Landhausleben

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Als sie das Zimmer verlassen hatte, wendete Miranda sich an das Herz Eduards, um es in aller Art zu foltern. Sie suchte ihm nämlich darzuthun, daß das ganze verwirrende Verhältniß worin er sich jezt befinde aus den Lehren des Erasmus stamme, den er gänzlich meiden müsse, wobei sie oft scharfsinnig in seine Gesinnung eindrang, doch ohne sie richtig zu würdigen. Verdrossen nahm er es auf, denn es war ohne wohlwollenden Zusammenhalt; und unterdrückte nur mit Mühe den biblischen Spruch, daß Frauen in der Kirche schweigen sollen. Er benutzte den ersten günstigen Augenblick, um mit dem Bemerken daß er zu ergriffen sei das Zimmer zu verlassen. Ihm zwang sich wohlwollend ein junger Geistlicher auf, der ihn sehr lieb gewonnen und die Noth seines Herzens wohl erkannt hatte. Als sie auf der Gasse im Mondenlichte standen, drückten sie einander die Hände und Eduard sagte: Ist diese Einwirkung von oben, die sie ohne ein Wort zu sprechen auf mich ausüben, so ist Miranda's Gerede gewiß aus der entgegengesetzten Zone. Wie einen Dudelsack behandelt sie mein Herz, sie meint wenn sie nur daran drücke, werde sie schöne Töne herauspressen. Wer läßt sich gern ins Herz wie in einen Loostopf greifen, um einige seltene Gefühlsnummern ausrufen zu hören? Selbst bei der Ohrenbeichte hängt es doch noch von meinem Willen ab, aber diese Herzens-Inquisition sucht in Widersprüche zu verwickeln und den Willen noch zu übermeistern. Ich bin nicht weichlich, aber das ist unzart was der Mensch in seiner innersten Seele bewahrt, zum Spielzeuge geselliger Unterhaltung zu machen. Ich habe die stürmischen Wellen dieser Zeit so lange an den Planken meines Schiffes vorübergehen hören ohne zu zagen, aber die Frau umgiebt mich mit der bänglichen Luft vor einem Erdbeben, die ein völlig unbestimmtes Geschick ahnen läßt. Mir ist als hätte ich am Pranger gestanden und ich hätte gar nicht gewußt was ich da für ein Gesicht schneiden sollen. Ist diese Miranda auch ihre Prophetin? — Was soll meiner Jugend diese Glaubensquälerei, diese Gewissensbisse des lang verletzten Glaubens aus der früheren Zeit ihres Lebens? Warum will sie in mir mit Füßen treten, was mich mit seinen Flügeln erhebt? — Der Geistliche antwortete freundlich: Ohne höhere Gewalt ist sie wohl nicht, wie könnte sie sonst so einwirken? — Aber lassen wir sie! Gestehen Sie nur das Eine zu, daß außer der neutralen Linie noch ein ungeheurer Welttheil liegt, eine schwimmende Insel, bald nahe bald entfernt, von der das feste Land seine besten Genüsse erhält. So seltsam diese Gemeinde zusammengesetzt ist, zeigt sie doch schon wie jede neue Kirche, daß die Menschen etwas anders werden als sie selbst sich dabei gedacht haben. Davon giebt Miranda, wenn wir ihren früheren Lebenslauf vergleichen, ein glänzendes Zeugniß, denn von der Sucht nach Aufsehen die sie einführte, sind kaum noch wenige Spuren übrig. Sie sucht nach neuen Eindrücken, sie verachtet die früheren und ich selbst einst als Redner von ihr geehrt, bin jetzt nicht blos aufgegeben, sondern sogar ein wenig verketzert. Aber was schadet das? Dies Wesen ist nicht dieser Gesellschaft allein eigen, es findet sich überall in der politischen, gelehrten und künstelnden Welt und zu allen Zeiten trugen auch fromme Gesellschaften den Karakter ihrer Zeit, stürzten zusammen wenn dieser übermächtig wurde, und griffen rasch um sich wenn sie neben diesem sich ein Höheres bewahren konnten. — Unter solchen Gesprächen wurden sie überrascht und beschwichtigt durch eine feierliche Kirchenmusik, welche aus den geöffneten Fenstern des Rittmeisters ihnen entgegenschallte. Ist er gestorben? fragte Eduard laut, daß ihm die Schüler ein Todtenlied singen? Unmöglich, kaum kann er von seiner Fahrt mit Cornelien heimgekehrt sein. — So gut singt unser Chor nicht, antwortete der Geistliche, ich wünschte daß wir diese Stimmen vereint mit den Vorträgen Miranda's hätten hören können. — Wie ist es möglich, fragte Eduard, daß ihr Wohlwollen das Vollendete und das Stümperhafte so mischen möchte? Diese Musik zu genießen muß ich Miranda völlig vergessen, selbst Erasmus würde nur mit Nachtheil nach einem solchen Vorspiele auftreten. Das macht die Kunst an unrechter Stelle so manchem Gläubigen verdächtig, der wohl gar Orgel und Chorgesang verdammt, weil er das was er als das Höchste ehrt dadurch zurückgesetzt fühlt. — Freilich auch eine Rücksicht bei Liturgieen, eine von den vielen, woran keiner von denen denkt die in neuen Formen des Gottesdienstes ihr Heil suchen. — In jeden, Fall kann uns diese Gesellschaft zur Belehrung dienen, fuhr Eduard fort; mein guter alter Vetter wird unsern Besuch freundlich aufnehmen. Bei diesen Worten führte er den Geistlichen in das Haus und ohne weitere Anmeldung in die Versammlung der Musiker. Halt, Eduard, rief der Rittmeisier ihm entgegen, hier ist Freimaurerei, du siehst daß ich hier in fremdartiger Kleidung erscheine, dies ist die Vendetta der musikalischen Karbonari. — Können eintreten, rief im italienischen Accent eine alte geschminkte Dame, die mit großen Fischbeinträgern ihre alte reiche Robe unterbaut hatte und aus diesen künstlichen Hüften den Takt schlug, weil der alte Kapellmeister nach ihrer Meinung ihn zu schnell angegeben hatte. Dieser Streit verdrängte alle Musik. Ein aufgeschwemmter gelber großer Kastrat ohne Haltung schrie mit einer Festigkeit und Kraft gegen die erzürnte Dame, als ob seinem Freunde dem Kapellmeister bittres Unrecht geschehe, wodurch sich endlich alle in zwei Parteien theilten, die sehr ungeistlich gegen einander tobten. Der Geistliche that in der Verlegenheit die Frage, ob das Vorgetragene eine Messe von Rossini gewesen und hetzte dadurch die ganze Meute der wüthenden Musikliebhaber gegen sich, welche diesen verhaßten Neuerer nicht einmal genannt wissen wollten, während ein philosophischer Bratschist ihm laut und vernehmlich recht gab, daß dieses letzte Stück allerdings etwas Ähnliches mit der Manier dieses Komponisten habe. Aber was ist Musik? rief der Rittmeister, um diesen Streit zu beschwichtigen; nur wenn wir das wissen, können wir uns über die Musiken mit einander verständigen. — Musik ist Erinnerung an die Urbewegung unserer Seele, rief der Bratschist. Urbewegung? sagte die alte Dame, ist Urbewegung die Scala, ist Urbewegung ein Triller? Was ist Ur? Ich mag keine leiden; um ohne Uhr zu sein muß man den Takt im Kopfe haben. Der Bratschist machte ein grimmiges Gesicht und fuhr fort: Die Musik, welche mich erfüllt und an jene Urbewegung erinnert, ist nicht jene welche ich und diese Signora hier hören, sondern völlig unabhängig davon, welches ich daraus beweise, daß diese Einwirkung keine Nothwendigkeit wie Stoß und Bewegung überhaupt in sich trägt, dergestalt daß eine andere Seelenthätigkeit diese Einwirkung gänzlich aufheben kann. So dachte Signora gerade in der schönsten Stelle an das Abendessen und flüsterte dem Bedienten zu, daß es nun Zeit sei die Seefische an das Feuer zu stellen. — Aber essen sie nicht das Meiste und Beste von diesen Fischen? rief die Signora erzürnt, und wem werden Vorwürfe gemacht wenn etwas mißrathen ist? Richtig, fuhr der gewaltige Mann fort, es bestätigt was ich sage; der Wunsch gelobt zu werden wegen der Fische, ist mächtiger als der Anstoß des mächtigen Chors. Ich sage der Hörer muß Komponist werden um wirklich zu hören, er muß die Ahnung des Ganzen mit den ersten Tönen empfangen und muß der Zeit vorgreifen. In diesem Überwinden des Zeitlichen liegt der Triumph des Höhern aller Künste, die an sich wiederum nichts, gar nichts sind, wie alles Menschliche. An allen Künsten ist es nachzuweisen, daß nur eine Vorahnung des Ganzen diese höhere Anregung ausmacht, und je plumper diese Ahnung angeregt wird, je allgemeiner ist die Wirkung. Diese Ahnung ist das Interessante in den Romanen, in dieser Ahnung kann sogar das was Widerwillen an sich erregt höchst gefällig erscheinen, woraus die Absurdität der Kritiken die immer von Einzelnheiten reden hervorgeht. — Aber in der Malerei, in der Bildhauerei? fragte der Geistliche bedenklich. — Auch hier, rief der Bratspieß, ist Genuß nur Ahnung, das kann ich daraus beweisen, daß jedes echte Kunstwerk durch längere Beschauung erst ganz empfunden wird, während die Kunstwerke verachtet werden die im ersten Anblick gefallen, aber bei näherer Betrachtung verlieren. Daher auch der Wunsch nach dem Besitze jener Kunstwerke, eben weil wir es ahnen, daß wir sie noch nicht ganz gefaßt haben, daß noch Unendliches darin angedeutet, was wir so wenig wie die einzelnen Pinselstriche und Meißelschläge aufzählen können, welche sie bis dahin förderten, noch weniger die welche ihrer Vollendung fehlen. Bei der ersten einfachen Plastik scheint es, daß sie sich nur dadurch empfehle, weil in der Natur selten eine so ungestörte thierische Entwickelung zu finden. Bald aber fühlen wir daß die einfachste erste wie die vollendetste Natur nur Studie ist, Bemühen nach dem Ausdruck einer sonst vorüberrauschenden Idee, von welcher sie nur einen kleinen Theil bewahren kann, den größeren ahnen läßt. Sehen sie dort den antiken Faun. Warum bewahren wir ihn noch jetzt, wo wir doch mit Ausnahme weniger gute Christen sind und an dergleichen Waldteufel eben nicht glauben? Aber diese Heiterkeit erregt noch jetzt ein Lächeln, wie wir die Herrschergewalt auch im abgesetzten Jupiter noch fühlen. Kurz, meine Herren, das ganze ästhetische Geschwätz von Schönheit, Karakter u.s.w. ist nichts, gar nichts, es kommt alles darauf an, daß ein Kunstwerk die Ahnung seines geistigen Urstoffs in andern anzuregen vermag, und dieser endlose Urstoff läßt sich so wenig durch Schönheit, Karakter definiren, daß diese vielmehr als willkührliche Absonderungen gemiethet werden müssen.

Die Austern sind aufgetragen; der irdische Urstoff! rief der Rittmeister. Wenn sie nur frisch sind antwortete der Bratspieß, und stürzte hin zu dem Tische. Die Signora nahm mit einem Arm den Geistlichen mit dem andern Eduard, dem sich der Rittmeister an der andern Seite beigesellte, um ihm von der Gesellschaft Kunde zu geben, während diese in Austern und Champagner versunken war. Während dieser beweglichen Stille karakterisirte der Rittmeister ganz laut zu Eduard diese musikalische Gesellschaft. Du siehst hier eine seltsame Kirche, wir verehren die Göttin unsrer Jugend, wie es denn auch andre Gesellschaften giebt die besonders ihre Universitätszeit jährlich feiern, weil sie gerade dort die feurigste Annäherung dieser bona dea gefühlt haben. Hier auf dem Tische siehst du sie nach alter Art verschleiert, unter einer Hülle von buntem Glase auf einem Fußboden von buntem Sande als Tafelaufsatz, und neben dir sitzt sie lebendig durch Signora Almariva repräsentirt. Diese berühmte Sängerin führte mich ins Leben ein als ich mit Taubenflügeln frisirt und langem Zopfe, in Stiefeln und Stiefelmanschetten im geistigen Tode umherschlich, sie gab mir Geld als ich noch nichts vom Credit wußte, bildete meine Stimme, ich lernte von ihr Italienisch; kurz ich danke ihr so viel daß ich meine Schuld nimmer abzutragen weiß. Wie sie damals gekleidet war mit diesen aufgekräuselten Haaren, mit dieser Haarklemme, diesem Corset, diesen Poschen, so gefällt sie mir noch jetzt, und willig finden sich auch die meisten andern Mitglieder dieser Bachischen Gesellschaft (ein Doppelsinn von Bacchus und Bach) darein, ihre alten Kleider für diesen Abend anzuziehen oder von dem Theater dergleichen zu leihen, welchem Gesetze sich auch die Küche fügen muß der unsre Königin gnädig und weise vorsteht. In diesem antiken Kostüm werden nun ältere Musiken, geistliche wie weltliche von uns aufgeführt, und wenn wir darin etwas leisten, so danken wir es besonders dem Kapellmeister im streifig seidnen Rocke, der einem Südseeinsulaner im bunten Federkleide nicht unähnlich, doch durch seinen Haarbeutel und Chapeaubas zu unterscheiden ist. Ergötzt uns alte Musik, so verschmähen wir doch nicht neuere Thorheit, und da muß ich dir besonders jenen Philosophen empfehlen, der aus der Idee componirt und geigt und sich jetzt wird hören lassen, ein ungemeines Förderungsmittel der Verdauung. Fangen sie an Herr Professor, der Herr Bratspieß wird ihnen opponiren. — Der Professor ließ sich nicht zweimal bitten, erklärte mit großer Präcision die universalhistorische Musik, construirte die Idee der Polonaise und geigte dann eine Polonaise die nach dieser Idee construirt worden, ein höchst ergötzliches Machwerk von seltsamen Mißgriffen ohne Zusammenhang, das so allgemeinen Jubel erregte, daß sich manche im Lachen die Seite halten mußten und die meisten rühmten; keins der großen alten Werke habe ihnen einen gleichen Spaß gemacht. Der Professor geigte stolz seine Polonaise noch einmal und der Bratspieß erklärte seine Philosophie für überwunden. Solche Seltsamkeiten, flüsterte der Rittmeister zu Eduard, müssen in unsrer nivellirenden Zeit überaus sorgsam gehegt werden, kaum bleibt uns noch etwas der Art in Büchern übrig. Darum ist mir auch Bruder Blauflügel dort mit seinem gesenkten glatten Haupte und seiner demüthig lächelnden Miene so viel werth. Der begeht heute eine Todsünde, indem er unsern Kreis besucht, denn er ist Pietist, aber er kann es seiner großen Musikanlage, seinem großen Talente nicht versagen, und sucht es sich mit dem Namen Kirchenmusik zu beschönigen die freilich auch hier getrieben wird. Um sich den Scherzen des Mahles zu entziehen, setzt er sich gewöhnlich bald ins Nebenzimmer an den Flügel, und verdirbt uns mit seiner reichen Erfindung gar oft das Essen. Die Leutchen springen einer nach dem andern auf, das Essen wird kalt und hat er sie alle zusammen, so weiß er sie geschickt in eins der grandiosen kirchlichen Bußlieder zu bringen, daß manches Auge übergeht. Es ist der Bruder Miranda's, wohnt aber ihren Versammlungen nur selten bei weil er ein sehr thätiges Leben für die Armen führt, es ist eben der welcher durch seine Modethorheiten in früheren Jahren mich mit Miranda zusammenhetzte oder copulirte, wie du es als Gärtner oder Jäger nennen magst. Genug in diesem sind die Worte Mniochs lebendig geworden: „Im Ernst ist niemand Heide mehr noch Christ, will mans zur Lust so ist man Poetist.“ Doch kann auch Pietist statt Poetist gesetzt werden fügte Eduard hinzu, und doch ist jener Sinnspruch nur eine Rodomontade, und jedem schlagen endlich die Stunden, wo Poetisterei und Pietisterei im Ernst der Gedanken untergehen. — Wie der Rittmeister angekündigt so geschah es, daß der Pietist sich ins Nebenzimmer zum Flügel setzte, und als Arion sehr bald die Delphinen aus ihrem Elemente am Tische zu sich hinzog, während er sie nicht beachtete, sondern in Behaglichkeit sich ein Genüge that. Bei den seinen melodischen Sätzen stieß der Rittmeister Eduard an und sagte: Wieder eine Todsünde die er sich bewahrt wie der Bildhauer die Stützen an seinen Statuen, sonst würde er in Schwermuth zusammenstürzen. Du wirst sehen, nichts kommt gezwungen wie der Übergang zum geistlichen Liede, so schön dieses fugirt sein mag. — Aber dies Lied wurde wunderherrlich von allen gesungen und so war der Übergang vergessen. Der Geistliche suchte Herrn von Blauflügel pflichtmäßig zu danken für diesen Genuß, dieser aber erinnerte ihn daß er sich in einer Gesellschaft befinde die für ihn nicht zieme, wohl gar amtliche Rügen haben könnte und eilte mit ihm von dannen, worüber der Rittmeister seinen Scherz nicht verbergen konnte. Sie wissen noch nicht sagte er, so wenig wie diese Freunde, denen ich es hierdurch kund thue daß ich geistlicher Minister bin, und daß ich gleich diesen Abend benutzen will euch alle für die Kirche in Requisition zu setzen. Kein Widerspruch denn ich bin Minister der geistlichen Aufklärung geworden, und demnach Vicar unsres obersten Bischofs. Frisch ans Werk wir müssen für den nächsten Sonntag schon eine protestantische Messe einstudirt haben, die unsre jungen Leute abhält wegen der Musik katholisch zu werden.

 

Eduard fand sein Gefühl durch die Ministerschaft des Rittmeisters eben so beleidigt wie seine Amtsansichten. Er war durch alle seine wunderlichen Schicksale nur der Berührung einer höheren Überzeugung gefolgt, in der jeder innige Glaube ehrwürdig wird. Es packte ihn an den Haaren daß er Hut und Stock stehen ließ um ungehindert ins Freie zu flüchten. Verächtlich blickte er zu den Sternen und rief in sich: Was soll diese strenge Ordnung da oben? Die Welt ist reif zum Untergange. Thorheit predigt, Liederlichkeit musicirt und beide meinen zusammen eine Kirche zu stiften, indem sie den letzten Rest des Würdigen mit Narrheit stempeln. — Während er so mit sich sprach, schallte ihm von obenher aus dem Musiksaale ein geistlicher Choral, den der Minister für seinen Zweck ausgewählt hatte und hemmte seine Schritte. Als er geendet sagte Eduard zu sich: Weiß ich denn jetzt ob es Narren waren die mit ihren Flügeln die Harfe Davids schlugen? Klang es nicht erhebender als dort bei Miranda, wo so viele reine Seelen im Unisono heisere Nasentöne schwankend herauspreßten? Heute sind es mir Engel, mag sie morgen der Teufel holen, der ärgste Theil ihrer Jugendsünden muß ihnen doch beim Gesange entschwinden. O ihr Menschen wie so lieblich und herrlich aus der Ferne, ich möchte euch Abbitte thun für jedes harte Wort. Herrlich wären vielleicht alle wenn sie einander nicht so nahe gekommen, nicht einander bedrängten und hinderten. Und habe ich auch nichts erstritten unter Bolivar, so sah ich doch diese endlosen Räume zukünftigen Geschlechtern geöffnet. Bliebe mir Cornelia nahe, — Georgine nicht zu entfernt — den Rest könnte ich missen!

Ein altes Chor tönte jetzt deutlich zu ihm nieder.

Was ist's daß du dich kränkst?

Es wird, so wie du denkst.

Eduard verzieh Schminke und Reifröcke, neue Kirche auf Austerschalen erbaut, Champagner-Choräle ja in voraus gab er Ablaß für alle möglichen Sünden dieser Nacht, alles für dies eine Prophetenwort das seine Seele beruhigt hatte.

Der Minister entließ die singende Gesellschaft früher als gewöhnlich, und eilte mit seiner unermüdlichen Thätigkeit zu den Aktenstößen die ihm aus dem Hause des alten Ministers zugesendet waren. So stieg ihm der Morgen auf es wurde kühl, und mit Blitzesschnelle führte er einen Entschluß aus mit dem er schon lange gekämpft hatte. Er verbrannte seine auserwählte Bibliothek lüsterner französischer Bücher und studirte bei der angenehmen Wärme seines Zugofens ruhig fort. Krumbiegel überraschte ihn dabei und schrie vor Jammer auf, als er die schönen Bändchen noch halb erhalten im Ofen erblickte. Ich fürchtete sagte der Minister daß Georgine einmal darüber gerathe, und daß mein Blut in ihr erwachen könnte. Für mich ist es kein Verlust, das Beste weiß ich auswendig oder kann es wiedererfinden. — Aber du ängstigest mich durch so etwas sagte Krumbiegel, am Ende bist du auch ein heimlicher Mystiker; von deiner Frau zum Proselyten gemacht, störst du alle unsre ernsten Pläne für das Heil der Welt. — Verdammter Kerl rief der Minister, wer hätte das gedacht, als wir zusammen den altgläubigen Theologen die Fenstern einwarfen, daß du mir noch vom Heil der Welt vorreden würdest? Denke doch daran wie viele uns gekannt haben! — Niemand wird uns daran erinnern antwortete jener, wenn wir nur strenge unsern Beruf zur Besserung andrer darlegen. Wer denkt daran daß ich einmal dein Croupier gewesen, seit ich die Hasardspiele überall verfolge? — Zeige öffentlich in einem Schaustücke daß du beim Spiele etwas Höheres vor Augen gehabt hast. Frechheit ist es hauptsächlich was wir Herrschenden durch diese Zeitgeschichte gewonnen haben. Wir brauchen die Öffentlichkeit nicht mehr zu scheuen. Mit den meisten Menschen wird man leichter fertig als man denkt, nur Einer ängstiget mich in deiner Umgebung, der Eduard, ich habe die seltsamsten Dinge von ihm in Erfahrung gebracht und zwar durch den Herrn von Picten, den er mit hundert Louisdor freigekauft hat die er mit einem Zahne erworben. — Ich weiß — leider, ich hätte ihm gerne zwei hundert geliehen und er hätte seinen Zahn behalten. Aber was weiter? — Nun das ist schon etwas und dann hat er ein Vierteljahr unter Bolivar gedient, und dann ein Jahr unter den Griechen. Denk dir nur bei dem Sturm der einen Stadt hat er allein den Hauptwall erstiegen, und als er sich umsieht sind seine Kameraden davon gelaufen, aber auch die Türken vom Walle. Denk dir nur da dreht er eine Kanone auf dem Walle um und schießt damit in den Harem des Paschas. Auf dies Zeichen bekommen die Griechen Muth, sie kommen ihm zu Hülfe als eben die Türken ihn herabstürzen wollen. Das Gemetzel geht an, Picten selbst kommt von seinem Schiffe dazu mehr um zu plündern als zu helfen, aber Eduard steht wie ein Wächter bei jedem reichen Kaufhause daß die Griechen stürmen mochten, und jagt sie immer wieder zurück in das Gefecht bis kein Türke mehr in der Stadt zu wittern. Da legt er sich auf die Schwelle des Harem nieder um auszuschlafen, und keiner wagt über ihn fort einzudringen. Als er ausgeschlafen läßt er den Zahlmeister kommen, und alles Geld im Harem aus des Paschas Schatzkammer auf öffentlichen Markt ausschütten, und dann zwischen allen Griechen, Philhellenen, Arnauten, Matrosen nach einem öffentlichen Rechenexempel gleich vertheilen. Die Weiber wohl achtzig an der Zahl hat er unterdessen getauft, schreibt ihnen Nummern mit Kreide auf die Kleider und legt diese Nummern auf Papier geschrieben in seine Mütze. Wer will die Neugetauften heirathen? fragt er dann in allen Sprachen. Und die sich zuerst melden ziehen die ersten Nummern, und so fort bis sie alle verloost sind. Da werden sie getraut alle achtzig Paare und denk dir, — von allen den wunderbaren Schönheiten behält er auch nicht eine für sich, — sondern vertheilt türkische Häuser und Gärten unter die Neuvermählten, und bittet Picten am Abend ihm etwas Schiffszwieback und ein Lager aus seinem Kaperschiffe zu geben, weil er vergessen hatte sich ein Quartier zu bestellen, und niemand in seiner Lust jetzt stören möchte. — Das hat er mir nie erzählt, sagte der Minister verdrießlich, das ist überhaupt die verdammte Sitte dieser jungen Herren sie erzählen nichts, es ist als ob sie es gar nicht erlebt hätten. Er schimpft auf Amerika und Griechenland, sonst wüßte ich kaum daß er dort gewesen. Aber was fürchtest du nun von ihm, alter Krumbiegel? daß er deinen Harem auch einmal an Leute verloost die ihn besser brauchen können? — Hör mich doch nur aus sagte Krumbiegel, ich bin noch nicht fertig! Am Morgen, nachdem der Harem bis aufs Letzte ausgeplündert war, läßt er ihn von seinen Freunden bis zum Grunde zerstören, abtragen, bringt einen Pflug herbei, pflügt den Boden um und sät Eicheln hinein und pflügt sie dann im Kreuz unter, während seine Leute aus den besten behauenen Steinen des zerstörten Hauses eine kleine griechische Kapelle aufrichten müssen, zwar nur ein roher wilder Bau aber doch hinlänglich ein heiliges Bild hineinzustellen, das die Griechen hoch verehren. Wird so ein Mensch nicht auch unter uns den Bilderdienst herzustellen suchen, wohin ja schon alle die altdeutschen Gemäldesammlungen trachten und die jungen Maler mit ihren Madonnen?— Beruhige dich antwortete der Minister, niemand ist gegen beide so eingenommen wie Eduard! Er möchte von allen Künstlern fort auf die ödeste Landpfarre flüchten, denn ihm ist hier gar nichts recht. — Gut, gut, wir geben ihm die beste Landpfarre um ihn los zu werden, rief Krumbiegel, und das wäre hiermit abgemacht. Dann muß ich dir sagen, daß der Fürst nach der ersten geheimen Unterredung sehr für dich eingenommen ist. Er hofft daß du ein glänzendes Fest zu Ehren deiner Anstellung geben werdest, und da ich ihm versicherte du seiest eben nicht bei Kasse so verspricht er, das Kapital gegen hohe Zinsen aus seiner Privatkasse vorzustrecken. Dies ist die Handhabe um ihn für immer in der Gewalt zu behalten. Giebst du ihm acht Procent, so stehe ich dafür du sollst das Doppelte dabei gewinnnen. Laß ihn im Spiel immer gewinnen, denk daran daß du dieser Höflichkeit sein erstes Wohlwollen dankst. Von mir sprich nur so mit Lächeln wie über einen Bedienten, der zu etwas Höherem avancirt ist. Mein Bedürfniß ist Wirksamkeit aber keine Ehre, und ich wäre verloren, wenn mich der Fürst für einen Mann von eigner Bedeutsamkeit halten könnte. Übrigens halte dir die Akten fern und thue dir mit übermäßiger Arbeit keinen Schaden. Leider hat der Nachtwächter berichtet du hättest die ganze Nacht in deinem Schreibzimmer zugebracht, und ich sehe den Akten an daß du sie ziemlich gelüftet hast. Ein Feldherr zieht seinen Degen nur um damit zu glänzen, ein Minister braucht nur die Akten zur Verzierung seines Tisches und die Feder zur Unterschrift. Für die Arbeit laß deine Räthe sorgen und suche besonders den Arthur dazu einzuhetzen. — Der Minister dankte für allen guten Rath und zeigte ihm den Plan zu einem großen Maskenfeste, ein Vergnügen das dem Fürsten besonders zusagte, weswegen auch Krumbiegel sogleich forteilte dessen Meinung darüber zu vernehmen.

 

Georgine kam jetzt um ihrem Vater den Bericht abzustatten, wie sie Miranda mit Cornelien versöhnt, indem sie ihr alle Trefflichkeit, Ergebenheit, Muth und Güte dieses herrlichen Wesens vorgestellt habe. Bewunderung ist in reinen Herzen mächtiger als Eifersucht. Der Minister horchte die Tochter jetzt über Arthur aus und suchte ihr hartes Urtheil zu mildern, doch waren sie nur in der einen Meinung einig, daß er der schönste junge Mann in der Stadt sei. Sie eilte fort denn Arthur ließ sich jetzt anmelden. Arthur sprach über die Bedingungen seiner eignen Anstellung, der noch immer etwas an Gehalt und Ehre in seinen Augen zu fehlen schien. Nachdem diese Angelegenheit besprochen war, sagte der Rittmeister: Weißt du daß ich heute schon viel über dich sprach, und zwar mit Georgine, die mir eine halbe Stunde schenkte? Dir ergehts wie hohen Potentaten, dein Bild in der Kirche hat besser gefallen als dein Gespräch. Du brachtest ihr den Riß des Architekten zum Ausbau der Kirche in Zehenburg, sie eröffnete dir wie dieser Ort sich in aller Hinsicht zum Ausbau ihres neuen Jerusalems eigne, und du lachtest über den Plan, dann hast du auch ihren ökonomischen Glauben gekränkt durch deinen Spott über Wechselwirthschaft und gegen die Pudrette, deren Nutzen sie doch selbst gesehen zu haben meinte. Sie sagte es sei ein wahres Unglück für das schöne Zehenburg wenn du die Wirthschaft übernähmest, sie möchte es dir abpachten. — Ja sagte Arthur sie nimmt mich vielleicht blos meiner Güter wegen, um dort ihr neues Jerusalem zu gründen. — Nimmt sie dich? fragte der Minister zweifelnd.— Unfehlbar entgegnete Arthur, sie war heute früh nur verlegen, weil uns die Mutter gleich als Verlobte vorstellte. Ich muß sie durchaus auf die Probe stellen, es ist auch ihr Bestes daß sie ihre eigene Gesinnungen kennen lernt. Ich sage daß ich die Güter im Prozeß verloren habe. Oder besser ich verliere sie zum Scherz im Spiele, — gegen Sie bester Onkel, so daß diese Güter ihr ohne meine Hand zufielen. Dann erst werde ich mit Sicherheit erkennen ob sie mich liebt oder jenen reichen Boden. — Kein übler Einfall sagte der Minister, das heißt Leute in Versuchung führen. Nun übermorgen gebe ich einen großen Maskenball, du bist mir ähnlich wir können Masken wechseln, du kannst sie belauschen. — Sie wird nicht zum Tanze kommen. — Sie wird kommen denn die Mutter ist einverstanden, daß wir jedes Weltliche als Mittel für unsre frommen Zwecke brauchen können. — Und was ist Ihre Meinung Herr Onkel? — Meine Frau sagt daß ich ein Wiedergeborner bin und ich gestehe dir, so eine Vorstellung ist ansteckend. Es liegt so etwas in der Luft was uns zu frommen Seelen macht, oder thut es mein Alter, kurz in diesem Religionswesen liegt etwas daß des weltlichen Karakters spottet, oder wie Miranda es nennt, den Eigenwillen tödtet und somit den besten Theil der Poesie unsres Lebens Lügen straft. Ja mein Sohn, der Mystik bin ich feind und will sie mit der Wurzel ausrotten, aber die inrollirende Kraft des Glaubens habe ich schon beim Adepten erfahren, die schroffen Felsen stürzen endlich so gut zusammen und auseinander wie die Maulwurfshaufen wenn die große Fluth kommt. — Ich muß Sie innigst verehren sagte Arthur, denn wirklich ich hielt Sie bisher für einen Atheisten. — Das sei dir vergeben aber zur Buße lege ich dir auf, daß du alle Personen wie sie mir einfallen hier aufschreibst, die zum Balle gebeten werden müssen. Du zuerst als Abbild des Herrn von Haller und Runzel der den Thomas Payne vorstellen kann. Dann machen die sechs abgedankten Finanzminister, der vacirende Turnmeister, der Obercensor zusammen einen Cotillon. Herr von Picten wird gebeten in puris naturalibus zu erscheinen, ich meine in schottischer Bergtracht. Hier ist ein Verzeichniß der sämmtlichen Windbeutel und lustigen Frauen; meine Frau ladet die Frommen. Hier sind die Gesandten, hier die reichen Kaufleute verzeichnet — das trage zusammen, während ich Audienz ertheile.

Heiter ließ der neue Minister die Flügelthüren öffnen, um die ganze Menge der Aufwartenden abzufertigen. Seine Artigkeit brachte die Gesellschaft in eine Bewegung, der ähnlich, wenn Leute unter ausgespannten Waschleinen durchgehen müssen, wo sie sich denn ein paar Mal öfter als nöthig bücken, um ja nicht mit Kinn oder Nase hängen zu bleiben. Zur Verwunderung aller hatte ihn die Vorbereitung der Nacht zur Einsicht aller bedeutenden jetzt schwebenden Verhandlungen geführt, sein treffendes Urtheil schlug die Winkelzüge nieder, und seine Ansichten bewährten von neuem, daß tiefsinnige Menschen zu allen Zeiten so ziemlich gleich weit gesehen haben. Manche schämten sich der Zweifel, daß aus einem Rittmeister ein Minister der Geistlichkeit werden könne, indem andre sich daran erinnerten, daß hier der umgekehrte Fall eintrete wie beim Kardinal Ximenez und andern Geistlichen, die sich in Feldherren verwandelt hatten, wo es die Noth forderte. Ein älterer Kriegskamerad des Rittmeisters, der sich zu dieser Audienz einfand, konnte seinen Verdruß nicht unterdrücken und rief: Herr Bruder, du ein geborner Soldat wie es wenige gab, sollst nun zur Raupe werden und auf lauter Blättern herum kriechen, ist das erhört? — Alter Freund, antwortete der Minister, ist es auch hier noch nicht so gewöhnlich, so war es doch weder bei Griechen und Römern, noch jetzt in Amerika in den neuen Staaten ungewöhnlich; wer überhaupt kommandiren kann, muß alles kommandiren können, ja denk nur an Regenten wie Friedrich, Napoleon, die waren beides, Generale und Minister sogar gleichzeitig. — Beim Abschiede benutzten jüngere Gelehrte die Gelegenheit, um sich bekannt zu machen, ihre Predigten, Schulprogramme, Streitschriften und Journale dem Minister einzuhändigen. Der neue Minister versprach alles zu überlesen, warf aber, als die Herren sämmtlich entlassen waren, den ganzen Kram in den Windofen, wo noch die letzten Reste der galanten Bibliothek glühten, denn zum Vorzeichen ihrer Ewigkeit verbrennen Bücher ungemein langsam. Das war nicht Muthwille, sondern ein innerer Widerwille gegen diese Zwangschriftstellerei, während so manches Treffliche, weil es dies Maaß überschreitet, ungedruckt untergeht.

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