Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021

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Rom empfing die Filmcrew mit seinem geschäftigen Lärm, seinen fremdartigen Gerüchen und den zahlreichen Baustellen, den ständig hupenden Autos und den grellbunten Lichtreklamen. Eckhard Joswig hatte alles bestens organisiert und Hotelzimmer für das gesamte Team reserviert. In der italienischen Filmstadt Cinecittà waren sämtliche Vorbereitungen für die Dreharbeiten am nächsten Morgen getroffen worden. Einige Aufnahmen sollten in Rom gedreht werden, andere in den Studios von Cinecittà.

Geduscht und salopp gekleidet kam Katharina Ledermacher an diesem Abend hinunter in die Halle des Marsala-Hotels, wo sich Joswigs Filmteam mit den italienischen Kollegen zu einem Begrüßungstrunk versammelt hatte. Die Detektivin beteiligte sich kaum den Gesprächen. Sie wurde einigen Leuten vorgestellt, dann setzte sie sich an die Bar, bestellte einen Orangensaft und musterte die Anwesenden. Überall wurde über den Nachdreh gesprochen.

Katharina hatte das Glas zur Hälfte leergetrunken, als sich eine dunkelhaarige Frau neben sie auf den Hocker setzte. Ihre Haut war zart und rosig wie die eines Pfirsichs. Die Lippen leuchteten in einem grellen Rot. Mit dem Kopf deutete sie auf die Umstehenden.

„Gehören Sie auch dazu, Frau …“

„Ledermacher, Katharina Ledermacher.“

„Ich heiße Sophie Rosenbruck.“

„Angenehm. Zum Filmstar fehlt mir leider die nötige Begabung.“

„Sind Sie beim technischen Stab?“

„Nein“, erwiderte Katharina. „Ich spiele hier so eine Art Kindermädchen.“

„Aha, dann sind Sie also die Detektivin, die darauf achten soll, das man uns keinen bösen Streich spielt.“

„So kann man es nennen. Haben Sie etwas mit den Filmleuten zu tun?“

„Ich bin eine Kollegin von Jannick Wolfe. Im Film spiele ich eine geldgierige Schlampe. Es ist das erste Mal, dass ich in einem Spielfilm mitwirke. Bisher habe ich hauptsächlich für‘s Fernsehen gearbeitet. Vielleicht haben Sie schon mal einen meiner Filme gesehen.“

„Ich schaue nicht sehr viel Fernsehen.“

„Auch nicht schlimm. Es waren sowieso nur kleine Nebenrollen.“

Katharina stellte einige unverfängliche Fragen an die Schauspielerin, nach ihrer Karriere, ihren Zukunftsplänen, nach ihren Vorlieben und nach ihren Abneigungen. Danach fragte sie Sophie nach ihrer Meinung über den Diebstahl der Filmrollen.

„Es muss sich um einen Verrückten handeln. Anders kann ich mir das nicht erklären“, antwortete sie. „Schrecklich, sich vorzustellen, dass diese Leute es vielleicht noch einmal probieren könnten. Ich hoffe sehr, dass die Polizei die Verantwortlichen der verdienten Strafe zuführt.“ Sie blickte auf ihre kleine Armbanduhr. „Für mich wird es allmählich Zeit“, entschuldigte sie sich. „Wir fangen morgen schon sehr früh an. Da muss ich ausgeschlafen sein.“

Sie verabschiedete sich, ging mit trippelnden Schritten zum Fahrstuhl, betrat die Kabine, und fuhr nach oben.

15

Cinecittà lag ungefähr neun Kilometer südöstlich von Rom. Eröffnet wurden die Filmstudios im Jahr 1937 durch den faschistischen Diktator Benito Mussolini. Anfangs drehte man dort nur italienische Filme. Ab den 50er und 60er Jahren kamen auch internationale Großproduktionen dazu. Einst entstanden hier Szenen legendärer Filme wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Ben Hur“, „Quo Vadis“, „La Dolce Vita“ und „Für eine Handvoll Dollar“. Cinecittà-Produktionen gewannen insgesamt 51 Oscars. Doch diese Zeiten gehörten der Vergangenheit an.

In den Jahrzehnten danach wurden Großproduktionen seltener. Für die US-Studios war es kostengünstiger, Szenen mit vielen Statisten in Osteuropa zu drehen. Cinecittà stand kurz vor dem Bankrott und wurde vom Staat an ein privates Konsortium verkauft, das die Kulissen lieber für Firmenveranstaltungen nutzte. Zurzeit wurden auf dem Gelände hauptsächlich TV-Formate produziert. „Blutige Meute“ war vermutlich einer der letzten großen Filme, die in Cinecittà entstanden.

Pünktlich um sechs Uhr saßen die Schauspieler in der Maske und ließen ihre Alltagsgesichter unter fingerdicker Schminke verschwinden. Die ersten Szenen sollten im Studio gedreht werden. Bühnenarbeiter hatten die Nachbildung einer Bar aufgebaut. Es gab einige Tische, einen Tresen und ein Regal mit zahlreichen bunten Flaschen. Diese Bartheke hörte jedoch da auf, wo anderen erst richtig anfingen. Außerdem war der ganze Laden nach oben offen.

Um sieben Uhr erschien der Regisseur mit der Filmcrew. Er ließ Scheinwerfer einschalten und die Kameras hin und her fahren. Katharina Ledermacher hatte es sich in einem Klappstuhl bequem gemacht und die Beine übereinandergeschlagen. Ihre Aufgabe bestand vorerst nur darin, die abgedrehten Filmspulen in ihre Obhut zu nehmen und nicht aus den Augen zu lassen.

Um acht Uhr war immer noch nichts Entscheidendes passiert. Um viertel vor neun kam der Regieassistent mit den Statisten und wies ihnen ihre Plätze in der Kulisse zu. Kurz darauf erschien Jannick Wolfe. Er setzte sich an einen der Tische, die in der Mitte der Bar standen. Der Regisseur ließ sich in seinem Stuhl nieder. Das Skript-Girl trat neben ihn und schlug das Drehbuch auf.

„Rocco betritt die Bar und entdeckt Derek am Tresen auf einem Hocker. Er setzt sich daneben und bestellt etwas. Derek bemerkt Rocco und zieht eine Pistole. Rocco, der nicht mehr rechtzeitig zu seiner Waffe greifen kann, benutzt einen günstigen Augenblick, schüttet Derek sein Getränk ins Gesicht und überwältigt ihn.“

„Hat das jeder verstanden?“, erkundigte sich der Regisseur.

Jannick Wolfe und der andere Mann nickten.

„Dann machen wir einen Probedurchlauf.“

Ein halbes Dutzend Scheinwerfer richteten sich auf die Kulisse aus Holz, Pappe und Glasattrappen. Der Schauspieler, der Rocco darstellte, betrat die Kulisse, schwang sich auf den Hocker neben Jannick Wolfe und bestellte bei dem Mann hinter dem Tresen einen Whisky. Der Barkeeper schob ihm ein Glas mit einer farblosen Flüssigkeit hin. Jannick fuhr plötzlich herum, riss eine Pistole hervor und drückte sie dem Mann in den Bauch. Sofort schüttete ihm der andere Mann den Whisky ins Gesicht.

„Nein, nein“, rief der Regisseur. „So geht das nicht. Da muss vielmehr Dramatik drin sein. Ich mache es dir vor.“

Diesmal spielte er die Rolle von Rocco, der die Bar betrat. Er war in Hemdsärmeln, trug eine dunkle Brille und sah nicht einmal annähernd wie ein Gangster aus. Mit den Schritten eines anschleichenden Tigers kam er an die Bar, hüpfte auf den Hocker und bestellte einen Drink. Jannick zog die Waffe, der Regisseur schüttete ihm das Getränk ins Gesicht.

„Siehst du, so wird es gemacht“, strahlte er. „Und dann beginnt der Kampf, den ihr vorher mit dem Choreografen einstudiert habt. Lasst es möglichst realistisch aussehen. Los, noch eine Probe.“

Der Mann, der Rocco spielte, tat es ihm nach. Alles begann von vorne. Er kam herein, bestellte einen Whisky, Jannick zog die Pistole und bekam das Getränk ins Gesicht geschüttet. Dann gingen die beiden aufeinander los und kämpften.

„Sehr gut“, sagte der Regisseur. „Genau so machen wir es.“

Abermals nahmen die Schauspieler und Statisten ihre Positionen ein.

„Und Action!“

Rocco betrat die Bar, setzte sich wieder auf den Hocker und bestellte einen Whisky. Im nächsten Moment zog Jannick die Waffe. Rocco schüttete ihm den Whisky ins Gesicht und stürzte sich auf ihn. Mit seinem Gebrüll hätte er jeden Kampfstier aus der Arena gescheucht.

„Du Schwein! Ich mache dich fertig!“

In diesem Moment drückte Jannick ab. Zwei Schüsse ertönten, doch sein Gegner zeigte sich dadurch nicht im Mindesten beeindruckt. Mit einer schnellen Handbewegung schlug er Jannick die Waffe aus der Hand. Die beiden Männer wälzten sich über den Boden. Schließlich zog Jannick ein Messer hervor und stach zu. Roccos Blick wurde starr. Die Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Und sein Blut war überall. Es spritzte auf den Boden und bildete dunkelrote Bäche. Rocco sackte in sich zusammen. Langsam, wie in Zeitlupe, kippte er zur Seite und blieb regungslos liegen. Eine große Blutlache bildete sich um seinen Oberkörper. Jannick kam taumelnd auf die Füße.

„Gestorben!“, rief der Regisseur. „Wir machen noch einige Nahaufnahmen und dann ist Mittagspause.“

Rocco rappelte sich aus seiner Blutlache auf und öffnete sein getränktes Hemd. Aufgeplatzte Kunststoffbeutel, in denen sich das Kunstblut befunden hatte, kamen zum Vorschein. Jannick ging zu Katharina hinüber und lächelte.

„Na, wie waren wir?“

„Es sah sehr überzeugend aus“, erwiderte sie. „Im ersten Moment dachte ich wirklich, das Messer sei echt.“

„Keine Spur. Das wäre viel zu gefährlich. Die Klinge verschwindet im Griff, wenn man damit zusticht. Alles nur Illusion.“

„Trotzdem sah es sehr realistisch aus.“

„Das erwartet das Publikum ja auch. Blut und Gewalt. Dafür gehen die Leute ins Kino.“

Davon gibt es doch schon genug in der realen Welt, dachte Katharina. Warum dafür noch bezahlen?

Die Scheinwerfer verlöschten. Das gesamte Team ging hinüber in die Kantine zum Mittagessen. Danach sollte eine Überfall-Szene gedreht werden. Katharina stocherte lustlos in ihrem Essen herum und dachte nach. Die Sache mit der Erpressung ging ihr nicht aus dem Kopf. Wer steckte dahinter? Und warum? Zuerst hatte sie an einen Versicherungsbetrug geglaubt, aber dieses Motiv schied mittlerweile aus. Joswig war ihrer Ansicht nach nicht der Typ, der so etwas machte. Mit einer verneinenden Kopfbewegung strich sie den Namen aus ihrer imaginären Liste.

Jannick Wolfe? Auch er hatte keinen Vorteil davon, wenn der Film vernichtet wurde. Zugegeben, er war kein großartiger Schauspieler und die Filme, in denen er mitwirkte, keine preisverdächtigen Meisterwerke, aber weshalb sollte er bei einer Erpressung mitmachen? Seine hohen Gagen erlaubten ihm ein luxuriöses Leben. Weshalb sollte er das aufs Spiel setzen? Katharina glaubte nicht, dass er etwas mit der Erpressung zu tun hatte. Sie strich seinen Namen, wenn auch mit gewissen Zweifeln.

 

Sophie Rosenbruck? Sie war zweiundzwanzig, hübsch, und die Männer flogen auf sie wie Insekten auf eine Blume. Sie war temperamentvoll und manchmal auch übellaunig. Sie stand noch am Anfang ihrer Karriere. Dieser Film war für sie die erste große Chance. Weshalb sollte sie dafür sorgen, dass er zerstört wurde? Zudem bezweifelte Katharina, dass Sophie über die nötigen Kontakte verfügte, um so einen Coup durchzuziehen. Sie strich Sophies Namen aus ihren Erwägungen, ein für allemal.

Allerdings gingen ihr damit auch die Optionen aus. Natürlich bestand auch noch die Möglichkeit, dass jemand von der Filmcrew in die Sache verwickelt war, doch im Augenblick fiel ihr niemand ein, der dafür infrage kam. Allerdings kannte sie die Leute auch nicht gut genug, um sich ein Urteil erlauben zu können.

16

Die Straßenkulisse wimmelte von Menschen. Schauspieler und Statisten bewegten sich nach den Anweisungen des Regisseurs. Kameras fuhren lautlos auf Schienen. Ein Mikrofon schwebte an einem hohen Galgen über ihren Köpfen.

Rechts war die Kulisse eines Bankgebäudes errichtet worden. Laut Drehbuch sollte in wenigen Minuten eine Bande vorfahren. Sophie Rosenbruck würde den Wagen lenken. Jannick Wolfe als Bandenboss sollte dann mit zwei seiner italienischen Komplizen in die Bank eindringen. Dieser Plan war jedoch an die Polizei verraten worden. Die Beamten umstellten das Gebäude, und es kam zu einem Schusswechsel. Eine Kugel, die aus dem gegenüberliegenden Haus abgefeuert wurde, sollte Wolfe verwunden. Mit letzter Kraft gelang es ihm jedoch, sich zum Wagen zu schleppen. Dann musste Sophie Gas geben und die Polizeiabsperrung durchbrechen.

Die nachfolgenden Einstellungen der Flucht und der Verfolgungsjagd mit Wolfes Double Simon Struck sollte am nächsten Tag außerhalb von Cinecittà gedreht werden. Drei Mal wurde die Szene geprobt, dann gab der Regisseur die letzten Anweisungen. Schauspieler und Statisten nahmen erneut ihre Plätze ein. Der Gangsterwagen mit den vier Insassen rollte an. Auf der gegenüberliegenden Seite versteckten sich die Polizisten in Hauseingängen und hinter Fenstern. Sobald die Bande aus dem Gebäude kam, sollten sie das Feuer eröffnen.

„Und Action!“, rief der Regisseur.

Der Wagen fuhr los und stoppte vor dem Bankgebäude. Wolfe und seine beiden Komplizen sprangen aus dem Fahrzeug und stürmten auf den Eingang zu. Im selben Moment begannen die Polizisten zu schießen. Einer der Komplizen schrie, drehte sich einmal um sich selbst und stürzte dann zu Boden. Der andere zog sich zu Wolfe in den Eingang zurück und erwiderte das Feuer. Während eine Kamera auf die beiden Männer zufuhr, schwenkte eine zweite zu den Polizisten hinüber. Aus einem der Fenster ragte der Lauf eines Gewehrs.

Das Drehbuch sah vor, das sich Wolfe mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Schulter fasste, seine Pistole fallen ließ und auf den Wagen zulaufen würde. Sophie Rosenbruck sollte ihm die Tür aufhalten. Er ließ sich auf den Sitz fallen, und das Fahrzeug raste mit davon. Wolfe riss vor Entsetzen die Augen auf, griff sich vor die linke Brust und stürzte zu Boden. Er ließ zwar seine Waffe fallen, doch er lief nicht auf den Wagen zu. Die Statisten feuerten noch einige Sekunden, dann merkten sie, dass etwas nicht stimmte.

Wolfe erhob sich nicht. Sophie tauchte hinter ihrer Deckung auf und der „tote“ Komplize war plötzlich wieder lebendig. Nur Jannick Wolfe kam nicht auf die Füße. Sofort ließ der Regisseur die Aufnahme abbrechen. Katharina sprang auf. Der Klappstuhl kippte und fiel polternd zu Boden. Sie rannte hinüber zum Bankeingang. Ihr war die Erkenntnis gekommen, dass Wolfe seine Rolle zu realistisch gespielt hatte. Sie kniete sich neben ihn, hob seinen Kopf an und ließ ihn behutsam wieder zurücksinken.

„Er wurde erschossen“, sagte sie mit belegter Stimme.

„Aber wir benutzen doch nur Platzpatronen“, erwiderte der Regisseur.

Katharina blickte zur gegenüberliegenden Straßenseite. „Der Schuss muss von dort drüben gekommen sein“, stellte sie fest. „Lassen Sie sämtliche Waffen einsammeln und das Gelände nach Unbefugten absuchen. Außerdem muss jemand die Polizei verständigen.“

Der Aufnahmeleiter rannte zu einem Wagen, der am Ende der Straße stand, startete den Motor und fuhr zum Gebäude des Sicherheitspersonals. Dort veranlasste er, dass sämtliche Zufahrten und Eingänge zum Filmgelände abgesperrt wurden und niemand das Areal verlassen konnte, bis die Polizei eintraf.

Katharina Ledermacher versuchte unterdessen, eine Verbindung zwischen dem Erpressungsversuch und dem Mord an Jannick Wolfe herzustellen, doch sie fand keine. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass es sich um einen Racheakt handelte. Trotzdem glaubte sie nicht so recht daran. Eine Erpressung war eine Sache, aber ein Mord …

17

Zwanzig Minuten später traf die Polizei mit einem Großaufgebot ein. Der Tatort wurde weiträumig abgesperrt. Commissario Stefano Cariddi, ein drahtiger, mittelgroßer Mann Mitte vierzig übernahm die Ermittlungen. Aussagen wurden aufgenommen und Spuren gesichert. Schritt für Schritt arbeiteten sich die Beamten durch das Gelände. Alles, was sie finden konnten, wurde eingesammelt. Mechanisch packten sie die Fundsachen in Plastiktüten. Die Handgriffe geschahen ganz automatisch. Spuren entdecken, Spuren eintüten, Spuren auswerten. Sehr ergiebig gestaltete sich die Suche jedoch nicht. Die Polizisten sammelten Abfall, Unrat und Zigarettenstummel auf. Damit musste sich später die Kriminaltechnik herumschlagen.

Die Wissenschaftler würden nicht gerade begeistert sein, überlegte Katharina. Aber es half nichts. Schließlich bestand eine kleine Chance, dass die Suche etwas Entscheidendes zutage förderte. In Begleitung der Polizei befand sich auch ein Notarzt. Er wirkte noch recht jung. Sein Gesicht war offen und sympathisch, aber in den Winkeln der Augen hatte er blaue Schatten, die es müde aussehen ließen. Er beugte sich über die Leiche, horchte sie mit einem Stethoskop ab und fühlte den Puls.

Die Untersuchung dauerte etwa eine halbe Minute, dann erhob er sich und schüttelte den Kopf. Ein Fotograf schoss Aufnahmen, um jede Arbeitsphase zu dokumentieren. Nachdem der Arzt sich entfernt hatte, traten zwei Polizisten an den Toten heran. Der erste war untersetzt und breitbeinig, mit hängenden Armen. Er kniff die Augen zusammen wie jemand, den die Sonne blendete. Aus seiner Nase wuchsen graue Härchen.

Der andere hatte von einem Unfall eine Narbe über dem rechten Auge. Die Braue war völlig abgeschürft und bestand nur aus einem schmalen, rötlichen Strich. Der erste zeichnete die Lage des Toten mit weißer Kreide nach, während sein Kollege ihn dabei beobachtete. All die vielen kleinen Handgriffe wurden getan, die in so einem Fall nötig waren. Katharina hatte jedoch den Eindruck, dass sie ihre Arbeit ziemlich locker nahmen. Der untersetzte Beamte klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an, und ließ Rauchringe in die Luft steigen.

Cariddi sorgte dafür, dass sämtliche Schusswaffen sichergestellt wurden. Dabei kam heraus, dass eines der Gewehre fehlte. Man fand die Waffe schließlich in einem Gebüsch hinter der Häuserfassade. Katharina bezweifelte allerdings, dass irgendwelche Spuren darauf zu finden sein würden. Der Mörder hatte mit Sicherheit Handschuhe getragen.

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Die anschließende Vernehmung der Augenzeugen gestaltete sich etwas schwierig, denn außer Joswig sprach kein Mitglied des deutschen Filmteams italienisch. Bereitwillig bot er sich als Dolmetscher an, doch Commissario Cariddi lehnte ab und bestand darauf, seinen eigenen Übersetzer herzuholen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der Mann eintraf. Währenddessen packten die Assistenten des Arztes Jannick Wolfes Leiche in einen Plastiksack, verfrachteten ihn in den Fond des Wagens und verließen das Studiogelände.

Die Vernehmung der deutschen Filmcrew fand in einem der Räume des Verwaltungsgebäudes statt. Katharina kam als Vorletzte an die Reihe. Commissario Cariddi hob erstaunt die Augenbrauen, als sie ihm erklärte, das sie Privatdetektivin sei. Er sagte etwas zu dem Dolmetscher, worauf dieser fragte: „Gibt es einen besonderen Grund für Ihre Anwesenheit?“

Katharina erzählte ihm, was sich in Berlin ereignet hatte, und der Dolmetscher übersetzte. Abermals machte der Commissario ein erstauntes Gesicht.

„Glauben Sie, dass zwischen der Erpressung und dem Mord ein Zusammenhang besteht?“, wollte er wissen.

„Möglich“, erwiderte Katharina schulterzuckend.

„Könnte die Ermordung dieses Schauspielers vielleicht ein Racheakt gewesen sein?“

„Sie meinen, wegen der misslungenen Erpressung?“

„Ja.“

„Auch die Möglichkeit besteht natürlich“, gab die Detektivin zu. „Aber welchen Nutzen hätten die Erpresser davon? Das Geld würden sie trotzdem nicht bekommen.“

„Das nicht. Durch den Tod des Hauptdarstellers wird der Film allerdings nie vollendet werden. Das könnte ebenfalls eine Form der Rache sein.“

„Natürlich.“

Commissario Cariddi lächelte. „Na, sehen Sie.“

„Aber wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand für etwas, das den Erpressern keinen Vorteil eingebracht hat?“

„Ach, wissen Sie, Verbrecher handeln nicht immer logisch. In den meisten Fällen benehmen sie sich sogar ausgesprochen dumm. Und sie müssen nicht immer einen Grund zum Töten haben. Ich hatte da mal einen Fall, bei dem ein Mann vier Menschen ohne irgendein Motiv tötete. Davon war zumindest der Staatsanwalt überzeugt. Der Mann gab die Morde zu. Seine einzige Verteidigung war, dass er es tat, wenn er den Drang dazu verspürte. Jeder ist unter gewissen Umständen ein potenzieller Mörder.“

Katharina nickte.

„Sie waren doch die ganze Zeit am Drehort, nicht wahr?“, fragte der Commissario.

„Ja.“

„Ist Ihnen vor der Ermordung dieses Schauspielers etwas Verdächtiges aufgefallen?“

„Was meinen Sie?“

„Haben Sie zum Beispiel jemanden gesehen, der dort nicht hingehörte?“

Katharina schüttelte den Kopf. „Nein, und ehrlich gesagt, habe ich auch nicht darauf geachtet. Am Set liefen eine Menge Leute herum. Man konnte nicht auf den ersten Blick erkennen, wer dazugehörte und wer nicht.“

Cariddi nickte. „Ich verstehe“, sagte er gedehnt. „Und nach dem Mord? Ist Ihnen da etwas aufgefallen?“

„Nicht wirklich. Zuerst dachte ich, Wolfes Zusammenbruch sei ein Bestandteil der Szene, aber dann …“

„Ja?“

„Dann stellte sich heraus, dass er tot war.“

„Benahm sich einer der Anwesenden verdächtig?“

„Nein. Die Leute waren natürlich schockiert, aber ich habe nicht bemerkt, dass sich jemand verdächtig benahm.“

„Schade, das hätte vieles vereinfacht.“

„Glauben Sie denn, dass es ein Angehöriger des Filmteams war?“

„Ich schließe es zumindest nicht aus. Um auf das Studiogelände zu kommen, benötigt man eine Zugangsberechtigung. Das spricht gegen einen Außenstehenden.“

„Er könnte sie gestohlen oder gefälscht haben“, erwiderte Katharina.

„Ja, das wäre möglich.“

Commissario Cariddi musterte sie eine Zeitlang, dann erhob er sich und reichte ihr die Hand. „Das wäre vorläufig alles. Wenn ich noch weitere Fragen habe, werde ich Sie informieren.“