Von Bremerhaven bis Kiel

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Von Bremerhaven bis Kiel
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Von Bremerhaven bis Kiel

1  Titelseite

2  Impressum

3  Vorwort

4  Wo alles begann

5  Mein erster Umzug

6  Vaterliebe

7  Vorfreude auf die Einschulung

8  Die ersten Schuljahre

9  Leidenschaft für den Modellbau

10  Adventszeit

11  Der erste Schulausflug

12  Interesse am Hausbau

13  Unser Bolzplatz

14  Die Seereise

15  Hafen- und Schiffsbesichtigung

16  Studienreise nach England

17  Meine Seefahrtszeit

18  Ausbildung zum Bürokaufmann

19  Ausbildung bei der Bundesmarine

20  Auf den Spuren von James Cook

21  Werftliegezeit in Rendsburg

22  Zwischen Palmen und Eisbergen

23  Meine Zeit als Ausbilder

24  Dienstzeit im 1. Ubootgeschwader

25  Die 1980er

26  Die 1990er

27  Millennium

28  Die Sturmfahrt

29  Hochseeangelfahrten

30  Kieler Woche

31  Der Autodidakt

32  Nachwort

Titelseite

Impressum

Texte: © Copyright by

Wolfgang Max Reich

Umschlagsgestaltung: © Copyright by

Wolfgang Max Reich

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Vorwort

Die nachfolgenden Kapitel erzählen die Lebensgeschichte eines Jungen, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, aber das Glück hatte in einem liebevollen Elternhaus aufwachsen zu dürfen. Nicht die materiellen Werte sind für das Glücksgefühl eines Kindes verantwortlich, sondern sich geborgen fühlen und die Liebe seiner Eltern verspüren, sind in der Regel der Garant dafür, sich später im Leben zurechtzufinden. Nicht der große Fernseher, oder die Urlaubsreisen ins ferne Ausland sind für das Wohl eines Kindes entscheidend. Vielmehr ist es die Zeit, die sich Eltern nehmen, um sich ihrem Kind zu widmen. Den Kindern im Spiel die Lust am Lernen vermitteln und ihren Durst nach Wissen zu befriedigen sind für die erfolgreiche frühkindliche Entwicklung mit verantwortlich. Aber lesen sie selbst wie mein Leben verlaufen ist.

Wo alles begann


Das Licht der Welt erblickte ich, am 15. Februar 1957, in Einswarden, einem Stadtteil von Nordenham an der Unterweser. Meine Eltern wohnten in einem alten ziemlich heruntergekommenen Haus direkt hinter dem Weserdeich. Der Wohnkomfort gegenüber heutigen Ansprüchen war erbärmlich. Die Toilette, ein Plumpsklo, befand sich außerhalb des Wohnbereichs auf dem Hof. Aber in den Nachkriegsjahren war das nichts Ungewöhnliches. Nach meiner Geburt nahm mein Vater die Stelle eines Küchenhelfers auf einem Auswandererschiff, der „Arosa Star“, an. Er pendelte nun zwischen Bremerhaven und New York. Meine Mutter hatte in die Ehe mit meinem Vater noch ihren Sohn Karlheinz aus erster Ehe mitgebracht. Karlheinz war 10 Jahre älter als ich. Aber in unserer Familie hatte der Begriff Stiefkind keine Bedeutung. Meine Eltern hatten uns beide gleich lieb. Und für mich war mein „Heinzi“, wie ich ihn liebevoll nannte, immer mein großer Bruder. Wenn mein Vater mit der „Arosa Star“ in Bremerhaven lag besuchten wir ihn auf dem Schiff, das dort an der Columbuskaje festgemacht hatte. Nach drei Reisen wollte mein Vater eine Arbeit vor Ort aufnehmen, um mit uns mehr Zeit verbringen zu können. Er fand eine Arbeit bei einer ortsansässigen Kohlenhandlung und Umzugsspedition. Ich war nun mittlerweile zwei Jahre alt. Es war ein wöchentliches Ritual: Am Sonntag wurde man schick angezogen und während meine Mutter den Sonntagsbraten zubereitete ging mein Vater mit mir spazieren. Unser Weg führte uns über den Weserdeich. Es machte mir immer besonders viel Freude. die großen Schiffe, die in Richtung Bremen fuhren zu beobachten. Außerdem führte der Weg noch am Zaun der „Weserflug“ vorbei und oft konnte ich dort große Flugzeuge vor ihrem Hangar stehen sehen. Unser Ziel war meistens der um 10 Uhr beginnende Gottesdienst in der Kirche.

Bei einem dieser Spaziergänge trafen wir auf dem Weserdeich einen Bekannten meines Vaters. Wir begrüßten uns, und der Bekannte frug mich, ob ich ein Mädchen oder Junge sei. Hierzu ist anzumerken, dass ich einen blonden Lockenkopf hatte. Ich war, als damals 2-jähriger, in meinem Stolz gekränkt und verlangte darauf von meinem Vater das ich den Lockenschopf abgeschnitten bekomme. Mein Vater erfüllte mir diesen Wunsch und seitdem war es aus mit der Lockenpracht.

Zu meinem dritten Weihnachtsfest kam die Mutter meines Vaters aus Halle an der Saale zu Besuch. Die Eltern meiner Mutter waren nach der Flucht aus Schlesien bereits verstorben. Aber an die Ereignisse zu meinem ersten Weihnachtsfest mit meiner Oma kann ich mich nur schwer erinnern. Alles was ich darüber weiß basiert auf Erzählungen meiner Eltern. Ich hatte ein Schaukelpferd aus Holz geschenkt bekommen, welches ich auch intensiv benutzt hatte. Aus den Erzählungen meiner Eltern weiß ich, dass ich mit nur zweimaligem schaukeln direkt vor dem geschmückten Weihnachtsbaum stand und die bunten Christbaumkugeln vom Baum gepflückt habe. Jedoch war ich wiederum so vorsichtig, dass keine der Kugeln zerbrach. Das war auch gleichzeitig die letzte persönliche Begegnung mit meiner Oma.

Schön war es auch wenn Vaters Arbeitskollege Hein Bieber uns besuchen kam. Onkel Hein, wie ich ihn nannte, hatte immer etwas Spannendes für mich. Einmal kam er mit einem Motorroller zu uns und ich durfte mit ihm die Straße am Deich auf und ab fahren. Ein anders Mal durfte ich mit ihm vom Kohlenhof zum Bahnhof mit dem alten Pritschenwagen der Kohlenhandlung mitfahren und zuschauen wie er Briketts aus dem Selbstentladewaggon der Bahn verladen hat. Für einen kleinen Jungen, wie mich, war das ein großes Erlebnis. In diesen Zeiten wurden Freundschaften unter Arbeitskollegen noch ganz anders gepflegt als das heute der Fall ist. Das eine oder andere Mal führte uns unser sonntäglicher Morgenspaziergang auch in die Gastwirtschaft wo mein Vater sich mit Arbeitskollegen zum Frühschoppen traf. Zur Abwechslung wurde dann auch geknobelt. Ich war dann ganz stolz mit meinem Papa am Tresen zu sitzen. Während die Erwachsenen Lütt und Lütt beim knobeln tranken bekam ich ein sogenanntes Kinderbier, oder auch Malzbier genannt zu trinken. Egal wer beim knobeln eine Runde verlor spendierte mir eine kleine Tafel Schokolade. Damals gab es noch die kleinen Tafeln von der Größe einer Streichholzschachtel. Das hatte zur Folge, wenn ich mit dem Papa zum Essen nach Hause kam, dass ich die Taschen voller Schokoladentafeln hatte und meine Mutter sofort wusste, dass wir den Kirchgang geschwänzt hatten und dafür bei Fidel Wessels, so hieß der Kneipenwirt, eingekehrt waren. Worüber meine Mutter, gerade dann, wenn wir uns zum Mittagessen verspätet hatten, sichtlich verärgert war. Für mich überwog natürlich der Umstand, dass es eine extra große Portion an Schokolade gegeben hatte. Aber der vermeintliche Ärger war dann auch schnell wieder verflogen. Wenn auch mein Vater gelegentlich mit mir am Sonntag zum knobeln eingekehrt ist, so hat er jedoch nie das Haushaltsgeld vertrunken, sondern hat lediglich das Geld für die eine oder andere Überstunde ausgegeben. Die Lohntüte, die es ja damals noch gab, bekam auf Heller und Pfennig meine Mutter.

Im Herbst war dann die Zeit zum Drachen steigen lassen. Allerdings wie heute ins Geschäft gehen und einen Drachen kaufen ging damals nicht. Mein großer Bruder hatte mir versprochen einen Drachen zu bauen. Ich wartete schon sehnsüchtig das er von der Schule heimkommt. Dann war es endlich soweit, er hatte sich im Papierwarengeschäft buntes Transparentpapier gekauft und in einer Tischlerei Leistenabfälle erschnorrt. Nun begann für mich das spannende Abenteuer. Heinzi baute für uns einen Drachen. Mit alten Drahtstiften wurde das Leistenkreuz fixiert und mit normaler Paketschnur umrundet. Jetzt wurde das Transparentpapier auf den Rahmen geklebt. Nun brauchte der Drachen noch einen langen Schwanz, dafür benutzte mein Bruder einfaches Zeitungpapier und schon war unser Drachen fast fertig. Aus Abfallholz baute mein Bruder noch eine Spindel für die Leine. Die Leine bestand aus Paketschnurresten und wurde dann auf die Spindel aufgewickelt. Dann bin ich mit Heinzi und unserem selbstgebauten Drachen auf den Weserdeich, direkt vor unserer Haustür, um ihn auszuprobieren. Der Wind blies an diesem Herbsttag recht ordentlich was uns zu einem riesen Spaß mit unserem neuen Drachen verhalf. Müde sind wir am Abend zu Bett gegangen und ich habe von neuen Abenteuern geträumt. Nun war ich bereits vier Jahre alt und war besonders stolz, wenn ich für meine Mutter kleine Besorgungen erledigen konnte. Ich freute mich, wenn meine Mutter mich zum Milch kaufen in die im Ort befindliche Molkerei schickte. Mit der kleinen Blechkanne und abgezähltem Geld marschierte ich los. Immer am Deich entlang am Ende rechts herum und schon bald hatte ich die ca. 1,5 Km bis zur Molkerei geschafft. Die Verkäuferin im Milchladen kannte mich schon und begrüßte mich freundlich, Sie befüllte meine kleine Milchkanne. Wir tauschten das abgezählte Geld gegen die befüllte Milchkanne und ich machte mich wieder auf den Heimweg. Man muss sich vorstellen, der Verkehr auf den Straßen, insbesondere auf der Straße, die ich benutzen musste, begegnete ich während meiner „Einkaufstour“ nicht einem einzigen Auto. Bei heutigen Verkehrsverhältnissen wäre meine Mutter ein solches Wagnis sicher nicht eingegangen.

 

Trotz der beengten Wohnverhältnisse und der Ärmlichkeit, in der ich aufwuchs, habe ich mich immer wohlgefühlt. Aber es sollte sich bald etwas ändern. Meine Eltern bemühten sich schon seit längerer Zeit eine neue Wohnung zu finden.

Mein erster Umzug

Endlich hatten meine Eltern einen Besichtigungstermin in einem Neubaugebiet im Ortsteil Blexen. Das war nur ungefähr 3 Km von unserem jetzigen Domizil entfernt. Es handelte sich um eine 3-Zimmerwohnung. Ausgestattet mit einer kleinen Wohnküche, einem


Badezimmer mit Badewanne, Wohnzimmer,


Elternschlafzimmer und ganz besonders wichtig einem Kinderzimmer. Beheizt wurde die Wohnung mit einem Kachelofen, der im Wohnzimmer stand und alle anderen Räume, außer der Küche mitbeheizte. In der Küche befand sich ein mit Kohlen beheizter Herd, der auch für wohlige Wärme in der Küche sorgen sollte. Die Lage der Wohnung war verkehrsgünstig gelegen. In nur kurzer Entfernung gab es eine Bushaltestelle, den Bahnhof in Blexen und den Anleger der „Weserfähre“ mit der man auf die andere Weserseite nach Bremerhaven fahren konnte. So hatte es man nicht weit, um in die nächst größere Stadt zu gelangen.

Mit großer Hoffnung warteten meine Eltern auf die Zusage diese Wohnung zu bekommen. Endlich war es soweit, die erhoffte Zusage kam mit der Post. Die Erleichterung und Freude waren meinen Eltern anzumerken. Noch befand sich unsere neue Wohnung im Rohbau. Nun musste noch vieles vor unserem Umzug erledigt werden. Vom Aussuchen der Tapeten, über das Einrichten der Zimmer und vieles mehr musste beraten werden und so verging die Zeit bis zum Einzugstermin wie im Flug. Mittlerweile waren meine Eltern damit beschäftigt ihren Hausstand in Kisten und Kartons zu verpacken. Meine Mutter war dabei sehr akribisch. Jede Tasse, Teller und Kaffeekannen wurde einzeln in Zeitungspapier eingewickelt und in Umzugskisten verpackt. Die größte Angst bestand darin, dass beim Transport in die neue Wohnung etwas kaputt geht. So entwickelte sich unser kleiner Lebensraum immer mehr zu einem Lagerraum aus Kisten und Kartons. Endlich kam der Tag des Umzugs. Hein Bieber, der Arbeitskollege meines Vaters, kam mit dem großen Möbelwagen. Einige Bekannte meiner Eltern hatten sich angeboten beim Umzug zu helfen. Um die Mittagszeit war die erste Hürde genommen. Das Mobiliar war in dem großen LKW verstaut. Viel mehr hätte aber auch nicht in dem Speditionsauto Platz gehabt.

Der kurze Weg bis vor die neue Wohnung war eine der leichteren Aufgaben und war schnell erledigt. Nun begann die zeitaufwendigere Arbeit, das ausladen und herauftragen des Hausstandes in den ersten Stock. Nachdem der LKW am frühen Abend wieder leergeräumt war. fuhr Onkel Hein diesen wieder zurück auf den Speditionshof. Er kam dann wenig später mit seinem Motorroller zurück, um beim Zusammenbauen der Betten und Schränke zu helfen. Meine Mutter hatte inzwischen, trotz allem Chaos für uns und unsere fleißigen Helfer eine Brotzeit hergerichtet. Kurz vor Mitternacht waren dann die wichtigsten Arbeiten erledigt und wir sind alle müde in unsere frisch aufgebauten Betten gefallen. Es dauerte noch einige Tage bis die letzten Kartons ausgeleert und ihr Inhalt wieder an den richtigen Orten eingeräumt war. Aber mit jedem Tag kamen wir unserem Ziel näher und die Freude über unsere neue Wohnung war riesengroß.

Mein Vater hatte nun eine neue besser bezahlte Arbeit gefunden. Er war jetzt auf Montage und arbeitete in Hamburg bei einer Rammfirma. Demzufolge sahen wir unseren Vater nur am Wochenende.

Es begann die Adventszeit meine Mutter hatte das Wohnzimmer schon weihnachtlich dekoriert und einen schönen Adventskranz auf dem Tisch platziert. Es war Freitagabend und meine Mutter saß mit mir bei Kerzenlicht im Wohnzimmer. Wir spielten Mensch ärgere dich nicht, als es an der Haustür klingelte. In Erwartung das der Papa von der Arbeit nachhause kommt öffnete meine Mutter die Tür. Sie war erstaunt, dass nicht Papa, sondern ein Arbeitskollege von ihm vor der Tür stand. Nachdem Sie den Kollegen ins Wohnzimmer geholt hatte erfuhr sie das der Papa nicht nachhause kommen konnte. Er hatte einen schweren Arbeitsunfall erlitten und liegt in Hamburg im Hafenkrankenhaus. Es würde ihm aber schon besser gehen. Diese Nachricht hatte uns sichtlich geschockt. Meine Mutter plante sofort den Papa mit mir am nächsten Tag im Krankenhaus zu besuchen. Nun hieß es früh ins Bett damit wir für unsere Reise nach Hamburg auch ausgeruht waren. Am Morgen haben wir noch gefrühstückt und Mutter hatte auch noch Brote geschmiert die wir als Reiseproviant mitnahmen.

Dann sind wir zu Fuß zum Bahnhof nach Blexen gelaufen. Dort angekommen ließ sich meine Mutter am Schalter die Reiseverbindung aufschreiben und kaufte für uns die Fahrkarten. Gemeinsam saßen wir nun am Gleis auf einer Bank und warteten auf den einfahrenden Zug. Nun begann meine erste Reise mit der Bahn. Ich saß am Fenster und beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Mit den Gedanken war ich aber immer bei meinem Papa. Wie wird es ihm wohl gehen und vor allem wann kommt er zurück nachhause. Um die Mittagszeit hatten wir Hamburg erreicht. Vom Bahnhof sind wir dann mit dem Taxi ins Hafenkrankenhaus gefahren. Ich konnte es kaum erwarten meinen Vater zu sehen. Endlich war es soweit. Nun war ich wieder etwas beruhigt als ich den Papa mit seinem Kopfverband drücken konnte. Wir blieben dann eine ganze Weile bei meinem Vater im Krankenzimmer. Mein Vater machte dann den Vorschlag, wenn wir doch nun schon mal in Hamburg sind, den Winter-Dom zu besuchen. Die Krankenschwester erklärte meiner Mutter dann wie wir mit der S-Bahn zum Heiligengeistfeld kommen. Am Nachmittag haben wir dann meinen Vater wieder verlassen, mit dem Ziel zum Winter-Dom. Das war für mich das erste große Jahrmarktserlebnis. Da es in der Adventszeit relativ früh dunkel wird konnte ich den Rummel in vollem Lichterglanz erleben. Ein Ereignis was ich nie vergessen werde. Nach einigen Fahrten mit dem Kinderkarussell, einer Waffel, sowie eine Bratwurst war es Zeit die Heimreise anzutreten. Zuhause angekommen bin ich todmüde ins Bett gefallen und habe von dem bunten Jahrmarktstreiben geträumt.

Vaterliebe

Nachdem mein Vater aus dem Krankenhaus entlassen wurde und wieder bei uns war begann für mich als fast 5-jähriger Knirps die schönste Zeit meiner Kindheit. Was sich wohl fast jeder kleine Junge wünschte, nämlich viel Zeit mit dem Vater verbringen zu können, wurde für mich erst einmal Wirklichkeit. Durch den Arbeitsunfall meines Vaters und der anstehenden Kur zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft, verlor er seinen Arbeitsplatz. Die wirtschaftlichen Folgen seiner Arbeitslosigkeit waren einem Kind in meinem Alter natürlich nicht bewusst. Für mich war wichtig Papa ist zuhause und für mich jederzeit verfügbar. In der Vorweihnachtszeit packten wir für meine Oma, die in der damaligen Ostzone lebte, ein Paket mit vielen leckeren Sachen und vor allem Kaffee. Die meisten dieser Lebensmittel waren in der DDR nicht zu bekommen. Aber auch wir bekamen von der Oma zu Weihnachten ein Paket geschickt und so saß ich oft am Küchenfenster und beobachte den Paketwagen der Post. Und mit Spannung wartete ich darauf das der Paketbote auch bei uns klingelte. Oft hoffte ich vergebens, aber dann war es wieder soweit und ein Paket von Oma wurde zugestellt. Das Paket wurde dann von Mutter vereinnahmt. Es wurde erst am Heiligabend geöffnet. Jeden Tag stellte ich mir vor, was meine Oma mir wohl zu Weihnachten geschickt hatte. An einem der Adventssonntage machten wir alle zusammen einen Ausflug mit der „Weserfähre“ nach Bremerhaven. Wir tippelten zur Bürgermeister-Smidt-Straße, auf der sich die großen Warenhäuser Horten und Karstadt und C&A befanden. Es wurde ein gemütlicher Schaufensterbummel gemacht. Die Dekorateure der Warenhäuser hatten sich, wie in jedem Jahr große Mühe gemacht die Fenster mit märchenhaften Motiven zu schmücken. Jedes Kaufhaus hatte auch in einem seiner Fenster eine elektrische Eisenbahnanlage aufgebaut. Von diesen Fenstern konnte ich mich nur schwerlich abwenden. Auch wenn ich wusste das ich eine elektrische Eisenbahn nicht auf meinen Wunschzettel an das Christkind schreiben brauchte. Denn selbst mir kleinen Jungen ist es aufgefallen, dass wir auf Grund der Arbeitslosigkeit meines Vaters uns einschränken mussten. Also begnügte ich mit dem Anschauen der Fenster und träumte insgeheim davon eine Modelleisenbahn zum Spielen zu besitzen. Nach dem Schaufensterbummel kehrten wir noch in einem Café ein und aßen gemeinsam zum Kaffee, und ich zum Kakao ein Stück Kuchen. Dann schlenderten wir langsam und gemütlich wieder in Richtung „Weserfähre“ um den Heimweg anzutreten. Zuhause angekommen bereite Mutter für uns das Abendbrot zu. Papa und ich saßen dabei in unserer gemütlichen Wohnküche auf der Eckbank und schauten Mutter bei den Vorbereitungen zu. Nach dem Essen spielten wir zusammen noch einige Runden Mensch ärgere dich nicht bis dann um acht Uhr für mich Schlafenszeit war. Ein Fernsehgerät besaßen meine Eltern zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Meistens lief zur Berieselung leise ein Radio. Langsam kam der Heiligabend immer näher und meine Aufgeregtheit und Neugierde was das Christkind mir wohl unter den Weihnachtsbaum legt wurde immer größer. Am Heiligabend meinte der Wettergott es besonders gut mit uns, denn es fing am Nachmittag an zu schneien. Mutter hatte begonnen den Christbaum im Wohnzimmer zu schmücken, während ich mit Papa in der Küche saß. Am Abend gab es traditionell selbstgemachten Kartoffelsalat und schlesische Weißwurst. Nach dem Essen klingelte meine Mutter mit dem Glöckchen am Weihnachtsbaum zur Bescherung. Mit großen Augen bestaunten Papa und ich den schön geschmückten Baum auf dem echte Kerzen brannten. Nun wurden gemeinsam noch einige Weihnachtslieder gesungen während ich bereits meine Geschenke auspackte. Meine Oma hatte mir eine Holzeisenbahn geschickt. So wurde mein Traum von einer Eisenbahn doch noch wahr, wenn auch nicht eine elektrische. Von meinen Eltern bekam ich einen kleinen Kaufmannsladen mit einer kleinen Nachbildung einer Registrierkasse, in der sich, in der Kassenlade Spielgeld befand und einen Schlitten. Nachdem ich den Laden auf dem Wohnzimmertisch aufgebaut hatte und die dazugehörigen Waren einsortiert hatte musste mein Papa herhalten und den Kunden spielen. Aus dem Radio hörten wir Weihnachtslieder und eine Sendung der Deutschen Welle auf der Weihnachtsgrüße an und von Seeleuten an ihre Angehörigen gesendet wurden. Denn dieses Weihnachtsfest feierten wir das erste Mal ohne meinen großen Bruder Heinzi. Der fuhr seine erste Reise zur See und befand sich zu Weihnachten mit seinem Schiff der „Mike Legenhausen“ im Mittelmeer. Als wir gemeinsam die Sendung der Deutschen Welle lauschten waren wir alle ein wenig bedrückt und wünschten uns das es ihm gut geht. An diesem Tag habe ich meinen Bruder das erste Mal besonders vermisst und mir kullerten die Tränen herunter. An diesem Tag durfte ich besonders lange aufbleiben und mit meinen Geschenken spielen. Vor Mitternacht gab es in der Küche noch ein Stück schlesischen Mohnstrietzel danach ging es ab ins Bett.

 

Als ich am anderen Morgen aufwachte und aus dem Fenster schaute sah ich das es über Nacht weiter kräftig geschneit haben musste, denn alles lag unter einer dicken Schneedecke. Mein erster Gedanke war den Rodelschlitten den ich geschenkt bekommen habe auszuprobieren. Nachdem meine Eltern aufgestanden waren und Mama in der Küche das Frühstück vorbereitete, erzählte ich dem Papa von meinem Wunsch. Papa war jedoch erst einmal mit dem einheizen der Öfen beschäftigt. Dafür musste er die Öfen von den Ascheresten befreien, um dann mit Splitterholz und zerknüllter alter Zeitung das Feuer in den Öfen wieder zu entfachen. Schon nach kurzer Zeit bereiteten die Öfen wieder eine wohlige Wärme. Nach dem Frühstück nahm sich Papa meinem Wunsch an. Während Mama sich um den Festtagsbraten kümmerte schnappte Papa sich den Rodelschlitten und warm angezogen verließen wir die Wohnung. Mein Vater hatte auch schon eine Idee wo wir den neuen Schlitten ausprobieren konnten. Ich setzte mich auf den Schlitten und mein Papa zog mich durch den Schnee. Neugierig wie ich nun einmal war, wollte ich von ihm natürlich wissen, wo es hin ging. Papa erzählte mir dann das er mit mir auf den Weserdeich wollte. Der war nicht so weit entfernt und man konnte bestimmt auf der flach abfallenden Seeseite gut rodeln. Wie sich bald herausstellte war Papa nicht der einzige der diese Idee hatte, denn als wir auf dem Deich ankamen waren bereits viele Eltern mit ihren Kindern auf dem Deich, um dem Rodelvergnügen zu frönen. Durch das längere sitzen auf dem Schlitten hatte ich auch schon kalte Füße bekommen und es wurde Zeit sich mit Bewegung wieder aufzuwärmen. Nach einigen Rodelpartien, zuerst mit dem Papa gemeinsam, dann wurde ich mutiger und rodelte auch allein den Deich hinunter schnell hatte ich vergessen das mir kalt war. Das nach unten Rodeln war immer nur ein kurzer Vorgang, aber den Schlitten wieder nach oben zu ziehen war für mich schon mühsam. Aber es machte mir riesigen Spaß und vor allem wurde mir schnell wieder warm. Auch wenn wir an der Küste keine Berge haben, war das Rodeln vom Deich ein guter Kompromiss. Die Zeit verging wie im Flug und schon mussten wir los, um pünktlich zum Mittagessen wieder zuhause zu sein. Weil mir das Rodeln so gut gefallen hatte haben wir es am Nachmittag gleich wiederholt.

Mein Vater hatte nach seinem Arbeitsunfall viele Dinge zu erledigen. Schön war es, denn er nahm mich überall mit. Ob mit der Bahn in die Kreisstadt oder auch nur in den Ort, um Kohlen zu holen. Da das Geld knapp war ließ mein Vater sich die Briketts und die Eierkohlen nicht liefern. Er marschierte mit mir zu Fuß ins Dorf, um sich beim Brennstoffhändler einen Leiterwagen zu leihen. Mit Hilfe dieses Wagens brachten wir die Kohlen und Briketts selbst nach Hause. Da auf den Wagen aber immer nur drei Säcke passten, mussten wir den Weg dreimal machen. Nachdem wir die Kohlen und Briketts zuhause hatten machten wir den Weg ein viertes Mal, denn wir musste ja auch den geliehenen Leiterwagen zurückbringen. Durch diese Aktion sparten sich meine Eltern das Geld für die Anlieferung und die Gebühr für das Abtragen der Säcke in den Keller. Nach dem zurückbringen des Bollerwagens stapelte mein Vater die Briketts fein säuberlich an der Wand unseres Kellers. Alles ordentlich im Verbund und mit Zeitungspapier zwischen den einzelnen Lagen. Ich war wie immer wissbegierig und wich meinem Vater nicht von seiner Seite.

Am Nachmittag war es dann wieder Zeit mit meinem Kaufmannsladen zu spielen. Dabei versuchte mein Vater während des Spielens mein Interesse für das Rechnen und Lesen zu wecken. Das gelang ihm sehr schnell und ich fing an mich and den Umgang mit Zahlen und Buchstaben zu gewöhnen. Besonders stolz war ich, wenn mein Vater mit mir das kleine einmal eins übte. Nebenbei lernte ich auch das Abc. Nun versuchte ich, mit Hilfe meines Vaters, die verschiedenen Produkte in meinem Kaufmannladen zu lesen. Mit jedem Spielen gelang mir dies besser. Mein Vater sagte immer zu mir Übung macht den Meister. Im nächsten Schritt bekamen die Artikel in meinem Laden Preise und mein Vater zeigte mir wie man die Preise zusammenzählt. Von jetzt an, wenn mein Vater den Kunden spielte, musste ich ihm immer ausrechnen wie viel er für seinen Einkauf zu zahlen hatte. Später kam hinzu, dass wir mit dem Spielgeld den Zahlvorgang mit in das Spiel einbezogen. Nun war mein Interesse am Rechnen und Lesen geweckt, aber vor allem am Lernen. Durch das ständige Spielen mit meinem Vater verfestigte sich mein erlerntes. Und ich begann den ersten Versuch in Vaters Zeitung zu lesen. Als mein Vater das bemerkte, fingen wir gemeinsam an, Lesen in der Zeitung zu üben. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Mein Vater platzte fast vor Stolz.

Einmal im Monat gingen wir als Familie zum Friseur. Unser Stammfriseur hatte seinen Salon in Bremerhaven in der Nähe des Fähranlegers. Die Friseurbesuche waren immer so geplant, dass wir sie mit dem wöchentlichen Großeinkauf zusammenlegten. Dem Umstand geschuldet, dass wir als Familie bereits Stammkunden waren, kam es immer auch zu angeregten Unterhaltungen. Während meine Eltern nacheinander die Haare geschnitten bekamen, beschäftigte ich mich meistens mit dem weißen Königspudel des Besitzers. Auf die Frage des Friseurs, wann ich den eingeschult werde, berichtet mein Vater das dies im nächsten Jahr der Fall ist. Voller Stolz erzählte er auch von meinen Lesekünsten. Der Friseur war sichtlich erstaunt und konnte das gar nicht glauben. Mein Vater wollte es nun auf einen Versuch ankommen lassen, er war nämlich von meinem Können überzeugt. Der Friseur gab mir jetzt die Tageszeitung in die Hand und zeigte mir einen Artikel zum Vorlesen. Da ich ja mit meinem Papa viel geübt hatte gelang mir das mit Bravour. Der Friseurmeister war so gerührt das er zu mir sagte das diese großartige Leistung, die er nicht erwartet hatte, eine Belohnung Wert wäre. Er verschwand in seine Privaträume und kam nach kurzer Zeit zurück und überreichte mir eine 10 DM-Münze. Dies war eine Sonderprägung. Nach einem Dankeschön von mir, war ich nun der letzte von uns dreien der die Haare geschnitten bekam. Ich weiß nicht mehr wer mehr stolz war, mein Vater oder ich. Das war mein erstes verdientes Geld. Mit frisch geschnittenen Haaren machten wir uns nun zu Fuß auf den Weg zum Weserkaufhaus im Stadtteil Geestemünde. Auf dem Weg dorthin gab es für mich viel zu sehen, angefangen mit der alten Drehbrücke, die den Vorhafen und den Yachthafen trennte, die wir überqueren mussten kamen wir auch am Morgensternmuseum vorbei. Im Schaufenster des Museums befand sich ein Modell eines in Bremerhaven gebauten Fischdampfers. Das war wieder etwas was mich faszinierte und wir mussten hier verweilen, damit ich mir das Modell genau anschauen konnte. Als wir dann den Berliner Platz erreichten, mussten wir nur noch rechts abbiegen und unser Ziel war bereits in Sichtweite. Nach einer dreiviertel Stunde waren die geschätzten 4 Km, im gemütlichen Fußmarsch geschafft und wir hatten unser Ziel erreicht. Derzeit waren die Restaurants in den Kaufhäusern noch mit Bedienung. Wir aßen dort zu Mittag. Nach dem Essen verblieben mein Vater und ich bei einem Bier und für mich einer Limonade noch sitzen, während die Mama im Erdgeschoß die benötigten Lebensmittel einkaufte. In der Zeit während wir auf die Mama warteten durfte ich allein durch die Spielwarenabteilung schlendern. Man muss erwähnen, dass die Spielwarenabteilung unmittelbar neben dem Restaurant lag. Nach dem Die Mama mit ihren Einkäufen wieder zurück war gönnten wir uns noch ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Nun begann unser Rückmarsch zum Fähranleger, allerdings schwer bepackt mit unseren Einkäufen. Jetzt konnte ich noch einmal bevor es auf die Fähre ging die Schiffe beobachten. Die Überfahrt mit der Fähre dauerte ca. 20 Minuten und war für mich immer ein großartiges Erlebnis. In Blexen angekommen, noch einmal 1,5 km Fußweg und unsere wöchentliche Einkaufstour war geschafft. Ohne ein Auto waren diese Touren schon beschwerlich, aber ich habe meine Eltern nie klagen hören. Ob Mütter und Väter in der heutigen Zeit noch solche Anstrengungen klaglos auf sich nehmen würden ist mit Sicherheit fragwürdig.