Handbuch Arzthaftungsrecht

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3. Person des Aufklärenden und Aufklärungsadressat868 – 873

a) Person des Aufklärenden868, 869

b) Aufklärungsadressat870 – 873

4. Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs874 – 879

5. Aufklärung im „Großen und Ganzen“880 – 894

a) Diagnose / Indikation / Dringlichkeit882

b) Behandlung und Alternativen883 – 885

c) Risiken und Erfolgschancen886 – 894

6. Widerruf der Einwilligung895

7. Entbehrlichkeit der Aufklärung896 – 900

IV. Mutmaßliche, hypothetische Einwilligung, Entscheidungskonflikt901 – 926

1. Grundlagen901, 902

2. Mutmaßliche Einwilligung903 – 913

a) Grundlagen905

b) Unbeachtlichkeit objektiv fehlender Aufklärungsmöglichkeit906

c) Notfall („unaufschiebbare Maßnahme“)907

d) Verzicht908

e) Besondere Umstände909 – 912

f) Einzelfälle913

3. Hypothetische Einwilligung, § 630h Abs. 2 S. 2 BGB914 – 923

a) Grundlagen915

b) Praktischer Prozessverlauf916 – 921

aa) Einwand des Behandlers917, 918

bb) Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts des Patienten919

cc) Persönliche Anhörung des Patienten920, 921

c) Einzelfälle922, 923

4. Hypothetischer Kausalverlauf924 – 926

V. Beweislasten927 – 1004

1. Begriffliches927, 928

2. Selbstbestimmungs- und Risikoaufklärung929 – 983

a) Allgemeines929 – 934

b) Waffengleichheit – Beweiserleichterungen für die Arztseite935 – 944

c) Entscheidungskonflikt945 – 955

d) Kausalität956 – 973

aa) Beweislast beim Patient956 – 964

bb) Beweislast beim Behandler965 – 973

e) Fazit974 – 980

f) Übersicht zur Beweislast bei Risikoaufklärung981 – 983

3. Therapeutische Aufklärung, Sicherungsaufklärung984 – 1003

a) Allgemeines984 – 986

b) Umkehr der Beweislast bei der Sicherungsaufklärung987 – 1003

aa) Schwerpunktbetrachtung987 – 993

bb) Übersicht994, 995

cc) Neuere Rechtsprechung996 – 1002

dd) Schwere des Fehlers1003

4. Wirtschaftliche Aufklärung1004

VI. Sonderprobleme1005 – 1013

1. Mutmaßliche Einwilligung Verstorbener in sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhängen1005

2. Aufklärung ausländischer Patienten1006

 

3. Aufklärung Minderjähriger und einwilligungsunfähiger Personen1007 – 1010

4. Aufklärung bei Neuland- und Außenseitermethoden1011

5. Aufklärung bei Medikamententherapie / Off-Label-Use1012

6. Kein Einwand mutmaßlicher oder hypothetischer Einwilligung bei Verstoß gegen Wahlleistungsvereinbarungen1013

C. Besonderheiten im Rettungsdienst1014 – 1052

I. Einleitung1014 – 1016

II. Statistiken1017 – 1019

III. Die Beteiligten im Rettungsdienst1020 – 1036

IV. Rettungsdienst – Wie funktioniert das?1037 – 1047

V. Haftung im Rettungsdienst1048 – 1052

A. Behandlungsfehler
I. Ärztlicher Standard

1. Einleitung

1

Die Ärzteschaft hat gemäß ihrem Anspruch aus der Präambel der Musterberufsordnung u.a. die Qualität der ärztlichen Tätigkeit im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen[1]. Nach § 2 Abs. 3 MBO-Ä erfordert eine gewissenhafte Ausübung des Berufs insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Ansatzpunkt für eine Haftung des Arztes ist, neben der nach ausreichender Aufklärung erteilten Einwilligung des Patienten in eine Behandlungsmaßnahme des Arztes, der Behandlungsfehler.

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In der arzthaftungsrechtlichen Praxis spielt der Behandlungsfehler für den Ausgang eines Verfahrens eine zentrale Rolle. Die Feststellung eines Behandlungsfehlers, sei es auf Grund eines deliktischen Anspruches, sei es auf Grundlage einer vertraglichen Haftung führt zur Feststellung eines Haftungsgrundes und hat damit in der Regel einen Anspruch auf Schmerzensgeld und weitere materielle Schadensersatzansprüche für den Patienten zur Folge.

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Behandlungsfehler können dem Arzt in vielfältigster Weise unterlaufen, so können sie allein in zeitlicher Hinsicht schon im Rahmen einer ärztlichen Beratung bei Erstkonsultation des Patienten vorliegen oder aber auch im Rahmen einer vom Arzt ggf. zu beachtenden Nachsorgepflicht für seinen Patienten im Anschluss an die eigentliche Behandlung. Auch können Behandlungsfehler in der Form der Untätigkeit entstehen, wenn seitens des Arztes trotz erkennbarer Erkrankung keine Maßnahmen ergriffen werden. Im Gegensatz hierzu steht am anderen Ende der Palette der Fall, dass eine ärztliche Maßnahme seitens des Arztes vorgeschlagen wird, hierfür aber keinerlei Indikation vorliegt, die Maßnahme sogar kontraindiziert ist.

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Daneben können im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit klassische Fehleinschätzungen bei der Erhebung einer Diagnose oder auch falsche Therapieansätze vorliegen, letztere werden in der medizinrechtlichen Umgangssprache oft als sog. Kunstfehler bezeichnet. Der Begriff des „Kunstfehlers“ ist jedoch bei genauer Betrachtung als unzutreffend zu bezeichnen, handelt es sich doch bei medizinischem Handeln oder Unterlassen nicht um eine „Kunst“ im eigentlichen Sinne. Eine „Kunst“ ist eine Tätigkeit, die nicht von objektivierbaren Regeln abhängig ist, sondern vielmehr von der Fantasie und dem Einfallsreichtum eines Künstlers. Demgegenüber ist jedoch die ärztliche Tätigkeit von einer Vielzahl von Regeln abhängig, sie ist bestimmten Regelungen und Methoden unterworfen und damit nicht von einer künstlerischen Freiheit getragen.[2]

2. Der Sorgfaltsmaßstab als Grundlage der Behandlung

5

Das Arzthaftungsrecht ist angelehnt an die haftpflichtrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. § 630a Abs. 2 BGB bestimmt, dass die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen hat.

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Das Zivilrecht kennt neben dem Prinzip der Gefährdungshaftung, welches insbesondere in der Kraftfahrzeughaftpflicht von Bedeutung ist, das Prinzip der Verschuldenshaftung. Während die Gefährdungshaftung lediglich für die Aufnahme eines bestimmten Risikos Rechtsfolgen anknüpft, ist bei der Verschuldenshaftung, gleich ob es um deliktische Haftung oder Haftung aus Vertrag geht, immer eine persönliche Verantwortlichkeit für ein verschuldetes Fehlverhalten Voraussetzung.

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Ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 630a Abs. 2 BGB soll dem Patienten Schadensausgleich für Folgen zuerkennen, die daraus entstehen, dass die vom ihm in Anspruch genommene medizinische Behandlung mit Qualitätsmängeln behaftet war. Dieses entspricht dem Ziel einer jeden Berufshaftung, so ist auch für das Arzthaftungsrecht die Berufshaftpflicht, also das Einstehenmüssen eines Freiberuflers oder einer Person in vergleichbarer Position für den Standard seines Berufskreises Ausgangspunkt der zivilrechtlichen Haftung.[3] Für die ärztliche Berufshaftung gilt jedoch die Besonderheit, dass sich der Arzt der Tatsache konfrontiert sieht, auch bei optimaler Behandlung das Behandlungsziel, nämlich die Heilung des Patienten oftmals nicht erreichen zu können. Das Krankheitsrisiko und die nicht gegebene Vorhersehbarkeit eines Behandlungserfolges auf Grund der individuellen Unterschiedlichkeit jedes Einzelnen menschlichen Individuums machen es nicht möglich, auch bei optimaler Behandlung die medizinischen und biologischen Grenzen zu verschieben. Aus diesem Grund kann die Arzthaftung nicht das Risiko eines Patienten zu erkranken oder nicht wieder gesund zu werden übernehmen, hierfür trägt auch weiterhin der Patient das volle Risiko.

8

Es gehört daher zu der Eigenart der Arzthaftung, dass der Arzt nicht für einen bestimmten Behandlungserfolg haftet, sondern er haftet vielmehr lediglich für eine lege artis Behandlung.[4] Vor dem am 26.2.2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz fehlte es an einem kodifizierten Arzthaftungsrecht. Demzufolge hatte sich im Bereich des Arzthaftungsrechts eine jahrzehntelange richterliche Spruchpraxis gebildet, welche die ungeschriebenen Sorgfaltspflichten des Arztes, die sich aus der Berufshaftung ergeben, konkretisiert. Damit existiert auch im Bereich der Arzthaftung die Generalklausel, wonach die vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt anzuwenden ist, um Schädigungen anderer zu vermeiden.[5]

a) Der „Standard“ als sorgfaltsbegründendes Merkmal

9

Die Bejahung eines ärztlichen Behandlungsfehlers und damit die wichtigste Anspruchsvoraussetzung sowohl für die deliktische, als auch für die vertragliche Haftung richtet sich danach, ob zum Zeitpunkt der Behandlung nach einem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft auf dem jeweiligen ärztlichen Fachgebiet eine grundsätzlich anerkannte medizinische Praxis angewandt wurde.[6] Der Bundesgerichtshof definiert andersherum, dass der vom Arzt einzuhaltende Standard Auskunft darüber gibt, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung vorausgesetzt und erwartet werden kann.[7]

10

Dieser medizinische Standard unterliegt einem stetigen Wandel, denn die medizinischen Erkenntnisse und Erfahrungen verbessern sich fortlaufend, womit der hierdurch eintretende Fortschritt zwangsläufig zu einer immer weiteren Erhöhung des medizinischen Standards führt.

aa) Das zeitliche Moment des Standards

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Zur notwendigen Bestimmung des Standes der Wissenschaft ist allein der Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung im konkreten Fall ausschlaggebend. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen Patient und Arzt oftmals schon außerprozessual viel Zeit verstreicht. Schließt sich dann ggf. an ein durchgeführtes Schlichtungsverfahren noch ein gerichtliches Verfahren an, können unter Umständen mehrere Jahre vergangen sein. Der dann in einem Haftungsprozess berufene Sachverständige hat jedoch in der Zwischenzeit bekannt gewordene Fortschritte der Medizin bei der Frage der Beurteilung des Behandlungsablaufes außer Acht zu lassen, denn es ist immer die Frage zu stellen, ob die Behandlung des Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung dem zu fordernden Standard entsprach.[8]

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Deutlich wird dieses zeitliche Moment in einer Entscheidung des OLG Karlsruhe aus dem Jahre 1994, in der es u.a. um die Frage ging, ob bei einer Strumaresektion eine Darstellung von Stimmbandnerven schon notwendig war. Hier hatte der gerichtlich bestellte Sachverständige ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Operation im Jahre 1990 eine Darstellung der Stimmbandnerven nicht dem medizinischen Standard entsprach. In der mündlichen Anhörung hatte der Sachverständige ausgeführt, dass dazu in der medizinischen Wissenschaft unterschiedliche Auffassung vertreten wurden und es auch im Jahre 1992 in der medizinischen Literatur und Praxis eine starke Meinung gab, die eine Darstellung der Stimmbandnerven grundsätzlich noch nicht für notwendig hielt.[9] Auch hat der BGH in einem Beschluss einer Anhörungsrüge nochmals deutlich gemacht, dass zwar der Zeitpunkt, von dem ab eine bestimmte Behandlungsmaßnahme veraltet und überholt ist, so dass von einem Behandlungsfehler auszugehen ist, dann gekommen ist, wenn neue Methoden risikoärmer sind und/oder bessere Heilungschancen versprechen und in der medizinischen Wissenschaft im Wesentlichen unumstritten sind, weshalb nur noch ihre Anwendung von einem sorgfältigen und auf Weiterbildung bedachten Arzt verantwortet werden kann. Für die Frage der Darstellung der Stimmbandnerven im Rahmen einer Schilddrüsenoperation im Gegensatz zur herkömmlichen „chirurgischen Schule“ sah der BGH diese Gewissheit im Jahre 2008 betreffend die im Jahre 2002[10] durchgeführte Operation noch nicht.[11]

13

Ein niedergelassener Facharzt für Frauenheilkunde beging im Jahr 2000 keinen Behandlungsfehler, wenn er bei einer 57-jährigen Patientin ohne besondere Risikofaktoren keine regelmäßige Mammographie zur Früherkennung von Brustkrebs in einem zweijährigen Intervall veranlasste. Hier hatte das Gericht entschieden, dass allein das Vorhandensein neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse noch nicht zwangsläufig dazu führt, eine bestimmte Behandlungsmethode als überholt und nicht mehr vertretbar anzusehen. Eine Unterschreitung des zu fordernden Qualitätsstandards ist erst dann gegeben, wenn die Vorzugswürdigkeit der neuen Methode im Wesentlichen unumstritten ist.[12]

14

Umgekehrt ist es jedoch so, dass für den Fall, dass neuere Erkenntnisse der Medizin, welche die Behandlung des Arztes nachträglich als richtig und lege artis erscheinen lassen auch dazu führen, dass ein Behandlungsfehler abzulehnen ist.[13]

 

bb) Festlegungsbefugnis des medizinischen Standards

15

Die Bestimmung des anzuwendenden Standards und die Beantwortung der Frage, ob dieser im konkreten Fall eingehalten worden ist, obliegt generell zunächst dem medizinischen Sachverständigen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, den Sorgfaltsmaßstab, wie er sich nach dem medizinischen Standard bestimmt, ohne Sachverständigengrundlage allein aus eigener rechtlicher Beurteilung heraus festzulegen.[14] Im Ergebnis hat der befasste Richter die aus den zu fordernden Standards ergebenen Sorgfaltspflichten unter zur Hilfenahme des medizinischen Sachverständigen zu beurteilen, denn es handelt sich im Ergebnis im Arzthaftpflichtprozess um medizinisch konstituierte Sorgfaltspflichtmaßstäbe, die lediglich einer Rechtskontrolle unterliegen. Hierbei hat das Gericht die schwierige Aufgabe, zwischen der rein medizinisch wertenden Sachverständigenentscheidung und der auch auf ihr Fachgebiet beschränkten rechtlichen Entscheidung zu trennen. Der Richter ist daher grundsätzlich gehalten, die Äußerungen des Sachverständigen im Arzthaftpflichtprozess kritisch zu würdigen.[15] Das Gericht hat die Aussagen des Sachverständigen kritisch daraufhin zu überprüfen, dass Widersprüche im Gutachten selbst oder zu den Aussagen eines ebenfalls vorliegenden Privatgutachtens ausgeräumt werden. Ggf. hat das Gericht auch die Pflicht, sich mit dem von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinander zu setzen und von Amts wegen auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich hieraus ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt.[16]

16

Der Bundesgerichtshof hatte in der Entscheidung vom 29.11.1994[17] ein Urteil des OLG Oldenburg[18] aufgehoben, welches die in Frage stehende ärztliche Behandlung abweichend von den gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten im Wege einer „rechtlich gebotenen Gesamtschau“ als fehlerhaft betrachtet hatte. Die Gutachter hatten die Behandlung unterschiedlich beurteilt, jedoch im Ergebnis nicht als fehlerhaft angesehen. Der BGH führt insoweit aus, dass nach Auffassung der vorbefassten Richter, eine rechtlich gebotene Gesamtschau führe dazu, dass die beklagten Ärzte die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten in rechtlich untragbarer Weise nicht genutzt hätten, im Ergebnis so verstanden werden könnten, dass aus rechtlicher Sicht andere Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt zu stellen seien, als aus medizinischer Sicht. Dies liefe jedoch auf ein Auseinanderklaffen zwischen medizinischer und rechtlicher Sorgfaltsmaßstäbe hinaus, welche nicht zu billigen seien. Der Richter habe den berufsfachlichen Sorgfaltsmaßstab mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu ermitteln, freilich habe er eigenverantwortlich die Beurteilung des Sachverständigen zu überprüfen, ob sie dem medizinischen Standard entspricht und bei Zweifeln müsse der Richter diese durch Fragen an den Sachverständigen nachgehen. Der Richter dürfe jedoch den medizinischen Standard nicht ohne Sachverständigengrundlage allein aus eigener rechtlicher Beurteilung heraus festlegen, was jedoch vorliegend geschehen sei.[19] Damit wird deutlich, dass sich das Gericht in der schwierigen Lage befindet, eine rechtliche Entscheidung bei der Feststellung eines Behandlungsfehlers zu treffen; hierbei muss es sich eines Sachverständigen bedienen, dessen Aussagen einerseits kritisch auf Widersprüche zu überprüfen sind, andererseits das Gericht aber nicht einen eigenen rein juristischen Sorgfaltsmaßstab für den Arzt und die streitgegenständliche Behandlung fordern kann. Diese Grundsätze hat der BGH in ständiger Rechtsprechung kontinuierlich fortgeführt.[20]

17

Auch bei der Frage der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich im Ergebnis um eine juristische Wertung, die das Gericht zu treffen hat, allerdings muss auch diese Entscheidung in vollem Umfang durch die vom medizinischen Sachverständigen vorgenommene Bewertung des ärztlichen Handels gestützt werden. Dem Tatrichter ist es nicht gestattet, einen Behandlungsfehler ohne entsprechende Darlegungen aufgrund eigener Wertung als grob oder nicht grob zu qualifizieren.[21]

18

Als Ausnahme dieses Grundsatzes kann nur dann etwas anderes gelten, wenn der Tatrichter ausnahmsweise selbst über das erforderliche medizinische Fachwissen verfügt und dies in seiner Entscheidung darlegt, wobei bei genauerer Betrachtung diese Entscheidungen des BGH darauf beruhen, als ein Berufungsgericht in der Vorinstanz eine eigene medizinische Bewertung seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte ohne eine ausreichende Begründung hierfür darlegen zu können.[22]

cc) Der Standard als Korridor

19

Der zu fordernde Standard kann im Einzelfall auch unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Möglichkeiten verschiedener medizinischer Einrichtungen durchaus unterschiedlich beurteilt werden. So kann ein Krankenhaus, welches altersbedingte bauliche Mängel aufweist, die grundsätzlich ein erhöhtes Infektionsrisiko für Patienten begründen, diese durch erhöhte betrieblich-organisatorische Maßnahmen ausgleichen. Wenn insoweit die Infektionsgefahr auf Grund von guten betrieblich-organisatorischen Maßnahmen sich statistisch in einem Rahmen bewegt, der für den Behandlungszeitpunkt im Rahmen des üblichen, weil unvermeidbaren Infektionsrisiko bewegt, ist eine Aufnahme und Behandlung eines Patienten in ein solches Krankenhaus nicht als fehlerhaft anzusehen, wie das OLG Saarbrücken in einer Entscheidung aus 1990 bereits ausgeführt hat[23].

20

Gut beschrieben wird der Sorgfaltsmaßstab des § 630a Abs. 2 BGB mit der Aussage, dem Behandlungsauftrag liegt das Urteil der Medizin zugrunde über das, was Standard für Behandlungsfeld, Behandlungszeit und Behandlungsort ist.[24]

21

Soweit der gerichtlich beauftragte Sachverständige im Rahmen der von ihm medizinisch zu wertenden Entscheidung über den zu fordernden Standard dieser ausschließlich an den Möglichkeiten von Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern festmacht, bietet dies jedenfalls dann keine Grundlage für eine zutreffende gerichtliche Entscheidung, wenn im konkreten Fall der Patient in einem Krankenhaus behandelt wurde, das einen entsprechend hohen Standard nicht garantieren kann. Auch ist zu berücksichtigen, dass der sächliche und personelle Ausstattungsgrad in Krankenhäusern der Grund-, Regel- und Schwerpunktversorgung höchst unterschiedlich sein kann. Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass sich die Anforderungen des medizinischen Sachverständigen nicht ungesehen an den Möglichkeiten von Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern orientieren dürfen, sondern sie auch den für den konkreten Patienten in der konkreten Situation faktisch erreichbaren Gegebenheiten ausgerichtet sein müssen, wenn dann ein zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden konnte[25]. Hieraus wird deutlich, dass der zu fordernde Standard neben einer zeitlichen Komponente auch zu berücksichtigen hat, unter welchen organisatorischen und materiellen Voraussetzungen die Behandlung des Patienten erfolgt. So muss wohl auch Berücksichtigung finden, dass nicht überall ein gleich hoher Standard gewährleistet werden kann und es dürfte auch unter dem Gesichtspunkt einer flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung angemessen sei auch kleineren medizinischen Einrichtungen ein fehlerfreies Handeln zuzubilligen, wenn der von ihnen gewährleistete Standard als noch ausreichend anzusehen ist. Auch kann der zum Zeitpunkt der Behandlung zu fordernde Standard ggf. noch in einem Krankenhaus der Grundversorgung eingehalten sein, wohingegen möglicherweise in einem Krankenhaus der Maximalversorgung zu diesem Zeitpunkt schon weitergehende Behandlungsmöglichkeiten bestanden.[26]

22

Dementsprechend kann man den einzuhaltenden Standard auch als eine Art Korridor begreifen, in dessen Rahmen sich die streitgegenständliche Behandlung bewegen muss, um noch als standardgerecht und damit fehlerfrei angesehen werden zu können.[27] Eine Standardunterschreitung außerhalb dieses Korridors ist in Folge dessen dann als Behandlungsfehler einzustufen. Beispielhaft bei der Implantation einer Endoprothese kann bei einer unwesentlichen Abweichung vom Idealzustand der Standard eingehalten sein und es ist dann kein Behandlungsfehler gegeben.[28] Auch bei mehreren möglichen Behandlungsansätzen einer psychotherapeutischen Behandlung kann der Korridor medizinisch regelgerechten Verhaltens eingehalten sein, auch wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige selbst in seiner Behandlung einen anderen Schwerpunkt setzen würde.[29]