Mord aus kühlem Grund

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4. Kapitel

»Ein Spitzer, ein Küchenschwamm, ein Kieselstein, ein Ehering, der Größe nach zu urteilen vom Ehemann, vier Kinokarten, gültig für heute Abend für den Film ›Flammendes Inferno‹, das ist ein ziemlich alter Schinken, eine Packung Räuchertofu, ungeöffnet, was mich nicht wundert, ein Apothekerfläschchen mit Tabletten, zwei Herrenbadehosen mit zweifelhaftem Muster, eine Taschenlampe, sechs große Badetücher oder Saunatücher, eine Packung Zigaretten, Marke Gauloises, wusste gar nicht, dass es die noch gibt, eine Kondolenzkarte, mit Tinte geschrieben und daher komplett unleserlich, ein Einkaufszettel, mit Bleistift geschrieben, teilweise leserlich, ein Studentenausweis der psychologischen Fakultät an der LMU München, lautend auf Lukas Freun, eine Lupe, drei Sonnenbrillen, alle kaputt, sieben, nein acht Handys, unheimlich hinüber, ja – ich glaube, das wäre alles. Fehlt nur noch eine Angelrute und ein Eimer Holzkohlen.« Penny Stock holte tief Luft, nahm die Lupe und wog sie in der Hand. »Schon teilweise krass, was die Leute so alles mitnehmen, wenn sie in die Sauna gehen.« Sie befanden sich in Fischlis Büro. Vor ihr lag auf dem Metalltisch ausgebreitet das Sammelsurium an Gegenständen, die sie und ihre Assistenten aus dem Vitalbecken, dem Außenbecken und den Whirlpools gefischt hatten. Sie reichte Zweifel die akkurate Liste. Der junge Bademeister stand daneben und nickte.

»Sie würden sich wundern, was wir da schon alles gefunden haben.« Melzick und der Kommissar waren kurz vorbeigekommen, um sich einen Überblick zu verschaffen, bevor sie mit den übriggebliebenen Badegästen sprachen. Melzick nahm zielsicher einen Gegenstand vom Tisch und hielt ihn in die Höhe.

»Das fehlt auf deiner Liste, Penny, was ist das?«, fragte sie und betrachtete neugierig von allen Seiten einen kleinen schwarzen Kasten. Penny Stock räusperte sich verlegen.

»Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich das Ding bezeichnen soll. Ist wohl irgendwas Technisches, aber ich will da ganz genau sein und erstmal im Internet recherchieren. Die Kollegen konnten mir auch nicht weiterhelfen.« Zweifel nahm den Kasten prüfend in die Hand.

»Ähm, vielleicht …«, meldete sich der junge Bademeister zu Wort, »vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen.« Sie drehten sich alle drei zu ihm um. »Ich glaube, das ist ein Gerät, mit dem man alle möglichen Produkte erkennen kann, in Supermärkten, Geschäften, Kaufhäusern und so. Blinde benutzen sowas.«

»Warum hab ich Sie nicht schon eher gefragt«, seufzte Penny Stock. »Jetzt müssen wir nur noch den blinden Besitzer ausfindig machen«, sagte Zweifel.« Außer dem Studentenausweis lässt sich ja sonst nichts von dem Zeug eindeutig zuordnen. Sie haben alles genau inspiziert, Penny?

Irgendwelche Anhaltspunkte?« Sie schüttelte den Kopf. »Alles fotografiert?« Sie nickte. »Gut, die Sachen bleiben erstmal hier, bis diese Angelegenheit aufgeklärt ist. Wenn die Eigentümer sich melden sollten«, damit wandte er sich wieder an den jungen Bademeister, »dann notieren Sie bitte Namen, Adresse und Telefonnummer und sagen den Leuten, dass wir uns bei ihnen melden.« Es klopfte. Der Dienstälteste der sechs Beamten, die sich in der Zwischenzeit mit etwa fünfzig mehr oder weniger aufgeregten Badegästen unterhalten und die Personalien aufgenommen hatten, stand vor der Tür. Da Fischlis Büro mit vier Personen fast schon überfüllt war, ging Zweifel zu ihm hinaus auf den Flur des kleinen Verwaltungsbereiches.

»Wir sind fertig mit den Befragungen, Herr Kommissar.« Er überreichte Zweifel einen Stapel DIN-A4-Blätter. »Das sind die Aussagen der Leute. Mehr oder weniger ähnliche Schilderungen. Wir haben alle befragt, die noch da waren.« Zweifel nickte anerkennend.

»Also haben Sie mir keinen mehr übriggelassen?«, fragte er. Der Mann riskierte ein millimetergroßes Schmunzeln.

»Doch, es gibt noch jemanden. Der will nur mit dem ›großen Boss‹ reden, wie er sagt.« Zweifel zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ich nehme an, damit hat er Sie gemeint«, ergänzte der Mann, ohne eine Miene zu verziehen. Zweifel überflog die Blätter, während der Beamte neben ihm wartete. Die Aussagen waren allesamt wörtlich protokolliert worden:

»So etwas hab ich noch nie gehört. Als wenn ein Tier abgeschlachtet wird.«

»Markerschütternd. Ich hab Gänsehaut gekriegt.«

»Wir konnten unseren Jungen gar nicht mehr beruhigen, so eine Angst hat er bekommen.«

»Eine Schweinerei ist das, ich werde mich beschweren.«

»Ein Albtraum, ein richtiger Albtraum. Ein Wunder, dass wir da heil rausgekommen sind.«

»Die Schreie werd’ ich nie vergessen. Die krieg’ ich nie mehr aus meinem Kopf raus.«

»Wir wollten einfach nur raus, nichts wie raus, aber da war kein Durchkommen, die Leute waren wie durchgedreht.«

»Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man an so eine Glasscheibe gequetscht wird? Ich war absolut machtlos. Die haben mir die Luft aus den Lungen gequetscht.«

»Mein Mann ist ohnmächtig geworden, und ich bin ja nur ’ne alte Frau. Ich konnt’ ihm nicht helfen. Ich dachte, es ist vorbei. Jetzt ist es vorbei.« Zweifel hob seinen Blick und schaute den Beamten an. Der nickte ernst.

»Es ist unglaublich, dass niemand ernsthaft verletzt wurde.«

»Was ist das für einer, der nur mit mir reden will?«

»Ich führ sie zu ihm.« Melzick stand bereits hinter Zweifel. Sie nahm ihm die Blätter ab.

»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie Sie von der Sache hier Wind bekommen haben«, sagte Zweifel, während sie dem Beamten folgten.

»Erzähl ich später«, antwortete sie.

»Das hab ich heute schon mal gehört.«

»Versprochen!«

»Hier entlang, Herr Kommissar.« Sie waren in der Massageabteilung angekommen. Hier gab es eine Reihe von kleinen, abgeteilten Räumen, die sich sehr gut für die Befragungen geeignet hatten. Einige Angestellte standen, mit Plastikbechern in der Hand in der Nähe herum, nervös und ratlos und auf irgendwas wartend. Zweifel ignorierte sie. Der Beamte führte ihn und Melzick hinter die Empfangstheke und einen schmalen Gang entlang. Links und rechts die Kabinen waren alle leer. Schließlich blieb er stehen und nickte dem Kommissar zu.

»So, Herr Mayrhubr, ohne ›e‹, hier kommt der ›große Boss‹.« Auf einer Massagebank lag ein Zweizentnerkoloss um die sechzig auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er richtete sich rasch auf und streckte Zweifel eine schwer beringte Pranke entgegen. Bei seinem Anblick blieb Melzick die Spucke weg. Silbergraue Haarmähne bis auf die Schultern, schwarze Sonnenbrille mit runden Gläsern, beidseitig silberne Ohrringe, breites, schwarzes Stirnband, grobkariertes, bis zu den Ellbogen hochgekrempeltes Holzfällerhemd, verblasste Tattoos auf den muskulösen Unterarmen. Auch der Rest der schwarzen Kleidung – Weste mit silbernen Knöpfen und langen Fransen, breiter Gürtel mit großer Silberschnalle, klobige Motorradstiefel – war stilecht. Mit einem Wort: Ein lupenreiner Altrocker.

»Ich habe Sie schon erwartet, Kommissar. Sie sind doch Kommissar?«, ließ er eine angenehme Bassstimme ertönen. Zweifel ergriff seine Hand, die irgendwo zwischen ihnen schwebte.

»Ja, das bin ich. Adam Zweifel.«

»Von A bis Z ein Polizist, das hört man sofort.«

»Das ist meine Assistentin, Melzick.« Der Mann ließ die Hand einfach in der Luft hängen, wo Zweifel sie losgelassen hatte. Sein Gesicht mit den schwarzen Augengläsern blieb unbewegt, bis Melzick zögernd seine Hand ergriff.

»Ah, junge Verstärkung, bin begeistert«, sagte er in seinem ruhigen Ton und hielt ihre Hand für Melzicks Geschmack ein paar Sekunden zu lange fest. »Wie Ihr Kollege schon sagte, ich bin der Mayrhubr und zwar ganz ohne ›e‹. Ist wohl irgendwann im Lauf der Jahrhunderte verlorengegangen. Als Ausgleich hat mein alter Herr meinem Vornamen ein ganz großes ›E‹ verpasst. Von der Stimme her haben Sie das passende Alter, um von selbst darauf zu kommen, Kommissar.« Zweifel tauschte mit Melzick einen amüsierten Blick. Dann räusperte er sich.

»Na ja, ich vermute mal, zu Ihrem Nachnamen passt Elvis wohl am besten.«

»Ha!«, ließ Mayrhubr einen Schrei los und klatschte in die Hände. »Ich sehe schon, wenn Sie mir die Behauptung gestatten, Herr Kommissar, ich habe es mit Intelligenz zu tun.«

»Dann sind wir ja sozusagen auf Augenhöhe«, entgegnete Zweifel und nickte Melzick zu. Die verstand und verschwand. Elvis grinste und nickte langsam.

»Falls es hier drinnen einen Stuhl gibt, dann setzen Sie sich doch, Herr Kommissar. Ist mir lieber so.« Zweifel schnappte sich einen kleinen Hocker.

»Sie machen einen ziemlich entspannten Eindruck, Herr Mayrhubr.«

»Sagen’s Elvis zu mir. Bei Mayrhubr macht meine Prostata Klimmzüge.«

»Gut, dann also Elvis. Sie hat das Ganze ziemlich kalt gelassen?« Elvis fing an, mit den Fingern der rechten Hand einen langsamen Rhythmus auf seinem Oberschenkel zu trommeln. Er nahm sich Zeit für seine Antwort.

»Hab ich Ihre Assistentin in die Flucht gejagt, Herr Kommissar?«

»Ach wissen Sie, die lässt sich nicht so leicht verscheuchen. Ich denke, sie ist gerade dabei, eine Überraschung für Sie zu organisieren.«

»Ist das so?« Zweifel nickte. »Ich nehme an, Sie haben gerade genickt. Elvis hat gute Antennen, Herr Kommissar und die Signale werden komplett hier oben eingescannt.« Er tippte mit einem enorm dicken Zeigefinger an seine Stirn.

»Was ist passiert und wo waren Sie, als es passierte?«, fragte Zweifel und beugte sich vor. Elvis hörte auf zu trommeln.

»Die Infrarotliegen sind mein Stammplatz. Von dort krieg ich alles am besten mit. Außerdem ist die Bar in Rufweite.«

»Wie ging es los?« Elvis lächelte.

 

»Mit Pink Floyd fing alles an.«

»Mit Pink Floyd?«

»Ach kommen Sie, Herr Kommissar, Sie werden sich doch an Pink Floyd erinnern.«

»Das schon, aber …«

»Sie haben bei mir einen anderen Musikgeschmack erwartet. Sie gehen nach Äußerlichkeiten. Das ist ein Fehler. Das habe ich mir schon sehr lange abgewöhnt, Herr Kommissar.« Er ließ ein heiseres Lachen hören. »Okay, ist für mich auch ganz easy, seitdem ich auf die visual effects verzichte. Man soll mit Geständnissen sparsam sein, vor allem gegenüber dem Staat, aber Ihnen trau’ ich, daher geb’ ich offen zu, dass Led Zeppelin, Black Sabbath und Deep Purple meine Heroes sind. Aber eben auch Beethoven. Irgendwann dazwischen hatte ich eine Phase, in der ich voll auf Pink Floyd abgefahren bin.« Zweifel war verwirrt. Wie sollte er mit diesen Informationen umgehen? Wollte Elvis jetzt seine Playlist runterbeten?

»Sie wollen mir damit was sagen?«

»Klar Mann!« Zweifel kratzte sich am Kopf.

»Es könnte sein, dass meine Musikintelligenz dazu aber nicht ausreicht. Geben Sie mir einen Tipp.«

»Ich erzähl’s lieber am Stück«, brummte Elvis und drehte seinen Kopf nach allen Seiten, als wolle er sichergehen, dass niemand mithört. »Den ganzen Vormittag wurde ich zugekleistert mit den Geräuschen die hier so üblich sind: Halblautes Blablabla, Wassergeplätscher, nasse Plattfüße auf nassen Kacheln, das Quietschen der Glastüren, die nach draußen führen, gedämpfter Quark aus den Lautsprechern, ab und zu ein kreischendes Pubertier und dann ein Flash.« Er hatte zwei Finger erhoben, wie zum Schwur. »Gleich darauf ein zweiter.«

»Sie meinen die Schreie? Konnten Sie erkennen, von wo sie kamen?«

»Klar Mann, vom Band.«

»Vom Band? Sie meinen …«

»Muss ’ne ganz spezielle Aufnahme gewesen sein, war aber hundertpro Pink Floyd pur.« Zweifel ließ den Kopf sinken, schloss die Hände um seinen kahlen Schädel und kramte in seinem Musikgedächtnis. Elvis ließ ihm ein paar Minuten Zeit und verschränkte die Holzfällerarme. Dann begann er, ganz leise ein Thema zu brummen. Zweifel hob den Kopf.

»Natürlich! Pink Floyd, 1970 oder so, ›UmmaGumma‹hieß die Platte, da gab es einen Song, in dem es um eine Axt ging.«

»Yes Sir. ›Careful with that axe, Eugene‹. Ganz leise und drohend gesprochen, mit Synthesizer unterlegt, man ist eigentlich ganz relaxed und dann folgen Schreie, die mich damals die ganze Nacht wachgehalten haben.«

»Und die haben Sie heute gehört? Sind Sie ganz sicher?«

»So sicher, wie ich Sie und Ihre Assistentin, die sich gerade heranpirscht, nicht sehen kann.« Melzick hatte etwas in der Hand und winkte Zweifel mit fragendem Gesichtsausdruck damit zu. Der gab ihr ein Zeichen, noch etwas zu warten.

»Ich kenne den Song. Ich kann mich gut erinnern«, sagte Zweifel. »Ich weiß bis heute nicht, ob da ein Mann oder eine Frau schreit.« Elvis grinste.

»Deswegen wollte ich nur mit dem großen Boss reden, Herr Kommissar. Oder glauben Sie, irgendeines von Ihren Greenhorns hätte etwas mit ›UmmaGumma‹ anfangen können? Wie gesagt, das muss ’ne ganz spezielle Aufnahme gewesen sein. War irgendwie bearbeitet. Tontechnisch, meine ich. Schlagzeug, E-Gitarre und Synthesizer waren komplett gelöscht. Blieb nur der pure Schrei übrig. Kam übrigens nicht aus allen Lautsprechern. Hat den Eindruck noch verstärkt, dass da gerade was ganz Übles passiert.« Er machte eine Pause, nahm die dunkle Brille ab, fuhr sich mit seiner riesigen Hand über das Gesicht und setzte sie wieder auf. »Wer immer das abgespielt hat, muss eine ganz böse Ader haben, Herr Kommissar, denn jetzt ging es los. Ich habs sofort gespürt, das aufgeregte Gemurmel, die Unruhe, immer mehr Leute, das Gedränge nimmt zu, irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo alle nur noch raus wollten. Ich hab mich nicht gerührt. Ich konnte sie riechen, die Panik. Aber sie hat mich kalt gelassen.«

»Was haben Sie gemacht?«

»Abgewartet. Irgendwann musste das ganze Chaos ja vorbei sein. Jedes Chaos läuft sich irgendwann tot. Also blieb ich liegen und dachte an Eugene.«

»Haben Sie in dem Tumult noch irgendwas heraushören können?« Elvis schüttelte langsam den Kopf.

»Irgendjemand hat sich meine Tasche geschnappt. Was soll’s, dachte ich.« Zweifel nickte Melzick zu, die jetzt nähertrat.

»Wir haben jede Menge Zeug aus dem Becken gefischt, Herr …«, begann sie.

»Elvis, immer noch Elvis«, sagte er und drehte den Kopf in ihre Richtung.

»… Elvis, und wir glauben, dass das Ihnen gehört.« Sie drückte ihm das kleine elektronische Gerät in die Hand, über dessen Funktion sie vorhin gerätselt hatten. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

»Sie haben C-3PO gefunden. Ich bin schon wieder geflasht.« Er hielt das Gerät ans Ohr und schüttelte es leicht hin und her. »Scheint okay zu sein. Wissen Sie, was man damit anstellt, Lady?«, fragte er.

»Sie finden raus, ob Ihr Müsli Traubenkernextrakt enthält, oder Ihr Haarshampoo Zucker oder ob Ihre«, Melzick musterte kurz sein Outfit, »neuen Bikerhosen in Sri Lanka gefertigt wurden.« Elvis ließ sein heiseres Lachen ertönen, dann nickte er.

»Oder ob ich mit meinen Wurstfingern Räuchertofu aus dem Tiefkühlfach gefischt habe.«

»Wie, das ist Ihrer?«, fragte Melzick verdutzt.

»Wenn Sie einen gefunden haben, der bis 17.09. haltbar ist, dann ist das meiner.«

»Scheint ein guter Tag für Sie zu sein«, meinte Zweifel, während Melzick schon wieder verschwunden war. Elvis Miene wurde ernst.

»Gilt das für alle, die heute hier waren, Herr Kommissar?« Zweifel zögerte.

»Nun ja, es gibt zumindest einen, der da anderer Meinung wäre.«

»Exitus?«

»Wir wissen noch gar nichts, außer dass er blond war, kaum dreißig Jahre alt und tot in der Stollensauna lag.« Elvis pfiff leise durch die Zähne.

»In der Ecke bin ich nie gewesen. Ah, vielen Dank, Lady.« Melzick war zurückgekommen und hatte ihm den Räuchertofu in die Hand gedrückt. »Sollten Sie auch mal probieren.«

»Ein veganer Rocker«, sagte Melzick wenig später zu Zweifel, »wie finden Sie das?« Sie hatten sich in Fischlis Büro zurückgezogen, um ungestört reden zu können.

»Zuerst einmal möchte ich wissen, ob Sie jetzt weiter auf der Suche nach Entspannung sind, Melzick, oder ob ich Sie für ein Seminar anmelden soll.«

»Was für ein Seminar denn?«

»Hilfe, ich hab Urlaub. Überleben ohne zu arbeiten. Intensivkurs.«

»Brauch ich nicht, Chef.«

»Dacht’ ich mir schon.«

»Soll ich mich um diesen Studenten kümmern?«

»Lukas Freun? Kann sein, dass der was mit der Autowerkstatt zu tun hat. Die Werbung kennen Sie doch:

›Freun Sie sich auf Ihr Auto‹.«

»Keine Ahnung. Bringen Sie da immer Ihren Cadillac zur Behandlung hin?«

»Erraten Melzick. Paul Freun freut sich jedes Mal auf mein Auto.«

»Dann wird Lukas Freun wahrscheinlich sein Sohn sein, so oft gibt’s den Namen ja nicht.«

»Fragen Sie ihn bei der Gelegenheit, ob er Leute kennt, die tontechnisch versiert sind.« Melzick schaute ihn fragend an. »Sie haben Elvis ja gehört. Die Schreie sind mehr als vierzig Jahre alt und wurden manipuliert. Genauso übrigens wie die Stimme, die mich heut’ morgen angerufen hat.« Melzick stutzte.

»War es ’ne Kinderstimme?«

»Wie kommen Sie darauf?« Sie zog ihr Handy hervor.

»War es etwa diese Stimme?«, fragte sie und startete eine Voicemail. »In der Therme. Ein Attentat mit Gas. Das ist doch was für Sie«, war zu hören. Als würde ein sechsjähriges Mädchen diese Worte sprechen. Zweifel schaute sie an.

»Dafür braucht’s keine Tontechniker, Chef, da genügt ein tiefer Zug aus einem Heliumballon.«

»Von Ballons hab ich vorerst genug«, sagte er. Sie dachten beide an ihren letzten Fall, bei dem das Opfer aus einem Heißluftballon gestürzt worden war.

»Es war dieselbe Stimme, aber die Ausdrucksweise war etwas anders. Bei mir war von einem Toten die Rede.«

»Wurden Sie auf Ihrer privaten Handynummer angerufen?« Zweifel nickte. »Genau wie bei mir. Bin gespannt, ob die Kollegen rausfinden, von wo die Voicemails kamen.«

»Das werden sie sicher. Ich bezweifle nur, ob uns das weiterhilft, oder würden Sie dafür Ihr eigenes Handy benutzen?«

»Stimmt allerdings. Die Sache fängt schon sehr mysteriös an. Da kennt sich jemand bestens in der Therme aus und hat sich außerdem über uns informiert. Wann wurden Sie angerufen?«

»Etwa zwanzig vor elf.«

»Mein Anruf kam kurz vor elf. Jetzt wissen Sie, warum ich meinen Urlaub verschiebe.«

»Wir wurden beide hierhergelockt, Melzick. Es beunruhigt mich jedes Mal, wenn ich feststellen muss, wie leicht man manipuliert werden kann.«

»Damit ergeben sich erstmal drei einfache Fragen nach dem ›wer‹: Wer hat uns angerufen? Wer hat die Panik ausgelöst? Wer ist der Tote?«

»Und noch eine vierte: Wer ruft Dr. Kälberer an?« Melzick grinste.

»Dienstgradmäßig Ihr Job, Chef. Aber wenn Sie unbedingt …«, sagte sie und hatte ihr Handy schon wieder in der Hand. Sie wusste, dass Ihr Chef und Dr. Kälberer seit langem eine gegenseitige Aversion hegten und pflegten. Zweifel hob abwehrend die Hand und wählte die Nummer des Polizeiarztes.

»Jaaa?«, erklang es gleich darauf langgezogen aus seinem Handy. Der Pathologe meldete sich nie mit seinem Namen. Das war eine seiner enervierenden Angewohnheiten. Zweifel zwang sich zu einem sachlichen Ton.

»Wie weit sind Sie, Dr. Kälberer?«

»Ich bin in der Gerichtsmedizin.« Lange Pause, die der Kommissar zähneknirschend aushielt. »Der Tote übrigens auch«, säuselte Dr. Kälberer. Zweifel hätte am liebsten gefragt, ob die beiden gut miteinander auskämen, verklemmte sich aber im letzten Moment seine sarkastische Ader und schwieg. »Er wurde in einer Sauna entdeckt, nicht wahr? Sie werden über die Todesursache etwas überrascht sein, mein lieber Kommissar.« Dr. Kälberer liebte diese Titulierung. Zweifel hasste sie und noch viel mehr, wie Dr. Kälberer sie aussprach. Er war fest entschlossen, auch die nun folgende Pause schweigend zu überstehen. »Er ist ertränkt worden«, sagte Dr. Kälberer schließlich. Zweifel ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken.

»Und wo?«, fragte er stattdessen kurz angebunden.

»Das Wasser in seinen Lungen konnte noch nicht analysiert werden«, kam die schnippische Antwort. »Außerdem wurde er chloroformiert. Die Hämatome im Nacken und Schulterbereich deuten darauf hin, dass er vor seinem Tod wieder zu sich kam.« Darauf spielte der Arzt einen weiteren Trumpf aus. »Wollen Sie wissen, wer es ist?«

»Wie, Sie kennen ihn?«, rutschte es Zweifel heraus.

»Nun ja, zu fünfzig Prozent würd’ ich mal behaupten«, kam es gedehnt.

»Was soll das heißen, Kollege?« Zweifel wusste, dass der andere diese Bezeichnung als respektlose Herabsetzung ansah.

»Es ist Moritz Kronberger«, sagte dieser schroff, »oder Florian Kronberger.«

»Was denn nun? Können Sie sich nicht klarer ausdrücken?«

»Ach, Sie kennen die Kronberger-Zwillinge nicht? Das ist schade, mein lieber Kommissar.« Zweifel schwieg verdutzt. Der Name kam ihm bekannt vor. Gerade als es ihm einfiel, hörte er Dr. Kälberer sagen: »Kronberger. Sie wissen schon. Der Industrielle. Dem die Therme gehört und noch so Einiges. Na ja – Sie werden ihn ja kennenlernen, wenn Sie ihm die Neuigkeit überbringen.« Damit legte er auf. Zweifel holte tief Luft und schaute Melzick an.

»Ich glaube, wir haben ein Problem«, sagte er leise. Melzick wartete geduldig auf eine Erläuterung. Der Kommissar rieb sich heftig mit der linken Hand über seinen kahlen Schädel.

»Chef …?«

»Kommen Sie, wir müssen erst nochmal mit Schilling reden.« Er war schon zur Tür hinaus. Sie folgte ihm.

»Vielleicht geht es mich ja nichts an, wo ich doch eigentlich im Urlaub bin, aber …«, versuchte sie es nochmal.

»Ach ja – es ist einer von den Kronberger-Zwillingen.«

»Mit dem Kronberger hat Schilling doch vorhin telefoniert.«

»So ist es.«

»Und die Todesursache?«

»Er ist ertränkt worden.«

»Na, da wird sein Vater aber nach Luft schnappen.« Sie eilten die Treppe hinauf, als Schilling ihnen entgegenkam.