BGB Allgemeiner Teil I

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1. Subjektiver Tatbestand: der Wille

100

Der subjektive Tatbestand der Willenserklärung, nämlich der zu der konkreten Erklärung führende Wille, berührt verschiedene Bewusstseinsebenen. Die verschiedenen Bewusstseinsebenen berücksichtigt man, indem man nicht einfach von „dem Willen“ spricht. Vielmehr differenziert man sprachlich zwischen drei verschiedenen Willenselementen.[5]

a) Handlungswille

101

Der Handlungswille ist der hinter jeder Bewegung stehende natürliche Wille, sich irgendwie zu verhalten und dieses Verhalten zu steuern.


Mit Handlungswillen bezeichnet man den Willen des Erklärenden, überhaupt mit einem äußerlich wahrnehmbaren Verhalten etwas mitzuteilen, also zu schreiben, zu sprechen, die Hand zu heben, etc.[6]

b) Erklärungsbewusstsein, Rechtsbindungswille

102

Wenn sich jemand mit seinem Verhalten überhaupt äußern will, heißt das aber noch nicht, dass er mit seiner Äußerung auch ein Rechtsgeschäft vornehmen möchte.

Beispiele

Gruß an einen Bekannten, Einladung von Freunden zum Abendessen, unverbindliche Werbemaßnahme (sog. invitatio ad offerendum)

103

Der mit der Äußerung verfolgte rechtliche Gestaltungswille ist das charakteristische Willenselement einer Willenserklärung. Dieser Wille wird Erklärungsbewusstsein, oder auch Erklärungswille bzw. Rechtsfolgewille genannt. Die Terminologie ist hier nicht einheitlich. Bei den auf Abschluss eines Vertrages gerichteten Willenserklärungen wird zur Abgrenzung vom sog. Gefälligkeitsverhältnis sowie zur Abgrenzung des Angebots von einer „invitatio ad offerendum“ üblicherweise vom Rechtsbindungswillen gesprochen.[7] Es handelt sich lediglich um eine rein begriffliche Unterscheidung.


Mit dem Begriff des Erklärungsbewusstseins bzw. Rechtsbindungswillens bezeichnet man das Bewusstsein und den Willen, mit dem Verhalten überhaupt eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben und sich dadurch rechtlich binden zu wollen.[8]

c) Geschäftswille

104

Herkömmlicherweise wird zusätzlich noch der Begriff des „Geschäftswillens“ verwendet, um die klassischen Anfechtungsfälle des § 119 Abs. 1 im subjektiven Tatbestand begrifflich besser erfassen zu können.


Als Geschäftswillen bezeichnet man den Willen, mit einem Rechtsgeschäft ganz bestimmte Rechtsfolgen herbeizuführen.[9]

Während das Erklärungsbewusstsein nur das allgemeinere und vorgelagerte Bewusstsein des Erklärenden beschreibt, mit seinem Verhalten irgendetwas rechtlich Erhebliches zu erklären, geht es beim Geschäftswillen um die konkrete Geschäftsabsicht. Dabei ist zu beachten, dass derjenige, dem das Erklärungsbewusstsein bzw. der Rechtsbindungswille fehlt, natürlich auch keinen speziellen Geschäftswillen hat. Umgekehrt besitzt derjenige, der mit Geschäftswillen erklärt, auch das dazu notwendige Erklärungsbewusstsein.[10]

Beispiel 1

A grüßt seinen Bekannten B – er hat dabei weder Erklärungsbewusstsein noch Geschäftswillen;

Beispiel 2

A erklärt den Rücktritt von einem Kaufvertrag mit B – er hat sowohl Erklärungsbewusstsein als auch Geschäftswillen (nämlich eine konkrete Rücktrittsabsicht in Bezug auf einen bestimmten Vertrag);

Beispiel 3

A will seine alte Waschmaschine für 100 € über die Internetplattform von „eBay“ verkaufen, legt aber wegen eines Tippfehlers das „Sofortkauf–Angebot“ auf 10 € fest – er handelt mit Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen. Der Geschäftswille („Verkauf für 100 €“) ist aber unrichtig zum Ausdruck gekommen.

2. Objektiver Tatbestand: Erklärung eines Geschäftswillens

105

Für den objektiven Tatbestand der Willenserklärung genügt jedes menschliche Verhalten, das – ggfs. nach Auslegung – einen konkreten Geschäftswillen erkennen lässt.[11] Ein generelles Formerfordernis kennt unsere Rechtsordnung dabei nicht.

Ein Geschäftswille kann einmal ausdrücklich formuliert werden. Im Alltag wird ein Geschäftswille aber aus Zeitnot, mangelnder Formulierungslust oder aus Unwissen um die juristisch exakten Ausdrücke meistens gar nicht ausdrücklich erklärt. Da es gem. § 133 nie auf den „buchstäblichen Sinne des Ausdrucks“ ankommt, kann ein Verhalten auch ohne ausdrückliche Formulierung einen Geschäftswillen zum Ausdruck bringen.

Wir sprechen bei den nicht ausdrücklichen Erklärungen auch von einer „konkludenten“ Willenserklärung oder einer Erklärung durch „schlüssiges Verhalten“.

Beispiel

Wortlose Vorlage einer Zeitung am Kiosk kann als Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages über diese Zeitung verstanden werden.

Kopfnicken kann die Annahme eines Angebots bedeuten.

Das Einwerfen einer Münze in einen Automaten kann als Annahme der – wiederum konkludent – angebotenen entgeltlichen Leistung des Automatenaufstellers verstanden werden.

Die Formulierung eines Käufers gegenüber dem Verkäufer: „Ich will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben, da sie trotz mehrfacher Aufforderung meinerseits immer noch nicht geliefert haben und dies scheinbar auch nicht mehr vorhaben!“ bringt schlüssig einen Rücktrittswillen zum Ausdruck.

Die Grenze zum reinen „Schweigen“ im Sinne der Rechtsgeschäftslehre kann folglich nicht akustisch bestimmt werden. Ein lautloses Kopfnicken kann – je nach Kontext – eine konkludente Willenserklärung darstellen. Wir kommen darauf unter Rn. 204 ff. zurück.

3. Teil Die Willenserklärung › A. Überblick › III. Notwendigkeit der Auslegung

III. Notwendigkeit der Auslegung

106

Idealerweise kommt der Wille des Erklärenden im objektiven Erklärungstatbestand korrekt zum Ausdruck, so dass die von der Erklärung betroffenen Personen ihn richtig verstehen. Gelegentlich geht dieser „Transport“ des Willens durch die objektiv wahrnehmbare Äußerung daneben.

Beispiel

Sehen wir uns dazu noch einmal das Beispiel 3 von eben an: A will seine alte Waschmaschine für 100 € über die Internetplattform von „eBay“ verkaufen, legt aber wegen eines Tippfehlers das „Sofortkauf–Angebot“ auf 10 € fest. B ist über dieses „Schnäppchenangebot“ sehr erfreut und erklärt strahlend die Annahme.

Was gilt in den Fällen, in denen sich objektiver und subjektiver Tatbestand nicht decken? Genießt der innere, subjektive Wille den Vorrang vor dem objektiven Ausdruck oder verhält es sich gerade umgekehrt?

Einerseits scheint § 133 die Marschroute klar vorzugeben: „Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“. Es soll sich offenbar der tatsächliche Wille des Erklärenden durchsetzen. Dies wäre eine konsequente Umsetzung der Privatautonomie als Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen.

Auf der anderen Seite verraten uns die Anfechtungsmöglichkeiten nach §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1, die Sondervorschrift des § 116 S. 1 sowie die Auslegungsregel des § 157 aber, dass der tatsächliche Wille des Erklärenden gegenüber dem objektiven Erklärungstatbestand nicht ohne weiteres Vorrang beansprucht. Käme es nämlich tatsächlich ausschließlich auf den wahren Willen des Erklärenden an, liefen die Anfechtungsregeln der §§ 119 Abs. 1, 121 leer. Sie wären unnötig. Die dort bezeichneten Irrtümer über die „Bedeutung der Erklärung“ oder über die „Abgabe einer Erklärung diesen Inhalts“ könnte es nicht geben.

Unsere Rechtsordnung entscheidet sich bei fehlerhaften Formulierungen und Missverständnissen bewusst gegen eine einseitige Bevorzugung des tatsächlichen Willens des Erklärenden. Wäre der tatsächliche Wille des Erklärenden allein maßgeblich, würde damit eine erhebliche Unsicherheit in den Rechtsverkehr hineingetragen. Der Empfänger einer Erklärung muss sich mangels besseren Wissens in der Regel an den objektiven Ausdruck halten können. Von ihm kann nur verlangt werden, dass er die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ausschöpft und sich um eine verständige Interpretation bemüht. In dem Vertrauen auf seine – redliche – Interpretation ist der Empfänger schutzbedürftig. Der Erklärende hat es hingegen in der Hand, seine Erklärung klar und deutlich zu gestalten und etwaigen Missverständnissen vorzubeugen.

 

Daher gilt im Ergebnis:

Mit den Auslegungsregeln wird ein fairer Ausgleich zwischen der privatautonomen Selbstbestimmungsfreiheit des Erklärenden einerseits und dem Vertrauensschutz zugunsten der von der Erklärung betroffenen Personen andererseits geschaffen. Durch Auslegung kann eine Willenserklärung deshalb einen Inhalt bekommen, der nicht dem tatsächlichen Willen des Erklärenden entspricht. Es gilt nicht der tatsächliche, sondern der nach Auslegung verstandene Wille.

Wir gehen dabei sogar noch einen Schritt weiter: Bereits die Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, ist ebenfalls durch Auslegung zu entscheiden.[12]

Wir werden uns mit den Auslegungsregeln eingehend unter Rn. 192 ff. beschäftigen.

3. Teil Die Willenserklärung › A. Überblick › IV. Prüfungsreihenfolge

IV. Prüfungsreihenfolge

107


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In welcher Reihenfolge prüft man nun die verschiedenen Aspekte einer Willenserklärung im Gutachten?

Das Gesetz gibt uns hinsichtlich des Prüfungsaufbaus wichtige Hinweise. In § 130 Abs. 1 S. 1 heißt es, dass eine Willenserklärung, die in Abwesenheit des Empfängers „abgegeben wird“, in dem Zeitpunkt „wirksam wird“, wenn sie diesem „zugeht“. Die Abgabe ist nach diesem Modell der vorgelagerte Tatbestand, mit dem die Willenserklärung geschaffen und „ins Leben gerufen“ wird, also zustande kommt. Der Zugang baut auf der Abgabe auf und ist nach der Formulierung des § 130 Abs. 1 S. 1 Wirksamkeitserfordernis. Ferner ordnet § 105 Abs. 1 an, dass die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen nichtig ist. Die Geschäftsunfähigkeit ist damit Nichtigkeitsgrund in Bezug auf die Willenserklärung – wir können auch sagen: Wirksamkeitshindernis.[13]

Es gibt also auch bei der Willenserklärung die drei gedanklichen Ebenen: Zustandekommen, Wirksamkeitserfordernisse und Wirksamkeitshindernisse (= Nichtigkeitsgründe). Wie beim Rechtsgeschäft finden wir bei der Willenserklärung dieselben gedanklichen Prüfungsstufen wieder.[14]

Anmerkungen

[1]

Siehe oben unter Rn. 90.

[2]

Siehe oben unter Rn. 92.

[3]

Vgl. §§ 105, 107, 116–124, 130–133.

[4]

Urteil des BGH vom 7. November 2001 (Az: VIII ZR 13/01) unter II 3 b = NJW 2002, 363 ff.; BGH NJW 1993, 2100 unter I 1; Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 1.

[5]

Diese Aufteilung in drei Elemente entspricht den Erkenntnissen der Psychologie zur Zeit der Entstehung des BGB.

[6]

Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 1; Petersen „Der Tatbestand der Willenserklärung“, JURA 2006, 178, 180 unter Ziff. II 2a.

[7]

Siehe z.B. Urteil des BGH vom 4. Februar 2009 (Az: VIII ZR 32/08) unter Tz. 12 = BGHZ 179, 319 ff.; Urteil des BGH vom 18. Dezember 2008 (Az: IX ZR 12/05) unter Tz. 7 = NJW 2009, 1141 ff.

[8]

Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 605; Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 1, 4; Petersen JURA 2006, 178, 180 unter Ziff. II 2c.

[9]

Faust BGB AT § 2 Rn. 4; Brox/Walker Allgemeiner Teil des BGB § 4 Rn. 86; Petersen JURA 2006, 178, 180 unter Ziff. II 2b.

[10]

Der BGH verwendet die Begriffe „Erklärungsbewusstsein“ und „Geschäftswille“ demzufolge regelmäßig nebeneinander, z.B. in seinem Urteil vom 13. Juli 2005 (Az: VIII ZR 255/04) = NJW 2005, 2620 unter II 2; im Urteil vom 7. November 2001 (Az: VIII ZR 13/01) unter II 3b dd = NJW 2002, 363 ff.; BGHZ 91, 324 ff. – „Sparkassenfall“.

[11]

Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 1; Faust BGB AT § 2 Rn. 6; Petersen JURA 2006, 178, 179 unter Ziff. II 1.

[12]

BGH Urteil vom 7. November 2001 (Az: VIII ZR 13/01) unter II 3b aa = NJW 2002, 363 ff.; Palandt-Ellenberger Einf. v. § 116 Rn. 1, 2; Leenen BGB AT § 5 Rn. 36 f.

[13]

Leenen BGB AT § 6 Rn. 1 ff.

[14]

Siehe dazu noch einmal oben unter Rn. 89 ff.

3. Teil Die Willenserklärung › B. Die Abgabe einer Willenserklärung

B. Die Abgabe einer Willenserklärung

108


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Wir beginnen die Prüfung der konkreten Willenserklärung nach den eben gewonnen Erkenntnissen gedanklich also mit ihrer Abgabe.

Eine Willenserklärung kommt mit ihrer Abgabe zustande.[1] Ohne Abgabe ist die Willenserklärung „als solche noch nicht existent“.[2] Die Abgabe ist sozusagen die „Geburtsstunde“ einer Willenserklärung.

Wann und wie eine Willenserklärung abgegeben wird, ist im Gesetz allerdings nicht definiert. Auch der bereits angesprochene Tatbestand des § 130 Abs. 1 gibt uns darüber keine genauere Auskunft.

3. Teil Die Willenserklärung › B. Die Abgabe einer Willenserklärung › I. Abgabetatbestand

I. Abgabetatbestand

109

Für die Bestimmung der Abgabevoraussetzungen wird allgemein danach unterschieden, ob es sich um eine empfangsbedürftige oder um eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung handelt.

1. Empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen

110


Empfangsbedürftig ist eine Willenserklärung, deren Wirksamkeit den Zugang beim Empfänger erfordert.[3]

Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen werden hingegen – bei Fehlen von Wirksamkeitshindernissen – bereits mit ihrer Abgabe wirksam.[4]

111

Die Empfangsbedürftigkeit einer Willenserklärung ist der Regelfall, da die Wirkungen des mit ihr verfolgten Rechtsgeschäfts regelmäßig andere Personen betreffen, die darüber informiert werden müssen.[5]

Beispiele für empfangsbedürftige Willenserklärungen

Angebot und Annahme (Ausnahme: § 151), Anfechtungserklärung (vgl. § 143), Vollmachtserteilung (§ 167 Abs. 1), Zustimmungserklärung (§ 182 Abs. 1), Rücktrittserklärung (§ 349), Aufrechnungserklärung (§ 388 S. 1).

Hinweis

Das Gesetz kennzeichnet eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit der Formulierung: „Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist“, vgl. §§ 116 S. 2, 117 Abs. 1, 123 Abs. 2, 130 Abs. 1 S. 1.

112

Bei der Bestimmung des richtigen Empfängers einer empfangsbedürftigen Willenserklärung hilft Ihnen das Gesetz, indem es den Empfänger ausdrücklich bestimmt. Im Übrigen ergibt sich der richtige Empfänger aus der Logik des jeweiligen Rechtsgeschäfts.

Beispiele

Angebot und Annahme (Ausnahme: § 151) müssen dem jeweils anderen Vertragspartner zugehen; der Empfänger der Anfechtungserklärung wird mit Hilfe des § 143 bestimmt; bei der Vollmachtserteilung hilft § 167 Abs. 1, bei der Zustimmungserklärung § 182 Abs. 1, bei der Rücktrittserklärung § 349 und bei der Aufrechnungserklärung § 388 S. 1.

113

Entfaltet ein Rechtsgeschäft dagegen ausnahmsweise keine unmittelbaren Wirkungen gegenüber Dritten

Beispiele

Aufgabeerklärung nach § 959, Testament (§§ 2229 ff.)

oder entfalten Dritte typischerweise kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Erklärung,

Beispiele

Annahme nach § 151 (vgl. die Voraussetzungen in § 151 S. 1 Hs. 2) oder Auslobung (hier winkt auch dem Ahnungslosen eine Belohnung, § 657)

ist die Willenserklärung ausnahmsweise nicht empfangsbedürftig.

2. Abgabe einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung

114

Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen liegt Abgabe mit vollständigem Abschluss des Äußerungsvorganges durch den Erklärenden vor.

 

Eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung ist abgegeben, wenn sich der Erklärende willentlich geäußert und seinen Äußerungsvorgang nach außen erkennbar abgeschlossen hat.[6]

3. Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung

115

Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen genügt der erkennbare Abschluss des Äußerungsvorganges nicht. Vielmehr muss die Erklärung noch mit Willen des Erklärenden in Richtung auf die Person „auf den Weg gebracht werden“, die nach dem konkret zu prüfenden Rechtsgeschäft der maßgebliche Empfänger ist.


Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist (erst) abgeben, wenn die Erklärung mit Willen des Erklärenden in Richtung auf den maßgeblichen Empfänger so in den Verkehr gelangt ist, dass mit Zugang gerechnet werden kann.[7]

Beispiele für Abgabe gegenüber anwesendem Empfänger

Persönliche Übergabe eines Schreibens; mündliche Erklärung in üblicher Lautstärke gegenüber Empfänger.

Beispiele für Abgabe gegenüber abwesendem Empfänger

Beauftragung eines Boten (Post, eigener Mitarbeiter etc.) mit Übermittlung der Erklärung an namentlich bezeichneten Empfänger (z.B. Brief in adressiertem Umschlag);[8] Beauftragung eines Boten, einem bestimmten Empfänger eine mündliche Erklärung auszurichten.

116

Zwischen dem Vorbereiten der Erklärung und ihrer Absendung muss kein bestimmter Zeitraum liegen. Der Geschäftswille des Erklärenden kann weit vor dem Abgabezeitpunkt gebildet werden. Entscheidend ist allein, ob die spätere Versendung auf den Willen des Erklärenden zurückzuführen ist.[9]

Beispiele

Mieter M bringt sein an den Vermieter V gerichtetes Kündigungsschreiben erst nach Monaten zur Post;

auf eine aktuelle Bestellung des K im Internetshop des V verschickt ein Computersystem, das von V bereits vor einem Jahr dafür eingerichtet und programmiert worden war, automatisch eine Annahmeerklärung per E-Mail an den K. Nicht das Computersystem, sondern die Person (oder das Unternehmen), die es als Kommunikationsmittel nutzt, gibt die Erklärung ab.[10]

3. Teil Die Willenserklärung › B. Die Abgabe einer Willenserklärung › II. Abgabe bei zufälliger Kenntnisnahme?

II. Abgabe bei zufälliger Kenntnisnahme?

117


Eine zufällige Kenntnisnahme des richtigen Empfängers, mit der der Erklärende nicht rechnen konnte, ist keine Folge einer Abgabe „in seine Richtung“. Mangels ausreichender Abgabe liegt keine Willenserklärung ihm gegenüber vor, die dann durch Zugang wirksam werden könnte.[11]

Beispiel 1

Mieter M hört zufällig durch geöffnete Fenster, wie der unter ihm wohnende Vermieter V zu seiner Frau sagt: „Da M seine Miete schon wieder nicht gezahlt hat, kündige ich ihm.“ Hier kann keine Kündigungserklärung des V vorliegen, weil die Erklärung nicht in Richtung auf den M als maßgeblichen Empfänger abgegeben wurde.


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Beispiel 2

K will vom notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag mit V zurücktreten. Irrtümlich hält er den beurkundenden Notar für den richtigen Rücktrittsgegner (vgl. aber § 349) und erklärt in einem an den Notar gerichteten Schreiben den Rücktritt vom Kaufvertrag. Dieser bemerkt den Rechtsirrtum und leitet das Schreiben kurz entschlossen an den V weiter.[12] Hier kann keine Rücktrittserklärung des K vorliegen, weil die Erklärung nicht in Richtung auf den V als maßgeblichen Empfänger abgegeben wurde. Auf den Zugang des Schreibens bei V durch Weiterleiten des Notars kommt es somit nicht an.

3. Teil Die Willenserklärung › B. Die Abgabe einer Willenserklärung › III. Auswirkungen fehlenden Handlungswillens

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