Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021

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16

Feller fühlte sich wie ein Zombi, als er die Sauerfeldstraße viel zu schnell hinunterbrauste. Jemand hupte und zeigte ihm einen Vogel.

"Selber, woll!", knurrte Feller vor sich hin. Er war nicht ganz da.

Feller wohnte in der Schützenstraße. Eine gediegene Wohngegend. Feller hatte hart dafür gearbeitet, sich hier ein Haus leisten zu können.

Er parkte den Wagen in der großzügigen Einfahrt seines Bungalows, drehte den Motor ab und saß dann einige Augenblicke lang einfach nur da.

Er fühlte sich scheußlich. Ein ungutes Gefühl machte sich sehr deutlich in seiner Magengegend breit. Er hatte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Die Sache mit Norbert Wolf beschäftigte ihn.

Feller versuchte, ruhig zu atmen. Schließlich fühlte er sich ein wenig besser.

Mach dich nicht verrückt!, sagte er sich.

Dann stieg er aus, knallte die Wagentür zu und schloss mit einer nachlässigen Bewegung ab.

Als er dann vor der Haustür stand, musste er feststellen, saß er mal wieder seinen Schlüssel vergessen hatte. Da er mit wechselnden Wagen fuhr, die er im Fuhrpark seiner Firma hatte, war der Haustürschlüssel nicht bei denen für das Auto.

Martin Feller fluchte leise vor sich hin.

Aber die Sache war halb so schlimm. Erstens hatte er einen Ersatzschlüssel auf der anderen Hausseite deponiert und zweitens musste Carola, seine Frau, jetzt bereits zu Hause sein.

Also klingelte Martin Feller einfach.

Es dauerte ein bisschen, bis Carola auftauchte, um ihm zu öffnen.

"Hallo, Schatz!", sagte sie.

Sie lächelte, und er versuchte es auch. Aber bei ihm blieb es beim Versuch.

Ein ziemlich kläglicher Versuch, um genau zu sein.

Carola war Mitte vierzig und für ihr Alter immer noch sehr attraktiv. Früher war sie eine richtige Schönheit gewesen - einer der beiden Gründe, aus denen Martin Feller sie geheiratet hatte.

Der andere war, dass Carola einen ausgesprochenen Sinn fürs Praktische hatte. Das hatte ihn von Anfang an an ihr angezogen.

"Na, wie war dein Tag?", fragte sie mit ihrer warm klingenden Stimme.

Feller hätte sie für diese Frage erwürgen können. Was sollte er sagen? Er hatte keine Lust über das Loch im Kopf von Norbert Wolf zu reden. Und über den Anruf wollte er noch viel weniger sprechen. Er brauchte jetzt einfach erst einmal eine gewisse Weile, um abzuschalten.

Zu sich kommen, klare Gedanken fassen. Darum ging es jetzt.

Er fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Martin Feller fühlte sich müde. Müde und alt.

"Schatz, redest du nicht mehr mit mir?", hörte er Carolas Stimme. "Wie dein Tag war, wollte ich wissen!"

Er zuckte mit den Schultern.

"Nicht so besonders", murmelte er mit hängenden Schultern.

"Und bei dir?"

Er nahm sie kurz und etwas nachlässig in den Arm und gab ihr schließlich einen Kuss. Dann trat er ein, pfefferte den Wagenschlüssel auf eine Anrichte und kratzte sich hinter dem rechten Ohr.

Er hatte Durst auf ein Bier.

"Was soll ich dir erzählen?", hörte er Carola indessen sagen. "Wie's bei der Post eben zugeht! Nicht gerade aufregend."

Martin Feller lächelte dünn.

Dann atmete er tief durch und ließ anschließend einen Teil der aufgesogenen Luft wieder ab. Wie ein ächzender Lastwagen vor der Ampel, der die überschüssige Bremsluft ins Freie ziehen ließ.

Er meinte: "Ich hab dir ja gesagt: Gib deinen Scheiß-Job auf und komm zu mir in die Firma. Die Kramer kriegt doch jetzt ihr Kind und dann will sie erst mal ein halbes Jahr aufhören und unsere Buchhaltung ist jetzt schon einziges Chaos."

"Immerhin ist mein Scheiß-Job unkündbar, Martin", gab Carola lächelnd zurück.

Martin Feller hob die Augenbrauen. Er versuchte auch zu lächeln, aber es wollte nicht so recht werden.

"Und wer sollte mir kündigen?", fragte er. Er strich sich mit einer schnellen Bewegung die Haare zurück.

Carolas Antwort ließ ihn dann stutzen.

"Du dir selbst", erklärte sie kühl.

Fellers Lachen wirkte gequält.

"Sehr witzig!", murmelte er. In seiner Stimme war ein düsterer Unterton.

Carola sah ihn offen an. "Ich meine es ernst", erklärte sie dann nach einem kurzen Augenblick des Schweigens. "Ein paar Fehler und du bist ganz schnell pleite. Heute steht das Haus von Grote in der Zeitung. Es wird demnächst versteigert."

Martin Feller hob die Augenbrauen.

"Ach...", machte er erstaunt.

"Ja, dein ehemals schärfster Konkurrent mit der Peugeot-Vertretung!"

"Dass er pleite ist, ist ja nichts Neues, aber dass er jetzt auch noch sein Haus..."

"Siehst du und wenn es bei uns mal soweit ist, haben wir wenigstens das, was ich bei der Post verdiene!", gab Carola selbstsicher zu bedenken.

"Was man uns dann wahrscheinlich sofort pfänden würde!", erwiderte Martin Feller.

Carola verschwand im Wohnzimmer. Feller ging in die Küche.

Er machte den Kühlschrank auf und seufzte hörbar.

"Sag mal, haben wir kein Bier mehr?", rief er zu seiner Frau hinüber.

"Ist alle!", rief Carola zurück. Dann kam sie ebenfalls in die Küche und erklärte: "Tut mir leid, ich musste auf dem Rückweg eine Umleitung fahren und die führte leider nicht nur um die Baustelle, sondern auch um den Supermarkt herum."

"Macht ja nichts", log Martin Feller und machte eine wegwerfende Handbewegung. Irgendwie schien sich im Augenblick alles und jeder gegen ihn verschworen zu haben.

Aber so eine Phase musste ja auch irgendwann mal zu Ende gehen.

"Mal was anderes" meinte Carola jetzt. "Mit unserm Herrn Sohn wird's wahrscheinlich Probleme mit dem Abi geben..."

"Das ist ja nicht neu."

"Das nicht. Aber es scheint ernst zu sein. Er hat mir nichts gesagt. Nichts konkretes. Eben nur so Andeutungen. Aber ich habe das im Gefühl..."

"Ich habe immer gesagt, dass er sich das blöde Abi sonstwo hinschmieren kann! Er hätte bei mir im Betrieb lernen können, dann hätte er etwas Handfestes gehabt. Und was ist jetzt? Nur Flausen im Kopf!"

"Martin..."

"Ja, ist doch wahr!"

"Aber wo ihn Autos doch gar nicht interessieren..."

"Ja, meinst du, ich träume nur von Autos?"

"Nein, aber..."

"Aber Geld verdienen lässt sich damit!" Er seufzte und fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. "Wenn er wenigstens noch Aussichten hätte, das Abi auch zu bestehen. Aber er quält sich doch nur so herum auf der Schule. Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes."

"Martin, sieh das Ganze doch mal aus seiner Sicht - oder versuche es zumindest. Ich meine..."

Martin Feller war empört, "Sag mal, auf wessen Seite stehst du eigentlich?"

"Es geht doch nicht darum, wer auf welcher Seite steht!"

"Doch, Carola! Genau darum geht es! Und um sonst gar nichts!"

Sie schwiegen eine Weile. Carola kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass es jetzt das Beste war, erstmal nichts zu sagen. Sie wartete einfach, so wie sie schon oft genug abgewartet hatte, bis sich der Sturm wieder legte.

Aber diesmal hatte sie wohl nicht genug Geduld damit.

"Er will studieren", sagte Carola schließlich in die Stille hinein.

Für Feller war das wie ein Schlag vor den Kopf.

"Was sagst du da?", fragte er ungläubig. Er konnte es nicht fassen, glaubte sich verhört zu haben.

"Ja. Hat er mir gesagt. Theaterwissenschaft."

"So'n Quatsch! Ich muss ihn wohl mal wieder in die Mangel nehmen!"

"Das bringt doch nichts!"

"Das werden wir ja sehen! Glaubst du, ich will, dass er uns auf der Tasche liegt, bis er fünfunddreißig ist?"

"Es gibt Schlimmeres!", behauptete Carola allen Ernstes, und Martin Feller machte ein Gesicht, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf.

"Ach, ja?", schnaubte er. "Dann möchte ich mal wissen, was zum Beispiel!"

"Martin..."

"Du bist zu nachgiebig, Carola!"

"Ich möchte, dass er ein glücklicher Mensch wird und etwas macht, das ihn befriedigt, womit er sich verwirklichen kann."

"Sag bloß, du verwirklichst dich in den Büroräumen der Postdirektion", gab Martin Feller ironisch zurück.

Sie verzog das Gesicht.

"Leider nicht", erwiderte sie. "Um so mehr wünsche es allerdings meinem Sohn."

Martin Feller hatte keine Lust, sich weiter darüber zu unterhalten. Heute war er einfach nicht in Form, um argumentativ mithalten zu können.

Aber Carola schien auch wenig Freude an der Sache zu haben.

Auf jeden Fall beendete sie das Ganze ziemlich abrupt, indem sie beiläufig sagte: "Es hat übrigens jemand für dich angerufen."

"Und wer?"

Auf einmal war Martin Feller wieder mit allen Sinnen präsent. Und das ungute Gefühl in der Magengegend war auch wieder da. Ganz deutlich sogar.

"Moment", meinte Carola und schien einen Augenblick nachzudenken. Dann fuhr sie fort: "Nee, den Namen hab ich vergessen. Der sprach auch nicht sehr deutlich. Er wollte zurückrufen."

Das Telefon klingelte.

Einmal, zweimal...

Carola sagte: "Das wird er sein."

Der Anrufer schien Geduld zu haben.

Er gab nicht auf und ließ es immer wieder klingeln, während Martin Feller wie erstarrt dastand und sich nicht einen Millimeter rührte.

"Willst du gar nicht dran gehen?", fragte Carola.

"Doch, doch..." Er ging die paar Schritte bis zum Telefon sehr langsam. Dann nahm er ab. In seinem Hals steckte ein dicker Kloß, der ihn kaum sprechen ließ.

 

"Ja?", krächzte er.

Martin Feller hatte intuitiv gewusst, dass er es war.

Auf der anderen Seite atmete jemand einige Augenblicke lang und legte dann auf. Klick und Ende.

Carola fragte: "Wer war's?"

"Verwählt."

Sie kam aus der Küche und stutzte unwillkürlich, als sie ihren Mann da so stehen sah. Dann trat sie an ihn heran.

"Mein Gott, du bist ja ganz bleich!", stellte sie besorgt fest. "Was ist denn los?"

"Nichts ist los!"

"Hast du Ärger gehabt?"

"Norbert ist tot."

"Norbert Wolf?", wiederholte Carola fassungslos.

"Ja. Man hat seine Leiche in der Listertalsperre gefunden. Er wurde erschossen. Die Kripo war heute bei Barbara. Ich war auch dort."

Carola runzelte die Stirn. "Weshalb du?"

"Sie rief mich an und machte sich Sorgen. Nobbi war die Nacht über weg gewesen."

"Hat er nicht früher schon ab und zu über die Stränge geschlagen?"

"Ja, aber das ist lange her..." Feller sah seine Frau nicht an. Er knibbelte an seinen aufgesprungenen Fingernägeln.

"Das ist ja furchtbar", flüsterte Carola.

"Ja, ja..."

"Martin..."

Ihre Hände berührten seine Schultern, aber er fühlte sich an wie ein steifes Brett.

"Ich fahr noch los, um eine Kiste Bier zu holen", meinte er schließlich. "Ich brauche jetzt einfach ein Bier. Wir können uns nachher weiter unterhalten, ja?"

Carola nickte langsam.

"Gut."

"Bis nachher dann..."

"Bis nachher!"

17

Am Wochenende hatte Feller alle Hände voll zu tun. Jeweils am ersten Maiwochenende fand nämlich die Lüdenscheider Auto-Show statt. Das ganze Stadtzentrum war dann von einer riesigen Autoausstellung okkupiert, an der sich unter anderem zehn Lüdenscheider Autohäuser beteiligten.

Da konnte Feller natürlich nicht fehlen.

So eine Show brachte nach Fellers zwar nichts in die Kasse, aber wenn man fehlte war das tödlich für das Image.

Also war er dabei.

Das ganze hatte Volksfestcharakter. Die Bürgermeisterin eröffnete den Zirkus in einem feierlichen Akt und ein umfangreiches Rahmenprogramm sorgte für die nötige Stimmung.

Die Dixie-Slickers spielten ihren Mississippi-Jazz und eine Puppenbühne sollte die Kleinen unterhalten, die darüber hinaus ihre Fahrkünste in einem Parkur für Bobbycars erproben konnten.

Die Lüdenscheider Sieper-Werke, die unter der Bezeichnung Siku der größte Spielzeugautohersteller der Welt waren, hatten ihren Stand im Rathauseingang. Fellers Platz war leider ganz in der Nähe, und er wurde das Gefühl nicht los, dass die kleinen Flitzer seinem doch eher biederen Angebot die Schau stahlen..

"Du bist doch gegen alles!", meinte Charly Wallmeier, nachdem er das Gemecker seines Chefs schon eine ganze Weile ertragen hatte. "Mein Gott, wenn's nach dir ginge, dann gäb's hier nur unsere Kutschen zu sehen, woll? Keine Oldtimer-Rallye und keine Sportwagen-Show! Aber ich sag dir eins: Dann würde auch wohl kaum einer kommen!"

"Ha, ha!"

"Chef, lass deine schlechte Laune zu Hause! Du erschreckst die Kundschaft, woll!"

"Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir, Charly!"

"Wie mit einem Freund. Nämlich ehrlich."

Die beiden Männer sahen sich gegenseitig einen Augenblick lang an, während die Dixie Slickers im Hintergrund OH, SUSANNAH spielten.

Und dann bemerkte Feller den Mann, der am Rathauseingang herumlungerte, sich allerdings überhaupt nicht für die Ausstellung der Spielzeugautos zu interessieren schien. Er trug eine schwarze Ledermontur und fiel dadurch auf, dass er den Helm nicht absetzte. Das dunkel getönte Helmvisier war heruntergeklappt.

"Heh, Charly, siehst du den da?", raunte Feller.

"Ja, und?"

"Der glotzt schon die ganze Zeit hier 'rüber!"

"Ja, lass ihn doch glotzen."

"Der macht mich nervös, Charly."

"Chef, du bist mit den Nerven am Ende, woll? Fahr nach Hause, ich mach das hier schon. War wohl 'nen bisschen viel in letzter Zeit."

Der Mann in der Lederkluft kam jetzt näher. Er ging direkt auf Martin Feller zu, blieb dann in einer Entfernung von wenigen Metern stehen. Der Helmkopf schien den Autohändler anzublicken. Dann ging der Mann weiter.

Du siehst Gespenster, ging es Feller durch den Kopf. Fang jetzt nicht auch noch an zu spinnen!

18

Als Feller am Montag aus der Firma nach Hause kam, war das Bier schon wieder alle. Das Wochenende mit der Auto-Show saß ihm noch in den Knochen und dann das. Es half nichts, er musste nochmal los, bevor die Geschäfte dichtmachten.

"Du trinkst zuviel", meinte Carola, die ebenfalls gerade nach Hause gekommen war.

"Na und?"

Feller spielte nervös mit dem Autoschlüssel, als er ins Freie trat. Der Himmel hatte sich bewölkt. Es war diesig geworden.

Gedankenverloren schlenderte er zum Wagen, schloss auf und stieg hinein. Mit einer nachlässigen Bewegung steckte er den Zündschlüssel ins Schloss, drehte ihn herum und startete. Dann drehte er das Autoradio an.

Eine Staumeldung reihte sich an die andere. Der Feierabend-verkehr setzte ein. Und auf der A45 hatte es gekracht. Ein Zwanzigtonner war umgekippt. Morgen würde man davon Bilder in der Zeitung sehen können.

Martin Feller wollte gerade die Handbremse lösen, da knallte es plötzlich. Während die Frontscheibe zersplitterte, warf er sich zur Seite. Der Schaltknüppel fuhr ihm dabei schmerzhaft in die Rippen.

Dreimal wurde insgesamt geschossen.

Dann heulte der Motor eines davonbrausenden Motorrads auf.

Feller schnellte hoch, sah vom Fahrer aber nur noch den Rücken.

"Verfluchter Hund",, murmelte Feller leise vor sich hin.

Wenigstens hatte er keine der kleinen Glasscherben in die Augen bekommen.

Im nächsten Moment hörte er Schritte und die Stimme seiner Frau.

"Martin!", rief Carolas helle, jetzt leicht hysterisch klingende Stimme.

Martin Feller öffnete die Wagentür und krabbelte hinaus.

"Ja?", ächzte er, als er wieder auf zwei Beinen stand.

"Martin, was ist passiert? Die Schüsse..."

"Eine Fehlzündung, sonst nix", meinte Feller in einem Tonfall, dem nicht anzumerken war, ob das eine ironische Bemerkung war, oder ob er es ernst gemeint hatte.

"Martin, jetzt erzähl doch keinen Unfug! Ich war in der Küche, ich habe alles genau gesehen. Jemand hat auf dich geschossen und dann ist ein Motorradfahrer davongebraust! Sieh dir die Scheibe an! Und das da im Blech! Einschußlöcher."

"Carola...", murmelte Martin Feller schwach, während sie ihn an sich drückte, froh darüber, dass ihm nichts passiert war.

"Ich rufe die Polizei", meinte sie dann entschieden und blickte ihm dabei geradewegs in die Augen. "Vielleicht schnappen die den Kerl noch!"

Carola wollte gehen, aber Feller gelang es gerade noch, sie am Arm zu halten, ehe sie ihm davonschlüpfen konnte.

"Carola, so warte doch!"

Ihr Blick drückte Verständnislosigkeit aus. Sie runzelte verwundert die Stirn.

"Was ist denn?", fragte sie.

"Bleib hier!"

"Jede Minute ist kostbar!"

"Du kannst die Polizei nicht rufen!"

Pause.

Zwei volle Sekunden lang sagte keiner von ihnen auch nur ein Wort. Carola nicht, weil sie einfach zu baff war. Und Martin Feller nicht, weil ihm einfach nichts Gescheites einfallen wollte, so sehr er seine kleinen grauen Zellen auch anstrengte.

Natürlich war es Carola, die als erste die Fassung wiedererlangte.

"Sag mal, tickt's bei dir noch richtig? Jemand schießt auf dich und du willst die Polizei nicht rufen?"

"Ja, so ist es!"

Carola stemmte die Hände in die geschwungenen Hüften.

"Das musst du mir schon erklären!", forderte sie.

Martin Feller zuckte die Achseln und machte eine unbestimmte Geste mit der Linken. Nachdem er dann tief Luft geholt hatte, meinte er nicht gerade überzeugend: "Die würden den ja doch nicht kriegen!"

"Ach! Aber wenn dir jemand beim Autofahren den Stinkefinger zeigt, dann bist immer gleich mit einer Anzeige bei der Hand, woll?"

Feller schluckte, machte einen verlegenen und etwas ratlosen Eindruck. Zweimal setzte er zu einer Erwiderung an, dann sagte er schließlich: "Ich bring jetzt den Wagen in die Werkstatt!"

Eigentlich kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass er die Sache so nicht abtun konnte! Nicht bei Carola!

Sie fasste ihn am Oberarm.

"So kommst du mir nicht davon! Du erklärst mir das jetzt erst mal!"

Martin Feller zuckte die Achseln.

"Was soll's da zu erklären geben?"

"Kennst du den Kerl auf dem Motorrad?"

Er hob die Augenbrauen. Und seine Antwort kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät, um noch überzeugend wirken zu können.

"Wie kommst du denn darauf?", meinte Martin Feller schwach.

Carola fuhr sich mit der rechten durch das dichte Haar.

"Na, irgendeinen Grund muss es doch haben, dass du ihn nicht anzeigen willst!", war ihr messerscharfer Schluss.

"Ich hab doch die Nummer gar nicht!"

"Er hatte keine Nummer."

"Was?"

"Wie gesagt, ich stand am Küchenfenster und hab's genau gesehen."

Feller atmete tief durch.

"Na, siehst du!"

"Quatsch!", meinte Carola entschieden und äffte ihren Mann dann nach: "Na, siehst du!"

"Ich meine ja nur, dass die Polizei dann wohl kaum eine Chance hat, den Kerl zu fassen."

Carola runzelte die Stirn.

"Wieso DEN KERL?"

"Häh?"

Als Carola das Gesicht ihres Mannes sah, dachte sie unwillkürlich an einen Schuljungen, den man dabei erwischt hatte, wie er seine Hausaufgaben abschrieb.

Carola sagte schließlich: "Na, ich konnte unter der Motorradkluft mit dem Helm und so weiter nicht zweifelsfrei sehen, ob das nun ein Männlein oder Weiblein war. Kennst du IHN vielleicht doch?"

Er wurde jetzt gereizt, was sie nur noch mehr in der Auffassung bestätigte, dass hier etwas nicht stimmte.

"Sag mal, was soll das hier?", meinte er. "Wird das ein Detektivspiel oder was?"

"Irgend etwas verheimlichst du mir."

"Ach, Unsinn."

"Hat es vielleicht etwas mit den Anrufen zu tun? Die, bei denen sich keiner meldet?"

"Ach, Quatsch!"

"Ich hab das Gefühl, wir müssen miteinander reden, Martin!", meinte sie.

Martin Feller nickte zögernd.

"Gut, aber nicht jetzt."

"Und wann dann?"

"Nachher. In Ruhe."

Sie verdrehte die Augen.

"Ach ja, das musste ja kommen! Nachher!"

"Schatz..."

"Du weichst mir aus, Martin! Und ich frage mich, warum! Jeder von uns kennt den anderen wie seine Westentasche. Wir hatten nie Geheimnisse voreinander und jetzt..."

Sie sprach nicht weiter, und er nahm die willkommene Gelegenheit wahr, das Gespräch erst einmal zu beenden.

"Ich bring jetzt erstmal den Wagen in die Werkstatt und hol mir einen Kasten Bier", sagte er tonlos, während er sich bereits halb zum Gehen gewandt hatte.

Carola machte indessen einen letzten Versuch.

"Soll ich nicht doch die Polizei..."

Aber ihr Mann schüttelte energisch den Kopf.

"Keine Polizei, hörst du?", wies er sie sehr eindringlich an. "Ich erklär's dir ja. Aber nicht jetzt."

Carola seufzte.

"Du verlangst eine ganze Menge!"

"Versprichst du mir, dass du den Hörer auf der Gabel lässt?"

Carola überlegte einen Moment lang.

Dann sagte sie: "Okay."

Aber sie sah ihn dabei nicht an.