Handbuch Arzthaftungsrecht

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3. Praxisrelevante Fallgruppen

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Im Laufe der Jahre haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen herausgearbeitet, die allesamt für den Bereich der Organisationspflichtverletzung Relevanz aufweisen.

114

Für die Bestimmung von Organisationspflichten kann nicht auf einheitliche Rechtsgrundlagen zurückgegriffen werden. Wie aufgezeigt, gibt die Gesetzesbegründung zu § 630a Abs. 2 BGB lediglich unbestimmte Rahmenbedingungen vor, ohne konkrete Organisationsverpflichtungen festzulegen. Gleiches gilt im Übrigen für die materielle Ausgestaltung des Behandlungsvertrages (§§ 630a ff. BGB). Auch dort sind normativ keine fallgruppenspezifischen Standards für organisatorische Vorgaben niedergeschrieben. Es ist daher erforderlich, auf allgemeine Rechtsgrundsätze oder spezialgesetzliche Vorschriften zurückzugreifen.

a) Organisatorische Rahmenbedingungen der personellen und sachlichen Ausstattung

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Es ist sicherzustellen, dass zu jeder Zeit Personal in ausreichender und qualifizierter Anzahl zur Verfügung steht. Zuständigkeiten sind dabei sowohl horizontal als auch vertikal klar und transparent zu definieren und voneinander abzugrenzen. Die sachliche Ausstattung muss den Anforderungen des medizinischen Versorgungsauftrags entsprechen.

116

§ 107 Abs. 1 SGB V definiert Krankenhäuser als Einrichtungen, die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichen, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen Krankheiten der Patienten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Geburtshilfe zu leisten und in denen die Patienten untergebracht und verpflegt werden können.

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Krankenhäuser müssen demnach bestimmte organisatorische Voraussetzungen erfüllen, damit die ärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 1 SGB V) sowie die pflegerische Betreuung im Rahmen der Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 1 SGB V) sichergestellt werden kann[157]. Die personelle und sachliche Sicherstellung orientiert sich dabei s an dem jeweiligen Versorgungsauftrag. Hierfür ist das entsprechende Planungsrecht maßgeblich[158].

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Die Personalstruktur wird dabei unter dem Gesichtspunkt der „Leistungsfähigkeit“ eines Krankenhauses bewertet. Abgestellt wird etwa auf die Zahl der hauptberuflich oder sonst beschäftigten Fachärzte und Fachkräfte im Verhältnis zur Bettenzahl[159].

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Es ist erforderlich, eine dauernde ärztliche Präsenz, mindestens mit einer rufbereiten Präsenz, festzulegen. Dabei geht es nicht um die konkrete ärztliche Verantwortung, die sich auf die konkrete Behandlung im Einzelfall bezieht. Vielmehr muss eine ärztliche Präsenz im Sinne einer Leitung gewährleistet sein, die die medizinische Organisation der gesamten Betriebsabläufe in fachlicher Hinsicht etabliert und überwacht. Auch für die Beurteilung, ob die medizinisch-ärztliche Leitung ausreichend ist, ist jeweils der Krankenhausbedarfsplan des Landes maßgeblich[160] (vgl. hierzu auch 3. Teil, 6. Kap., Rn. 1 ff.).

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Ein Krankenhaus muss weiter gewährleisten, dass neben der ärztlichen Leitung Pflegepersonal, Funktionspersonal sowie medizinisch-technisches Personal verfügbar ist. Dabei ist nicht nur das Vorhandensein von Pflegepersonal relevant, sondern auch von solchem Personal, das berechtigt und kompetent ist, Medizinprodukte und Medizintechnik zu bedienen. Die Bereithaltung von ausreichend geschultem nicht ärztlichem Personal entbindet daher nicht von der Verpflichtung, jederzeit ausreichend verfügbares ärztliches Personal vorzuhalten[161].

121

Für die jederzeitige ärztliche Verfügbarkeit genügt es nicht, dass Behandlungsmaßnahmen konkret oder antizipiert auf nicht ärztliches Personal übertragen werden. Es ist vielmehr gefordert, dass ständig eine ärztliche Leitung vorhanden sein muss, um ärztliche Betreuungsleistungen im Einzelfall zu erbringen. Dies begründet nicht eine permanente höchstpersönliche Leistungspflicht. Vielmehr ist es auch im Bereich der Organisation zulässig, ärztliche Maßnahmen generell oder für den Einzelfall auf nicht-ärztliches Personal zu übertragen.

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Organisatorisch wird weiter weitergefordert, dass Krankenhäuser fachmedizinisch nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten müssen. Dabei handelt es sich vor allem um Methoden, die dem anerkannten Facharztstandard und dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) entsprechen. Insgesamt stellen die Vorgaben in § 107 Abs. 1 SGB V lediglich einen ausfüllungsfähigen Rahmen dar, dessen konkrete Ausgestaltung von der Art der Einrichtung und dem Versorgungsauftrag abhängen.

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Die konkrete Ausgestaltung der Personalgestellung wird gesetzlich nicht vorgeschrieben. Ob also das ärztliche oder pflegerische bzw. medizintechnische Personal auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages, im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit oder einer klassischen Anstellung tätig sein muss, ist umstritten und nicht gesetzlich geregelt. Entscheidend ist, dass die jederzeitige Verfügbarkeit des Personals, gemessen an der medizinischen Notwendigkeit, gesichert ist.[162]

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Personelle Anforderungen


orientieren sich am Versorgungsauftrag
medizinisches Versorgungsspektrum maßgeblich
fachlich qualifiziertes Personal
fachlich in die Abläufe eingewiesenes Personal
quantitativ ausreichend
jederzeitige Verfügbarkeit
arbeitsrechtliche Ausgestaltung nicht federführend relevant

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Die sachlich-medizinische Ausstattung ist unter Berücksichtigung des Leistungsspektrums bzw. des Versorgungsauftrages zu beurteilen. Sie muss gewährleisten, dass innerhalb des Versorgungsauftrages Leistungsfähigkeit besteht.

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Leistungsfähigkeit ist gegeben, wenn die nach dem Stand der Wissenschaft an ein Krankenhaus zu stellenden Anforderungen auf Dauer gewährleistet sind, sodass die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der sächlichen und personellen Ausstattung eines Krankenhauses konstant erhalten bleibt.[163] Hieraus folgt aber keine jederzeitige unbegrenzte Pflicht zur Sicherstellung einer Aufnahme- und Behandlungsmöglichkeit. Vielmehr kann eine personelle oder sachliche Unmöglichkeit auch zur Unzulässigkeit der Aufnahme führen. Ist etwa die OP Kapazität wegen einer akuten Notfallsituation erschöpft und kann auch eine notfallmäßige Erstversorgung nicht gesichert werden, so ist es ohne haftungsrechtliche Relevanz, wenn ein gleichgelagerter akuter Notfall wegen der personellen und sachlichen Unmöglichkeit abgelehnt wird[164].

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Besonderheiten der personellen Organisation bestehen im Bereich der psychiatrischen Einrichtungen sowie der neonatologischen Intensivstation.

128

Für psychiatrische Einrichtungen gilt derzeit die Verordnung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Versorgung (Psych-PV). Gemäß § 1 Abs. 1 Psych-PV trifft die Verordnung Maßstäbe und Grundsätze zur Ermittlung des Personalbedarfs für Ärzte, Krankenpflegepersonal und sonstiges therapeutisches Fachpersonal in psychiatrischen Einrichtungen für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche. Ziel ist es, eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche stationäre oder teilstationäre Behandlung der Patienten zu gewährleisten, die einer Krankenhausbehandlung i.S.d. § 39 Abs. 1 SGB V bedürfen. Psychiatrische Einrichtung im Sinne der Verordnung sind psychiatrische Krankenhäuser sowie selbstständige, gebietsärztlich geleitete psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern.

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Die Grundsätze der Personalbemessung richten sich in diesen Fällen nach §§ 3 ff. Psych-PV und werden wie folgt konkretisiert


1. Patienten, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen, werden bestimmten Behandlungsbereichen zugeordnet.
2. Für jeden Behandlungsbereich sowie für jede Berufsgruppe werden dann eine Arbeitszeit in Minuten je Patient und Woche vorgegeben.
3. Die Minutenwerte werden unter Berücksichtigung des Versorgungsauftrages angemessen verringert, wenn eine Einrichtung keine Versorgungsverpflichtung hat.
4. Die Minutenwerte werden in Personalstellen umgerechnet. Die Zahl der Personalstellen für Leitungskräfte wird nach der Zahl der vereinbarten Stellen für Ärzte und Diplompsychologen errechnet.

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Ausdrücklich normierte Vorgaben für die personelle Mindestausstattung finden sich für den Bereich der neonatologischen Intensivstation in der Qualitätssicherungsrichtlinie „Früh- und Reifgeborene“[165].

131

Demnach muss der Pflegedienst der neonatologischen Intensivstation aus Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern bestehen. 40 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstes müssen eine Fachweiterbildung im Bereich der pädiatrischen Intensivpflege gem. der Empfehlung der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft vom 20.9.2011 oder eine gleichwertige landesrechtliche Regelung abgeschlossen haben.

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Auf der neonatologischen Intensivstation eines Perinatalzentrums Level 1 muss ab dem 1.1.2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderpflegerin je intensivtherapiepflichtigem Frühgeborenen mit Geburtsgewicht von weniger als 1.500 g verfügbar sei. Auf der neonatologischen Intensivstation muss ab dem 1.1.2017 jederzeit mindestens ein Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin je zwei intensivüberwachungspflichtigen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 g verfügbar sein. Eine dokumentierte Erfüllungsquote von mindestens 95 % aller Schichten des vergangenen Kalenderjahres gilt dabei als Nachweis der Erfüllung der Anforderungen an den Personalschlüssel. Die Richtlinie sieht vor, dass nicht mehr als zwei Schichten, in denen die in der Richtlinie vorgegebenen Personalschlüssel nicht erfüllt werden, einschließlich der Schicht in der die Abweichung von dem vorgegebenen Personalschlüssel auftritt, direkt aufeinander folgen dürfen.

133

Die jeweilige Einrichtung muss über ein Personalmanagementkonzept verfügen, welches für den Fall von ungeplanten Neuaufnahmen oder Personalausfällen konkrete Handlungsanweisungen zur Kompensation des sich daraus ergebenen personellen Mehrbedarfs bzw. zur Wiedererstellung des vergebenen Personalschlüssels umfasst, die von der pflegerischen Schichtleitung und dem verantwortlichen Stationsarzt bzw. Stationsärztin unverzüglich veranlasst werden können. Für alle weitere Patientinnen und Patienten auf der neonatologischen Intensivstation muss das Perinatalzentrum qualifiziertes Personal (Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen – unabhängig von Fachweiterbildung bzw. spezielle Erfahrung) in ausreichender zahlentsprechend den tatsächlichen Pflegebedarf einsetzen.

134

Exkurs: Personaluntergrenzen im Krankenhaus

Der Bundesgesetzgeber beabsichtigt derzeit, Rechtsvorschriften zur Einführung von Personaluntergrenzen in Krankenhäusern zu etablieren. Die Vertragsparteien auf Bundesebene (Deutsche Krankenhausgesellschaft, Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung sowie die Private Krankenversicherung) sollen gesetzlich beauftragt werden, geeignete Personaluntergrenzen in pflegeintensiven Bereichen, insbesondere unter Einbeziehung der Intensivstation und der Besetzung im Nachtdienst, verbindlich festzulegen. Eine solche Vereinbarung soll auf Bundesebene mit Wirkung zum 1.1.2019 getroffen werden. Sollte eine Einigung bis zum vorbenannten Datum nicht zustande kommen will sich das Bundesgesundheitsministerium per Rechtsverordnung vorbehalten, die Untergrenzen zum 1.1.2019 per Rechtsverordnung festzulegen. Die Auswirkungen der Personaluntergrenzen sollen bis zum 31.12.2022 wissenschaftlich evaluiert werden.

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Es sind folgende Eckpunkte vorgesehen:


bei der Vereinbarung der Personaluntergrenzen sollen Substitutionseffekte vermieden werden.
Die Kliniken müssen ihre Personalausstattung durch eine Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers nachweisen. Zugleich sollen die Untergrenzen mit angemessenen Sanktionen für die Fälle verbunden werden, in denen die Klinik die vorgegebenen Personaluntergrenzen nicht einhält.
Als Sanktionsmittel sollen hausbezogene finanzielle Abschläge, Informationen der Kliniken an die jeweiligen Landesbehörden und Veröffentlichen in Qualitätsberichten sein.
In die Einarbeitung der Personaluntergrenzen sind sowohl der Patientenbeauftragte als auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung einzubeziehen.

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Der erforderliche Pflegegrad soll für das Jahr 2018 in die DRG-Kalkulation mit einbezogen werden. Die Bemessung soll in Anlehnung an den Prozedurencode OPS 9-984 „Pflegebedürftigkeit“, der im Bereich der Somatik als Kodierung zur Verfügung steht, angelehnt werden. Die Einbeziehung des entsprechenden Prozedurencodes soll die Chance bieten, die Sachgerechtheit der Abbildung eines erhöhten Pflegebedarfs von dementen, pflegebedürftigen und behinderten Patienten und Patientinnen zu steigern[166] (vgl. hierzu auch 2. Teil, 6. Kap., Rn. 1 ff.).

b) Organisatorische Rahmenbedingungen der Hygiene

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Vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., Rn. 449 ff.

138

Organisatorische Vorgaben für den Bereich der Hygiene ergeben sich aus verschiedenen Rechtsvorschriften. Zentral anzuführen sind hier das Infektionsschutzgesetz (IfSG), das Medizinproduktegesetz (MPG), das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) sowie die landesrechtlichen Hygieneverordnungen nach § 23 Abs. 5, Abs. 8 IFSG. Eine korrekte medizinische Behandlung verlangt nicht nur die Einhaltung des jeweiligen Facharztstandards. Vielmehr treffen die Leistungserbringer zusammen mit dem Hygienemanagement auch erhebliche Organisationspflichten. Versäumnisse in diesem Bereich können nicht nur zivilrechtliche Haftungsansprüche mit sich bringen. Auch Tatbestände wie fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung sowie die Spezialvorschriften des Nebenstrafgesetzes im MPG oder IfSG können bei erheblichen strukturellen Defiziten Relevanz gewinnen.

139

Federführend sind hier §§ 40, 14 S. 2 MPG sowie § 73 IfSG anzuführen.

140

Nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 MPG macht sich strafbar, wer vorsätzlich gegen § 14 S. 2 MPG ein Medizinprodukt betreibt oder anwendet. Gemäß § 14 S. 2 MPG dürfen Medizinprodukte nicht betrieben und angewendet werden, wenn sie Mängel aufweisen, durch die Patienten, Beschäftigte oder Dritte gefährdet werden können. Ordnungswidrig hingegen i.S.v. § 73 IfSG handelt, vorsätzlich oder fahrlässig nicht sicherstellt, dass die geforderten Aufzeichnungen zu Multiresistenzen und zum Antibiotikaverbrauch festgehalten werden. Im Weiteren ist mit einer Ordnungswidrigkeit belegt, wenn nicht sichergestellt wird, dass innerbetriebliche Verfahrensanweisungen zur Infektionshygiene in den Hygieneplänen festgelegt sind.

141

Die Anforderungen an die Organisation der Hygiene hängen dabei maßgeblich davon ab, welche Art von Leistungserbringer tätig wird, ob es sich dabei also namentlich um Krankenhäuser, ambulante Einrichtungen oder weitere Leistungserbringer handelt.

142

Zentrale Rechtsvorschrift für Hygienestandards ist § 23 IfSG. Die Vorschrift verpflichtet die Leiter bestimmter Einrichtungen sicher zu stellen, dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, zu vermeiden. Die Vorschrift geht in Abs. 3 so weit, dass die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft auf dem Gebiet der Hygiene vermutet wird, wenn jeweils die veröffentlichen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektprävention beim Robert Koch-Institut (KRINKO) und der Kommission Antiinfektiva, Resistenztherapie beim Robert Koch-Institut (ART) beachtet worden sind.

143

Die Reichweite dieser Vermutungswirkung ist nicht unumstritten.

144

Stollmann[167] etwa vertritt für die Reichweite einer KRINKO-Empfehlung die Ansicht, dass es sich hierbei um eine echte Vermutungswirkung handelt. Stamme eine Infizierung aus dem Bereich eines Krankenhauses oder einer anderen medizinischen Einrichtung, so müsse deren Leiter substantiiert darlegen und beweisen, dass die KRINKO-Empfehlungen beachtet worden seien.

145

Walter[168] hingegen verweist unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung[169] darauf, dass die Vorschrift allenfalls eine wiederlegbare Vermutung darstellen würde. Es lasse sich im Einzelfall sogar eine Unterschreitung der Empfehlungen damit rechtfertigen, dass andere bauliche, funktionelle und betriebliche organisatorische Maßnahmen geschaffen worden sind, um das Unterschreiten der Vorgaben der KRINKO zu kompensieren. Walter geht daher grundsätzlich von keiner Vermutungswirkung aus. Zu diesem Ergebnis gelangt auch das VG München[170], dass eine zwingende Vermutungswirkung nicht annimmt.

146

Unabhängig davon gilt eine Vermutungswirkung im Sinne einer Verschuldensvermutung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht, wenn durch den Patienten nicht konkrete Hygieneverstöße nach dem Vollbeweismaßstab des § 286 Abs. 1 ZPO bewiesen worden sind[171]. Bei der Darstellung von entsprechend organisatorischen Versäumnissen kommt der Patientenseite also grundsätzlich keine Beweiserleichterung zu Gute. Erst wenn feststeht, dass ein konkreter Hygieneverstoß gegeben ist, wird die sekundäre Darlegungslast der Behandlerseite ausgelöst. Ein Anscheinsbeweis wird bei dem Auftreten von Infektionen bereits per se abgelehnt[172]. Im Übrigen werden MRSA-Infektionen mittlerweile auch als allgemeines Lebensrisiko bewertet[173].

147

Nach § 23 Abs. 4 IFSG sind die Leiter von Krankenhäusern und Einrichtungen für ambulantes Operieren verpflichtet,


dass die vom Robert Koch-Institut nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 IfSG festgelegten nosokomialen Infektionen und das Auftreten von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen fortlaufend in einer gesonderten Niederschrift aufgezeichnet und bewertet werden,
das Art und Umfang des Antibiotikaverbrauchs fortlaufend in zusammengefasster Form aufgezeichnet werden um sachgerechte Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes von Antibiotika zu ziehen.

148

Die Leiter von


Krankenhäusern,
Einrichtungen für ambulantes Operieren,
Versorge- oder Rehabilitationseinrichtungen,
Dialyseeinrichtungen,
Tageskliniken,
Entbindungseinrichtungen und
Behandlungs- oder Versorgungseinrichtungen die mit solchen vergleichbar sind,

haben darüber hinaus sicher zu stellen, dass es innerbetriebliche Verfahrensweisen (SOP) zur Infektionshygiene im Hygieneplan gibt.

 

149

Für den ambulanten Leistungssektor ist vorgesehen, dass die Landesregierungen durch Rechtsverordnungen die Leiter von Zahnarztpraxen sowie Leiter von Arztpraxen und Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe, in denen invasive Einrichtungen vorgenommen werden, dazu verpflichten sicher zu stellen, dass ebenso innerbetriebliche Verfahrensanweisungen (SOP) vorgehalten und umgesetzt werden. Eine Überwachung der vorbenannten Einrichtungen wird durch das Gesundheitsamt sichergestellt, die im Rahmen ihrer Gefahrenabwehraufgabe auch spezifische Zutritts- und Einsichtsbefugnisse haben.

150

Das IfSG sieht in § 23 Abs. 8 eine Ermächtigung an die Landesregierungen vor, durch Rechtsverordnung Maßnahmen zur Verhütung, Erkennen und Erfassung und Bekämpfung von nosokomialen Infektionen und Krankheitserregern mit Resistenzen zu erlassen. Die Bundesländer sind der Verordnungsverpflichtung insgesamt nachgekommen.

151

Am Beispiel von Nordrhein-Westfalen ist zum 31.3.2012 die Verordnung über die Hygieneinfektionsprävention in medizinischen Einrichtungen (HygMedVO) in Kraft getreten. Die Verordnung regelt die organisatorischen Vorgaben für Krankenhäuser, ambulante Operationseinrichtungen, Versorgungs- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen und Tageskliniken. All diese genannten Leistungserbringer müssen sicherstellen, dass in jeder Einrichtung eine Hygienekommission besteht.

152

Zusammensetzung der jeweiligen Hygienekommission nach Landesrecht


Ärztlicher Leiter
leitende Pflegekraft
Leitung des Wirtschafts- und Verwaltungsdienstes,
Hygienefachkraft
Krankenhaushygienikers
Hygienebeauftragter

153

Die weitergehenden Verpflichtungen der Hygienekommission ergeben sich sodann aus den jeweiligen Rechtsverordnungen der Länder. Organisatorisch muss sichergestellt sein, dass Hygienefachkräfte vorgehalten werden. Hygienefachkräfte sind dabei Hygienefachschwestern bzw. Hygienefachpfleger, die an einer qualifizierten, staatlich anerkannten Weiterbildung zur Hygienefachkraft erfolgreich teilgenommen haben. Als Hygienebeauftragter muss ein Arzt eingesetzt werden, der über entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen in Hygiene und Infektprävention verfügt, fachlich weisungsbefugt ist und an entsprechenden Fortbildungen in der Hygiene mit Erfolg teilgenommen hat. Weiter ist organisatorisch sicherzustellen, dass Hygienefachkräfte und Hygienebeauftragte in zweijährigen Abständen fortzubilden sind.

154

Insgesamt folgt für die organisatorischen Verpflichtungen der Leistungserbringer, dass für den Bereich der Hygiene strenge organisatorische Anforderungen gelten. Diese Anforderungen betreffen nicht nur die baulich und sachliche Ausstattung, sondern vielmehr auch spezielle Vorgaben für das einzusetzende und zu beauftragende Personal. Insgesamt sind die dargestellten strengen organisatorischen Vorgaben von der Intention getragen, dass Infektionsketten nicht verlängert sondern nach Möglichkeit unmittelbar unterbrochen werden sollen[174].

155

Da es sich bei den vorbenannten organisatorischen Pflichten um Vorgaben handelt, die durch organisatorische Vorkehrungen durch den Leistungserbringer sicher umgesetzt werden müssen, sind Versäumnisse in diesem organisatorischen Bereich dem vollbeherrschbaren Risiko zuzuordnen.