Stress-Familie Robinson

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„Es ist noch reichlich für dich da, Mark, setz dich, und ich suche dir deine Portion heraus.“

Mikes wackerer Versuch, weiterzumachen, als wäre eigentlich alles in Ordnung, scheiterte beinahe sofort. Kathy hatte zu weinen aufgehört. Nun war sie weiß und steif vor Wut. Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf und ging um den Tisch herum, bis sie direkt hinter dem Stuhl stand, auf den sich Mark lässig hatte fallen lassen. Er hatte bereits angefangen, vernehmlich zu kauen. Kathys Stimme war wie zugeschnürt vor Zorn.

„Dein Vater mag ja der Ansicht sein, dass es kein Problem gibt, junger Mann, aber meiner Meinung nach gibt es eins.“ Sie hielt inne. „Hörst du mir zu?“

Mark aß weiter, als ob seine Mutter überhaupt nicht existierte.

„Ich rede mit dir - hörst du mir zu?“ Eine weitere Pause. „Wenn du nichts zu mir sagst, werde ich dich von diesem Stuhl zerren und dich dazu bringen, dass du Antwort gibst.“

„Ich höre deine Stimme, wenn du das meinst.“

Die unselige Vorahnung einer Ohrfeige über den Hinterkopf hatte den Jungen zu einer Reaktion gezwungen, aber seine Worte waren so ziemlich die unverschämtesten und provokativsten, die er wählen konnte.

„Nun, wenn du meine Stimme hörst, dann hörst du auch, was ich dir sage, oder? Meiner Meinung nach - nicht, dass du auch nur einen Pfifferling auf meine Meinung gibst, das weiß ich wohl - hat dein Verhalten einen ohnehin sehr schwierigen Tag fast unerträglich gemacht. Gehen wir ihn einfach einmal durch, ja? Du hast heute Morgen um acht Uhr mit dieser unfasslichen Behauptung angefangen, du wüsstest nicht, dass wir heute nach Amerika fliegen. Tut mir Leid, Mark, aber das bedeutet, dass du entweder unheilbar dämlich bist oder einfach nicht genug Interesse an deiner Familie hast, um irgendeine Information aufzunehmen, die sich nicht unmittelbar auf das Herumhängen mit deinen verwahrlosten Freunden bezieht. Du musst gewusst haben, dass wir heute fliegen - ich glaube, du hast beschlossen, es nicht zu wissen. Und dann, nachdem du all diesen Unfug von dir gegeben hast, verschwindest du - der Himmel weiß wohin - für Stunden und Stunden, überlässt uns alle Arbeit, um dann wieder hereingeschlendert zu kommen und die Haustür offen stehen zu lassen …“

„Ich habe die Haustür heute Morgen auch offen stehen lassen, Mami“, sagte Felicity mit ängstlicher Stimme, als wolle sie versuchen, die Situation zu retten.

„Mag sein“, knirschte Kathy, immer noch zu Marks Hinterkopf gewandt, „aber siehst du, Felicity, wenn dein lieber Bruder das tut, ist das nur ein weiteres Symptom für die Tatsache, dass ihm alles, was für irgendjemanden anderes nützlich sein könnte, nicht einmal erwägenswert erscheint - als vollkommen irrelevant für dich, ist es nicht so, Mark?“

Mike beugte sich vor. „Kath, meinst du nicht, du gehst ein bisschen zu …“

„Zu weit? Ist es das, was du sagen wolltest?“ Kathy war jetzt beinahe atemlos vor Zorn. „Ja, ich gehe zu weit. Ich gehe aus guten und hinreichenden Gründen zu weit. Ich gehe ganz vernünftig zu weit, vielen Dank, und wenn du es wissen willst, ich bin es leid, dass du jeden Versuch, den ich unternehme, um diesem - diesem Kind ein wenig Disziplin beizubringen, als eine Art neurotischen Ausbruch hinstellst.“

Sie beugte sich herab, stützte ihre Unterarme auf den Tisch und sprach direkt von der Seite in Marks Gesicht. Er zuckte mit dem Kopf leicht von ihr weg und aß weiter. „Ich finde es völlig unbegreiflich, dass du zurück in dieses Haus marschierst und dich auch noch darüber empörst, dass der Rest der Familie beschlossen hat, zu essen, statt darauf zu warten, dass du uns mit deiner Gegenwart beehrst, wann immer es dir beliebt, nach Hause zu kommen.“ Sie atmete ein- oder zweimal tief durch.

„Und jetzt werde ich dir sagen, was ich möchte. Ich möchte wissen, was du über all das denkst, was ich gerade gesagt habe - freilich nur, falls du nicht auch findest, dass ich unvernünftig bin. Findest du das?“

In meinen Ohren schienen sich die waschmaschinenartigen Geräusche, die Mark beim Essen machte, in dem nun folgenden Schweigen noch zu verstärken, bis sie die Küche, das Haus und die ganze Welt erfüllten. Als sie sah, dass er dabei war, den Bissen, den er gerade herunterzuschlucken im Begriff war, durch einen weiteren zu ersetzen, packte Kathy sein Handgelenk und wiederholte ihre Frage.

„Findest du, dass ich unvernünftig bin?“

Ich vermute, wenn man in diesem Stadium der Verhandlungen einen Ausschuss zu dem ausdrücklichen Zweck eingesetzt hätte, die schlimmstmögliche Antwort zu formulieren, die Mark seiner Mutter geben konnte, so wäre diesem Ausschuss vielleicht nach wochen- oder gar monatelangen Überlegungen etwas noch weniger Diplomatisches eingefallen als das, was er tatsächlich sagte.

„Warum kann ich nicht hier bleiben und mich selbst versorgen, während ihr alle nach Amerika fliegt?“

Das war es, was er tatsächlich sagte, und es war der Strohhalm, der wirklich und wahrhaftig dem Kamel den Rücken brach. Kathy riss die beladene Gabel aus Marks Hand und schleuderte sie quer über den Tisch, wo sie vor ihrem ältesten Sohn landete, der gerade mit seiner eigenen Portion fertig geworden war. Jack streckte geistesabwesend seine Hand aus und zog sie dann wieder zurück, weil ihm vermutlich plötzlich einfiel, dass solch unverhohlener Opportunismus unpassend war, um es milde auszudrücken.

„Du dummes kleines …!“ Kathy fehlten jetzt beinahe die Worte. Sie zog Mark auf die Beine, hielt ihn fest und schüttelte ihn an beiden Handgelenken und schrie ihm aus nächster Nähe ins Gesicht: „Wie kannst du nur so einen dämlichen Unsinn reden? Du blöder, dummer …! Weißt du eigentlich, was dieser Urlaub uns kostet? Weißt du, wie lange es gedauert hat, ihn zu planen? Was zur Hölle denkst du dir dabei, zu fragen, ob du zu Hause bleiben kannst? Ich fasse einfach nicht, dass du uns das antun könntest - bei all dem Geld, das wir in letzter Zeit für dich ausgegeben haben - das ist dir völlig egal, nicht wahr? Als du gestern jemanden brauchtest, der dich in die Stadt fährt, damit du dir deine kostbaren Trainingsschuhe kaufen konntest, kam der ganze Haushalt zum Stillstand, nur damit du deinen Willen bekamst. Aber das bedeutet dir gar nichts, was? Im Grunde ist dir einfach alles egal. Dir ist alles völlig egal!“

Ihr kamen wieder die Tränen vor Zorn. Kathy schrie von einem Platz in ihrem Herzen aus, der nichts mit dem gegenwärtigen Konflikt zu tun hatte. Irgendeine Wunde aus der Vergangenheit war aufgebrochen, und sie schmerzte sie. Das Schlimme war, dass es auch Mark schmerzte, auf eine Weise, die ihn verwirrte und ihm Angst einjagte. Mit versteinertem Gesicht gegen den Strom der Emotionen ankämpfend, wand er sich aus dem Griff seiner Mutter und spie ihr mit seltsam verzerrter, pseudoerwachsener Stimme seine Antwort entgegen.

„Warum redest du dann so schlecht über meine Freunde? Und warum redest du immer davon, was ihr alles für mich getan habt und wie viel Geld ihr für mich ausgegeben habt, wenn du meinst, dass ich etwas falsch gemacht habe? Du bist diejenige, der alles egal ist!“

Er drehte sich abrupt um und stampfte durch den Flur davon. Wir hörten seine Schritte über unseren Köpfen die Treppe hinaufdonnern, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. Eine Tür wurde gewaltsam zugeschlagen, und dann war Stille.

Felicity sagte: „Warum ist bloß alles so schrecklich an unserem ersten Ferientag?“, und brach in Tränen aus. Jack hob sie vorsichtig auf seinen Schoß und nahm sie in die Arme.

Kathy schien nichts wahrzunehmen außer ihrer eigenen Reaktion auf Marks letzten Dolchstoß. „Ich bin diejenige, der alles egal ist - ich bin diejenige, der alles egal ist - ich bin diejenige …“ Wut durchströmte sie in Wellen, als ob sie sie ein- und ausatmete. „Dieser kleinen Ratte werde ich beibringen, die Türen zuzuschlagen!“

Als sie sich beinahe im Sprint in Richtung Treppe in Bewegung setzte, stand Mike auf und rief ihr nervös hinterher: „Kath, meinst du nicht, du solltest warten, bis …?“ Er verstummte. Kathy war nicht in der Verfassung, Vorschläge von irgendjemandem anzunehmen, schon gar keine schwächlich vorgebrachten Ratschläge ihres Mannes.

Wir warteten und lauschten. Kathys Schritte dröhnten ebenso schwer auf der Treppe über uns wie zuvor Marks, doch dann trat unerklärlicherweise völlige Stille ein - kein Krachen von Möbeln, keine Rufe, keine Schreie, keine Explosionen irgendwelcher Art. Um auch nicht das leiseste Geräusch zu überhören, spitzten wir unsere Ohren und saßen, wie uns schien, sehr lange Zeit schweigend da, obwohl es in Wirklichkeit wohl nur ein paar Minuten waren.

„Sie hat ihn umgebracht“, sagte Jack.

Ich fand diese Bemerkung unter den gegenwärtigen Umständen keineswegs amüsant; doch Felicity reagierte, obwohl immer noch Tränen in ihren Augen standen, offensichtlich maßlos erleichtert auf diese aus ihrer Sicht völlig absurde Bemerkung. Sie kicherte, als hätte man sie gekitzelt. Mike ließ die Luft heraus, die er bis dahin angehalten hatte, und ließ sein Kinn auf die Brust sacken wie ein Gewicht, das plötzlich losgelassen worden war. „Ich glaube“, sagte er, den Blick auf seine verschränkten Finger auf dem Tisch gerichtet, „es wird wahrscheinlich alles wieder in Ordnung kommen - zumindest für eine Weile.“ Er stand auf. „Ich werde mal das Essen wieder aufwärmen, bis Kath und Mark wieder herunterkommen. Ich schätze, wir fühlen uns alle im Moment ein wenig - verbeult, aber später wird schon alles in Ordnung kommen.“

„Wann müsst ihr in Heathrow sein, Mike?“, fragte ich.

Er schloss die Ofenklappe und sah sich über die Schulter nach der Uhr um. „Wir müssen bis sechs Uhr einchecken; also müsste es reichen, wenn wir uns spätestens um halb fünf auf den Weg machen. Damit haben wir noch reichlich Zeit, falls du es wirklich ernst gemeint hast, dass du hinter uns aufräumen willst, Dip.“

 

„Oh, ich habe ernst gemeint, was ich gesagt habe, Mike. Und du? Hast du auch ernst gemeint, was du gesagt hast?“

„Habe ich …? Ach so, tja, unter gleichbleibenden Voraussetzungen - worauf man sich in dieser Familie keineswegs verlassen kann, wie du schon vor diesem kleinen häuslichen Zwischenfall durchaus erkannt haben dürftest - wirst du kurz vor unserer Abreise noch etwas mehr darüber hören. Und ich glaube, du wirst überrascht sein, wie sehr …“

Mike brach ab, als Kathy in der Tür erschien. Tränen, Zorn und Spannung waren wie fortgeblasen. Sie sah sogar recht fröhlich aus, wenn auch etwas verlegen.

„Hallo, alle miteinander“, sagte sie. „Ich bin gekommen, um voller Reue vor euch im Staub zu kriechen. Felicity, Liebling, komm zu Mami kuscheln. Ich wollte nicht so böse zu dir sein.“

Die prompte, eifrige Eile, mit der das kleine Mädchen sich von Jacks Schoß herunterstrampelte, war eine wunderbare Demonstration jener bedingungslosen, freudigen Vergebung, mit der manche Kinder die Welt erfrischen. Sie rannte quer durch die Küche, warf sich in die Arme ihrer Mutter, ließ sich von ihr ausgiebig eng umschlungen herumschwingen und stellte dann (wie ich schon halb vermutet hatte) die Frage, deren Wiederholung bewies, dass Felicity wirklich an die Entschuldigung ihrer Mutter glaubte.

„Mami, warum beten wir denn nun nicht, wenn wir unter uns sind, wie bei Emily zu Hause?“

Wir mussten alle lachen, einschließlich Kathy, die sagte: „Ich fürchte, die Antwort ist genau dieselbe, auch wenn ich nicht böse bin, mein Schatz. Du steckst nun einmal bei deiner dummen alten Mami fest …“

„Und deinem dummen alten Daddy“, schaltete sich Mike ein.

„Während Emily, dieser Glückspilz, nun einmal eine Mami und einen Daddy hat, die nett und gelassen und gut organisiert sind und alles richtig und zur richtigen Zeit machen, selbst wenn niemand zuschaut! Und ich sage, das ist prima für sie. Ich wünschte, ich wäre genauso, aber ich bin es nicht.“

Felicity kniff mit Daumen und Zeigefinger jeder Hand in Kathys Wangen, zog dann ihren Kopf zurück und prustete vor Lachen über das verzerrte Gesicht ihrer Mutter. „Ich möchte aber bei dir und Daddy feststecken“, sagte sie mit aufgesetzter Babystimme. „Ich will gar nicht bei Emilys Mami feststecken.“

„Ich auch nicht!“, sagte Mike mit überraschender Leidenschaft, und alle außer Felicity lachten wieder.

„Hast du Mark umgebracht?“, fragte Jack gemütlich.

„Nein, ich habe ihn nicht umgebracht, Jack - diesmal noch nicht. Bitte verzeih, dass ich dich eben so angeschnauzt habe. Es lag nicht an dir, obwohl diese Milchflaschen mich schon ziemlich ärgern. Ich hätte mich nicht so ereifern dürfen. Es tut mir wirklich Leid.“ Sie ließ Felicity zu Boden und wandte sich wieder an Jack. „Würde es dir etwas ausmachen, die Koffer hinaus zum Wagen zu bringen, Jack? Und wir haben auch noch eine Menge kleiner Taschen, bei denen Felicity dir helfen kann. Das machst du doch gerne für Mami, was, Felicity?“

Felicity sah ihre Mutter mit den zusammengekniffenen Augen eines Dechiffrierexperten an. „Ich will hier bleiben und auch hören, was mit Mark passiert ist“, sagte sie.

„Komm schon, Flitty.“ Jack entrollte sich von seinem Stuhl und streckte eine Hand aus. „Du weißt doch genau, dass sie nicht darüber reden werden, solange du dabei bist; also können wir genauso gut gehen und das Gepäck verstauen. Ich sag dir was - du kriegst für jede Tasche, die du hinausbringst, eine Schokoladenkugel. Wie findest du das?“

„Du hast ja gar keine Schokoladenkugeln“, sagte Felicity und sah mit hoffnungsvollen Augen zu ihrem Bruder auf.

„Ach, habe ich nicht? Woher weißt du denn, dass ich nicht noch eine Packung in meinem Zimmer versteckt habe, kleine Schwester?“

„Weil ich die schon längst gefunden hätte, wenn da eine wäre.“

„So, hättest du, ja? Warte - jetzt krieg ich dich!“

Mit gespielter Strenge im Gesicht hievte Jack seine kichernde Schwester auf seine Schulter, marschierte mit ihr davon und verschloss die Tür zwischen der Küche und dem Rest des Hauses mit dem Fuß. Quietschende Angstschreie und ekstatisches Gelächter drangen vom Flur her zurück, während die beiden sich in Richtung Wohnzimmer entfernten.

„Kommt Mark herunter, um seinen Fisch aufzuessen?“, fragte Mike leise.

Kathy nickte, während sie sich einen Stuhl an den Tisch zog. „Ja, er wird gleich hier sein. Ich werde nichts mehr essen, nicht nachdem ich alle diese Worte heruntergeschluckt habe. Ich wollte euch nur erzählen, was da oben passiert ist.“

Ich war plötzlich verlegen. „Möchtet ihr, dass ich gehe und Jack ein bisschen helfe? Macht mir gar nichts aus …“ Mir wurde heiß und schwer, als ich mich zum Gehen anschickte, aber Kathy beugte sich herüber und legte mir die Hand auf die Schulter, um mich zurückzuhalten.

„Das ist ja wohl ein Witz, oder, Dip? Wenn es mich nicht stört, dass du meine schlimmste schmutzige Wäsche zu Gesicht bekommst, dann wird es mich bestimmt auch nicht stören, wenn du eine der seltenen Gelegenheiten beobachtest, wenn ein Stück Unterwäsche tatsächlich einmal gewaschen wird, oder? Ich bestehe sogar darauf. Übrigens, da fällt mir ein: Wir wollten dir vorschlagen, über etwas nachzudenken, während wir in …“

„Ich habe Dip schon davon erzählt“, unterbrach Mike. „Wir werden noch etwas darüber sagen, kurz bevor wir aufbrechen. Erzähl uns, was mit Mark los war.“

„Ja, richtig … du hast es erwähnt, richtig.“ Einen Augenblick lang suchte Kathy in meinem Gesicht nach einer Reaktion, aber sie fand keine. Die Robinsons mögen ja sehr gut darin sein, saubere Geschirrtücher zu horten, aber ich bin sehr gut darin, mein Gesicht zu verschließen.

Kathy runzelte eine Sekunde lang nachdenklich die Stirn, dann sprach sie.

„Das mit Mark - okay, also, ich bin die Treppe hinaufgestürmt mit der bewussten Absicht, ihm irgendeinen schweren körperlichen Schaden zuzufügen. Das habt ihr vermutlich erraten, was?“

„Wir hatten so eine Ahnung“, erwiderte Mike ernst.

„Ich bin hinaufgedüst wie ein Schnellzug, und ich habe dabei überhaupt nicht nachgedacht. Ich spürte nur noch, wie in mir die Gefühle aufeinander krachten.“ Sie wedelte mit der Hand in Richtung ihres Mannes. „Mike hat das alles natürlich schon oft erlebt - er hat es schon mehr als einmal selbst abgekriegt, fürchte ich. Mich packt einfach manchmal diese wilde, stürmische Angst.“

„Angst vor was, Kathy?“

„Ich weiß es nicht genau. Vor der Nacht, vor dem Ende, davor, dass alles auseinander bricht, davor, nicht geliebt zu werden, vor irgendeiner endgültigen Katastrophe - ich weiß es eigentlich nicht. Es ist mir nie gelungen, es festzunageln. Diese Angst hat bei mir schon immer unter der Oberfläche geschwelt und wartet nur darauf, dass durch so etwas wie die Geschichte mit Mark die Kellertür aufgestoßen und sie herausgelassen wird. Versteht mich nicht falsch - Mark hat sich wirklich danebenbenommen, und ihm muss mal der Kopf zurechtgesetzt werden. Er kann ein richtiger kleiner Teufel sein. Das Problem ist nur, dass diese fürchterlichen Gefühle, wenn sie erst einmal eine Weile in mir umgegangen sind, überhaupt nichts mehr mit der Sache oder der Person zu tun haben, durch die sie ausgelöst wurden. Aber dann ist es schon zu spät - der Schnellzug rast mit Höchstgeschwindigkeit dahin, und meistens kommt jemand dabei zu Schaden. Weißt du, Dip, das Problem ist, dass ich keine Bremsen an meinem Zug habe.“

„Aber diesmal hat dich etwas aufgehalten.“

Kathy legte die Handflächen zusammen wie ein betendes Kind und stützte ihr Gesicht auf die Fingerspitzen, während sie nachdachte. Dann blickte sie auf. „Ja, so war es. Es war etwas, das ich heute Morgen in dem trostlosen Schützenloch gelesen habe, das wir lächerlicherweise unsere Stille Zeit nennen. Es war die Stelle, wo es heißt, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Mike und ich kamen zu dem Schluss, dass wir jeder eine Person haben, die wir als, Feind‘ bezeichnen würden, stimmt's, Mike?“

Mike runzelte schuldbewusst die Stirn. „Ja, wir wollten gerade für sie beten, aber leider haben wir uns ein bisschen ablenken lassen, indem wir uns alle möglichen Folgen ausdachten, mit denen wir sie gerne quälen würden …“

„Ich tat das, meinst du. Nonstop-Dudelsackmusik in einem engen Raum bei gleichzeitigem Monopolyspiel mit unseren drei Kindern - solche Sachen.“ Kathy grinste genüsslich bei der Erinnerung. „Jedenfalls, als ich gerade eben oben ankam und die Tür einrennen wollte wie ein amerikanischer Detektiv, um Mark den Kopf abzureißen, fielen mir diese drei Worte ein - Liebet eure Feinde. Und plötzlich wurde mir klar, dass - oh, Mike, es war furchtbar - mir wurde klar, dass ich in diesem Moment meinen eigenen Sohn als meinen Feind betrachtete. Ich wollte ihn immer noch umbringen, versteht ihr, aber ich wurde davon abgehalten durch …“ Sie strich sich das Haar aus der Stirn. „Ich wurde davon abgehalten durch das Wissen, dass ich entweder gehorsam sein und ihn lieben konnte, was immer das mit sich bringen würde, oder ungehorsam sein und meinen eigenen Gefühlen nachgeben konnte. Als ich da oben vor seiner Tür stand, immer noch kochend vor Wut, erschien mir die Sache auf einmal so einfach.“

„Der Herr hat zu dir gesprochen“, sagte Mike mit leuchtenden Augen. „Das hast du dir doch immer gewünscht, Kath. Das passiert immer nur anderen Leuten, niemals dir - das hast du oft gesagt.“

Ein gereizter Schatten flog über Kathys Gesicht. „Ich wünschte, du würdest der Versuchung widerstehen, das ganze Leben als ein Klassenzimmer voller Kinder zu betrachten, Mike. Wenn du willst, kannst du gern herumlaufen und all deine Erlebnisse mit hilfreichen kleinen Etiketten bekleben, aber ich würde meine gerne so belassen, wie sie sind, vielen Dank. Vielleicht hat Gott zu mir gesprochen. Ich weiß es nicht. Was ich genau weiß, ist, dass ich bestimmte Dinge gedacht und gefühlt habe und dass ich infolgedessen anders gehandelt habe - das ist alles.“

„Tut mir Leid, Kath“, sagte Mike. Sein Tonfall war bußfertig, aber seine Augen leuchteten immer noch.

„Was hast du schließlich gemacht, Kathy?“

„Am Ende, Dip, habe ich die Türklinke ganz, ganz langsam heruntergedrückt, mit dieser intensiven Muskelbeherrschung, die man anwendet, wenn man wütend ist, aber es nicht zeigen will, und bin hineingegangen. Mark war doch tatsächlich angezogen ins Bett gegangen - er weiß, wie ich es hasse, wenn er das tagsüber macht -, und er saß dort und las einen Comic. Offensichtlich wartete er auf die Explosion, wie ihr hier unten sicherlich auch. Ich setzte mich auf sein Bett, ohne etwas zu sagen, und er sah mich ein wenig verwirrt an, bis er schließlich so tat, als wolle er seinen Comic weiterlesen. Dann streckte ich die Arme aus und sagte:, Ich liebe dich, Mark - was immer in den nächsten fünf Minuten passiert, ich werde dich immer lieben - was immer passiert.‘ Er ließ den Comic sinken und sah mich eine Sekunde lang an, dann streckte er auch die Arme aus, und wir drückten uns. Er sagte etwas in der Art wie, Tut mir Leid, dass ich mich ein bisschen danebenbenommen habe, Mum‘, und ich sagte:, Mir tut es auch Leid, dass ich mich ein bisschen danebenbenommen habe‘, und das war es eigentlich. Er wird gleich herunterkommen und weiteressen, also …“ Sie brach ab und lachte dann kurz auf.

„Woran hast du gerade gedacht, Kath?“, fragte Mike.

„Nur - wie erbärmlich ich doch bin“, erwiderte Kathy. „Nur ein bisschen Zuneigung - mehr brauche ich nicht, um die Kälte zu verscheuchen. Eine Runde Kuscheln, und schon kommt die Sonne wieder heraus. Ich bin so ein Kindskopf. All meine Sorgen scheinen sich in einer großen Frage zu erschöpfen: Liebst du mich noch? Aber ich sage euch was“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, „nur gut, dass er darauf reagiert hat, denn wenn nicht - dann hätte ich ihn zum Fenster hinausgeschmissen.“

Danach herrschte für einige Zeit Frieden. Mark erschien wie angekündigt, offenbar unberührt von dem kürzlichen Trauma, aß seinen Anteil und den seiner Mutter von dem noch vorhandenen Mittagessen und erzählte mir mit unverkennbar echter Vorfreude von dem Familienabenteuer, das nun beginnen würde. Als ich ihn fragte, ob er wirklich nicht gewusst habe, dass sie heute in Urlaub fahren wollten, behauptete er steif und fest, er hätte gedacht, es wäre erst nächsten Samstag. Sodann erklärte er mir ausführlich, er hätte sich nur geärgert, weil er und seine Freunde vorgehabt hatten, am Montag zum Angeln zu gehen; er hätte sich „ziemlich darauf gefreut“, weil sie Sandwiches, Getränke und (für mich unerklärlicherweise) einen Fußball hatten mitnehmen wollen. Abends hatten sie dann vorgehabt, zu Mark nach Hause zu gehen und die tagsüber gefangenen Fische zu braten, und das konnte nur bei Mark stattfinden, weil die Mütter der anderen keine Unordnung in ihrer Küche ausstehen konnten. Ich merkte mir dieses letzte, etwas zweifelhafte Kompliment, um es zu einem geeigneten Zeitpunkt in der Zukunft an Kathy weiterzugeben.

 

Um Viertel nach vier waren die Robinsons abmarschbereit. Felicity hüpfte voller Begeisterung und Schokoladenkugeln den Flur auf und ab und sang immer wieder: „Wir fliegen nach Amerika!“, bis sie zusammen mit ihren beiden Brüdern von ihrem Vater zu einer Familienkonferenz in letzter Minute rund um den Küchentisch gerufen wurde. Mike setzte sich an das Ende, das dem Fenster am nächsten war, und sah ein wenig nervös aus, während er darauf wartete, dass sich der Aufruhr legte. Ich war auch nervös. Ich bereute plötzlich meinen vorherigen Schritt in die Selbstoffenbarung und wünschte mir, alles könnte für immer genauso bleiben, wie es immer gewesen war.

„Ist es nicht komisch“, sagte Kathy, als das allgemeine Geplapper sich gelegt hatte, „wie man sich fühlt, unmittelbar bevor man zu einer solchen Reise aufbricht? Man hat sich schon seit Ewigkeiten darauf gefreut, man war deswegen ganz aufgeregt, man will es wirklich, und doch - ich kann es nicht genau beschreiben -, gerade in diesem Moment würde ich mich am liebsten hier inmitten dieser schönen, vertrauten, beruhigenden Umgebung niederlassen und einfach zu Hause sein. Klingt das sehr albern?“

„Ja“, sagte Felicity schlicht, „das klingt total albern, Mami.“ Ob solcher Torheit gab sie ein kurzes, perlendes Lachen von sich. „Natürlich wollen wir nicht hier bleiben. Wir wollen nach Amerika.“ Sie wandte sich an ihren Vater. „Liegt Amerika in England, Daddy?“

„Nein, mein Schatz“, erwiderte Mike, leicht schockiert über diese unermessliche Lücke im geografischen Verständnis seiner Tochter, „du weißt doch, dass es nicht in England liegt. Ich habe dir doch erklärt, dass wir in einem großen Flugzeug über ein riesiges Meer hinwegfliegen müssen, das Atlantischer Ozean heißt, weil eben Amerika ein ganz anderes Land ist. Ich habe es dir auf der Landkarte gezeigt, weißt du noch?“

„Das ist da, wo die Cowboys und Indianer herkommen, Flitty“, fügte Jack hinzu. „Wie im Fernsehen.“

„Ich dachte, es wäre da, wo Disneyland ist.“ Eine Spur von Besorgnis klang in Felicitys Stimme mit, während sie versuchte, sich in ihrem sechsjährigen Informationsvorrat zurechtzufinden. „Da gehen wir doch hin, nicht wahr, Mami?“

„Natürlich gehen wir dahin“, sagte Kathy beruhigend, „das wird ein Riesenspaß.“

„Aber es gibt keine Cowboys und Indianer mehr, Flit“, erklärte Mark. „In Amerika laufen jetzt alle so angezogen herum wie wir, und sie tragen auch keine Waffen mehr.“

„Das ist ja wohl ein Witz!“ Jack balancierte auf den zwei Hinterbeinen seines Stuhls und prustete laut los.

Marks Gesicht verhärtete sich vor Wut. „Warum ist das, was ich sage, ein Witz? Warum war das, was du gesagt hast, kein Witz?“

„Es gibt vielleicht keine Cowboys und Indianer mehr, aber zu sagen, dass die Amerikaner keine Waffen mehr haben, ist schlichtweg lächerlich. Es gibt mehr Waffen pro Kopf in den Vereinigten Staaten von Amerika als in jedem anderen …“

„Ich habe nie behauptet, dass sie keine Waffen mehr haben. Ich habe nur gesagt, sie tragen sie nicht mehr wie früher. Du hörst nie zu, was ein anderer sagt, das ist dein Problem. Du bist viel zu sehr damit beschäftigt, so zu tun, als wärst du erwachsen, und dir Musik anzuhören, die kein anderer Mensch begreift, weil sie so schlecht ist, dass sich kein anderer damit abgeben mag.“

„Ach, verzieh dich!“ Jack wandte sein Gesicht von Mark ab. „Ich hoffe, der benimmt sich nicht die nächsten drei Wochen lang so. Ich weiß nicht, ob ich das aushalte.“

Jacks gelangweilt abweisendes Gehabe brachte etwas in Mark zum Explodieren. „Halt endlich dein Maul, Jack! Du machst mich krank! Du machst mich …“

„Mami, es gibt aber doch noch Cowboys und Indianer in Amerika.“ Irgendetwas war an die Oberfläche von Felicitys Erinnerung gedrungen. „Ich habe sie in einer Fernsehsendung über Disneyland gesehen. Sie haben welche in Disneyland. Jack und Mark haben gesagt, es gibt keine mehr, aber es gibt doch welche, nicht wahr?“

Mark hatte seine Arme verschränkt, wie um die Wut festzuhalten, die in ihm tobte. Er sprach in gepressten, abgehackten Worten. „Dad, kann ich im Flugzeug woanders als neben Jack sitzen, bitte?“

„Ist mir nur recht“, sagte Jack gedehnt. „Ich habe keine Lust, stundenlang neben einem albernen kleinen Jungen zu sitzen.“

Kathy hielt sich beide Ohren zu. „Wenn ihr beide nicht …“

„Mami, sag Mark und Jack, dass es immer noch Cowboys und Indianer in Amerika gibt. Sie haben beide gesagt …“, Felicity gab nicht auf.

„Stopp.“ Mike erhob nicht im Geringsten seine Stimme, aber da war etwas an der festen Entschlossenheit hinter diesem einen Wort, das ihm allgemeine Aufmerksamkeit verschaffte. „Ich fürchte, wir benehmen uns alle ziemlich rücksichtslos. Dieses letzte kurze Zusammensein war eigentlich für Dip gedacht. Es sollte keine Gelegenheit für Jack und Mark sein, um herauszufinden, wie widerlich sie zueinander sein können. Ich möchte, dass ihr beide euch bei Dip entschuldigt, bitte.“

Es gibt wenige Dinge, die peinlicher sind, als Entschuldigungen von Leuten entgegenzunehmen, denen befohlen wurde, sich zu entschuldigen; aber ich musste trotzdem lächeln, als die beiden Jungs ihr bedauerndes Murmeln von sich gaben.

Es war so schwierig für Jack, der zwischen Kindheit und Erwachsensein steckte, Stabilität zu finden, um sowohl mit den Älteren als auch mit den Jüngeren zurechtzukommen. Felicity war noch zu klein, um ein Problem darzustellen - durch sie, spürte ich, fühlte er sich sogar noch erwachsener; aber Mark musste wohl zu sehr das jugendliche Abbild seiner selbst repräsentieren, mit dem Jack nichts mehr zu tun haben wollte. Hohn und Abfälligkeit schienen für ihn die einzigen Waffen zu sein, um seinen kleinen Bruder daran zu hindern, ihn zurück in eine Welt zu ziehen, die er unbedingt hinter sich lassen wollte.

Vielleicht war es für Mark sogar noch schwieriger zu begreifen, warum der große Bruder, der ihm während der letzten Jahre vermutlich näher war als irgendjemand anderes, sich jetzt in seinem Verhalten und seinem Lebensstil so verräterisch fern von ihm hielt. Ich konnte wirklich mit beiden mitfühlen.

„Habe ich auch etwas falsch gemacht, Daddy?“, fragte Felicity interessiert.

„Eigentlich nicht“, sagte Mike, der wider Willen lächeln musste, „aber du darfst dich auch bei Dip entschuldigen, wenn du möchtest. Das zählt dann für das nächste Mal, wenn du etwas Ungezogenes tust.“

Dieser Gedanke gefiel Felicity ungemein. Sie kniete sich auf ihren Stuhl, schlang ihre Arme um meinen Hals und legte ihren Kopf auf meine Schulter. „Oh Dip“, rief sie theatralisch, „bitte verzeih mir meine nächste Ungezogenheit. Ich kann dir gar nicht sagen, wie Leid es mir tun wird!“

Ich klopfte Felicity auf den Rücken. „Vielen Dank, Felicity, ich freue mich schon darauf. Übrigens - ich glaube, Mike ist das einzige Mitglied dieser Familie, das sich heute noch nicht bei mir entschuldigt hat. Allmählich wünsche ich mir, ich hätte selbst etwas Schlechtes getan, damit ich mich bei einem von euch entschuldigen könnte.“

Mike klatschte dreimal kräftig in die Hände. „Schön! Und nun Schluss mit dem Durcheinander. Keine Streitereien mehr. Zeigen wir Dip, was wir gemacht haben. Könntest du bitte das gewisse Etwas herausholen, das wir gestern gemacht haben, Mark?“

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