Mord aus kühlem Grund

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10. Kapitel

Melzick war mit ihrem Fahrrad unterwegs. Die Autowerkstatt von Paul Freun lag am anderen Ende der Stadt. Auf dem Weg dorthin legte sie einen Zwischenstopp bei ihrem Bruder ein. Zacharias war gerade mit beiden Händen im Teig. Einige Wochen zuvor hatte er sich seinen größten Wunsch erfüllt und das »Dessert Inn« eröffnet. Dort gab es ausschließlich Nachtisch zu genießen in verblüffenden veganen Variationen. Sein Paradies für Kalorien hatte wie eine Kalorienbombe eingeschlagen.

»Hallo, Meister der magischen Muffins«, begrüßte ihn Melzick, »hast du ein paar Krümel für mich übrig?« Sie hatte ihn in seiner Küche überrascht, die für gewöhnliche Sterbliche tabu war. Zacharias ließ seine Hände in einer riesigen Teigschüssel stecken und warf seiner Schwester über die Schulter einen überraschten Blick zu.

»Mel, schön, dass du auch einmal vorbeikommst. Du kannst mir helfen.«

»Gibt es denn dafür nicht spezielle neuartige Maschinen? Man nennt sie Mixer, glaub ich.«

»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich so ’nen Schrott in meiner Küche dulde. Bei mir ist alles Handarbeit. Der Teig spürt das.«

»Ach und was macht er dann, der Teig?«, fragte sie und riskierte mit ihrem Zeigefinger eine Probebohrung in dem gleichmäßig geformten, schokoladenbraunen Klumpen.

»Mel, du verstößt gegen das Gesetz!«

»Meine Finger sind sauber«, antwortete sie und schleckte genüsslich. Ihr Bruder wartete gespannt. »Ich frag jetzt nicht, was du da alles drin versteckt hast, Zack, aber es schmeckt verboten gut.« Zacharias hörte das Lob und überhörte die verhasste Abkürzung seines Namens.

»Ich hätt’ es dir sowieso nicht verraten«, sagte er und knetete weiter.

»Du hast heute doch geschlossen, wieso brauchst du dann meine Hilfe?« Zacharias beendete seine Arbeit, indem er seine Hände unter heißem Wasser von den Teigresten befreite, sie abtrocknete und die Schüssel mit einem dünnen Leintuch abdeckte, bevor er sie in den Kühlschrank stellte. Melzick runzelte die Stirn.

»Was macht der Teig denn im Kühlschrank?« Zacharias holte einen Teller aus dem großen Wandregal und ging damit zur Theke, auf der eine gläserne Vitrine mit drei Etagen stand.

»Er denkt über seine Zukunft nach«, war seine Antwort.

»Aha, du meinst ob er gehen soll oder bleiben oder wie?« Zacharias sparte sich eine Antwort, holte von der oberen Etage eine cremefarbene Torte, in deren Mitte Granatapfelkerne schimmerten, schnitt ein großes Stück ab und ließ es gekonnt auf den Teller rutschen.

»Hier Mel, du wolltest ein paar Krümel.« Aus einer Schublade holte er eine Kuchengabel. »Sag mir deine Meinung und dann sag ich dir, wobei du mir helfen kannst.« Melzick brauchte knapp drei Minuten, dann schob sie den blanken Teller in Richtung Zacharias.

»Wie lautet deine Skala nochmal?« Ihr Bruder zählte an den Fingern ab.

»Eins bedeutet: Vorsätzliche Geschmacksverirrung; fünf bedeutet: Das hätt’ ich auch hingekriegt; sieben: Fortgeschrittene Leckerness; zehn: Nicht schlecht.«

»Nicht schlecht?«

»Jep. Das ist die höchste Auszeichnung, besser geht’s nicht, soviel wie: Der Himmel auf Erden, top of the list, simply the best, forget the rest …«

»Ist ja schon gut, beruhig dich. Die Torte kriegt ’ne Neun von mir.« Zacharias grinste.

»Willst du noch ein Stück?«

»Morgen vielleicht. Also, jetzt rück raus mit der Sprache.« Zacharias setzte sich auf einen der hohen Stühle an der Theke und verschränkte seine Arme.

»Ich hab jemanden kennengelernt«, begann er zaghaft. Melzick schwieg. Sie wusste, das würde ihn am ehesten zum Reden bringen. »Mein Laden brummt, ich weiß vor lauter Arbeit nicht, was für Wetter wir haben. Ich brauch dringend jemanden, der mir hilft. Und vorgestern kam Jocelyn rein.« Er machte eine Pause. Melzick setzte sich neben ihn auf einen Stuhl. »Ich erzähl’s am besten gleich am Anfang: Sie kommt aus Äthiopien. Ist von da geflüchtet und seit ungefähr sechs Wochen hier. Was hältst du davon, wenn sie bei mir arbeitet?«

»Äh, Moment mal, darf die das überhaupt?«

»Offiziell natürlich nicht. Mehr so auf Geschenkebasis.«

»Was soll das denn heißen?«

»Naja, sie schenkt mir ein bisschen Arbeit und ich schenk ihr ein bisschen Geld, ohne Vertrag und den ganzen Firlefanz.«

»Schwarzarbeit also.«

»Nicht so wirklich, Mel. Mensch, ich will ihr helfen, das kann doch nicht falsch sein.«

»Aber du lässt sie nicht in deine Küche?«

»Natürlich nicht, was denkst du denn? Jedenfalls nicht am Anfang. Es gibt auch so genug zu tun.«

»Also«, sie sprang von ihrem Stuhl herunter, »wenn du mich fragst, und das tust du ja, dann sag ich dir als große Polizeischwester: Pass auf deine Gäste auf. Wenn da nur einer ein bisschen komisch tickt, was gar nicht so selten ist, und den richtigen Stellen einen wohlgemeinten Hinweis gibt, kommst du mit deiner »sie-schenkt-mir-was-ich-schenke-ihr-auch-was-Version nicht davon. Dann bekommst du nämlich noch was geschenkt, nämlich ganz viel Aufmerksamkeit von Leuten, die keinen Nachtisch wollen.« Zacharias schnaufte und nickte. »Abgesehen davon halt ich das für eine coole Idee, obwohl es natürlich illegal ist. Wann kann ich Jocelyn denn mal kennenlernen?«

»Oh Mel! Okay. Theoretisch morgen schon. Du wolltest ja mit Penny vorbeikommen, aber das klappt ja jetzt nicht.«

»Wie kommst du denn darauf? Natürlich kommen wir. Penny hat deine Karte von oben bis unten durchprobiert bis auf zwei neue Muffins und die Torte da. Die wird sie morgen sicher mit mir in Angriff nehmen.« Zacharias kratzte sich am Kopf.

»Aber sie ist doch krank.«

»Spinnst du?«

»Sie hat mich gestern Abend angerufen. Ziemlich heiser. Und sie wollte dir auch noch Bescheid sagen. Deswegen hab ich ihr ja deine Nummer nochmal gegeben.«

»Die hat sie doch längst. Was soll das?« Zacharias hob ratlos beide Hände.

»Ihr Handy wurde gestohlen oder sie hat’s irgendwo liegenlassen. So genau weiß ich das nicht mehr. Und da war deine Nummer eingespeichert.« Melzick fasste ihren Bruder scharf ins Auge.

»Also jetzt pass mal auf, Zack: Erstens hab ich heute Vormittag Penny putzmunter bei der Arbeit erlebt, zweitens hat sie meine Geheimnummer nirgendwo anders gespeichert als hier«, sie tippte sich an die Stirn, »und drittens wüsste ich daher gern, wem du meine Geheimnummer gegeben hast.« Zacharias starrte sie an.

»Aber ich kenn doch Penny, sie war das ganz bestimmt.«

»Hast du ihre Stimme erkannt?« Zacharias griff sich an den Hinterkopf.

»Ich sag doch, sie war heiser.« Wieder starrte er seine Schwester an. »Scheiße. Aber wer soll es denn sonst gewesen sein?« Melzick legte beide Hände flach auf die Theke.

»Jemand, der weiß, dass ich mit Penny verabredet war, der weiß, dass du mein Bruder bist und der weiß, dass ich bei der Kripo bin.«

»Wie kommst du denn darauf? Wart doch einfach ab, bis du von der Frau angerufen wirst.« Melzick klopfte mit beiden Händen einmal auf den Tresen.

»Ist schon passiert, Zack. Heute Morgen. Und es war garantiert nicht Penny.«

Auf dem weiträumigen Gelände standen eine französische Göttin der Marke Citroën, ein Ford Capri, ein Opel GT sowie zwei amerikanische Ungeheuer der Haifischflossenära in weitem Abstand voneinander, so als dürften sie nichts voneinander wissen. Den Rest des Areals füllten mehr oder minder hässliche Rostlauben aus praktisch jedem Baujahr seit 1980. Das jüngste Vehikel, ein Datsun, mochte wohl fünfzehn Jahre alt sein und stand gegenüber dem stählernen Rolltor, hinter dem sich Paul Freuns Werkstatt befand. Melzick stieg vom Rad und lehnte es an die Mauer. Zwischen den Fahrzeugen war außer einem gewaltigen Neufundländer kein Lebewesen zu entdecken. Der schwarze Hund lag gemütlich auf einem alten, zerschlissenen Teppich von der Größe einer Tischtennisplatte und hatte die Augen halb geschlossen.

»Luis meditiert«, sagte eine angenehme Stimme hinter ihrem Rücken. Sie drehte sich um und blickte in ein ölverschmiertes, etwa fünfzigjähriges Gesicht mit einem prächtigen, rotbraunen Vollbart und freundlich blinzelnden, dunklen Augen. »So viel Zeit hätt’ ich auch mal gern.«

»Man hat die Zeit, die man sich nimmt«, gab Melzick zur Antwort. Er wischte seine rechte Hand an einem Lappen ab, der an seinem Gürtel hing.

»So jung und schon so weise«, sagte er. »Ich würde Ihnen ja gern die Hand geben, wenn Sie nichts gegen Schmieröl haben.«

»Kein Problem«, sagte Melzick unerschrocken und streckte ihm ihre hin.

»Sie sind Herr Freun, nehm’ ich an. Ist Ihr Sohn Lukas da?«

»Hab mir schon gedacht, dass Sie nicht zu mir wollen. Studienkollegin, wie?« Melzick lächelte zur Antwort und gab sich ansonsten bedeckt. »Gehen Sie einfach außen um die Werkstatt rum. Die Tür ist offen. Er wird oben sein. Aber lenken Sie ihn nicht zu sehr ab.« Kurz darauf stand Melzick im zweiten Stock des Wohnhauses, das sich auf dem Dach der Werkstatthalle befand. Da diese so hoch war, wie zwei Geschosse, ging der Blick von hier oben aus dem Fenster des luftigen Treppenhauses über ganz Bad Wörishofen. In westlicher Richtung, etwa drei Kilometer Luftlinie entfernt, konnte sie die markante Wölbung des Thermenparadieses ausmachen. Die Tür zu Lukas’ Apartment war nur angelehnt. Eine Klingel fehlte, also klopfte sie.

»Herr Freun, darf ich reinkommen?« Keine Antwort. Melzick drehte sich um und horchte hinunter ins Treppenhaus. Doch dort war niemand. Sie überlegte kurz, es ein Stockwerk höher zu probieren, doch dann stieß sie kurzentschlossen die Tür auf und trat ein. Es war ein geräumiges Studentenzimmer: Schmales Bett, Schreibtisch vorm Fenster, Bücherregale mit einer beeindruckenden Sammlung an dicken Wälzern, ein altgedientes, dunkelblaues Sofa, davor ein niedriger Opiumtisch, darauf zwei Laptops, aufgeklappt. Kahle, hellgrün getünchte Wände. Keinerlei Poster, kein Krimskrams, keine verstaubte Gitarre in der Ecke, auch kein Didgeridoo. Eine Wasserpfeife fehlte ebenso wie leere Zigarettenschachteln, eine Stereoanlage ebenso wie verstreut herumliegende Turnschuhe und Klamotten. Melzick bekam Gelegenheit, ihre Vorurteile gegenüber Studenten zu korrigieren. Im Hintergrund war eine Tür leicht angelehnt, ein Wasserhahn rauschte.

 

»Probier doch mal den anderen Link.« Die Stimme kam aus dem Badezimmer. Gleichzeitig hörte Melzick Schritte aus dem Treppenhaus. Lukas Freun kam, beladen mit zwei vollen Kuchentellern und einer Thermoskanne herein. Er kaute auf beiden Backen und als er Melzick wie aus dem Nichts vor sich in seinem Apartment stehen sah, vergaß er zu schlucken. Stattdessen bekam er einen Hustenanfall und verstreute Marmorkuchenkrümel auf dem hellen Sisalteppich.

»Hallo. Die Tür stand offen. Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber auf mein Klopfen hat niemand reagiert«, sagte sie.

»Ging ja nicht, ich saß auf dem Topf«, sagte die Badezimmerstimme in ihrem Rücken. Lukas bekam wieder Luft und drängte sich vorsichtig an Melzick vorbei.

»Mensch Mel, du lässt einfach jeden hier rein. Nimm mir mal die Thermoskanne ab«, sagte er. Melzick war irritiert, als sie ihren Kurznamen hörte. Ein junger Mann mit langen, blonden Haaren und einem zaghaft sprießenden Backenbart war aus dem Badezimmer aufgetaucht, nahm Lukas die Thermoskanne aus dem Arm und stellte sie neben die Laptops auf den niedrigen Tisch. Er bedachte Melzick mit einem Lächeln und ließ sich auf das Sofa fallen. Lukas hatte die Kuchenteller auf seinem Schreibtisch abgestellt und räusperte sich.

»Und Sie sind?« Melzick holte ihren Ausweis hervor. Lukas nahm ihn ihr ab und studierte ihn ungläubig.

»Polizei? Kripo?«

»Zeig mal!«, sagte sein Kommilitone. Lukas warf ihm den Ausweis zu und holte dann zwei große Becher von seinem Bücherregal.

»Ist was passiert?«, fragte der Blonde und gab Melzick kopfschüttelnd den Ausweis zurück.

»Wir untersuchen die Vorfälle von heute Vormittag in der Therme. Wir haben das hier gefunden. Daher dürften zumindest Sie, Herr Freun, wissen, was passiert ist«, sagte Melzick und überreichte ihm seinen Studienausweis. Der junge Mann auf dem Sofa pfiff leise durch die Zähne. Melzick wandte sich ihm zu. »Ihr Vorname ist Mel? Hab ich das richtig verstanden?«

»Nur Lu sagt Mel zu mir«, antwortete er und schenkte die beiden Becher voll. »Da fehlt noch ’ne Tasse Lu.«

»Danke, nicht für mich. Aber vielleicht verraten Sie mir Ihren vollständigen Namen?«

»Kuchen wollen Sie auch keinen? Der ist von Lus Vater.« Melzick schüttelte den Kopf und holte ihr Notizbuch hervor, um ihren Fragen Nachdruck zu verleihen.

»Also gut, ich gebe es zu, ich bin einer von den Bodenheims. Melchior Bodenheim«, sagte er und nahm seinen Kuchenteller von Lukas entgegen, der stehenblieb und seinem Freund mit den Augen ein Zeichen gab.

»Danke für das hier«, sagte Lukas und wedelte mit seinem Studienausweis, »ich hab ihn noch gar nicht vermisst.«

»Unsere Spurensicherung hat ihn aus dem großen Becken gefischt«, sagte Melzick und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Melchior beide Laptops zuklappte. Bodenheim, der Name sagte ihr irgendetwas.

»Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte er und rutschte in eine Ecke des Sofas.

»Gute Idee«, sagte Melzick und nutzte die Gelegenheit sich im Zimmer umzusehen. »Scheint mir ganz komfortabel zu sein für eine Studentenbude.« Lukas nickte einmal und verschränkte die Arme.

»Wieso braucht man denn die Spurensicherung. Ich meine, heut Morgen, das war doch einfach nur technisches Versagen, nehm’ ich an. Sicher, da gab es ’ne ganz schöne Aufregung. Aber so sind die Leute eben. Total irrational. Wenn jeder in Ruhe abgewartet hätte, wär’ gar nichts passiert, oder?«

»Sie beurteilen das im Nachhinein, Herr Freun, da lässt sich leicht nach vernünftigem Verhalten rufen. Sie waren doch dabei. Ist es wirklich so leicht, in einer panisch agierenden Menschenmenge cool zu bleiben?«

»Sie sagen es«, warf Melchior kauend ein, »wir waren dabei. Und wir sind cool geblieben. War ’ne gute Übung.«

»Sie studieren demnach auch Psychologie?« Melchior nickte. »Welches Semester?«

»Zehntes.«

»Während der Ausbildung war Psychologie mein Lieblingsfach«, sagte Melzick. »Da lernt man doch wahnsinnig viel über seine Mitmenschen. Allein die Körpersprache. Ist übrigens ganz wichtig bei Verhören«, erläuterte sie und warf einen Blick auf Lukas, der immer noch mit verschränkten Armen an seinem Schreibtisch stand.

»Ach was«, sagte Melchior und gähnte ungeniert, während er die Arme über dem Kopf verschränkte und sich an den Ellbogen festhielt. »Naja, wir sind da schon ein bisschen weiter.«

»Zweifellos«, sagte Melzick und grinste ihn an.

»Was wollen Sie von uns wissen?«, fragte Lukas, dem das Gespräch auf die Nerven zu gehen schien.

»Oh, ja, natürlich, was war es bloß, was ich Sie fragen wollte?« Melzick blätterte demonstrativ in ihrem Notizbuch und kam sich beinahe vor wie Inspektor Columbo. Sie nahm Lukas ins Visier. »Ist so ein Thermenaufenthalt nicht ein bisschen teuer?«

»Sowas geht auf meine Rechnung«, mischte Melchior sich ein. »Ich sagte ja, ich bin einer von den Bodenheims.«

»Ist das für Sie in Ordnung, Lukas?«, fragte Melzick, die die Zeit für gekommen hielt, unbequeme Fragen zu stellen. Lukas zuckte die Achseln und sagte nichts darauf. »Gut, Sie waren also beide heute Vormittag im Spaßbad, anstatt sich mit Psychologie zu beschäftigen?«, bohrte Melzick etwas tiefer. Das Grinsen verschwand von Melchiors Gesicht.

»Wer sagt denn, dass wir uns nicht mit Psychologie beschäftigt haben? War doch ein sehr aufschlussreicher Exkurs für uns, stimmt’s Lu?« Lukas’ Miene verfinsterte sich zusehends. Er schüttelte den Kopf und funkelte Melchior wütend an.

»Sie scheinen das nicht so zu sehen, Herr Freun. Erzählen Sie mir doch bitte mal, was Sie beobachtet haben«, insistierte Melzick. Lukas antwortete nicht sofort. Stattdessen studierte er intensiv seinen Kuchenteller auf dem Schreibtisch, rührte ihn jedoch nicht an. Melchior nahm einen tiefen Schluck aus seinem Kaffeebecher und griff nach dem zweiten Stück Kuchen. Ihn schien das Ganze weiter nichts anzugehen.

»Wir waren ungefähr um halb zehn da«, sagte Lukas ohne sich umzudrehen. »Ich hab nichts Außergewöhnliches bemerkt.«

»Waren Sie in einer Sauna?« Lukas schüttelte den Kopf.

»Wir haben uns an der Bar einen Fruchtcocktail geholt und uns dann auf die Empore verzogen. Da hat man seine Ruhe.«

»Aber Sie wollten sicher noch saunieren?«

»Klar doch«, warf Melchior mit vollem Mund etwas undeutlich ein, bevor Lukas antworten konnte. Melzick registrierte, dass Melchior haarscharf aufpasste. Lukas drehte sich jetzt um und nickte.

»Sicher. Hatten wir vor.«

»Warum hätten Sie auch sonst in die Therme gehen sollen. Fruchtsaft gibt’s auch woanders und sicher billiger«, sagte Melzick und machte sich eine Notiz. »Und dann?« Lukas zuckte mit den Schultern. Warum stellt der sich bloß so an, dachte Melzick. Wie ein bockiger Teenager.

»Herr Freun, ich möchte ganz einfach nur von Ihnen wissen, was Sie beobachtet haben.« Lukas tauschte einen Blick mit Melchior, der prompt reagierte.

»Tja, dann ging die Show los. Diese Schreie«, er schlug die Beine übereinander, »wir dachten, da wird jemand abgestochen, und da waren wir nicht die Einzigen.«

»Die Bademeister sind in die Richtung gerannt, wo die …, diese …, also wo dieser Lärm herkam«, pflichtete ihm Lukas stockend bei. »Hat ihn das wirklich so mitgenommen«, dachte Melzick für sich.

»Und wie kam es dann zu der Panik?« Jetzt zuckte Melchior mit den Schultern.

»Da kam einiges zusammen. Erst war da ’ne Unruhe wegen der Schreie, eher ein Unbehagen, vermischt mit Unsicherheit. Dann roch es so komisch, als ob irgendein Gas im Saunabereich austreten würde. Es wurde zunehmend unkommod«, sagte er.

»Originelle Wortwahl«, murmelte Melzick und blickte von Melchior zu Lukas. Der kratzte sich an der Nase.

»Immer mehr Leute packten zusammen und wollten ins Freie. Aber das ging nicht, die Türen waren verriegelt«, sagte er.

»Erschwerend kam hinzu, dass ein Haufen Leute in voller Montur von der anderen Seite, also vom Eingang her, in die Halle drängte«, sagte Melchior. »Dann fielen einige ins Wasser. Ich glaube, von den Senioren wurden auch ein paar ohnmächtig. Und die Bademeister vermittelten überhaupt nicht den Eindruck, souverän mit der Situation umgehen zu können.« Er stellte seinen leeren Kuchenteller auf den Tisch neben die Laptops und füllte seine Tasse erneut mit Kaffee. Dann hielt er die Thermoskanne hoch und warf Lukas einen fragenden Blick zu. Der schüttelte den Kopf und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch um, als müsste er dort dringend etwas aufräumen. In diesem Moment erklang das Thema aus den Harry Potter Filmen. Lukas erstarrte. Melchior verschluckte sich und verschüttete etwas Kaffee auf das Sofa.

»Shit.« Er stellte die tropfende Tasse auf den Tisch und wischte seine Hand an der Jeans ab. Dann tastete er eilig nach dem lautstarken Smartphone, das sich in einer Ritze unter einigen Kissen verkrümelt hatte. Er drückte es aus, ohne nach dem Anrufer zu sehen.

»Harry Potter hab ich auch mal gelesen«, bemerkte Melzick. »Die Story gibt aber vom psychologischen Standpunkt nicht allzu viel her, meinen Sie nicht auch? Diese ewige Schwarzweißmalerei.« Melchior lächelte gequält.

»Das ist eigentlich das Handy meiner Schwester.« Melzick reagierte sofort.

»Ach ja? Darf ich?«, fragte sie und streckte die Hand danach aus. Lukas gab ein undefinierbares Geräusch von sich. Melchior blieb nichts anderes übrig.

»Jetzt haben Sie mich doch glatt bei einer Lüge ertappt«, versuchte er, die Situation zu retten und steckte das Handy in seine Hosentasche. »Wollte nur mal sehen, ob Sie für sowas ‘ne Antenne haben«, sagte er betont lässig.

»Hab ich«, antwortete Melzick ebenso lässig. Lukas hatte sich wieder umgedreht und warf Melchior einen giftigen Blick zu. Melzick schüttelte ihren Kopf und griff ordnend in ihre hennaroten Dreadlocks. Sie schenkte Melchior ein freundliches Lächeln und streckte ihm noch einmal ihre Hand entgegen.

»Sie haben doch sicher nichts dagegen, Herr Bodenheim.« Er lächelte zurück und zögerte einen Moment.

»Kann mir zwar nicht vorstellen, was daran für Sie von Interesse sein soll, aber bitte.« Es war das neueste Modell einer sehr teuren Marke. Melzick wog es prüfend in der Hand und bemerkte, wie Lukas die Thermoskanne öffnete, um sich etwas nachzuschenken, obwohl seine Tasse noch voll sein musste.

»Sie haben es sicher in der Therme dabeigehabt«, sagte Melzick fast wie zu sich selbst, während sie mit Melchiors Smartphone hantierte, als ob es ihres wäre. »Ich frage mich gerade, ob das nicht eine gute Gelegenheit war, um …«, murmelte sie und schien etwas entdeckt zu haben.

»Mel, ich hab dir doch gesagt, dass …«, sagte Lukas, als plötzlich ein Durcheinander aus Hallenbadgeräuschen und Schreien zu hören war, überlagert von einer Frauenstimme. Melzick schaute Melchior an.

»Ich hab mich schon gewundert, warum Sie die Durchsagen nicht erwähnt haben.«

»Äh, naja, klar, die Durchsagen«, sagte Melchior.

»Lass es!«, unterbrach ihn Lukas. »Halt einfach deine Klappe!« Melzick nickte.

»Vorerst genügt mir das hier, Herr Bodenheim. Sie bekommen es ganz sicher zurück.« Melchior runzelte die Stirn.

»Äh, ich weiß jetzt nicht, was ich dazu sagen soll. Ich meine – dürfen Sie das denn?« Melzick klopfte mit ihrem Stift auf ihren Notizblock wie zur Bestätigung. Sie fasste Melchior ins Auge.

»Was würden Sie dazu sagen, wenn Ihr Smartphone ein Beweismittel in einem Mordfall wäre?«, fragte sie.

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