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Isabella von Aegypten

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wer könnte es Bella verdenken, die von aller Politik Europas nichts wußte, als daß der Fürst ihr Vater in derselben nicht geachtet, sondern verfolgt worden, daß sie bestimmt glaubte, der Erzherzog habe ihre Abstammung erfahren und erwähle sie zu seiner Gattin. Sie stand mit gerührtem Blicke vor ihm, blickte auf und nieder und sprach dann gebrochen: sie habe sich nur einmal verstellen können und nimmermehr wieder, sie leugne nicht ihre Abkunft, sie leugne nicht ihre Zärtlichkeit, die er schon früher in ihrem heimlichen Aufenthalte in ihr erweckt, die sein Anblick ihr bestätigt habe.

Sie senkte ihr holdes Angesicht, der Erzherzog wollte eben den Rand ihrer Lippen berühren, als der Kleine unter den Decken Bewegungen machte, entsetzlich über den Magen klagte und zuschwor, er müßte ersticken, ehe er kuriert sei. Der glücklich Liebende duldet keinen Leidenden, der Erzherzog sprang hinzu und öffnete das Gebinde, es dampfte, als wenn man die Serviette öffnet, worin ein Pudding gekocht worden; der Erzherzog sah ihn an, schob das Pflaster leicht von dem triefenden Gesichte und versicherte, er sei schon kuriert; er eile jetzt, um ihm noch ein paar stärkende Mittel zu senden, er möchte sich inzwischen ruhig halten.

So eilte er fort, und der Kleine, dem allmählich der Rausch verflogen, der wieder um sich sehen konnte, lag auf dem Bette mit dem seligen Gefühle eines vom Tode Erretteten, der sein Leben sehr lieb hat; er nahm Bellas Hand, drückte sie und sprach, daß ihm der Gedanke des Todes darum lästig gewesen sei, weil er sie hätte verlassen müssen. Er schien so sanft und zärtlich, daß Bellas alte, gleichsam mütterliche Zuneigung zu ihm nicht erlaubte, ihn zum Vertrauten ihrer neuen Liebe und ihres neuen Glücks zu machen. Er küßte sie, wie er gewohnt war, und der Erzherzog, der wieder an seiner Türwarte, an dem künstlich gebohrten Loche, lauerte, ergrimmte, weil er sich von neuem verraten glaubte, doppelt verraten, weil er in seiner Leichtgläubigkeit gegen Bella unverzeihlich kindisch und gutmütig sich erschien. Der Kleine versuchte sich jetzt auf seinen Beinen, und er konnte wieder gehen und stehen, ordnete seine Kleider und sagte Bella, sie möchte jetzt recht artig sein, er werde den Erzherzog zu ihr führen, und wenn dieser in recht heitrer Stimmung schiene, sollte sie um die Hauptmannsstelle für ihn anhalten, sie möchte aber recht schmeicheln, das Glück seines Lebens hänge daran; auch wolle er sie dann sicher heiraten. Sie schwieg verlegen. Er vergaß über seine kriegerischen Aussichten so ganz alle Krankheitsfurcht und alles Übelbefinden vom Trunk, daß er wie vor tausend Mann in dem Zimmer auf- und niederstolzierte und Braka zur Tür hinaustrieb, als diese mit ihrem heißen Wasser ihm in die Quere kam. So sind die meisten kleinen Leute, das Herz ist ihnen so nahe am Kopf, daß es in den Kopf überkocht oder überdampft.

Unser Wurzelmännlein konnte sich nicht mehr halten, er bürstete sich bald rechts, bald links; gleich wollte er dem Erzherzoge seine Aufwartung machen und fiel diesem, der in einem Anfalle der heftigsten Eifersucht Tag und Stunde verfluchte, ins Zimmer. Kaum hatte er sein Anliegen vorgebracht, so überhäufte ihn der Erzherzog mit Schimpfreden, nannte ihn einen lächerlichen, kleinen Wurzelburzius, einen Dukatenmacher, ein Alraunchen, daß der Kleine in die größte Verwunderung geriet, wie er diese seine Entstehung erfahren habe, und sich eilig davon machte, indem er verlegen ausrief: "Gnädiger Herr, woher wissen Sie das?"

Als er zurückgekommen, sagte er nichts von diesem Empfange, nur sah es ihm Braka an seinem ganzen Wesen an, daß er gedemütigt worden. Er sprach nur, daß er den Erzherzog nicht getroffen, daß er sich bald fort von dem Orte wünsche, wo ihm in jetziger Pestzeit jeden Augenblick eine neue Gefahr drohe; zugleich erkundigte er sich, ob der Arzt nichts gesendet. Braka, um ihren Aufenthalt zu sichern, ging selbst über die Straße in den Laden eines reisenden jüdischen Doktors, kaufte die stärksten Tropfen, welche manchen Sterbenden schon belebt hatten, und brachte sie dem Kleinen als etwas, das der belobte Arzt im Hause abgegeben. Kaum hatte der Kleine diese Höllentropfen eingenommen, so kam ihm der alte Mut wieder zurück. Er hätte rasend werden mögen, daß er dem Erzherzoge nicht derb geantwortet hatte; ihm fiel so viel Beißendes ein, daß er, bloß um es ihm oder einem seines Gefolges aufzuhängen, sich leicht bereden ließ, den Tag noch im Orte zuzubringen.

Es war jetzt die Zeit des höchsten Tumultes herangerückt. Die Rennen auf umgesattelten Pferden, wo der Reiter einer Gans, um sie zu gewinnen, den Faden, der sie an einem Seile aufgehängt hält, mit der Schere abschneiden muß, hatten angefangen; das Wiehern der Pferde, das Lachen der Menge über die getäuschte Zuversicht, die sich im Sande erniedrigt fand, rief alles herbei; auch unser Wurzelmännlein führte seine Damen zu diesem Schauspiele. Kaum war er dort, so verlor er aus Eifer die beiden Frauen fast ganz aus dem Gesicht, so daß Braka ihre Pflegetochter etwas überhören konnte. Bella erzählte ihr, daß der Erzherzog sie heiraten wolle; Braka sagte, das hätte seine schlimme Seite, sie könnte darüber ins Zuchthaus kommen, aber sie möchte ihm nur dreist und ohne Umschweife zu verstehen geben, daß sie ein Kind von ihm haben möchte, daß dies ihres Volkes Glück sei, so würde sich alles von selbst ohne weitere Einsegnung finden. Bella versprach, nach ihrer Vorschrift ihm alles zu sagen, wenn die Gelegenheit käme. Diese wurde aber durch den Zorn des Erzherzogs auf eine wunderliche Art herbeigeführt. Er hatte seine rasende Eifersucht ohne alle Zögerung seinem Freunde Cenrio verraten, dem sogleich ein trefflicher Einfall gekommen war. Er hatte bei einem Guckkasten einen gelehrten Juden aus Polen wiedergefunden, der ihm schon früher durch seine Kunst, Golems zu machen, manche Ergötzlichkeit verschafft hatte. Diese Golems sind Figuren aus Ton nach dem Ebenbilde eines Menschen abgedruckt, über welche das geheimnisreiche und wunderkräftige Schemhamphoras gesprochen worden, auf dessen Stirn das Wort Aemaeth, Wahrheit, geschrieben, wodurch sie lebendig werden und zu allen Geschäften zu gebrauchen wären, wenn sie nicht so schnell wüchsen, daß sie bald stärker als ihre Schöpfer sind. Solange man aber ihre Stirn erreichen kann, ist es leicht, sie zu töten, es braucht nur das Ae vor der Stirne ausgestrichen zu werden, so bleibt bloß das letztere Maeth stehen, welches Tod bezeichnet, und im Augenblicke fallen sie wie eine trockene Tonerde zusammen.

Der alte Jude wurde herbeigeholt, der Erzherzog verlangte ein solches Bild der schönen Bella und er wolle ihn fürstlich lohnen. Der Jude warnte ihn, er möchte sich mit solchem Bilde nicht abgeben, in seinem Vaterlande sei manches Unglück damit geschehen: einem Vetter sei der Golem, den er zu häuslichen Diensten gebraucht, so hoch gewachsen, daß er ihm nicht mehr an die Stirn habe langen können, um das Ae auszulöschen; da habe er befohlen, er sollte ihm die Stiefeln ausziehen, und während sich der Golem danach gebückt, habe er ihm listig das Ae von der Stirne gewischt, aber die ganze Last der Erde sei auf den armen Vetter gefallen, und er sei davon erdrückt worden. Der Erzherzog schwor, daß ein solcher Unfall dem nicht schade, dem er ihn bereiten solle, doch eine neue Schwierigkeit sei zu überwinden, wie das Bild der schönen Bella ähnlich zu machen sei. Der Jude verlangte, sie nur einmal in seinen Kunstspiegel einsehen zu lassen, so bleibe ihr Bild darin festgemalt. Der Kunstspiegel steckte in einem Guckkasten, und die ganze Kunst war, Bella zu demselben hinzulocken. Cenrio, der den Wurzelmann kannte, übernahm diese Besorgung, ihn und seine Schöne zu dem Guckkasten zu führen, während der Erzherzog verkleidet hinter dem Guckkasten versteckt war; alle eilten an ihren Posten. Cenrio traf den Kleinen noch bei dem Pferderennen; er sagte ihm heimlich ins Ohr, er solle sich den Zorn des Prinzen nicht zu Herzen nehmen, ein geheimer Feind von ihm habe dem Prinzen eine verhaßte Erzählung von seinem Betragen gegen die Schauspieler gemacht; doch sei dieser Eindruck noch zu überwinden, wenn er behaupte, daß er einmal von einem tollen Hunde gebissen sei. Der Kleine wurde froh und nötigte ihn, bei der Gesellschaft zu bleiben, indem er ihm seine Braut vorstellte. Cenrio sagte ihr manches Artige und bat sie, doch ja einem Guckkasten nicht vorbeizugehen, der eine Welt im Kleinen, alle Städte, Völker in bunten Bildern zeigte. Sie gingen dahin, Bella sah zuerst hinein, ungeachtet der neugierige Kleine nur mit Mißgunst diese Artigkeit erlaubt hatte; sie war überrascht von aller Herrlichkeit und hätte gern die ganze Vorstellungsreihe noch einmal übersehen, wenn nicht des Kleinen Ungeduld sie von dem Glase zurückgerissen hätte. Er war ganz außer sich über alles, was er erblickte: in jeder Stadt dachte er sich als Fürst; sah er fremde Soldaten, so prüfte er sich, wie er als Heerführer in der Tracht sich ausnehmen würde.

In dieser Zeit hatte sich der Erzherzog leise in ein Gespräch mit Bella eingelassen. Er warf ihr die schändliche Falschheit vor, mit der sie ihm Liebe geheuchelt, um dem kleinen Bräutigam eine Hauptmannsstelle zu verschaffen. Bella brach in Tränen aus und schwor ihm, es sei alles anders, ihre Liebe zu ihm sei ungeheuchelt, ja, es sei ihr edelster Wunsch, von ihm ein Kind zu haben, das ihrem Volke Glanz und Freiheit gebe. Diese Freimütigkeit setzte den Erzherzog in einige Verlegenheit (sie war tiefinnerlich unschuldig, er aber war nur unschuldig aus Stolz); er schwor stammelnd, daß er alles Mögliche tun wolle, ihren Wunsch zu erfüllen, der auch seinem politischen Verhältnisse angemessen sei.

Unter solchen Versicherungen führte er sie, ohne daß es der Kleine merkte, während Braka ihnen Zeichen zum Abzuge gab, ungestört von dannen.

Der Kleine hatte diese Welt im kleinen schon zweimal angesehen, und sie gefiel ihm viel besser als die wirkliche, während der Jude unter allerlei Gesprächen mit Cenrio das Ebenbild der feldflüchtigen Bella bearbeitete. Cenrio bat den Juden, ihm doch nur eine Möglichkeit anzugeben, wie solch ein Bild belebt werden könne.

 

Der Jude sprach: "Herr, warum hat Gott die Menschen erschaffen, als alles übrige fertig war? Offenbar, weil das in ihrer Natur lag, als diese von Gott sich losgedacht hatte. Liegt das in ihrer Natur, so bleibt's auch in ihrer Natur, und der Mensch, der ein Ebenbild Gottes ist, kann etwas Ähnliches hervorbringen, wenn er nur die rechten Worte weiß, die Gott dabei gebraucht hat. Wenn es noch ein Paradies gäbe, so könnten wir so viel Menschen machen, als Erdenklöße darin liegen; da wir aber ausgetrieben aus dem Paradies, so werden unsre Menschen um so viel schlechter, als dieses Landes Leimen sich zum Leimen des Paradieses verhält!

Als er das gesprochen, hatte der alte Jude sein Werk beendigt, er hauchte die Bildsäule an, schrieb das Wort auf ihre Stirn, das sich unter Haarlocken versteckte, und eine zweite Bella stand vor beiden, die alles durch jenen Spiegel wußte, was Bella bis dahin erfahren, die aber nichts Eignes wollte, als was in des jüdischen Schöpfers Gedanken gelegen, nämlich Hochmut, Wollust und Geiz, drei plumpe Verkörperungen geistiger, herrlicher Richtungen, wie alle Laster; daß diese hier ohne die geistige Richtung in ihr sich zeigten, das unterschied sie selbst vom Juden, überhaupt aber von allen Menschen, die sie übrigens so wunderbar täuschen konnte, wie jenes alte Bild von Früchten alle Vögel, daß sie an die Leinewand flogen und davon zu naschen suchten. So naschten auch Cenrio und der alte Jude an dem Bilde, jeder gab ihr einen Kuß, ehe sie dieselbe an den Arm des Kleinen hingen, der endlich sich satt gesehen hatte und mit seiner Bella durch die übrige Lust des Abendgewühls, wo jetzt schon manches Messer unter den trunkenen Bauern gezogen wurde, sich nach Hause zurückzog. Braka war des Austausches der beiden Gestalten so wenig inne geworden wie der Kleine. Sie speisten alle drei in einer gewissen Stummheit miteinander, die nach den geräuschvollen Abwechselungen eines so wunderlichen Tages sehr natürlich war. Als sie abgesessen hatten, kam der Bärnhäuter mit einem halbzerkratzten Gesicht ins Zimmer und sprach: "So hat mich das verfluchte Weib, die Frau Nietken, zugerichtet, die in ihrer Trunkenheit ein Auge auf mich geworfen hatte und mich nicht loslassen wollte, da ich doch so dringende Neuigkeiten mitzuteilen habe. Sie hat mir verraten, daß der Erzherzog einen Anschlag auf unser Fräulein vorhaben müsse, weil er sich so heftig nach ihr erkundigt habe."

Golem Bella, die nur bis zu dem Punkte etwas von der wirklichen Bella wußte, wo sie in den Spiegel gesehen, rief ganz laut: "Wie lieb ist mir das, da werde ich ein Kind bekommen, das mein Volk frei machen wird!"

Braka erschrak über diese laute Vertraulichkeit, und der Kleine sprang wie ein Rasender auf: "Also, du weißt davon, Bella, liebst ihn?"

"Freilich", antwortete Golem Bella.

Der Kleine riß sich die Hirsenhaare aus und erstickte fast in gekränkter Eitelkeit, endlich brach sein Jammer, nach der Vorschrift seines rhetorischen Lehrers bearbeitet, in folgenden Worten aus: "Warum hast du mich zum Menschenleben aus dem sichern Schoße meiner Vorwelt durch höllische Künste herausgerissen? Ohne Falsch bestrahlten mich Sonne und Mond; ruhig sinnend stand ich da am Tage und faltete abends meine Blätter zum Gebete; ich sah nichts Böses, denn ich hatte keine Augen, ich hörte nichts Böses, denn ich hatte keine Ohren, aber die Anlage zu allem, die ich in mir fühlte, machte mich so sicher und reich. Meine Augen werde ich mir ausweinen und werde sie vermissen, mein Leben werde ich aufgeben und werde es ewig suchen, aber dieses Suchen soll deine Qual sein; wenn du mich fern von dir glaubst, werde ich bei dir sein. Du kannst mich nicht zerstören, wie du mich leichtsinnig spielend geschaffen hast; ich bleibe bei dir, werde die Wünsche deiner Habsucht nach Geld befriedigen, werde dir Schätze bringen, soviel du verlangst, aber es wird dein Verderben sein. Du wirst mich von dir werfen, mich vernichten wollen, aber doch bleibe ich bei dir, dir bin ich gebannt, bis eine andre mit noch größerem Verrat, als du gegen mich verübt, mich an sich kauft. Wehe allen kommenden Geschlechtern! Du brachtest mich zur Teufelei in die Welt, von der ich mich bis zum jüngsten Tage nicht frei machen kann!"

Golem Bella sprach ihm ganz in der Gesinnung der echten Bella von ihrer Zärtlichkeit vor, die sie trotz aller Liebe zum Erzherzoge für ihn hegte. Der Kleine sah sie verwundert an und sprach: "Du könntest mich wieder belügen, Bella; wer weiß, was diese Nacht mit dem Erzherzog verabredet ist. Gib mir ein Zeichen der Aufrichtigkeit. Der Mond scheint helle, wir fahren in der herrlichsten Kühlung bis zum nächsten Morgen nach einem Dorfe, wo wir in aller Stille getraut werden können, so kehren wir verbunden nach Gent zurück, um es bald auf immer zu verlassen, daß der glattzüngige Erzherzog uns nicht mehr versuchen kann. Wir reisen nach Paris, und ich erbiete meinen kriegerischen Mut dem Könige von Frankreich, der tapfere Männer, wenn sie auch klein von Gestalt sind, doch zu schätzen weiß."

Golem Bella schwieg still, sie hatte keinen Willen und keine Redensart auf diesen Fall. Der Kleine legte sich das zu seinen Gunsten aus, und als Braka noch etwas dazwischen reden wollte, zog er seinen Degen und schwor, ihn mit ihrem Blute zu färben, wenn sie sich seinem Glücke widersetzte. Braka schüttelte sich vor Schrecken; sie konnte keinen Bissen essen. Der Kleine befahl dem Bärnhäuter, zusammenzupacken und einen Fuhrmann, es koste was es wolle, anzuschaffen, der sie nach dem nächsten Pfarrdorfe führe, da in Buik, wegen der Nachtmessen, wohl kein Pfarrer zu einer Trauung bereit sein möchte. Der Bärnhäuter betrieb alles, aus Furcht vor der trunkenen Wirtin, mit dem größten Eifer und mit der lobenswertesten Verschwiegenheit. Der Wagen stand vor der Türe, alle saßen darin, ehe Frau Nietken etwas merkte. Ihrem widersinnigen Geschrei zu entgehen, wurde ihr das Dreifache, was sie fordern konnte, zugeworfen; und die sonderbare Gesellschaft, eine alte Hexe, ein Toter, der sich lebendig stellen mußte, eine Schöne aus Tonerde und ein junger Mann, aus einer Wurzel geschnitten, saßen in feierlicher Eintracht, hegten große Gedanken vom Glück des Lebens, das sie eben zu begründen fuhren, von Schätzen, Heldentaten und Biergeldern, auf die der Bärnhäuter bei dieser Festlichkeit ungemein rechnete. Wie vergebens quält uns das Verhältnis zu manchen Menschen; könnten wir uns einbilden, er sei ein Toter, eine Erdscholle, eine Wurzel, unser Kummer und unser Zorn müßte verschwinden, wie aller Gram über unsre Zeit, wenn wir nur endlich gewiß wüßten, daß wir bloß träumten.

Wenn es sich in stürmender Nacht zuweilen in Blumenbeeten ereignet, daß ein paar getrennte Blumenkelche zusammengebeugt werden und sich nicht erkennen, bis der Mond wieder hervortritt, so ist die Freude stumm, die Grillen singen aber davon die lange Nacht bis zum Morgen, wo die Vögel sie ablösen. Der Erzherzog wollte sich rächen wegen des Verrats an seiner Liebe, das machte ihn gegen jede Sorglichkeit Bellas taub, die nicht wußte, was mit ihr vorgehe, als er sie heimlich auf sein Zimmer in sein Bette gebracht. Beide waren eingeschlafen, als der Gesang: De profundis clamavi ad te, Domine: Domine, exaudi vocem meam in der Kirche, die nicht fern lag, sie erweckte: ein Gesang, in den die Haufen auf den Straßen, die darin nicht mehr Platz finden konnten, einstimmten. Es war eine helle Sommernacht, und beide eilten ans Fenster. Bella erwachte erst jetzt aus ihrem Taumel: "Heiliger Gott, ist es schon so tief in der Nacht, wie soll ich in mein Bette kommen, wo bin ich, was ist mir geschehen, was soll aus mir werden?"

Der Erzherzog hatte sie zu lieb gewonnen, seine Freude war ihm zu neu, um sie durch eine Erinnerung an ihre Falschheit zu kränken: "Du sollst nun auf immer bei mir bleiben, wir verlassen uns nicht, wie Leib und Seele!"

"Ist es wahr?" fragte Bella treuherzig, "da bin ich sehr glücklich!"

Der Erzherzog verwunderte sich: "Aber deine Heirat mit Cornelius, willst du die aufgeben?"

"Bin ich nicht dein?" fragte sie, "soll ich nicht ein Kind von dir haben, das mein Volk zur Heimat führt?"

"Welchem Volke gehörst du, liebes Mädchen?" fragte der Erzherzog, "betrüge mich nicht; fürstlich muß ich dich nennen, aber ich möchte wissen, ob das Schicksal dir gerecht war und dich einem Fürstenstamme einsegnete?"

"Mein Vater war Fürst Michael von Ägypten", sagte Bella gerührt, "ich bin der letzte Zweig des alten Geschlechtes, das sich bei allen Umwälzungen oft siegreich, oft fliehend, doch in steter Unabhängigkeit erhalten hat, so sagte der Vater. Ich bin das letzte Kind aus meinem Stamme; mein Vater starb in den Verfolgungen, die über unser Volk ausbrachen; eine alte Wahrsagung bestimmt, daß ein Kind von mir und einem Weltbeherrscher die letzten Unglücksscharen unserer verfolgten Untertanen zum segensreichen Nil würde führen."

"Ich traue deinen Worten ganz", sprach Karl, "doch sage an, wie war es möglich, da dich so großer Sinn trug, dich gegen mich mit deinem kleinen Freunde zu verbinden? Wie konntest du dich mir hingeben wollen, ihm eine Anstellung zu schaffen? Nun ich dich hier so schön und heilig sehe vor mir stehen in dem Mondenscheine, da möcht' ich meine Ohren Lügen strafen; doch hörte ich es, als ich nach deiner Schönheit durch die Türe lauschte, und wollte im Genuß mich an dir rächen; doch hat mich diese Lust bezwungen, und ich bekenne dir jetzt meine Wut!"

Bella verstand ihn nicht, er schien ihr lauter Güte. Sie lachte seines Argwohns und erzählte ihm so natürlich alles, wie sie durch Braka zu einer Nachgiebigkeit gegen die wunderlichen Launen des Kleinen beredet worden sei; zugleich vertraute sie ihm unter dem Versprechen der Verschwiegenheit dessen geheimnisvolle Entstehung. Der Erzherzog, aus der gewohnten folgerechten Natürlichkeit in alle Wunder der Lust und der geheimen Kräfte in einer Nacht hineingerissen, versank in ein tiefes, ernstes Nachdenken; er stand innerlich, wie ein Stern hinaufgerissen, über der Welt, mit der er bis dahin fortvegetiert hatte; was er künftig täte und spräche, alles schien ihm bedeutsam. Er hatte ein reiches Geheimnis, das er sich bewahren wollte und dessen er selbst seinen Cenrio nicht würdig achtete: wie er seine Liebe fortführen sollte, beschäftigte ihn mit stillem Ernste.

"Bist du nicht glücklich wie ich?" fragte Bella -, "alles ist mir so merkwürdig, und wie alles hat so kommen müssen. Denn wie ich mit dir gegangen, ahndete ich von allem dem nichts; und sieh, wie die Spinnweben am Baum im Mondschein sichtbar glänzen, während ich das Tauwerk des Schiffes dort im Dunkel nicht unterscheiden kann: so fühle ich höhere Wege und ahnde doch nichts, was mir in den nächsten Tagen bevorsteht. Der Kleine ist böse, merkt er, daß ich mich ganz zu dir wandte, von ihm kommt unser Reichtum, er wird uns alles versagen, kannst du mich dann ernähren?"

Der Erzherzog ließ eine Träne fallen: "Ach, liebes Kind, durch die Härte meiner Eltern bin ich sehr beschränkt; für die törichte Lust an Pferden habe ich mich tief verschuldet, meine Lehrer dürfen mir gar kein Geld mehr einhändigen, sondern sie bezahlen, was ich brauche. Aber für dich schaffe ich Geld, und sollte ich mein künftiges Reich verpfänden."

Bella küßte ihm die Augen und schwor, es sei nur ein Nachsprechen von ihrer Tante gewesen, wenn sie über ihre Zukunft sich so bedenklich gestellt hätte; wenn sie aus ihrem Herzen spreche, so sei ihr die Art Staat, die sie in Gent um sich gesehen, lästig, ihr Anzug quäle sie, und jede Stunde sei zu allerlei Beschäftigungen, die ihr verhaßt wären, abgemessen. "Was soll ich Spanisch und Latein sprechen? Was bedarf ich's, Amo, ich liebe, Amas, du liebest, zu lernen? Ich weiß ja nichts andres, als daß ich dich liebe und daß du mich liebest." Sie umarmten sich still traulich, als Cenrios Stimme plötzlich an der Türe schallte; er sagte, daß Adrian von dem Orte forteile, weil er ein wunderbares Sternzeichen entdeckt. Gleich darauf hörte der Prinz Adrians heftiges Husten, trieb Bella in das Seitenzimmer, wo der Kleine krank darnieder gelegen hatte, und eilte den eigensinnigen Adrian zu besänftigen. Dieser war aber außer Fassung; er schwor, daß diese Nacht den wunderbarsten Sohn der Venus und des Mars gezeugt habe, er müsse zu seinen Büchern, um die Beobachtungen weiter zu vergleichen; er meinte im Erzherzoge gleiches Interesse für die Beobachtung und hörte dessen Einwürfe kaum. Er war ein echter Hofmeister, der in seinem Schüler seine Gedanken voraussetzte und durch ihn seine Zwecke verfolgte. Der Prinz war aber seiner Willkür ganz überlassen und mußte endlich folgsam sich anziehen, um mit ihm nach Gent zurückzukehren. Gern hätte er seiner lieben Bella noch ein Lebewohl ins Seitenzimmer gerufen; doch fürchtete er dadurch ihre Verbindung den Ihren zu verraten, da er so wenig von dem Schicksale der Golem Bella wie von der Abreise seiner Nachbarn in der Eile durch Cenrio unterrichtet werden konnte. Sorgen machte er sich am wenigsten heute, wo sein Herz in den ersten Freuden der Liebe schwebte und nachschwelgte. Die ganze Welt war ihm aufgegangen, er dachte weder an Pferde noch an Jagdhunde, zum erstenmal war ihm die zärtliche Saite seines Herzens angeklungen, die noch im späten Alter im Lager bei Regensburg bei den Tönen einer schönen Harfenspielerin nachklang, als Krankheit und Sorge um seine Lieblingswünsche ihn schon von der Welt loslösten. Vielleicht wäre aus ihm nie der Unermüdliche, der nach allem griff, alles zu verbinden strebte, geworden, wenn ihn nicht das Geschick so rasch aus diesem Verhältnisse, das seine ganze Seele befriedigen konnte, herausgerissen hätte.

 

Nachdem das Geräusch seiner Abreise vorübergegangen, währenddessen Bella kaum durch die Scheiben ihm trübe nachzublicken wagte, als das Schiff im Dunkel anfing zu schwanken, die weißen Segel sich ausbreiteten und die Ruderer endlich das Wasser anregten: Ach, dachte sie, die mächtige Gewalt des Tauwerks, das sich vorher unserm Blicke verbarg, tritt so schnell hervor, uns zu trennen, wird es auch eine unsichtbare Gewalt geben, die uns wieder verbindet?

Als sie sich in den Gedanken an ihn recht ersättigt und gestärkt hatte, öffnete sie leise das Nebenzimmer, wo sie mit Braka schlafen sollte, war aber verwundert, die Fenster offen, die Betten geschlossen und den Reisekoffer nicht mehr an Ort und Stelle zu sehen. Sie nahte sich dem Bette der Alten, rief sachte, endlich lauter; aber alles blieb still, und sie sah jetzt im Mondenscheine, daß keine Spur ihrer Anwesenheit mehr zu sehen als schmutziges Wasser im Becken und einige nasse Handtücher, über die Stühle gehängt. Bella konnte sich das alles nicht erklären; aber sie hatte auch kein Schrecken darüber. Sie ging endlich in das dritte Zimmer, das Cornelius bewohnen sollte, schüchtern und leise, fand aber auch hier niemand. Erst jetzt machte sie ihre Verlassenheit ängstlich, sie kannte niemand im Hause als die widrige Frau Nietken; doch lieber wollte sie heimlich entlaufen, ehe sie ihre Zuflucht zu der genommen hätte.

Aber Zufall führte sie ihr entgegen. Es wollten sich ein paar alte Edelleute bei Wein und Spiel mit Mädchen erlustigen, und sie hatte keine andre Zimmer frei als diese von der Brakaschen Familie und von dem Erzherzoge verlassenen. Sie kam mit einem Licht, alles darin aufzuräumen, und erschrak wie vor einem Gespenste, als sie Bella vor sich erblickte.

"Was ist Euch, Frau Nietken, wo ist meine Mutter?"

"Ei, Jesus Maria", seufzte die Alte, "da muß ich doch gleich was auf meinen Schreck nehmen; haben Sie was vergessen gehabt, liebes Fräulein? ei, ei, das muß Sie so lange aufhalten! wie weit waren Sie denn schon? bei mir wär's so sicher aufgehoben, und wenn's ein Scheffel mit Gold gewesen." Bella konnte sich diese Reden nicht erklären; sie fragte nach ihrer Mutter, wohin sie gefahren, und kam dabei in Verlegenheit, wie sie es ihr erklären solle, daß sie nichts davon wisse. Dadurch ward Frau Nietken, die sich sogleich der Ausfragerei des Erzherzogs erinnerte, klug genug, irgendein geheimes Einverständnis mit diesem anzunehmen, und da sie von diesem oder vielmehr von Adrian, der die Kasse führte, schlecht bezahlt worden, so suchte sie sich durch diese Entdeckung schadlos zu halten. "Ei", schloß sie ihre Rede mit einem wunderlich ernsthaften Gesichte, "das hätte ich von einem gnädigen Fräulein mein Seelen nicht gedacht, daß Sie sich so schlecht aufführen würden. Pfui Teufel, mein guter Ruf leidet es nicht, die Jungfer Demut muß in die Wache; sie soll ausgestäupt werden auf öffentlichem Markte zur Warnung!"

Bella zitterte in Scham und Ärger. Sie sah und hörte nichts mehr, so aus dem Glücke in die entsetzlichste Hilflosigkeit und Verachtung gestoßen, ohne irgendeine Welterfahrung; kaum konnte sie glauben, daß sie dieselbe sei, so schauderte ihr vor ihrem Zustande. Nicht das Unglück, aber die Schande, die ihr so unvermeidlich nahe schien, konnte die Sicherheit ihres fürstlichen Gemütes vernichten; sie weinte und warf sich auf einen Stuhl.

Frau Nietken ließ diese Verzweiflung noch tiefer in ihre Seele fressen, um sie zu dem Vorschlage, hier zu bleiben und ein paar alten guten Edelleuten die Zeit zu vertreiben, vorzubereiten. Bella, als sie ihn erfuhr, ahndete nichts Schlimmes, sie meinte allenfalls, daß sie ihnen aufwarten, den Tisch decken solle, und entschloß sich gern dazu, um ungekränkt am andere Tage zur alten Braka zurückzukommen. Aber alles, was sie an Unmut in sich spürte, setzte sie heimlich in Reden um, die sie der alten Braka recht scharf ans Herz legen wollte.

Frau Nietken war sehr vergnügt, sie so willig zu finden. Als die beiden alten Herren hereintraten, sperrten sie beide über die wunderbare Schönheit der Bella ihre Augen weit auf und entschuldigten sich, daß sie in ihr Zimmer gekommen wären: wer konnte sich einbilden, in der Gewalt der Frau Nietken eine so junge, blühende Schönheit zu treffen. Als aber dieser Irrtum berichtiget war, indem Bella ihnen schüchtern sagte, daß sie zu ihrer Aufwartung bestimmt wäre, so erwachte in dem raschen Liebesfeuer, das Nasen und Wangen der beiden Alten durchglühte, eine Eifersucht, den Besitz dieser seltenen Jugend einander nicht zu gönnen, dergestalt, daß jeder seine Stirnfalten hinaufrückte und einer List nachsann, den andern zu entfernen oder bei der Frau Nietken zu überbieten. Während sie nun aus hohen Gläsern den Wein tranken und miteinander im Brett spielten, benutzte es der eine nach dem andern, während jener am Zuge, mit Frau Nietken heimlich ein Wort zu reden, die in seliger Erwartung, wie hoch sie die arme Bella in dieser Versteigerung hinauftreiben werde, sehr viele Schwierigkeiten in Hinsicht ihres Besitzes aufzuzählen wußte. Bella war in ihres Stammes Natur zu klug, um die Gefahr nicht einzusehen, worin ihre Liebe und ihre Freiheit schwebten; die alten Herren erlaubten sich schon manche unbequeme Zudringlichkeit, und sie sann auf einen Anschlag, wie sie dem Hause entkommen möchte. Aber was sie auch erfinden mochte, sie war zu strenge belauscht, und niemand gestattete ihr unter irgendeinem Vorwande das Zimmer zu verlassen. Die beiden Alten, je mehr sie tranken, wurden immer heftiger, sie sprachen von ihren Kriegszügen und fingen an sich zu streiten. Die Wirtin fürchtete, sie möchten zu den alten rostigen Degen greifen und ihre Tassen und Gläser zerschlagen; sie war deswegen sehr erfreut, als sie eine Musikantenbande, wie sie damals häufig auf den Kirmessen der Niederlande anzutreffen waren, die vor dem Fenster mit Küchenmörseln auf Rosten zum Gesange klapperten, in das Zimmer rufen konnte. Das lustige Völkchen, unter großen Mänteln und Larven versteckt, trat ins Zimmer, sah sich um und sang, wie sie die beiden alten Herren so zärtlich gegen das junge Mädchen erblickten, vom Glück des Alters, das noch lieben kann und geliebt wird:

Väterchen, sang Jugendmut Aus der Lippen rotem Blut, Mische Honig zu dem Wein, Und er wird dir lieblich sein; Zünde auch ein Feuer an, Daß sich Amor wärmen kann: Sieh, der lose kleine Bub Kommt auf Stelzen in die Stub'.