Hochschulrecht im Freistaat Bayern

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1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen

Rudolf Streinz

II. Rechtsgrundlagen

1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen › 1. Überblick

1. Überblick

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Die Rechtsquellen des Hochschulrechts sind verstreut. Neben Normierungen des Bundes- und vor allem des Landesrechts bestehen zahlreiche Satzungen des autonomen Rechts der einzelnen Hochschulwesen.[1] Gemäß der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nach der Föderalismusreform fällt das Hochschulwesen, abgesehen von der Hochschulzulassung und den Hochschulabschlüssen, in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder (s.u. II. 5.). Neben allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben (s.u. II. 5.b) bestehen aber für das Hochschulrecht der Länder Vorgaben durch völkerrechtliche Verträge, die der Bund und der Freistaat Bayern in diesem Bereich geschlossen haben (s.u. II. 2.), sowie durch das Europarecht. Zum einen betreffen die Europäische Menschenrechtskonvention (s.u. II. 3.a) sowie im Rahmen des Europarats abgeschlossene Abkommen (s.u. II. 3.b) das Hochschulrecht, zum anderen erfasst das Recht der Europäischen Union über die ausdrücklichen Kompetenzen für allgemeine und berufliche Bildung und Jugend (Art. 165–Art. 166 AEUV) und Kultur (Art. 167 AEUV) sowie die Forschungsförderung (Art. 179 ff. AEUV) hinaus auch das Hochschulrecht, insbesondere durch die Auswirkungen der Grundfreiheiten einschließlich der durch die Unionsbürgerschaft (Art. 20 I AEUV) begründeten „allgemeinen“ Freizügigkeit (Art. 20 II lit. a AEUV) auch auf Bereiche, die „an sich“ in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind (s.u. II. 4.).

1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen › 2. Völkerrecht

2. Völkerrecht

a) Menschenrechtsverträge

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Gemäß Art. 26 Nr. 1 S. 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948[2] sollen „die höheren Studien … allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen in gleicher Weise offenstehen.“ Dabei handelt es sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern als Resolution der Generalversammlung um eine Empfehlung.[3] Gemäß Art. 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966[4], einem die Bundesrepublik Deutschland bindenden völkerrechtlichen Vertrag, erkennen die Vertragsstaaten das „Recht eines jeden auf Bildung an“. Der Hochschulunterricht muss „auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden“ (Art. 13 I 1, II lit. c IPwirtR). Daraus wurde ein Verbot von Studiengebühren hergeleitet,[5] im Ergebnis zu Unrecht.[6] Die Chancengleichheit auch im Hochschulbereich fordert Art. 10 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979[7]. Während Art. 5 lit. e Abs. v des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966[8] lediglich allgemein „das Recht auf Erziehung und Ausbildung“ erwähnt, fordern Art. 28 I lit. c des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989[9], „allen entsprechend ihren Fähigkeiten den Zugang zu den Hochschulen mit allen geeigneten Mitteln (zu) ermöglichen“ und Art. 22 Nr. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951[10], dass die vertragschließenden Staaten „für die Zulassung zum Studium, die Anerkennung von ausländischen Studienzeugnissen, Diplomen und akademischen Titeln, den Erlaß von Gebühren und Abgaben und die Zuerkennung von Stipendien … eine möglichst günstige und in keinem Falle weniger günstige Behandlung gewähren, als sie Ausländern im allgemeinen unter den gleichen Bedingungen gewährt wird“.

b) Spezielle völkerrechtliche Abkommen

aa) Abkommen des Bundes

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Deutschland ist Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Gemäß Art. 1 II lit. b UAbs. 3 der Satzung[11] soll „das Ideal gleicher Bildungschancen für alle“ gefördert werden. Neben einer Reihe von Empfehlungen[12] wurden im Rahmen der UNESCO das Übereinkommen vom 15. Dezember 1960 gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen[13] und (auch im Rahmen des Europarates) das Übereinkommen vom 21. Dezember 1979 über die Anerkennung von Studien, Diplomen und Graden im Hochschulbereich in den Staaten der europäischen Region[14] geschlossen, ferner das von Deutschland ratifizierte Übereinkommen von Lissabon über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region vom 11. April 1997[15].

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Ferner hat der Bund, dem insoweit die konkurrierende Abschlusskompetenz zukommt,[16] eine Vielzahl bilateraler Abkommen geschlossen. Äquivalenzabkommen betreffen die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit von relevanten Abschlüssen im Hochschulbereich.[17] Abkommen über gemeinsame Hochschulen bestehen mit Frankreich[18] und der Türkei[19]. In zahlreichen Kulturabkommen,[20] Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit[21] und sonstigen Abkommen[22] finden sich Bestimmungen über Austausch, Zulassungsbedingungen, Stipendien und Äquivalenzen.

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Die Hochschulrektorenkonferenz pflegt internationale Kontakte[23] und hat dabei eine Reihe von Vereinbarungen geschlossen.[24]

bb) Abkommen des Freistaats Bayern

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Im Rahmen seiner Zuständigkeit (vgl. Art. 181 BV)[25] hat Bayern neben dem Konkordat mit dem Heiligen Stuhl[26] eine Reihe von Staatsverträgen[27] im Hochschulbereich mit den anderen deutschen Ländern und dem Bund geschlossen. Am bedeutsamsten ist wohl der Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 24. Juni 1999/24. Dezember 2006[28]. Ferner sind zu nennen: Staatsvertrag über das Fernunterrichtswesen vom 16. Februar 1978[29], geändert durch Staatsvertrag vom 4. Dezember 1991[30]; Abkommen zwischen den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland über die Genehmigung zur Führung akademischer Grade ausländischer Hochschulen und entsprechender ausländischer Grade vom 29. Oktober 1992[31]; Staatsvertrag über Fernstudien an Fachhochschulen vom 4. Oktober 1996[32]; Staatsabkommen über die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen vom 30./31. März 1969 (Königsteiner Abkommen)[33].

c) Welthandelsrecht

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Das im Rahmen der Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO)[34] geschlossene Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) vom 15. April 1994[35] bietet die völkerrechtliche Grundlage für eine weltweite Liberalisierung des Bildungsmarktes.[36] Die Vertragsparteien, insbesondere aber auch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, machen jedoch von spezifischen Verpflichtungen wie Marktzugang (Art. XVI GATS) und Inländergleichbehandlung (Art. XVII GATS) vor allem in Bezug auf Anbieter von Bildungsdienstleistungen nur unter Vorbehalten Gebrauch. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben in Bezug auf Bildungsdienstleistungen uneingeschränkten Marktzugang und Inländergleichbehandlung nur für die Nachfrage von Bildungsdienstleistungen durch Ausländer im Inland, d.h. in Bezug auf ausländische Studierende aus Drittstaaten gewährt. Für Dienstleistungserbringer aus Drittstaaten bestehen dagegen Marktzugangsschranken. Eine allgemein geltende Ausnahme von der Inländergleichbehandlung besteht aufgrund eines Vorbehalts der EU für den weit verstandenen öffentlichen Sektor und für die Gewährung von Subventionen.[37]

1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen › 3. Europarecht im weiteren Sinne (insbesondere Europarat)

3. Europarecht im weiteren Sinne (insbesondere Europarat)

a) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)

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Das Übereinkommen über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)[38] vom 14. Dezember 1960 hat das Ziel, „auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet die Entwicklung ihrer Hilfsmittel, die Forschung und die Berufsausbildung zu fördern“ (Art. 2 lit. b). Die OECD veröffentlicht regelmäßig Studien und Empfehlungen zum Bildungs- und damit auch zum Hochschulbereich, auf deren Qualität hier nicht näher eingegangen werden kann.[39]

b) Europarat

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Der am 5. Mai 1949 gegründete Europarat[40] umfasste zunächst die freiheitlich-demokratischen Staaten Westeuropas. Nach der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes hat er derzeit 47 Mitglieder. In seinem Rahmen wurden die Europäische Menschenrechtskonvention, aber auch eine Reihe speziell das Hochschulrecht betreffende Abkommen geschlossen.

 

aa) Europäische Menschenrechtskonvention

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Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950[41] mit mittlerweile 16 Zusatzprotokollen enthält in Art. 2 ihres (ersten) Zusatzprotokolls (ZP I)[42] das Recht auf Bildung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied u.a., dass mit dem Recht auf Zugang zum Studium das Recht verbunden ist, dass die absolvierten Studien auch amtlich anerkannt werden.[43] Das Verbot des Tragens von Kopftüchern an türkischen Universitäten hielt er für durch den Staatsgrundsatz des Laizismus gerechtfertigt.[44] Generell ist das Recht auf Bildung vorrangig als Recht auf gleichen, diskriminierungsfreien Zugang zu verstehen, der allein an sachliche Kriterien wie leistungsbezogene Zulassungsvoraussetzungen anknüpfen darf.[45] Wie allgemein-völkerrechtliche Vorgaben sind die der EMRK, insbesondere aus Art. 2 ZP I i.V.m. Art. 14 EMRK, bei der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Studiengebühren zu beachten.[46]

bb) Weitere völkerrechtliche Abkommen im Rahmen des Europarats

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Speziell das Hochschulrecht betreffen insbesondere die sog. „Äquivalenzkonventionen“, die im Rahmen des Europarates geschlossen wurden.[47] Diese Abkommen werden, da der Europarat anders als die Europäische Union keine Rechtsetzungskompetenz hat, den Mitgliedstaaten zur Annahme empfohlen,[48] bedürfen aber deren Unterzeichnung sowie regelmäßig (da mit einem entsprechenden Vorbehalt versehen) der Ratifikation durch eine genügende Anzahl von Mitgliedstaaten. Die „Europäische Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse“ vom 11. Dezember 1953[49] berechtigt jeden Inhaber eines Reifezeugnisses aus einem Vertragsstaat, sich um die Zulassung zum Studium an den Universitäten und anderen Hochschulen der anderen Vertragsstaaten zu bewerben. Ferner einschlägig sind das Übereinkommen über die Gleichwertigkeit der Studienzeit an den Universitäten vom 15. Dezember 1956[50], das Europäische Übereinkommen über die allgemeine Gleichwertigkeit der Studienzeiten an Universitäten vom 6. November 1990[51] sowie das Europäische Übereinkommen über die akademische Anerkennung von akademischen Graden und Hochschulzeugnissen vom 14. Dezember 1959[52], das insbesondere Bedeutung für die Zulassung zu Aufbaustudiengängen und Promotionen hat. Allerdings bleiben dessen Verpflichtungen auf Absichtserklärungen und Bemühenszusagen beschränkt und lassen bestehende Zulassungsvoraussetzungen der Universitäten nach innerstaatlichem Recht unberührt.[53] Das Europäische Übereinkommen über die Fortzahlung von Stipendien an Studierende im Ausland vom 12. Dezember 1969[54] geht von einer „europäischen Kultur- und Bildungsgemeinschaft“ aus, weshalb sich die Vertragsstaaten verpflichten, die ihren Staatsangehörigen für Studienaufenthalte und Forschungsvorhaben gewährten unmittelbaren Finanzhilfen einschließlich der Beihilfen zu den Studiengebühren, der Unterhaltszuschüsse und der Studiendarlehen fortzuzahlen, wenn diese an einer Hochschule im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei zum Studium zugelassen werden. Geltende Vorschriften über die Zulassung von Studenten zu den Hochschulen und über die Vergabe von Stipendien bleiben jedoch davon unberührt. Die genannten Konventionen sind von unterschiedlicher Bedeutung. Während die Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse für das grenzüberschreitende Lernen in Europa einen entscheidenden Fortschritt gebracht hat, blieb die praktische Relevanz der anderen Abkommen eher gering, da insoweit bilaterale Äquivalenzabkommen hinzutreten müssen.[55] Für Unionsbürger kommen weitergehende Berechtigungen aus dem Unionsrecht (s. dazu u. II. 4.) in Betracht.

c) Europäische Bildungseinrichtungen

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Auf völkerrechtlicher Grundlage wurde eine Reihe europäischer Bildungseinrichtungen gegründet.[56] Hervorzuheben ist das 1976 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (damals Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) gegründete Europäische Hochschulinstitut (EHI) in Florenz.[57] Dieses ist eine unabhängige Rechtsperson, die in vielfältiger Beziehung zur Europäischen Union steht und von dieser mitfinanziert wird. Dadurch wurde in abgewandelter Form die in Art. 9 II EAG-Vertrag vorgesehene „Europäische Universität“ verwirklicht.[58] Das EHI widmet sich dem Postgraduiertenstudium und der Forschung zu europäischen Themen auf den Gebieten der Politik-, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Geschichte.[59] Ferner ist das 1949 gegründete Europa-Kolleg in Brügge (Stiftung belgischen Rechts) mit einem Postgraduiertenstudium in den Fächern Jura, Politik- und Wirtschaftswissenschaften zu nennen, das in Natolin (Polen) eine Filiale für die Ausbildung mittelosteuropäischer Kandidaten gegründet hat.[60]

d) Die Einordnung des sog. „Bologna“-Prozesses

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Der sog. „Bologna-Prozess“ will international einheitliche Studienstrukturen mit vergleichbaren Abschlüssen herbeiführen. Da weder die Europäische Union (s.u. II.4.) noch eine andere internationale Institution über Zuständigkeiten zur verbindlichen Normsetzung in diesem Bereich verfügt, bedurfte die Schaffung eines „europäischen Hochschulraumes“ des freiwilligen Konsenses der interessierten Staaten.[61] Nach Vorbereitungen durch die sog. Sorbonne-Erklärung der Bildungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und des Vereinigten Königreichs vom 25. Mai 1998[62] einigten sich am 19. Juni 1999 in Bologna die Bildungsminister der damals 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie weiterer 15 Staaten (denen sich später weitere anschlossen, so dass mittlerweile 47 Staaten sowie der Heilige Stuhl beteiligt sind) auf eine gemeinsame Erklärung, die auf ein „Europa des Wissens“ zielt.[63] Kern ist die Einigung auf ein europaweit vergleichbares Studiensystem mit zwei Hauptzyklen. Ein mindestens dreijähriges Studium führt zum „Bachelor“, der bereits „berufsqualifizierend“ sein soll. Daran kann sich für die berechtigten (vorgeschlagen werden u.a. Quoten) Studierenden ein ein- bis zweijähriges Postgraduiertenstudium mit dem Abschluss „Master“ anschließen. Beide Studienteile sollen durch ein gemeinsames System von Leistungspunkten (Credits) und durch eine sog. Modularisierung des Studiums europaweit vergleichbar gestaltet werden, um die Mobilität der Studierenden durch die Anerkennung der so bescheinigten Studienleistungen zu erleichtern.[64] Auch ein anschließendes Promotionsstudium soll strukturiert sein und ggf. eine Propädeutik enthalten, was ein bezeichnendes Licht auf die bis dahin erworbenen wissenschaftlichen Qualifikationen wirft.[65] Der sog. „Bologna-Prozess“ wird in zweijährigen Treffen der Bildungsminister fortentwickelt (Prag 2001, Berlin 2003, Bergen/Norwegen 2005, London 2007, Leuven/Louvain-la-Neuve 2009, Budapest/Wien 2010, Bukarest 2012, Jerewan 2015). Seine Umsetzung, die (wohl nur) in Deutschland für mehr oder weniger rechtlich verbindlich gehalten wird,[66] bereitet erhebliche Probleme und stößt wie die konkreten Vorgaben (nicht die Ziele besserer Abstimmung und Vergleichbarkeit und Erhöhung der Mobilität, hinsichtlich derer sich manche Regelung sogar als kontraproduktiv erwiesen hat) zunehmend auf Kritik.[67] Während manchen Studiengängen eine gewisse Strukturierung durchaus nottat, führt eine übertriebene Verschulung zum Verkümmern eines wirklichen Universitätsstudiums, das auch Kreativität und Flexibilität sowie geistige Freiheit beinhalten soll, führt eine übertriebene Vereinheitlichung zur Einschränkung der Vielfalt von Studienmöglichkeiten in Europa und damit einer Stärke der „in Vielfalt geeinten“[68] Union. Die Überbürokratisierung bindet Mittel und Kräfte und zieht sie von Forschung und Lehre, die jedenfalls nach bisherigem Verständnis die eigentlichen Aufgaben der Hochschulen sein sollen, ab. Schließlich hat sich entgegen den Intentionen die Bürokratisierung des Studiums geradezu als Mobilitätshindernis ausgewirkt.[69] In einigen Staaten wurden daraus bereits Konsequenzen gezogen.[70]

1. Kapitel Grundlagen › II. Rechtsgrundlagen › 4. Europarecht im engeren Sinne (Recht der Europäischen Union)

4. Europarecht im engeren Sinne (Recht der Europäischen Union)

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Obwohl das Hochschulrecht an sich nicht in die – gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 I, II EUV) einer vertraglichen Grundlage bedürftigen – Kompetenz der Europäischen Union fällt, hat das Recht der Europäischen Union erhebliche Auswirkungen auch auf diesen an sich in der Kompetenz der Mitgliedstaten verbliebenen Bereich.[71] Ursächlich dafür sind zum einen die integrationsfreundliche, bisweilen die Kompetenzgrenzen missachtende Rechtsprechung des EuGH[72], die später eingefügten „Beitragskompetenzen“[73] im geistig-kulturellen Bereich[74] sowie die Auswirkungen der Grundfreiheiten des Binnenmarktes.

a) Primärrecht (AEU-Vertrag)

aa) Spezielle Kompetenzen der EU in den Bereichen Bildung, Forschung und Kultur

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Gemäß Art. 165 I UAbs. 1 AEUV trägt die EU zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert sowie die Vielfalt der Sprachen und Kulturen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt. Dies erfasst alle öffentlichen und privaten Ausbildungseinrichtungen und damit auch die Hochschulen.[75] Ausdrücklich hervorgehoben wird allerdings, dass dies „unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungswesens“ geschieht. Unter den Zielen der Tätigkeit der Union gemäß Art. 165 II AEUV werden u.a. die Verbesserung der Sprachkenntnisse, die Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten sowie die Förderung der Entwicklung der Fernlehre genannt. Die EU fördert die Zusammenarbeit mit dritten Ländern sowie den für den Bildungsbereich zuständigen internationalen Organisationen (zur OECD s.o. II. 3. a), insbesondere dem Europarat (vgl. o. II. 3. b). Als Instrumente stehen vom Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit dem Europäischen Parlament (Art. 294 AEUV) erlassene Fördermaßnahmen zur Verfügung, allerdings unter ausdrücklichem Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, ferner Empfehlungen (Art. 165 IV AEUV). Art. 166 AEUV begründet eine entsprechende Unterstützungs- und Ergänzungskompetenz der EU für die berufliche Bildung, Art. 167 AEUV eine Beitragskompetenz der EU für die Kultur.

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Wegen der finanziellen Fördermöglichkeiten bedeutsam – aber auch entsprechend kritisch zu würdigen („goldener Zügel“) – ist die Unterstützungskompetenz der EU hinsichtlich der Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen, die sich ausdrücklich auch auf „die Hochschulen“ erstreckt (Art. 179 AEUV). Diese sind auch Adressaten der ergänzenden Unionsmaßnahmen, namentlich der Durchführung von Programmen für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration unter Förderung der Zusammenarbeit mit und zwischen Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen (Art. 180 lit. a AEUV). Dazu stellt der Rat zusammen mit dem Europäischen Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) mehrjährige Rahmenprogramme auf, die auch konkrete Zielvorgaben enthalten und die durch spezifische Programme durchgeführt werden (Art. 182 AEUV)[76]. Zur Durchführung des mehrjährigen Rahmenprogramms legt der Rat u.a. die Beteiligung „der Hochschulen“ fest.[77]