Handbuch Ius Publicum Europaeum

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Vgl. insbesondere Art. I-2 des Verfassungsvertrags.

[116]

Declaración del Pleno del Tribunal Constitucional 1/2004 (Fn. 41), S. 5, 10 (II 3).

[117]

Zu diesem doppelten Gewährleistungsgehalt Ondolf Rojahn, in: von Münch/Kunig (Fn. 38), Art. 23 Rn. 30ff.

[118]

Art. 5 Abs. 2 EGV. Zur Entstehung näher Wolfram Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, 2001, S. 216ff.

[119]

Im Verfassungsvertrag ist das Subsidiaritätsprinzip in Art. I-11 Abs. 3 niedergelegt, nunmehr sogar unter ausdrücklicher Berücksichtigung der regionalen und der kommunalen Ebenen.

[120]

Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 vom 5.11.1993, S. 20.

[121]

Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth, Grundgesetz, 72004, Art. 23 Rn. 21; a.A. (da jede Hoheitsübertragung materiell eine Verfassungsänderung darstelle) Streinz (Fn. 112), Art. 23 Rn. 81a.

[122]

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.3.1993, BGBl. 1993 I S. 313.

[123]

Dazu das (Ausführungs-)Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12.3.1993, BGBl. 1993 I S. 311.

[124]

Vgl. nur die in wesentlichen Punkten der Kritik übereinstimmenden Stellungnahmen der Wissenschaftler Arthur Benz, Peter M. Huber, Ferdinand Kirchhof, Hans Meyer, Fritz W. Scharpf, Edzard Schmidt-Jortzig und Rupert Scholz in der 3. Sitzung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung am 12.12.2003, Stenographischer Bericht (Kommissionsprotokoll 3).

[125]

Die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005 vorgesehenen Änderungen (ebd. sub B V 1 i.V.m. Anlage 2, S. 28) lassen die bisherigen Regelungen im Wesentlichen unangetastet. Immerhin sollen durch eine Grundgesetzänderung die Materien, in denen ein vom Bundesrat benannter Vertreter die Rechte der Bundesrepublik Deutschland im Rat der EU wahrnimmt, konkret aufgeführt werden: schulische Bildung, Kultur und Rundfunk.

[126]

Vgl. dazu Classen (Fn. 70), Art. 24 Rn. 59ff.

[127]

Vgl. Matthias Niedobitek, Das Recht der grenzüberschreitenden Verträge, 2001, S. 440ff.

[128]

BVerfGE 90, 286, 347ff.

[129]

Näher Albrecht Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 24 (1992), Rn. 10ff.; Rojahn (Fn. 38), Art. 24 Rn. 88.

[130]

47. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29.11.2000 (BGBl. 2000 I S. 1633).

[131]

BGBl. 2000 II S. 1394.

[132]

BGBl. 2004 I S. 1748.

[133]

ABl. EG Nr. L 190, S. 1.

[134]

Urteil des Zweiten Senats vom 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 –, Rn. 70.

[135]

Ebd., Rn. 89ff.

[136]

Vgl. auch Christian Tomuschat, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, 453, 459, der eine über die Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts hinausgehende Überprüfung des Gesetzes fordert und überdies das Fehlen parlamentarischer Kontrolle in dem zum Rahmenbeschluss führenden Entscheidungsverfahren kritisiert (ebd., S. 456: „Ganz offensichtlich haben aber in allen damals 15 Mitgliedstaaten die nationalen Parlamente versagt.“).

[137]

Siehe oben, bei Rn. 6 ff.

[138]

Urteil des BVerfG vom 26.3.1957, BVerfGE 6, 309, 362f.; vgl. zuletzt die Entscheidungen vom 14.10.2004 (2 BvR 1481/04 – Görgülü), BVerfGE 111, 307, 317ff., vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00), BVerfGE 112, 1, 25f., sowie vom 18.7.2005 (2 BvR 2236/04 – Europäischer Haftbefehl).

[139]

Jarass (Fn. 121), Art. 26 Rn. 4.

[140]

Dazu Stephanie Schiedermair, Der internationale Frieden und das Grundgesetz, 2006, S. 144f.

[141]

Vgl. Geiger (Fn. 6), § 31 III 1 (S. 165); Christian König, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 70), Art. 25 Rn. 42; Streinz (Fn. 112), Art. 25 Rn. 21.

[142]

Vgl. Philip Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Fn. 72), S. 79, 98 (Rn. 38ff.).

[143]

BVerfGE 111, 307, 318; kritisch hierzu Hans-Joachim Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, EuGRZ 2004, S. 683, 687f.

[144]

BVerfGE 23, 288, 317; 64, 1, 20; 94, 315, 328; 96, 68, 86; Albert Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, 1975, S. 291f. (der seinerzeit diese Auffassung noch für die Mindermeinung hielt); Tomuschat (Fn. 45), S. 499f. (Rn. 27f.); Helmut Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 38), § 173, S. 525, 554, 558 (Rn. 56 u. 63); Geiger (Fn. 6), § 31 II (S. 162ff.); Jarass (Fn. 121), Art. 25 Rn. 8; Streinz (Fn. 112), Art. 25 Rn. 35.

[145]

Vgl. nur BVerfGE 111, 307, 317f.

[146]

Vgl. Rudolf Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 38), § 172, S. 571, 590 (Rn. 29); Jochen Abr. Frowein, Übernationale Menschenrechtsgewährleistungen und nationale Staatsgewalt, ebd., § 180, S. 731, 735 (Rn. 6).

[147]

Vgl. soeben bei Rn. 54 sowie Klaus Grupp/Ulrich Stelkens, Zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Auslegung deutschen Rechts, DVBl. 2005, S. 133, 141f.

[148]

So Rudolf Echterhölter, Die Europäische Menschenrechtskonvention im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, JZ 1955, S. 689, 691f.; aus dem späteren Schrifttum etwa Albert Bleckmann, Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention?, EuGRZ 1994, S. 149, 154f.; tendenziell auch Manfred Zuleeg, Menschenrechte, Grundrechte und Menschenwürde im deutschen Hoheitsbereich, EuGRZ 2005, 681, 682f., der den verfassungsändernden Gesetzgeber aufruft, eine klare Regelung zu treffen.

[149]

Zu diesem Verfassungstyp in Abgrenzung von „nominalistischen“ und „semantischen“ Verfassungen näher Karl Löwenstein, Verfassungslehre, 31975, 152ff.

[150]

Zu den verschiedenen Ansätzen näher Karl-Peter Sommermann, Völkerrechtlich garantierte Menschenrechte als Maßstab der Verfassungskonkretisierung, AöR 114 (1989), S. 391, 408ff.; Robert Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 102ff., 176ff.; Nils Stern, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG, 1999, S. 45ff., 136ff.; Frank Hoffmeister, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Grundrechtsverfassung und ihre Bedeutung in Deutschland, Der Staat 40 (2001), S. 349, 365ff.

[151]

Ausführliche Nachweise bei Stern (Fn. 150), S. 222 Anm. 853.

[152]

 

Näher Sommermann (Fn. 150), S. 414ff.; Stern (Fn. 150), S. 219ff.; Hoffmeister (Fn. 150), S. 367ff.; vgl. auch Eckart Klein, Einwirkungen des europäischen Menschenrechtsschutzes auf Meinungsäußerungsfreiheit und Pressefreiheit, AfP 1994, S. 9, 11; Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 2 (2004), Rn. 47f.; einschränkend Horst Dreier, in: ders. (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 22004, Art. 1 II Rn. 20, nach dem die EMRK als „Auslegungs- und Verständnishilfe“, hingegen nicht als verbindlicher Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist; ablehnend Wolfram Höfling, in: Sachs (Fn. 112), Art. 1 Rn. 69.

[153]

BVerfGE 74, 358, 370.

[154]

Zur Begründung der Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als „Auslegungshilfe“ näher Robert Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 217ff.

[155]

Vgl. BVerfGE 82, 106, 120; 83, 119, 128.

[156]

BVerfGE 111, 307, 329.

[157]

Vgl. auch Jens Meyer-Ladewig/Herbert Petzold, Die Bindung deutscher Gerichte an Urteile des EGMR, NJW 2005, 15, 18ff.

[158]

Grundlage der rechtlichen Prüfung des Bundesverfassungsgerichts scheint dabei das jeweils betroffene Grundrecht in Verbindung mit der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung an Gesetz und Recht zu sein, aus der sich die Verpflichtung zur Berücksichtigung der EMRK bei der Gesetzesauslegung herleite; vgl. Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation? – Das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, Der Staat 44 (2005), S. 403, 421. Sieht man den Grundsatz der konventionskonformen Interpretation der Grundrechte hingegen in Art. 1 Abs. 2 GG verankert, bedarf es dieses Rückgriffs auf den allgemeinen Grundsatz nicht. Vgl. auch Christoph Grabenwarter, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 290, 306.

[159]

BVerfGE 111, 307, 319. Ohne die Berufung auf die Souveränität sodann der kurz darauf ergangene Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 –, BVerfGE 112, 1, 25: „Das Grundgesetz will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in den Formen einer kontrollierten Bindung; es ordnet nicht die Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Geltungsvorrang von Völkerrecht vor dem Verfassungsrecht an, sondern will den Respekt vor friedens- und freiheitswahrenden internationalen Organisationen und dem Völkerrecht erhöhen, ohne die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt aus der Hand zugeben“.

[160]

BVerfGE 111, 307, 324.

[161]

Eingehende Kritik bei Cremer (Fn. 143), S. 693ff.

[162]

Vgl. die Kammerentscheidungen des Ersten Senats vom 28.12.2004 (1 BvR 2790/04), EuGRZ 2004, S. 809, vom 5.4.2005 (1 BvR 1664/04), EuGRZ 2005, S. 268, und vom 10.6.2005 (1 BvR 2790/04), EuGRZ 2005, S. 426.

[163]

Vgl. dazu Franz C. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung, 2000, S. 140-259; ders., Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: von Bogdandy (Fn. 114), S. 229, 248ff., sowie die Beiträge in dem demnächst erscheinenden und von Winfried Kluth herausgegebenen Band „Europäische Integration und nationales Verfassungsrecht“.

[164]

Vgl. oben, Rn. 35 f.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 15 Offene Staatlichkeit: Frankreich

Catherine Haguenau-Moizard

§ 15 Offene Staatlichkeit: Frankreich

Allgemeine Hinweise1 – 5

I.Verfassungsrechtliche Grundlagen für die Umsetzung europäischen Rechts6 – 14

1.Banalisierung des europäischen Rechts als Bestandteil des Völkerrechts7 – 12

a)Wortlaut der Verfassung von 19588

b)Ausbleibende Verfassungsdebatte in den Jahren 1950 bis 19809 – 12

aa)Herausragende Bedeutung französischer Persönlichkeiten beim Aufbau Europas10, 11

bb)Fehlende juristische Debatte über die Folgen einer Ratifizierung der Verträge12

2.Anerkennung des besonderen Charakters des europäischen Gemeinschaftsrechts seit 199213, 14

II.Vom europäischen Gemeinschaftsrecht aufgeworfene Probleme15 – 36

1.Bedeutungsverlust des Parlaments16, 17

a)Vorrangstellung der Regierung bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts16

b)Konsultation des Parlaments zu Vertragsentwürfen der Gemeinschaft17

2.Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung18 – 23

a)Ambivalenz des Rückgriffs auf den Volksentscheid19

b)Bedeutung der sozioökonomischen Diskrepanzen20 – 23

3.Die schrittweise Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Rechtsprechung24 – 36

a)Vorrang des Primärrechts vor französischen Gesetzen25

b)Das Festhalten am Vorrang der Verfassung26 – 36

aa)Die Verfassung, Spitze der Normenhierarchie26 – 28

bb)Die Verfassung als Schranke der Übernahme des Gemeinschaftsrechts29 – 36

III.Die Thematik „Europäische Menschenrechtskonvention“37 – 50

1.Das zögerliche Verhalten der Staatsorgane38 – 42

a)Späte Ratifizierung der Konvention39, 40

b)Zögerliche Zulassung der Einzelbeschwerde41, 42

2.Wachsender Einfluss der Konvention auf die Rechtsprechung43 – 50

a)Zivil- und Verwaltungsgerichte44 – 48

aa)Zivilgerichte45, 46

bb)Verwaltungsgerichte47, 48

b)Conseil constitutionnel49, 50

IV.Die Europäisierung der französischen Verfassung51 – 59

1.Wandel der Lehrmeinung52 – 56

a)Kontroversen zwischen den „constitutionnalistes“ und „communautaristes“53

b)Debatte über den Verfassungscharakter54 – 56

2.Theoretische und politische Widerstände gegen die verfassungsmäßige Verankerung des Gemeinschaftsrechts57 – 59

a)Verteidigung des „französischen Modells“58

b)Europäische Integration als ein dem französischen Recht fremdes Phänomen59

Bibliographie

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 15 Offene Staatlichkeit: Frankreich › Allgemeine Hinweise

Allgemeine Hinweise

Abkürzungen

(in Ergänzung zu dem Beitrag von Olivier Jouanjan, § 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich):


Cass. Ass. Plén. Cour de Cassation, Assemblée plénière
Cass. Crim. Cour de Cassation, Chambre criminelle
JCP Jurisclasseur Périodique
LGDJ Librairie Générale de Droit et de Jurisprudence
RDP Revue du Droit Public et de la Science Politique
RGDIP Revue Générale de Droit International Public
RMC Revue du Marché Commun et de l’Union européenne
RPP Revue Politique et Parlementaire.

1

 

Redaktionell bearbeitet von F. Leßniak und Dr. F. Wollenschläger.

Obwohl Frankreich zu den Mitbegründern des Europarats und der Europäischen Gemeinschaften zählt, ist die Einstellung gegenüber der europäischen Integration seit langem von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Trotz der Bereitschaft zur Aushandlung und Ratifizierung der Verträge scheinen die Staatsorgane nicht immer von der Notwendigkeit überzeugt zu sein, auch alle Konsequenzen aus den von ihnen eingegangenen Verpflichtungen zu ziehen. Die Überzeugung vom Nutzen einer Annäherung der europäischen Staaten konfligiert mit der Treue zur nationalen Identität.

2

Der Gedanke, dass Frankreich durch die europäische Einigung seinen nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam behaupteten Status als Weltmacht verloren hat, bleibt in den Köpfen verankert, auch wenn dies nicht ständig ausgesprochen wird. Mit besonderer Schärfe unterstrich das de Gaulle in den Diskussionen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft: „Europa ist auf dem Leichnam Frankreichs errichtet“[1]. Seither äußern sich die Gegner der europäischen Einigung weniger lyrisch, und ihre Befürworter unternehmen alles, um die Tragweite der von ihnen verteidigten Texte zu verharmlosen. Auf Seiten der Gegner bekämpft die Kommunistische Partei die „supraconstitutionnalité“ („Überverfassungsmäßigkeit“), womit – mit einem Fachausdruck kaschiert – der Verlust der Unabhängigkeit Frankreichs angeprangert wird.[2] Andere verteidigen das nationale französische „Modell“ gegen die Vision eines europäischen Bundesstaates[3] oder lehnen die Preisgabe der nationalen Souveränität ab[4]. Auf Seiten der Befürworter gehört es zum guten Ton, die Vorteile der europäischen Verträge für Frankreich, insbesondere für seine Landwirte, herauszustellen, ohne sich mit langfristigen Betrachtungen über die Zukunft Europas abzugeben.[5] Diese – wenig mitreißende – politische Perspektive auf Seiten der Befürworter des europäischen Systems ist mit ein Grund für die Schwierigkeit Frankreichs, zu einem angemessenen Verständnis der Integration zu gelangen.

3

Aufgrund der häufig widersprüchlichen Vorgaben der Politik haben die französischen Verwaltungsbehörden Schwierigkeiten, die von Frankreich eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Die mangelhafte Umsetzung von Richtlinien macht dies besonders anschaulich. Sie verdeutlicht den Graben zwischen der Annahme von Gemeinschaftstexten durch die Regierung und ihrer vollen Anwendung durch die nationalen Institutionen. Trotz einiger Fortschritte fand sich Frankreich in dem von der Kommission im November 2004 erstellten Umsetzungsranking erst an zehnter Stelle wieder. Die Verzögerungen bei der Umsetzung beruhen selten auf bösem Willen der einzelnen Beteiligten. Sie finden ihren wesentlichen Grund vielmehr in der mangelnden Anpassungsfähigkeit der legislativen und administrativen Verfahren. Anders gesagt, die bürokratischen Barrieren in der Entscheidungskette sind trotz aller seit 1986 hierzu unternommenen Anstrengungen nicht aus dem Weg geräumt.[6] Die vom Premierminister an die gesamte Regierung adressierte zunehmende Zahl an Runderlassen zum Thema Richtlinienumsetzung ist dabei ein sicheres Zeichen dafür, dass diese auf Schwierigkeiten stößt.[7]

4

Besonders augenfällig war die Diskrepanz zwischen dem proeuropäischen Diskurs und einer anders lautenden Praxis lange Zeit hinsichtlich der EMRK. Wie wir sehen werden, hat Frankreich den 1950 unterzeichneten Text erst sehr spät ratifiziert und noch später Einzelbeschwerden vor dem Straßburger Gerichtshof zugelassen. Auch da entsprachen die Sonntagsreden französischer Politiker über die Menschenrechte nicht dem geltenden französischen Recht.

5

Im Folgenden sollen die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts in französisches Recht (I), die vom Europarecht aufgeworfenen Probleme (II) sowie das französische Verständnis und die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention untersucht werden (III). Abschließend wird auf die Diskussionen in der Lehre über die Auswirkungen der europäischen Integration auf die französische Verfassung eingegangen werden (IV).

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 15 Offene Staatlichkeit: Frankreich › I. Verfassungsrechtliche Grundlagen für die Umsetzung europäischen Rechts

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen für die Umsetzung europäischen Rechts

6

Bis 1992 gab es keine spezielle verfassungsrechtliche Grundlage, die eine Umsetzung europäischen Gemeinschaftsrechts in das französische Recht ermöglichte. Europäisches Recht wurde als Bestandteil des Völkerrechts betrachtet (1). Eine Wende sowohl für den Aufbau Europas selbst als auch in Bezug auf die Einschätzung des Gemeinschaftsrechts in Frankreich brachte erst die Errichtung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht. Aus ihm resultierte die verfassungsrechtliche Anerkennung des besonderen Charakters des Gemeinschaftsrechts (2).

1. Banalisierung des europäischen Rechts als Bestandteil des Völkerrechts

7

Die die V. Republik konstituierende französische Verfassung von 1958 unterschied ursprünglich nicht nach der Quelle der in das französische Recht umzusetzenden Regeln. Der Verfassungstext differenzierte nicht zwischen Gemeinschaftsrecht und allgemeinem Völkerrecht (a). Bezeichnenderweise fand die europäische Frage im Verlauf von etwa 30 Jahren Verfassungsdebatte praktisch keine Erwähnung (b).