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Der Chevalier von Maison-Rouge

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»Maurice, haben Sie Mitleid!«

»Madame, dann hätten Sie mich sollen sterben lassen!« rief Maurice.

»Sterben!«

»Ja, sterben oder vergessen.«

»Sie könnten also vergessen,« rief Geneviève, der die Thränen aus dem Herzen in die Augen sprangen.

»Oh! nein, nein,« sprach Maurice, während er auf die Kniee fiel, »nein, Geneviève, sterben vielleicht, vergessen, nie! nie!«

»Und dennoch,« versetzte Geneviève mit Festigkeit, dennoch wäre es das Beste, Maurice, denn diese Liebe ist ein Verbrechen.«

»Haben Sie das Herrn Morand gesagt?« versetzte Maurice, der durch diese plötzliche Kälte wieder Fassung erlangte.

»Herr Morand ist kein Wahnsinniger wie Sie, Maurice, ich habe nie nöthig gehabt, ihm anzudeuten, wie er sich in dem Hause eines Freundes benehmen sollte.«

»Wetten wir,« erwiderte Maurice ironisch lächelnd, wetten wir, daß, wenn Dirmer auswärts speist, Morand sich nicht von hier weg begeben wird. Ah! das müssen Sie mir entgegenstellen, Geneviève, wenn Sie mich verhindern wollen, Sie zu lieben; denn so lange Morand hier ist, hier an Ihrer Seite, ohne Sie eine Secunde zu verlassen,« fuhr er mit Verachtung fort, »oh! Nein, nein, so lange dies der Fall ist, werde ich Sie nicht lieben, oder mir wenigstens nicht gestehen, daß ich Sie liebe.

»Und ich,« rief Geneviève, durch diesen ewigen Verdacht bis zum Aeußersten getrieben, indem sie den Arm des jungen Mannes mit einer Art von Wuth drückte, »ich schwöre Ihnen, hören Sie wohl, Maurice, es sei dies ein für allemal gesagt, es sei gesagt, um nie wiederzukehren, ich schwöre Ihnen, daß Morand nie ein Wort von Liebe an mich gerichtet, daß mich Morand nie geliebt hat, daß mich Morand nie lieben wird: ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, ich schwöre es Ihnen bei der Seele meiner Mutter!«

»Ach! ach!« rief Maurice, »wie gern möchte ich Ihnen glauben.«

»Oh! glauben Sie mir, armer Narr,« sagte sie m einem Lächeln, das für jeden Andern als einen Eifersüchtigen ein reizendes Geständniß gewesen wäre, »glauben Sie mir; wollen Sie übrigens mehr hierüber wissen. Nun wohl, Morand liebt eine Frau, vor der alle Frauen der Erde verschwinden, wie die Blumen des Feldes von den Gestirnen des Himmels verschwinden.«

»Und welche Frau kann so die andern Frauen verdunkeln, während sich Geneviève unter ihrer Zahl findet?«

»Ist diejenige, welche man liebt, nicht immer ein Meisterwerk der Schöpfung?« versetzte Geneviève lächelnd.

»Nun,« sprach Maurice, »wenn Sie mich nicht lieben, Geneviève . . .«

Die junge Frau erwartete voll Bangen das Ende des Satzes.

»Wenn Sie mich nicht lieben,« fuhr Maurice fort, »so können Sie mir doch wenigstens schwören, nie einen Andern zu lieben.«

»Oh! was das betrifft, Maurice, ich schwöre es Ihnen und zwar von ganzem Herzen,« rief Geneviève entzückt, daß ihr Maurice selbst diesen Vergleich mit ihrem Gewissen bot.

Maurice ergriff die beiden Hände, welche Geneviève zum Himmel erhob, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

»Nun werde ich gut, leicht zugänglich, vertrauensvoll, edelmüthig sein,« sprach er. »Ich will Ihnen zulächeln, ich will glücklich sein.«

»U»« Sie werden nicht mehr verlangen?«

»Ich werde mich bemühen.«

»Ich denke, es ist nun unnöthig, daß man Ihnen dieses Pferd an der Hand hält,« sagte Geneviève.

»O Geneviève! ich wollte, die ganze Welt würde warten, und ich könnte sie Ihretwegen warten lassen.«

Man hörte Tritte im Hofe.

»Man kommt, um uns zu melden, daß aufgetragen ist,« sprach Geneviève.

Sie drückten sich verstohlen die Hand.

Morand kam und verkündigte, daß man nur Maurice und Geneviève erwarte, um sich zu Tische zu setzen.

Er hatte sich für dieses Mittagsmahl auch schön gemacht.

XIX.
Die Bitte

Aus eine ausgesuchte Weise gekleidet, war Morand ein, Gegenstand nicht geringer Neugierde von Maurice.

Der verfeinertste Muscadin hätte nichts an dem Knoten seiner Halsbinde, an den Falten seiner Stiefeln, an der Zartheit seiner Wäsche zu tadeln gefunden.

Doch es ist nicht zu leugnen, es waren immer dieselben Haare und dieselbe Brille.

Es kam dann Maurice vor, so sehr hatte ihn der Schwur von Geneviève beruhigt, als erblickte er zum ersten Male diese Haare und diese Brille unter ihrem wahren Lichte.

»Der Teufel soll mich holen!« sagte Maurice zu sich selbst, indem er ihm entgegen ging, »der Teufel soll mich holen, wenn ich je mehr gegen Dich eifersüchtig bin, vortrefflicher Bürger Morand! Ziehe, wenn Du willst, alle Tage Dein taubenhalsfarbiges Kleid von den Decadis an und laß Dir für diese Decadis einen Rock von Goldstoff machen. Von heute an verspreche ich Dir nur noch Deine Haare und Deine Brille zu sehen und Dich nicht nicht mehr zu beschuldigen, Du liebest Geneviève.«

Man begreift, wie viel offenherziger und inniger der, Händedruck, den er dem Bürger Morand in Folge dieses Selbstgespräches gab, sein mußte, als der, welchen er ihm gewöhnlich gab.

Gegen die Gewohnheit fand das Mittagemahl in kleinem Ausschuß statt. Nur drei Couverte lagen auf einem schmalen Tische. Maurice begriff, daß er unter diesem Tisch dem Fuße von Geneviève begegnen könnte, der Fuß würde dann die von der Hand begonnene stumme verliebte Phrase fortsetzen.

Man nahm Platz. Maurice sah Geneviève in schräger Richtung, sie saß zwischen dem Lichte und ihm; ihr schwarzen Haare hatten einen blauen Reflex wie der Flügel des Adlers; ihre Gesichtshaut funkelte, ihr Auge war feucht vor Liebe.

Maurice suchte und traf den Fuß von Geneviève. Bei der ersten Berührung, deren Wiedersehen er auf ihrem Gesichte wahrzunehmen trachtete, sah er sie zugleich erröthen und erbleichen, doch der kleine Fuß blieb friedlich unter dem Tische, entschlummert zwischen seinen zwei Füßen

Mit seinem taubenhalsfarbigen Rocke schien Morand seinen Decadi-Geist wieder angenommen zu haben, diesen glänzenden Geist, den Maurice zuweilen von den Lippen dieses seltsamen Mannes hatte springen sehen, diesen Geist, der ohne Zweifel so gut die Flamme seiner Augen begleitet haben würde, hätte nicht eine grüne Brille diese Flamme erstickt.

Er sprach tausend Tollheiten, ohne je zu lachen: was die Kraft der Scherzhaftigkeit von Morand bildete, was seinen Einfällen einen seltsamen Zauber verlieh, war sein unstörbaren Ernst. Dieser Kaufmann, welcher so viele Reisen, für den Handel mit Fellen aller Art gemacht hatte, von den Pantherfellen bis zu den Kaninchenbälgen, dieser Chemiker mit den rothen Armen, kannte Aegypten wie Herodot, Afrika wie Levaillant und die Oper und die Boudoirs wie ein Muscadin.

«Aber der Teufel soll mich holen, Bürger Morand,« sprach Maurice, »Sie sind nicht allein ein Gelehrter, sondern auch ein Weiser.«

»Oh! ich habe viel gesehen, und besonders viel gelesen,« erwiderte Morand; »und dann muß ich mich nicht auch ein wenig auf das Leben der Vergnügungen vorbereiten, das ich zu umfassen gedenke, sobald ich mein Glück gemacht habe? Es ist Zeit, Bürger Maurice, »es ist Zeit!«

»Bah!« versetzte Maurice, »Sie sprechen wie ein Greis; wie alt sind Sie denn?«

Morand wandte sich bebend bei dieser Frage um, so natürlich sie auch war.

»Ich bin acht und dreißig Jahre alt,« sagte er. »Ah! so ist es, wenn man ein Gelehrter ist, wie Sie sagen, man hat kein Alter mehr.«

Geneviève fing an zu lachen, Maurice bildete den Chor; Morand begnügte sich zu lächeln,

»Sie sind also viel gereist?« fragte Maurice, indem n den Fuß von Geneviève, der sich unmerklich frei zu machen suchte, fest zwischen seine Füße preßte.

«Einen Theil meiner Jugend habe ich im Auslande hingebracht,« antwortete Morand.

»Viel gesehen, verzeihen Sie, viel beobachtet, hätte ich sagen sollen, denn ein Mann wie Sie kann nicht sehen, ohne zu beobachten.«

»Meiner Treue, ja, viel gesehen,« erwiderte Morand, »ich möchte beinahe sagen, daß ich Alles gesehen.«

»Alles, Bürger! das ist viel,« entgegnete Maurice lachend; »ei! wenn Sie suchten.«

»Oh! ja, Sie haben Recht. Es gibt zwei Dinge, die ich nie gesehen habe. Freilich werden diese zwei Dinge immer seltener.«

»Was ist das? fragte Maurice.

»Das erste,« antwortete Morand mit ernstem Tone »ist ein Gott.«

»Ah! Bürger Morand,« rief Maurice, »in Ermangelung eines Gottes könnte ich Ihnen eine Göttin zeigen.«

»Wie dies?« unterbrach ihn Geneviève,

»Ja, eine Göttin von ganz neuer Schöpfung, die Göttin Vernunft. Ich habe einen Freund, von dem Sie mich zuweilen sprechen hörten, meinen lieben, braven Lorin, ein goldenes Herz, einen trefflichen Mann, der nur den einzigen Fehler hat, daß er Reime und Wortspiele macht.«

.Nun? . . .«

»Er hat die Stadt Paris mit einer vollkommen beschaffenen Göttin Vernunft beschenkt, gegen die man nichts einzuwenden gefunden. Es ist die Bürgerin Arthemise, Extänzerin der Oper und gegenwärtig Parfümeriehändlerin in der Rue Martin. Sobald sie definitiv als Göttin angenommen ist, kann ich sie Ihnen zeigen.«

Morand dankte Maurice ernst mit dem Kopfe und fuhr fort:

»Das andere ist ein König.«

»Oh! das ist noch schwieriger,« sprach Geneviève, indem sie sich zu lächeln zwang; »es gibt keinen mehr.«

»Sie hatten den letzten sehen sollen,« versetzte Maurice, das wäre klug gewesen.«

»Die Folge davon ist,« sprach Morand, »daß ich mir keinen Begriff von einer gekrönten Stirne machen kann; das muß sehr traurig sein.«

»In der That sehr traurig,« sagte Maurice; »ich stehe Ihnen dafür, ich, der ich ungefähr alle Monate eine solche sehe.«

»Eine gekrönte Stirne?« fragte Geneviève.

»Oder wenigstens eine, welche die schwere, schmerzliche Last einer Krone getragen hat,« antwortete Maurice.

»Ah! ja die Königin,« sprach Morand, »Sie haben Recht, das muß ein trübseliges Schauspiel sein.«

»Ist sie so schön und so stolz, als man sagt?« fragte Geneviève.

 

»Haben Sie diese Frau nie gesehen, Madame?« fragte nun Maurice erstaunt.

»Ich? Nie,« erwiderte Geneviève.

»In der That, das ist seltsam!« rief Maurice.

»Und warum seltsam?« versetzte Geneviève; »wir wohnten bis zum Jahre 91 in der Provinz; seit 91 wohne ich m der Rue Vieille-Saint-Jacques, welche ungemein der Provinz gleicht, abgesehen davon, daß man nie Sonne und ebenso wenig Luft und Blumen hat; Sie kennen mein Leben, Bürger Maurice. . . es ist stets dasselbe gewesen; wie soll ich die Königin gesehen haben? Nie hat sich eine Gelegenheit dazu geboten.«

»Und ich glaube nicht, daß Sie diejenige benützen würden, welche sich leider bieten dürfte,« sprach Maurice.

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Geneviève.

»Der Bürger Maurice spielt aus eine Sache an, welche kein Geheimnis mehr ist,« erwiderte Morand.

»Auf was?« fragte Geneviève.

»Auf die wahrscheinliche Verurtheilung von Marie Antoinette und aus ihren Tod aus demselben Schaffot, auf dem ihr Gemahl gestorben ist. Der Bürger sagt endlich, Sie werden, um sie zu sehen, nicht den Tag benützen, wenn sie den Temple verläßt, um nach dem Richtplatze zu gehen.«

»Oh! gewiß nicht,« rief Geneviève bei diesen von Morand mit einer eisigen Kaltblütigkeit ausgesprochenen Worten.

»Dann machen Sie sich zur Trauer bereit,« fuhr der unempfindliche Chemiker fort, »denn die Oesterreicherin ist gut bewacht, und die Republik ist eine Fee, welche unsichtbar macht, wenn es ihr gutdünkt.«

»Ich gestehe,« sagte Geneviève, »ich wäre doch sei neugierig gewesen, diese arme Frau zu sehen.«

»Sprechen Sie,« rief Maurice, eifrig bemüht, allen Wünschen von Geneviève entgegenzukommen, »habe Sie wirklich große Lust hierzu? Dann sagen Sie ein Wort: die Republik, ich pflichte hierin dem Bürger Morand bei, die Republik ist eine Fee; doch ich in meiner Eigenschaft als Municipal bin ein wenig Zauberer.«

»Könnten Sie mich die Königin sehen lassen?« rief Geneviève.

»Gewiß kann ich es.«

»Und wie dies?« fragte Morand mit Geneviève eine, raschen Blick wechselnd, welcher unbemerkt von dem jungen Manne vorüberging,

»Nichts ist einfacher,« antwortete Maurice. »Es gibt allerdings Municipale, denen man mißtraut, aber ich hab hinreichend Beweise von meiner Anhänglichkeit an die Sache der Freiheit geliefert, um nicht zu diesen zu gehören. Ueberdies hängt die Erlaubniß des Eintritts in den Temple gemeinschaftlich von den Municipalen und den Anführen des Postens ab. Der Anführer des Postens ist aber gerade an diesem Tage mein Freund Lorin, der mir berufen zu sein scheint, den General Santerre zu ersetzen, indem er in drei Monaten vom Grade eines Corporal zu dem eines Adjutant-Majors gestiegen ist. Nun wohl suchen Sie mich im Temple an dem Tage aus, wo ich die Wache habe, nämlich nächsten Donnerstag.«

»Ah! ich hoffe, Sie sind nach Wünschen bedient,« sagte Morand; »sehen Sie, wie sich das gut trifft!«

»Oh! nein, nein,« sagte Geneviève, »ich will nicht!«

»Und worum nicht?« rief Maurice, der in diesem Besuche im Temple nichts Anderes erblickte, als ein Mittel Geneviève an einem Tag zu sehen, wo er dieses Glückes beraubt zu sein glaubte.

»Weil dies,« antwortete Geneviève, »weil dies vielleicht Sie, lieber Maurice, einer Gefahr, einem unangenehmen Streite aussetzen hieße, und weil ich es mir m meinem ganzen Leben nicht verzeihen könnte, wenn Ihnen, unserem Freunde, durch die Befriedigung einer Laune von mir eine Sorge bereitet würde.«

»Das ist sehr weise gesprochen, Geneviève,« sagte Morand. »Glauben Sie mir, das Mißtrauen ist groß, die besten Patrioten werden gegenwärtig beargwöhnt; leisten Sie auf diesen Plan Verzicht, der bei Ihnen, wie Sie sagen, eine einfache Laune der Neugierde ist.«

»Man sollte glauben, Sie sprächen aus Eifersucht, Morand, und da Sie weder eine Königin noch einen König gesehen, so wollen Sie auch nicht, daß Andere solche sehen. Streiten Sie nicht mehr, seien Sie von der Partie.«

»Ich! meiner Treue, nein.«

»Es ist nicht mehr die Bürgerin Dirmer, welche in den Temple zu kommen wünscht, ich bin es, der Sie bittet, sowie auch Sie, Herr Morand, einem armen Gefangenen eine Zerstreuung zu bereiten,« sprach Maurice, »denn sobald das große Thor hinter mir geschlossen wird, bin ich, glücklicher Weise nur für vier und zwanzig Stunden, eben so sehr Gefangener, als es ein König, ein Prinz von Geblüt wäre.«

Und mit seinen beiden Füßen den Fuß von Geneviève drückend, fügte er bei:

»Kommen Sie doch, ich bitte Sie darum.«

»Hören Sie, Morand,« sagte Geneviève, »begleiten Sie mich.«

»Es ist ein verlorener Tag, der um eben so viel den verzögern wird, wo ich mich aus dem Geschäfte zurückziehe. . .« versetzte Morand.

»Dann gehe ich nicht,« sprach Geneviève.

»Und warum nicht?« fragte Morand.

»Ei mein Gott! das ist ganz einfach: weil ich nicht darauf zählen kann, daß mich Dirmer begleitet, und weil ich, wenn Sie mich nicht begleiten, Sie, ein vernünftiger Mann, ein Mann von acht und dreißig, Jahren, nicht die Keckheit haben werde, allein den Posten der Kanoniere, der Grenadiere und der Chasseurs zu trotzen um nach einem Municipal zu fragen, der nicht mehr als drei bis vier Jahre älter ist als ich.«

»Wenn Sie meine Gegenwart für unerläßlich halten, Bürgerin.. . .« versetzte Morande

»Vorwärts, vorwärts, gelehrter Bürger, seien Sie galant, als ob Sie ein ganz einfacher Mensch wären, sprach Maurice, »opfern Sie die Hälfte Ihres Tages Frau Ihres Freundes.«

»Es sei!« sagte Morand.

»Nun bitte ich Sie nur um Eines,« fuhr Maurice fort, »um Verschwiegenheit. Ein Besuch im Temple, ein verdächtiger Schritt und irgend ein Unfall, der sich in Folge dieses Besuches ereignete, wurde uns Alle unter die Guillotine bringen. Pest! die Jacobiner scherzen nicht, Sie haben gesehen, wie die Girondisten von ihnen behadelt worden sind.«

»Teufel!« rief Morand, »was der Bürger Maurice da sagt, ist wohl zu erwägen: das wäre eine Art, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen, die mir durchaus nicht behagen würde.«

»Haben Sie nicht gehört, daß der Bürger Maurice Alle sagte?«

»Nun wohl, Alle?«

»Alle mit einander.«

»Ja gewiß,« erwiderte Morand, »die Gesellschaft ist angenehm, doch meine schöne Empfindsame, ich will lieber in Ihrer Gesellschaft leben, als darin sterben.«

»Ah! Teufel, wo hatte ich denn meinen Kopf, ah! ich glaubte, dieser Mensch wäre in Geneviève verliebt?« fragte sich Maurice.

»Es ist also abgemacht,« versetzte Geneviève; »Morand, mit Ihnen spreche ich, mit Ihnen, dem Zerstreuten, mit Ihnen, dem Träumer; nächsten Donnerstag: fangen Sie nicht Mittwoch Abend einen chemischen Versuch an, der Sie vier und zwanzig Stunden in Anspruch nimmt, wie dies zuweilen der Fall ist.«

»Seim Sie unbesorgt,« antwortete Morand; »überdies werden Sie mich bis dahin daran erinnern.«

»Geneviève stand vom Tische auf; Maurice ahmte ihr Beispiel noch; Morand wollte dasselbe thun und ihnen vielleicht folgen, als einer von den Arbeitern dem Chemiker eine kleine Flasche mit einer Flüssigkeit brachte, welche seine ganze Aufmerksamkeit erregte.

»Beeilen wir uns,« sagte Maurice, Geneviève fortziehend.

»Oh! seien Sie unbesorgt,« erwiderte diese, »er ist wenigstens für eine gute Stunde beschäftigt.«

Und die junge Frau überließ ihm ihre Hand, die er zärtlich in seinen Händen drückte. Sie hatte Gewissensbisse für ihren Verrath und bezahlte ihm dieselben mit Glück.

»Sehen Sie,« sagte sie durch den Garten schreitend, indem sie Maurice Nelken zeigte, die man in einer Kiste von Mahagoniholz in den Garten gebracht hatte, um sie, wenn es möglich wäre, wiederzuerwecken: »sehen Sie, meine Blumen sind todt.«

»Wer hat sie getödtet?« versetzte Maurice, »Ihre Nachlässigkeit: arme Nelken!«

»Nicht meine Nachlässigkeit, sondern Ihr Abfall, mein Freund,«

»Sie verlangten doch nur wenig, Geneviève: ein wenig Wasser und sonst nichts, und mein Abgang mußte Ihnen viel Zeit lassen.«

»Ah!« sprach Geneviève, »wenn die Blumen sich mit Thränen begießen würden, so wären diese armen Nelken, wie sie dieselben nennen, nicht todt.«

Maurice umfing sie mit seinen Armen, zog sie rasch an sich und drückte, ehe sie Zeit hatte, sich zu vertheidigen, seine Lippen aus das halb lächelnde, halb schmachtende Auge, die Kiste mit den verwelkten Pflanzen betrachtete.

Geneviève hatte sich so viel vorzuwerfen, daß sie nachsichtig war.

Dinner kam spät zurück, und als er kam, fand er Morand, Geneviève und Maurice, welche im Garten über Botanik plauderten.

XX.
Das Sträußermädchen

Endlich erschien der große Tag, der Tag der Wacht von Maurice.

Man trat eben in den Monat Juni ein. Der Himmel war dunkelblau und von diesem Indigogewölbe hob sich das matte Weiß der neuen Häuser ab. Man bekam allmählig ein Vorgefühl von der Ankunft des furchtbaren Hundes, den die Alten als von einem unauslöschlichen Durste verzehrt darstellten, und der nach dem Sprichworte des Pariser Pöbels die Pflastersteine so gut leckt. Paris war sauber wie ein Teppich, und aus der Luft fallend, von den Bäumen aufsteigend, aus den Blumen hervor strömend, kreisten und berauschten Wohlgerüche, wollten sie die Bewohner der Hauptstadt ein wenig den Blutdunst vergessen machen, der unablässig auf dem Pflaster seiner Plätze dampfte.

Maurice sollte um neun Uhr in den Temple eintreten; seine zwei Collegen waren Mercevault und Agricola, Um acht Uhr war er in der Rue Vieille-Saint-Jacques, im großen Costume eines Bürger-Municipal, nämlich mit einer dreifarbigen Schärpe, welche seine geschmeidige, nervige Gestalt umschloß; er war wie gewöhnlich zu Pferd zu Geneviève gekommen und hatte unter Wegs die durchaus nicht verhehlten Lobeserhebungen und Beifallsbezeugungen der guten Patrioten, die ihn vorüber kommen sahen, einernten können.

Geneviève war schon bereit: sie trug ein einfaches Kleid von Mousseline, eine Art von Mantel von leichtem Taffet und eine kleine Haube mit der dreifarbigen Cocarde verziert.

Morand, der sich, wie wir gesehen, viel hatte bitten lasen, trug ohne Zweifel aus Furcht, der Aristokratie verdächtig zu sein, sein Alltagskleid, ein halb bürgerliches, halb handwerkmännisches Kleid. Er war kaum nach Hanse zurückgekehrt, und sein Gesicht trug die Spuren großer Müdigkeit an sich.

Er behauptete die ganze Nacht gearbeitet zu haben, um ein wichtiges Geschäft zu vollenden.

Dirmer war sogleich nach der Rückkehr seines Freundes Morand ausgegangen.

»Nun!« fragte Geneviève, »was haben Sie beschlossen, Maurice, und wie werden wir die Königin sehen?«

»Hören Sie,« antwortete Maurice, »mein Plan ist gemacht. Ich komme mit Ihnen in den Temple; ich empfehle Sie Lorin, meinem Freude, der die Wache commandirt. Ich übernehme meinen Posten und hole Sie im günstigen Augenblick.«

»Aber wo werden wir die Gefangene sehen, und wie werden wir sie sehen?« fragte Morand.

»Während ihres Frühstücks, oder während ihres Mittagsmahles, wenn es Ihnen genehm ist, durch die Glasthüre der Municipale.«

»Vortrefflich!« sprach Morand.

Maurice sah nun, wie Morand sich dem Schranke im Hintergrunde des Speisesaales näherte und hastig ein Glas intern Wein trank. Das fiel ihm auf. Morand war im sehr nüchterner Mann und trank gewöhnlich nur gerötetes Wasser.

Geneviève bemerkte, daß Maurice den Trinker erstaunt anschaute, und sagte:

»Stellen Sie sich vor, daß dieser unglückliche Morand sich mit der Arbeit umbringt, so daß er wohl im Stande ist, seit gestern Morgen nichts zu sich genommen zu haben.«

»Er hat also nicht hier zu Mittag gespeist?« fragte Maurice.

»Nein, er machte Versuche in der Stadt.«

Geneviève ging mit einer unnöthigen Vorsicht zu Werke. Als wahrhaft Verliebter, das heißt, als Egoist hatte Maurice diese Handlung von Morand nur mit der oberflächlichen Aufmerksamkeit bemerkt, die der Verliebte Allem zugesteht, was nicht die Frau ist, die er liebt.

Diesem Glas Wein fügte Morand eine Schnitte Brot bei, die er rasch verschluckte.

»Und nun,« sagte der Esser, »nun bin ich bereit Bürger Maurice; gehen wir, wenn es Ihnen beliebt.«

Maurice, der die verwelkten Stempel von einer der todten Nelken, die er im Vorübergehen gepflückt hatte, entblätterte, bot Geneviève seinen Arm und sprach:

»Gehen wir.«

Sie gingen wirklich. Maurice war so glücklich, daß seine Brust sein Glück nicht fassen konnte. Hätte er nicht an sich gehalten, er würde vor Freude geschrieen haben. In der That, was konnte er mehr verlangen: nicht nur liebte man Morand nicht, dessen war er gewiß, sondern man liebte sogar ihn, das hoffte er. Gott sandte eine schöne Sonne auf die Erde, der Arm von Geneviève zitterte unter dem seinigen, und aus vollem Halse den Triumph der Jacobiner und den Sturz von Brissot und seinen Genossen brüllend, verkündigten die öffentlichen Ausrufer, Vaterland sei gerettet.

 

Es gibt wirklich im Leben Augenblicke, wo das Herz des Menschen zu klein ist, um die Freude oder den Schmerz zu fassen, der sich darin zusammendrängt.

»Oh! welch ein schöner Tag!« rief Morand.

Maurice wandte sich erstaunt um, es war dies erste Erguß, der in seiner Gegenwart aus diesem beständig zerstreuten oder gedrückten Geiste hervorkam.

»Oh! ja, ja, sehr schön,« sprach Geneviève, indem sie sich an den Arm von Maurice hing. »Mochte er bis zum Abend rein und wolkenlos bleiben, wie er es in diesem Augenblick ist!l«

Maurice wandte dieses Wort aus sich an, und sein Glück verdoppelte sich.

Morand betrachtete Geneviève durch seine grüne Brille mit einem besondern Ausdruck von Dankbarkeit: vielleicht wandte er dieses Wort auch auf sich an.

So schritt man über dem Petit Pont, durch die Rue Saint-Juiverie ein und über den Pont Notre-Dame; dann schlug man den Weg nach der Rue Bar-du-Bec und die Rue Siant-Avoye ein, Je weiter man kam, desto leichter wurde der Schritt von Maurice, während im Gegenteil der von seiner Gefährtin und seinem Gefährten, immer langsamer wurde.

Man gelangte zu der Ecke der Rue des Vieilles-Handriettes, als plötzlich ein Sträußermädchen unsern Wanderern den Weg versperrte, und ihnen ihren blumenbeladenen Korb anbot.

»Oh! die herrlichen Nelken!« rief Maurice.

»Oh! ja, sie sind sehr schön,« sprach Geneviève. »Es scheint diejenigen, welche dieselben pflegten, wurden durch nichts Anderes beunruhigt, denn diese sind nicht todt.«

Dieses Wort erklang sehr sanft in dem Herzen des jungen Mannes.

»Ah! mein schöner Municipal,« sagte das Sträußermädchen, »kaufe der hübschen Bürgerin einen Strauß, Sie ist weiß gekleidet, hier sind herrliche rothe Nelken; Weiß und Purpur gehen sehr gut zusammen; sie steckt den Strauß an ihr Herz, und da ihr Herz ganz nahe bei keinem blauen Rocke ist, so habt Ihr die Nationalfarbe.«

Das Sträußermädchen war jung und hübsch; es sprach sein kleines Compliment mit einer ganz eigenthümlichen Anmuth; dabei war sein Compliment bewunderungswürdig gewählt, und hätte sie es ausdrücklich gethan, es würde nicht besser auf die Umstände gepaßt haben. Ueberdies waren die Blumen beinahe symbolisch. Es waren Nelken, denen ähnlich, welche in der Mahagonikiste gestorben.

»Ja, sprach Maurice, »Ich kaufe Dir ab, weil es Nelken sind, hörst Du wohl? Alle andere Blumen hasse ich.

»Oh! Maurice« sagte Geneviève, »das ist ganz unnöthig, wir haben so viele im Garten.«

Doch trotz dieser Weigerung der Lippen sagten die Augen von Geneviève, daß sie vor Verlangen, eine Strauß zu besitzen, starb.

Maurice nahm den schönsten von allen Sträußen es war übrigens derjenige, welchen ihm die hübsche Blumenhändlerin darreichte; er bestand aus ungefähr zwanzig hochrothen Nelken von zugleich scharfem und lieblichen Geruch.

»Nimm,« sagte Maurice zu der Händlerin, indem er ein Assignat von fünf Livres auf ihren Korb warf, »nimm, das ist für.Dich.«

»Ich danke, mein schöner Municipal,« erwiderte das Sträußermädchen, »fünfmal Dank.«

Und das Mädchen ging auf ein anderes Bürgers zu, in der Hoffnung, ein Tag, der so herrlich angefangen würde ein guter Tag sein. Während dieser scheinbar einfachen Scene, welche nur einige Minuten gedauert hatte wischte sich Morand, der aus seinen Beinen wankte, die Stirne ab, war Geneviève bleich und zitternd. Sie nahm ihre reizende Hand krampfhaft zusammenpressend, den, Strauß, den ihr Maurice bot, und hielt ihn vor ihr Gesicht, weniger um den Geruch einzuathmen, als um ihr Aufregung zu verbergen,

Der übrige Weg wurde lustig zurückgelegt, wenigstens was Maurice betrifft. Die Heiterkeit von Geneviève war erzwungen. Die von Morand offenbarte sich auf eine bizarre Weise, nämlich durch unterdrückte Seufzer, durch schallendes Gelächter und durch furchtbare Scherze, welche wie ein Rottenfeuer auf die Vorübergehenden fielen.

Um neun Uhr kam man in den Temple.

Santerre verlas die Municipale.

»Hier,« rief Maurice, indem er Geneviève unter der Obhut von Morand zurückließ.

»Ah! sei willkommen,« sprach Santerre und reichte Maurice die Hand.

Maurice hütete sich wohl, die Hand zurückzuweisen, die ihm angeboten wurde. Die Freundschaft von Santerre war sicherlich eine der kostbarsten in jener Zeit,

Als sie den Menschen sahen, der das bekannte Rasseln der Trommeln befehligt hatte, schauerte Geneviève, erbleichte Morand.

»Wer ist denn diese hübsche Bürgerin? fragte Santerre Maurice, »und was will sie hier?«

»Es ist die Frau des braven Bürgers Dirmer; Du hast gewiß von diesem braven Patrioten sprechen hören, Bürger General?«

»Ja, ja,« versetzte Santerre, »er ist Eigenthümer nun Rothgerberei und Kapitän bei den Chasseurs der Legion Victor.«

»So ist es.«

»Gut! gut! Sie ist, meiner Treue, hübsch. Und dieser Affe, der ihr den Arm gibt?«

»Ist der Bürger Morand, der Associé ihres Gatten, Chasseur in der Compagnie von Dirmer.«

Santerre näherte sich Geneviève und sagte:

»Guten Morgen, Bürgerin.«

Geneviève raffte ihren ganzen Muth zusammen und erwiderte lächelnd:

»Guten Morgen, Bürger General.«

Santerre fühlte sich zugleich durch das Lächeln und den Titel geschmeichelt.

«Und was willst Du hier, schöne Patriotin?« fuhr Santerre fort.

»Die Bürgerin hat nie die Witwe Capet gesehen und möchte sie nun gern einmal anschauen,« erwiderte Maurice.

»Ja,« sprach Santerre, »ehe. . . «

Und er machte eine abscheuliche Geberde.

»Ganz richtig,« antwortete Maurice mit kaltem Tone.«

»Gut,« versetzte Santerre; «mache nur, daß man sie nicht in den Thurm gehen sieht; das wäre ein schlechte Beispiel; übrigens verlasse ich mich aus Dich.«

Santerre drückte Maurice abermals die Hand, machte Geneviève eine Protectorsgeberde mit dem Kopf und ging zu Erledigung seiner anderen Functionen über.

Nach vielen Evolutionen von Grenadieren und Chasseurs, nach einigen Manoeuvres der Kanonen, von denen man glaubte, ihr dumpfes Schallen würde eine heilsam Einschüchterung in der Umgegend verbreiten, nahm Maurice wieder den Arm von Geneviève und ging auf den Posten am Thore zu, bei welchem sich Lorin, sein Bataillon befehligend, heiser schrie.

»Gut!« rief er, »hier kommt Maurice mit einer Frau die mir ein wenig angenehm zu sein scheint. Sollte de Duckmäuser Mitbewerber bei meiner Göttin Vernunft sein, Arme Arthemise, wenn dem so wäre!«

»Nun, Bürger Adjutant,« sagte der Kapitän.

»Ah! richtig; aufgepaßt!« rief Lorin, »in Rotten links, links . . . guten Morgen, Maurice; . . . Geschwind schritt, Marsch!«

Die Trommeln rasselten, die Compagnien bezogen ihr Posten, und als jede aus dem ihrigen war, lief Lorin herbei.

Die ersten Complimente wurden ausgetauscht.

Maurice stellte Lorin Geneviève und Morand vor.

Dann begannen die Erklärungen.

»Ja, ja, ich begreife,« sagte Lorin; »Du wünschest, daß der Bürger und die Bürgerin Einlaß in den Thurn erhalten, das ist leicht; ich werde die Schildwachen stellen und ihnen sagen, sie können Dich mit Deiner Gesellschaft durchlassen.«

Zehn Minuten nachher traten Geneviève und Morand im Gefolge von drei Municipalen ein und stellten sich hinter die Glasthüre.