Handbuch Ius Publicum Europaeum

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[81]

Braconnier (Fn. 66), S. 146ff.

[82]

In seiner Diss. (Fn. 66), insbesondere im 2. Teil.

[83]

CE, Ass. 17.2.1995; dazu P. Frydman, Le contrôle juridictionnel des mesures disciplinaires dans les institutions fermées, RFDA 1995, S. 369ff.; L. Touvet/J.-H. Stahl, Chronique générale de jurisprudence administrative, AJDA 1995, S. 370, 379ff.; N. Belloubet-Frier, Recueil Dalloz 1995, S. 381ff.; P. Lascombe/C. Bernard, JCP 1995 II 22426, S. 173, die die Entwicklung der Rechtsprechung nachzeichnen.

[84]

Bescheid (avis) vom 27.11.1989, Les grands avis du Conseil d’État, 2. Ausg., Nr. 22.

[85]

CE, 8.10.2004, Union française pour la cohésion nationale; siehe dazu die Anmerkung von F. Rolin, AJDA 2005, S. 43.

[86]

EGMR, Nr. 44774/98, Urteil vom 29.6.2004, unveröffentlicht – Leyla Sahin/Türkei.

[87]

Braconnier (Fn. 66).

[88]

H. Tourard, L’internationalisation des Constitutions nationales, LGDJ 2000, S. 724.

[89]

Conseil constitutionnel, 15.1.1975 (Fn. 27).

[90]

D. Szymczak, La Convention européenne des droits de l’homme et le juge constitutionnel national, Diss. Straßburg III, 2002, der sich ausführlich mit den gegenseitigen Einflüssen zwischen Europäischem Gerichtshof und den zahlreichen Verfassungsebenen befasst.

[91]

Weitergehende Informationen bei Szymczak (Fn. 90).

[92]

Conseil constitutionnel, 19.11.2004 (Fn. 41).

[93]

In diesem Sinn Sudre (Fn. 41), S. 34.

[94]

Besonders von Sudre (Fn. 41), S. 34.

[95]

Zum Wiederaufleben dieser Diskussionen P.D. Dagtoglou, La nature juridique de la Communauté européenne, in: Europäische Gemeinschaften/Kommission (Hg.), Trente ans de droit communautaire, 1982, S. 35ff.

[96]

EuGH, Rs. 294/83, Slg. 1986, S. 1339 – Les Verts.

[97]

EGMR, Nr. 15318/89, Urteil vom 23.3.1995, Serie A, Nr. 310 – Loizidou/Türkei; C. Picheral, L’ordre public européen, 2001.

[98]

Vor kurzem: V. Constantinesco, Des racines et des ailes – Essai sur les rapports entre droit communautaire et droit constitutionnel, Mélanges Dubouis, 2002, S. 309.

[99]

In ihren Lehrbüchern: J. Boulouis, Droit institutionnel de l’Union européenne, 61997, S. 51; J.-P. Jacqué, Droit institutionnel de l’Union européenne, 32004, S. 83ff.; D. Simon, Le système juridique communautaire, 32001, S. 73ff.

[100]

Siehe seinen Bericht über den „Euroskeptizismus des Verfassungsrechts“ anlässlich des Kolloquiums über „Droit constitutionnel – droit communautaire, vers un respect réciproque mutuel?“, hg. unter Leitung von H. Gaudin, 2001.

[101]

Siehe Heuschling, in diesem Band § 28 Rn. 33ff.

[102]

B. Farago, Le déficit politique de l’Europe, Le Débat 87 (1995), S. 26ff.

[103]

O. Beaud, Déficit politique ou déficit de la pensée politique, Le Débat 87 (1995), S. 44. Nach O. Beaud ist die EU kein Staat, sondern ein „Staatenverbund“ („Fédération“, nicht „Etat fédéral“).

[104]

L. Azoulay, La Constitution et l’intégration – Les deux sources de l’Union européenne en formation, RFDA 2003, S. 859.

[105]

P. Lamy, Le modèle français vu d’Europe, Le Débat 134 (2005), S. 31.

[106]

Siehe insbesondere Alexis de Tocqueville, L’Ancien régime et la révolution, Flammarion (Hg.), 1988, S. 91, 296f.

[107]

Siehe oben, Rn. 39ff.

[108]

S. Braconnier, Droit des services publics, 2003, S. 57ff.

[109]

Siehe oben, Rn. 7f.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland

Julia Iliopoulos-Strangas

§ 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland

Allgemeine Hinweise

I.Die Europäische Frage im Kontext der Verfassunggebung1 – 9

1.Die Vorgeschichte der Europa-Frage1

2.Die Europa-Frage in der Verfassunggebung2 – 9

a)Die politische und die wissenschaftliche Diskussion2 – 4

b)Die Streitpunkte in der Konstituente5 – 8

aa)Der Begriff „internationale Organisationen“6

bb)Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Zuständigkeiten und für Souveränitätseinschränkungen7

cc)Die erforderlichen Mehrheiten8

c)Der erreichte Kompromiss9

II.Die Mitgliedschaft in der EG/EU10 – 45

1.Die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung10 – 18

a)Die Ratifikation der europarechtlichen Verträge10 – 15

b)Die Auseinandersetzung bei den Verfassungsänderungen von 1986 und 200116 – 18

2.Die „nationalen Interessen“ einer Teilnahme an der EU19 – 22

3.Die dogmatischen Grundlagen23 – 27

a)Die verfassungsrechtliche Absicherung der Öffnung der Rechtsordnung23 – 26

aa)Die ursprünglichen Grundlagen23, 24

bb)Die Ergänzung der Grundlagen – insbesondere die „Interpretationserklärung“ zu Art. 28 Verf.25, 26

b)Konsequenzen aus der spezifischen Form der Öffnung und der Absicherung27

4.Die aus der Sicht des griechischen Verfassungsrechts bestehenden Konfliktfelder hinsichtlich der Mitgliedschaft in der EU28 – 40

 

a)Die gelösten Kollisionsfragen29 – 33

aa)„Konfliktsituationen“ bis zum Vertrag über die Europäische Union29, 30

bb)„Konfliktsituationen“ nach dem Vertrag über die Europäische Union31 – 33

b)Die noch offenen Kollisionsfragen34 – 36

c)Die Vorrangsfrage37 – 40

5.Die Grenzen der Integration41 – 45

III.Verfassungsrecht und EMRK46 – 58

1.Die Stellung der EMRK in der griechischen Rechtsordnung46 – 50

a)Die Vorgeschichte46, 47

b)Die aktuelle Rechtslage48 – 50

2.Die Einbeziehung der EMRK in den nationalen Verfassungsraum51 – 54

3.Die praktische Bedeutung der EMRK und des EGMR für das nationale Verfassungsrecht55 – 58

IV.Konzeptionen der europäisch integrierten nationalen Verfassung59 – 63

Bibliographie

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland › Allgemeine Hinweise

Allgemeine Hinweise

Abkürzungen

(in Ergänzung zu dem Beitrag von Stylianos-Ioannis Koutnatzis, § 3 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Griechenland):

A. Zeitschriften:


Dike I Dike International
DiMEE Δίκαιο Μέσων Ενημέρωσης και Επικοινωνίας (Recht der Informations- und Kommunikationsmedien)
Yper Υπεράσπιση (Verteidigung).

B. Parteien:

„Δημοκρατικό Κοινωνικό Κίνημα“ (ΔΗ.Κ.ΚΙ) („Demokratische Soziale Bewegung“ [DI.K.KI])

„Εθνική Παράταξη“ („Nationale Front“)

„Ενωμένη Αριστερά“ („Vereinigte Linke“)

„Ένωση Δημοκρατικού Κέντρου“ (E.ΔΗ.Κ) („Vereinigung des demokratischen Zentrums“ [E.DI.K.])

„Ένωση Κέντρου – Νέες Δυνάμεις“ („Vereinigung des Zentrums – Neue Kräfte“ [ΕΚ-ΝD])

„Κόμμα Δημοκρατικού Σοσιαλισμού“ (ΚΟ.ΔΗ.ΣΟ) („Partei des demokratischen Sozialismus“ [KO.DI.SO])

„Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδος“ (ΚΚΕ) („Kommunistische Partei Griechenlands“ [ΚΚΕ])

„Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδος-Εσωτερικού“ (ΚΚΕ-Εσωτερικού) („Kommunistische Partei Griechenlands-Inland“ (ΚΚΕ-Inland) – abgespalten 1968 von der moskautreuen KKE)

„Nέα Δημοκρατία“ (Ν.Δ.) („Neue Demokratie“ [N.D.])

„Πανελλήνιο Σοσιαλιστικό Κίνημα“ (ΠΑΣΟΚ) („Panhellenische Sozialistische Bewegung“ [PASOK])

„Συνασπισμός της Αριστεράς και της Προόδου“ („Συνασπισμός“) („Koalition der Linken und des Fortschritts“ [„Synaspismos“]).

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland › I. Die Europäische Frage im Kontext der Verfassunggebung

I. Die Europäische Frage im Kontext der Verfassunggebung

Redaktionell bearbeitet von Dr. Ferdinand Wollenschläger.

1. Die Vorgeschichte der Europa-Frage

1

Der griechische Verfassunggeber hatte schon in der Zeit vor dem Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften (1.1.1981) dem politischen Willen des überwiegenden Teils des Volkes, Mitglied der Gemeinschaften zu werden, und den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, denen einige Mitgliedstaaten hinsichtlich der Übertragung von Zuständigkeiten an Organe und Institutionen der Gemeinschaften begegnet waren, Rechnung getragen. In der Tat hat die Europäische Frage den griechischen Verfassunggeber bereits während der Zeit der Militärdiktatur (1967–1974) beschäftigt. So findet man in den zwei in dieser Zeit verabschiedeten „Verfassungen“ (Art. 53 Abs. 5 „Verf.“ von 1968 und Art. 53 Abs. 5 „Verf.“ von 1973) eine gleich lautende Vorschrift, die die Möglichkeit der „Zuerkennung“ von in der Verfassung geregelten Zuständigkeiten an Organe internationaler Organisationen durch Vertrag oder Abkommen vorsah.

2. Die Europa-Frage in der Verfassunggebung

a) Die politische und die wissenschaftliche Diskussion

2

Auch in der Konstituente der geltenden Verfassung, die nach der Wiederherstellung der Demokratie (1974) verabschiedet wurde, war „Europa“ eine Dimension. Nach einer siebenjährigen Diktatur galt zwar das Interesse naturgemäß eher anderen politischen und verfassungsrechtlichen Fragen, etwa der Ausgestaltung des Grundrechtskatalogs oder den Zuständigkeiten der neu eingeführten Institution des Präsidenten der Republik. Dennoch wurde die Europa-Frage nicht außer Acht gelassen. Die künftige Mitgliedschaft Griechenlands in den Gemeinschaften als solche wurde im Parlament von dem weit überwiegenden Teil der politischen Kräfte nicht prinzipiell in Frage gestellt. Grund für diese Haltung des Parlaments, in dem die Parteien, die die von Konstantin Karamanlis geführte liberalkonservative Regierung stellten, fast drei Viertel der Sitze innehatten,[1] war insbesondere die Stabilisierung der Demokratie. Die diesbezüglichen Diskussionen endeten mit der Aufnahme von Vorschriften in Art. 28 der Verfassung, die als sedes materiae für den beabsichtigten Beitritt dienen sollten.

3

Gleich nach der Wiederherstellung der Demokratie wurde im Schrifttum vereinzelt darauf hingewiesen, dass es notwendig sei, im Organisationsteil der neuen Verfassung eine Bestimmung für den künftigen Beitritt Griechenlands zu den Europäischen Gemeinschaften aufzunehmen. Dabei wurde betont, dass der Beitritt eine Übertragung von Teilen der Staatsgewalt auf „supranationale“ Organisationen zur Folge haben würde, die ohne ausdrücklichen Verfassungsauftrag des Parlaments nicht zulässig sei. Außerdem wurde unter Berufung auf den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts konkreter zu bedenken gegeben, ob in der betreffenden Verfassungsbestimmung nicht auch auf das Verhältnis zwischen dem griechischen Recht und dem Gemeinschaftsrecht Bezug genommen werden sollte.[2]

4

Im Verfassungsentwurf der Regierung waren die Fragen der Einschränkungen der Ausübung der nationalen Souveränität und der „Zuerkennung“[3] von in der Verfassung vorgesehenen Zuständigkeiten an Organe internationaler Organisationen in getrennten Artikeln und in unterschiedlichen Kapiteln geregelt: Während in Art. 29 der künftigen Verfassung die Einschränkungen der Ausübung der nationalen Souveränität (Abs. 3) zusammen mit der Frage der Änderung der Staatsgrenzen (Abs. 1) und der Aufnahme, des Aufenthalts oder des Durchzugs von fremden Streitkräften auf griechischem Staatsgebiet (Abs. 2) niedergelegt sein sollten, sollte die Zuerkennung von Zuständigkeiten, die in der Verfassung bestimmten Staatsorganen zugewiesen sind, an Organe internationaler Organisationen alleiniger Gegenstand der Bestimmung des Art. 37 sein, die im zweiten Kapitel über den Präsidenten der Republik zu finden war. Bemerkenswert ist, dass im Regierungsentwurf eine qualifizierte Mehrheit (drei Fünftel der Gesamtzahl der Abgeordneten) nur in Art. 37 Verf., d.h. nur für die Zuerkennung von Zuständigkeiten an internationale Organisationen, nicht jedoch für Souveränitätseinschränkungen nach Art. 29 Verf. vorgesehen war. Für letztere war lediglich die absolute Mehrheit der Gesamtzahl der Abgeordneten erforderlich.

b) Die Streitpunkte in der Konstituente

5

Bei den Beratungen über diese beiden Vorschriften in den Parlamentsausschüssen gab es Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, die nicht nur den künftigen Beitritt selbst, sondern auch die dafür einzuführenden Voraussetzungen und insbesondere die Frage der nationalen Souveränität betrafen. Fast völlige Übereinstimmung bestand allerdings darüber, dass die durch eine Mitgliedschaft zwangsläufig erfolgende Modifizierung der klassischen Gewaltenteilung eine spezielle verfassungsrechtliche Grundlage erforderte und dass Art. 37 des Verfassungsentwurfs über die Zuerkennung von Zuständigkeiten diesem Erfordernis entsprach.[4] Aber auch der geplante Art. 29 Abs. 3 über die Souveränitätseinschränkungen wurde als eine Bestimmung angesehen, die den aktuellen Gegebenheiten, insbesondere dem Auftreten Griechenlands im europäischen Raum, genügte.[5] Versucht man, die Streitpunkte hinsichtlich der Europabestimmungen zu kategorisieren, dann waren es die drei folgenden: die Bestimmung des Begriffs „internationale Organisationen“ (aa), die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Zuständigkeiten und Souveränitätseinschränkungen (bb) und die erforderlichen Mehrheiten für die Ratifizierungsgesetze (cc). Im Einzelnen:

aa) Der Begriff „internationale Organisationen“

6

Die Diskussionen um die genauere Bestimmung der internationalen Organisationen, denen Griechenland in der Verfassung vorgesehene Zuständigkeiten zuerkennen kann, und die verschiedenen Einwände der Opposition hinsichtlich beider Bestimmungen (Zuerkennung von Zuständigkeiten und Souveränitätseinschränkungen) hatten hauptsächlich die Beziehungen des Landes zur NATO zum Hintergrund.

bb) Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Zuständigkeiten und für Souveränitätseinschränkungen

7

Des Weiteren wurden von Abgeordneten der Opposition die in Art. 37 des Verfassungsentwurfs der Regierung für die Zuerkennung von Zuständigkeiten an Organe internationaler Organisationen vorgesehenen Bedingungen (Förderung des Weltfriedens und der Zusammenarbeit mit anderen Staaten) als zu weit beanstandet und stattdessen das Erfordernis eines wichtigen nationalen Interesses verlangt.[6] Ferner wurde die Aufnahme einer Klausel vorgeschlagen, die eine Einschränkung der parlamentarischen Entscheidungsbefugnisse und der Grundrechte in beiden Fällen (Souveränitätseinschränkungen und Zuerkennung von Zuständigkeiten an internationale Organisationen) ausdrücklich ausgeschlossen hätte.[7]

cc) Die erforderlichen Mehrheiten

8

Auch die im Regierungsentwurf enthaltene differenzierte Haltung zu den erforderlichen Mehrheiten war umstritten. Die Regierung, der auch einige Abgeordnete der größten Oppositionspartei (EK-ND) zustimmten,[8] wollte für „Einschränkungen der Ausübung der Souveränität“ nach Art. 29 Verf. – zu denen auch die aus der Sicht eines Teils der Opposition umstrittenen Beziehungen Griechenlands zu der NATO zu rechnen sind – keine qualifizierte Mehrheit vorsehen. Demgegenüber bestanden andere Abgeordnete der Opposition auf der Einführung der in Art. 37 Verf. für die Zuerkennung von Zuständigkeiten vorgesehenen qualifizierten Dreifünftelmehrheit auch für Souveränitätseinschränkungen nach Art. 29 Abs. 3 Verf.[9]

 

c) Der erreichte Kompromiss

9

Einige der oben erwähnten Änderungsvorschläge wurden von dem Parlamentsausschuss, der mit der Αusarbeitung der Verfassung von 1975 betraut war, berücksichtigt. So hat dieser in seinem an das Parlament gerichteten Bericht die in Art. 37 des Verfassungsentwurfs enthaltenen Bestimmungen über die Zuerkennung von Zuständigkeiten als Absatz 4 in Art. 29 Verf. eingefügt, wobei gleichzeitig betont wurde, dass es sich bei dem neuen Absatz nicht (nur) um eine einfache Einschränkung der nationalen Souveränität – für die (auch) die Voraussetzungen (gemeint sind hier die materiellen Grenzen von Souveränitätseinschränkungen) von Art. 29 Abs. 3 Verf. weiterhin gälten –, sondern darüber hinaus um die Zuerkennung von Zuständigkeiten handele, die in der Verfassung vorgesehen seien. Letzteres habe zur Folge, dass Organen von internationalen Organisationen die Möglichkeit eröffnet werde, im Staatsgebiet in Feldern tätig zu werden, die nach der Verfassung bestimmten staatlichen Organen zugewiesen sind. Dafür sei eine Dreifünftelmehrheit erforderlich.[10] In der Plenardebatte im Parlament wurden außerdem von Abgeordneten der Opposition die Fragen der nationalen Souveränität und der Art der internationalen Organisationen, zugunsten derer die Zuständigkeiten zuerkannt werden könnten, in den Mittelpunkt gestellt. Dabei wurde noch einmal vorgeschlagen, einen ausdrücklichen Hinweis auf den Ausschluss von Organisationen mit militärischem Charakter in Art. 29 Verf. aufzunehmen.[11] Die Debatten in der Konstituente endeten damit, dass in Art. 28 der am 7.6.1975 verabschiedeten und am 11.6.1975 in Kraft getretenen Verfassung zwei für die Europa-Frage relevante Bestimmungen aufgenommen wurden, die Folgendes besagen:

„(2) Um wichtigen nationalen Interessen zu dienen und um die Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu fördern, ist durch Verträge oder Abkommen die Zuerkennung von Zuständigkeiten, die in der Verfassung vorgesehen sind, an Organe internationaler Organisationen zulässig. Zur Verabschiedung von Ratifikationsgesetzen für solche Verträge oder Abkommen ist eine Mehrheit von drei Fünfteln der Gesamtzahl der Abgeordneten erforderlich.

(3) Griechenland stimmt freiwillig durch ein Gesetz, das der absoluten Mehrheit der Gesamtzahl der Abgeordneten bedarf, einer Einschränkung der Ausübung seiner nationalen Souveränität zu, wenn dies ein wichtiges nationales Interesse erfordert, die Menschenrechte und die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung nicht berührt werden und wenn es in Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit erfolgt“.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland › II. Die Mitgliedschaft in der EG/EU

II. Die Mitgliedschaft in der EG/EU
1. Die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung

a) Die Ratifikation der europarechtlichen Verträge

10

Waren bei der Verabschiedung der Verfassung die Auseinandersetzungen um die notwendige verfassungsrechtliche Grundlage für die Mitgliedschaft noch theoretischer Natur, erwartete man, dass spätestens mit dem Beitritt die erste konkrete Diskussion zumindest hinsichtlich der anzuwendenden Verfassungsvorschrift stattfinden würde. Denn insbesondere die Frage, welche Vorschrift – Abs. 2 oder 3 des oben erwähnten Art. 28 Verf. – zu wählen sei, war angesichts der unterschiedlichen Mehrheiten, die für das Ratifikationsgesetz über die Zuerkennung von Zuständigkeiten (Abs. 2) und für dasjenige über die Souveränitätseinschränkungen (Abs. 3) erforderlich sind, von besonderer Bedeutung.

11

Wenn auch andere verfassungsrechtliche Fragen des Beitritts und der Mitgliedschaft nur am Rande der Parlamentsdebatten standen, wurde die genaue Bestimmung der anzuwendenden Verfassungsbestimmung (Art. 28 Abs. 2 Verf. oder Art. 28 Abs. 3 Verf. oder beide Vorschriften kumulativ) – ebenso wie die Vorrangsfrage – kontrovers beurteilt.[12] Im Ratifikationsgesetz zum Beitrittsvertrag war lediglich ein globaler Hinweis auf Art. 28 Verf. enthalten. Auch bei der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht wurde die verfassungsrechtliche Perspektive sehr kurz und fast ausschließlich von der kommunistischen Partei KKE betont, die die Zuerkennung eines sehr breiten Spektrums von Zuständigkeiten an die EU als Verstoß gegen die in Art. 1 Verf. verbürgten Prinzipien der Demokratie und der Volkssouveränität beanstandete; demzufolge könne eine solche Entscheidung nicht vom Parlament allein beschlossen werden, sondern es bedürfe dazu der Durchführung eines Referendums. Dies wurde von der damaligen Regierungspartei N.D. und der größten Oppositionspartei PASOK mit einer knappen verfassungsrechtlichen Argumentation abgelehnt, während sich die linksorientierte kleinere Oppositionspartei „Synaspismos“ für die Durchführung eines Referendums mit beratendem Charakter und insbesondere für eine Verfassungsänderung ausgesprochen hatte.[13] Νoch weniger wurde auf die Verfassung bei der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags Bezug genommen. Die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken stammten von den kleinen linksorientierten Oppositionsparteien, „Synaspismos“ und DI.K.KI, sowie von der KKE, die wiederum ohne Erfolg die Durchführung eines Referendums verlangten.[14] Schließlich wurde auch bei der kurzen und substanzlosen Parlamentsdebatte über das Ratifikationsgesetz zum Vertrag von Nizza auf die verfassungsrechtlichen Auswirkungen kein Bezug genommen.[15]

12

Die Parlamentspraxis, die bei der Ratifizierung des Beitrittsvertrags und der Änderungsverträge die Problematik möglicher Konfliktfelder zwischen dem Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht und der griechischen Verfassung nur am Rande behandelte und sich hauptsächlich auf die Frage nach der verfassungsrechtlichen Grundlage im Hinblick auf die erforderliche Mehrheit konzentrierte, änderte sich allerdings bei der Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrags (VVE) am 19.4.2005. Nachdem im zuständigen Parlamentsausschuss unterschiedliche Positionen insbesondere zu der Frage der anzuwendenden Verfassungsbestimmung unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Mehrheit vertreten wurden, beschäftigte sich das Plenum des Parlaments auch mit materiellen Fragen, die der VVE in Bezug auf das griechische Verfassungsrecht aufwirft, sowie mit der in der griechischen Rechtsordnung noch offen gebliebenen Vorrangsfrage.

13

Die Frage der anzuwendenden verfassungsrechtlichen Grundlage wurde vom Sonderberichterstatter der größten Oppositionspartei PASOK gestellt, der sich für eine kumulative Anwendung der Abs. 2 und 3 von Art. 28 Verf. aussprach,[16] was zur Folge gehabt hätte, dass die qualifizierte Dreifünftelmehrheit nach Abs. 2 erforderlich gewesen wäre. Demgegenüber lehnte die Regierungspartei N.D. diese Lösung ab und bestand auf der Anwendung von Abs. 3 (Souveränitätseinschränkungen) und der dort vorgesehenen absoluten Mehrheit.[17] Die Diskussion erwies sich allerdings als praktisch bedeutungslos, da der VVE von den beiden großen Parteien mit einer Mehrheit ratifiziert wurde, die die in Art. 28 Abs. 2 Verf. vorgesehene qualifizierte Dreifünftelmehrheit, d.h. 180 von 300 Abgeordneten, weit überstieg.[18] Außerdem wurde von den Oppositionsparteien (PASOK, KKE und „Synaspismos“), wenngleich mit unterschiedlicher Intensität und Begründung, die Frage der Durchführung eines Referendums in die Diskussion eingebracht und insbesondere die Frage gestellt, inwieweit das traditionell auf der Grundlage von Art. 28 Verf. durchgeführte Verfahren der Ratifizierung der Änderungsverträge auch im Falle des VVE ausreichend war. So hielt die KKE die Durchführung eines Referendums für verfassungsrechtlich geboten, da der VVE in bestimmten Bereichen die griechische Verfassung praktisch modifizieren würde, so dass entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Verfassungsänderung die Einschaltung der Wähler zwingend erforderlich sei. Genannt wurden dabei die Verfassungsbestimmung über die kostenlose Bildung auf allen Stufen sowie der angeblich weitergehende Schutz einiger sozialer Grundrechte in der griechischen Verfassung.[19] In dieselbe Richtung ging die Partei „Synaspismos“, die ebenfalls eine de facto-Verfassungsänderung durch den VVE annahm.[20] Demgegenüber schlug die PASOK die Durchführung eines Referendums nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen vor, sondern (nur), „damit das Volk eine bewusste, vollständige und zeitgemäße Meinung über Europa bilden kann“[21].

14

Schließlich wurde in der Parlamentsdebatte unter Hinweis auf Art. I-6 VVE auch die Vorrangsfrage gegenüber der griechischen Verfassung wieder aufgegriffen, ohne jedoch auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Mitgliedschaft Bezug zu nehmen. Lediglich ein Abgeordneter der KKE stellte die eher rhetorische Frage, inwieweit die griechische Verfassung eine Selbstzerstörungsklausel enthalte.[22]

15

Der Umstand, dass in Griechenland die verfassungsrechtliche Diskussion, die die Mitgliedschaft in der EU betrifft, bislang – mit Ausnahme des Ratifikationsgesetzes zum VVE – hauptsächlich von der Wissenschaft und, wenn überhaupt, in aller Regel nur oberflächlich von der Politik geführt wurde, lässt sich zum Teil mit endogenen institutionellen Faktoren erklären: Zum einen kennt die griechische Rechtsordnung keine vorbeugende Kontrolle der Vereinbarkeit von völker- und europarechtlichen Verträgen mit der Verfassung. Zum anderen wäre im Falle der Feststellung eines möglicherweise bestehenden Fehlens einer ausreichenden verfassungsrechtlichen Grundlage der Ausweg mittels einer Verfassungsänderung in der Praxis nicht möglich, da das vorgesehene Verfassungsänderungsverfahren sehr kompliziert und zeitaufwendig ist: Es verlangt außer den qualifizierten Mehrheiten im Parlament die Durchführung von Wahlen und einen Zeitabstand von fünf Jahren zwischen den Verfassungsänderungen. Das Zögern des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Anpassung der nationalen Verfassung an die Erfordernisse der jeweiligen Integrationsstufen ist vor allem auf diese Schwerfälligkeit des Revisionsverfahrens zurückzuführen. Dieses komplizierte Revisionsverfahren ist von einem Teil der Lehre heftig kritisiert worden, der für die Einführung des Abschlusses des Verfassungsänderungsverfahrens innerhalb ein und derselben Legislaturperiode plädiert.[23] Außer diesen rechtlichen Schwierigkeiten ist der Mangel an politischer Diskussion auch auf einen politischen Faktor zurückzuführen. Im Laufe der Zeit hat sich beim weit überwiegenden Teil der politischen Kräfte des Landes ein Konsens hinsichtlich der Teilnahme Griechenlands am Prozess der europäischen Integration gebildet, so dass politisch kein zwingendes Bedürfnis besteht, sich mit der eher theoretisch erscheinenden Frage der genauen verfassungsrechtlichen Grundlage für das Ratifikationsgesetz und weiteren bislang in der Praxis zu bewältigenden oder harmlosen „Kollisionsfällen“ zu befassen. Dies erklärt auch, warum Griechenland sowohl den Vertrag von Maastricht als auch den Vertrag von Amsterdam und den Vertrag von Nizza ohne Verfassungsänderung „überstanden“ hat, obwohl einige der neuen Regelungen dieser Verträge aus verfassungsrechtlicher Sicht zumindest als problematisch angesehen werden könnten und von der Wissenschaft hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung auch teilweise in Frage gestellt wurden.[24]