Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen

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6

Wir fuhren vom Gottesdienst nach Hause, saßen nachmittags draußen im Garten und aßen ein paar belegte Brote. Die Herbstsonne schien noch ziemlich intensiv. Unnötig zu erwähnen, dass Jeschua keine Sonnenmilch brauchte.

Wir hatten gerade gemeinsam überlegt, wie wir das Reisen organisieren sollten. Da meine Frau Charlotte einen normalen Beruf hatte und sich nicht einfach ein paar Wochen frei nehmen konnte, vereinbarten wir mit Jeschua, dass sie jeweils an den Wochenenden nachkommen würde.

„Aber bevor wir auf Reisen gehen“, sagte er zu mir, „solltest du einen Reinigungsprozess durchlaufen, damit du meine Gegenwart auf Dauer aushalten kannst.“

Ich fing an zu schwitzen. „Was für einen … einen Reinigungsprozess?“

Ich sah im Geist eine himmlische Waschmaschine, in die man mich stecken würde, und den anschließenden Schleudergang wollte ich mir erst gar nicht vorstellen.

„Denk an Jesaja, an Paulus und an die anderen“, sagte er. „Alle Leute, die mit Gott in Berührung kamen, mussten für ihren Dienst gereinigt oder geläutert werden.“

Ich erinnerte mich an die Berufung Jesajas, dessen Lippen mit glühenden Kohlen gereinigt wurden, natürlich nicht buchstäblich.

„Du vergleichst mich mit Jesaja, dem Giganten des Alten Testaments? Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“

„Ich wollte dir nur Beispiele nennen. Ich selbst wurde auch in der Wüste gereinigt, bevor ich in die Öffentlichkeit trat. Eine sechswöchige Fastenkur.“

„Aber … aber warum denn? Ich soll dich doch nur begleiten und hinterher alles aufschreiben oder aufschreiben lassen.“

Jetzt lächelte Jeschua und sagte: „Es ist schon merkwürdig. Kein Jahrhundert hat so viel Wert auf äußere Reinigung gelegt wie dieses Jahrhundert. Es gibt tausend verschiedene Reinigungsmarken, vor jeder OP wird alles gründlich gereinigt und sterilisiert. Es gibt Reinigungsmilch für das Gesicht, es gibt Abführmittel, um den Darm vor einer Darmspiegelung zu reinigen. Millionen von Menschen arbeiten in Reinigungsfirmen, aber ausgerechnet der wichtigste Teil des Menschen, die Seele, scheint von der Reinigung ausgeschlossen zu sein. Niemand scheint es zu kümmern, dass euer Inneres mit der Zeit verdreckt, abstumpft und langsam einrostet!“

Ich schwieg betroffen und hörte ihm weiter zu.

„Ich habe euch doch die Vergebung zurückgelassen, damit ihr euch immer wieder reinigen könnt. Die Katholiken haben immerhin noch die Vergebung in Form eines alten Beichtrituals beibehalten, aber ihr Evangelischen denkt, man muss nur den Satz aussprechen: Ich bekenne meine Schuld, und alles sei weggewischt. Das wäre so ähnlich, wie wenn eine Putzfrau bei einem verdreckten Zimmer ausrufen würde: Ich bekenne, dass dieses Zimmer dreckig ist, ich glaube an die Reinigungskraft von Bürste und Seife. Und dann würde sie darauf hoffen, dass sich das Zimmer von selbst reinigt.

„Ja, aber“, begann ich, „muss ich jetzt in mich gehen und alles hervorholen, was ich an Falschheiten und Sünden in den letzten Jahren begangen habe und sie vor Gott präsentieren?“

„Keine Angst, diese Arbeit macht der Heilige Geist in dir. Du musst nur bereit sein, dich deinen Verkrustungen, blinden Flecken und Sünden zu stellen, sie Gott hinhalten, und er wird dir vergeben. Das ist wie das Bad in einem Kristallsee. Herrlich erfrischend.“

Er überlegte kurz und fügte hinzu: „Ich will dich aber nicht bedrängen. Wenn du nicht gereinigt werden willst – okay. Alles im Reich Gottes geschieht freiwillig. Aber dann musst du damit rechnen, dass dir meine Gegenwart mit der Zeit auf die Nerven geht, dass du müde und lustlos wirst, kraftlos und ohne Elan. Es ist für mich kein Problem, jemand anderen zu finden. Also: überleg dir’s.“

„Und was ist mit meiner Frau, muss die auch so ein … ein Reinigungsdings über sich ergehen lassen?“

Ich sah, wie Charlotte unruhig wurde.

„Kümmere dich nicht um deine Frau, sie geht ihren eigenen Weg.“

Jeschua schüttelte den Kopf: „Was ist bloß passiert?“, seufzte er, „das schönste Geschenk, die Vergebung, fürchtet ihr wie der Teufel das Weihwasser. Ich dreh mal eine Runde durch eure Siedlung, dann hast du Zeit, dir alles einmal gründlich zu überlegen.“

Er stand auf und ging los, ohne sich umzudrehen.

Wir waren zunächst sprachlos. Die Sache, die so spektakulär angefangen hatte, ging plötzlich ans Eingemachte.

„Na ja“, meinte Charlotte, „er hat ja irgendwie recht, oder? Manche Leute putzen vor jeder Reise ihre Wohnung oder ihr Auto, aber an die Seele denkt niemand.“

„Seele, Seele“, murmelte ich. „Klar, die Katholiken glauben noch daran, aber in der protestantischen Theologie vermeidet man den Begriff. Der Mensch sei eine Einheit, heißt es. Was man früher Seele nannte, bedeutet einfach die lebendige Seite des Menschen, eine Funktion des Körpers. Gott schafft nach dem Tod alles neu …“

„Ach so“, führte Charlotte meine Gedanken weiter, „und wenn es keine richtige Seele gibt, dann muss sie auch nicht gereinigt werden?“

„So ähnlich. Ich dachte immer, die Vergebung ist eine Beziehungssache und nicht eine Bürste mit himmlischer Seife.“

„Aber wenn Jeschua das sagt? Er muss es schließlich wissen. Als er zu dem Verbrecher am Kreuz sagte: Heute wirst du mit mir im Paradies sein, dann hat er doch damit gerechnet, dass die gesamte Persönlichkeit dieses Mannes nach dem Tod woanders sein würde, oder nicht?“

„Ja schon. Seele – das ist ein völlig veralteter Begriff und …“

Ich hörte mit Sprechen auf, weil Jeschua wieder auftauchte.

„Na? Hast du dich entschieden?“

Ich seufzte. „Wir diskutieren gerade, ob es überhaupt eine Seele gibt, die dreckig werden kann.“

„Richtig, die Seele ist inzwischen aus der Mode gekommen. Vielleicht hilft es ja, wenn ihr sie mal kurz sehen könnt. Dazu muss ich eure inneren Augen öffnen. Augenblick mal.“

Ich wollte gerade sagen, wie das vor sich gehen sollte, da veränderte sich plötzlich die Umgebung. Ich war geplättet.

Neben mir und um uns herum standen eine Menge menschlicher Gestalten. Einige von ihnen leuchteten in wunderbaren Farben, andere sahen dunkel aus oder hatten eine dumpfe Ausstrahlung.

Ich sah zu meiner Frau hinüber und merkte, dass ihr Körper von innen leuchtete und einen silbrigen Glanz versprühte.

„Die meisten Seelen um euch herum können euch jetzt nicht sehen, eure Körper sind für sie zu grob und verdecken sie. Natürlich gibt es keine Seele ohne Körper. Die Leute um euch herum haben einen geistigen Körper. Einige von ihnen sind Engel mit einem himmlischen Körper, die können euch sehen.“ Er nickte einem dieser leuchtenden Gestalten zu und redete zu ihm in einer fremden Sprache, die sich seltsam anhörte, reich an Vokalen und sehr melodisch.

Und schon war die Versammlung von Seelen verschwunden.

„Dass ihr das sehen konntet, ist eine Ausnahme“, sagte Jeschua. „Es ist nicht gut, die anderen dauernd wahrzunehmen, das würde euch nur verwirren. Aber habt ihr die dunklen, dumpfen Gestalten gesehen?“

Wir nickten.

„Das waren Seelen, die nicht das Vergnügen hatten, durch die Vergebung gereinigt zu werden. Es ist ungefähr so, als ob du wochenlang im Garten gearbeitet hast, aber es gibt keine Dusche weit und breit. Also, was ist? Wollt ihr generalüberholt werden oder nicht?“

Die Sache mit den dunklen Seelen hatte mich überzeugt. „Okay, ich bin bereit.“

„Ich auch“, sagte Charlotte.

7

Jeschua fuhr sich durch die Haare, blickte mich an und gab mir dann den Tipp, ein leeres Blatt zu nehmen, mich zurückzuziehen und alles aufzuschreiben, was mir an Dingen einfiel, die in letzter Zeit nicht richtig gewesen, die schief gelaufen sind und die ich nun bereute.

Dann sollte ich mit dem vollgeschriebenen Blatt zu ihm kommen, und er würde mir vergeben.

Ich dachte zuerst, wie soll ich bloß dieses Blatt füllen? Aber als ich dann anfing, allen vergangenen Mist aufzuschreiben, der mir in den Sinn kam, wurde es immer mehr, und ich musste das Blatt umdrehen. Menschen kamen mir in den Sinn, mit denen ich mich verkracht hatte, kleine Unehrlichkeiten, Notlügen, verpasste Gelegenheiten, wo ich eigentlich etwas hätte tun sollen und es nicht getan hatte, die scheinbar harmlose Fahrerflucht nach einem verunglückten Einparken und so weiter. Irgendwann versiegten die Einfälle, und ich ging zu Jeschua und wollte ihm mein Blatt geben.

„Laut vorlesen“, sagte er nur.

„Aber du weißt doch schon alles.“

„Egal. Das gehört zum Ritual.“

Ich überwand mich und las es ziemlich leise vor.

Als ich fertig war, fragte er: „Bereust du das alles?“

„Klar, und wie.“

„Gut. Ich vergebe dir.“

Dann war es still. Zuerst dachte ich. Und jetzt? War ja alles ein bisschen prosaisch. Ich spürte nichts.

„Woher weiß ich denn, dass es vergeben ist?“, fragte ich.

„Abwarten“, sagte Jeschua.

Ich wartete, und dann kam eine Woge über mich wie eine riesige Welle, und mir kam es vor, als ob der ganze Dreck weggespült wurde.

Mein Inneres fühlte sich frisch an, und ein Friede breitete sich in meinem Körper aus wie ein Orgelton, der immer reicher und klangvoller tönte.

Ich fing an zu weinen und konnte gar nicht aufhören. Aber es war ein gutes Weinen.

Ich stand auf, wankte nach draußen in den Garten und setzte mich auf eine Bank. Ich brauchte frische, kühle Herbstluft. Hinter mir hörte ich wie Jeschua sagte: „Und das lasst ihr euch entgehen?“

 

Ich war nun also generalüberholt oder gereinigt und bereit, meinen Reisedienst mit Jeschua anzutreten. Meine Frau war dann nach mir dran, kam ziemlich aufgelöst aus dem Reinigungszimmer und setzte sich neben mich. Stumm blickten wir über den Rasen und sahen, wie durch die Lavendelbüsche der Wind strich.

Seltsam, dachte ich, da zitieren wir Christen regelmäßig im Glaubensbekenntnis den Satz: Ich glaube an die Vergebung, aber kaum jemand wendet ihn praktisch an.

Mir fiel eine Geschichte ein, die ich mal gelesen hatte. Ein Seifenfabrikant hatte eine neue Seife auf den Markt geworfen und verdiente ganz gut damit. Als er einen Priester traf, kam er mit ihm ins Gespräch und sagte: „Mit dem Glauben ist es ja so eine Sache. Seit zweitausend Jahren gibt es nun schon den christlichen Glauben, aber hat sich deshalb irgendetwas Grundlegendes geändert? Es gibt immer noch genügend Elend. Die Menschen ändern sich eben nicht. Meine Seife hat mehr verändert als zweitausend Jahre Kirchengeschichte.“

Der Priester sagte nur: „Gut. Sie haben eine neue Seife entwickelt, und jetzt schauen Sie sich mal dieses Kind an: total dreckig.“

Der Seifenfabrikant lachte: „Aber man muss doch die Seife anwenden.“

„Genau“, nickte der Priester, „man muss den Glauben anwenden.“

Wie gesagt: Wir waren jetzt startklar und gespannt, wie es mit uns und Jeschua weitergehen sollte.

Die Terrassentür öffnete sich, und Jeschua setzte sich auf einen der Stühle neben uns. Er hatte ein Tablett mit Tassen, etwas Gebäck und eine Kanne Tee. Außerdem hatte er unsere Jacken mitgebracht. Allmählich wurde es kühl nur im Hemd. Wir gossen uns Tee ein und tranken einen Schluck.

Jeschua gab mir eine Kreditkarte und sagte mir: „Besorge uns zwei Flüge nach New York.“

„Hin und zurück?“

„Nein, nur einfach. Wir müssen die Rückreise spontan buchen. Und dann nimmt sich Charlotte für das kommende Wochenende kurzfristig einen Flug, um uns zu treffen. Ich lasse ihr auch eine Kreditkarte zurück.“

„Einen Flug wohin?“

„Das weiß ich noch nicht. Ich bin nicht mehr allwissend und muss auf Eingebungen achten.“

„Okay“, sagte ich. „Business oder Touristen?“

„Bist du schon mal Business Class geflogen?“, fragte Jeschua. „Bisher noch nicht.“

„Dann buche Business. Ist für uns alle ein bisschen entspannter. Wir werden noch oft genug auf schlechten Straßen fahren.“

„Gut. Mit Vergnügen. Ich brauche aber für dich einen vollen Namen, Adresse mit Geburtsdatum und allem. Hast du überhaupt einen Pass?“

Er stand auf, ging ins Haus und kam tatsächlich mit einem Pass zurück. Neugierig nahm ich ihn in die Hand. Es war ein deutscher Pass, und unter dem Passbild stand: Josua Davidsen und eine Adresse in Hannover. Geboren: zweiundzwanzigster September 1987.

„Josua ist im Grunde das gleiche wie Jeschua, aber klingt hier normaler.“

„Und wie kommst du zu dieser Adresse?“, fragte ich und goss mir noch eine Tasse Tee ein.

„Eine reguläre Adresse. Ich stehe ganz offiziell im PC des Einwohnermeldeamtes.“

„Keine Ahnung, wie du das gemacht hast.“

„Vor dreihundert Jahren war das noch nicht nötig. Aber jetzt wird hier alles registriert.“

Ich zuckte die Schultern. „Im Himmel doch auch, oder nicht? Selbst unsere Haare sollen gezählt sein.“

Jeschua lachte. „Ich sehe schon, du scheinst dich in der Bibel auszukennen. Aber das hat einen anderen Grund, warum der Himmel so gründlich ist.“

„Und welchen?“

„Das hat etwas mit der Liebe zu tun. Was man vom Einwohnermeldeamt nicht unbedingt sagen kann.“

8

Wir fuhren mit einem Taxi und unserem Handgepäck durch das Verkehrsgewühl von New York. Jeschua hatte mich überredet, nur Handgepäck mitzunehmen.

„Lass uns zuerst einmal hier ankommen“, sagte Jeschua. „Ich liebe den Central Park. Besonders jetzt, wenn die Blätter bunt sind.“

Er fing sofort ein Gespräch mit dem Taxifahrer an, natürlich sprach er fließend Englisch, stellte sich mit Joshua vor und erfuhr, dass der Fahrer Ken hieß. Ich fragte mich, warum Jeschua gleich so vertraulich einstieg.

Er wird seine Gründe haben, dachte ich mir und blickte aus dem Fenster.

Ich war überrascht, in dieser Riesenstadt so viel Natur zu sehen. Ein herrlicher Tag, irgendwie luftig, die Wolkenkratzer wirkten leicht wie aus Styropor. Sogar Fußgänger entdeckte ich. Ich dachte immer, in Amerika würde kaum jemand zu Fuß gehen. Unterwegs musste ich notgedrungen mit anhören, was Jeschua mit dem dunkelhäutigen Ken redete. Sie hatten gerade über den hohen Energieverbrauch der Amerikaner gesprochen, und nun fragte ihn Jeschua, was er zum Waffenkonsum meinte. Ob er es gut fände, dass jeder Amerikaner sich beliebig viele Waffen kaufen könnte.

„Klar, Josh“, sagte der Fahrer. „Du kannst dir nicht vorstellen, was für abgedrehte Kunden manchmal bei mir mitfahren, und da hab ich im Türfach eine geladene Glock 25 liegen, unter meinem Sitz eine G 27, und jetzt besorge ich mir etwas ganz Neues: eine Pistole, die wie ein Smartphone aussieht. Wenn dir jemand eine Knarre an den Kopf hält, sagst du: ‚He, lass mich nur noch kurz meine Mama anrufen‘, und peng – ist der Kerl erledigt. Ist doch genial, oder?“

Er freute sich wie über einen guten Witz. Jeschua lachte nicht.

„Wenn alle bewaffnet sind, Ken“, sagte Jeschua, „dann erhöht sich doch die Gefahr, dass du irgendwann abgeknallt wirst, bevor du in dein Taxi steigst. Vielleicht von dem Mann, dessen Bruder du mit deinem Smartphone gerade ermordet hast. Was nützen dir dann deine Waffen im Auto?“

„Mann! Ermordet! Das klingt so hässlich. Aber egal, die Waffen geben mir eben ein sicheres Gefühl.“

„Und wenn du Angst bekommst und einfach losknallst und eine Mutter oder einen Familienvater dabei umbringst?“

„Pech. Man muss eben ständig auf der Hut sein. Wir Amerikaner lieben unsere Waffen. Wir sind damit aufgewachsen, sie gehören zum Leben dazu wie Mac Donald‘s oder Stars and Stripes. Und – he! Du kannst in diesem Land nur etwas durchsetzen, wenn du der Stärkere bist.“

„Und stark sein heißt Waffen haben?“, fragte Jeschua, und ich spürte förmlich, dass der arme Kerl gerade in eine Falle tappte.

„Klar.“

„Du kommst doch irgendwo aus dem Süden, oder? Georgia vermutlich?“

„Stimmt.“ Der Mann grinste.

„Und wie war das noch mit Martin Luther King? Wie viele Waffen hatte er gehabt, als er die Rassengesetze veränderte?“

„Keine Ahnung.“

„Er trug keine bei sich. Er trug unter seinem Hemd Gottvertrauen. Seine Waffe war Gewaltlosigkeit. Und er hat etwas bewirkt. Schien am stärkeren Hebel zu sitzen. Komisch, oder?“

„Na ja“, meinte Ken. „Sie haben ihn aber abgeknallt.“

„Aber bis heute redet man von ihm. Oder denk an Jesus. Auch jemand ohne Waffen, und an jeder Ecke gibt es hier eine Kirche von ihm.“

Ken fuhr schweigend weiter. Schließlich sagte er: „Okay, Josh, eins zu null für dich, aber ist es nicht besser, wenn man den Leuten beibringt, wie man mit Waffen umgeht, als immer alles zu verbieten?“

„Hört sich gut an. Aber manche Dinge kriegt man nicht anders in den Griff. Probier es doch mal aus, Ken. Eine Woche im Taxi ohne Waffen.“

Ich sah, wie Ken das Gesicht verzog, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte.

„Na gut“, meinte Jeschua, „eine Woche ist zu lang für dich. Ich gebe dir fünfhundert Dollar, wenn du es einen Tag lang schaffst, ohne eine Waffe herumzufahren.“

„Fünfhundert Dollar? Wirklich?“

„Ich bin noch ein paar Tage hier. Sagen wir, wir treffen uns morgen um dieselbe Zeit am Flughafen.“

Ken lachte: „Bist du verrückt? Woher willst du wissen, ob ich das eingehalten habe?“

„Glaub mir“, sagte Jeschua. „Ich weiß es einfach.“

Ken sagte eine Weile nichts, fuhr schweigend weiter, überholte einen uralten Ford. Schließlich hielt er an und meinte: „Wir sind da. Central Park West, the Lake. Wenn ihr rechts reingeht, stoßt ihr automatisch auf den Lake. Macht achtzehn Dollar. Und Josh – ich probier‘s. Morgen um die gleiche Zeit am Flughafenausgang bei den Taxis, außer, wenn ich vorher abgeknallt werde.“ Er lachte. Jeschua lachte nicht.

„Ich werde da sein, Ken. Natürlich bezieht sich das Waffenverbot auch auf Messer, Pfeffersprays, Baseballschläger und Elektroschocker.“

Wir standen schon draußen. Ken beugte sich aus dem Fenster und rief Jeschua hinterher: „Und wer sagt meiner Witwe Bescheid?“

„Das mach ich schon“, sagte Jeschua und winkte ihm noch einmal zu.

Wir gingen weiter und näherten uns dem Park.

„Komische Wette“, meinte ich. „Und mit welchen wichtigen Leuten wirst du heute sprechen?“

„Das erste wichtige Gespräch habe ich gerade geführt“, sagte Jeschua.

„Was? Mit einem Taxifahrer?“

„Für Gott ist jeder Mensch wichtig. Während ich hier bin, kommt es darauf an, den richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Warten wir‘s ab.“

Wir betraten eine andere Welt. Einfach faszinierend, mitten in dieser geschäftigen Stadt einen riesigen Park zu haben. Leute waren unterwegs, einige saßen auf einer Bank und aßen etwas, zwei Jogger sprinteten an uns vorbei, weiter hinten standen ein paar Jugendliche zusammen, vielleicht, um einen Straßenkünstler zu bewundern.

Ich merkte, dass ich müde wurde, die Zeitverschiebung steckte noch in meinen Knochen. Als der See auftauchte, steuerte ich auf eine Bank zu.

„Müde?“, fragte Jeschua.

„Ja. Zuhause wäre es jetzt abends. Wirst du eigentlich nie müde?“

Jeschua setzte sich zu mir und sagte: „Der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.“

Es hörte sich an wie ein Zitat. Wahrscheinlich aus der Bibel.

„Aber“, fuhr er fort, „das heißt nicht, dass im Himmel nur Hochbetrieb herrscht. Manche Engel schlafen regelmäßig. Und Menschen, die noch nicht lange im Himmel sind, schlafen auch. Sie haben diesen Rhythmus verinnerlicht. Weißt du, das Schlafen in der anderen Welt ist ganz anders als hier. Es ist kein erschöpfter Schlaf, sondern ein Hinübergleiten in einen leichteren Zustand, bei dem alles zur Ruhe kommt. Wer es mag, der kann sich einen funkelnden Sternenhimmel wünschen oder einen sanften Nachtregen …“

„Das hört sich gut an“, murmelte ich. „Ich liebe es, wenn es nachts regnet.“

„Natürlich schlafen auch die Kinder, die hier sterben“, sagte Jeschua, „besonders, wenn sie traumatisiert sind.“

„Dann stimmt es also, dass die andere Welt der berühmte Ausgleich ist?“

„Oh ja“, er nickte ernst. „Ohne den Ausgleich im anderen Leben, würde die groteske Ungerechtigkeit in dieser Welt doch überhaupt keinen Sinn ergeben, alles wäre dann ein riesiges, zufälliges Chaos.“

„Viele denken, dass es so ist.“

„Ich weiß. Traurig, aber wahr.“ Er öffnete seinen Rucksack und holte eine Tüte heraus.

„Was ist das?“

„Fishburger, Pommes-frites und Wasser.“

„Wo hast du das denn so schnell …“, wollte ich fragen, bis mir die Geschichte von der Speisung der Fünftausend einfiel, obwohl es eigentlich keine Kunst gewesen wäre, sich irgendwo etwas zu kaufen. War Jeschua nicht vor der Taxifahrt kurz weg gewesen?

Der Fishburger schmeckte großartig. Vielleicht aber auch nur, weil ich Hunger hatte.

Wir aßen ein paar Augenblicke schweigend.

„Was hast du als nächstes vor?“, fragte ich.

„Ich bin hier verabredet mit einer Frau“, sagte Jeschua.

„Ach, sieh mal einer an“, rutschte es mir heraus.

„Sie weiß es aber noch nicht.“

Er trank einen Schluck und setzte dann hinzu: „Am besten, ich lasse dich hier sitzen, du machst eine Siesta, ich unterhalte mich mit meiner Freundin und komme dann hierher zurück. Außerdem wäre sie etwas befangen, wenn wir zu zweit bei ihr auftauchten. Und du könntest dir inzwischen ein paar Notizen machen, von dem, was bisher passiert ist.“

Er stand auf und ging. Mir kam es vor, dass das keine Vorschläge waren, sondern Befehle, allerdings in einem freundlichen Ton.

Da saß ich nun im Central Park in New York, war unterwegs mit dem Auferstandenen und hatte gleich zwei Arbeitsaufträge erhalten: Schlafen und Notizen machen. Ich entschied mich für das erste, stützte meinen Ellenbogen auf die Lehne der Bank und legte meinen müden Kopf in die Handfläche. Hätte ich geahnt, was noch alles auf mich zukommt, wäre ich wahrscheinlich nicht eingeschlafen. Es ist nur gut, dass wir die Zukunft nicht kennen.

 
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