Handbuch Ius Publicum Europaeum

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III. Verfassungsrecht und EMRK





1. Die Stellung der EMRK in der griechischen Rechtsordnung






a) Die Vorgeschichte



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Griechenland hatte die EMRK am 28.11.1950, d.h. einige Wochen nach ihrem Abschluss (4.11.1950), unterschrieben und aufgrund des Gesetzes 2329/1953 ratifiziert. Nach der damals geltenden Verfassung von 1952 war die Stellung des Völkerrechts in der Verfassung nicht geregelt. Die Rechtsprechung hatte allerdings bereits seit dem Urteil 14/1896 des Areopags die Geltung des Völkergewohnheitsrechts als „innerstaatliches Gesetz“ anerkannt. Die durch Gesetz ratifizierten völkerrechtlichen Verträge wurden ebenfalls als „innerstaatliches Gesetz“ angesehen. Obwohl den Gerichten zugestanden war, einen Vertrag, dessen Inhalt gegen die Verfassung verstößt, nicht anzuwenden, hatten sie in dieser Phase (1953–1974) der EMRK keine besondere Bedeutung beigemessen; sie hatten ihr nicht einmal eine gegenüber dem innerstaatlichen Recht ergänzende Funktion zuerkannt. Außerdem wurde die EMRK von den Gerichten nie von Amts wegen und nur dann erwähnt, wenn ihre Interpretation zur Bekräftigung von Bestimmungen, die die in der Verfassung garantierten Grundrechte einschränken, dienen konnte.



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Um dem Ausschluss wegen systematischer Verletzungen der EMRK zuvorzukommen, trat die Militärdiktatur Ende 1969 aus dem Europarat aus und kündigte die EMRK. Nach der Wiederherstellung der Demokratie wurden sie und das Erste Zusatzprotokoll durch die Gesetzesverordnung 53/1974 (erneut) ratifiziert. Die nach Art. 25 a.F. EMRK erforderliche Erklärung über die Anerkennung der Zuständigkeit der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR), sich mit Individualbeschwerden zu befassen, hat allerdings Griechenland erst im Jahre 1985 abgegeben.






b) Die aktuelle Rechtslage



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Der Rang, den das Völkerrecht, Gewohnheitsrecht wie auch Vertragsrecht, in der Normenhierarchie innehat, wird in der Verfassung ausdrücklich geregelt. So legt Art. 28 Abs. 1 Verf. fest, dass „die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts sowie die internationalen Verträge nach ihrer gesetzlichen Ratifizierung und ihrer in ihnen geregelten Inkraftsetzung Bestandteil des innerstaatlichen griechischen Rechts“ sind und dass sie jeder entgegenstehenden Gesetzesbestimmung vorgehen. Somit wird der Vorrang des Völkerrechts vor den einfachen Gesetzen, nicht jedoch vor der Verfassung, angeordnet (übergesetzliche Geltung).



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Trotz der klaren Formulierung der obigen Verfassungsbestimmung wurde vereinzelt die Meinung vertreten, dass speziell die EMRK verfassungsrechtlichen Rang besitze. Auch in zwei Kammerurteilen des Staatsrats, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht ergangen sind, wurde der EMRK – wenn auch mit anderer Begründung als zuvor im Schrifttum – verfassungsrechtlicher oder sogar überverfassungsrechtlicher Rang zuerkannt. Sich auf Art. F Abs. 2 EUV a.F. berufend haben diese zwei Urteile in Betracht gezogen, dass die EMRK „dadurch, dass der Vertrag von Maastricht direkt auf sie Bezug nimmt, die Qualität primären Gemeinschaftsrechts erworben hat“. Weder die Große Kammer des Staatsrats, an die die erste Sache aufgrund der Bedeutung der aufgeworfenen Fragen verwiesen wurde, noch das Plenum, an das der zweite Fall verwiesen wurde, haben dazu jedoch Stellung bezogen; sie haben sich darauf beschränkt festzustellen, dass im fraglichen Fall keine Verletzung von Art. 5 EMRK (ebenso wie keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts) vorlag. Demgegenüber wurde in einem anderen Kammerurteil des Staatsrats ausdrücklich verneint, dass die EMRK durch die Erwähnung im Vertrag von Maastricht die Qualität von primärem Gemeinschaftsrecht erlangt haben könnte. Letzterer Aussage der Kammer ist zuzustimmen. Die Bezugnahme von Art. 6 Abs. 2 EUV auf die EMRK reicht in der Tat nicht aus, um sie als Primärrecht zu qualifizieren, geschweige denn als Grundlage für eine Modifizierung der Stellung der EMRK in den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen. Das Plenum des Staatsrats hat auch zu dieser Äußerung keine Stellung bezogen. Es entschied, dass der fragliche Fall weder in den Geltungsbereich der EMRK noch in den des Gemeinschaftsrechts falle.



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Abschließend soll erwähnt werden, dass in der den Rang des Völkerrechts bestimmenden Verfassungsvorschrift (Art. 28 Abs. 1 Verf.) eine allgemeine Klausel enthalten ist, die „die Geltung der Regeln des Völkerrechts und der internationalen Verträge für Ausländer unter den Vorbehalt der Gegenseitigkeit“ stellt. Nach fast einhelliger Auffassung findet diese Einschränkung auf menschenrechtsrelevante völkerrechtliche Verträge und Abkommen, und damit auch auf die EMRK, keine Anwendung.






2. Die Einbeziehung der EMRK in den nationalen Verfassungsraum



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Auch wenn die EMRK keinen Verfassungsrang besitzt, kann ihre Einbeziehung in den griechischen Verfassungsraum doch problemlos erfolgen. Auf der einen Seite erkennt die EMRK selbst, und zwar in Art. 53 (ex-Art. 60), ausdrücklich den „Anwendungs-Vorrang“ jeder (nationalen oder internationalen) Norm an, die größeren Schutz gewährleistet. Auf der anderen Seite sind Kollisionsfälle zwischen griechischer Verfassung und EMRK, d.h. Fälle, in denen die griechische Verfassung Regelungen vorsieht, die gegen EMRK-Bestimmungen verstoßen bzw. einen geringeren Schutz als die EMRK imperativ gebieten, kaum zu finden. Außerdem ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die griechische Verfassung die Erweiterung des von ihr gewährten Schutzes grundsätzlich nicht verbietet.



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Die wenigen potentiellen „Scheinkollisionen“ können mittels Auslegung beseitigt werden. Dabei ist es irrelevant, ob man die Grundlage für eine EMRK-konforme Auslegung in Art. 25 Abs. 1 Verf. sehen will, wonach die Rechte des Menschen als Individuum und als Mitglied der Gesellschaft vom Staate gewährleistet werden und alle Staatsorgane verpflichtet sind, deren ungehinderte und effektive Ausübung sicherzustellen, oder, was vorzugswürdig ist, in der allgemeinen Klausel des Art. 2 Abs. 2 Verf., die nach dem in dem ersten Absatz garantierten Schutz der Menschenwürde die Bindung Griechenlands an das Völkerrecht proklamiert.



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Versucht man die Bereiche zu ermitteln, in denen die EMRK bzw. ihre Interpretation und Anwendung durch den EGMR einen größeren Schutz zu gewährleisten scheinen, dann kommt man zu folgenden Feststellungen:








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            Während Art. 11 EMRK die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit als Jedermannrechte garantiert, werden diese Grundrechte in Art. 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Verf. als Griechenrechte gewährleistet. Aus diesen Verfassungsbestimmungen kann allerdings kein zwingendes Verbot abgeleitet werden, Ausländern dieselben Rechte auf unterverfassungsrechtlicher Ebene zuzuerkennen.









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            Die von der ständigen Rechtsprechung vertretene sehr enge Auslegung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs, unter den nur dingliche Rechte, nicht hingegen Forderungen subsumiert werden, schließt zunächst eine anders lautende Auslegung nicht aus und verbietet jedenfalls nicht die Gewährung eines weiteren Schutzes auf unterverfassungsrechtlicher Ebene, wie den des Art. 1 1. ZP-EMRK, der das „Vermögen“ insgesamt schützt.









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            Ebenso hindert die Weigerung der griechischen Gerichte, eine Entschädigung für enteignungsgleiche Eingriffe („de facto-Enteignung“ nach griechischer Terminologie) aufgrund der Verfassung anzuerkennen, nicht die Anerkennung dieser Entschädigung unter Berufung auf Art. 1 Abs. 1 1. ZP-EMRK und die diesbezügliche EGMR-Rechtsprechung.









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            Auch das Fehlen einer ausdrücklichen Gewährleistung des Erbrechts und des geistigen Eigentums in der griechischen Verfassung stellt kein Hindernis dar, die diesbezüglichen Garantien des 1. ZP-EMRK in der griechischen Verfassungsordnung gelten zu lassen.









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            Einen weiteren Schutz als die griechische Verfassung – insbesondere die in Art. 20 Verf. garantierten Rechte auf Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör, wie sie von der Rechtsprechung ausgelegt und angewandt und vom Gesetzgeber konkretisiert werden – gewährt hinsichtlich einer Reihe von Fragen die Bestimmung des Art. 6 EMRK, wie sie durch den EGMR interpretiert und angewandt wird. Angesichts des Umstandes, dass die konkreten Ausformungen der obigen Verfassungsbestimmungen nicht imperativ geboten sind, sondern revisible Entscheidungen des Gesetzgebers oder Auslegungen der Rechtsprechung darstellen, handelt es sich hierbei nicht um Kollisionsfälle zwischen EMRK und griechischer Verfassung.









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            Im Schrifttum war ferner die Vereinbarkeit der in Art. 1 Abs. 2 der Verfassung von 1952 vorgesehenen privilegierten Behandlung der „vorherrschenden Religion“ – dort war nämlich ein Verbot des Proselytismus (d.h. von Bekehrungsversuchen durch den Gebrauch unlauterer Mittel) und jedes anderen Angriffs nur gegenüber der vorherrschenden Religion enthalten – mit der in der EMRK garantierten Religionsfreiheit (Art. 9) in Zweifel gezogen worden. Auch wenn Art. 13 Abs. 2 Verf. das Verbot des Proselytismus gegenüber allen Religionen nunmehr unterschiedslos gewährleistet, könnte dieses Verbot aus der Sicht von Art. 9 EMRK fraglich erscheinen und würde einer Verhältnismäßigkeitskontrolle nicht ohne weiteres standhalten. Die mehrfachen Verurteilungen Griechenlands durch den EGMR wegen einer Verletzung von Art. 9 EMRK zeigen allerdings – und zwar nicht nur bezüglich des zuletzt genannten Verfassungsverbots, sondern allgemeiner –, dass aus der Sicht der EMRK nicht die Garantie der Religionsfreiheit in Art. 13 Verf. als solche problematisch ist, sondern ihre Ausgestaltung bzw. Konkretisierung durch den Gesetzgeber sowie ihre Handhabung durch die Verwaltung.








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Über diese Fälle hinaus kann die EMRK angesichts ihres übergesetzlichen Ranges bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Ausübungsmodalitäten der in der Verfassung garantierten Grundrechte bzw. bei der Beurteilung von gesetzlichen Einschränkungen eine wichtige Rolle spielen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch ihre herausragende Bedeutung als Ergänzung bzw. Erweiterung des Verfassungsrechts im Bereich des Grundrechtsschutzes nicht zu leugnen. Die griechischen Gerichte sind außerdem bezüglich der EMRK ihrer sonst bei völkerrechtlichen Verträgen zu beobachtenden Praxis nicht gefolgt, deren Vorschriften für nicht unmittelbar anwendbar zu erklären und sie deshalb nicht anzuwenden, mit der Folge, dass der Einzelne ihre Verletzung nicht geltend machen kann. Vielmehr sehen Rechtsprechung und Lehre eine gerichtliche Kontrolle der Gesetze anhand der EMRK als etwas Selbstverständliches an, obwohl eine solche Kontrolle in der Verfassung – im Gegensatz zur gerichtlichen Kontrolle der Gesetze anhand der Verfassung – nicht vorgesehen ist. Die gerichtliche Überprüfung der Konventionsmäßigkeit von Gesetzen wird entweder mit einer Analogie der in der Verfassung ausdrücklich vorgesehenen Verfassungsmäßigkeitskontrolle oder mit dem übergesetzlichen Rang der EMRK schlechthin begründet bzw. gerechtfertigt. Umstritten bleibt indes, ob diese Kontrolle auch von Amts wegen erfolgt. Allerdings ist der Oberste Sondergerichtshof, der nach Art. 100 Abs. 4 Satz 2 Verf. allein die Zuständigkeit besitzt, ein für verfassungswidrig befundenes Gesetz für unwirksam zu erklären, nicht befugt, ein konventionswidriges Gesetz für nichtig zu erklären.






3. Die praktische Bedeutung der EMRK und des EGMR für das nationale Verfassungsrecht



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War die EMRK in der ersten Periode ihrer Geltung in der griechischen Rechtsordnung (1953–1969) für das griechische Verfassungsrecht ohne jegliche Bedeutung, hat sich diese Situation nach ihrer erneuten Ratifizierung nach der Wiederherstellung der Demokratie (1974) nicht schlagartig geändert. Bis zur Anerkennung der Zuständigkeit der EKMR, über Individualbeschwerden zu entscheiden (1985), aber auch danach ist sie von den griechischen Gerichten relativ wenig berücksichtigt worden. Die Gerichte haben in dieser Zeit zunächst nur zögernd auf die EMRK Bezug genommen, indem sie sie oft nur erwähnt haben, um sodann auf den Vorrang der Verfassung hinzuweisen. Bezeichnend für diese Zeit ist die Aussage eines Richters in den 1980er Jahren, dass in Griechenland die EMRK im Schatten der Verfassung lebt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen galt dies bis Mitte oder sogar Ende der 1990er Jahre.



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Eine Neujustierung der Haltung gegenüber EMRK und EGMR-Rechtsprechung scheint mit der Entscheidung 40/1998 des Areopags stattgefunden zu haben. Nach ständiger, wenn auch umstrittener Rechtsprechung wird der Begriff „Eigentum“ sehr restriktiv ausgelegt: Nur dingliche Rechte sind vom verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff (Art. 17 Abs. 1 Verf.) erfasst. Unter Berufung auf den weiteren Schutz, den Art. 1 1. ZP-EMRK für das Vermögen insgesamt gewährt, ist der Areopag, das oberste Zivil- und Strafgericht (Kassationsgerichtshof), dazu übergegangen, einen weiteren Schutz nicht nur für Forderungen, sondern auch für alle „Rechte mit Vermögenscharakter“ sowie „erworbene wirtschaftliche Interessen“ zu gewähren. Wie dieser Leitentscheidung des Areopags zu entnehmen ist, ist der Rechtsprechungswandel nicht nur vom Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 1. ZP-EMRK, sondern auch von der weiten Auslegung des Vermögensbegriffs in der Rechtsprechung des EGMR inspiriert. Es bleibt abzuwarten – und dies ist angesichts der bevorstehenden Reformen auf dem Gebiet der Sozialversicherung von besonderer Bedeutung -, inwieweit sich der Areopag der Rechtsprechung des EGMR anschließen und auch öffentlich-rechtlichen Ansprüchen, insbesondere solchen im Bereich der Sozialversicherung, den weiteren Schutz von Art. 1 1. ZP-EMRK gewähren wird.



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Über den Bereich des Eigentumsschutzes hinaus sind in der Praxis die Fälle eher selten, in denen EMRK-Vorschriften von der Rechtsprechung zu einer Absicherung bzw. Erweiterung des Anwendungsbereichs von Grundrechtsbestimmungen der Verfassung herangezogen wurden. Zu den wenigen Ausnahmen zählt die in Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistete Unschuldsvermutung, die dazu verwandt wird, die Anforderungen an die in Art. 93 Abs. 3 Verf. vorgeschriebene Begründungspflicht für Gerichtsentscheidungen im Hinblick auf freisprechende Entscheidungen zu senken. Insgesamt spielt Art. 6 EMRK eine immer wichtigere Rolle in der Rechtsprechung griechischer Gerichte.



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Abschließend sei angemerkt, dass die ursprünglich sehr negative Haltung der griechischen Gerichte gegenüber der Einbeziehung der EMRK und der EGMR-Rechtsprechung weniger auf eine „Treue“ zum Rang der Verfassung in der innerstaatlichen Normenhierarchie oder auch auf das Misstrauen gegen „fremdes“ Recht und entsprechende „nationale Gefühle“ zurückzuführen ist, sondern mehr auf mangelnden Kenntnissen der EMRK und der EGMR-Rechtsprechung beruhte. Die jüngere Generation von Richtern und Anwälten scheint inzwischen mit dieser Materie vertraut zu sein. Dies erklärt nicht nur die häufigere Bezugnahme auf die EMRK in Gerichtsentscheidungen, sondern auch die Zunahme der „griechischen“ Individualbeschwerden beim EGMR.



Erster Teil Offene Staatlichkeit

 ›

§ 16 Offene Staatlichkeit: Griechenland

 › IV. Konzeptionen der europäisch integrierten nationalen Verfassung






IV. Konzeptionen der europäisch integrierten nationalen Verfassung



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Die griechische Verfassungslehre hat sich mit der Frage von verfassungsrechtlichen Konzeptionen der europäisch integrierten nationalen Verfassung relativ wenig befasst. Sie verfügt auch über keine in diese Richtung gehenden Erfahrungen aus der Praxis, da Griechenland in seiner Geschichte nie ein föderaler Staat oder Mitglied eines Staatenbundes gewesen ist. Dennoch wurden die Grenzen, die der Gewalt des Bundesstaates gegenüber derjenigen der Gliedstaaten gesetzt werden, von der Lehre als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Einschränkung der originären Gewalt in Erwägung gezogen, die zwangsläufig durch die Zuerkennung bzw. die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft entsteht und die die Bedeutung der nationalen Verfassungen relativiert.



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Infolge der Diskussionen über die Zukunft Europas und den europäischen Verfassungsvertrag musste sich die Verfassungslehre in Griechenland, wie in den anderen Mitgliedstaaten auch, mit der Verfassungsentwicklung der Union und mit den Hindernissen auseinandersetzen, die seitens der verfassungsrechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten für die Vollendung des in Aussicht gestellten neuen europäischen Gebildes bestehen.



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Mit Blick auf den traditionellen Begriff der (formellen) Verfassung, wie dieser von der griechischen Lehre ausgearbeitet wurde (schriftliche Form und grundsätzlich erhöhte Gesetzeskraft), wurde im Schrifttum bemerkt, dass ernste Zweifel daran bestehen, dass einige der Grundelemente dieses Begriffs – insbesondere der zumindest formell noch anerkannte höchste Rang der Verfassung in der Normenhierarchie und das damit verbundene besondere Verfassungsänderungsverfahren ebenso wie die gegenwärtig vorgesehene Ewigkeitsgarantie für einige Verfassungsbestimmungen – bei einer wie auch immer gearteten Integration der griechischen Verfassung in eine europäische Verfassung aufrechterhalten bleiben könnten. Demzufolge wurde im Anschluss an einen Teil des deutschen Schrifttums in Zweifel gezogen, ob die bestehenden nationalen Verfassungen überhaupt der richtige Ausgangspunkt zur Behandlung von rechtlichen Fragen einer vollständigen europäischen Integration sein können. Diese Aussage trifft auch unter Berü