Mord aus heiterem Himmel

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»Das ideale Versteck«, meinte der und holte einen Schlüssel hervor. Schloss und Riegel ließen sich leicht öffnen. Für das schwere Holztor galt das nicht. Zweifel wuchtete es auf. Melzick stellte sich neugierig neben ihn. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihre Augen sich an das trübe Licht im Innern des Schuppens gewöhnt hatten. Es roch nach Benzin, Gummi und Katze. Nach und nach erkannte sie im Hintergrund ein Fahrzeug, das, bis auf die Reifen, fast vollständig unter alten Pferdedecken verborgen war.

»Warten Sie hier«, sagte Zweifel und machte sich daran, die Decken zu entfernen und auf einer Tonne, die in der Ecke stand aufzustapeln.

»Das ist Mary«, sagte er schließlich. Für kurze Zeit verschlug es Melzick die Sprache. Vor ihr stand ein Auto, wie sie es nur aus den alten Doris Day-Filmen kannte, die sie früher immer mit ihrer Mutter angesehen hatte. Ein Cadillac-Cabrio aus den fünfziger Jahren, türkisfarben wie die Karibik, mit großen Doppelscheinwerfern, Weißwandreifen und cremeweißem Verdeck. Natürlich Lenkradschaltung, natürlich durchgehende Sitzbank vorne, natürlich im selben Cremeweiß.

»Und was ist das jetzt genau, Chef?«

»Cadillac Eldorado 1959!«

»Aha«. Ganz langsam trottete eine fette Katze mit mürrischem Gesicht unter dem Automobil hervor, würdigte sie keines Blickes und bewegte sich mit geradezu königlicher Gelassenheit an ihnen vorbei.«

»Und das ist wohl Garfield.«

»Keine Ahnung, wie er heißt. Er kümmert sich jedenfalls um die Mäuse und Marder«, sagte Zweifel und setzte sich hinter das große dünne Lenkrad. Melzick öffnete nach kurzem Zögern die schwere Wagentür und nahm neben ihm Platz.

»Man sitzt ja wie auf einem Sofa«, sagte sie und rutschte auf dem Sitz hin und her. »Und Sie wollen jetzt wirklich damit fahren?«

»Wonach sieht’s denn aus?«

»Kein Sicherheitsgurt, keine Kopfstützen, kein Airbag.«

»Und kein Navi, genau Melzick. Aus all diesen Gründen fahr ich damit herum.«

»Wir werden unauffällig sein wie die Feuerwehr«, meinte sie. Er deutete auf ihre Haarpracht.

»Seit wann legen Sie denn Wert darauf, nicht aufzufallen?« Darauf wusste sie erst einmal keine Antwort. Er startete den Wagen. Ein tiefes Blubbern erfüllte den Schuppen. Langsam, wie auf weichen Pfoten glitt der Wagen ins Freie hinaus. Von dem Kater war nichts mehr zu sehen.

7. Kapitel

Melzick dirigierte Zweifel mit zunehmender Begeisterung durch die Innenstadt und dann hinaus in Richtung Mindelheim.

»Ist das nicht etwas seltsam, seinem Auto einen Namen zu geben?«, fragte sie und beobachtete, wie Zweifel mit der Lenkradschaltung hantierte. »Und warum ausgerechnet Mary?« Zweifel schaute kurz zu ihr hinüber.

»Werfen Sie mal einen Blick ins Handschuhfach.« Melzick gehorchte.

»Da liegt ein Briefumschlag«, sagte sie.

»Und was steht drauf?« Sie nahm das vergilbte Kuvert heraus.

»Für Mary W.«, las sie vor. »Abgestempelt am 26.07.60 in – das kann man kaum entziffern …«

»In Key West«, sagte Zweifel. »Das liegt ganz im Süden von Florida.«

»Und was ist mit dem Nachnamen?«

»Den hat jemand unkenntlich gemacht.« Melzick untersuchte den Umschlag genauer. Das Schriftbild erinnerte sie an etwas. Diese Schreibmaschinenschrift …

»Aber der Brief ist ja ungeöffnet«, sagte sie überrascht, als sie ihn umdrehte. Zweifel nickte.

»Der Händler in Florida sagte mir, dass der Brief zu diesem Auto gehört. Keiner der Vorbesitzer hat es je gewagt, ihn zu öffnen.«

»Und Mary hat nie erfahren, was drinsteht?« Zweifel nickte wieder. »Okay, das kann ich als Grund akzeptieren«, sagte Melzick und legte den Brief wieder zurück.

»Da vorne müssen wir links abbiegen und dann sind es noch ein paar hundert Meter.« Sie waren irgendwo zwischen Bad Wörishofen und Mindelheim. Ein Aussiedlerhof tauchte in der Ferne zwischen einigen Pappeln auf. Zweifel brachte den Wagen etwa zweihundert Meter vor ihrem Ziel zum Stehen.

»Ist vielleicht klüger so«, meinte Zweifel und zog den Zündschlüssel ab. Sie stiegen aus und schauten sich um. Auf den weiten Feldern ringsum war niemand zu sehen. Auch der Hof schien menschenleer als sie sich zu Fuß näherten. Ein klappriger roter Transporter stand vor der Holzscheune, die sich im rechten Winkel zum Wohnhaus befand. Ein heruntergekommenes Gewächshaus mit etlichen zerbrochenen Scheiben wiederum stand ebenfalls im rechten Winkel zur Scheune, so dass die drei Gebäude ein U bildeten. Das Scheunentor stand einen Spalt weit offen. Melzick und Zweifel schauten sich an.

»Wir probieren es erst mal am Haus«, entschied Zweifel. »Sind Sie sicher, dass wir richtig sind?« Melzick deutete zur Antwort auf den Transporter, den sie nun von der Seite sahen. In gelben, teilweise schon abgeblätterten Buchstaben stand dort: »Valentin Lindberg – wo wir sind, ist oben« und daneben war ein stilisierter Heißluftballon zu erkennen. Zweifel suchte vergeblich nach einer Klingel und stieß dann kurzentschlossen die Haustür auf, die nur angelehnt war. Es roch durchdringend nach Apfelessig. Ein langer dunkler Flur führte ganz durchs Haus und endete an einer Glastür, dem Hintereingang, die von einem dunklen Vorhang größtenteils verdeckt war. Gleich am Eingang stand ein kleines Schränkchen an der Wand, darauf ein paar Briefe, darüber ein verschmierter Spiegel an der Wand, hinter dem ein paar vergilbte Postkarten klemmten. Auf einer davon war das Matterhorn zu erkennen.

»Hallo, jemand zu Hause?«, rief Zweifel. Sie lauschten. Es blieb still. Irgendwoher war ein unregelmäßiges Hämmern zu hören, aber das kam von draußen. Zweifel nahm die Briefe in die Hand. Melzick ging an ihm vorbei weiter in den Flur hinein.

»Das sind alles Mahnungen, wie es aussieht«, sagte Zweifel. Melzick hatte die erste Tür zur Rechten erreicht.

»Scheint das Wohnzimmer zu sein«, sagte sie und ging weiter.

»Hallo Herr Lindberg, Sie haben Besuch!«, rief Zweifel nun etwas lauter. Doch noch immer regte sich nichts. Das Hämmern hatte aufgehört. Melzick blickte Zweifel an. Der zuckte mit den Schultern.

»Das Auto steht ja da. Also kann er nicht weit sein. Ist das da vorn die Küche?« Melzick schaute zur nächsten Tür, diesmal auf der linken Seite, hinein und schüttelte den Kopf.

»Nee, ist das Badezimmer.« Allmählich kam sie sich vor wie in einem Hitchcock-Film. Welcher war das nochmal, wo die Farmersfrau langsam in das Haus des Nachbarn geht und ihn dann im letzten Zimmer … »Die Vögel«, sagte Melzick ungewollt laut und blieb abrupt stehen.

»Schon gut, Melzick, ich weiß was Sie meinen«, sagte Zweifel. Das war einer der Gründe, warum sie gern mit ihm zusammenarbeitete. Sie musste ganz selten etwas erklären. Fast immer schien er die gleichen Gedanken zu haben, oder ihre sogar lesen zu können. Sie waren fast am Ende des Flurs, wo nur noch wenig Licht hinkam. Die letzte Tür auf der rechten Seite stand ebenfalls offen.

»Lassen sie mich mal vor …«, wollte Zweifel gerade sagen, als die verhängte Glastür mit einem plötzlichen Ruck aufgestoßen wurde. Beide fuhren herum und hielten unwillkürlich die Luft an. Vor ihnen stand ein untersetzter Bulle von Mann, kaum größer als Melzick, blonde Stoppelhaare, ein rotes, verschwitztes Gesicht hinter einem ungepflegten Vollbart, kleine, blaue Augen hinter einer Nickelbrille, blauer Kittel, kurze Hosen, barfuß. Einen schier endlosen Augenblick starrten die drei sich an und es ließ sich nicht entscheiden, wer verblüffter war. Der Mann fand als erster seine Sprache wieder.

»Was wollts ihr denn hier, ha?«, schnauzte er sie an. Melzick schaute Zweifel an. Der kannte seinen Text.

»Ich bin Kommissar Zweifel, das ist«, er deutete leicht auf Melzick, »meine Assistentin Melinda Zick, und Sie sind«, dabei machte er eine Pause und lächelte sein Gegenüber freundlich an, »sicher Herr Valentin Lindberg.« Der Mann stutzte verblüfft und schaute von einem zum andern. Später sollte Melzick sich daran erinnern, dass sie den Eindruck hatte, als ob er fieberhaft nachdächte. Er wischte sich mit der rechten Hand übers Gesicht, wie um Zeit zu gewinnen. Dann zog er ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich ausgiebig. Schließlich schob er sich wortlos an ihnen vorbei in die Küche. Erleichtert bemerkte Melzick, dass sie ihm wohl nicht die Hand zu schütteln brauchten. Er stand vor dem Kühlschrank und holte sich eine Bierdose heraus. Dann schien ihm etwas einzufallen. Er drehte sich um und kniff die kleinen Augen zusammen.

»Wolltsr aa oins?« Zweifel wurde schlagartig bewusst, dass er die Briefe noch in der Hand hielt.

»Warum nicht, sehr gerne. Sie auch Melzick?« Diese schüttelte den Kopf. Zweifel nahm die Dose, die Lindberg ihm entgegenstreckte und hielt ihm mit der anderen Hand die Briefe unter die Nase.

»Etwas unangenehme Post, wie?« Lindberg zuckte ungerührt mit den Schultern.

»Schmarrn. Das Übliche eben. Drecksbande.« Melzick war nicht ganz klar, wen er damit meinte. Es zischte zweimal kurz, als die Männer ihre Bierdosen öffneten. Melzick ging zum Fenster und spähte hinaus. Die Scheune stand jetzt weiter offen. Im Innern schien sich etwas zu bewegen.

»Also, was wollts von mia?«, sagte Lindberg und rülpste geräuschvoll. Melzick drehte sich um.

»Haben Sie gehört, was heute Morgen hier in der Gegend passiert ist?«, fragte Zweifel, nachdem er seine Dose halb geleert hatte.

»Naa. I kriag nix mit. Meischtens.«

»Man hat jemanden tot im Kurpark gefunden. Abgestürzt. Aus einem Ballon. Zumindest deutet alles darauf hin.«

»Sakra!« Lindberg trank aus und warf seine leere Bierdose in den Mülleimer. »Und wer, bittschön, is’ die Leich’?«

 

»Professor Abraham Mindelburg«, sagte Melzick.

»Kenn i idd.« Melzick räusperte sich und warf Zweifel einen schnellen Blick zu.

»Ich schau mich draußen mal um«, meinte sie beiläufig. Zweifel nickte. Lindberg kniff seine kleinen Augen wieder zusammen und wollte etwas erwidern. Dann überlegte er es sich anders. Melzick verschwand aus der Küche und nahm den Hinterausgang, durch den Lindberg hereingekommen war.

»Wie gehen die Geschäfte?«, fragte Zweifel. Lindberg machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Mei, wie sollns schon goa. Miserablig halt. Des sehns doch, wanns Auga im Kopf hend.«

Melzick war draußen. Sie schaute sich nach allen Seiten um. Dann lenkte sie ihre Schritte zur Scheune hin. Wieder kam ihr ein Hitchcock-Film in den Sinn. Die Szene, in welcher der Detektiv mit dem seltsamen Namen, Arbogast oder so ähnlich, sich langsam dem unheimlichen Haus hinter dem Motel nähert. In der brütenden Mittagshitze krabbelte ganz langsam ein Tausendfüßler mit eiskalten Füßen ihren Nacken hinab. Sie schüttelte sich unwillig. In diesem Moment begann wieder das unregelmäßige Hämmern, das sie vorhin gehört hatten. Sie blieb stehen und schaute über die Schulter zum Wohnhaus zurück.

»Keine Touristen, die sich das Allgäu mal von oben ansehen wollen?«, fragte Zweifel. Lindberg schnaubte verächtlich durch die Nase und holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank.

»Des kennans vergessn«, brummte er, nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »De fliagn glei mitm Flugzeug. Hend mir ja alles da. Flughafen und so. Rundflug bis zu die Alpen und zruck. Oder se hüpfad mitm Fallschirm raus.« Er schüttelte den Kopf. »Maximal vielleicht mitm Segelfliagr. Aber des Ballonfahrn – naa. Da gibts koa Adrenalin zum vaschenkn, vaschdengas?« Zweifel wunderte sich.

»Hätte ich nicht vermutet. Das Ballonfahren ist doch was …«, er suchte nach dem passenden Begriff, »was Echtes, Ursprüngliches. Das Langsame kommt doch wieder ganz groß in Mode.«

»Davon hend i hier abr no nix gmerkt.«

»Wann waren sie denn zuletzt in der Luft?«, sagte Zweifel und nahm einen Schluck. Lindberg verschränkte die Arme, und behielt dabei die Bierdose in der Hand.

»Warum wollns jetzad des wissen?«

»Reine Routinefrage. So heißt es doch immer beim Tatort.« Zweifel lächelte beschwichtigend, doch ohne Wirkung. Lindberg ging zum Fenster und suchte den Hof ab. Melzick war nicht zu sehen.

»Wo ischn ihre Assistentin hin verschwundn?«

Der Geruch von Heu stieg ihr in die Nase, als sie vorsichtig die Scheune betrat, ohne das Tor weiter öffnen zu müssen. Sie wartete kurz, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Das Hämmern kam jetzt aus unmittelbarer Nähe. Es wurde begleitet von stoßweisem Ausatmen und einem angestrengten Ächzen. Jemand ganz in der Nähe hatte sich wohl eine harte Arbeit vorgenommen. Das erste was sie erkennen konnte, war ein Stapel dicker Holzbretter, der ihr bis über den Kopf ragte. Davor lag ein altes Kinderdreirad auf der Seite im Staub. Eine riesige Drehbank stand an der Schmalseite der Scheune zu ihrer Linken. Sie schaute nach oben. Etwa zehn Meter über ihr ruhten gewaltige Balken, die sich quer durch den ganzen Raum zogen. Darüber erhob sich das steile, spitzgiebelige Dach. In der staubigen Düsternis dort oben zitterte ein Lichtstrahl und malte einen nervösen hellen Punkt irgendwo an die hohe Bretterwand. Rechts vom Eingangstor war ein Bretterverschlag zu erkennen, ein kleiner vom Rest der riesigen Scheune abgeteilter Raum. Von dort kam das Hämmern. Eine schmale Holzleiter lehnte an seiner Seitenwand. Melzick ging hin und erklomm kurz entschlossen ein paar Sprossen. Oben auf dem Verschlag lagen ein paar vergessene Heuballen. Dazwischen standen grob zugehauene Holzskulpturen. Sie kletterte die Leiter wieder hinunter und musste plötzlich heftig niesen. Jemand schrie vor Schreck.

»Keine Ahnung, Sie haben doch nichts dagegen, dass sie sich umschaut?«

»Des Umananderschnüffeln mog i idd.«

»Ja. Gut. Also wann war jetzt Ihre letzte Ballonfahrt?«, beharrte Zweifel. Lindberg leerte die zweite Dose und knüllte sie zusammen. Dann fixierte er den Kommissar über seine Nickelbrille hinweg, die ihm auf die Nase gerutscht war. Zweifel registrierte sorgfältig die Schweißtröpfchen, die sich auf der Stirn seines Gesprächspartners gebildet hatten.

»Mei, werd’ scho zwei oder drei Wochn her sei«, war die brummige Antwort.

»Und wie viele Passagiere hatten Sie?«

»Zwoa. A junges Ehepaar ausm Norden.«

»Den Namen wissen Sie noch?«

»Naa den woiß i idd«, war die patzige Antwort. Wieder sah er durchs Fenster nach draußen, ohne diese »Polizeiwanze« zu entdecken. Dann blitzte etwas in ihm auf und er drehte sich zum Kommissar um.

»Aber i habs aufgschriebn.« Zweifel hob auffordernd beide Augenbrauen. »Momenterl«, sagte Lindberg und verschwand. Zweifel hörte, wie er im angrenzenden Zimmer eine Schublade aufzog. Gleich darauf kam er zurück, einen grimmigen Zug um die Mundwinkel.

»Da hend mias scho«, dabei hielt er einen Notizzettel dicht vor seine Augen. »Sie hieß – liebliche Luftfee, Prinzessin über den Auen von Mindelheim – und er …« Doch Zweifel fiel ihm ins Wort.

»Was soll das, Herr Lindberg? Hatten Sie den Eindruck, dass ich zum Spaß hier bin?« Ihm war jetzt klargeworden, welcher Ton hier angebracht war. Langsam, drohend ruhig und betont Hochdeutsch sagte er: »Halten Sie es für sinnvoll, mich hier zu verarschen? Heute Morgen wurde ein Achtzigjähriger in voller Tötungsabsicht aus einem Heißluftballon geworfen und Sie sind der einzige Ballonfahrer weit und breit. Also, denke ich mal, ist es naheliegend, dass ich mich zu Ihnen bequeme und ein paar freundliche Fragen stelle. Und ich denke, dass ich ein paar klare Antworten verdient habe! Es sei denn, Sie legen Wert darauf, als Hauptverdächtiger mit mir zu kommen! Habe ich mich verständlich ausgedrückt?« Zweifel hatte, während er sprach, gewusst, wie er seine Einsneunzig vor dem kleinen Dicken am besten zur Geltung brachte. Dieser ließ sich zwar nicht einschüchtern. Ihm dämmerte jedoch, dass mit Zweifel nicht zu spaßen war. Er hustete nervös und fuhr sich mit der Rechten über das schweißfeuchte Gesicht.

»Scho recht. Scho recht. Nur idd glei grantig wern.« Er inspizierte seinen Zettel. »Nele und Christian Anders. Westerland. Des isch auf Sylt.« Zweifel notierte sich die Namen.

»Gut, haben Sie heute Morgen über Bad Wörishofen einen Ballon bemerkt?«

»Noi. Nach meiner Nachtschicht bin i froh, wenn i mi aufs Ohr legn koo. I bin um kurz vor acht hier gwesn. Von Landsberg brauch i etwa a halbe Schtund. I hob da nix bmerkt.« Zweifel nickte.

»Und Sie arbeiten wo?«

»Industriegebiet. Elektronikfirma. Nachtpforte.« Nachdem Zweifel sich auch den Namen der Firma notiert hatte, trank er sein Bier aus und warf die Dose in den Mülleimer.

Melzick wischte sich die Nase und rief: »Hallo, jemand da?« Keine Antwort. Es blieb still. Als sie um die Ecke des Verschlags bog, stand sie vor einem etwa siebzehnjährigen Jungen, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Blonde Stoppelhaare, kleine, eng stehende, blaue Augen, verschwitztes unrasiertes Gesicht, einen Hammer und einen Beitel in den großen Händen, saß er vor ihr in einem Rollstuhl, der in der offenen Tür stand.

»Oh!«, keuchte Melzick vor Überraschung, »ich, äh, wollte dich, äh Sie, nicht erschrecken.« Der Junge starrte sie durch seine Nickelbrille an und sagte kein Wort. Hinter ihm stand auf einem massiven Sockel die Skulptur, an der er gerade gearbeitet hatte. Der Boden war mit Holzspänen übersät. In einer Ecke lagen mehrere Zeitschriften, und Kataloge. Irgendwas Technisches, soweit sie das erkennen konnte. Durch ein kleines, staubiges Fenster kam Tageslicht, das gerade mal so ausreichend schien für seine Arbeit.

»Sind Sie der Sohn von Herrn Lindberg?« Vorsichtshalber vermied sie das Du. Der Junge reagierte nicht. »Mein Name ist Zick, Kriminalpolizei.« Kleine blaue Augen, die sie ausdruckslos anstarrten. Eine schwitzende rötliche Stirn, hinter der sich etwas zusammenbrauen mochte.

»Wir untersuchen einen Mord, der heute Morgen in Bad Wörishofen passiert ist.« Stummer Blick. »Verstehen Sie mich überhaupt?« Melzick hatte unwillkürlich lauter gesprochen. Als Antwort legte der Junge Hammer und Beitel in seinen Schoß, griff an die Reifen seines Rollstuhles und drehte ihn langsam um. Die Holzspäne knirschten leise. Er bewegte sich etwas vorwärts, nahm sein Werkzeug wieder auf und bearbeitete das unförmige Holzgebilde vor sich mit kräftigen und konzentrierten Schlägen. Melzick begriff, dass ihr Gespräch, wenn man ihren Monolog so nennen wollte, beendet war. Erst als sie gedankenversunken die Scheune verließ, fielen ihr die vielen schmalen Reifenspuren auf dem staubigen Boden auf. Die Fußspuren, die darüber lagen konnten nicht von ihr stammen.

»Wir werden das überprüfen, Herr Lindberg«, sagte Zweifel.

»Tuns was idd lassa kenna. Isch mir egal.«

»Danke für das Bier.« Lindberg winkte ab. Zweifel war schon im Flur, als ihm noch etwas einfiel.

»Wo ist Ihr Ballon jetzt eigentlich?« Lindberg war ihm wie ein Wachhund gefolgt.

»Der isch gut verpackt im Hänger.«

»Ich hab’ draußen aber nur Ihren Transporter gesehen.«

»Des kann i mir denka.« Zweifel schaute ihn fragend an. »Garage«, sagte Lindberg, »hinterm Haus.«

»Gut, dann würde ich mir das gerne mal ansehen.«

»Herrschaftszeitn!«, stöhnte Lindberg und drängte sich unwirsch am Kommissar vorbei. Wenig später hatte Zweifel sich von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt. Als sie ums Haus bogen, stand Melzick vor ihnen. Sie schaute auf Lindbergs bloße Füße.

»Was gefunden, Melzick?«, fragte Zweifel. Sie begegnete Lindbergs Blick, ohne sich etwas anmerken zu lassen und schüttelte dann den Kopf. Warum, wusste sie in diesem Moment selbst nicht. Es war ihre zweite Lüge an diesem Tag. Zweifel wandte sich nochmals an Lindberg.

»Wenn Ihnen etwas zu Ohren kommt in Ballonfahrerkreisen sozusagen, rufen Sie mich an.« Er gab ihm seine Visitenkarte. Lindberg nahm sie widerwillig entgegen.

»Ballonfahrerkreise – ha!«, war sein verächtlicher Kommentar. Zweifel schaute Melzick prüfend an.

»Können wir gehen?«

»Sicher.« Wieder vermieden sie erfolgreich ein Händeschütteln und ließen Lindberg auf dem Hof stehen.

»Was macht er?«, fragte Zweifel, als sie etwa fünfzig Meter entfernt waren. Melzick holte einen kleinen Taschenspiegel aus ihrer Hosentasche.

»Steht da und glotzt uns hinterher.« Etwas an ihrem Tonfall machte Zweifel stutzig.

»Also, was haben Sie entdeckt?«, sagte er, als sie am Wagen angelangt waren. Sie berichtete ihm von ihrer Begegnung in der Scheune.

»Er muss kurz vorher bei seinem Sohn gewesen sein.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Plattfüße. Die Spuren hätten sogar Sie lesen können.« Zweifel schaute zu ihr rüber.

»Ah ja? Na – ich werde mal den Kater fragen. Der kennt sicher die Familiengeschichte.« Melzick schaute ihn verständnislos an. Zweifel lauschte seinem Satz hinterher und verstand ihren Blick. »Ich meinte den Zweibeinigen«, sagte er, ohne die Miene zu verziehen.

Die beiden Schnüffler waren in ihren Amischlitten eingestiegen und weggefahren. Valentin Lindberg hatte ihnen hinterher gesehen, bis die weiße Staubfahne sich langsam wieder über den Feldweg gesenkt hatte. Dann atmete er tief durch. Das war gerade nochmal gut gegangen. Er lief zu seinem Transporter, in dem die Lösung seiner Probleme unter einer Plane versteckt lag. Er stieg ein und fuhr rückwärts zur hinteren Seite des Gewächshauses, dorthin wo etliche Scheiben zerbrochen waren und das Gestrüpp undurchdringlich wucherte. Dieser Ort war von außen uneinsehbar. Dieser Ort war ideal. Kein Mensch käme auf die Idee, hier nach dem zu suchen, was er jetzt mit großer Mühe und unter Aufbietung seiner enormen körperlichen Kräfte deponierte. Nach einer Viertelstunde schweißtreibender Plackerei stand er neben dem Transporter und begutachtete sein Werk. Er schnaufte zufrieden. Dieser Ort war wirklich ideal. Er warf die Gummistiefel, die er sich zum Schutz vor Dornenranken und Brennnesseln angezogen hatte auf den Beifahrersitz. Dann fuhr er den Transporter zurück auf den Hof, dachte kurz an ein weiteres Bier, verscheuchte diesen Gedanken und ging in die Scheune, wo sein Sohn sicher schon auf ihn wartete.

»Hör mal kurz auf, Frido«, sagte er zu ihm, als er den Verschlag betrat. Der Junge im Rollstuhl hob beide Hände und ließ sein Werkzeug demonstrativ auf den Boden fallen. Dann drehe er sich zu seinem Vater um.

 

»Die war hier drin«, sagte er und schlug mit der rechten Hand auf den schmalen Reifen seines Rollstuhles. »Die war hier!«, wiederholte er laut.

»Hab’ i mir doch glei denkt, des Luder. Und? Was hatse wolln?«

»Die war auch kurz auf der Leiter draußen, glaub ich. Dann kamse her und hat sich vorgestellt.«

»Und?«

»Ich hab’ sie nur angeschaut. Und dann hab’ ich mich einfach umgedreht. Wahrscheinlich hält sich mich für taub oder blöd. Jedenfalls ist sie wieder weg, als ich nix gesagt hab.«

»Das war clever.«

»Was wollte die hier? Hast du mit ihr geredet? Polizei, hatse gesagt. Komische Polizei. Kann ich gar nicht glauben, so wie die ausgesehen hat. Ausweis hatse mir jedenfalls keinen gezeigt.«

»Die war mit ihrem Chef da. Mit dem hab i gredt. Irgendso an Unfall hats gebn, mitm Ballon. Da kommens halt zu mir. Des betrifft uns aber idd.« Frido schaute seinen Vater lange an.

»Dann kann ich ja weitermachen«, sagte er schließlich und streckte seine Hände aus. Lindberg zögerte, dann bückte er sich, um das Werkzeug für seinen Sohn aufzuheben. Dieser riss es ihm unwillig aus den Händen.

»Ich will niemanden haben hier drinnen, kapierst du das? Niemanden! Nie wieder!«, schrie ihn der Junge an und schlug zu. Lindberg blieb noch eine Weile stehen und sah zu wie die Holzspäne unter den wütenden Schlägen seines Jungen durch die staubgeschwängerte Luft flogen.

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