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Isabella von Aegypten

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Die arme Bella! sie löschte ihre Fackel wie ein guter Genius, der nicht mehr helfen kann. Der ernste Blick und Ton des Erzherzogs hatte allen ihren Mut, ihn anzureden, niedergeschlagen; sie gab ihn ihrer Liebe verloren und war in sich still versunken, als sie das Geschrei einer Musikantenbande aus ihrer Schmerzenstiefe erweckte. Sie hörte nichts von dem Liede, womit sie sich eine Gabe aus dem erleuchteten Hause zu erflehen suchten; die Erinnerung ihrer Retter aus den Händen der Alten stieg in ihrem Herzen auf, zugleich die Erinnerung jener überstandnen Angst; sie zagte für ihre Zukunft und wußte doch nicht, was sie noch verlieren könnte. Es wohnt aber in den Menschen, die zu einer großen, allgemein wirkenden Äußerung, von hoher Hand vorbereitet, sie noch nicht erkennen, eine erhaltende Kraft, die ihnen im gewöhnlichen Kreise das Ansehen der Zaghaftigkeit geben kann; ihren großen Lauf ahndend, scheuen sie die hemmende Kraft des schlechten, und nur ein ganz erfassender Glaube kann ihnen in den Unbedeutendheiten des Lebens die Zuversicht und Dreistigkeit geben, die ihnen im großen nie fehlt. Bella fühlte ungeachtet ihrer Vernichtung einen erhaltenden Wunsch in sich. Ihre Hilflosigkeit, und was ihr im Gedränge der Menschen; die nachts in der Hauptstadt umherschwärmten, geschehen könnte, erschreckte sie; sie verkroch sich zwischen den Säulen einer kleinen Kapelle der heiligen Mutter, die neben ihrem ehemaligen Hause ganz verlassen unerleuchtet stand. Diese Bande von Musikern, welche sich vor dem Hause hören ließ, unterschied sich aber gar herrlich von jenen rohen Sängern auf der Kirmes. Es waren weder Bettler noch Diebe, sondern junge Leute aus allen Ständen, die sich abends zusammenfanden mit ihren Lauten und allerlei Lieder, so gut ein jeder sie wußte, absangen. Was sie einnahmen, verjubelten sie entweder zusammen gegen Morgen, ehe sie voneinander schieden, oder sie schenkten es den Mädchen, die sie mitzugehen beredet hatten. Diese Sänger waren in den Städten so beliebt, daß die Eltern ihre Kinder abends nicht eher zu Bette bringen konnten, bis der Zug vorübergegangen, und wenn auch die Knaben den Trommelschlag vorzogen und ihm nachliefen, der abends den Torschluß verkündigte, die kleinen Mädchen hörten lieber die Sänger und folgten ihnen bis an die Straßenecke. Mancherlei freche und traurige Lieder waren unbemerkt vor Bellas Ohren vorübergegangen, als ein junger fahrender Schüler sich vor der heiligen Mutter hinstellte, daß die hellerleuchteten Fenster des Hauses sein trauriges Gesicht erleuchteten; dann sang er ein Lied, das damals allgemein gesungen wurde und in seinen Schicksalen vielleicht eine besondre Rührung vorfand:

Die freie Nacht ist aufgegangen, Unsichtbar wird ein Mensch dem andern, So kann ich mit den Tränen prangen Und hin zu Liebchens Fenster wandern. Der Wächter rufet seine Stunden, Der Kranke jammert seine Schmerzen, Die Liebe klaget ihre Wunden, Und bei der Leiche schimmern Kerzen.

Die Liebste ist mir heut gestorben, Wo sie dem Feinde sich vermählet, Ich habe Lieb' in Leid geborgen, Ihr Tränen mir die Sterne zählet. Wie herzhaft ist das Licht der Sterne, Wie schmerzhaft ist das Licht der Fenster, Ein dichter Nebel deckt die Ferne, Und ich umspinnen die Gespenster.

Im Hause ist ein wildes Klingen, Die Menschen mir so still ausweichen, In Mitleid mich dann fern umringen: So bin ich auch von euresgleichen? Mich hielt der Wald bei Tag verborgen, Die schwarze Nacht hat mich befreiet. Mein Liebchen weckt ein schöner Morgen, Der mich dein ew'gen Jammer weihet.

Wie oft hab ich hier froh gesessen, Wenn alle Sterne im Erblassen, Ach, alle Welt hat mich vergessen, Seit mich die Liebste hat verlassen: Nichts weiß von mir die grüne Erde, Nichts weiß von mir die lichte Sonne, Der Mondenglanz ist mir Beschwerde, Die Nacht ist meiner Tränen Bronne.

Hier hielt er inne, schlug seinen Mantel über die Arme, zog eine kleine Laterne hervor, holte eine brennende Kerze heraus und stellte diese vor das Bild der heiligen Mutter; dann sang er in verändertem Ton:

Nichts weiß von mir die liebe Mutter, Nichts weiß von mir der gute Vater, Doch zünd ich ein Licht der heiligen Mutter, Doch glaub ich an einen himmlischen Vater.

Als das Licht den jungen Mann erhellte, da erinnerte sie sich, ihn mehrmals vor ihrem Hause erblickt zu haben, wenn sie zufällig nach der Straße gesehen. Nicht ohne Grund glaubte sie sich die Ursache seiner Trauer, weil er sie vermählt glaubte. Welche treue Liebe war ihr unbekannt geblieben, während der Liebling ihres Herzens, dem sie sich so ausschließlich hingegeben, sie in leichtsinniger Täuschung verlassen hatte. Sollte sie sich ihm wie ein Almosen hingeben? Sie war sich nichts mehr wert! sie konnte ein frommes Leben mit ihrer Liebe retten. Schon wollte sie zu dem Betenden hinspringen und sich ihm zu erkennen geben und ihrem Hause und ihrem Volke entsagen, als der Mond an dem hohen, pyramidalen Kirchturm, der vor ihr wie ein Schatten stand, wie das Licht eines Leuchtturms emporstieg, und sie dachte der Pyramiden Ägyptens und ihres Volkes, und die Gedanken machten sie ihres Schicksals fast vergessen. Inzwischen trat ein Knabe, der mit einem Teller, worauf ein Licht geklebt war, im Kreise herumgegangen war, auch zu ihr; sie sah auf dem Teller außer einigen Birnen und Äpfeln, Gaben der Kinder, kleine Ersparnisse vom Abendbrot, nichts liegen. Sie fühlte einen quälenden Durst und meinte, es werde ihr geboten, nahm einige Birnen und führte sie zum Munde. Der Knabe sah sie verwundert an, dann sagte er ihr, sie möchte bezahlen. Sie griff in Verlegenheit nach den Taschen und meinte darin Geld zu finden; es war aber nur ein abgerissener Knopf, den der vorige Knabe darin vergessen. Als sie ihn auf den Teller legte, lachte der Knabe und rief die lustige Bande herbei. Da hieß es gleich, wenn er kein Geld zum Zahlen habe, müsse er ein Lied zum besten geben. Bella verging fast in Angst; kein Lied wollte ihr einfallen, sie wurde gezogen und bedrängt. Endlich stieß sie an einen Stein, und da sang sie im Schmerz.

Wer sich an den Stein gestoßen, Springt in die Höh Mit Ach und Weh: Wollet ihr das Tanzen nennen? Wen die Liebe hat verstoßen, Singt in die Höh Mit Ach und Weh: Wollet ihr das Singen nennen? O Schmerz, wie soll ich dich singen, Du bist mir zu schwer! O Herz, wem soll ich dich bringen, Dich will keiner mehr; Verlorn ist Lieb' und Ehr'.

Bella hatte diese Worte mit solcher Angst ihrer Kehle entpreßt, daß der traurige Sänger vom Gebete aufgestanden war und, ohne sie anzusehen, den Teller mit Früchten und Geld in ihr Barett schüttete, das sie schüchtern halb vor ihr Gesicht wie ein Becken mit Weihwasser hielt, ihre Tränen waren hineingeflossen; hätte er sie erkannt, er hätte ihr mehr, er hätte ihr alles gegeben, denn er war ihr eigen. Aber so schön ist eine fromme Neigung, daß sie selbst da wohl tut, wo ein höheres Geschick ihr keine Erfüllung gestattet. Der arme Schüler fühlte sich durch die kleine Wohltat, er wußte nicht wie, erleichtert. Seine Bescheidenheit erlaubte ihm nicht, dem er wohl getan, ins Auge zu sehn, darum zog er die Bande mit seinem schönen Gesange weiter, daß sie den armen Burschen, dafür hielt er Bella, nicht weiter mit Anforderungen zum Singen ängstigten.

Als Bella allein war, warf sie sich an die Stelle nieder, wo der arme Schüler im Staube gekniet hatte, wo er sein Licht und einen Blumenstrauß zurückgelassen. Die Blumen dufteten so angenehm zu ihr, und die heilige Mutter sah so liebreich zu ihr herab, daß sie fühlte, die Sünde ihres Volkes sei vergeben: "Heilige Mutter", seufzte sie, "hast du verziehen unsre Missetat, nimmst du uns auf, nachdem wir dich verstoßen?"

Da glaubte sie, die heilige Mutter nicke ihr freundlich zu, und ihr Herz schwamm in Andacht so selbstvergessen, daß sie den Schwarm der Gäste kaum wahrnahm, die um Mitternacht das Haus verließen.

Ein paar trunkene Edelknaben des Erzherzogs erzählten, daß sie den kleinen Cornelius, als er vom Mohnsafte eingeschlafen, unter den Ofen gesteckt und ihn an den vier Ofenfüßen mit Armen und Beinen schwebend angebunden; es sei schade, daß man noch nicht einheize, er würde sonst den Gesang der Männer im feurigen Ofen sehr natürlich anstimmen können. So gingen sie vorüber, ohne Bella zu bemerken, die sie ebenfalls nicht beobachtete und endlich, als das kleine Licht des Schülers erloschen war, gleichsam mit offenen, sehenden Augen in eine andre Welt getragen wurde. Sie sah ein Kind in ihrem Schoße, das dem Erzherzoge gleich, vor dem sich zahlreiche Völker beugten; sie war ganz verloren in dem Anblick.

Aber mitten aus diesem Entzücken weckte sie die geliebte Stimme des Erzherzogs mit den Worten: "Wach auf, Knabe, zünde deine Fackel und leuchte mir vor!"

Sie taumelte auf und sah Golem Bella, die mit einem Lichte ihn bis vor die Türe begleitet hatte. Sie war in einen schwarzen Mantel gehüllt. Der Erzherzog, den die sinnliche Gewohnheit mehr ergriffen, den die höheren Forderungen der Liebe in der Unruhe weniger gestört hatten, näherte sich ihr und sprach: "Also morgen abend bin ich wieder bei dir und übermorgen wieder, und so alle Nächte, ja auch die Tage, wenn ich erst ganz frei der Herrscher eines mächtigen Volkes bin, das wie wir die Torheiten des Lebens in freudigem Genusse vergessen soll!"

"Vergiß nicht die Perlen, die du mir versprochen", sagte Golem. Bella hatte jetzt an ihrem Lichte ihre Fackel entzündet. Ihr Barett lag noch mit den Früchten in der Kapelle, und da ihre Knabenkleidung vom Mantel bedeckt war, so erschrak der Erzherzog, der sie ganz wie am Frühlichte in Buik wiedererkannte, fuhr mit seiner Hand gegen seine Stirne und rief: "Heiliger Gott, es sind ihrer zwei!"

"Muß ich dich wiedersehen, du Vorgeschaffene Gottes, muß ich an dir schaudern, daß ich nicht lebe?" schrie Golem und stach mit einer pfeilförmigen, goldnen Haarnadel nach ihr. Der Erzherzog aber, dem alles im Augenblicke schrecklich klar wurde, was er sich bisher abgestritten hatte, hielt Golem Bella bei den Haaren zurück, deren Flechten niederfielen; er sah die Schrift auf der Höhe der Stirn, das Aemaeth, löschte die erste Silbe rasch aus, und im Augenblicke stürzte sie in Erde zusammen. Der Mantel lag über der formlosen Masse, als ob eine Magd, die in der Stadtsandgrube sich Sand ausgegraben hat, weggerufen wird und ihren Mantel darüberlegt, damit kein andrer ihr den Haufen wegnimmt.

 

Aber weder der Erzherzog noch Bella hatten ein Verlangen nach diesem irdischen Schatze. Der Erzherzog hob Bella rasch auf, daß ihr die Fackel aus der Hand fiel, und trug sie in seinem Mantel nach dem nahen Brunnen, wo er des klaren Wassers reinigende Kraft über sein Antlitz und seine Hände hingehen ließ, gleichsam um jede Spur dieser falschen Berührung mit der Erde zu tilgen. Und als er sich in Unschuld gewaschen, küßte er die geliebten Lippen der echten Bella, bekannte ihr, wie diese Irrungen veranlaßt worden wären, und bat sie, ihm ihr Geschick, und was sie in diese Kleider gebracht, zu bekennen. Bella sah sich wieder in dem Besitze des verlornen Schatzes, und doch atmete sie noch schwer und hätte doch gern ganz froh und heiter sich angestellt. Es waren dieselben geliebten Züge, aber ohne den farbigen Fruchtstaub, den das Anfassen der neugierigen Welt so leicht von dem unschuldigen Leben hinwegwischt, was uns Weintrinkern wie ein edles Faß vorkommt, das mit einer geringeren Menge unedlen Gewächses aufgefüllt worden: der Wein ist darum doch klar, edel, aber nicht mehr rein. Karl war heiter, aber er wollte es auch sein, um seine Verirrung auszutilgen, der er doch zuweilen nachgähnte, und als ihm Bella ihre Geschichte erzählte, da wurde ihm das Ereignis mit dem alten Adrian so hervorstechend in seiner absichtlichen Laune, daß Bella ihm ihre unsägliche Trauer und ihr Entsagen und ihren Wunsch nach Ägypten nicht mitteilen konnte. Karl, den mitten in Liebkosungen die Freuden naher Herrschaft beunruhigten und erkälteten, beschloß, dem Adrian, den er zur Bewachung des Ximenez nach Spanien senden wollte, nach dieser feierlichen Bestallung einen lustigen Streich zu spielen, damit er das Ende seiner Hofmeisterschaft deutlich fühle.

Es sollte nämlich in dieser Nacht ein großer Staatsrat gehalten werden, worin Adrian präsidierte; am Schlusse desselben sollte Bella hereintreten und ihn verklagen, daß er sie verlasse, und ein Gericht der Liebe über den Kardinal verlangen. Bella, die den Erzherzog so heiter sah, wollte gern an ihres Karls Seite ihre überstandene Trauer vergessen, wenn sie gleich zu diesem Scherz allzu beklommen war; sie glaubte es aber ihre Schuldigkeit, alles Kränkende zu vergessen, insbesondre da der Erzherzog ihr versprochen, für sie und für ihr zerstreutes Volk nachher etwas Bedeutendes zu tun.

Nach dieser Verabredung gingen sie still ins Schloß zur Hintertür ein. Der Erzherzog gönnte Bella auf seinem Bette einige Ruhe, gab ihr Erfrischungen und verließ sie endlich recht ungern, um über die Schicksale der Welt zum erstenmal einen Rat zu hören und eine Tat auszuführen. Die Versammlung bestand aus Adrian, Chievres, Wilhelm von Croy, dessen Neffen, und Sauvage. Als der Erzherzog eintrat, bemerkte er, nicht ohne Regung seiner Eitelkeit, die verschiedne Art, wie sie ihn jetzt begrüßten. Jeder spekulierte in seinem Herzen, welche Vorteile ihm aus diesen nahen Veränderungen erwachsen möchten. Für sie war Ferdinand, der Großvater, nicht bloß krank, sondern schon tot, begraben und vergessen; alle bemühten sich, den jungen Erzherzog, der ein blindes Vertrauen in ihren guten Willen setzte, gegen die Spanier einzunehmen, die nur ihre Rechte und ihren Dünkel, nicht den Ruhm und die Macht ihrer Könige zu fördern suchten. Der Erzherzog ließ sich leicht von etwas überreden, was er immer geglaubt hatte; der früher von Chievres ersonnene Rat, den festen und treuen Adrian dem Ximenez an die Seite zu setzen, wurde angenommen, und Adrian sollte schon am nächsten Morgen sich nach Spanien einschiffen, ohne die sichre Nachricht von dem wirklich erfolgten Tode des alten Königs abzuwarten.

Als dieses abgetan und alle sich entlassen glaubten, sagte Karl ernsthaft, daß er jetzt, wo er sein eigner Herr werde, ein Strafgericht über seinen gewesenen Hofmeister Adrian eröffnen müsse, insbesondre, ob derselbe seine geistlichen Gelübde der Keuschheit gewissenhaft erfüllt habe. Alle sahen sich verwundert an, und Adrian, der einen solchen Ton im Erzherzoge nicht gehört hatte und seiner Unschuld sich bewußt glaubte, verlor so gänzlich sein kaltes Blut, daß er zornig ein geistliches Gericht verlangte, um sich der strengsten Prüfung zu unterwerfen.

"Wir wollen nicht richten", sagte Karl, "sondern nur die Zeugen verhören, denn diese könnte uns die geistliche List entziehen!"

Bei diesen Worten gab er das verabredete Zeichen, und Bella trat in der Livrei des Kardinals schüchtern in die Versammlung. Der Kardinal wird im Augenblicke sichtbar rot; die übrigen wissen nicht, was der Knabe vorzubringen habe, bis der Erzherzog den Kardinal auf sein Gewissen frägt: Ob dieses sein Diener? ob es ein Knabe? ob er es gewußt, daß es ein Mädchen? ob dieses Mädchen nicht in seinem Bette geschlafen

Adrian hatte seine Fassung so ganz verloren, daß er kein Wort vorbringen konnte; keine von den vielen Spitzfindigkeiten, die er in seinem Leben durchdisputiert hatte, fiel ihm zu seinem Schutze ein. Er sagte endlich, daß er nichts antworten wolle, es sei eine Verschwörung gegen ihn, seine Gutmütigkeit werde hart bestraft. Länger konnten weder der Erzherzog noch Bella seine Verlegenheit ansehen. Der Erzherzog nahm Bella lachend in seinen Arm und rechtfertigte ihn vor der Versammlung, indem er sagte, daß er ihn angeführt habe, daß er ihm eine Geliebte zur Aufwartung gegeben, um sie sich selbst näher zu rücken. Adrian atmete wieder nach dieser Rede; die Versammlung rühmte das frühe Liebesgeschick des Erzherzogs. Chievres, der Karl gern zum Liebhaber seiner Frau gemacht hätte, um ihn desto mehr in seine Gewalt zu bekommen, versicherte laut, er würde seine Frau nicht mehr mit ihm allein lassen. Der Erzherzog bat unterdessen Bella, daß sie zur Frau von Chievres, die im Schlosse wohnte, gehen und sich recht kostbar möchte ankleiden lassen, dann sollte sie mit derselben in die Versammlung zurückkehren, noch habe er einige Akten für Adrians Abreise zu unterzeichnen.

Diese Ausfertigungen waren nur ein Vorwand, sich selbst eine Zeit der Überlegung zu verschaffen; streitige Wünsche teilten seine Seele: was er der Liebe, was er seinem Stande schuldig, ob er eine Herzogin von Ägypten heiraten dürfe, ob es nicht seinen Thron unsicher mache. Diese Beratung in ihm war noch nicht beendigt, als Bella in einem prachtvollen, silbernen Kleide, das mit roten Blumen bestreut zu sein schien, auf ihrem Haupte eine kleine goldne Krone, an der Seite der Frau von Chievres ins Zimmer trat und die Bewunderung aller durch ihren sichern Anstand gewann, so daß Sauvage und Croy einander zuflüsterten, es müsse wahrscheinlich eine Fürstin sein, die Karl heimlich zu heiraten beschlossen habe. Karl beugte sich vor ihr, führte sie auf seinen hohen Stuhl und versuchte zu sprechen, aber die innere Bewegung machte es ihm unmöglich. Chievres bemerkte diese Unbestimmtheit und glaubte, ihm einen Gefallen zu tun, wenn er ihm Zeit verschaffte; darum trat er zu ihm und erzählte, daß Adrian fortgegangen sei, weil ihm der Schreck über seinen gefährdeten Ruf auf seinen Magen gewirkt hätte. Dieser lächerliche Erfolg seines Mutwillens löschte für einen Augenblick das tiefere Gefühl Karls. Der Streit schien ihm geschlichtet, er schien ihm unnütz. Vielleicht wirkte auch die Erschöpfung der tätigen Nacht, als er zur Versammlung sagte: "Ich erkenne öffentlich Isabella, die Tochter des Herzogs Michael von Ägypten, als einzige Erbin dieses Lands, als Fürstin aller Zigeuner in allen Ländern diesseit und jenseit des Meeres und gebe ihr die Freiheit, sie alle nach Ägypten zurückzuschicken, insofern sie selbst nur unsrer Liebe bleiben will."

Bella, die von der Rede nur wenig vernommen hatte, weil sie sein herrliches Ansehen dabei, seine Würde mit freundlichen Blicken bewacht hatte, fiel ihm nach deren Ende um den Hals; das befreite Karl von aller Sorge, daß sie eine Heirat mit ihm fordern möchte, und er küßte sie mit doppelter Zärtlichkeit. Die Versammelten baten um den Handkuß, und Chievres, der gern den Neigungen seines Herrn zuvorkommen wollte, erflehete seiner Frau die Gunst, daß die Prinzeß von Ägypten künftig bei ihr wohnen sollte, bis ihr ein eigner Palast geschafft worden sei. Karl bewilligte aus Gnade, was er früher für eine Gnade der Frau von Chievres sich erbeten hätte. Bella ging mit ihrer neuen Mutter nach der andern Seite des Schlosses, Karl sprach noch einige Worte mit den Versammelten. Es war schon spät am Morgen, als sie auseinandergingen. Die Vögel sangen ihr Lied, und die politischen Menschen gingen zu Bette. Karl aber streckte sich auf eine Rasenbank im Schloßgarten, wo ihn Bella aus ihrem Zimmer ersah und nicht einschlafen mochte. Schon war in dem Hause des Herrn von Cornelius die größte Verwirrung ausgebrochen; sein Toben unter dem Ofen, nachdem er den ärgsten Rausch ausgeschlafen hatte, rief alle Bewohner in den abenteuerlichsten Nachtkleidern zusammen. Alle waren mehr oder weniger betrunken gewesen, daß sich niemand um den Herrn bekümmert hatte, sogar der Bärnhäuter, daß er diese Nacht vergessen, nach seinem Schatze im Sarge zu sehen. Der Kleine, der schwebend angebunden hing und unter sich die Fliesen sah, die ein Meer mit Schiffen darstellten, glaubte in seinem Halbrausche, er fliege über dem Meere, und wollte sich damit sehen lassen. Als ihm aber die Bande gelöst wurden und er mit der Nase auf dieses Meer fiel, da glaubte er sich verloren. Diese Ideen verwirrten ihn immerfort, als er schon aufgehoben und gereinigt war. Endlich sah er alles ein und verlangte in sein Schlafzimmer; aber neue Verwirrung entstand, als nichts von seiner Frau zu sehen war als das verwirrte Bette. Das war allen ein Rätsel, selbst der alten Braka und der Magd, die recht gut wußten, daß nicht alles sei, wie es sein sollte. "Sie ist wegen ihrer Tugend gen Himmel gefahren, mein Six, das Fenster ist offen", rief Braka, und das staunende Wurzelmännlein sah ihr an dem Fenster nach, ob nicht ein Paar Beine am Himmel zu sehen. Braka tröstete sich mit dem Gedanken, daß der Erzherzog für ihr gutes Unterkommen gesorgt haben möchte. Das Wurzelmännchen, dem eine Schwalbe etwas in den Mund fallen lassen, sprang in liebender Verzweifelung vom Fenster zurück, um in tausend lächerlichen Sprüngen wie unsinnig durchs ganze Haus zu laufen. Als er die Türe noch offen fand, tobte er gegen den Bärnhäuter; als er aber den Mantel der Geliebten und darin eine Masse ordinären Leimen fand, da wußte er nicht, warum, aber diese Erde gewann er so lieb, als sei es die Verlorne; er sammelte sie sorgfältig, trug sie in sein Zimmer, küßte sie unzähligemal und suchte sie wieder in eine Gestalt zu formen, die der Verlornen ähnlich wäre. Die Beschäftigung tröstete ihn, während unzählige Boten von ihm den Auftrag erhielten, das Land zu durchsuchen, um von ihrem Aufenthalt, wenigstens von dem Wege, auf dem sie entflohen, Nachricht zu bringen. Aber keiner wußte ihm eine Auskunft zu geben, bis endlich Braka, die sich alles Vorteils beraubt glaubte, der ihr aus der Liebe des Erzherzogs zur Golem Bella noch zuwachsen sollte, ihm die Nachricht brachte, Isabella, die Fürstin von Ägypten, welche auf dem Schlosse angekommen und der zu Ehren alle Zigeuner Freiheit erhalten, sich öffentlich wieder zu zeigen und ihr Brot zu erwerben, sei seine verlorne Frau. Der kleine Mann stand in Verwunderung wie erstarrt, dann gürtete er sich mit seinem Schwerte und eilte nach dem Schlosse, um vom Erzherzog hierüber eine Auskunft zu fordern.

Der Erzherzog ließ ihn gern vor sich kommen, hörte ihn an, sprach, daß er die Fürstin vor seinen Richterstuhl fordern wolle, und versammelte deswegen mehrere Herren um sich her. Der Kleine war nicht wenig eitel, daß seinetwegen solch ein Aufsehen gemacht würde; er stand so ritterlich in den Schranken, machte so stolze Augen, daß er, wie durch eine doppelte Brille sehend, Isabella kaum erkennen konnte, als sie in einem roten Samtkleide, mit Hermelin besetzt, Frau von Chievres in einem weißen Damast, auf dessen vorderer Fläche Adam und Eva unter dem Apfelbaume gewebt waren, in das Zimmer traten und die für sie bestimmten Plätze einnahmen. Der Erzherzog verlangte jetzt von dem Herren von Cornelius Nepos, daß er seine Klage vortrage. Dieser hatte nicht umsonst Stunden in der Rhetorik genommen, das wollte er allen zeigen und bewähren; sehr pathetisch ergriff er die ehelichen Mitgefühle der Versammelten, sprach von dem ersten Glücke der Vermählten und von der seligen, sorglosen Ruhe, in welche es alles Streben auflöse, um in dem Erstgebornen das Herrlichste darzustellen, was die ungeschwächte Kraft in ungestörter Leidenschaft hervorbringen könne, weswegen auch die Menschheit alles, was sie unteilbar erblich verliehe, nicht dem zweifelhaft größeren Talente unter den Kindern eines Vaters überlassen möchte, sondern dem Erstgebornen, der in den allgemeinen Gesetzen der Natur das Übergewicht seines Lebens begründet finde. Auch diesen seinen künftigen Erstgebornen, die Freude des Landes Hadeln, wolle ihm der Leichtsinn seiner entlaufenen Frau entziehen, nicht zu gedenken, wie diese jetzige Unruhe schon seinem ersten, keimenden Leben nachteilig sein müsse.

 

"Der Teufel hat aus dem kleinen Kerl gesprochen", sagte Chievres leise, "Mich rührt doch sonst so leicht nichts, aber er macht einem seine Not so plausibel."

Der Kleine fuhr fort: "Wie soll ich aber mein Unglück beschreiben, als ich in jener Nacht, wo das Glück meines Lebens mir entführt wurde, selbst in bangem Bette auf weitem Ozean segelte und an einem andern Bette Schiffbruch litt—gewiß eine Vorbedeutung der Schicksale meines Ehebettes -, was mich dann aufweckte; worauf ich mich wie einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln über dem Meere zur Sonne schwebend erblickte, welches doch sicher die Herstellung meines Glückes bezeichnet."

"Ja, wahrhaftig", fiel hier Frau von Braka ein, die als Zeugin gerufen worden, "es war doch ein schlechter Streich von den jungen Windbeuteln, die ihn unterm Ofen angebunden hatten, denn sehen Sie ihn nur an, es ist doch immer nur ein schwacher, verbogener Mensch, wie leicht hätte er sich einen Schaden tun können, daß ihm das Hinterste nach vorne umgedreht worden wäre."

Diese gutmütige Rede versetzte die Versammlung in ein allgemeines Gelächter, und der Kleine erboste, daß er seinen Degen gegen sie zog, der ihm aber noch frühzeitig genug von einem Hellebardierer abgenommen wurde. Jetzt ward er in aller Form des Gerichts von Cenrio verhört, ebenso Braka, bis sie eingestanden, daß sie unter einem angenommenen Namen in der Stadt gelebt. Von den Anforderungen an Bella wollte aber keiner abgehen; sie baten, den Priester kommen zu lassen, welcher die Vermählung eingesegnet hätte. Länger konnte sich Bella nicht halten; sie fragte sie mit Unwillen, ob sie es vergessen, wie sie von ihnen zum Hause hinausgetrieben worden, nachdem sie von ihnen in Buik den Händen einer verruchten Kupplerin überlassen geblieben; sie fragte, ob sie das an dem Kleinen verdient, als sie ihn aus einer unförmlichen Wurzel zu einem kleinen Menschen emporgetrieben?

Der Kleine und Braka gerieten in die größte Verlegenheit; Braka hatte indessen bald ihre Überlegung flott gemacht; sie setzte schnell zur Partei der Bella über und sagte: was sie gesprochen, sei aus Furcht vor dem kleinen Männchen ihr in den Mund gekommen, sie müsse jetzt eingestehen, daß irgendeine falsche Gestalt unter dem Namen Bella dem Alraun vermählt worden sei, die jetzt, sie wüßte nicht wie, verschwunden sei; diese echte Bella müßte sie aber als Fürstin verehren, wie sie ihr seit frühern Jahren gedient habe. Dabei heulte sie wie eine Meute Hunde, die ihr Fressen erwarten, und warf sich vor Bella nieder.

Der kleine Wurzelmann tobte jetzt wie ein Rasender, warf seinen Handschuh hin und schwur, daß er mit jedem fechten wolle, der ihm seine Frau streitig machen oder ihn für einen Alraun erklären wollte. Chievres erklärte jetzt, daß erst dieser letzte Punkt berichtigt sein müsse, ob er ein Mensch, um ihm ritterlichen Zweikampf einzuräumen, ferner ob er ebenbürtig und christlicher Religion sei. Der Kleine behauptete, er habe einen Diener, Bärnhäuter genannt, der dies alles, was ihm hier abgestritten, bescheinigen würde, man möchte nur erlauben, daß er den herbeiholte. Dies wurde ihm bewilligt.

In der Zwischenzeit kam durch Brakas Geschwätzigkeit an den Tag, wie der Alraun alle verborgnen Schätze zu heben wisse und allerorten dergleichen angetroffen habe. Chievres horchte auf und sagte zum Erzherzoge: "Gott segnet ihre Hoheit mit einem Finanzminister in der kleinen Person dieses Alrauns, der ihre künftige Größe fest begründen kann; unabhängig von den Launen der Stände schafft er Eurer Hoheit künftig die Mittel, jede Tätigkeit für sich zu benutzen. Er wird die Seele des Staates; sein Genie wird göttliche Rechte und menschliche Wünsche, die ewig einander widersprechen, ausgleichen können. Lange lebe der Erzherzog und sein Reichsalraun!"

Dem Erzherzoge wurde in diesem Augenblick die künftige Klugheit, die ihn in allen Verhältnissen leitete, vorahndend; er nickte Chievres wohlgefällig zu und sann darauf, wie er das kleine, nützliche Wesen sich verbinden könne. Chievres stieg in seiner Gnade und in seinem Zutrauen durch die unerschöpfliche Erfindungskraft seiner Klugheit.

Der Erzherzog begrüßte diesmal den Kleinen sehr freundlich, als er mit dem Bärnhäuter hereintrat, der die zurückgelassenen Kleider und das angefangene Bild der Golem Bella trug. Der Kleine hatte dem armen Kerl den ganzen Rest des Schatzes auf einmal zu geben versprochen, insofern er ein recht kräftiges Zeugnis ablegte, daß es nur eine Bella gebe, daß diese ohne alle Veranlassung nach ihrer Verheiratung aus dem Hause entwichen und eine Masse Leimen, von ihren Kleidern und ihrem Mantel umhüllt, zurückgelassen habe; zugleich solle er beschwören, daß er des Alrauns Eltern gekannt, die im Lande Hadeln als gute Christen und alter Adel bekannt gewesen. Der alte, tote geizige Bärnhäuter hatte ihm das alles versprochen; er trat vor und begann die verabredete Lügengeschichte. Wie aber Braka oder Bella ihn zur Rede setzten, so antwortete der neuangefressene Teil seines Leibes, gleichsam die verbesserte Ausgabe seiner Natur, ganz entgegengesetzt mit einer helleren Stimme: Mensch—Nichtmensch, Bella verheiratet—Bella aus dem Haus gejagt, durchkreuzte sich so gewaltig, daß sein Zeugnis, nachdem die Richter mehrere Bogen beschrieben, in Null aufging. Der kleine Mann wurde fast unsinnig aus Ungeduld, entriß dem armen, ganz in sich zerrissenen Bärnhäuter die Kleider und das Lehmbild, jagte ihn mit Fußtritten zur Tür hinaus und schwur ihm, daß er den Schatz jetzt, statt ihn auszuliefern, in alle Welt als Almosen zerstreuen wolle; daß der Bärnhäuter umsonst bis zum Jüngsten Tage von einem Herren zum andern sich verdingen solle, um ihn zusammenzubringen; daß er umsonst für einen alten Taler einen Herren dem andern verraten werde, umsonst im Kriege von einem zum andern übergehe, um das Werbegeld zu stehlen; seine bessere frische Natur werde das schändlich gewonnene Geld zur großen Qual seines alten Leibes verschenken und verschleudern, und so werde er am Jüngsten Tage noch so arm, abgerissen und trostlos wie im gegenwärtigen Augenblicke erscheinen1. Nachdem der Kleine diesen Fluch ausgesprochen, wendete er sich in trostlosem Ärger zu der Lehmfigur. Chievres fragte ihn, wen diese Gestalt bezeichne. Der Kleine wies auf Bella und weinte bitterlich; wer hätte aber in der langen Gurke, welche die Mitte des breiten Erdenkloßes bezeichnete, die feine, zierlich geschwungene Nase der schönen Bella erkannt. Seiner Art Liebe genügte aber vorläufig dieses Bild; es war zum Erstaunen, wie zärtlich er den von seinen Tränen angefeuchteten Ton berührte. Der arme Prometheus! Oft sah er Bella so grimmig an, daß der Erzherzog fürchtete, er möchte ihr das Feuer ihrer Augen ausstechen, um es seinem Erdenkloße einzupropfen. Dann fürchtete wieder der Erzherzog, er möchte mit seinen Händen in dem Ton einwurzeln und seine geldbringende Weisheit in der Rückkehr zur Wurzelnatur aufgeben. Er und Bella hatten längst erraten, daß dies der irdische Rest des Golems sei, und ihnen graute davor2 .

1Der Fluch war etwas lang, aber er gehörte ausführlich hieher, wenn sich etwa ein solcher Bedienter oder ein solcher Soldat, mit falschen Zeugnissen versehen, irgendwo melden sollte; ein jeder kann ihn leicht aus der zweierlei einander widersprechenden Rede erkennen und meiden.
2O ihr kunstschwatzenden Menschen, die ihr in alles sinnige Treiben unserer eigentümlichen Natur mit ewig leerem Widerhall von griechischer Bildung hineinschreit, euch muß ich, der Erzähler, hier anreden! Ihr dünkt euch wohl hoch über die Arbeit des Alrauns erhaben, aber ich schwöre euch, eure leeren Augen, mit denen ihr vor den alten Götterbildern steht, euer leeres Herz, das sich in tausend abgelebten Worten darüber ausläßt, sieht in den herrlichsten Schöpfungen des Altertums viel weniger als der arme Kleine in seiner halbgebildeten Masse; denn was sie ist, das wurde sie durch ihn, und wie er bis dahin gelangt, so wird er weiter dringen. Von euch ist aber nichts übergegangen zu den Göttern und von den Göttern nichts zu euch. Euch sind die kunstlebendigen Götterbilder Golems, und lösche ich euch die Worte aus, so sind sie euch in nichts zerfallen. Leugnet ihr das? Auf, so schafft etwas Eigenes, das ihr zu jenen stellen könnt, ohne daß ihr selbst darüber lacht—aber eure Hände sind stets arm an Werken und euer Mund voll von Worten.