußere dieser Erscheinung zu Grunde zu richten. Mister Garthwaite und die Dame begrüßten sich wie Verwandte, denn 59 ihre Freundschaft war schon eine seit langer Zeit bestehende.

Unser Besuch war ein kurzer. Die Unterhaltung bewegte sich in ganz gewöhnlicher Weise, ich hatte also nur Gelegenheit, die Dame nach der Ausstattung ihres Zimmers zu beurteilen, und doch hatte sie mich so gefesselt, dass ich es sehr ungern sah, als wir uns so schnell wieder entfernten. Ich bedauerte, dass ich ihr nie näher treten konnte, denn ich fühlte deutlich, dass sie weder geneigt sei, neue Bekanntschaften anzuknüpfen, noch konnte ich, ein Fremder hoffen, ihre Sympathie für mich erweckt zu haben.

Sobald wir uns von Miss Welwyn verabschiedet hatten und auf dem Wege zu dem Bach waren, drückte ich meinem Begleiter meinen Dank für diese interessante Bekanntschaft aus und bat ihn, mir doch etwas über die Dame oder das Kind mitteilen zu wollen; allein er entgegnete, dass er mir dann erst die Geschichte der Lady erzählen wolle, wenn wir bei dem Angeln sein würden. Nach fünf Minuten war auch das Bächlein erreicht dessen Wasser anmutig von den Bäumen gefärbt erschien; es floss leise murmelnd dahin. Wir setzten uns nahe nebeneinander unter die Bäume, deren Zweige über dem Wasser hingen, und nachdem Garthwaite seine und meine Angel in das Wasser gesenkt, begann er die folgende Geschichte.

Ich kenne Miss Welwyn lange genug, um von der Wahrheit der Begebenheiten überzeugt zu sein, die ich Ihnen nun mitteilen werde,« begann der Angler neben mir. »Ich habe sowohl ihren Vater, wie ihre jüngere Schwester Rosamunde gekannt und auch den Franzosen, den Rosamunde heiratete. Diese vier Personen bilden die hervorragenden Charaktere in der Geschichte der Lady.

Der Vater der Miss Welwyn starb vor Jahren, aber ich erinnere mich seiner noch sehr gut, obgleich er weder mir noch andern Personen ein besonderes Interesse einflößte. Er war der Erbe eines großen Vermögens, welches sein Vater durch glückliche Spekulationen, die nicht immer ganz rechtschaffener Art waren, an sich gebracht hatte. Er kaufte diesen Landsitz hier und machte sich dadurch zu einem Mitglied unserer ländlichen Aristokratie.

Jetzt glaube ich Ihnen über ihn Alles mitgeteilt zu haben, was notwendig ist. Er war ein ganz gewöhnlicher Mensch ohne bedeutende Tugenden aber auch ohne hervorragende Laster; außerdem hatte er ein hübsches Gesicht, eine stattliche Gestalt, keinen besonders großen Geist aber ein liebenswürdiges Benehmen. Seine Gattin habe ich oft gesehen, als ich noch Kind war, aber ich erinnere mich nur, dass sie schlank und hübsch war, und besonders gütig und freundlich gegen mich. Sie war von besserer Herkunft als ihr Gatte und überragte ihn geistig auch bedeutend. Sie las in allen Sprachen und war eine so ausgezeichnete Klavierspielerin, dass die Leute hier rings umher sich heute noch ihres wunderbar schönen Spieles erinnern. Alle ihre Freunde sollen außer sich gewesen sein, als sie erfuhren, dass die talentvolle Dame Mister Welwyn heiraten wollte, und waren nicht wenig erstaunt, als sie im Laufe der Zeit sahen, dass Mistreß Welwyn vollkommen ruhig und glücklich an der Seite dieses so tief unter ihr stehenden Gemahls war.

Man sagt, sie fand ihr größtes Glück in ihrer kleinen Tochter Ida. (Es ist dies die Dame, die wir eben besuchten.) Das Kind glich der Mutter vollkommen Ida liebte die Musik, Bücher, besaß die Herzensgüte der Mutter, ihre Geduld und deren Gemütsstimmung. Die Mutter leitete die Erziehung ihrer Tochter ganz allein; man sah nie die Eine ohne die Andere.

Dadurch wurde sie den Kindern ihres Alters nicht zugänglich und Ida entwickelte sich auch demnach in außergewöhnlicher Weise.

Als Ida elf Jahr alt war, wurde ihre Schwester Rosamunde geboren, und da Mister Welwyn sich einen Sohn gewünscht hatte, so war keine besondere Freude über die Geburt der zweiten Tochter in dem alten Hause, aber es sollte sich sogar bald tiefe Traurigkeit über dasselbe ausbreiten, denn Mistreß Welwyn starb wenige Monate nach der Geburt des Kindes.

 

Die Krankheit war auf dem Wochenbett entstanden und man hörte hier, dass ihr Krankenlager ein sehr schmerzvolles gewesen war.

Mister Welwyn hatte selbst viel gelitten und in der letzten Zeit, als Mistreß Welwyn zuweilen von ihrem nahen Ende sprach, brach ihr Gatte oft in ihrer Gegenwart in lautes Weinen aus. Allein die letzten Worte, welche die sterbende, Mutter sprach, waren nicht an ihren Gatten gerichtet, sondern sie flüsterte sie in das Ohr ihrer tief betrübten Tochter. Ida hatte das Krankenzimmer nie verlassen, von dem Anfange der Krankheit bis zu dem traurigen Ende derselben: nur manchmal schlich sie sich aus dem Zimmer und weinte draußen ihre Kindertränen, und wenn sie dann wieder an das Bett ihrer Mutter trat, schien sie ruhig und gefasst.

Ihre Mutter war ihr Spielkamerad, ihr steter Begleiter, ihre teuerste und beste Freundin gewesen und doch hatte sie den Mut, diese geliebte Mutter ihren Schmerz nicht sehen zu lassen.

Als die Trennung von der teuren Toten vorüber war, konnte Mister Welwyn sich nicht entschließen, im Trauerhaus zu bleiben und er beschloss, eine Reise zu unternehmen Ida bat ihren Vater, dass er sie allein zu Hause lassen möge, denn sie habe ihrer Mutter versprochen, über ihre kleine Schwester wachen zu wollen, sagte sie.

Eine Verwandte von Mistreß Welwyn und eine alte Magd redeten jedoch dem Vater Idas zu, dass er sie mit sich nehmen solle, weil sie sahen, dass das Kind furchtbar litt, aber sie blieb in Glenwith Grange.

Nach diesem Ereignis, sah ich Ida das erste Mal.

Ich machte mit meiner Mutter eines Tages einen Besuch in dem alten Hause, es war an einem warmen Sommertage, wir fanden aber Niemand im Innern des Hauses und gingen in den Garten. Wir schlugen den Weg ein, der zum Kirchhofe führt und erblickten dort eine Magd, und ein, in Trauer gekleidetes, junges Mädchen, welches ein kleines Kind vor sich hatte, welches sie das Gehen zu lehren schien.

Sie schien mir noch zu jung als Wärterin eines Kindes; außerdem blickte sie so ernst in den kostbaren Sonnenschein, dass ich meine Mutter überrascht fragte, wer sie sei. Meine Mutter teilte mir die traurige Familiengeschichte mit, soweit ich sie Ihnen eben erzählt habe.

Ich beschreibe Ihnen diese unbedeutend scheinende Szene deshalb, damit sie wissen sollen, wie sich die ältere Schwester der jüngeren seit deren zartester Kindheit angenommen hat.

Es wurde wohl nie der Wunsch eines Sterbenden so pünktlich erfüllt, wie der, den Mistreß Welwyn gegen ihre Tochter Ida aussprach. Die ganze fernere Zukunft dieses jüngeren Kindes wurde glücklich beeinflusst, durch die Erfüllung der Pflichten, welche die sterbende Mutter ihrer Tochter Ida aufgetragen hatte.

Die Zeit verging. Ich verließ die Schule; besuchte die Universität, machte Reisen nach Deutschland und lernte die deutsche Sprache; aber wenn ich von Zeit zu Zeit nach Hause zurückkehrte und mich dann nach den Angelegenheiten der Familie Welwyn erkundigte, so hörte ich stets, dass sich nichts geändert habe. Mister Welwyn gab seine gewöhnlichen Diners, erfüllte seine öffentlichen Pflichten und war nach wie vor ein leidenschaftlicher Sportsmann geblieben. Seine beiden Töchter lebten eng beieinander, und Ida war der stete Schutzgeist ihrer kleineren Schwester; ja, sie verwöhnte das junge Mädchen sogar, wie dies zärtliche Mütter auch oft zu tun pflegen.

Ich besuchte Grange sehr oft an Feiertagen, oder in den Ferien und hatte dann Gelegenheit, die Schwestern zu beobachten. Ruhig und geduldig gab Ida ihrer Schwester den verschiedenen Unterricht, als diese älter geworden war; sie war stolz darauf, wenn man das Kind hübsch fand und war, kurz gesagt, bei ihrem jugendlichen Alter wie eine liebende Mutter für das Kind besorgt.

Als Rosamunde erwachsen war, kam nun auch die Zeit, wo sie den Winter in London zubringen und bei Hofe vorgestellt werden sollte. Sie war sehr schön geworden, viel schöner, als Ida je gewesen war, und daneben wurde von ihrer vollkommenen Ausbildung in den verschiedenen Lehrgegenständen mit Bewunderung in unsern ländlichen Kreisen gesprochen; sie sang, spielte gut Klavier, malte in Aquarell, sprach fertig französisch, las gut deutsch und besaß noch viele andere Fertigkeiten; alles dies hatte sie nur von ihrer Schwester erlernt. Für so viele Güte und Aufopferung war Rosamunde zwar nicht undankbar, aber sie hatte doch etwas von dem gewöhnlichen Charakter ihres Vaters ererbt, denn sie betrachtetet Alles, was ihre Schwester für sie schon getan hatte und noch tat, als Etwas, das sich so gehöre; sie war eben nicht zartfühlend genug, um den ganzen Wert der großen Opfer begreifen zu können, die ihre Schwester ihr brachte. Als Ida zwei ausgezeichnete Heiratsanträge, die ihr gemacht wurden, zurückwies, konnte Rosamunde nicht einmal begreifen, dass dies nur ihretwegen geschähe. —

Als die Saison in London begann, in der Rosamunde zum ersten Male öffentliche Unterhaltungen besuchen sollte, begleitete Ida ihren Vater und ihre Schwester, trotzdem sie lieber in ihrer ländlichen Zurückgezogenheit geblieben wäre, weil Rosamunde erklärt hatte, sie würde sich ohne ihre Schwester zu hilflos in der großen Stadt erscheinen und diese stündlich vermissen. Ida ging also mit; denn sie erfüllte alle kleinen Launen ihrer jüngeren Schwester eben so gern, wie sie deren Fehler zu entschuldigen wusste.

Sie bereute es auch nicht, mitgegangen zu sein, denn – sie erquickte sich an den Triumphen, welche ihre geliebte Rosamunde feierte und wurde nie müde, das Lob ihrer Schwester von deren Bewunderern mit anzuhören.

Nach dem Ende der Saison kehrte Mister Welwyn mit seinen Töchtern nach Grange zurück, hielt sich aber nicht lange auf dem Lande auf, sondern beschloss mit seiner Familie den Herbst und den Anfang des Winters in Paris zu zubringen.

Die Familie hatte vorzügliche Empfehlungsschreiben und mit ihnen versehen wurden sie in die besten Zirkeln der französischen Hauptstadt aufgenommen. An einem der ersten Abende, als sie die Pariser Gesellschaft besuchten, war der Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung die Rückkehr eines französischen Edelmannes, des Baron Franval, der sehr lange von seinem Vaterland abwesend gewesen war. Es wurde Franval’s von allen Gästen lobend gedacht. Die Familie Welwyn erfuhr ungefähr das Folgende über ihn:

Der Baron erbte von seinen Vorfahren nur den hohen Rang und Namen, aber sehr wenig irdische Besitztümer

Als sein Vater starb, hatten Franval und seine beiden unverheirateten Schwestern nichts weiter, als ein unbedeutendes Landgut in der Normandie, kaum ergiebig genug, um die drei Geschwister mit dem Notwendigsten zu versehen. Der Baron war zu jener Zeit 23 Jahre alt und suchte Militär-Dienste zu nehmen, aber, obgleich die Bourbons wieder den Thron Frankreichs einnahmen, gelang es ihm doch nicht, eine, seinem Rang angemessene Stellung zu erlangen, da geheime Feinde gegen seine Anstellung wirkten. So beschloss er endlich sein Vaterland zu verlassen. Er ließ seine Schwestern unter dem Schutze eines alten, männlichen Verwandten auf dem Familiensitze zurück und schiffte sich nach West-Indien ein; später ging er nach Süd-Amerika.

Nach fünfzehnjähriger Abwesenheit und nachdem er schon einige Male für tot gehalten worden, kehrte er mit dem bedeutenden Ertrage seiner überseeischen Tätigkeit nach Frankreich zurück. Man sagte, er sei nur gekommen, um die verschuldeten Güter seiner Ahnen wieder an die Familie zu bringen. – Des Barons aufopfernde Fürsorge unterhielt für einige Zeit die gesellschaftlichen Zirkel von Paris. Man erwartete den Baron täglich in der Hauptstadt; natürlich musste sein Empfang in der Gesellschaft ein ausgezeichnet angenehmer sein, und er war es auch.—