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IX.
Schönbrunn

Eine Stunde von Wien, außerhalb der Vorstadt Mariahilf, liegt das von Joseph l. angelegte und von Maria Theresia vollendete kaiserliche Schloß Schönbrunn. Es war das gewöhnliche Hauptquartier Napoleon; hier hatte er 1805 nach der Schlacht bei Austerlitz gewohnt; hier wohnte er 1809 nach der Schlacht bei Wagram; hier wohnte später, nach der Schlacht bei Waterloo, sein Sohn, der Herzog von Reichstadt.

Die backsteinernen Mauern und spitzen Dächer abgerechnet, ist Schönbrunn ziemlich nach dem Plane von Fontaineblau gebaut; es ist ein großes Corps de logis mit zwei wenig vorstehenden Seitenflügeln und einer doppelten Treppe, die über dem Haupteingange in den ersten Stock führt. An die beiden Flügel lehnen sich die niedrigen Seitengebäude, die größtentheils als Stallungen benützt werden und bis auf das mit zwei Obelisken geschmückte Hauptthor den ganzen Schloßplatz umgeben.

Zu diesem Hauptthor gelangt man über eine Brücke, unter welcher einer der sich in die Donau ergießenden zahlreichen Bäche hindurchfließt. Jenseits des Schlosses erhebt sich amphitheatralisch der prächtige Garten mit der berühmten Gloriette.

In einem Salon des Schlosses ging Donnerstag den 12. October der Sieger von Wagram ungeduldig, fast verdrießlich auf und ab. Warum verdrießlich? Weil er, ungeachtet des Sieges, den sein Genie errungen, ungeachtet des Glückes, das ihn auf diesem Kriegszuge begleitet hatte, einen Anfang von Mißgeschick erfahren; weil er nach dem erfolgreichen Kampfe gegen die Menschen die Naturkräfte bekämpfen mußte, und weil er ahnte, daß die Natur, die ihm durch das Austreten der Donau eine so furchtbare Warnung gegeben, wohl verderblich werden könnte, wenn er sich’s einfallen ließe, zum zweiten Male Gott zu versuchen.

Warum ungeduldig? Weil Oesterreich, trotz der sieben so rasch auf einander folgenden Niederlagen sich nicht ergeben hat. Napoleon hatte sich anfangs der Hoffnung hingegeben; das Haus Habsburg aus der Zahl der Regentenfamilien zustreichen, wie er das Haus Braganza in Portugal und das Haus Bourbon in Spanien daraus gestrichen hatte; aber er hatte sich überzeugt, daß die Krallen des zweiköpfigen Adlers sich fester an das Reich klammerten, als er geglaubt hatte. Es wäre indeß sehr schön gewesen, die drei Kronen Oesterreich, Böhmen und Ungarn zu trennen und auf drei verschiedene österreichische oder deutsche Häupter zu setzen; aber er hatte gesehen, daß dieser Wonnetraum seines Hochmuths unmöglich verwirklicht werden konnte, ja daß er kaum die verlangten vier bis fünf Millionen Seelen und die sechs bis sieben Provinzen bekommen konnte.

Die ersten.Unterhandlungen hatten freilich bereits am Ende des Augusts zwischen dem Fürsten von Metternich, dem Grafen von Nugent und dem Herrn de Champagny, Herzog von Cadore, stattgefunden, und es war nun der, 12. October, ohne daß man von den beiden österreichischen Diplomaten eine entscheidende Antwort erhalten konnte. Die von dem französischen Unterhändler gestellten Bedingungen waren freilich hart. Kaiser Napoleon verlangte von dem Kaiser von Oesterreich die Abtretung eines den besetzten Landestheilen entsprechenden Gebietes an Frankreich. Das französische Heer hatte Znaim, Wien, Brünn, Preßburg, Oedenburg, Gratz 2c. besetzt. Napoleon hatte anfangs ein Drittel der österreichischen Unterthanen und etwa den vierten Theil des Flächeninhaltes verlangt, aber nach und nach hatte er seine Forderungen herabgestimmt und nur vier bis fünf Millionen Seelen und eine entsprechende Zahl von Quadratmeilen verlangt. Der Kaiser Franz II. fand auch dies noch zu viel; er wußte, wie leicht man von dem gewaltigen Sieger Zugeständnisse erlangte, wenn man sich unmittelbar an gewisse Eigenschaften seines Charakters wandte. Statt daher die Sache länger in den Händen der Diplomaten zu lassen, beschloß der Kaiser Franz, den General Grafen von Bubna, seinen Adjutanten, einen gewandten, geistreichen und ehrenhaften Mann, an Napoleon abzusenden.

Diesen Bevollmächtigten erwartete Napoleon, der gern bald nach Frankreich zurückkehren wollte, mit solcher Ungeduld, daß er von Zeit zu Zeit an der Thür stillstand und lauschte. Endlich erschien der General. Napoleon wußte seine Ungeduld nicht zu bezähmen. Die Etikette verlangte, daß der Graf von Bubna mit gewissen Förmlichkeiten vorgestellt wurde, aber Napoleon öffnete ihm selbst die Thür.

»Kommen Sie, Herr Graf,« sagte er zu ihm, als er ihn bemerkte. »Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich hat vollkommen Recht sich über unsere Unterhändler zu beklagen; alle diese Diplomaten sind Wortkrämer, und jeder will von seiner Waare so viel wie möglich an den Mann bringen, wie man in der Handelswelt sagt. Friedensunterhandlungen sollten immer von Soldaten geführt werden; wir wollen nicht viel Federlesens dabei machen, wir wollen’s machen, als ob wir eine Schlacht liefern wollten.«

»Wenn das ist, Sire,« antwortete der Graf, »so erkläre ich mich im voraus für besiegt; machen Sie Ihre Bedingungen, ich übergehe Ihnen meinen Degen.«

»Aber Sie müssen doch Ihre Meinung sagen,« erwiederte Napoleon; »ich werde Ihnen mit aller Aufrichtigkeit, antworten, die für Unbesonnenheit gehalten werden könnte, wenn ich nicht in einer Lage wäre, die alle diplomatischen: Winkelzüge überflüssig macht. Reden Sie also, Sie wissen. was ich verlange. Wozu sind Sie ermächtigt? was dürfen Sie mir bewilligen?«

»Ew. Majestät wollen Sachsen vergrößern, Baiern mächtiger machen und sich unsere Häfen am adriatischen Meere: zueignen: wäre es nicht besser, das neue Polen zu vergrößern? . . .««

Napoleon unterbrach den Grafen durch eine Handbewegung und erwiederte lächelnd:

»Und mich mit Rußland zu entzweien! Ja wohl, für Oesterreich wäre es besser, obgleich mir Rußland keinen Beweis von warmer Freundschaft gegeben hat, es hat mich im; Stich gelassen, als ich gegen Oesterreich, seinen wahren Feind, zu Felde zog.«

»Ew. Maiestät geruhen das Gespräch auf einen Gegenstand zu lenken . . .«

»Der uns von der Hauptsache entfernt? das ist möglich. Wir können in einem Tage, in einer Stunde Alles abthun, wenn Sie im Namen Ihres Kaisers eben so aufrichtig: mit mir reden wollen, wie ich in meinem Namen mit Ihnen reden will. . . Sie haben Recht, ich habe kein Interesse, Sachsen oder Baiern um einige Millionen Einwohner zu vergrößern; mein wahres Interesse ist die Politik meiner Vorgänger zu verfolgen, das von Heinrich IV., Richelieu und Ludwig XIV. begonnene Werk zu vollenden, nemlich durch die Trennung der drei Kronen Oesterreich, Böhmen und Ungarn die Monarchie aufzulösen. Um diese drei Kronen würden wir noch Krieg führen müssen; es wird wahrscheinlich dahin kommen, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich es nicht wünsche.«

»Warum wollen Ew. Majestät nicht lieber ein enges Bündniß mit Oesterreich schließen?«

»Geben Sie mir ein Mittel an, ein solches Bündniß vorzubereiten.«

»Sire, man kann sich zwei Vorstellungen vom Frieden machen . . .«

»Erklären Sie sich deutlicher, Herr Graf.«

»Die eine Art des Friedens, Sire, ist weit umfassend, großmüthig, Ew. Majestät würdig: Sie geben alle besetzten Provinzen zurück, machen Oesterreich wieder so mächtig wie es vor dem Kriege war, und verlassen sich auf seine Ehrlichkeit und Dankbarkeit Die andere Art, Frieden zu schließen – erlauben Sie mir, daß ich mich offen ausspreche – die andere Art des Friedens ist kleinlich, gefährlich, verletzend, wenig ersprießlich für die beraubte, noch weniger vielleicht für die vom Glück begünstigte Macht.«

»Entschuldigen Sie, Herr Graf,« sagte Napoleon, »ich muß Sie unterbrechen. Das erste System des Friedens habe ich versucht, als Se. Majestät Ihr Kaiser nach dem Tage von Austerlitz mich im Lager besuchte. Auf sein Versprechen, keinen Krieg mehr gegen mich zu führen, stellte ich seine ganze Monarchie, bis auf einige leise Erinnerungen an jenen Feldzug, in dem frühern Umfange wieder her. Ich konnte damals, wie es mir wenigstens schien, auf einen dauernden Frieden zählen, aber kaum hatte ich den Krieg gegen die Engländer und Spanier begonnen, waren alle Versprechungen vergessen, alle Rücksichten bei Seite gesetzt; wie können Sie daher jetzt ein freundliches Entgegenkommen, wie können Sie Vertrauen von mir erwarten? Ich will Ihnen beweisen, daß ich nicht gegen Oesterreich persönlich Krieg führen will; hören Sie nur: Se. Majestät Ihr Kaiser spricht unaufhörlich von seinem Wunsche, die Regierung niederzulegen: er lege sie nieder, er danke zu Gunsten seines Bruders ab, der mein guter Freund ist und selbstständig handeln wird, ohne sich von den Engländern gängeln zu lassen. Er lege die Regierung nieder und ich verlasse Wien. Ich gebe seinem Nachfolger alle Provinzen zurück, die ich ihm genommen habe. Weit entfernt, die von den zweihundert Millionen Kriegssteuer noch rückständigen hundertfünfzig Millionen einzutreiben, gebe ich ihm die bereits bezahlten fünfzig Millionen zurück und leihe ihm noch hundert Millionen auf sein Wort, wenn er Geld braucht . . . noch mehr, ich gebe ihm Tyrol zurück.«

»Sire,« antwortete der Graf etwas verlegen, »ich zweifle nicht, daß der Kaiser, mein allergnädigster Herr, sich zur Niederlegung der Regierung entschließen wird, wenn er die von Ew. Majestät gestellten äußersten Friedensbedingungen erfährt, denn er wird lieber seinen Nachfolger an der Spitze des Gesammtreiches sehen, als auf seinem eigenen Haupte eine verstümmelte Krone tragen.«

»Verstehen Sie mich recht,« sagte Napoleon; »dies sind keineswegs meine unbedingten Forderungen oder äußersten Friedensbedingungen, sondern nur ein Vorschlag; Souveräne sind einander Rücksichten schuldig, und ich will so etwas durchaus nicht fordern: ich sage nur, daß ich diese Zugeständnisse machen will, wenn Ihr Kaiser sich nach Ruhe sehnt . . . Aber ich sage Ihnen aufrichtig, daß ich an ein solches Resultat nicht glaube, und muß daher auf meinen ersten Vorschlag zurückkommen.«

 

»Den Ew. Majestät doch mildern werden?«

»Nun ja, ich will von meiner ersten Forderung etwas nachlassen. Ich hatte drei Kreise von Böhmen verlangt, es soll keine Rede mehr davon seyn; ich hatte Oberösterreich bis an die Enns verlangt, ich will daraus verzichten; ich will auf einen Theil von Kärnten verzichten und nur Villach behalten; ich gebe Ihnen Klagenfurt zurück, aber ich behalte Krain und das rechte Ufer der Save bis Bosnien. Ich hatte 2,600,000 Seelen in Deutschland verlangt, jetzt verlange ich nicht mehr als 1,600,000. Es bleibt noch Galizien. Bedenken Sie, daß ich doch etwas für einen Verbündeten thun muß, der mich freilich nicht unterstütze, aber auch nicht verrathen hat; ich muß ihm das Geoßherzogthum arrondiren. In diesem Punkte müssen wir Beide nachgiebig seyn, denn an diesem Gebiete liegt uns nicht viel. Mit Italien verhält sich’s freilich anders: ich muß nach der Türkei einen Weg für 7300,000 Mann und 300 Kanonen offen behalten; denn mein Einfluß im Mittelmeere wird durch meinen Einfluß auf die ottomanische Pforte bedingt und diesen Einfluß kann ich nur als Grenznachbar des türkischen Reiches bekommen.Ich muß Besitzungen auf dem Festlande haben, denn so oft als ich den Engländern den Ocean oder das Mittelmeer nehmen will, reißt mir Ihr Kaiser England aus den Händen. . . Geben Sie mit, was ich am adriatischen Meere und in Illyrien verlange, über das Uebrige werden wir uns leicht verständigen; aber merken Sie wohl, Herr Graf, dies ist mein Ultimatum. Wenn Oesterreich nicht einwilligt, so gebe ich auf der Stelle meine Befehle, um die Feindseligkeiten wieder anzufangen. Seit der Schlacht bei Wagram ist meine Armee täglich gewachsen, meine Infanterie ist vollzählig und so schön wie noch nie; meine Cavallerie hat in Deutschland frische Remonten bekommen; ich habe 500 Feldkanonen und 300 Festungsgeschütze an den von mir besetzten Plätzen. Junot, Massena und Lefèbvre haben 80,000 Mann in Sachsen und Böhmen; Davoust, Oudinot und meine Garden bilden eine Masse von 150,000 Mann. Mit dieser Masse rücke ich gegen Preßburg, und in vierzehn Tagen werde ich bis tief in Ungarn vordringen. Mit dem Material der Insel Lobau habe ich vier Brückenequipagen zusammengestellt und im Herzen der österreichischen Monarchie habe ich die Hauptstadt meines Gegners und acht andere Städte in Vertheidigungsstand gesetzt . . .«

»Sire,« unterbrach ihn der General, »Ew. Majestät sind mir mit dem Beispiele der Offenheit vorangegangen. Wir wünschen ebenfalls einen Krieg zu vermeiden, der uns Alles nehmen kann, aber wir ziehen ihn einem Frieden vor, der fast eben so verderblich seyn würde, wie der Krieg. Ew. Majestät sprechen von 220,000 Mann; wir werden 300,000 ins Feld stellen; dieser Kriegsmacht fehlt ein Feldherr, der Ew. Majestät vollkommen gewachsen ist. . . geben Sie daher einen Beweis Ihrer Großmuth und sagen Sie Ihr letztes Wort.«

»Nehmen Sie eine Feder, Herr Graf, und schreiben Sie,« sagte Napoleon.

Der Graf von Bubna feste sich, nahm eine Feder und schrieb folgendes von Napoleon dictirte Ultimatum:

»In den an Italien grenzenden Ländern: der Kreis Villach, ohne den Klagenfurter Kreis, das ist der Schlüssel zu den norischen Alpen; – ferner Laibach und das rechte Ufer der Save, bis an die Grenze von Bosnien.

»Ja den an Baiern grenzenden Ländern: ein Landstrich, zwischen Passau und Linz, an der Donau in der Gegend von Efferding beginnend und sich über Schwanenstadt und Gmunden bis gegen Salzburg erstreckend.

»An der böhmischen Grenze: einige unbedeutende, künftig zu bezeichnende Gebietstheile, deren Bevölkerung nicht über 50,000 Seelen betragen soll.

»An der Grenze von Galizien: Neugalizien von der Weichsel bis an die Biala einerseits und bis an den Bug andererseits; der Zamoscer Kreis, mit Ausnahme des an Krakau grenzenden Landstriches, aber mit dem Salzwerke von Wieliczka.«

»Sie sehen also,« fuhr Napoleon fort, »ich begnüge mich in Italien und Oesterreich mit 1,400,000 Seelen statt der anfangs verlangten l,600,000 und in Galizien mit 2,000,000 statt der geforderten 3,000,000.«

»Und die übrigen Ansprüche geben Ew. Majestät auf? —fragte der Graf von Bubna lebhaft.

»O nein,« erwiederte Napoleon; »es sind noch zwei wichtige Punkte zu ordnen: erstens . . .

Der Graf nahm die Feder wieder, um zu schreiben.

»Nein, schreiben Sie nicht,« sagte der Kaiser, »über diese beiden Punkte werde ich Sr. Majestät ausführlich schreiben. Was ich Ihnen mitzutheilen habe, ist ziemlich einfach und Ihr Gedächtniß wird vollkommen ausreichen. Ich will – merken Sie wohl, daß ich nicht wünsche, sondern will – ich will, daß Oesterreich seine Armee auf 150,000 Mann reducire und mir 100 Millionen zur Ausgleichung der Kriegssteuer bezahle.«

»Sire, diese Bedingung ist hart,« sagte der Graf.

»Es ist so,« sagte Napoleon.

»Aber diese Abhängigkeit muß ein Ende nehmen . . .«

»Hören Sie,« erwiederte Napoleon, »ich will Ihrem Kaiser auf halbem Wege entgegenkommen. Das Ende dieser Abhängigkeit, wie Sie es nennen, ist das Ende des Seekrieges. England gebe uns den Frieden, aber einen sichern, dauernden Frieden, und ich ermächtige Sie, die 500,000 Mann, die Sie im Anfange des Feldzugs hatten, wieder unter die Waffen zu rufen.«

»Sire,« fragte der General aufstehend, wann soll ich wieder kommen?«

»Herr Graf,« erwiederte Napoleon, einen plötzlichen Entschluß fassend, »es ist nicht nöthig, daß Sie wieder kommen; Sie würden mich nicht mehr hier finden.«

»Ew. Majestät wollen abreisen?«

»Ja, nach Steiermark.«

»Wann?«

»Morgen. Sie haben mein Ultimatum. Herr von Champagny hat unbeschränkte Vollmacht; wenn wieder gekämpft werden soll, so komme ich wieder; aber ich sage Ihnen, Herr Graf, wehe denen, die mich zwingen, wieder hierher zu kommen!«

»Ew. Majestät wollen abreisen! wiederholte der Graf ganz bestürzt.

»Mein Gott! ja. . . Kommen Sie mit mit, Herr Graf, ich halte im Schloßhofe meine Abschiedsmusterung.«

Der General sah wohl, daß es das letzte Wort Napoleons war. Er stand auf, steckte die Note, die er geschrieben hatte, in die Tasche und folgte dem Kaiser.

Napoleon trat auf den Balkon. Der Schloßhof war mit Neugierigen angefüllt. Zur Rechten des Kaisers stand der Graf von Bubna, zu seiner Linken der Fürst von Neuchâtel. Rapp- sein Adjutant, blieb seitwärts stehen.«

Die Soldaten marschirten unter dem Balkon vorüber und bildeten auf dem Schloßhofe ein Quarré. Jede Abtheilung rief beim Defiliren: »Vive l’Empereur!«

Napoleon gab dem Grafen von Bubna einen Wink, ihm zu folgen, und ging die Außentreppe hinab, um in die Mitte des Vierecks zu gehen, Rapp ging voran, als ob er für den Kaiser eine Gefahr geahnt hätte.

Dies war übrigens schon seit vier bis fünf Monaten der Fall gewesen, und das wachsame Auge Berthier’s suchte überall den in der alten Burg Abensberg versprochenen Mörder.

Plötzlich, als die Zuschauer vor Napoleon zurückwichen, trat ein junger Mann vor.

Rapp sah einen glänzenden Gegenstand blitzen, er griff rasch zu und faßte eine Hand, die mit einem Messer bewaffnet war.

»Staps!« rief der Graf von Bubna. »O, Sire! . . .Sire!«

»Was gibt’s denn?« fragte Napoleon lächelnd.

»Dieser junge Mann wollte Ew. Majestät ermorden. Haben Sie es nicht gesehen?«

»Derlei Dinge sehe ich nie, »Herr Graf. Entweder bedarf Frankreich meiner, und dann bin ich durch meine Sendung gepanzert, oder es bedarf meiner nicht, und dann verfügt Gott über mich.«

Dann trat er, ohne sich um den Meuchler, den Rappt den Gendarmen zuführte, weiter zu kümmern, in das Quarré, eben so ruhig wie zu Abensberg, wo ihm eine Kugel den Hut vom Kopf gerissen, wie zu Regensburg, wo ihn eine Kugel am Fuße verwundet hatte.

Aber er wandte sich zu Berthier und sagte leise: »Der Graf von Bubna kennt den Mörder!«

»Woher wissen Sie das, Sire?«

»Er nannte seinen Namen, als er ihn sah.«

»Wie nannte er ihn?«

»Staps.«

X.
Friedrich Staps

Zwei Stunden nach der Truppenmusterung und eine Stunde nach der Abreise des Grafen von Bubna befand sich Napoleon wieder in demselben Salon, wo wir ihn Vormittags gesehen. Dieses Mal war er nicht allein, sondern ging im vertraulichen Gespräch mit seinem Leibarzt Corvisart, einem etwa fünfzigjährigen, geistreich aussehenden Manne auf und ab.

»Ich bekam einen furchtbaren Schrecken,« sagte der Doctor, »als ich zu Ew. Majestät gerufen wurde: es hatte sich das Gerücht eines Mordversuchs verbreitet, und ich fürchtete, Sie wären verwundet.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Pünktlichkeit, lieber Doctor; aber es ist mir nichts geschehen, wie Sie sehen, und ich habe .Sie nicht um meinetwillen rufen lassen . . .O«

»Warum denn?«

»Wegen des Meuchlers.«

»Ist er etwa im Handgemenge verwundet worden oder hat er versucht sich zu entleiben?«

»Nein, Doktor, ich glaube im Gegentheil, daß er bei der Verhaftung nicht die kleinste Verletzung erhalten hat, und von einem Selbstmordversuch habe ich auch nichts gehört.«

»Nun, warum haben mich denn Ew. Majestät rufen lassen?«

»Der Graf von Bubna, der gestern auf der Reise zufällig mit dem jungen Menschen zusammengetroffen ist und ihm sogar ein Pferd geliehen hat, sagte mir Einiges über ihn, das mich für ihn einnimmt.«

»Für Ihren Mörder?«

»Warum nicht? Ich weiß Beharrlichkeit und Ausdauer zu schützen, und ich habe alle Ursache zu glauben, daß Friedrich Staps diese Eigenschaft in hohem Grade besitzt. Ich möchte wissen, ob diese Ausdauer bei ihm eine glänzende Eigenthümlichkeit oder eine fixe Idee, mit anderen Worten: ob er ein Patriot oder ein verrückter Mensch ist . . . Wollen Sie dies ermitteln?«

»Ich will’s versuchen, Sire.«

»Es steckt eine Liebesgeschichte dahinter, die, so viel mir bekannt geworden, ziemlich interessant ist, die Sie aber nicht kümmert.«

»Ew. Majestät wollen also einen Verwand, ihn zu retten?« fragte Corvisard.

»Vielleicht,« sagte Napoleon.

»Dann lassen Sie ihn kommen, Sire,« erwiederte der Doctor, »ich will ihn examiniren.«

Napoleon rief den General Rapp und fragte, ob sein Befehl vollzogen sey.

»Ja, Sire,« antwortete der General.

»Dann lassen Sie den Gefangenen hereinkommen.«

Rapp entfernte sich. Bald darauf erschien der Gefangene, dessen Hände gefesselt waren, zwischen zwei Gendarmen Rapp folgte ihm.

»Nehmen Sie ihm die Handschellen ab,« sagte Napoleon.

Man gehorchte.

»General,« sagte er zu Rapp, »lassen Sie ihn mit mir und Corvisart alleine.«

Rapp zögerte. Napoleon machte, wie Jupiter, eine Kopfbewegung. Rapp entfernte sich nun mit den beiden Gendarmen, warf noch einen Blick auf die drei Personen, die er verließ und entfernte sich mit dem Vorsatz, an der Thür stehen zu bleiben und die Hand an den Säbelgriff zuhalten.

Der Kaiser saß an einem ovalen Tische. Corvisart stand neben ihm.

»Sprechen Sie französisch?« fragte der Kaiser den Gefangenen.

»Etwas,« antwortete Staps.

»Wollen Sie sich eines Dolmetschers bedienen oder direct antworten?«

»Ich will lieber direct antworten.«

»Sie heißen wirklich Friedrich Staps?«

»Ja.«

»Woher sind Sie?«

»Von Erfurt.« .

»Seit wann sind Sie in Wien?«

»Seit gestern«

»In welcher Absicht sind Sie hierher gekommen?«

»Um Frieden von Ihnen zu erlangen, und Ihnen zu beweisen, daß er nothwendig ist.«

»Glauben Sie denn, ich würde einen Mann ohne bestimmten Auftrag, ohne Legitimation angehört haben?«

»Meine Sendung ist weit wichtiger und bedeutungsvoller, als die des Grafen von Bubna.«

»Der Graf kam im Auftrage seines Kaisers zu mir.«

»Und ich komme im Auftrage Gottes.«

Napoleon sah den Doctor Corvisart fragend an. Dieser gab ihm einen Wink, womit er sagen wollte: »Fahren Sie fort.«

»Was wollten Sie thun, falls ich Sie nicht anhörte?«

»Ich wollte Sie umbringen.«

»Was habe ich Ihnen denn gethan?«

»Sie unterdrücken mein Vaterland.«

»Ihr Vaterland hat sich gegen mich erhoben; ich habe es besiegt, im Kriege geht es einmal nicht anders. Alexander hat die Perser besiegt und unterdrückt; Cäsar die Gallier; Carl der Große die Sachsen.«

»Wäre ich ein Perser gewesen, so würde ich Alexander erdolcht haben; als Gallier würde ich Cäsar, als Sachse Carl den Großen erdolcht haben.«

»Haben Sie sich durch religiösen Fanatismus leiten lassen?«

»Nein, durch nationale Begeisterung.«

»Haben Sie Mitschuldige?« .

»Nein, nicht einmal mein Vater weiß um meinen Entschluß.«

»Haben Sie mich schon gesehen?«

»Ja, schon dreimal, und jetzt zum vierten Male; das erste Mal in Abensberg, das zweite Mal in Regensburg, das dritte Mal in Schönbrunn.«

»Sind Sie Freimaurer?«

 

»Nein.«

»Illuminat?«

»Nein.«

»Geh Treu Sie einer geheimen Gesellschaft an?«

»Ich habe schon gesagt, daß ich keine Mitschuldigen habe.«

»Kennen Sie den Major Schill?«

»Nein.«

»Kennen Sie Brutus?«

»Welchen? es gibt deren zwei.«

»Ja wohl,« erwiederte Napoleon mit ausdrucksvollem Lächeln, »der eine mordete seinen Vater und der andere seine Söhne. Haben Sie Kenntniß von den Verschwörungen Moreau’s und Pichegru’s?«

»Ich weiß davon nur was die Zeitungen berichtet haben.«

»Was denken Sie von den beiden Männern?«

»Daß sie nur für sich selbst thätig waren und den Tod fürchteten.«

»Man hat ein weibliches Porträt bei Ihnen gefunden?«

»Ich habe gebeten, mir das Porträt zu lassen, und man hat mir die Bitte gewährt,«

»Wer ist das Frauenzimmer?«

»Was liegt Ihnen daran?s

»Ich wünsche zu wissen wer sie ist.«

»Es ist ein junges Mädchen, meine Braut.«

»Wie! Sie haben einen Vater, eine Braut, und sind zum Meuchelmörder geworden?«

»Ich bin der innern Stimme gefolgt, die mir gebot, den Streich zu führen.«

»Glaubten Sie denn zu entkommen, nachdem Sie den Streich geführt?«

»Ich habe es nicht einmal gewünscht.«

»Woher kommt dieser Lebensüberdruß?«

»Weil das Verhängniß mir das Leben unmöglich gemacht hat.«

»Wenn ich Sie begnadigte, welchen Gebrauch würden Sie dann von Ihrer Freiheit machen?«

»Da ich überzeugt bin, daß Sie Deutschlands Untergang wollen, so würde ich eine andere Gelegenheit abwarten und meine Zeit besser wählen . . . und dann würde es mir vielleicht gelingen.«

Napoleon zuckte die Achseln.

»Das Uebrige geht Sie an, Corvisart,« sagte er. »Examiniren Sie ihn und sagen Sie mir Ihre Meinung.«

Corvisart untersuchte den Puls des Gefangenen, legte das Ohr an seine Brust und sah ihm forschend in die Augen,

»Er ist ein Fanatiker von der Familie des Mucius Scävola und des Jacques Clément,« sagte er.

»Und er ist nicht wahnsinnig?«

»Nein.«

»Und er hat kein Fieber?«

»Mir vier Pulsschläge mehr als im gewöhnlichen Zustande.«

»Dann ist er also ruhig?«

»Vollkommen ruhig.«

Der Kaiser trat auf den jungen Mann zu und sah ihn scharf an.

»Sprich,« sagte er nach einer Pause, »willst Du leben?«

»Warum sollte ich leben?«

»Um glücklich zu seyn.«

»Ich kann’s nicht mehr seyn««

»Versprich mir, wieder zu deinem Vater, zu deiner Braut zu gehen, dort ruhig und harmlos zu bleiben, und ich begnadige Dich.«

Der Gefangene sah Napoleon erstaunt an, dann antwortete er:

»Das Versprechen würde nichts nützen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich es nicht halten würde.«

»Du weißt, daß Du vor ein Kriegsgericht gestellt wirst und daß folglich in drei Tagen alles aus ist.«

»Ich bin bereit zu sterben.«

»Höre, ich reise morgen ab, Du wirst also in meiner Abwesenheit verurtheilt und erschossen werden.«

»So, ich werde erschossen?« fragte Staps erfreut.

»Ja, wenn Du mir dein Wort nicht gibst.«

»Ich gebe mein Wort nicht, weil ich es nicht halten könnte,« antwortete der Gefangene.

»Aber vielleicht wirst Du es bereuen, wenn deine letzte Stunde kommt?«

»Das glaube ich nicht.«

»Es ist aber doch möglich . . .«

»Das ist wahr, der Mensch ist schwach.«

»Und wenn Du deine That bereuest, würdest Du dann das verlangte Versprechen geben?«

»Wem sollte ich’s geben?«

»Gott.«

»Und dann?«

»Dann würdest Du dem Präsidenten der Militärercommission dieses Papier vorzeigen.«

»Napoleon schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier, faltete es zusammen und gab es dem Gefangenen.

Staps nahm das Papier, ohne es zu lesen, und steckte es in die Westentasche.

»Noch einmal, Corvisart,« sagte Napoleon, »wissen Sie gewiß, daß er nicht wahnsinnig ist?«

»Nein, Sire! er hat seinen vollen Verstand.«

»Rapp!«

General Rapp erschien.

»Führen Sie den Gefangenen weg,« sagte der Kaiser, »ernennen Sie eine Militärcommission, die über sein Verbrechen aburtheilen wird.«

Dann wandte er sich wieder zu dem Doktor, ohne an den Vorfall, der ihn soeben beschäftigt hatte, weiter zu denken.

»Sagen Sie, Doctor, kann ein Mann von vierzig Jahren noch auf Nachkommenschaft rechnen?«

»Warum nicht?« erwiederte Corvisart etwas verwundert.»Und ein Mann von fünfzig Jahren?«

»Auch noch.«

»Und ein Sechziger?«

»Zuweilen.«

»Und ein Siebziger?«

»Immer.«

Der Kaiser lächelte. »Das siebzigste Jahr werde ich nicht erreichen.«

»Daran thun Sie sehr wohl, Sire.«

»Schönen Dank . . . Verlassen Sie mich.«

Corvisart verneigte sich und ging.«

»Ich muß einen Sohn, einen Erben haben!« sagte Napoleon, als er allein war. »Wenn der unsinnige Mensch mich erdolcht hätte, wer wäre dann auf den französischen Thron gekommen? . . .«

Er versank in tiefe Gedanken – »Eins beunruhiget mich,« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort: »man haßt nicht mehr die französische Revolution, sondern mich . . . man verfolgt mich als den Urheber alles Uebels, als den Hebel der unaufhörlichen, furchtbaren Erschütterung, welche die Welt aus ihren Angeln zu heben droht . . . aber Gott ist mein Zeuge, daß ich den Krieg nicht suche. Was haben sie denn vor mir voraus die Könige, die sich mit Fanatikern umgeben, von denen immer einige bereit sind, mich aus dem Wege zu räumen . . . Was sie vor mir voraus haben! Sie sind auf dem Thron geboren . . . Ach! wenn ich nur mein Enkel wäre!«

Er warf sich in einen Armsessel, stützte den Kopf in die Hand und sann einige Minuten schweigend nach.

Was während dieser wenigen Minuten in diesem geistvollen Haupte vorging? welche Gedankenflut gegen diesen felsenfesten Geist schlug? Es ist Geheimniß für Jedermann geblieben.

Endlich zog er langsam einen Bogen Papier an sich, nahm eine Feder, tauchte sie ein, drehte sie einige Male zwischen den Fingern und schrieb:

»An den Polizeiminister
»Schönbrunn, den 12. October 1809.

»Ein junger Mensch von siebzehn Jahren, 2 der Sohn eines lutherischen Predigers zu Erfurt, suchte sich mir auf der heutigen Parade zu nähern; er wurde von den Offizieren verhaftet. Der kleine Mensch schien verlegen zu seyn, dies erregte Verdacht; man durchsuchte ihn und fand einen kleinen Dolch bei ihm.

»Ich ließ ihn holen, und der verrückte Mensch, der übrigens gar nicht ungebildet schien, sagte: er habe mich ermorden wollen um Oesterreich von den Franzosen zu befreien. Ich konnte bei ihm weder religiösen noch politischen Fanatismus entdecken, er schien wohl zu wissen wer Brutus war. Mehr war in der ersten Verwirrung nicht aus ihm herauszubringen; man wird ihn schärfer ins Verhör nehmen, sobald er etwas kühler und nüchterner geworden ist. Es muß etwas dahinter stecken. Er soll vor eine Militärcommission gestellt werden.

»Ich setze Sie von diesem Vorfall in Kenntniß, um allen übertriebenen Gerüchten und unnöthigen Besorgnissen vorzubeugen. Wenn viel darüber gesprochen wird, muß der Mensch für wahnsinnig ausgegeben werden. Behalten Sie dies für sich und machen Sie keinen Gebrauch davon. Bei der Parade hat es kein Aufsehen gemacht; ich selbst bemerkte es gar nicht.

»Ich empfehle Ihnen noch einmal, von diesem Vorfall nichts zu erwähnen.

»Napoleon«

Der Kaiser klingelte und sagte zu dem eintretenden Thürsteher:

»Rufen Sie Rapp.«

»Sire, der General ist da.«

»Dann lassen Sie ihn hereinkommen.«

Rapp erschien.

»Schicken Sie sogleich einen Courier ab,« sagte Napoleon; »dieser Brief ist an Herrn Fouché zu übergeben.«

Rapp nahm den Brief und entfernte sich.

»Der Brief soll ihm eigenhändig übergeben werden!« rief ihm der Kaiser nach.

2Dieses eigenhändige Schreiben Napoleons ist noch vorhanden. Ob der Kaiser seinen Mörder absichtlich um drei Jahre jünger machte, um den Mordversuch nicht als die wohlüberlegte That eines Mannes, sondern als einen Knabenstreich darzustellen? Anm. des Verf.